Die Bedeutung von Jugendkultur in der Jugendphase am Beispiel

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Die Bedeutung von Jugendkultur in der Jugendphase am Beispiel
Die Bedeutung von Jugendkultur in der
Jugendphase am Beispiel
„Skateboarding“ und mögliche
Konsequenzen für die Jugendarbeit
Diplomarbeit
September 2002
Vorgelegt für die Hauptprüfung im Diplom-Studiengang Pädagogik an der
Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg
Von:
Elmar Julier
Gögginger Str. 30
86159 Augsburg
eingereicht am:
25. September 2002
Betreuer der Arbeit:
Dipl.-Päd. Christian Boeser
(Lehrstuhl für Pädagogik mit Berücksichtigung der Erwachsenenbildung und
außerschulischen Jugendbildung)
„When I was 14 years old skateboarding saved my life. It empowered
me with individuality and a very physical, yet positive and productive
form of self-expression. As a professional skater I see it as my job to
pass on that torch of inspiration.” – Mike Vallely
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ...........................................................................................................1
2
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?...................................................3
2.1 Die „Entdeckung" der Jugend - Ein Überblick über die Entwicklung der
Lebensphase „Jugend“ ........................................................................................4
2.2 Aktuelle gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Lebensphase
Jugend ...............................................................................................................12
2.3 Merkmale der Jugendphase und Annäherung an einen „Jugend“-Begriff ..16
2.4 Jugendkulturen als eigenständiger Ausdruck der Lebensphase „Jugend“ .33
2.5 Szenen als Kristallisationspunkte heutiger Jugendkulturen........................47
3
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene.........................................................54
3.1 Überblick über die Geschichte des Skateboardings...................................54
3.2 Die Skateboard-Szene – Eine idealtypische Jugendkultur?! ......................62
3.2.1 Gesellschaftstheoretische Rahmenbedingungen der SkateboardSzene .......................................................................................................62
3.2.2 Beschreibung wesentlicher Merkmale der Skateboard-Szene.........68
4
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit .......................................96
5
Literaturverzeichnis....................................................................................... 110
Einleitung
1
Einleitung
Dortmund, 7. Juli 2002. In der ausverkauften Westfalenhalle überschreien knapp 20.000
Jugendliche aus ganz Europa die seit Stunden aus den Lautsprechern dröhnende Mischung aus
Punk-Rock und Hip-Hop, als der 16-jährige Franzose Bastien Salabanzi mit einem „Kickflip-ToFrontside-Boardslide-To-Fakie“ ein hüfthohes Geländer hinunterrutscht. Auf dem „21. Monster
Mastership“, einem der bedeutendsten Skateboardwettbewerbe der Szene (in etwa vergleichbar mit
der Weltmeisterschaft beim Fußball), vollführt er auf seinem Brett noch zahlreiche andere Tricks
zusammen mit etwa 150 der besten Skateboarder aus der ganzen Welt. Dies ist nur ein
Kristallisationspunkt einer Jugendkultur, die schon zu Beginn der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts
in den USA einsetzte und in den letzen zehn Jahren weltweit enorme Ausmaße angenommen hat.
In fast jeder Stadt findet man Jugendliche, die mit dem Skateboard durch die Straßen rollen, die an
irgendwelchen Plätzen waghalsige Kunsttücke vollführen oder die sich über bestimmte Dinge in
einer Sprache unterhalten, bei denen Erwachsene nur „Bahnhof“ verstehen.
Dabei werden Skateboard-Wettbewerbe auch vermehrt im Fernsehen übertragen und die Größen
der Skateboard-Szene sind wie die Stars anderer Sportarten oder aus der Filmbranche in den Shows
der Massenmedien (z.B. bei David Lettermann’s oder Jay Lenno’s Late-Night-Show) vertreten. Die
Biographie von Tony Hawk, einem der bekanntesten Skateboarder, war unter den ersten zehn
Büchern in der Bestsellerliste der USA und ein nach ihm benanntes Videospiel („Tony Hawk’s Pro
Skater“) zählt zu den erfolgreichsten Titeln der letzten Jahre. Sogar das amerikanische Magazin
„Playboy“ veröffentlichte kürzlich ein Interview mit einem professionellen Skateboarder, in dem es
um
dessen
Lebenswandel
ging.
Gerade
der
Lifestyle
der
Skateboarder
und
damit
zusammenhängende Elemente wie Mode und Musik, aber auch Werte und Einstellungen, scheinen
die ausschlaggebenden Faktoren für die gegenwärtige Popularität des Skateboardings und die
wesentlichen Anziehungspunkte für die breite Masse zu sein. Auf MTV und VIVA laufen vermehrt
Musik-Videos in denen Skateboarder zu sehen sind. Auch in Videos von Interpreten und Gruppen,
die man grundsätzlich nicht mit der Skate-Szene in Verbindung bringt, ist dies der Fall – ein Indiz
für den Stellenwert und die Werbewirksamkeit des Skateboardfahrens bei Jugendlichen.
Dieser „Boom“ des Skateboarding bleibt nicht folgenlos. Mit der wachsenden Beliebtheit des
Sports wird die Szene zunehmend kommerzialisiert, wodurch sie auch Veränderungen unterliegt.
Diese Entwicklungen sind ambivalent, weswegen sie von den einen Szene-Mitgliedern begrüßt und
von den anderen abgelehnt werden. Es entsteht ein „Kampf“ um Eigenständigkeit und gegen
Vereinnahmung, um Authentizität und gegen „Mitläufertum“.
Diese Jugendkultur stellt für einige den Mittelpunkt ihres Lebens dar. Sie hat dadurch maßgeblich
Einfluss auf die jugendliche Suche nach Identität und Individualität, aber auch nach Gemeinschaft
und Anerkennung außerhalb der Erwachsenenwelt.
1
Einleitung
Das Ziel meiner Arbeit ist es die Bedeutung von Jugendkulturen am Beispiel der jugendtypischen
Bewegungspraxis „Skateboardfahren“ aufzuzeigen, wesentliche Merkmale dieser Jugendkultur zu
beschreiben und daraus mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit abzuleiten.
Beginnend mit einem Überblick über die „Entstehung“ der Jugendphase (Kapitel 2.1) und
gegenwärtige gesellschaftliche Verhältnisse (Kapitel 2.2), die sich auf die Lebensphase „Jugend“
auswirken, möchte ich ein Bild von „Jugend“ zeichnen, das den heutigen Verhältnissen entspricht
(Kapitel 2.3). Hier geht es vor allem um die Dauer der Jugendphase und mit ihr
zusammenhängende Entwicklungsaufgaben. Danach wird der Begriff „Jugendkultur“ und ihr
Einfluss auf junge Menschen in seinen mir bedeutsam erscheinenden Dimensionen näher
betrachtet. Hier steht einerseits die begriffliche Klärung des Wortes „Jugendkultur“ und damit in
Verbindung stehende Konzepte im Mittelpunkt und andererseits allgemeine Merkmale von
Jugendkulturen (Kapitel 2.4). Die Beschreibung eines Szene-Modells soll die theoretische Basis für
die Explikation der wesentlichen Faktoren der Skateboard-Szene liefern (Kapitel 2.5). Vor der
Beschreibung dieser Szene und damit zusammenhängender theoretischer Konzepte (Kapitel 3.2),
werde ich noch auf die Geschichte des Skateboarding eingehen, aus der der jugendspezifische
Ursprung, aber auch der Zusammenhang mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen deutlich
werden soll (Kapitel 3.1). Der letzte Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der pädagogischen
Bedeutung des Skateboardfahrens und einigen möglichen Folgerungen, die Pädagogen oder
allgemein Leute, die mit der Skate-Szene arbeiten wollen, meiner Meinung nach beachten sollten
(Kapitel 4).
2
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
2
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Die These „die gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreicht“, ist ein Hauptergebnis der ShellJugendstudie von 1997. Hieraus könnte man leicht den Schluss ziehen, dass „Jugend“ davor eine
krisenfreie Zeit war. Diese Folgerung ist aber eher anzuzweifeln, was wahrscheinlich jedem klar
wird, wenn man sich an bestimmte Krisen in der eigenen Jugend erinnert. Die Jugend wurde seit
ihrer (sozialen) „Entstehung“ von vielen Krisen getroffen und schon in der Literatur um 1900 wird
sie durchgängig als eine krisenhafte Zeit beschrieben (Baacke 1999, S. 231).
Zudem impliziert die These der Shell-Studie, dass Jugend klar von anderen Phasen, vor allem von
der davor schon anscheinend in die „gesellschaftliche Krise“ geratenen Erwachsenenphase,
abgegrenzt werden kann. Die Grenzen zwischen den Lebensphasen verwischen aber zunehmend,
Übergänge werden fließend. Dies ist wohl mit ein Hauptproblem der heutigen Jugendforschung. Ihr
Forschungsgegenstand wird eigentlich immer undeutlicher, zumindest in Bezug auf bisher
bestehende
Identifikationsmerkmale
wie
Alter,
Verhaltensweisen
oder
bestimmte
Entwicklungsaufgaben. Auch das, was man unter Jugend versteht, differenziert sich immer mehr
aus, sodass man nicht mehr von der Jugend als einem homogenen Gebilde sprechen kann – falls
man das jemals konnte.
Andererseits wird die Jugend bzw. der Begriff „Jugend“ schon „inflationär eingesetzt“ (Reulecke
1986, S. 21). Besonders von der Konsumindustrie wird der Begriff immer mehr ausgebeutet. Mit
Jugendlichkeit lässt sich heute fast alles verkaufen und im Gegenzug ist anscheinend auch über
bestimmte Produkte der Konsumindustrie (Moden, Lifestyles, Schönheitsoperationen etc.)
Jugendlichkeit selbst käuflich. Somit ist Jugend und Jugendlichkeit auch heute kein Thema, das nur
die Jugendlichen selber betrifft (und vielleicht noch ihre Eltern), sondern ein Phänomen, das sich
auf die gesamte Gesellschaft bezieht, gerade auch weil Jugend und Jugendlichkeit oftmals durch
Erwachsene definiert werden (Reulecke 1986, S. 25).
Will man sich mit „Jugend“ beschäftigen, ist es nötig, eine gewisse Vorstellung von dem
„Gegenstand“ zu haben, dem man sich widmet. Ich werde deshalb im Folgenden versuchen mittels
eines Überblicks über die „Geschichte der Jugend“ und der bestehenden gesellschaftlichen
Verhältnisse zu einem für mich treffenden Jugendbegriff zu kommen, denn was „Jugend“ heute
darstellt, ist nicht isoliert von früheren Vorstellungen und Formen jugendlicher Lebensweisen zu
sehen, sondern kann eigentlich nur im Zusammenhang ersichtlich werden. Das Phänomen „Jugend“
lässt sich meiner Meinung nach aber nicht (mehr) in einzelnen Theorien und „Zauberformeln“
erfassen. Auch Schäfers hält „summarische Aussagen über „die“ Jugend“ für sehr problematisch
(Schäfers 1998, S. 67). Dennoch gibt es wohl (immer noch) bestimmte Merkmale, an denen man
„Jugend“ festmachen kann.
3
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
2.1 Die
„Entdeckung"
der
Jugend
-
Ein
Überblick
über
die
Entwicklung der Lebensphase „Jugend“
Wie schon vorher erwähnt ist unsere Gesellschaft in gewissem Maße durch eine
„Verjugendlichung“ gekennzeichnet. Diese Tatsache ist umso bemerkenswerter, wenn man
bedenkt, „daß noch zur Jahrhundertwende [gemeint ist die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert,
E.J.] Jugend als eine eigene Phase im menschlichen Lebenslauf nicht bekannt war oder sich erst
allmählich herauskristallisierte“ (Hurrelmann 1999, S. 26). Seitdem hat der Jugend-Begriff einen
enormen Bedeutungszuwachs erhalten. Reulecke spricht von der Jugend als einem der
„schillerndsten Schlüsselbegriffe“ postindustrieller Gesellschaften und sieht sie vor allem als ein
„mentalitätsgeschichtlich bedeutsames Phänomen“ (Reulecke 1986, S. 21). Diese Entwicklung
steht aber in geradezu paradoxem Widerspruch zur Bevölkerungsentwicklung der letzten 100
Jahre: Während in Deutschland der Begriff „Jugend“ gesellschaftlich immer bedeutender wird,
geht die Anzahl derer, die sich nach dem Alterskriterium der Jugend zuordnen lassen, zahlenmäßig
immer mehr zurück (Hurrelmann 1999, S. 16f).
In früheren Zeiten und noch heute in einigen Stammeskulturen war bzw. ist die Lebensphase
Jugend nicht existent. Auf die Kindheit folgt, meist durch bestimmte Initiationsriten verdeutlicht,
das Erwachsenenalter. Kinder sind hier quasi „Miniaturausgaben“ von Erwachsenen (Hurrelmann
1999, S. 27). Dennoch zeigten sich schon in der Antike bestimmte Anzeichen für eine
eigenständige Phase zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter, die vor allem durch
bestimmte Verhaltensweisen gekennzeichnet war (Schäfers 1998, S. 53f). Die Herausbildung der
Jugendphase in der Antike und auch bei ihrer „Wiederentdeckung“ im 18. und 19. Jahrhundert, vor
allem aber dann im 20. Jahrhundert ist immer eng mit bestimmten soziokulturellen Entwicklungen
verbunden: „Sozialgeschichtlich konnte sich die Jugendphase erst unter Bedingungen einer
städtischen Kultur ausbilden, d.h. unter Bedingungen, die die Freisetzung eines Bevölkerungsteils
von körperlicher Arbeit ermöglichten ... auch am Beginn der Ausbildung der Jugendphase in der
Neuzeit [steht] die Absicht und Notwendigkeit, die Bildungsphasen zu verlängern“ (Schäfers 1998,
S. 55). Diese sich entwickelnde Jugendphase war in der Antike eine Sache der männlichen
Jugendlichen und derer mit einem hohen sozialen Status (Hurrelmann 1999, S. 30, Schäfers 1998,
S. 55f, Reulecke 1986, S. 21). In der Antike bildete sich die Auffassung über Jugend in einem
heutigen Verständnis zuerst im Stadtstaat Athen heraus, bevor sie durch die Römer übernommen
und abgewandelt wurde und so zu weitreichender Bedeutung für die neuere Geschichte gelangen
konnte. Schäfers weist aber auch darauf hin, dass diese „Jünglingszeit“ (etwa zwischen 15 und 30
Jahren) der Antike zwar in der Literatur als eigenständige Phase galt, aber in Wirklichkeit war sie
„weniger eine Alterstufe als eine Seinsform, eine idealisierte Gestalt“ (Schäfers 1998, S.56). Hier
finden sich meiner Meinung nach Parallelen zu einer idealisierten Jugendphase im 20. Jahrhundert.
4
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Auch im Mittelalter, ab dem 12. Jahrhundert, steht die „Jugendphase“ in enger Verbindung mit der
Herausbildung einer Stadtkultur. Die Spezialisierung des Handwerks und der Künste verlangte
längere Ausbildungszeiten und damit verbundene Wanderschaften, welche dadurch ein
jugendliches Verhalten mit sich brachten. Auch im Rittertum gab es für den Nachwuchs eine
Übergangsphase, die „mit viel Übung und Vorbereitung“ verbunden war (Schäfers 1998, S. 57).
Beide Erscheinungsformen von Jugend waren aber weit voneinander entfernt.
Im 18. und 19. Jahrhundert sind es dann „zwei wesentliche Prozesse ..., die für immer breitere
soziale Schichten die Kindheits- und Jungendphase prägen sollten“ (Schäfers 1998, S. 57). Diese
sich wechselseitig beeinflussenden Prozesse sind zum einen die zunehmende „Familiarisierung“
und „Verhäuslichung“ der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft und zum anderen die
„Pädagogisierung der Lebensphase Jugend“, die besonders in der Durchsetzung der allgemeine
Schulpflicht begründet lag. Dadurch verlängerte sich der Aufenthalt in der Herkunftsfamilie, die
Bildung altershomogener Gruppen wurde begünstigt und auch in niedrigeren Sozialschichten
bestand zunehmend die Chance auf eine Jugendzeit (Schäfers 1998, S. 57, Hurrelmann 1999, S.
27f).
Nicht zu vernachlässigen ist sicher auch der vorhin schon erwähnte mentalitätsgeschichtliche
Wandel in der Gesellschaft dieser Zeit, der der Entstehung einer eigenständigen Jugendphase
zuträglich war. „Wesentlichen Anteil hieran hatte der in seinem Einfluß kaum zu überschätzende
Jean-Jacques Rousseau und in Deutschland vor allem die auf Rousseau zurückgehende
Reformpädagogik der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. So wird Rousseau zu Recht der
‚Erfinder’ der Jugendphase genannt“ (Schäfers 1998, S.58). Die Aufklärung und die mit ihr
verbundenen Forderungen nach Emanzipation und Mündigkeit waren ein guter Nährboden für neue
gesellschaftsreformerische Gedanken. Rousseau verknüpfte diese Gedanken vor allem mit der
Jugend in der Hoffnung, dass eine eigenständige Jugendphase mit einer ausgedehnten Lernperiode,
wie er sie in seinem Erziehungsroman „Emile“ darstellte, die moralische Erneuerung der
Gesellschaft im Sinne der Aufklärung vorantreibe. Dieses „Jünglingsideal“ beeinflusste die
Vorstellung von Jugend bis in die ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts (Schäfers 1998,
S.58).
Des weiteren spielte die Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine gewichtige Rolle
für die Entwicklung der Lebensphase Jugend. Durch die Trennung von Wohnung und Arbeit und
die beginnende Verstädterung „zogen sich die Tätigkeits- und Handlungsbereiche von Kindern und
Erwachsenen immer weiter auseinander“ (Hurrelmann 1999, S.27). Es fand insgesamt eine soziale
Ausdifferenzierung der Gesellschaft statt, d.h., dass „die erzieherischen, religiösen, politischen,
zukunftssichernden, versorgungsbezogenen und freizeitorientierten Aktivitäten“ sich in andere
soziale Systeme (Politik, Religion, Freizeit, Kinderbetreuung etc.) außerhalb der Familie
verlagerten (Hurrelmann 1999, S. 27). Es bildeten sich „kinderspezifische“ Lebenswelten, die nicht
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Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
mehr nur dem Bürgertum vorbehalten waren, sondern auch für immer mehr Mitglieder der
unterprivilegierten Arbeiterschicht Realität wurde. Dadurch „verschiebt sich, zuerst wiederum in
den bürgerlichen sozialen Schichten, der Zeitpunkt des Übergangs in das Erwachsenenleben bis
über das Ereignis der Pubertät hinaus. Damit differenziert sich eine neue Phase im menschlichen
Lebenslauf aus, nämlich die Jugendphase“ (Hurrelmann 1999, S.29). Die im Zuge der
Industrialisierung fortschreitende Spezialisierung und Ausdifferenzierung von Berufen verlangte
nach höheren Qualifikationen. „In diesem Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung entstanden
zugleich die Möglichkeiten, dem gesellschaftlichen Nachwuchs die als notwendig erachtete
Entwicklungs- und Reifezeit zuzugestehen“ (Hurrelmann 1999, S. 29), was der Rousseau’schen
Idee des „Wachsenlassens“ entgegenkam. Wiederum war es zuerst das Bürgertum, das seinen
Kindern diese eigenständige Phase zugestand und ermöglichte, bevor die Arbeiterschicht und die
bäuerlichen Familien folgten. Wie schon in der Antike war diese Jugendphase der
Industrialisierung den männlichen Gesellschaftsmitgliedern vorbehalten (Hurrelmann 1999, S. 30).
Die sich entwickelnde Jugend wurde im 19. Jahrhundert schon bald als eine gesellschaftlich
bedeutende Gruppe wahrgenommen. Man sah sie einerseits besonders aus bürgerlicher Sicht als
„Bündnispartner“ für den sich entwickelnden Nationalstaat, andererseits auch als Bedrohung, weil
sich vor allem in der studentischen Jugend sozialistische und sozialrevolutionäre Ideen
ausbreiteten. Doch das Jahr 1848 brachte einen entscheidenden Umschwung, da „die meisten
Burschenschaften den nationalpathetischen, christlich-romantisierenden und deutschtümelnden
Schwenk“ mitmachten (Schäfers 1998, S. 59). Jugend wurde in den „bürgerlichen Schoß“
zurückgeholt, wurde „akademisch“ und „standesbewusst“, um die sich bietenden Aufstiegschancen
zu ergreifen. „Die nicht-akademischen Jungen, Mädchen und Heranwachsenden waren auch
weiterhin ohne Chance einer eigenständigen Jugendphase“ (Schäfers 1998, S. 60).
Die „wirkliche Entdeckung der Jugend“ in Deutschland wird kurz vor 1900 angesetzt, wobei
Reulecke hier schon die Frage stellt „Jugend – Entdeckung oder Erfindung?“. „Man entdeckte um
1890 Jugend als eine eigenständige Lebensphase zwischen Kindheit (Kriterium Schulentlassung)
und Erwachsenenstatus (Kriterium Wehrdienst oder Eheschließung) und erfand alsbald eine ganze
Reihe von Bedeutungen, die das Wort Jugend zu einem vielseitig sinnstiftenden Begriff, im
Extremfall sogar zur Chiffre für einen Mythos machten“ (Reulecke 1986, S. 21). Für wie
bedeutend Jugend damals gehalten wurde zeigt, dass man schon bald vom 20. Jahrhundert, das
eigentlich als das „Jahrhundert des Kindes“ begrüßt wurde, als dem „Jahrhundert der Jugend“
sprach, denn die Rousseau’sche Idee der Jugend als gesellschaftlicher Erneuerer war weit verbreitet
(Reulecke 1986, S. 21). Zunächst wurde die Jugend (im Besonderen die Arbeiterjugend) aber als
Gefahr gesehen, die es durch gezielte Lenkung zu entschärfen galt. Der Begriff des „Jugendlichen“
setzte sich in dieser Zeit durch, „womit anfangs der verwahrloste, kriminelle, zu Gewalttaten
neigende junge Asoziale gemeint war“ (Ferchhoff 1993, S. 21). Hier ist auch der Ursprung des
6
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Jugendschutzes und der Jugendpflege anzusetzen, bei dem es unter anderem also darum ging, die
Arbeiterjugend zu „sozialisieren“. (Auch heute schwingen scheinbar solche Konnotationen noch
mit, wenn bestimmte Leute über Jugendliche sprechen.)
Aber auch der bürgerlichen Jugend wurden neben ‚Schlaffheit und Blasiertheit’ vor allem
„Gleichgültigkeit und Charakterlosigkeit“ vorgeworfen, was sie für die Erwachsenen nicht gerade
als gesellschaftliche Erneuerer qualifizierte (Reulecke 1986, S. 22). Genau dieser Gegensatz
zwischen den Erwachsenen und der Jugend dieser Zeit und der Einfluss anderer gesellschaftlicher
Bereiche (Kunst, Literatur, Philosophie etc.) führten dazu, dass sich die Jugend um 1900 erstmalig
selbst formierte und gegen die erstarrte bürgerliche Lebensweise wandte. Die Ziele dieser „ersten
Jugendbewegung“ werden durch die Meißner-Formel der Freideutschen Jugend vom Oktober 1913
verdeutlicht: Die Jugend wollte ein Leben ‚aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung,
mit innerer Wahrhaftigkeit’ führen (zitiert nach Reulecke 1986, S. 22). Aber „anders als bei der
Studentenbewegung der 60er Jahre [gemeint sind die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, E.J.] ist das
Ideal der Jugendbewegung nicht eine grundlegende Reform der Gesellschaft und ihrer Institutionen
..., sondern eine neue Lebensanschauung ...“ (Schäfers 1998, S. 63). Der Wandervogel als Inbegriff
der Jugendbewegung und „erster Jugendkultur“ engagierte sich „in erster Linie nicht gegen die
Elterngeneration, sondern für das Recht der Jungen auf eigene Freiräume und Geselligkeitsformen.
Sie suchten Distanz, aber nicht Opposition ...“ (Farin 2001, S. 38, Hervorhebungen im Original).
Der Wandervogel war ursprünglich wieder eine Sache der männlichen Jugendlichen, bis erstmals
um 1911 auch Mädchen „zugelassen“ waren. Dies war danach aber eher ein Nebeneinander als ein
Miteinander, da man Angst hatte, dass die Jungen verweichlichen und die Mädchen ‚verbengeln’
(Ferchhoff 1993, S. 21f, Farin 2001, S. 39). Die Jugendbewegung war auf der Suche nach dem
„Neuen Menschen“ wie ihn z.B. Friedrich Nietzsche forderte (Reulecke 1986, S. 22, Schäfers
1998, S. 61f). Die Jugend sollte – und das hofften auch viele nationalbewusste Erwachsene – das
Fundament darstellen, auf dem dieser neue, bessere Mensch aufgebaut werden konnte. Kritisch
merkt Reulecke hier an: „‚Jugend’ bezeichnete nach diesem Konzept nicht mehr nur eine Teilkultur
und eine Erneuerungskraft im Rahmen der bestehenden Gesellschaft, sondern stellte ein letztlich
‚inhaltsloses, einen Fortschritt symbolisierendes Leitbild’ für das in sich so zerrissene und wenig
geistige Perspektiven bietende deutsche Kaiserreich dar“ (Reulecke 1986, S. 22). Hier zeigt sich,
dass der Begriff „Jugend“ nicht nur aus der Jugend an sich hervorgeht, sondern auch auf
Bewusstseinsveränderungen
in
der
Erwachsenengesellschaft
zurückgeht.
Eine
solche
Ausgestaltung der Jugendphase, wie sie z.B. der „Wandervogel“ vorlebte, wäre auch ohne die
Duldung durch die Erwachsenen gar nicht möglich gewesen (Ferchhoff 1993, S. 23). Aber die
Erwachsenen selbst waren auf der Suche nach einem neuen gesellschaftlichen Leitbild, vor allem
Vertreter der Reformpädagogik wie etwa Gustav Wyneken sahen in der Jugend eine neue
Hoffnung für die „festgefahrene“ Gesellschaft und engagierten sich somit in besonderem Maße für
sie und ihre Eigenständigkeit. „Die Steigerung von Jugend-Projektionen in den Jugend-Mythos ist
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Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
darin zu sehen, daß Jugend nun von einer ‚Reihe von Kulturkritikern, Lebensreformern und
Literaten (...) zu dem gesellschaftlichen Leitbild schlechthin’ wird“ (Baacke 1999, S. 230,
Hervorhebungen im Original). Der negativ besetzte Jugendbegriff (vgl. ursprüngliche Bedeutung
von „Jugendlicher“, S. 6f) wurde allmählich von einem „Gesamtmythos Jugend“ abgelöst (Baacke
1999, S. 231, Reulecke 1986, S. 22). Dieser Jugendmythos setzte sich dann auch zu Beginn des 1.
Weltkrieges 1914, aber in etwas veränderter Form, fort. Das Leitbild war jetzt „der Jugendliche als
Kriegsheld“, der mit der anerzogenen „Bereitschaft zum Opfertod“ für das Vaterland in den Krieg
zog. Aber noch während des Krieges wandelte sich trotz „massenhaft verbreiteter Heldenlyrik und
Kriegspropaganda“ dieses Leitbild, als man die vaterlos aufwachsenden, „verwilderten“
Jugendlichen in der Heimat sah (Reulecke 1986, S. 22). Zudem hatten oppositionelle Bewegungen
starken jugendlichen Zulauf, wodurch die „Kontrollierbarkeit“ besonders der Arbeiterjugend
beschränkt schien. Aber darüber hinaus ging es nicht nur um eine bessere Kontrollierbarkeit der
Jugend, sondern auch allgemein um einen vermehrten Schutz der Jugend, da die Jugendphase
durch zunehmende Verwissenschaftlichung und Institutionalisierung an Anerkennung gewann –
Stichwort „psychosoziales Moratorium“ (Schäfers 1998, S. 65). So bildeten die nach 1902
geborenen Jahrgänge „eine neue Generation mit ganz anderer ‚Erlebnisprägung’ und Sozialisation
...“ (Reulecke 1986, S. 22f). Der vor dem Krieg gültige Jugend-Begriff wurde ab etwa 1920 wieder
aufgenommen, womit man „Jugend“ wieder mit „Erneuerung“ gleichsetzte, diesmal aber verstärkt
unter staatlicher Aufsicht, wie die Einführung des Jugendwohlfahrtgesetzes von 1922 zeigt. „Die
‚junge Generation’ galt nun als Avantgarde, die allein schon deshalb das Recht auf ihrer Seite habe,
weil ihr die Zukunft gehöre“ (Reulecke 1986, S. 24). Dieses Bild der „jungen Generation“ war aber
durchwegs ein bürgerliches und wandte sich auch an bürgerliche Jugendliche. So gab es neben den
bürgerlichen Gruppen der Jugendbewegung (z.B. Wandervogel) auch eine proletarische Variante,
sogenannte „Wilde Cliquen“ (Farin 2001, S. 40). Ihre Mitglieder waren zumeist männliche
arbeitslose Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren. Ihnen ging es zumeist nicht um
gesellschaftliche Erneuerung, sondern ihr Interesse galt ‚Wein, Weib, Tanz und Gesang’ (Farin
2001, S. 41). Diese Interessen standen natürlich im Widerspruch zu den „Latschern“ – wie die
bürgerlichen Wandervögel verächtlich genannt wurden – die Wert auf eine gesunde Lebensweise
ohne Alkohol und Tabak legten und eher ein keusches Miteinander der Geschlechter lebten (Farin
2001, S. 38f). So kam es des öfteren auch zu Zusammenstößen zwischen der bürgerlichen und der
proletarischen Jugendbewegung. Interessant dabei ist, dass „der bürgerliche Wandervogel durchaus
ein Vorbild der proletarischen Cliquen war und man vieles an Kleidungsstil, Accessoires und
Verhaltensweisen von diesem übernahm ...“ (Farin 2001, S. 41). Andererseits wurden aber gezielt
Unterscheidungsmerkmale gesetzt wie etwa bestimmte Kleidungsfarben und -accessoires (z.B.
Piratenmützen) oder aber auch durch bestimmte Cliquen-Namen (z.B. Todesverächter,
Totenkopfbande, Edelweißpiraten etc.) (Farin 2001, S. 41). Der Versuch diese Jugendlichen für die
Parteien, selbst für die radikalen am rechten und linken Rand, zu gewinnen scheiterte. Diese
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Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
jugendliche Gesellungsform stellte damit nicht nur eine Opposition zur bürgerlichen Gesellschaft
dar, sondern auch zur proletarischen Stammeskultur, in der sie von vielen älteren Arbeitern als
‚Lumpenproletarier’ bezeichnet wurden (Farin 2001, S. 42). Dennoch war Mitte der 20er Jahre der
politische „Kampf um die Jugend“ entbrannt (Reulecke 1986, S. 23). Um Anhänger zu werben
nutzen die radikalen Parteien am linken und rechten Rand die Stimmungslage der Jugendlichen, die
sich zum Teil durch den Krieg um ihre Jugend betrogen fühlten und die dem „vergreisten und
korrupten System von Weimar“ nicht trauten (Reulecke 1986, S. 24). So versuchten z.B. die
Nationalsozialisten mit Schlagwörtern wie ‚Revolution der Jugend’ sie „als angeblich
ernstgenommenen Partner für den Großangriff auf das verhaßte parlamentarische System zu
mobilisieren
...“
(Reulecke
1986,
S.
24). Das
sich
mehr
und
mehr entwickelnde
Nationalbewusstsein und der Übergang der „lockeren“ Jugendbewegung in die „bündische Jugend“
förderten
diese
Entwicklung
zusätzlich.
„Die
Hitlerjugend
hatte
paradoxerweise
die
Jugendbewegung zur Voraussetzung“ (Schäfers 1998, S. 65), denn erst die durch die
Jugendbewegung erkämpfte Eigenständigkeit der Jugendphase erlaubte es den Jugendlichen sich in
ihrer Freizeit außerhalb der Familie zu bewegen und öffnete so den Nationalsozialisten den Zugriff
auf die junge Generation.
Wie sich herausstellte, waren die Versprechungen einer „Revolution der Jugend“ und der
Lobgesang auf die „junge Generation“ durch die Nationalsozialisten nur ein Lockmittel um sich
politisch zu etablieren. Denn nach der Machtergreifung 1933 änderte sich das Verhältnis zur
Jugend schlagartig, wie eine NS-Broschüre mit dem Titel „Schluß mit der ‚jungen Generation’“
zeigt (Reulecke 1986, S. 24). „Die Einordnung der gesamten Jugend in Volk und Staat“ und die
damit verbundenen Aufgaben waren das erklärte Ziel der Nationalsozialisten (Reulecke 1986, S.
24). Führertreue und unbedingter Gehorsam sollte der Jugend eingeimpft werden, jegliches
Autonomiestreben sollte im Keim erstickt werden. Die nationalsozialistische Definition von Jugend
bezog sich lediglich auf Jugend als eine „Phase der Vorbereitung und des Übergangs zu dem von
‚heroischen Enthusiasmus’ durchdrungenen Männerbund (...) Jugend reduzierte sich hier auch
vollends auf die männliche Jugend (...) Als gesellschaftlicher Leitbegriff verlor Jugend während
des Dritten Reiches ganz erheblich an Bedeutung; Generationengrenzen hätten die behauptete
Einheitlichkeit der Volksgemeinschaft erheblich gestört“ (Reulecke 1986, S. 24). Die komplette
Gleichschaltung und Kontrolle der Jugend gelang trotzdem nicht wie z.B. die Aktionen der
„Weißen Rose“ oder der zum Teil im Untergrund weiter lebenden „Wilden Cliquen“ zeigen.
Das Bild der Jugend nach dem zweiten Weltkrieg ist wesentlich schwieriger zu beschreiben, vor
allem weil soziokulturelle Entwicklungen in immer kürzeren Perioden stattfanden und bis jetzt
stattfinden. Die unmittelbare Nachkriegsgeneration, also die, die noch einen Teil ihrer Jugend im
Krieg zubrachte, wird oft als die ‚zerrüttete’ oder auch ‚unauffindbare Generation’ bezeichnet,
deren Leben durch Arbeitslosigkeit, Flüchtlingselend und soziale Unsicherheit gekennzeichnet war
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Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
und die deshalb frühzeitig erwachsen sein musste (Reulecke 1986, S. 26). In dieser krisenhaften,
zum Teil chaotischen Phase, war kein Platz für eine Jugend, die mit Wandern und Volkstanz auf
ihre Eigenständigkeit pochte, sondern es war eher ein Kampf ums Überleben.
Hierauf folgte in den sich langsam anbahnenden Jahren des Wirtschaftswunders die von Helmut
Schelsky als „skeptische Generation“ bezeichnete Jugend. Eine „Generation der vorsichtigen, aber
erfolgreichen jungen Männer“, die ihr „Stück vom Kuchen der Wohlstandsgesellschaft“ abhaben
wollte (Reulecke 1986, S. 26). Die seit dem 18. Jahrhundert sich entwickelnde Dreiteilung der
Lebensphase (Kindheit – Jugend – Erwachsenenalter) schien sich wieder zu einer Zweiteilung
(Kindheit – Erwachsenenalter) zurückzuentwickeln. Jugendliche wollten sich nicht mehr lange mit
Jugend aufhalten, sondern möglichst schnell erwachsen werden (Reulecke 1986, S. 26). Die
„skeptische Generation“ stellt eine „Reaktion auf diesen Mißbrauch der Jugend [gemeint ist die
Vereinnahmung der Jugend, E.J.] durch Staat und Gesellschaft im Nationalsozialismus“ (Schäfers
1998, S. 66) dar. Ganz so angepasst, wie es scheint, war diese Jugend aber nicht, die „HalbstarkenKrawalle“ der 50er Jahre belegen dies. Die Zeit war geprägt durch eine relative Uneigenständigkeit
der Jugend, „vor allem weil es kaum Räume gab, in denen Jugendliche unkontrolliert unter sich
sein konnten ... keine Discos, keine Jugendzentren, keine Wohngemeinschaften“ (Farin 2001, S.
45). Jugendverbände der Kirchen und Gemeinden waren eigentlich die einzigen Angebote.
Dennoch waren die meisten Jugendlichen „gesellschaftlich integriert“, d.h. sie nahmen am
Wirtschaftswunder und seinen „Konsumwellen“ (Farin 2001, S. 44) teil: „Zu dieser Anpassung
trug auch eine kommerziell immer stärker genutzte und gesteuerte Konsumwelt der Jugendlichen
erheblich bei“ (Schäfers 1998, S. 66). Die Wirtschaft hatte die Jugend als potentielle Zielgruppe
entdeckt und versuchte ihre Produkte mit auf sie zugeschnittenen Produkten zu vermarkten, wobei
vor allem die jugendliche Musikkultur einen zentralen Stellenwert einnahm und wohl immer noch
einnimmt. Das entscheidende an dieser Entwicklung war aber, dass im Vergleich zur früheren
Jugendbewegung, die Stile (Mode, Musik etc.) nicht mehr aus dem persönlichen Umfeld (Familie,
Wohnviertel etc.) der Jugendlichen kamen, sondern „über die kommerziellen Strukturen der
Medien-, Musik-, Modeindustrie – aus der Fremde“ (Farin 2001, S. 53) – vermittelt wurden. „Was
immer kommerziell verwertbar schien, wurde aufgegriffen, aus seinen sozialen Zusammenhängen
gelöst, geglättet und als Massenprodukt vermarktet. Was (und vor allem wer) sich nicht integrieren
ließ, wurde stigmatisiert, kriminalisiert, der Polizei oder dem Jugendamt überlassen“ (Farin 2001,
S. 54). Dieser Mechanismus findet sich auch heute noch. Das Jugendbild insgesamt war wieder
positiv besetzt, gesellschaftlicher Optimismus wurde erneut auf die Jugend projiziert, ähnlich wie
zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nur mit dem Unterschied, dass Jugend den eingeschlagenen
gesellschaftlichen Weg (des Konsums und der Kommerzialisierung) nicht verlassen wollte, sondern
ihn beherzt weiter gehen sollte. Somit gab es in gewisser Hinsicht eine Allianz zwischen den
Teenagern – der Begriff wurde zu Beginn der 60er Jahre geprägt – und der Konsumindustrie, die
gezielt
Produkte
herstellte,
die
der
Jugend
die
stilistische
Abgrenzung
von
10
der
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Erwachsenengeneration ihrer Eltern ermöglichte (Auf diesen Mechanismus wird später noch in
Bezug auf Jugendkultur und „Skateboarding“ verstärkt eingegangen). „Die Teenager-Kultur war
vor allem eine Star-Kultur“ (Farin 2001, S. 56), die sich dann im Laufe der nächsten drei
Jahrzehnte noch verstärken sollte. Die heutigen „Retorten-Bands“ (Brosis, No Angels, O-Town
etc.), denen ganz offensichtlich ein kommerzielles Interesse zu Grund liegt, sind aber keine
Erfindung der 90er, sondern solche Unternehmungen gab es schon in den 60er Jahren (z.B. „The
Monkees“). Das Bild des rebellierenden Jugendlichen, wie es die Halbstarkenkrawalle vermittelt
hatten, war dem Bild des konsumierenden Jugendlichen gewichen (Farin 2001, S. 57).
Doch ab Mitte der 60er Jahre veränderte sich die äußerlich „heile Welt“ der Jugendlichen, denn
alles, womit die Jugend bisher versuchte sich von der Erwachsenenwelt abzugrenzen, wurde
kommerziell vereinnahmt, zum Mainstream gemacht und verlor damit als Distinktionsmerkmal
seine Kraft. Es kam zu einer „kritischen Verselbständigung der Jugend“ (Baacke 1999, S. 21). „Im
Drang
nach
Befreiung
aus
solcher
tausendfacher
Umklammerung
liegt
ein
mentalitätsgeschichtlicher Grund mit für das plötzliche Geschehen, das eine bisher doch so
wohlbehütete Jugendgeneration seit 1967 entfesselte“ (Reulecke 1986, S. 25). Die Ereignisse ab
1967 – bezeichnet als Jugendprotest und Studentenbewegung – führten erneut zu einem Wandel
des Jugendbildes: „Aus konsumfreudig-naiven ‚Teenagern’ wurden – wieder einmal – gefährliche
Täter“ (Farin 2001, S. 57). Diese Jugend- und Studentenbewegung war anders als z.B. die
Jugendbewegung
des
Wandervogels
von
vornherein
auf
eine
Veränderung
der
gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse gerichtet und nicht nur auf eine Veränderung oder
Verbesserung der Lage Jugendlicher. Die gesellschaftliche „Machtergreifung“ sollte nicht nur
durch einen „langen Marsch durch die Institutionen“ erreicht werden, sondern vor allem mit
Großdemonstrationen,
Straßenschlachten,
Hausbesetzungen,
Vorlesungsboykott
an
den
Universitäten und Ähnlichem (Schäfers 1998, S. 67f, Reulecke 1986, S. 25). Doch dieses
Jugendbild stieß bei den durch die Springer-Presse informierten Bürgern nicht auf Verständnis,
sondern eher auf Angst und Ablehnung. Die Notstandsgesetze waren die politische Reaktion auf
die Jugendkrawalle. „Doch der ‚Rausch der revolutionären Tage’ war bald verflogen ...“ (Schäfers
1998, S. 68), spätestens in den 70er Jahren als selbst die härtesten „68er“ zum ehemals verhassten
Establishment gehörten. Auch ein „geistiger Führer“ der Bewegung, Herbert Marcuse, beendete die
Revolutionsstimmung durch seine Feststellung, dass die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen
so tief verankert waren, dass diese kurzfristig wohl nicht verändert werden könnten (Schäfers 1998,
S. 68).
Die Auswirkungen dieser Jugendbewegung der späten 60er Jahre sind vielfältig und diffus. So kam
es in den 70ern z.B. einerseits zur Herausbildung links-radikaler, zum Teil auch terroristischer
Gruppierungen (z.B. RAF), die einen, für den Großteil der Bevölkerung ziellosen Guerillakrieg
gegen das System führten, und andererseits zu verschiedenartigen alternativen Bewegungen und
11
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Szenen. Erste Anzeichen einer ‚postmaterialistischen Generation’ (Reulecke 1986, S. 25), die sich
politikverdrossen, narzisstisch, motivations- und orientierungslos in einer immer komplexer
werdenden Gesellschaft bewegt, wurden deutlich. „Die Suche nach Glück und Wärme, die
Bestätigung des eigenen Lebensstils trat vor den Wunsch, die Gesellschaft zu ändern“ (Baacke
1999, S. 22). Es kam zu einer Rückbesinnung auf den eigene Lebensweltkontext, womit eine
Skepsis gegenüber bestehenden gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen verbunden
war. Man war auf der Suche nach neuen Formen des Zusammenlebens, Arbeitens und sozialen
Handelns (Baacke 1999, S. 23).
Diese gesellschaftliche Differenzierung – mit anderen Worten: der Übergang in die Postmoderne –
hat sich im Laufe der 80er und 90er Jahre fortgesetzt, was zu einer weiteren
Komplexitätssteigerung des Begriffs „Jugend“ und damit verbundener Merkmale geführt hat
(Ferchhoff 1993, S. 83).
An diesem Überblick der „Geschichte der Jugend“ werden die entwickelten und sich
entwickelnden Einstellungen und Vorstellungen von und über Jugend deutlich. Hier zeigt sich, dass
das, was Jugend darstellt, ein Zusammenspiel zwischen den „äußeren“ und „inneren“ Definitionen
ist, d.h. also von dem Bild, das die Jugend von sich selbst hat und das andere von Jugend haben.
Entscheidend hierbei ist, welche Definition mehr Gewicht hat, wer die Definitionsmacht hat. So ist
es möglich Jugend einmal als Mythos zu erschaffen, mit dem Vorstellungen von Erneuerung und
Hoffnung verbunden sind, und ein andermal als Gefahr und gesellschaftsdestabilisierendes
„Subjekt“ zu sehen.
2.2 Aktuelle gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Lebensphase
Jugend
Die Jugendphase ist ein Phänomen, das von vielfältigen, in Wechselwirkung stehenden
soziokulturellen Faktoren der jeweiligen Epoche beeinflusst wird. So prägen die jeweiligen
gesellschaftlichen Verhältnisse die Jugendphase, wie auch wiederum die Jugendphase auf die
Gesellschaft einwirkt und somit ein ständiger, einmal schneller, einmal langsamer laufender
Veränderungsprozess entsteht. Seit den 80er Jahren dominieren die vielfach zitierten Schlagworte
der Individualisierung, Pluralisierung, Differenzierung, Entstrukturierung, Globalisierung etc., mit
denen der derzeitig ablaufende gesellschaftliche Wandel umschrieben wird. Allerdings ist mit
diesem Wandel nicht ein Übergang von einem bestimmten Zustand in einen anderen spezifischen
Zustand gemeint, sondern es kommt zu einer zunehmenden Unübersichtlichkeit. Mit Beck
gesprochen hieße dies, dass die Wirklichkeit „aus den Fugen zu geraten scheint“ und unsere
gewohnten Denk- und Handlungsweisen, unser gesellschaftliches „Koordinatensystem“ zu
verschwimmen scheinen (Beck 1986, S. 12). Diese Unübersichtlichkeit lässt sich auch dadurch
12
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
verdeutlichen, dass zu ihrer Beschreibung vielfach selbst äußerst undeutliche und unübersichtliche
Termini herangezogen werden: postindustrielle, postmoderne, Freizeit-, Spaß-, Erlebnis-, Risiko-,
Ellbogengesellschaft etc. Auch diese Begriffe bieten keine Lösung der bestehenden Probleme.
Dennoch
seien
im
Folgenden
einige
Veränderungsprozesse
erwähnt,
die
für
die
Gesellschaftsmitglieder und damit im Besonderen auch für die Jugendlichen von Bedeutung sind
und die ihr Leben grundlegend prägen. Beck spricht allgemein von einer gesellschaftlichen
Freisetzung
der
Individuen
aus
bestehenden
Sozialformen
(Klasse,
Schicht,
Familie,
Geschlechtslage etc.). „... nach dem Zweiten Weltkrieg [hat sich, E.J.] ein gesellschaftlicher
Individualisierungsschub von bislang unerkannter Reichweite und Dynamik vollzogen (und zwar
bei weitgehend konstanten Ungleichheitsrelationen). Das heißt: Auf dem Hintergrund eines
vergleichsweise hohen materiellen Lebensstandards und weit vorangetriebenen sozialen
Sicherheiten wurden die Menschen in einem historischen Kontinuitätsbruch aus traditionalen
Klassenbedingungen und Versorgungsbezügen der Familie herausgelöst und verstärkt auf sich
selbst und ihr individuelles Arbeitsmarktschicksal mit allen Risiken, Chancen und Widersprüchen
verwiesen“ (Beck 1986, S. 116, Hervorhebungen im Original). Weiterhin ist eine veränderte
Interpretation der immer noch bestehenden sozialen Ungleichheiten vorzunehmen, weil einerseits
zwar die Einkommensunterschiede (auf höherem Niveau) gleich geblieben sind, aber andererseits
(gezwungenermaßen)
die
eigene
Lebensplanung
und
–führung
ins
Zentrum
dieser
individualisierten Existenzformen und pluralisierten Lebensstile tritt, was somit zu einer
Aufhebung von sozialen Klassen, Schichten oder Ständen führt, zu einem „Kapitalismus ohne
Klassen“ (Beck 1986, S. 117, Hervorhebung im Original). Die Massenarbeitslosigkeit führt zu
einer weiteren Verstärkung sozialer Ungleichheiten, nun aber mit dem Unterschied, dass in einer
enttraditionalisierten Gesellschaft Arbeitslosigkeit auf das eigene Versagen zurückgeführt wird
(Ferchhoff 1993, S. 44f). Gesellschaftliche Krisen gehen in individuelle Krisen über. Gerade auch
für Frauen kam es zu einer Steigerung des „Krisenpotentials“ – Schlagwort „doppelte
Vergesellschaftung“. Die Bildungsexpansion und die damit verbundene Höherqualifizierung der
Bevölkerung wirkte sich vor allem auf das Bildungsniveau der Frauen positiv aus, was dazu führte,
dass sie verstärkt in die Berufswelt eintraten. Gleichzeitig blieb aber die Kinderbetreuung und
Haushaltsführung weiterhin ihre Aufgabe. Gesellschaftlich sind beide Erwartungen gültig. Vor
allem für alleinerziehende Frauen (infolge der immer noch steigenden Scheidungsquoten) führt
diese Doppelbelastung zu erheblichen Problemen (z.B. Armut, soziale Isolation etc.). Erschwerend
kommt hinzu, dass es keine festen, allgemeingültigen Wertvorstellungen mehr gibt, die klare
Orientierung bieten. Ferchhoff spricht von einem „Abschmelzen kollektiver Vorstellungen und
Visionen“ (Ferchhoff 1993, S. 46). Diese kollektiven Vorstellungen und Visionen werden durch
individualisierte, „ichbezogene Visionen eines ‚geglückten Lebens’“ ersetzt (Ferchhoff 1993, S.
47). Jeder wird zum „Designer seiner eigenen alltäglichen Existenz“, die Lebenswelt wird eine
„soziale Selbstinszenierung“ (Helsper 1991, S. 19). Dieser Zustand ist äußerst ambivalent, da er
13
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
sowohl Chancen (selbstbestimmte Lebensplanung) als auch Risiken (Orientierungslosigkeit)
beinhaltet. „Freiheit und Risiko“ sind Kennzeichen moderner Lebensverläufe: Die Freiheit der
Wahl trägt das Risiko der Fehl-Wahl. Fehl-Wahlen werden aber immer weniger gesellschaftlich
aufgefangen, sondern müssen individuell selbst abgefangen und verkraftet werden. Andererseits
sind aber heute bestimmte „Wahlen“ leichter revidierbar. Die Entscheidung für etwas ist weniger
verbindlich. Die Zunahme nichtehelicher Lebensgemeinschaften und die hohen Scheidungsraten
können Ausdruck eines „Trends zur Unverbindlichkeit“ sein.
Mit der Möglichkeit der eigenständigen Lebensführung sind aber auch hohe Ansprüche und
Kompetenzen verbunden, die nicht von allen Individuen gleichermaßen erfüllt werden können, da
man jetzt nicht nur die Wahl hat, sondern auch den Druck wählen zu müssen. Hier beginnt ein
Teufelskreis, in dem die „Individualisierungsverlierer“ (Ferchhoff 1993, S. 48) mit ihrer Lage
individuell selbst zurechtkommen müssen. Reaktionen auf diese gesellschaftliche Überforderung
zeigen sich z.B. in Fluchtbewegungen in fundamentalistische Weltanschauungen (z.B.
Rechtsradikalismus, Nationalismus, religiöse Sekten und Fanatismus).
Trotz dieser Individualisierung kommt es scheinbar zu einer „Institutionalisierung und
Standardisierung von Lebenslagen“ (Beck 1986, S.119, Hervorhebungen im Original). Die
„freigesetzten“ Menschen werden arbeitsmarktabhängig und dies führt in der Folge zu einer
Bildungsabhängigkeit, Konsumabhängigkeit, Abhängigkeit von sozialrechtlichen Regelungen und
Versorgungen etc. (Beck 1986, S. 119). Außerdem kann es gerade durch die oben erwähnte
prinzipielle Offenheit des Lebens und durch das Bewusstwerden damit verbundener Ambivalenzen
zur „Entstehung neuer soziokultureller Gemeinsamkeiten“ kommen (Beck 1986, S. 119,
Hervorhebungen im Original). Aus diesen Gemeinsamkeiten entstehen neue soziale Gruppierungen
(Bürgerinitiativen, soziale Bewegungen etc.) neben bisher bestehenden (Familie, Vereine,
Gewerkschaften etc.) und gewinnen zunehmend an Bedeutung. Sie knüpfen an den konkreten
Bedürfnissen der Menschen und ihrer Lebenslagen an, denn „die ‚Antworten’ herkömmlicher
Agenturen der Sozialisation – wie kirchliche und im weiteren Sinne: politische Organisationen
bzw. Jugendverbände, Ausbildungsstätten oder die Familie – werden unter den gegebenen
Bedingungen (drastisch) erhöhter Komplexität diesem Bedarf jedoch immer weniger gerecht“
(Hitzler 2001, S. 17).
Neben einer – nicht unbedingt freiwilligen – Tendenz zur Selbstorientierung, ist auch „eine
‚Entindividualisierung’ im Sinne erhöhter Austauschbarkeit von Personen infolge von
‚Mobilitätsprozessen,
Anonymisierung
und
Fragmentierung’“
(Ferchhoff
1990,
S.
80)
festzustellen. Die Auswirkungen des Modernisierungsprozesses schlagen sich auf alle alltäglichen
Lebensbereiche nieder und lassen keinen unberührt. Die Folgen sind einerseits Verunsicherungen,
aber andererseits auch Anpassungsversuche, die zu einer Gewöhnung an das erhöhte Risikoniveau
führen. Bisher gültige Verhaltensweisen und Lebensregeln müssen abgewandelt oder aufgegeben
14
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
werden, „wissenschaftliche Analysen und wissenschaftliche Expertisen verlieren in der
Öffentlichkeit ihre uneingeschränkte Glaubwürdigkeit und Reputation“ (Ferchhoff 1990, S. 80).
Allgemein gesprochen werden also Konzeptionen, die Allgemeingültigkeit beanspruchen, eher
angezweifelt. Eine „Anything-Goes-Stimmung“ macht sich breit, allerdings „geht“ auch jetzt nicht
für alle alles.
Niemand kann heute noch von Allgemeingültigkeit sprechen, da die Sichtweisen über bestimmte
Sachverhalte zu verschieden sind. Rationalität hat als Kriterium für Allgemeingültigkeit an Kraft
verloren. Die Welt, vor allem auch die wissenschaftliche Welt, ist geprägt von einer radikalen
Pluralität, in der es keine Universalitätsansprüche mehr geben kann. Beck geht noch weiter und
behauptet, dass in der „Risikogesellschaft“ die Wissenschaft nicht mehr nur „Problemlöser“ ist,
sondern im Gegenteil die Wissenschaft auch „Quelle für Problemursachen“ ist (Beck 1986, S.
254ff, Hervorhebungen im Original). So hat die Wissenschaft als „Instanz der Allgemeingültigkeit“
und „Religion der Aufklärung“ in einer postmodernen Welt an Einfluss verloren. Angesichts der
zunehmenden ökologischen (z.B. Umweltzerstörung) und sozialen (z.B. Kriege oder Armut) Krisen
wird technischer Fortschritt nicht mehr als „Allheilmittel“ gesehen, „irrationale“ Lebensweisen
(z.B. Esoterik, Orientierung an Spaß) gewinnen an Bedeutung. Die Menschen „basteln“ sich ihren
Lebensplan sowohl aus rationalen wie auch aus irrationalen Denk- und Handlungsweisen. Beide
Bereiche haben gleichberechtigt Einfluss auf den Alltag der Individuen (Helsper 1991, S. 17ff).
In diesem Zustand der Unübersichtlichkeit von vielfältigen Werten und Normen, Lebensweisen
und Lebensstilen, Erwartungen und Hoffnungen, wachsen Jugendliche heutzutage auf. Dabei
können junge Menschen heute kaum noch auf einen „berechenbaren“ Lebensverlauf bauen (Hitzler
2001, S. 14). Denn woran sollen Jugendliche sich orientieren, wenn der Lehrer in der Schule genau
das Gegenteil von dem erzählt, was die Eltern zuhause sagen und die Medien wieder ein ganz
anderes Bild davon zeichnen. Ebenso ist es für Eltern schwierig den Jugendlichen eine „zeitgemäße
Jugend“ zu bieten, wenn die Vorstellungen von „Jugend“ so reichhaltig und diffus sind. Ist
überteuerte Markenbekleidung nötig, damit mein Kind in der Schule akzeptiert wird oder verhelfe
ich ihm zu Charakter und Persönlichkeit, indem ich ihn mit No-Name-Anziehsachen ausstatte und
auf seine „inneren Werte“ verweise?
Die Entscheidungskonsequenzen der verschiedensten Wahlmöglichkeiten sind derart vielfältig,
dass „Normalbiographien“ nicht mehr sicher sind, auch weil es für sie immer weniger Vorbilder
gibt (Hitzler 2001, S. 16). Die Ambivalenz postmoderner Entwicklungen ist offensichtlich.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse zu
einer immensen Steigerung der gesellschaftlichen Komplexität geführt haben, was aber nicht zu
einer völligen Strukturlosigkeit geführt hat, sondern eher zu einer Umstrukturierung des sozialen
Lebens, zu einer Destrukturierung oder Destandardisierung des Lebenslaufs. Dennoch bringen
15
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
diese Entwicklungen „einschneidende Konsequenzen“, vor allem für die Lebensphase „Jugend“,
mit sich (Hitzler 2001, S. 9).
Die gestiegenen Wahlmöglichkeiten und die den Jugendlichen vermehrt zugestandene Autonomie
(z.B. bezüglich Medien, Konsumangeboten, Genuss, Sexualität etc.) ist einhergegangen mit einem
Anstieg der Anforderungen und Erwartungen an sie. Die Vorteile dieser Entwicklung können nur
richtig genutzt werden, wenn entsprechende Kompetenzen vorhanden sind. Anderenfalls wird man
leicht zum „Spielball von Arbeitsmärkten, Wirtschaftskonjunkturen, Medien, Parteien und
Konsumangeboten“ (Ferchhoff 1993, S. 50). Ein „Gefühl der Verunsicherung“ ist allgegenwärtig
(Kellner 1997, S. 70). Verstärkt wird dieser Eindruck durch familiale Auflösungstendenzen,
steigende Kriminalitätsraten, Drogenkonsum, sexuellen Missbrauch etc.
Die Expansion des Bildungssektors und die damit verbundene Höherqualifizierung der
Bevölkerung, die gestiegene Mobilität (sowohl sozial als auch örtlich), der Ausbau des
Dienstleistungssektors sind wechselseitig sich bedingende Prozesse, die die Möglichkeit des
sozialen Aufstiegs erhöht haben, was aber nicht mit einer Egalisierung der allgemeinen
Lebenschancen verwechselt werden darf. Schlagworte wie „Neue Armut“ zeigen auch gegenläufige
Tendenzen auf. Soziale Unterschiede bestehen also weiter, zum Teil kommt es zu einer Erhöhung
sozialer Ungleichheit, oft jedoch viel subtiler und diffuser.
Besonders
problematisch
und
belastend
für
Jugendlich
ist
heute
die
schwierige
Arbeitsmarktsituation, die Abwertung von Bildungsabschlüssen, die unsicheren Zukunftsaussichten
etc. (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S. 14). Die „Apostel des Status quo“, wie Beck sie
nennt, gehen davon aus, dass durch diese vielfältigen gesellschaftlichen Probleme die
Individualisierung in Egoismus umschlägt. Beck dagegen sieht „im Kontext der neuen
Orientierungen“ so etwas wie einen „altruistischen Individualismus“ entstehen (Beck 1997, S.19,
Hervorhebungen im Original).
Ferchhoff erkennt die Situation richtig, wenn er schreibt, „daß diese Epoche ein schillerndes
gleichwohl hybrides Antlitz zeigt, von zahlreichen Paradoxien und Widersprüchen gekennzeichnet
ist, die angesichts erheblicher Heterogenitäten, Diskontinuitäten und Differenzierungen auch
typologisch nicht leicht auf einen Nenner zu bringen und deshalb verständlicherweise den
verschiedensten modischen Deutungen und Wertungen unterworfen sind“ (Ferchhoff 1990, S. 81).
2.3 Merkmale der Jugendphase und Annäherung an einen „Jugend“Begriff
Was bedeutet nun in dieser Unübersichtlichkeit der Begriff „Jugend“? Wie wirkt sich die
vielzitierte Postmoderne auf die Gestalt „Jugend“ aus? Gibt es noch Gemeinsamkeiten zu „Jugend
16
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
in früheren Zeiten“? Was sind „neue Merkmale der Jugend“? Ist überhaupt noch ein einheitlicher
Begriff „Jugend“ konzipierbar? Mit Bezug auf oben Angeführtes scheint nur eines eindeutig,
nämlich dass nichts mehr eindeutig ist. Dies zeigt auch ein Blick in die einschlägige Literatur, in
der es keine allgemeingültige Definition von „Jugend“ gibt. Ferchhoff spricht erstens von einer
„prinzipiellen Vagheit und Relativität des Begriffs ‚Jugend’“ und zweitens davon, „daß sich
Feststellungen zur Jugendphase nur im Kontext sozialhistorischer Wandlungen des ‚Lebenszyklus
im ganzen’ und seiner klassen-, schicht-, milieu-, regional- und geschlechtsspezifischen
‚Erscheinungsformen im jeweiligen Familien- und Kinderleben, im Peer-, Schul- und
Bildungssystem’ im Rahmen der soziologischen Entwicklung (post)moderner individualisierter
Arbeits- und Dienstleistungsgesellschaften treffen lassen“ (Ferchhoff 1993, S. 57, Hervorhebung
im Original).
Darum werde ich im Folgenden nicht versuchen Jugend zu definieren, sondern ein nach allen
Seiten offenes Bild der Jugend mit einigen meines Erachtens wichtigen Merkmalen und Eckdaten
zu zeichnen. Es ist klar, dass es auch hier zu Verallgemeinerungen kommen wird, da es heute kein
„Gesamt-Bild der Jugend“ mehr geben kann (Ferchhoff 1995, S. 59). Man darf Jugend nicht als ein
isoliertes soziales Phänomen sehen, sondern man muss berücksichtigen, „daß die Jugend in sich so
homogen bzw. heterogen ist wie die Gesellschaft, der sie angehört“ (Schäfers 1998, S. 22).
Aus dem Überblick der Geschichte der Jugend ist ersichtlich, dass Jugend keine biologische
Konstante im menschlichen Lebensverlauf ist, die über Kulturen und Zeiten hinweg in gleicher
Form anzutreffen ist, sondern sie ist vielmehr auf soziokulturelle Entwicklungen – besonders ab
dem 18. Jahrhundert – zurückzuführen. Jugend in der heutigen Gestalt ist „zunächst ein
historisches Produkt des Bürgertums gewesen“ (Hurrelmann 1999, S. 30, Hervorhebungen im
Original). Dennoch hat „Jugend“ viel mit biologischen, psychologischen und anthropologischen
Faktoren zu tun. „Jugend bedeutet ein Doppeltes: sie ist einmal eine subjektive biografische
Lebensphase, in der Aufgaben der inneren Entwicklung, des Lernens, der Identitätsbildung
anstehen; sie ist zum anderen eine gesellschaftlich bestimmte Lebenslage, abhängig von
gesellschaftlichen Bedingungen und Erwartungen ...“ (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S.
13).
Es gibt eine Reihe von physischen und psychischen Prozessen, die in der Literatur immer wieder
auftauchen und als kennzeichnend für die Jugendphase gelten. Allerdings stehen diese zunächst
biologischen Faktoren in Wechselwirkung mit soziokulturellen Faktoren, wodurch es hier über die
Zeit zu Veränderungen und Verschiebungen kam und immer noch kommt.
Der Beginn der Jugendphase wird meist mit dem Beginn der Pubertät, einem ca. 5 bis 8 Jahre
dauernden Prozess, angesetzt. Die Geschlechtsreife stellt einen wichtigen Schritt in der
menschlichen Entwicklung dar, der hierdurch eine Abgrenzung von der vorherigen Phase der
Kindheit zulässt (Hurrelmann 1999, S. 31). Bei Jungen wird der Beginn um das 13. Lebensjahr
17
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
verortet, bei Mädchen etwa 8 Monate früher. In der Pubertät setzen physische Veränderungen bei
Jugendlichen beiderlei Geschlechts ein, die wiederum psychisch-seelische Auswirkungen in
unterschiedlicher Stärke hervorrufen. Hierzu zählen die Ausbildung primärer und sekundärer
Geschlechtsmerkmale, ein beschleunigtes Größenwachstum, eine Verfeinerung der Motorik etc.
(Schäfers 1998, S. 83ff). Zudem sind diese Veränderungen auch in sozialer Hinsicht bedeutend.
Auffällig ist, dass die Pubertät in Industriegesellschaften insgesamt länger dauert als z.B. noch vor
200 Jahren (Retardation), wobei sie sich aber auch zeitlich vorverlagert hat (Akzeleration) (Janke
1995, S. 10f). Ebenso werden Jugendliche heute im Durchschnitt größer und schwerer als früher,
Indizien für eine allgemeine Verbesserung der Lebensbedingungen.
Durch die Pubertät „ist gewissermaßen eine ‚Neuprogrammierung’ von physiologischen,
psychologischen und auch sozialen Systemen notwendig um auf die veränderten Körperfunktionen
und auf die hierdurch zum Teil mitbeeinflussten veränderten Umweltbedingungen reagieren zu
können“ (Hurrelmann 1999, S. 31). Die biologischen Entwicklungen der Pubertät betreffen
Menschen, die in einem höherem Maße selbständig handlungsfähig sind als sie es in der Phase der
Kindheit davor waren, in der die Eltern bzw. die Erziehungsperson(en) noch verstärkt Einfluss
hatten. Die zunehmende Gewinnung autonomer Handlungsfähigkeit gilt oft als Voraussetzung
individueller Entwicklungsprozesse (Hurrelmann 1999, S. 32). Der Beginn der Jugendphase wird
darum meist mit Beginn der Pubertät gleichgesetzt.
Stufenmodelle und das Konzept der Entwicklungsaufgaben, das vor allem von dem Psychologen
Havighurst entwickelt wurde, stellen nun den Versuche dar, die spezifischen psychosozialen
Prozesse der Jugendphase zu charakterisieren. „Unter Entwicklungsaufgaben werden die psychisch
und sozial vorgegebenen Erwartungen und Anforderungen verstanden, die an Personen in einem
bestimmten
Lebensabschnitt
gestellt
werden“
(Hurrelmann
1999,
S.
32f).
Diese
Entwicklungsaufgaben sind aber abhängig von der jeweiligen Kultur, Gesellschaft und Zeit und
werden nicht nur durch biologische und psychische „Reifung“ determiniert. Es gibt nun eine Reihe
dieser Aufgaben, die für die Jugendphase als typisch erachtet werden. Hierzu gehören
Entwicklungsaufgaben im Bereich der intellektuellen und sozialen Kompetenzen, im Bereich der
Geschlechtsrolle, im sozialen Bindungsverhalten zu Gleichaltrigen, im Bereich der Entwicklung
eigener Handlungsmuster für die Teilnahme und Nutzung am Konsumwaren- und Freizeitmarkt, im
Bereich eines Werte- und Normensystems und eines ethnischen und politischen Bewusstseins
(Hurrelmann 1999, S. 33f). Der Unterschied zur Kindheitsphase liegt vor allem in der qualitativ
veränderten Persönlichkeitsentwicklung.
Das Ende der Jugendphase ist weitaus schwieriger zu umgrenzen als ihr Beginn. Aus
psychologischer Sicht ist die angemessene Bewältigung oben genannter Entwicklungsaufgaben als
Abschluss der Jugendphase zu betrachten (Hurrelmann 1999, S. 34). Der Erwachsenenstatus
zeichnet sich demnach durch einen „hohen Grad von Selbständigkeit und Selbstbestimmung ... und
18
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
zugleich Verantwortlichkeit gegenüber den Belangen und Interessen anderer Menschen ...“ aus
(Hurrelmann 1999, S. 35, Hervorhebungen im Original). Die Ausbildung der Identität, verstanden
als „Kontinuität des Selbsterlebens“ (Hurrelmann 1999, S. 36, Hervorhebungen im Original), ist in
psychologischer Sicht die Hauptaufgabe der Jugendphase. Eine ausgebildete Identität markiert
damit auch ihr Ende. Dass die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben und die Ausbildung der
Identität nicht so einfach ist, zeigen die vielfältigen Sinn- und Orientierungskrisen Jugendlicher.
„Die Suche nach Orientierung und Sinngebung ist für die Umbruchphase Jugend im Lebenslauf
charakteristisch wie für wohl keine andere Lebensphase davor und danach“ (Hurrelmann 1999,
S.37). Bei dieser Suche setzen sich die Jugendlichen mit den vielfältigen gesellschaftlichen
Orientierungsmöglichkeiten reflexiv auseinander.
In diesem Zusammenhang wird auch die Ablösung von den Eltern, sowohl psychisch als auch
ökonomisch und sozial, als ein wichtiges Kriterium für den Status „Erwachsener“ erachtet. Hier
kann aber eigentlich kein Zeitpunkt der Lebensspanne genannt werden, wie es beim Eintritt in das
Jugendalter mit der Pubertät der Fall ist, der das Ende dieser Phase markiert. Das Ende der
Jugendphase ist somit äußerst undeutlich und es wird immer noch undeutlicher.
Wie schon erwähnt vollzieht sich „Jugend“ in einem Wechselspiel aus psychologischen und
sozialen Faktoren. Vor allem bei der Bestimmung des Endes der Jugendphase wird der starke
Einfluss der soziokulturellen Verhältnisse deutlich. Aber auch die soziologische Perspektive
bezieht die psychologische, vor allem das Konzept der Entwicklungsaufgaben, mit ein. Hier geht es
um die Weiterentwicklung von gesellschaftlichen Fähigkeiten und Kompetenzen, die die
„Statuspassage“ zum Erwachsenen ermöglichen (Hurrelmann 1999, S. 39). Damit ergeben sich für
die Jugendphase ganz bestimmte Rollenerwartungen, die mit Rechten und Pflichten verbunden
sind. Allerdings sind Statusübergänge heutzutage nicht eindeutig definiert, womit auch in der
soziologischen Betrachtungsweise keine genauen Übergänge erkennbar sind. In modernen
Industriegesellschaften fehlt es zudem an symbolischen Übergangsriten, wie sie in früheren Zeiten
üblich waren und zum Teil heute noch in bestimmten Kulturen üblich sind (Schröder 1998, S. 22).
Der Wechsel von der Kindheit in die Jugendphase ist durch eine „schrittweise Erweiterung der
Handlungsspielräume erkennbar, die eine gleichzeitige Erweiterung der Rollenvielfalt mit sich
bringt“ (Hurrelmann 1999, S. 39, Hervorhebungen im Original). Eine Festlegung auf ein
biologisches Alter ist auch hier nicht möglich. Wie schon erwähnt geht es um das „Hineinwachsen“
der Jugendlichen in gesellschaftliche Bereiche, um die Erfüllung von Entwicklungsaufgaben, um
wachsende Interaktionsmöglichkeiten, insgesamt somit um eine quantitative wie qualitative
Komplexitätssteigerung des Soziallebens. Zu nennen sind hier steigende Leistungsanforderungen
an die intellektuellen Fähigkeiten, die Erweiterung sozialer Kontakte außerhalb der Familie, vor
allem zu Gleichaltrigen, die wiederum in Verbindung stehen mit einer Orientierung an Freizeit und
19
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Konsum, politische Partizipationsmöglichkeiten im Zuge der schrittweisen Ablösung von den
Eltern und der wachsenden Autonomie der Jugendlichen etc. (Hurrelmann 1999, S. 40f).
Zur Beendigung der Jugendphase gibt es eine Reihe kulturell unterschiedlicher Ansichten.
Hurrelmann zählt in unserem Kulturkreis die berufliche Rolle, die interaktiv-partnerschaftliche
Rolle, die Rolle des Kulturbürgers und die Rolle als politischer Bürger zu den wesentlichen
Voraussetzungen für den Übergang zum Erwachsenen (Hurrelmann 1999, S. 42). Wiederum kann
hierfür aber kein genaues biologisches Alter angegeben werden.
Gesellschaftlich wird aber dennoch versucht, Statusübergänge alterspezifisch zu regeln, wie es z.B.
im Jugendrecht der Fall ist. Dabei sind einige Bereiche mehr reglementiert (z.B. Schulpflicht,
Wahlalter etc.), andere weniger (z.B. Berufsalter etc.).
Die Jugendphase selbst zeigt nicht von Anfang bis „Ende“ eine einheitliche Gestalt. Auch sie ist in
sich
differenziert.
In
der
Soziologie
wurde
sie
unter
Bezug
auf
biologische
und
entwicklungspsychologische Faktoren in folgende Altersgruppen unterteilt: Die 13- bis 18-Jährigen
stellen die Jugendlichen im engeren Sinn dar; es handelt sich um die pubertäre Phase. Die 18- bis
21-Jährigen gelten als Heranwachsende; sie befinden sich in der nachpubertären Phase. Die 21- bis
25-Jährigen – eventuell auch älter – werden als junge Erwachsene bezeichnet; ihr Verhalten zeigt
noch deutlich jugendliche Elemente (Schäfers 1998, S. 30). Das Ende der letzten Phase ist dabei
wieder nur unter Vorbehalt mit 25 Jahren angegeben, denn diese Grenze wird immer weiter
hinausgeschoben.
Anzumerken ist zudem, dass konkrete Altersangaben immer nur tendenzielle Orientierungen
bieten, da die tatsächliche menschliche Konstitution nicht unbedingt damit in Einklang stehen
muss. Ein 16-Jähriger kann in ähnlicher geistiger und körperlicher Verfassung sein wie ein 20Jähriger, dem jedoch rein rechtlich aufgrund seines Alters andere Verhaltensspielräume eröffnet
werden (z.B. Wahlrecht, volle Geschäftsfähigkeit etc.). Es ist davon auszugehen, „daß eine
altersmäßige Festlegung der Jugendphase nicht möglich und deswegen auch für wissenschaftliche
Zwecke nicht sinnvoll ist“ (Hurrelmann 1999, S. 50).
In soziologischer Perspektive ist die Jugendphase gekennzeichnet „durch ein Nebeneinander von
noch
unselbständigen,
quasi
kindheitsgemäßen,
und
selbständigen,
quasi
schon
erwachsenengemäßen Handlungsanforderungen“ (Hurrelmann 1999, S. 46, Hervorhebungen im
Original). Die wesentlichen Merkmale für die Statuspassage zum Erwachsenen sind dabei ein
schulischer Abschluss, der in einen Beruf mündet und dadurch ökonomische Autonomie gewährt,
die Ablösung von den Eltern und die Aufnahme einer festen Partnerschaft, die, zum Teil verbunden
mit Heirat, zu einer eigenen Familie führt und eine selbständige und selbstbestimmte Rolle im
wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und kommerziellen Bereich (Hurrelmann 1999, S. 46).
20
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Die soziologischen und psychologischen Sichtweisen haben gezeigt, dass es äußerst schwierig ist
die Jugendphase zu erfassen. Vor allem scheint es fraglich Jugend einem bestimmten biologischem
Alter zuzuteilen (Ferchhoff 1993, S. 54f). Lediglich der Beginn – mit dem Eintritt der Pubertät
zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr – kann nach dem Alterskriterium einigermaßen umgrenzt
werden,
wobei
hier
ebenfalls
Verschiebungen
stattfinden.
Auch
das
Konzept
der
Entwicklungsaufgaben und damit verbundene Stufenmodelle haben meines Erachtens an
Beschreibungskraft verloren, da es noch aus einer „übersichtlicheren“ Zeit (Anfang 70er Jahre)
stammt. Die gesellschaftlichen Veränderungen, wie sie weiter oben dargestellt wurden, sind derart
gravierend, dass diese Konzepte nur noch bedingt gültig sind bzw. entsprechend modifiziert
werden müssen. Auch Brinkhoff weist darauf hin, „daß die zentralen Entwicklungsaufgaben von
Jugend zunehmend Inkonsistenzen und Spannungen aufweisen und Sinn, innere Qualität und
Zuschnitt dieser Lebensphase [gemeint: Jugend, E.J.] sich weitgehend enttraditionalisiert,
entstrukturiert und individualisiert haben“ (Brinkhoff 1993, S. 100). Verglichen mit einer Treppe
könnte man sagen, dass die Stufen der Jugendphase höher geworden sind, zum Teil aber auch
Stufen ausgelassen oder eingefügt wurden. Die Jugend ist keine relativ gleichmäßige Treppe mehr,
an deren Ende der Erwachsenenstatus wartet. Der „Treppenaufstieg“ wird früher begonnen, wobei
die Treppe länger wird bzw. sich die „Aufstiegsgeschwindigkeit“ verlangsamt. Dies kann natürlich
auch damit zusammenhängen, dass das Besteigen der Treppe, vor allem gegen Ende, nicht mehr so
„einfach“ ist. Von zunehmender Bedeutung für den letzten Teil der Jugendphase ist in diesem
Zusammenhang die „Post-Adoleszenz“ (Schäfers 1998, S. 30f). Sie kennzeichnet die „Ausdehnung
der Jugendphase nach hinten“, die mit einer verlängerten Schul- und Berufsausbildung einhergeht
und durch die „tendenzielle Entkoppelung von Bildung, Ausbildung und Berufstätigkeit sind
psychosoziale Neuorientierungen festzustellen“ (Ferchhoff 1993, S. 53). Die Post-Adoleszenz stellt
eine „neue gesellschaftlich regulierte Alterstufe“ dar, eine „Nachphase des Jungseins“, die das
dritte Lebensjahrzehnt bestimmt (Schäfers 1998, S. 31). Ferchhoff charakterisiert die PostAdoleszenten als eine „wachsende Gruppe von Menschen ..., die kulturell politisch sowie
freizeitbezogen in der Gestaltung ihrer Lebensformen und in der Wahl ihrer Lebensstile, ...
weitgehend autonom sind, als auch keiner ‚pädagogischen Betreuung’ mehr bedürfen, während sie
beruflich und ökonomisch weiterhin vom Elternhaus bzw. von sozialpolitischen Alimentierungen
abhängig und damit auch im Rahmen der Durchsetzung ihrer endgültigen Lebensplanungen zwar
offen und noch nicht festgelegt, aber dennoch unselbständig sind“ (Ferchhoff 1993, S. 53). Die
Veränderung der Gestalt „Jugend“ ist zu einem erheblichen Teil mit der Erweiterung der Phase der
Post-Adoleszenz verbunden, denn heute werden Menschen oft als Jugendliche kategorisiert, die
noch vor einigen Jahrzehnten als Erwachsene bezeichnet worden wären.
Nochmals Bezug nehmend auf das Bild der Treppe könnte man die Jugend auch in mehrere
Treppen aufteilen, wenn man die Entwicklungsaufgaben als Grundlage nimmt. So werden manche
Treppen schneller bewältigt, manche weniger schnell, d.h. es werden Rollen erworben, die dem
21
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Erwachsenenstatus entsprechen, während man bezüglich anderer Rollen diesen Status noch nicht
erreicht hat, was zu Statusunsicherheiten führen kann, die wiederum Ausgangspunkt
jugendspezifischer Handlungsweisen sind. Diesen Vorstellungen liegt aber meist zu Grunde, dass
Jugend eine Übergangsphase, ein „Moratorium“ zum Erwachsenenstatus darstellt, der ein höheres
gesellschaftliches Ansehen genießt (Schäfers 1998, S. 24). Jugend erscheint oft als eine
„zugestandene“ oder „geduldete“ Periode, bevor der „Ernst des Lebens“ beginnt. Gleichzeitig ist
festzustellen, dass dieser „Schonraum“ im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse
zunehmend zurückgeht (Schäfers 1998, S. 24). Der Absatz zwischen der Treppe „Jugendlicher“
und der Treppe „Erwachsener“ verschwindet, eine lange Treppe entsteht, über die „die
gesellschaftliche Krise die Jugend erreichen konnte“ (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S.
13). Aber Jugend war sicher nie bzw. ist auf jeden Fall jetzt kein reiner Schonraum mehr, eine
‚Als-ob-Periode, in der Höhen der Erwartungen und tiefe Enttäuschungen gemacht werden können,
ohne mit endgültigen ökonomischen, sozialen oder psychologischen Konsequenzen verknüpft zu
sein’ (Rosenmayr 1976, S. 123, zit. nach Schäfers 1998, S. 30). Jugend ist keine Simulation,
sondern für die „Betroffenen“ Realität wie jede andere Lebensphase auch! Bestes Beispiel sind
Amokläufe oder Selbstmorde von Jugendlichen, die durch „tiefe Enttäuschengen“ ausgelöst
wurden und damit sehr wohl mit „Konsequenzen“ verknüpft sind. Jugend ist keine „Rolltreppe“,
die automatisch und ohne eigenes Zutun in der „Etage Erwachsener“ endet.
Was sich geändert hat, ist die Qualität der Jugendphase. Dies ist besonders im „Strukturwandel der
Jugendphase“ ersichtlich (Ferchhoff 1993, S. 56). Bezogen auf die These „Jugend als krisenfreie
Zeit“
bedeutet
dies,
dass
gesellschaftliche
Krisen
(Arbeitslosigkeit,
Globalisierung,
Rationalisierung etc.) nicht mehr nur „Randbedingungen des Aufwachsens“ und „Belastungen“
darstellen, die nur die Erwachsenen betreffen, sondern auch Jugendliche sind ihnen vermehrt
ausgesetzt (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S. 13). Die ideelle Konzeption der Jugend als
Schonraum verliert an Sinn und Bedeutung, wenn die Vorbereitungsphase auf Krisen selbst schon
krisenhaft ist. Für die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben bedeutet das eine Erschwerung, da
nun noch mehr Faktoren auftreten, die Wechselwirkungen erzeugen und so zu einer weiteren
Komplexitätssteigerung und „Unübersichtlichkeit“ führen. Die „Entwicklung einer intellektuellen
und sozialen Kompetenz“ steht heute nicht mehr unbedingt mit einer gesicherten sozialen und
ökonomischen Position in Verbindung. Ein abgeschlossenes Studium garantiert keinen
Arbeitsplatz. Dadurch kann nach den Kriterien der Entwicklungsaufgaben der Erwachsenenstatus
auch nicht erreicht werden. Die Folge sind Höher- und Weiterqualifizierungen um auf dem
Arbeitsmarkt bessere Chancen zu haben, was wiederum eine längere Verweildauer in
Bildungsinstitutionen erfordert und dadurch zu einem weiteren Aufschub der Statuspassage führt.
Damit erschwert die heutige Arbeitsmarktsituation das Erwachsenwerden im Sinne der
Entwicklungsaufgabe und führt so selbst zu einer Verlängerung der Jugendphase (Jugendwerk der
Deutschen Shell 1997, S. 15). Darüber hinaus unterliegt „Lernen“ als Merkmal für die Jugendphase
22
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
einem Bedeutungsverlust. Nicht nur Jugendliche werden immer länger ausgebildet und müssen
lernen, auch das Erwachsenenalter, das früher oft als Abschluss des Lernens gesehen wurde, wird
immer mehr von Lernanforderungen „bedrängt“. Die moderne Arbeitswelt erfordert ein
„lebenslanges Lernen aller“ (Dohmen 1999, S. 22f), ohne das die gesellschaftlichen
Veränderungsprozesse, besonders die durch technische und technologische Entwicklung bedingten
Veränderungen, nicht bewältigt werden können. Durch die Ausdehnung des Lernens – gemeint ist
vor allem ein berufspezifisches Lernen, denn Menschen lernen eigentlich immer lebenslang – auf
die gesamte Lebensspanne kommt es zu Angleichungstendenzen zwischen der Jugend- und der
Erwachsenenphase, wodurch der Übergang undeutlich wird. War Jugend bisher eine Gegenwelt zu
der der Erwachsenen, die komplexe, leistungsorientierte, zweckrationale, arbeitsteilige,
hierarchisch gegliederte Strukturen aufwies, in der die Jugendlichen die unerlässliche Integration in
die Erwachsenengesellschaft und gleichzeitig die Ausbildung einer eigenen Identität erfüllen
mussten, scheint es jetzt zu einer Annäherung der beiden Welten zu kommen, ohne dass jedoch von
einer Gleichberechtigung die Rede sein kann. Die bisher gültigen Strukturen werden brüchig,
eigentlich jugendtypische Verhaltensweisen „schleichen“ sich über die Post-Adoleszenz in die
Erwachsenenwelt ein, was aber nicht zu einer Irritierung dieser Welt führt, sondern oftmals zu
einer
Vereinnahmung
dieser
Verhaltensweisen
durch
sie.
Umgekehrt
werden
erwachsenenspezifische Verhaltensweisen auch von Jugendlichen vermehrt gezeigt (z.B. im
Bereich des Konsumwarenmarktes, Sports etc.). Potentiale für jugendliche Identitäten verlieren
damit an Bedeutung und Distinktionskraft. Es findet ein „Prozeß gegenseitiger Beeinflussung“
statt, der zu einem „Verblassen des Unterschieds zwischen Jugendlichen und Erwachsenen“ führt
(Ferchhoff 1990, S. 199), jedoch unter Beibehaltung „generationstypischer Schwerpunkte“ und vor
allem von Machtverhältnissen (Thiele 1998, S. 16).
Auch bezüglich der Entwicklung der Geschlechtsrolle und des sozialen Bindungsverhaltens zu
Gleichaltrigen
beiderlei
Geschlechts
haben
sich
bedingt
durch
gesellschaftliche
Modernisierungsprozesse Veränderungen ergeben. Bisher gültige und allgemein anerkannte
Entwicklungsaufgaben wie die Aufnahme heterosexueller Partnerbeziehungen, die langfristig die
Basis für eine Familiengründung legen sollen, haben an Bedeutung verloren und damit auch als
Kriterium für den Übergang ins Erwachsenenleben. Hier spielen besonders der Wandel
gesellschaftlicher Wert- und Moralvorstellungen eine Rolle. Homosexualität ist zwar in den Augen
vieler auch heute nicht „normal“, aber es besteht eine größere gesellschaftliche Toleranz gegenüber
diesem Thema als z.B. noch in den 60er Jahren. Für Homosexuelle bedeutet dies einen
Freiheitsgewinn vor allem im öffentlichen Raum.
Besonders betroffen von diesen (Wert-)Wandlungsprozessen sind die Familien und dadurch auch
die Jugendlichen. Den Familien wird ein gesellschaftlicher „Bedeutungsverlust“ attestiert. Auch
hier ist aber festzuhalten, dass ihnen dieser Bedeutungsverlust nur dann zugestanden werden kann,
23
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
wenn man die traditionelle Familie – bestehend aus leiblicher Mutter, leiblichem Vater und
Kind(ern) – als Maßstab nimmt. Im Zuge der Individualisierung und Pluralisierung kam es zu einer
„gestiegenen Pluralität von Familienformen“ (Nave-Herz 1997, S. 3). Damit ist aber nicht gemeint,
dass neue Familienformen entstanden sind, denn die verschiedensten Familienformen (Ein-ElternFamilien, Stiefelternschaften, Familien mit adoptiertem Kind etc.) gab es schon immer, nur wurden
sie meist nicht als solche bezeichnet. Vielmehr hat die Bedeutung anderer Familienformen neben
der „Normal-Familie“ quantitativ wie qualitativ zugenommen (Nave-Herz 1997, S. 8). Analog gibt
es meiner Meinung nach ähnliche Entwicklungen bei der Bedeutung des Begriffs „Jugend“.
Durch die hohen Scheidungszahlen kommt es z.B. zu einer steigenden Anzahl alleinerziehender
Mütter bzw. Väter mit Kind(ern). Wie schon erwähnt ist dies, ebenso wie die Zunahme der Singles
und nichtehelichen Lebensgemeinschaften, eine Folge des gesamtgesellschaftlichen Veränderungsund Individualisierungsprozesses. „Bis ca. Mitte/Ende der 70er Jahre wurde die Motivation zur
Eheschließung zwar auch durch eine emotionale Partnerbeziehung ausgelöst, aber häufig
unterstützten systemexterne Bedingungen (ökonomische, rechtliche, die Nicht-Akzeptanz
vorehelicher sexueller Beziehungen – erst 1973 wurde der ‚Kuppelei-Paragraph’ abgeschafft –,
wohnungsmäßige u.a.m.) den Ehe-Entschluß. Heute dagegen hat eine Heirat an zwingender
Notwendigkeit
zur
Erfüllung
bestimmter
elementarer
Bedürfnisse
oder
als
materielle
Versorgungsinstitution (vor allem für Frauen) an Bedeutung verloren“ (Nave-Herz 1997, S. 9f).
Auch hier ist die „Freisetzung“ der Individuen zu erkennen.
Dadurch entstehen für Kinder und Jugendliche die unterschiedlichsten Bedingungen unter denen
sie Aufwachsen. Deshalb wird es schwierig, von einem „normalen“ Aufwachsen zu sprechen.
Jugendliche bekommen in dieser Vielfalt die unterschiedlichsten Werte, Normen und
Verhaltensweisen bezüglich der Vorstellung von „Familie“ vorgelebt, was sich wiederum auf ihre
Vorstellungen und Werte prägend auswirkt und ihr späteres Verhalten beeinflusst.
Durch Medien, Freunde, Bekannte etc. und vielleicht auch durch die eigene Lebenssituation
bekommen Jugendliche mit, dass eine Familie eine Einschränkung der individuellen, heute als
besonderes Gut geltenden, Freiheit (zeitlich, ökonomisch, persönlich) bedeutet (Nave-Herz 1997,
S. 21). Gerade auch die Wechselwirkungen mit den Anforderungen der heutigen Arbeitswelt –
Stichwort: Mobilität – können sich negativ auf die spätere Entscheidung für eine Familie
auswirken. Im Gegenzug hat aber auch die bewusste Entscheidung für Familie und Kinder
zugenommen, aber zunehmend unabhängig von der Institution Ehe. Kinder bedeuten heute oft eine
persönliche Bereicherung, womit wieder ein Hinweis auf die gesellschaftliche Individualisierung
vorliegt. Auch die Tendenz zur Ein-, aber höchstens Zwei-Kinder-Familie, fördert die
Individualisierung (Schmidt 1996, S. 10). Kinder wachsen vermehrt ohne Geschwister auf, was
auch die Zahl der Spielgefährten und „Vorbilder“ insgesamt reduziert. Vermehrtes Spielen allein
und mit den Eltern ist die Folge, was die Bedeutung erwachsenenspezifischer Interaktionsmuster
24
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
als Vorbild erhöht. Damit einher gehen veränderte Erziehungsweisen, die eher auf ein
partnerschaftliches Miteinander als auf strikte hierarchische Unter-Überordnungsverhältnisse
abzielen. „Die Eltern sind bemüht, Verständnis für ihre adoleszenten Kinder an den Tag zu legen,
ihnen eher als Freunde, denn als Autoritätspersonen zu begegnen, Entscheidungen gemeinsam zu
treffen, Kompromisse auszuhandeln und sich in vielen Hinsichten den Jugendlichen anzupassen,
anstatt Anpassung an eigene Prinzipien und Verhaltensmuster zu verlangen“ (Schütz 1993, S. 345,
zit. nach Nave-Herz 1997, S. 63). Hier sind deutliche Unterschiede im elterlichen Verhalten im
Vergleich zu früheren Jahrzehnten festzustellen, die natürlich für die Jugendlichen von enormer
Bedeutung sind. Der vielzitierte „Generationenkonflikt“ scheint sich, zumindest innerhalb der
Familie, aufzulösen (Nave-Herz 1997, S.64). Gesamtgesellschaftlich gesehen verspüren
Jugendliche aber immer noch einen Gegensatz zwischen den Generationen, der einerseits als
„Machtverhältnis (die Erwachsenen lassen uns nicht mitreden, teilhaben)“ und andererseits als
„Vernachlässigungsverhältnis (in der Politik spielen die Probleme Jugendlicher keine Rolle)“
empfunden wird (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S. 17). Zudem kann auch ein neuer
Generationenkonflikt mit umgekehrten Vorzeichen ausgemacht werden im Bezug auf die neuen
technischen Entwicklungen, bei denen oft Jugendliche bzw. jüngere Menschen gegenüber älteren
einen Wissensvorsprung besitzen (Ferchhoff 1993, 121).
Zurückkommend auf die Bedeutung der Entwicklungsaufgabe „Partnerschaft und Familie“ ist für
den Abschluss der Jugendphase festzustellen, dass sich hier erhebliche Verschiebungen ergeben
haben. So hat z.B. Ehe und Familie als Kriterium für den Erwachsenenstatus an Bedeutung
verloren, was sich an einem gestiegenen Heiratsalter und der erhöhten Zahl nichtehelicher
Lebensgemeinschaften zeigt (Nave-Herz 1997, S. 8ff). Die Zunahme der Lebensform „Single“ und
der nichtehelichen Lebensgemeinschaften verwischt die Statuspassage zum Erwachsenen
zusehends. Nichteheliche Lebensgemeinschaften und auch andere Formen des Zusammenlebens
werden, vor allem von Jugendlichen, vermehrt akzeptiert und praktiziert, wobei aber gleichzeitig
der Wert von Ehe und Familie an sich weiterhin einen hohen Stellenwert einnimmt (Hamann 2000,
S. 31). Familie und Beruf zu vereinbaren sind immer noch Hauptziele jugendlicher Lebensentwürfe
(Jugendwerk der Deutschen Shell 2000, S. 13f). Auch hier finden sich Hinweise auf die
Pluralisierung der gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die vor allem bei jüngeren Generationen
offenbar schon weiter verbreitet sind.
Aber mit der Ausdifferenzierung der Wertvorstellungen allgemein sind auch wieder
Schwierigkeiten verbunden bezüglich der Entwicklungsaufgabe „Aufbau eines Wert- und
Normensystems“. Die Reichhaltigkeit und die Zunahme der Geltungsbereiche verschiedenster
Werte und Normen macht es schwierig die „Richtigen“ auszuwählen, besonders dann, wenn
traditionelle „Wertlieferanten“ (Kirche, Verbände, Parteien, Familie etc.) an Ansehen und Einfluss
verlieren (Janke 1995, S. 14ff). „Aufwachsen in den 90er Jahren ‚bedeutet nur mehr für einen
25
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
verschwindendkleinen Teil’, in person- und ortsgebundenen direkten und ‚dichten sozialen
Kontrollnetzen mit geschlossener weltanschaulicher (religiöser) Sinngebung und klaren
Autoritätsverhältnissen und Pflichtkatalogen (im Sinne des Senioritätsprinzips) groß’ zu werden“
(Ferchhoff 1993, S. 51). Die heutige „Freiheit“ macht die Jugendlichen auch „frei“ von
„gemeinsamen sozialen, kulturellen oder politischen Erfahrungen, die eine kollektive Identität
stiften könnten“ (Kellner 1997, S. 75). Dies erfordert zusätzliche Orientierungen (Medien,
Konsummarkt, Gleichaltrige etc.) und führt zudem dazu, dass Jugendliche sich verstärkt selbst ihre
Wertewelt reflexiv aufbauen (Jugendwerk der Deutschen Shell 2000, S. 15). „Jugendliche sind
heute in einem großen Maß in der Lage, ihre eigene Situation zu bedenken und auch ihren
psychischen Zustand für sich und andere so ‚zurückzuspiegeln’, daß sie ihn für sich selbst
manipulierbar halten“ (Baacke 1999, S. 217). Dabei halten sie sich an die vielfältigsten, für ihre
aktuelle Lebenswelt passenden Wertkonzepte und folgen weniger einem vorgegebenen, in sich
geschlossenem „Wertepaket“ (Jugendwerk der Deutschen Shell 2000, S. 16). Jugendliche „basteln“
sich also aus der Fülle der Angebote ihre Wertewelt ähnlich einer Collage, aus der auch schon
einmal eingefügte Elemente wieder herausgenommen und durch andere ersetzt werden können
(Ferchhoff/Dewe 1991, S. 185). Dadurch entstehen in hohem Maße individualisierte
Lebensweltkonzepte, die aber keine endgültigen Verbindlichkeiten darstellen, sondern situationsund zeitabhängigen Modifikationen unterliegen. Dabei gehen aber bestimmte Wertvorstellungen
nicht immer mit entsprechenden Verhaltensweisen einher.
Beck geht allgemein davon aus, dass die postmodernen Individuen weniger einem „Werte-Verfall“,
wie es ältere Generationen oft ausdrücken, als einem „Werte-Konflikt“ gegenüberstehen (Beck
1997, S.16). Nicht Werte an sich verfallen, sondern sie wandeln sich oder sie entstehen neu. Zudem
wird der Zyklus des Wert-Wandels und der Wert-Erneuerung immer kürzer, wodurch die
Menschen in immer kleineren Abständen mit „neuen“ Werten konfrontiert werden. Besonders für
Jugendliche kann dies sehr verwirrend sein und dadurch ist „mit einem Anstieg des
Problemverhaltens in vielerlei Hinsicht, mit einer Steigerung von ‚Überforderungssymptomen’ auf
verschiedenen Ebenen und mit einer erheblichen Zukunftsunsicherheit zu rechnen“ (Ferchhoff
1993, S. 50). Andererseits werden sie aber auch in diesen beschleunigten Wertwandlungsphasen
auf diese „trainiert“ und können sich somit leichter auf sie einstellen als andere, die noch mit einem
relativ festen Wertekanon aufgewachsen sind. Beck ist sogar der Ansicht, dass „das, was als
Werteverfall verteufelt wird, ... Orientierungen und Voraussetzungen [erzeugt, E.J.], welche diese
Gesellschaft – wenn überhaupt – in die Lage versetzen könnten, die Zukunft zu meistern“ (Beck
1997, S. 17). Auch an technischen Neuerungen zeigt sich die Wandlungsfähigkeit der jungen
Menschen. Für sie stellt die mit immer kürzeren Halbwertszeiten ablaufende technische
Modernisierung
scheinbar
kein
Problem
dar.
So
werden
beispielsweise
neue
Kommunikationsformen wie das „SMSen“ – das Verschicken von Kurzmitteilungen über
Mobiltelefone – vornehmlich von Jugendlichen genutzt. Diese Veränderungen stellen damit nicht
26
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
nur Anforderungen an die Menschen, sondern bieten ebenso individuelle Nutzungsmöglichkeiten.
Auch im Bezug auf den Wertewandel und damit verbundene Entstrukturierungen bieten sich den
Jugendlichen nun vielfältige Optionen zur flexiblen Gestaltung ihrer meist noch unklaren
Lebensperspektiven.
Besonders offensichtlich ist aber der Bedeutungsverlust traditioneller „Wertlieferanten“ am
Beispiel
„Politik“.
Insbesondere
die
politischen
Parteien
erfahren
„erdrutschartige
Vertrauensverluste“ (Jugendwerk der Deutschen Shell 2000, S. 16), was ihrer eigentlichen
Vorbildfunktion für die Entwicklung von politischer Teilnahme Jugendlicher sehr schadet. Dies
scheint auch kaum verwunderlich, wenn täglich in den Medien neue „Schmiergeldäffären“ und
„schwarze Konten“ publik werden. Die Folge ist eine „politischen Entfremdung“ junger Menschen
(Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S. 18). Darüber hinaus ist festzustellen, dass bei den
Jugendlichen nicht unbedingt ein Desinteresse an Politik besteht, „sondern sie unterstellen im
Gegenteil, daß die Politik an ihnen nicht interessiert ist“ (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997,
S.17). Selbst viele Jugendliche, die über das politische Geschehen gut informiert sind, stehen einer
aktiven politischen Partizipation im traditionellen Sinn eher zurückhaltend gegenüber: ‚Ändern
kannst du sowieso nichts!’ (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S. 17)
Allerdings muss die politische Auffassung der Jugendlichen im Licht der gesamtgesellschaftlichen
Veränderungsprozesse betrachtet werden. Politisches Engagement kann nicht mehr nur mit der
Zugehörigkeit zu einer Partei oder dem Wahlgang gleichgesetzt werden. Die gesellschaftliche
Freiheit bringt neue Ausdrucksformen mit sich diese Freiheit zu bestätigen. Traditionellen Formen
politischer Partizipation stehen zunehmend mehr und informellere Formen der Beteiligung (z.B.
Engagement in Umwelt- und Tierschutzorganisationen) gegenüber, wodurch man Jugendliche
heute nicht von vornherein als „unpolitisch“ bezeichnen kann (Jugendwerk der Deutschen Shell
1997, S. 29). Möglicherweise sind jugendkulturelle Ausdrucksformen (z.B. Graffiti, Hip-Hop(Texte), Skateboarding etc.) neue Arten politischer Äußerung, gerade auch weil sie sonst kein Gehör
finden und ihren politischen Standpunkt bewusst anders darstellen wollen. Vielleicht sind „viele
Konzepte und Rezepte der ersten Moderne untauglich geworden“, was „neue Konzepte und
Rezepte“ für die „zweite Moderne“ bzw. Postmoderne verlangt und hier vor allem für die Politik
(...) Die Kinder der Freiheit praktizieren eine hochpolitische Politikverleugnung“ (Beck 1997, S.
11f). Vielleicht stellt ja diese Ablehnung des traditionellen politischen Engagements ein neues
Rezept dar, die Probleme einer individualisierten und pluralisierten Gesellschaft und in ihr vor
allem die Probleme von Jugendlichen auf neue Weise zu bewältigen bzw. neue Strukturen zu
schaffen, die den individualisierten Bedürfnissen der Jugendlichen eher gerecht werden. „Die
Kinder der Freiheit praktizieren eine suchende, eine versuchende Moral, die verbindet, was sich
auszuschließen scheint: Selbstverwirklichung und Dasein für andere, Selbstverwirklichung als
Dasein für andere. Am Ende läuft dies darauf hinaus, den Gemeinwohl-Verwaltern das Monopol
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Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
der Gemeinwohl-Definition streitig zu machen“ (Beck 1997, S. 15, Hervorhebungen im Original).
Hier ist vielleicht der Beginn der von Beck geforderten „demokratischen Kultur eines rechtlich
sanktionierten Individualismus“, der Ansatz zu einer „Bürgergesellschaft“ zu sehen und nicht der
Beginn einer Gesellschaft der „Ichlinge“. (Beck 1997, S. 11).
Zu den Entwicklungsaufgaben im traditionellen Sinn gehört weiter noch die Ausbildung eigener
Handlungsmuster für die Nutzung des Konsumwaren- und des Freizeitmarktes, insbesondere damit
zusammenhängend auch der verantwortliche Umgang mit Medien. Gerade in diesem Bereich haben
sich seit den 60er Jahren „revolutionäre“ Veränderungsprozesse in Gang gesetzt, die die Individuen
und vor allem die Jugendlichen sehr stark prägen. Medien werden heute als bedeutende
„Kristallisationspunkte“ für verschiedenste Jugendkulturen gesehen (Hepp 1999, S. 186).
„Jugendliche leben heute in einer Welt, in der Arbeit, Ausbildung und die Strukturen des
Alltagslebens durch die neuen Technologien ganz wesentlich beeinflußt werden“ (Kellner 1997, S.
71). Hier liegen Gefahr und Chance sehr nah beieinander. Wie alle Veränderungen werden auch sie
von den einen „verteufelt“ und von den anderen hochgelobt. Die heutige Generation der
Jugendlichen gehört „zur technologisch versiertesten der Geschichte“, aber sie ist auch „die einzige
Generation in diesem Jahrhundert [gemeint ist das 20. Jahrhundert, E.J.], die (in den Augen der
anderen) nicht den Fortschritt, sondern den Niedergang der Gesellschaft verkörpert“ (Kellner 1997,
S. 74). Jugendlichen bieten sich heute die vielfältigsten Möglichkeiten neuer Technologien, neuer
Medien und damit auch verbunden neuer Formen des Arbeitens, aber auch des Vergnügens (z.B.
virtuelle Realitäten, mobile Medien etc.). Gleichzeitig müssen sie sich in dieser steigenden Vielfalt
der dadurch entstehenden Angebote zurecht finden und sollen zu einem verantwortlichen Umgang
mit Medien kommen. Mehr als in allen Jahrzehnten davor verlangt dies eine ausgeprägte
Medienkompetenz, d.h. Kompetenzen sowohl im (technischen) Umgang mit den Medien als auch
im kritischen Hinterfragen der (gesellschaftlichen) Entwicklungen, die mit den Medien verbunden
sind. Für Jugendliche hat sich hier eine enorme Komplexitätssteigerung ergeben, die dadurch
gekennzeichnet ist, dass Erwachsene nicht mehr in uneingeschränkter Weise als „strukturierende
Vorbilder“ dienen können. Jugendliche sind Experten, vor allem im Umgang mit den technischen
Neuentwicklungen, und haben hier oft einen Wissensvorsprung gegenüber den älteren
Generationen, die noch nicht mit diesen technischen Neuerungen aufwuchsen. Dennoch werden
Jugendliche von Erwachsenen oft noch als „schutzbedürftig“ eingeschätzt. „Der Pädagoge als
Hirte, der die Schafe hüten und vor den reißenden Wölfen des Bildschirms bewahren soll, erscheint
auch
derzeit
wieder
als
Wunschbild
so
vieler
Medien-
und
Bildungspolitiker“
(Hüther/Schorb/Brehm-Klotz 1997). Das Bild ist auch hier ambivalent. Einerseits will man
Jugendliche vor den „verheerenden“ Folgen der Medien bewahren und andererseits wird
propagiert, dass Medien die Zukunft sind. In den letzten fünf Jahren konnten Jugendliche selbst
den rasanten Aufstieg der „New Economy“ und ihren jähen Absturz miterleben. Sicherheiten sind
scheinbar verschwunden. Jugendliche müssen sich in dieser Meinungs- und Optionsfülle oft selbst
28
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
zurechtfinden und ihre Wege gehen, denn es gibt keinen „Königsweg“ mehr. Die „nahezu
gleichberechtigte Teilnahme der heutigen Heranwachsenden an den vielfältigen Angeboten der
Informationstechnologie, der Konsumgüterindustrie und der Medien“ kann als Indiz für den
Strukturwandel der Jugendphase gesehen werden (Schwier 1998, S. 24).
Wie die vorherigen Ausführungen gezeigt haben, sind Veränderungen der Jugendphase
offensichtlich. Vor allem wenn man die Gestalt von Jugend heute mit der Gestalt von Jugend in
früheren Zeiten vergleicht, ist ein „Strukturwandel der Jugendphase“, eine „Entstrukturierung“,
eine „Destandardisierung“ oder, wie immer man diesen Vorgang bezeichnen mag, festzustellen
(Schäfers 1998, S. 22). Zu fragen ist hier nur, ob solche Vergleiche mit früheren Zeiten überhaupt
sinnvoll sind. Wie andere gesellschaftliche Teilbereiche (z.B. Familie) unterliegt auch die
Jugendphase – wie schon zu Beginn erwähnt – den soziokulturellen Veränderungen der
Gesellschaft. Sie ist Ausdruck einer bestimmten Zeit und damit nicht statisch, sondern dynamisch.
Ein Vergleich mit der Vergangenheit scheint mir aber insofern sinnvoll, da die aktuelle
Erscheinungsform der Jugend aus ihr heraus besser verstanden werden kann und somit die
Dynamik des Entwicklungsprozesses deutlich wird und vielleicht auch ein Verständnis dafür
entsteht, warum bestimmte Dinge heute so sind, wie sie sind.
Gesellschaftlich problematisch ist heute der beschleunigte soziokulturelle Wandlungsprozess, mit
dem vielfach Anpassungsschwierigkeiten einhergehen. Dies ist vielleicht auch ein Grund dafür,
dass Vieles – eben auch die Jugend – mit früheren Verhältnissen verglichen wird, da dafür schon
Handlungsmuster, Verhaltensstrategien, Erklärungsansätze etc. bestehen. Aber Vieles kann nicht
mehr mit „Althergebrachtem“ erklärt werden. Deswegen entsteht eine Menge von Arbeiten und
Studien, die die „aktuellen“ Verhältnisse erfassen wollen, was meines Erachtens aber nur selten
gelingt, da bei der Veröffentlichung der Studien sich oft schon wieder andere Verhältnisse
darstellen als zum Zeitpunkt der Untersuchung. Somit bringt die heutige „Schnelllebigkeit“ nicht
nur Probleme für die Individuen, sondern eben auch für die Wissenschaft, die diese Probleme
untersuchen möchte. Deutlich wird dies vielleicht an den in immer schnellerer Abfolge – vor allem
seit den 80er Jahren – durchgeführten Shell-Jugendstudien.
Als konstantes Merkmal für die Jugendphase gilt meines Erachtens ihr Beginn, mit dem – heute
früheren – Einsetzen der Pubertät. Ebenso konstant bleibt das Durchlaufen bestimmter
Entwicklungsaufgeben, in dessen Folge sich die Identität herausbilden soll. Allerdings stellen sich
die Entwicklungsaufgaben unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, wodurch auch die
Jugendphase qualitative Veränderungen, wie ich sie oben beschrieben habe, erfahren hat (z.B. die
Ausbildung einer Geschlechtsrolle, der Umgang mit Medien, dem Konsum- und Freizeitmarkt, die
Entwicklung eines politischen Bewusstseins etc.). Durch das Brüchigwerden von Statuskriterien
wie Beruf, Ehe und Familie etc. hat sich eine Ausdehnung der Jugendphase nach hinten ergeben,
die mir als eine der bedeutendsten Veränderungen für die „Lebensform Jugend“ erscheint. Jugend
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Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
umfasst damit fast zwei Jahrzehnte der Lebensspanne. Somit werden Jugendliche immer länger in
dieser Phase geprägt, und das in einem Lebensalter, in dem sie selbst sehr „beeinflussbar“ sind.
Hierdurch hat man „mehr Zeit“ zur „Erfüllung“ der Entwicklungsaufgaben, wobei die „Erfüllung“
durch die komplexen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen auch erschwert wird. Die
gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie heute vorzufinden sind, stehen in enger Beziehung zu den
Entwicklungen der Jugendphase seit dem beginnenden 20. Jahrhundert. Die Werte, die Jugendliche
vertreten, verschwinden nicht vollständig beim Übergang ins Erwachsenenleben, womit sie
weiterhin gesellschaftsprägende und auch gesellschaftsverändernde Kraft besitzen.
Hier kommt es also auch zu einer ideellen Erweiterung der Jugendphase bis in die
Erwachsenenphase, wobei die „Zielspannung Erwachsenwerden“ nachgelassen hat (Ferchhoff
1993, S. 119). Es kann sogar soweit gehen, dass Erwachsene sich in einer jugend(lichkeits)kulturell
geprägten Gesellschaft an den Jugendlichen orientieren (z.B. im Bereich der Trendsportarten).
Wie ebenfalls dargestellt ist Jugend immer noch vom Erwachsenenstatus zu trennen, vor allem
bezüglich zugestandener Handlungskompetenzen, wobei die Grenzen aber vermehrt undeutlich und
verschwommen
sind.
Gerade
die
Phase
der
Post-Adoleszenz
ist
mit
vielen,
schon
erwachsenentypischen Privilegien ausgestattet, die eine Unterscheidung schwierig machen.
Darüber
hinaus
fließen
zunehmend
jugendtypische
Verhaltensweisen
und
vor
allem
Ausdrucksformen in die Erwachsenwelt ein. Gerade heute, in einer Zeit, in der „Äußerlichkeiten“
(Outfit, durchtrainierter Körper etc.) oft wichtiger sind als „Innerlichkeiten“ (Charakter, Mitgefühl
etc.), „ist das Leitbild der ‚Jugendlichkeit’ dominierend geworden“ (Ziehe 1986, S. 17). „Im
Zeitalter des Puerilismus ist es deshalb für einen 35- oder 40jährigen durchaus naheliegend, nach
Möglichkeit am Puls der jungen Zeit zu bleiben“ (Janke 1995, S. 13). Allerdings ist Jugendlichkeit
als „idealer Wertbegriff“ nur ein Teil vom „Gesamtkonzept Jugend“, das eine „Altersphase im
Lebenszyklus“, die „Altersgruppe der 13- etwa 25jährigen“, „eine biologisch mit-bestimmte, aber
sozial und kulturell ‚überformte’ Lebensphase“, eine „Subkultur“ oder alles zusammen darstellen
kann (Schäfers 1998, S. 29, Hervorhebungen im Original). Besonders der Konsummarkt bedient
sich der Jugendlichkeit und nutzt ihr positives Image (Gesundheit, Lebendigkeit etc.). Ziehe hält
aber „Jugendlichkeit als Leitbild nicht einfach für ein aufgesetztes Medienprodukt, sondern
vielmehr für die Repräsentanz einer kulturell freigesetzten und damit dynamisierten Sehnsucht“
(Ziehe 1986, S. 18). Jugend wird zum Gegenkonzept zu Alter und Tod. Er spricht von „drei
Jugenden“ (einer physischen, einer psychischen und einer kulturellen Jugend), die empirisch aber
überhaupt nicht „deckungsgleich“ sind, aber dennoch zu einem Gesamtbild vereint werden:
„körperlich siebzehnjährig, psychisch zweiundzwanzigjährig, kulturell siebenundzwanzigjährig
(wobei diese Zahlen natürlich eher als Metaphern gemeint sind)“ (Ziehe 1986, S. 19). Es findet also
eine Kombination der positiven Merkmale der jeweiligen Altersphase statt. Dies ist aber nur
möglich in einer Rückerinnerung, d.h. diese (Re-) Konstruktion von Jugendlichkeit ist eigentlich
30
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
nur denen möglich, die sie schon erlebt haben – also Erwachsenen. Ein Siebzehnjähriger weiß noch
nicht, wie es ist 25 zu sein. Damit wird ein großer Teil dessen, was im gesamtgesellschaftlichen
Bereich unter „Jugend“ verstanden wird, aus (idealisierten) Erinnerungen, Vorstellungen,
Projektionen und Wünschen Erwachsener konstituiert. „Die Betrachtung und Bewertung von
Jugendlichen durch Ältere hängt immer von der Haltung und lebensgeschichtlichen
Vorerfahrungen des Betrachters ab“, wodurch es dazu kommen kann, dass manche die Jugend
‚verteufeln’, manche sie ‚idealisieren’, manche sich ‚Sorgen’ um sie machen und manche sich
‚gleichgültig’ ihr gegenüber verhalten (Schröder 1998, S. 25).
Dies bleibt nicht folgenlos für die Jugendlichen selbst, auf die diese Bilder gespiegelt werden.
„Jugend“ steht natürlich in Verbindung mit konkreten äußeren und inneren Gegebenheiten einer
bestimmten Altersphase im Leben, aber ein wesentlicher Teil von dem, was „Jugend“ darstellt, ist
ein gesellschaftliches Konstrukt. Dies ist nicht erst seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert der Fall,
sondern gleichsam in allen Zeiten seit der „Entdeckung der Jugendphase“ (vgl. „Jugend als
Mythos“ Kap. 2.1, S. 6ff). Bei dieser Konstruktion kommt es aber im Wesentlichen nicht auf
wissenschaftliche
Erkenntnisse
an,
sondern
der
Begriff
„Jugend“
wird
quasi
als
Selbstverständlichkeit im Alltag konstruiert. Aus interaktionistischer Sichtweise bedeutet dies: „Ein
Gesellschaftsmitglied ist nicht Jugendliche(r), sondern wird immer erst zum/zur Jugendlichen
gemacht, indem es von anderen – und in Spiegelung auch von sich selbst – als Jugendliche(r)
definiert wird. Jugend ist kein Merkmal, das einem Individuum innewohnt, sondern ein Produkt
sinnvermittelter Beziehungen; die Zugehörigkeit zur Jugend konstituiert sich in einem Definitionsund Zuschreibungsprozeß. Das vorhandene Wissen über Jugend wird in einer Situation aktualisiert;
es muß geprüft werden, ob typische Merkmale von Jugendlichen auf die konkrete Person, über die
bislang kein biographisches Wissen vorhanden ist, zutreffen; erst wenn eine hinreichende
Übereinstimmung festgestellt wird, wird diese als Jugendlicher(r) definiert. Dieser Definitions- und
Zuschreibungsprozeß schließt immer auch einen Vorgang des Aushandelns mit ein: es wird ein
Konsens über eine akzeptable Definition zwischen den Beteiligten hergestellt oder zumindest
angestrebt“ (Lenz 1986, S. 105). Somit ist „Jugend“ oft auch nur ein situatives Merkmal, das
abhängig ist von den jeweiligen sozialen Interaktionen und den beteiligten Interaktionspartnern.
Dies kann z.B. bedeuten, dass man sich selbst schon als erwachsen bezeichnet, von anderen aber
noch als Jugendlicher klassifiziert wird und umgekehrt. Hier spielt wieder das Alter der Beteiligten
eine wichtige Rolle. So wird ein 15-Jähriger andere Vorstellungen vom Erwachsenenstatus haben
als ein 20-Jähriger und dieser wird wieder andere Vorstellungen davon haben als ein 27-Jähriger
usw.
Damit
ist
der
Status
„Jugendlicher“
bzw.
„Erwachsener“
abhängig
von
den
unterschiedlichsten Sichtweisen verschiedenster Individuen in diversen Interaktionen und
Beziehungen.
31
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Es ist also festzuhalten, dass das, was Jugend heute darstellt, ein Zusammenspiel verschiedenster
Faktoren auf den unterschiedlichsten Ebenen ist, wodurch sich „Jugend“ als ein äußerst
umfangreiches Phänomen darstellt. Ihr Beginn kann mit dem Einsetzen der Pubertät veranschlagt
werden, in der es zu qualitativen Veränderungen auf physischer, psychischer wie auch sozialer
Ebene des Individuums kommt. Gerade diese qualitativen Veränderungen – vor allem die
Ausbildung der Identität und damit verbunden die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben –
kennzeichnen die Jugendphase und lassen eine Unterscheidung zur vorhergehenden Phase zu.
Jugend ist dabei keine reine Übergangsphase, die möglichst schnell vollendet werden muss. Mehr
denn je stellt sie eine eigenständige Phase im Lebenslauf dar, und sie ist eigentlich kein Schonraum
mehr, was aufgrund gesellschaftlich vorfindbarer Bedingungen auch nicht mehr angebracht wäre,
sondern schon vielmehr ein selbständiger Erfahrungsraum. Das Jugendalter differenziert sich auch
wieder aus, wodurch Jugend an sich keine Einheit mehr bildet, sondern in qualitativ
unterschiedliche Phasen aufgeteilt ist (Hurrelmann 1999, S. 22ff). Diese Ausdifferenzierung steht
in
enger
Beziehung
zu
den
gesellschaftlichen
Wandlungsprozessen,
die
zu
einer
Komplexitätssteigerung aller Lebensbereiche geführt hat. Besonders die Ausdehnung der Jugend
nach „hinten“ stellt ein wesentliches Merkmal der „Entstrukturierung“ der Lebensphase „Jugend“
dar, was gerade das Markante, gleichzeitig aber auch das „Unübersichtliche“ an ihr ist und
wodurch im Zuge der gesamtgesellschaftlichen Entstrukturierungen ihr Ende undeutlich wird. Mit
den gesellschaftlichen Individualisierungs- und Pluralisierungstendenzen hängt auch die Fülle
dessen, was Jugend heute sein kann, zusammen. Ich würde hier zum einen von einer
„Liberalisierung“ der Jugendphase sprechen, die aber zum anderen einhergeht mit gestiegenen
Ansprüchen (z.B. bezüglich der beruflichen Ausbildung) an sie als Folge der „Unübersichtlichkeit“
und „Enttraditionalisierung“. Heute ist das „Jugendalter weniger eine Zeit des Sicheinfindens in die
Strukturen und Verhältnisse des Erwachsenenlebens, sondern es bekommt eine schöpferisch
konstitutive Aufgabe, indem in ihm angesichts der Vielfalt der Möglichkeiten ein individuelles
Lebenskonzept komponiert werden muß“ (Brater 1997, S. 155). Auch hier wird die wachsende
Eigenständigkeit der Jugendphase deutlich. Neben den äußerlichen, psychischen und sozialen
Bestimmungselementen, die das Bild „Jugend“ prägen, geht es um Werte und Vorstellungen, die
mit „Jugend“ verbunden sind. Sie wird durch Werte anderer sozialer Bereiche geprägt und prägt
vor allem selbst andere gesellschaftliche Bereiche bzw. andere gesellschaftliche Bereiche
„beleihen“ die Jugend ihrer Werte, weil z.B. eine „ausgeprägte Erwachsenenkultur“ fehlt (Janke
1995, S. 13). Jugend und Erwachsenenalter „verschwimmen“ immer mehr. Jugendliche erhalten
gesellschaftliche „Teilreifen“ oft früher, andere, traditionell als Statusübergang geltende Ereignisse
(Heirat, fester Beruf etc.), verschieben sich nach hinten, was es besonders für den Abschnitt der
Post-Adoleszenz schwierig macht klare Unterscheidungen zwischen den beiden Phasen zu treffen.
„Jugend endet nicht mehr mit einem einschneidenden Ereignis, sondern sie franst irgendwann
einfach aus, verabschiedet sich stillschweigend“ (Janke 1995, S. 12). Aufgrund der daraus
32
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
folgenden „Statusunsicherheiten“ ist es auch für die Jugendlichen nicht leicht, sich selbst einem
bestimmten „Stand“ zuzuordnen.
In vielen Studien (z.B. Shell-Jugendstudien) wird trotz der mehrfach erwähnten Schwierigkeit,
Jugend an kalendarischen Altersangaben festzumachen, dennoch eine solche Einteilung
vorgenommen. Dies steigert meiner Meinung nach die Anschaulichkeit des „Gegenstands“. Wenn
in meiner Arbeit von Jugendlichen die Rede ist, meine ich verallgemeinert die ca. 13- bis 30Jährigen, wobei diese Angaben mit entsprechenden „Spielräumen“ nach vorne wie nach hinten zu
verstehen sind.
2.4 Jugendkulturen als eigenständiger Ausdruck der Lebensphase
„Jugend“
Im Zusammenhang mit den oben skizzierten Veränderungen der „Lebensphase Jugend“ wird
anscheinend ein Bereich immer bedeutender: die Jugendkultur – und das offenbar nicht nur für die
Jugendlichen selbst. Obwohl der Begriff heute zum zentralen Schlagwort geworden ist, wenn es
um die Charakterisierung der verschiedensten „Formen von Jugend“ und jugendlicher
Verhaltensweisen geht, ist meist nicht klar, was damit überhaupt gemeint ist. Im Folgenden möchte
ich mich daher näher mit dem Begriff „Jugendkultur“ beschäftigen und einige seiner
„Dimensionen“ untersuchen.
Die Entwicklung der Jugendkultur steht natürlich in enger Verbindung mit der Ausbildung der
Lebensphase „Jugend“. Die „Entdeckung der Jugend“ ist somit gleichsam die „Geburtsstunde der
Jugendkultur“. Obwohl es schon früh jugendspezifische Verhaltensweisen gab, wird der Begriff
„Kultur“ in Zusammenhang mit Jugend aber erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwendet, wobei
es auch Hinweise gibt, dass die „literarische Ausbildung von Jugendkultur schon im 18.
Jahrhundert mit dem Wirken politisch interessierter ‚Jünglinge’ und Schriftsteller (‚Sturm und
Drang’) begann“ (Ferchhoff 1993, S. 21).
Ihre eigentlichen Wurzeln liegen aber um 1900, zur Zeit der Jugendbewegung. In Deutschland wird
der Wandervogel oftmals als die „erste Jugendkultur“ bezeichnet: „Eine in bezug auf Geist und
Lebensgefühl vorgelebte autonome Jugendkultur jenseits von Familie und tendenziell auch Schule
entstand quasi erstmalig mit dem Wandervogel in der wilhelminischen Ära um die
Jahrhundertwende ...“ (Ferchhoff 1993, S. 22), wobei hier angemerkt werden muss, dass dieses
„jugendkulturelle Engagement“ fast ausschließlich der männlichen bürgerlichen Jugend
vorbehalten war. Obwohl schätzungsweise nur zwei Prozent der Jugendlichen damals in Gruppen
des Wandervogels organisiert waren, war die „Ausstrahlungskraft ihrer Ideen, [...], ihrer
33
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Lebensstilmittel, ihrer äußeren (Kleidungs)-Formen, ihrer neuen Aktivitäten, Geselligkeiten und
Gruppenstrukturen auf das Gemeinschaftsleben der Jugend ...“ enorm (Ferchhoff 1993, S. 26).
Auch der Ausdruck „Jugendkultur“ wurde von einem der „geistigen Führer“ der Jugendbewegung
geprägt, dem Pädagogen Gustav Wyneken (Schäfers 1998, S. 177). Wyneken und viele andere
sahen in der Jugend den Ausgangspunkt für eine gesellschaftliche Erneuerung: Jugendkultur als
Gegenpol zur ‚Alterskultur’ einer bürgerlichen Lebensweise (Baacke 1999, S. 141). Wyneken
setzte dabei vor allem auf eine Reform des Schulsystems, denn „Geist und Jugend brauchen
einander und ergänzen einander, in einem quasi gegenseitigen Befreiungsverhältnis“ (Baacke 1999,
S. 141). Nicht die „geisttötenden Pädagogen“ des bürgerlichen Schulsystems und auch nicht die
bürgerliche Familie vermag diese Erneuerung der Gesellschaft durch eine Erneuerung der Jugend
zu vollbringen, sondern die Schule, die „früher von außen an die Jugend herangetragen wurde, nun
aber, ganz neu gedacht, aus ihr erwachsen soll“ (Baacke 1999, S. 142).
Diese Verbindung von Jugendkultur und Bildung ist deshalb umso interessanter, weil heutige
Konzepte von Jugendkulturen hier genau gegensätzlich orientiert sind. „Wer sich in einer
Jugendkultur organisiert, orientiert sich gerade nicht an den durch die Schule vermittelten
Bildungsgütern, sondern an Maßstäben und Materialien, die außerhalb der Schule produziert
werden: Rock und Pop, Mode, Konsum, alternative Lebensformen, alles getragen und bearbeitet in
erster Linie durch Medien als vermittelnder Instanz, gerade nicht durch Familie und/oder Schule“
(Baacke 1999, S. 143, Hervorhebung im Original). Besonders für die Phase der Post-Adoleszenz
scheint die Schule als unerheblich, da in diesem Alter meist schon andere Orientierungspunkte
vorherrschen. Auch die Konzeption des Wandervogels, der zwar vor einem schulischen
Hintergrund („Wandervogel. Ausschuß für Schülerfahrten“ (Schäfers 1998, S. 60)) entstand, war
eigentlich gegen Schule und bürgerliche Gesellschaft gewandt und versuchte fernab dieser
Institutionen auf Wanderfahrten ein neues „jugendgemäßes“ Lebensgefühl zu finden. Vor allem ab
1920
fand
Jugendkultur
außerhalb
traditioneller
Organisationen
wie
Parteien
oder
Jugendverbänden statt, womit eine Orientierung an „außengeleiteten“ Lebensformen, d.h. an
Lebensformen außerhalb von Schule, Familie und anderer pädagogischer (Kontroll-)Institutionen,
immer mehr Einfluss auf die Jugendlichen hatte (Ferchhoff 1993, S. 36).
Auch das Konzept des Pädagogen Bernfeld zielt eher in diese Richtung. „Er war nicht so sehr am
Lehrer als geistigem Führer interessiert (wie Wyneken), sondern als Student in Wien der Meinung,
die neue Jugendkultur müsse eine Angelegenheit von Gymnasiasten und Studenten selbst sein“
(Baacke 1999, S. 144). Anzumerken ist, dass es sich sowohl bei Wyneken als auch bei Bernfeld um
ideelle Konzepte, um Vorstellungen, um Projektionen handelt, wie sich Jugendkultur (aus Sicht der
Erwachsenen) darstellen sollte. Jugendkultur erscheint somit nicht als Selbstzweck, sondern
vielmehr als Mittel zum Zweck (z.B. zur Erneuerung der Gesellschaft). Damit „war aber auch im
Sinne ihrer ‚Kulturbedeutung’ zumindest normativ der Boden vorbereitet, einen Beitrag für die
34
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
‚neue Kultur’, die ‚neue Gesellschaft’, die ‚neue Politik’, die ‚neue Kirche, den neuen Staat’, die
‚neue Erziehung’ zu leisten“ (Ferchhoff 1993, S. 31) und ein gerechtfertigte Verbindung zwischen
„Jugend“ und „Kultur“ hergestellt. Hier herrscht aber eine bestimmte Sichtweise von Jugendkultur
vor. Die gegenwärtige gesellschaftliche Pluralisierung und Individualisierung lässt diese
„Vorstellung einer einheitlichen Jugend“ nicht mehr zu, wodurch die Mehrzahl „Jugendkulturen“
heute zutreffender ist (Rohmann 1999, S. 11). Zudem wird dadurch verdeutlicht, „daß es nicht um
eine etwa spezifische Kultur geht, die Jugendliche kreieren, sondern um ein breites Spektrum
jeweils
generationsspezifisch
angeeigneter,
entwickelter
und
ausgeprägter
Stile,
Verständigungsmuster, Orientierungen zur unverwechselbaren eigenen personellen Entfaltung“
(Thiele 1998, S. 51).
Obwohl der Begriff „Jugendkultur“ also schon eine relativ lange Tradition besitzt, wurde er erst in
den letzten 25 Jahren richtig „populär“. Davor dominierten andere Begriffe die wissenschaftliche
Diskussion, wahrscheinlich auch deshalb, weil man nach dem zweiten Weltkrieg Jugend nicht
mehr in direktem Zusammenhang mit dem Begriff „Kultur“ bringen wollte. Wie können junge
Menschen Träger von Kultur sein, wenn sie noch gar nicht vollends in selbige eingeführt wurden?
Hier ist oft eine Vorstellung von Kultur als (geistige) Hochkultur (Literatur, bildende Künste,
Politik, Recht etc.) – auf die man sich nach der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland
besann – vorherrschend, die alle anderen kulturellen Erscheinungen als „minderwertig“ ansieht.
Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung führte aber auch zu einer Ausdifferenzierung von Kultur
und damit zu einer Erweiterung dessen, was darunter verstanden wird bzw. verstanden werden
kann (Ferchhoff 1993, S. 124f). So haben sich zum Beispiel die Cultural Studies in Großbritannien
schon früh mit dem Thema „populäre Kultur“ beschäftigt und diese damit als „vollwertige Kultur“
anerkannt (Hepp 1999, S. 38ff). Ähnlich ist es mit Jugendkulturen. In der wissenschaftlichen
Betrachtung wird ihr „kulturelles Potential“ eigentlich kaum mehr angezweifelt, was natürlich
wieder in Verbindung mit der Ausweitung des Kulturbegriffs steht.
Dennoch gab es vor allem nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 80er Jahre diverse andere
Versuche dieses kulturelle „Phänomen“ wissenschaftlich zu erfassen. Verschiedenste Begriffe,
Definitionen und Theorien wurden erarbeitet, die zum Teil bis heute noch Einfluss haben. Sie
werden oft auch synonym zum Begriff „Jugendkultur“ verwendet. So bezeichnet Tenbruck 1962
die Jugend insgesamt als „Teilkultur“, was auf eine kulturelle Eigenständigkeit (z.B. bezüglich
Musik, Mode, Sprache, Literatur etc.) gegenüber der „offiziellen“ Kultur verweist (Schäfers 1998,
S. 177f), aber auch auf ein Eingebundensein in die „Hauptkultur“. „Kultur“ ist hier immer weiter
gefasst als im bürgerlichen Verständnis.
In eine ähnliche Richtung zielt der Begriff der „Subkultur“, wobei er in einigen Konnotationen
vom Begriff der „Teilkultur“ abweicht. Zu Beginn der 60er Jahre definierte Robert R. Bell als einer
der ersten „Subkultur“, die er auch als Synonym für „Jugendkultur“ setzte. In Anlehnung an Bell
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Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
sind Subkulturen bzw. Jugendkulturen „relativ geschlossene kulturelle Systeme, Teilsysteme der
jugendlichen Population, die innerhalb des Gesamtsystems unserer nationalen Kultur eine Welt für
sich darstellen. Solche Subkulturen entwickeln strukturelle und funktionale Eigenheiten, die ihre
Mitglieder in einem gewissen Grad von der übrigen Gesellschaft unterscheiden“ (Thiele 1998, S.
49). Trotz vielfacher Definitionsversuche ist der Subkulturbegriff weder in der wissenschaftlichen
Diskussion noch in der Alltagssprache eindeutig festgelegt, wodurch eine „neutrale“ Verwendung
des Begriffs fast unmöglich ist. „Subkultur“ wird oft als „stigmatisierend bzw. etikettierend
verwandt und suggeriert immer etwas von der Gesellschaft Unerwünschtes, fast Abstößiges“
(Thiele 1998, S. 50). Dies zeigt sich schon im Begriff selbst und seiner Vorsilbe „sub“, was soviel
wie „unterhalb“ bedeutet. Eine Subkultur befindet sich also unterhalb der hegemonialen Kultur,
wodurch sie zwar einerseits immer noch als „Teil der offiziellen Kultur“ gelten kann, aber
andererseits auch als „bewußt und aggressiv“ von ihr abweichend (Schäfers 1998, S. 178). Gerade
in den 50er und 60er Jahren wirkte sich die aus den USA stammende, kriminologisch geprägte
Subkulturtheorie auch in Deutschland aus (Lamnek 1996, S. 142ff). Hier wird Subkultur meist mit
kriminellen Vereinigungen in Zusammenhang gebracht, womit wieder negative Konnotationen
verbunden sind. Spätestens seit dieser Zeit, in der „Jugend“ und Kriminalität in direkten
Zusammenhang gebracht wurden, ist das Bild von „der Jugend“ als Hoffnungsträger und Erneuerer
getrübt (Farin 2001, S. 21). Der Subkulturbegriff verweist dabei ebenso auf eine „Oben-UntenKonstellation“
(Thiele
1998,
S.
49)
und
damit
auf
gesellschaftliche
Unter-
Überordnungszusammenhänge. Solche Verhältnisse sind zwar immer noch anzutreffen (z.B.
Obdachlose), aber der Subkulturbegriff sollte von der „Klassenlage“ getrennt betrachtet werden
(Farin 2001, S. 19). Deswegen scheint die von Schwendter vorgelegte „Theorie der Subkultur“
auch nicht mehr angebracht, da sie auf einem überholten Schichtungskonzept der Gesellschaft
aufbaut, an dessen Rändern die Subkulturen entstehen (Schwendter 1973). Durch die
gesellschaftlichen Veränderungsprozesse sind die Sozialschichten „durcheinander geraten“ und
Subkulturen nicht mehr (unbedingt) bestimmten sozialen Schichten oder Randgruppen zuzuordnen.
Des
weiteren
beschränkt
sich
Schwendter
„primär
auf
politisch
engagierte,
bewußt
gesellschaftskritische ‚Subkulturen’“ (Baacke 1999, S. 133), die bei abnehmendem Politikinteresse
der Jugendlichen somit heute nur mehr peripher eine Rolle spielen sollten. Die „sozialen
Identitäten, das heißt ihre [gemeint: der Jugendlichen, E.J.] sozial standardisierten Muster der
Lebensführung“ sind weiter bedeutend und begrenzen so trotz sehr individualisierter
Lebensführung und Entscheidung das „Mitmachen in Jugendkulturen“ (Schröder 1998, S. 40).
Dennoch,
„an
die
Stelle
von
Schwendters
engagiertem
Interesse
an
politischen
Veränderungsmöglichkeiten ist heute die Betrachtung von Strukturen getreten, die sich in den
neuen
Erlebnisgesellschaften
eher
über
schichtungstheoretisch
relativ
strukturlose
Sozialisationsmilieus von verstärkt beliebiger Zugehörigkeit entwickeln und erklären lassen“
(Baacke 1999, S. 135). Hatten die Jugendkulturen der 60er und 70er Jahre noch (politische)
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Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Intentionen und Botschaften (z.B. Systemveränderung, saubere Umwelt etc.), so hat sich der
„Charakter der Jugendkulturen“ in den letzten beiden Jahrzehnten verändert (Rohmann 1999, S.
17). Die „Suche nach Spaß, Zerstreuung und Entspannung“ ist ein bedeutendes Merkmal heutiger
Jugendkulturen (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S. 21). Auch hier wirken sich die
gesamtgesellschaftlichen Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse aus: „Ich-Zentrierung“
einerseits und „leben und leben lassen“ andererseits begünstigten eine Vervielfältigung
jugendkultureller Lebensweisen, die heute unüberschaubar scheinen (Vollbrecht 1995, S. 29). Der
Wandel zur „Erlebnisgesellschaft“ führte zu einem Wandel der Lebensauffassung der Menschen
allgemein
und
„es
scheint,
als
würden
auch
die
Jugendkulturen
mehr
und
mehr
erlebnisgesellschaftlich überformt“ (Rohmann 1999, S. 19). Gerade im Zuge dieser
Ausdifferenzierung (jugend-)kultureller Lebensweisen und der „erlebnisgesellschaftlichen“
Orientierungen fand auch eine – vor allem ab den 80er Jahren – verstärkte „konsumkulturelle
Vereinnahmung“ der Jugendkulturen statt (Rohmann 1999, S. 11). Die „letzten subkulturellen
Winkel“ (Rohmann 1999, S. 18) wurden von der Konsumindustrie ausgeleuchtet, geglättet und
zum „Mainstream“ gemacht. Der Subkulturbegriff scheint somit kaum mehr zutreffend, da er
ursprünglich etwas „Subversives“ beinhaltet, das man einigen, zum Teil zu Konsumkulturen
„verkommenen“ Jugendkulturen heute nicht mehr zugestehen kann: „Aus bedrohlichen
Jugendsubkulturen [sind, E.J.] in der öffentlichen Wahrnehmung Jugendkulturen geworden, denen
niemand mehr zutraut oder zumutet, die versteinerten Verhältnisse ernstlich zu gefährden“
(Dewe/Scherr 1995, S. 136, Hervorhebung im Original). Dennoch sind solche subversiven
Elemente in einigen Jugendkulturen weiterhin enthalten. Wenn dies der Fall ist, würde es Sinn
machen auch in Zukunft von „(Jugend-)Subkulturen“ zu sprechen, wobei dies immer einer
Überprüfung der Einzelfälle nach „Subversivem“ bedarf.
Auch die Jugendstudien der britischen Cultural Studies sind geprägt von der Vorstellung der
Jugendkultur als Subkultur. In diesem Verständnis zeichnen sich Subkulturen „durch ‚kleinere,
stärker lokalisierte und differenzierte Strukturen’ [...] innerhalb eines größeren kulturellen
Netzwerkes aus, wobei sie einerseits in einer Beziehung zu ihrer ‚Stammkultur’ stehen,
andererseits hinreichend eigenständige Gestalt und Strukturen aufweisen, die sie von dieser
unterscheidbar machen“ (Hepp 1999, S. 186f). Auch hier wird eine Unterordnung gegenüber der
dominanten „Stammkultur“ konstatiert, aber das interessante an diesem Subkulturkonzept ist, dass
„es gegen eine Vorstellung gerichtet [ist, E.J.], die Jugendkultur ausschließlich im Rahmen einer
kommerziellen Ausbeutung und medialen Manipulation begreift“ (Hepp 1999, S. 187).
Jugendkulturen sind also nicht „hilflos“. Dieser Gesichtspunkt erscheint mir auch für heutige
Jugendkulturen zutreffend, obwohl die Jugendstudien der Cultural Studies nicht ohne weiteres auf
heutige deutsche Verhältnisse übertragbar sind, da sie von einer starken klassenspezifischen
Prägung der Gesellschaft ausgehen, die hierzulande kaum mehr anzutreffen ist (Ferchhoff 1990, S.
61). Das Verhältnis zwischen Jugendkulturen und Konsumindustrie ist auch hier ambivalent.
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Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Jugendkulturen bestehen aus „echten Bedürfnissen und Gefühlsäußerungen auf der einen sowie aus
raffinierten Marketingstrategien auf der anderen Seite“ und damit treffen Konsumgüter, die
erfolgreich bei Jugendlichen sind auch den „Nerv“ der Jugend (Janke 1995, S. 27). Zu bedenken ist
nur, ob das Produkt erfolgreich ist in dem Sinn, wie es seine Produzenten wollten, oder ob es erst
durch eine jugendkulturelle Umdeutung erfolgreich wurde (z.B. Schlagermusik).
Wie oben dargestellt besitzt der Subkulturbegriff eine Vielzahl an Bedeutungen und
Konnotationen, die es einerseits erlauben würden ihn synonym für Jugendkulturen zu setzen,
andererseits sind einige Annahmen nicht mehr zutreffend, wodurch die Verwendung des Begriffs
„Subkultur“ für Jugendkultur unpassend erscheint. Auch Ferchhoff spricht von einem „vorsichtigen
Abrücken vom Jugendsubkulturkonzept“ aufgrund eines immer komplexer gewordenen Konzepts
von Jugendkultur insgesamt (Ferchhoff 1993, S. 32). Dennoch wird der Begriff heute oft noch
gebraucht und für manche Autoren „macht er weiterhin Sinn“, wenn auch unter veränderten
Verhältnissen (Farin 2001, S. 19).
Ein weiteres Konzept im Zusammenhang mit Jugendkulturen ist das des Lebensstils. Ebenso wie
Jugend(sub)kulturkonzepte darf ein Lebensstilkonzept aber nicht mehr unbedingt auf „sozial
homogenen Lebenslagen gründen“ (Vollbrecht 1995, S. 24). Allerdings ist auch hier fraglich, ob
ein Lebensstil frei gewählt wurde oder aus gesellschaftlichen bzw. sozialem Druck heraus entsteht
(z.B. Obdachlose). „Lebensstile bringen ein von bestimmten sozialen Gruppen geteiltes Bedürfnis
nach ‚feinen Unterschieden’ zum Ausdruck und sind damit Bestandteil des Kampfes um
Authentizität der eigenen Lebensführung und des Strebens nach Selbstverwirklichung“ (Schwier
1998, S. 12). „Hitzler plädiert dafür, nur dann von Lebensstilen zu reden, wenn der Handelnde sich
selbst als Stilisierenden erlebt“ (Vollbrecht 1995, S. 24). Der Vorteil dieses Konzepts ist, dass er
nicht mit so vielen negativen Konnotationen verbunden ist (wie das Subkulturkonzept) und die
vielfältigsten, von der Mehrheitskultur abweichende Lebensstile berücksichtigt; der Nachteil ist,
dass er für bestimmte Jugend(sub)kulturen nicht zutrifft. „Menschen haben in der Regel nur einen
‚Lebensstil’, können aber durchaus mehreren Subkulturen zur gleichen Zeit angehören“ (Farin
2001, S. 19). „Lebensstil“ impliziert eine über die Lebensspanne geschlossene Haltung. Dies ist
aber immer weniger der Fall: „Die Annahme, daß die Zugehörigkeit zu bestimmten
jugendkulturellen Lebensstilen die weitere Lebensgeschichte wesentlich beeinflußt, dürfte für viele
‚Freizeit-Lebensstile’ nur sehr eingeschränkt gelten“ (Vollbrecht 1995, S. 26). Aber auch
Gegenteiliges ist festzustellen. Aus Jugendkulturen können sich „im biographischen Verlauf“
Lebensstile entwickeln und über das Jugendalter hinaus fortbestehen und dies nicht nur z.B.
bezüglich der Vorliebe für eine bestimmte Musikrichtung, sondern auch bezüglich der Einstellung
zu Politik, Normen, Werten und zum Leben im Ganzen (Rohmann 1999, S. 10). Damit wird die
Unterscheidung auch schwierig, ob ein bestimmter Stil noch „Jugendkultur“ enthält oder ob schon
38
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
genauso viele Erwachsene diesen Stil adaptiert haben und ihn so aus dem Kontext „Jugend“
weitgehend herausgelöst haben (z.B. In-Line-Skating).
Der Begriff des „Stils“ ist aber insgesamt ein bedeutendes Element von Jugendkulturen. Farin
spricht vom „Stil“ als dem „Kernsegment der gemeinsamen kulturellen Praxis jeglicher
Jugendkulturen“ (Farin 2001, S. 100) und Schulze sieht im Stil die „Konkretisierung von Identität“
(Schulze 1997, S. 104). Jugendkulturen definieren sich anscheinend immer mehr durch
Äußerlichkeiten, also durch bestimmte Stile. Dies ist aber auch in Zusammenhang mit einer
„Ästhetisierung des Alltagslebens“ (Rohmann 1999, S. 19) und mit dem in unserer Gesellschaft
betriebenen „Kult um die Jugend“ zu sehen. In einer konsumkulturell geprägten Gesellschaft
verwischen die Grenzen zwischen „Jugendkultur und Jugendlichkeitskultur“ (Rohmann 1999, S.
9). Stilistische Neuerungen der Jugendkulturen werden aufgegriffen, in ein Marken-Image
übertragen, zu einem Konsumstil gemacht und in der Folge Profite erwirtschaftet. „Die
Authentizität, die ‚Echtheit’ und Ursprünglichkeit eines bestimmten Stils verflüchtigt sich“
(Rohmann 1999, S. 8). Jugendkulturen verlieren damit auch das Potential „Gegenkulturen“ zu sein
(Vollbrecht 1995, S. 32). Es werden also nicht nur jugendkulturelle Schöpfungen wirtschaftlich
„ausgebeutet“, sondern die Jugendlichen werden auch ihrer „Ausdrucksmittel-zum-Anderssein“,
der klassischen Funktion jugendkultureller Stilschöpfungen, beraubt. „Vor dem Hintergrund einer
schleichenden Gewöhnung“ an immer neue Jugendkulturen und Stile, scheinen diese weitgehend
„entdramatisiert, gesamtkulturell normalisiert und damit veralltäglicht“ (Ferchhoff 1993, S. 41).
„Die Jugendkulturen sind trotz aller kommerziellen Einflüsse immer noch die kreativen Erfinder
von neuen Lebensstilen“ (Schröder 1998, S. 35). Wie schon vielfach erwähnt, haben klassen- und
schichtspezifische Gruppierungen dabei als Basis für Gemeinsamkeiten an Bindungskraft verloren,
sie bieten keine zuverlässigen Orientierungen mehr. Ebenso „haben sich die Ausdrucksformen der
modernen Jugendkulturen von solchen [klassen- bzw. milieuspezifischen, E.J.] Zugehörigkeiten
zunehmend abgekoppelt“ (Schröder 1998, S. 21). „(Lebens-)Stile“ sind heute aber weiterhin
Zeichen der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppierungen. „Ein Stil ist Teil eines umfassenden
Systems von Zeichen, Symbolen und Verweisungen für soziale Orientierung“ (Schröder 1998, S.
21).
Das Prinzip, durch das Jugend(sub)kulturen ihre Stile kreieren, ist folgendes: Sie nehmen die
Produkte, Symbole, Zeichen etc. der Massenkultur und formen ihre üblichen Bedeutungen um.
„Damit steckt hinter den Stilen aller auffälligen Subkulturen der primäre Sinn, einen
bedeutungsvollen
Unterschied
(und
parallel
dazu
eine
Gruppenidentität)
mitzuteilen“
(Diederichsen/Hebdige/Marx 1983, S. 93f, Hervorhebung im Original). Dieser Vorgang der
„Rekontextualisierung“ bestehender Objekte wird „Bricolage“ genannt (Baacke 1999, S. 218).
„Stil“ kann hier auch als Kommunikation zwischen den Mitgliedern bestimmter Gruppen
interpretiert werden. Da durch die „neuen“ Bedeutungen schon bestehender Objekte andere
39
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Botschaften vermittelt werden, kommt es des weiteren zu neuen gesellschaftlichen Diskursen, in
deren Folge es aber nicht nur zur „Klärung“ bestimmter neuer Bedeutungen kommt, sondern
gerade auch zu Konflikten, die zu einer (gewollten) Abgrenzung der beteiligten Gruppen bzw.
Jugend(sub)kulturen führen (Diederichsen/Hebdige/Marx 1983, S. 95). Dabei ist „Kleidung am
ehesten geeignet, Bricolagen durchzuführen (Baacke 1999, S. 218). Bestes Beispiel dafür ist der
Punk(-Stil). Der „Punk“ ging über bisherige jugendkulturelle Schöpfungen hinaus, weil er gezielt
„Schock-Elemente“ in sein Stilensemble einbrachte (z.B. die Verwendung des Hakenkreuzes,
obwohl Punks eigentlich eher „linksorientiert“ sind) (Baacke 1999, S. 218). Somit war es schwer
die Punks einzuordnen, da sie sich scheinbar aller gängigen Deutungsmuster entzogen
(Diederichsen/Hebdige/Marx 1983, S. 97ff ). Aber auch der Punk – entstanden Mitte der 70er Jahre
des 20. Jahrhunderts – erlebte eine konsumkulturelle Vereinnahmung und wurde weitgehend seiner
„Schock-Elemente“ beraubt. So findet man ehemals provokante Punk-Accessoires (z.B.
Nietengürtel, Doc-Martens-Stiefel etc.) heute in vielen Kaufhäusern zwischen anderen
Massenartikeln, die die ursprünglichen subversiven Bedeutungen nur noch erahnen lassen, aber
nicht mehr diese Wirkung erzielen. Es fand damit erneut eine Umdeutung von Objekten statt, die
die Punks ehemals selbst umgedeutet hatten, diesmal aber wieder von der „anderen Seite“
(Konsumindustrie). Das Neue daran ist also, dass nicht mehr nur die Jugend(sub)kulturen in den
Stilen der Massenkultur „wildern“, sondern auch umgekehrt die Massenkultur in den Stilen der
Jugend(sub)kulturen „wildert“, womit es sich nicht mehr nur um eine „Einbahnstraße“ handelt
(Hepp 1999, S. 228f). Dies ist wieder ein Hinweis auf die Verschmelzung von Jugend-,
Erwachsenen- bzw. Gesamtkultur und Konsumkultur. Durch diese Prozesse kommt es einerseits zu
einer „Vermassung von Stilen“, aber andererseits auch zu einer „Verfeinerung“ der Stile
„kleinerer“ Jugendkulturen, die sich wiederum aufspalten und diversifizieren (Thiele 1998, S. 58).
Auch in einem erweiterten Verständnis von Kultur als „Art und Weise der Lebensführung“, das
sich weniger auf die sachlich-materielle Seite der Gegenstände bezieht, sondern vielmehr auf ihre
Symbolik, ist hier ein klarer Zusammenhang zwischen „Jugend“ und „Kultur“ zu sehen. Die
„(jugend-)kulturelle Leistung“ liegt dabei z.B. weniger in der „Piercing-Perle auf der Zunge als
Gegenstand“, sondern in der in sie hineingelegten Bedeutung durch die Jugendlichen (Rohmann
1999, S. 13). Dieser Vorgang der Stilschöpfung durch Bricolage kann auch als eine Art
„jugendkulturelle Politik“ interpretiert werden.
Solche, für „normale Menschen“ scheinbar nicht zuzuordnende Stile (z.B. der erwähnte „Punk“),
sind genau das Interessante der jeweiligen Jugend(sub)kultur. Ihre nach außen scheinbar
„unordentliche Struktur“ ist konträr zu ihrer internen Struktur zu sehen, die durch „Ordentlichkeit“
gekennzeichnet ist (Diederichsen/Hebdige/Marx 1983, S. 105). So sehen z.B. „baggy pants“ (der
Schritt hängt bis zu den Knien) oder schief sitzende Schildmützen mancher Jugendkulturen für
Erwachsene bzw. für Nicht-Zugehörige „unordentlich“ aus, aber für die Beteiligten ist genau diese
40
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
„Unordentlichkeit“ das Ordentliche. Hierin liegt auch die Bedeutung der jugendkulturellen
Stilbildung: „Jeder Teil steht in einer organischen Beziehung zum anderen. Und eben durch diese
Stimmigkeit zwischen den Einzelteilen erfahren die Subkulturmitglieder die Welt als sinnvoll“
(Diederichsen/Hebdige/Marx 1983, S. 105). Diese stilistische Sinnstiftung der Jugend(sub)kulturen
kann in einer individualisierten und pluralisierten Gesellschaft, in der alles erlaubt ist und fast
nichts mehr schockiert, als noch bedeutender erachtet werden im Vergleich zu früheren
Jugendkulturen, denn Jugendkulturen versuchen dadurch eine „Ganzheitlichkeit von Erfahrungen“
zu erreichen, die einer fragmentierten Wirklichkeit gegenübersteht (Thiele 1998, S. 61).
Stile als „Geheimsprache“ der verschiedenen Jugendkulturen mit eigenen Zeichen und Symbolen
helfen auch den „Beteiligten in ihrer Abgrenzung gegenüber anderen“ (Schröder 1998, S. 21).
„Menschen, die sich weder mit Namen kennen noch sich je vorher begegnet sind, können von
einem Tag auf den anderen durch den Anschluß an ein Zeichenensemble, eine Veränderung ihrer
Haare, eine unter dem Gesäß hängende Hose eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe erreichen“ (Farin
2001, S. 88). Diese stilistische Abgrenzung ist also einerseits natürlich gegen die „vorhandenen
Mehrheitskultur, die für die jungen Menschen überwiegend die Kultur der Erwachsenen bedeutet“
(Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S. 20), gerichtet, aber andererseits auch innerhalb der
vielfältigen Jugendkulturen selbst zur Darstellung der Gruppenzugehörigkeit und darin wiederum
zur Repräsentation der eigenen Persönlichkeit. Wenn jemand „Stil“ hat, meint dies „nicht nur die
äußerliche Mode, sondern das gesamte Körperarrangement, das bewußt und unbewußt nach außen
projizierte Spiegelbild der im inneren des Körpers verborgenen oder vermuteten Persönlichkeit“
(Farin 2001, S. 99). „Die Bricolage über Mode und Stil bedeutet, daß die Oberfläche gültiges
Signum der Persönlichkeit wird – jedenfalls in (vielen) Jugendkulturen“ (Baacke 1999, S. 220).
Neben den verschiedensten Sprachstilen gibt es dabei „körperbezogene Ausdrucksformen“
(Kleidung,
Make-Up,
Tätowierungen,
Frisuren,
Tanzstile
etc.),
„raumbezogenen
Ausdrucksformen“ (Poster, Buttons, Musik etc.), „objektbezogene Ausdrucksformen“ (Graffiti,
Skateboarding etc.), „ereignisbezogene Ausdrucksformen“ (Love-Parade, Chaos-Tage etc.) etc., die
sich im Zuge der Ausweitung der Jugendkulturen wiederum weiter ausdifferenzieren (Schröder
1998, S. 21). „Jugendkulturen gewinnen also ihre Relevanz aus ihrer Funktion, Angebote für das
Bestreben zu machen, auf der einen Seite wie kein anderer sein zu wollen (‚ich möchte ich sein’),
auf der anderen Seite aber auch anderen ähneln zu wollen, es ihnen gleichzutun (‚Grundsatz ist
Gemeinsamkeit’ (...))“ (Rohmann 1999, S. 15). Manchmal ist diese Balance zwischen Darstellung
der eigenen Persönlichkeit und Integration aber verschoben, wodurch es einerseits zu einer „IchZentrierung“ kommen kann, andererseits aber auch zu „unhinterfragter Gleichheit“. So kann es
auch sein, dass Jugendliche sich zwar durch ihren Stil von anderen „unterscheidbar“ machen, sich
aber nicht ausgrenzen wollen. Sie werden „vielmehr von ihrer Umwelt ausgegrenzt“ (Thiele 1998,
S. 53). Die jugendkulturelle (Stil-)Vielfalt führt auch nicht immer zu einer „kulturellen
Bereicherung und Toleranz “, sondern kann durch eine überzogene Aufwertung der eigenen
41
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Gruppe und Abwertung anderer Gruppen somit nicht nur „Liberalität, Verstehen, Akzeptanz und
Geltenlassen von Andersartigem und Fremdheit zur Folge“ haben (z.B. rechtsradikale Skinheads)
(Ferchhoff 1993, S. 140).
Trotzdem übernehmen Jugendkulturen heute scheinbar Funktionen anderer, an Bedeutung
verlierender Sozialisationsinstanzen (z.B. Eltern, Kirche, Schule, Politik etc.). Der Ausgangspunkt
bleibt der gleiche: Es geht um Jugendliche, die sich in einer psychischen wie physischen
„Umstrukturierungsphase“ befinden. In dieser Phase werden neue Bezugssysteme neben der
Familie gesucht, um den Prozess der Ablösung von den Eltern voranzutreiben und gleichzeitig
Anerkennung und Akzeptanz in anderen Bezugsgruppen zu finden. Solche anderen Bezugssysteme
stellen die Gruppen der Gleichaltrigen bzw. die „peers“ dar. Die Gruppen der Gleichaltrigen sind
somit das „Fundament der Jugendkulturen“. Die Tendenz der Jugendlichen sich vor allem mit
Gleichaltrigen zu treffen, wurde besonders durch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht und
der damit verbundenen Organisation der Kinder und Jugendlichen in Jahrgangsstufen begünstigt.
Spätestens seit dem Wandervogel ist auch in der Freizeit der Jugendlichen ein Trend zur
„Separierung und Segregation von altershomogenen Gruppen“ festzustellen (Schäfers 1998, S.
183ff). Diese „Organisation“ schafft für die Gleichaltrigen gleiche bzw. ähnliche Verhältnisse des
Aufwachsens. Damit verbunden ist eine besondere Affinität ihrer „Gefühlslagen“, d.h. ihrer
Wünsche und Vorstellungen, aber auch ihrer Ängste und Zweifel, wodurch eine „gemeinsame
emotionale Basis“ geschaffen wird, die Voraussetzung ist für eine gegenseitige Einflussnahme der
Jugendlichen untereinander (Schröder 1998, S. 23). Die „peers“ sind dadurch zu „entscheidenden
Impulsgebern“ für die Lebensgestaltung der Jugendlichen geworden (Thiele 1998, S. 48). Brater
spricht von „der Gleichaltrigengruppe mit ihrer Subkultur“ als einer Art „Selbstschutz der
Jugendlichen“ (Brater 1997, S. 152, Hervorhebungen im Original). Hier können Jugendliche sie
selbst
sein,
relativ
abgetrennt
von
den
Problemen,
Leistungsanforderungen,
strikten
Verhaltensregeln etc. der Erwachsenen. Eine Sozialisation in „Eigenregie“ wird möglich (Rohmann
1999, S. 17). Hierbei muss man aber immer im Auge haben, wie eigenständig diese Sozialisation
abläuft, denn Jugendkulturen sind ja nicht von der Gesellschaft abgekoppelt (z.B. muss der
Einfluss der Konsumindustrie oder von gesamtgesellschaftlichen Problemen wie Arbeitslosigkeit
etc. auf die Jugendkulturen beachtet werden). Grundsätzlich scheint diese Art der Sozialisation für
die Jugendlichen aber sinnvoll, da die „Welt der Erwachsenen“ immer komplizierter und
unübersichtlicher wird. In diesem Zusammenhang können Jugendkulturen als „Formen der
subjektiv-sinnhaften Bearbeitung von deutungsbedürftigen Problemlagen verstanden werden“
(Dewe/Scherr 1995, S. 135). Zudem sind erwachsene bzw. ältere Vorbilder immer weniger
geeignet, da ihre Lebensführung im Zuge der heutigen Schnelllebigkeit in immer kürzeren
Halbwertszeiten veraltet. Jugendkulturelle Gleichaltrigengruppen bieten „bedürfnisgerechte“
Orientierungen und vermitteln eine gewisse Ordnung und Kontinuität in der „Unübersichtlichkeit“.
Sie können auch als Widerstand gegen die gesellschaftlichen Individualisierungs- und
42
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Pluralisierungsprozesse, als „jugendkultureller Ausweg“ gedeutet werden (Ferchhoff 1993, S. 108).
Schulze sieht hier auch gesamtgesellschaftlich einen paradoxen Zusammenhang zwischen der
„Individualisierung des Erlebens“ einerseits und der andererseits damit verbundenen „Explosion
der täglichen Erfahrungen von Kollektivität“ (Schulze 1997, S. 460). „Die Jugendkultur ist ein
Entwicklungsschritt auf dem Weg zur Selbstfindung, ambivalent, aber in vielen Fällen wohl die
entscheidende Stütze in der allgemeinen Auflösung der bisher geltenden Welt“ (Brater 1997, S.
152).
Jugendkulturelle Gleichaltrigengruppen als Stützte sind heute aber nicht mehr – wie noch zu
Beginn des 20. Jahrhunderts – nur für männliche Jugendliche relevant. Seither kam es allgemein –
wohl im Zusammenhang mit einer fortschreitenden Institutionalisierung von Bildung und
Erziehung – zu einem Anstieg der „quantitativen Bedeutung der Gleichaltrigengruppen unter
Jugendlichen“, zunächst vor allem bei Jungen, aber seit den 60er Jahren haben die Mädchen
„aufgeholt“ (Schröder 1998, S. 23). Die „peers“ sind heute auch für sie von ähnlicher Bedeutung
wie für männliche Jugendliche. Dennoch geben einige Studien Hinweise darauf, dass die
Intentionen, die mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gleichaltrigengruppe verbunden sind,
geschlechtsspezifisch immer noch unterschiedlich sind: Jungen suchen eher „Abenteuer und
Action“, Mädchen dagegen eher „Nähe und Geborgenheit“ (Schröder 1998, S. 38). Des weiteren
sind, allen Emanzipationsprozessen zum Trotz, hauptsächlich männliche Jugendliche die „Macher“
von Jugendkulturen, womit aber nicht gemeint ist, dass Mädchen in ihnen „hilflos“ sind (Schröder
1998, S. 38). Ein möglicher Grund für die „männliche Dominanz“ in Jugendkulturen kann auch der
Ort sein, an dem sich Jugendkultur heute oft abspielt: Auf der Straße. Die weibliche Sozialisation
unterliegt häufig noch einer stärkeren sozialen Kontrolle durch die Familie, wogegen Jungen meist
mehr Freiheiten haben. So zeigen männliche Jugendliche auch erfahrungsgemäß ein stärker
„extrovertiertes Raumverhalten“ als Mädchen, was bei Jugendkulturen, die sich auf der Straße
abspielen, von Vorteil ist (Thiele 1998, S. 54).
Damit soll ein Verweis darauf gegeben werden, dass bestimmte Jugend(sub)kulturen noch
geschlechtsspezifischen „Prägungen“ unterliegen – wie sich in den später folgenden Ausführungen
zur Skateboard-Szene noch zeigen wird – und in ihnen die unterschiedlichen „Geschlechtsbilder“
und damit verbundene Werte und Normen, oft auch unbewusst, weitergetragen werden. Im
Zusammenhang mit der Ausdehnung der Jugendphase führte dies dazu, dass die sogenannten
„Macher“ der Jugendkulturen, also diejenigen, welche die „entscheidenden Impulse“ setzen und
einen „Führungsanspruch“ in ihnen erheben, nicht nur vornehmlich männlich sind, sondern vor
allem auch aus den Reihen der Post-Adoleszenten stammen (Baacke 1999, S. 234). Allerdings
muss man rückblickend auf die Anfänge der Jugendkulturen auch sagen, dass z.B. die Anführer der
Wandervogelgruppen meist Post-Adoleszente waren und dies nicht nur eine Erscheinung der
letzten Jahrzehnte darstellt.
43
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Wie schon weiter oben erwähnt findet Jugendkultur heute vor allem in der Freizeit statt und nicht
(mehr) wie z.B. in Wynekens (Wunsch-)Vorstellung in der Schule. Dies ist auch verständlich, da
besonders die Schule, aber auch andere Institutionen immer stärker „pädagogisiert“ wurden.
Jugendliche befinden sich hier quasi in „Kontrollinstanzen“, in denen sie überwacht werden und
sich an die „Spielregeln“ der Erwachsenen halten müssen. Die Freizeit ist die Zeit, aber vor allem
der „Ort“, an dem man sich am ehesten dieser Kontrolle entziehen, gemeinsam mit anderen
eigenständige Handlungsfelder und –weisen erproben und gemeinsamen Interessen nachgehen
kann. „Da die Gestaltungsmöglichkeiten in der Schule und in der Berufsausbildung begrenzt sind,
bildet die Freizeit den Rahmen, in dem der Prozeß der Individualisierung stattfindet und sich
Identität und individueller Lebensstil entwickeln“ (Brettschneider 1993, S. 74). Gerade auch in der
„Erlebnisgesellschaft“ nimmt Freizeit einen hohen Stellenwert ein, da vor allem in ihr das „Projekt
eines schönen Lebens“ verfolgt werden kann (Schäfers 1998, S. 182). Dieses „Projekt“ steht
besonders in Zusammenhang mit Jugendkulturen und ihren Lebensweisen, aber auch Erwachsene
haben immer mehr Freizeit und gestalten diese auch im Zuge einer nun möglichen „retroaktiven
Sozialisation“ jugend(lichkeits)kulturell aus (Baacke 1999, S. 246). Hier zeigt sich auch wieder die
Verbindung von Jugendkultur und Konsumindustrie. Letztere produziert Güter, die vor allem
„jugendliche“ Freizeitinteressen ansprechen. Jugendkulturen werden dabei oft zu Konsumkulturen
gemacht und im Weiteren in die Erwachsenenkultur „überführt“ (Rohmann 1999, S. 10). Dabei ist
die „Vermarktung“ nach Ansicht Farins in allen modernen Jugendkulturen schon angelegt, da
„Konsum“ in ihnen ein „zentrales Anliegen“ ist (Farin 2001, S. 129). Gerade durch ihren Konsum(Stil) wollen sie sich vom „Mainstream“ absetzen, was sie aber wiederum anfällig macht für eine
kommerzielle Vereinnahmung von außen.
Der Kreislauf von Stilschöpfung, kommerzieller Vereinnahmung und erneuter jugendkultureller
Absetzversuche läuft heute in immer schnelleren Zyklen ab. Dies entspricht aber nur dem Trend
der Zeit, in dem Schnelllebigkeit ein dominantes Merkmal darstellt und nicht nur für Stile und
Moden zutrifft, sondern eben auch für Werte, Normen und Lebensweisen insgesamt. „Die Zahl der
gleichzeitig
nebeneinander
existierenden
Lebensstile,
Subkulturen
und
Moden
wächst
explosionsartig, denn die Trends und Moden von gestern verschwinden nicht mehr spurlos,
sondern leben im gewaltigen Meer der Kulturen auf weniger spektakulären Niveau fort, verändern
sich möglicherweise im Laufe der Jahre, vereinigen sich mit anderen Stilen zu etwas völlig Neuem
und warten darauf, daß die nächste große Welle sie vielleicht wieder mitreißt und an die Oberfläche
spült, während ein Großteil der Akteure von gestern heute schon wieder auf anderen Wellen ihre
Abenteuer suchen“ (Farin 2001, S. 20). Jugendliche sind „anfällig“ für Neues, da sie in ihrer
Identität noch nicht gefestigt sind. Sie erhoffen sich, vielleicht im nächsten Stil den Ausdruck ihrer
unverwechselbaren Persönlichkeit zu finden, da der gegenwärtige Stil nicht mehr im Trend (der
Medien, der Freunde etc.) liegt. Was ist aber der neue Trend? Was ist als nächstes „hip“? Was ist in
der Vielfalt der Angebote nur ein „Hype“? Das herauszufinden gestaltet sich immer schwieriger
44
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
und zwar nicht nur für die Trend-Scouts der Konsumindustrie, sondern auch für die Jugendlichen
selbst. Es hat sich gezeigt, „daß heute der Anschluß an Jugendkulturen eher situativ erfolgt, als
‚kurzfristig wirkender Stimulus eines reizvoll erscheinenden Arrangements, aufgrund der
Orientierung an Freunden [...]’“ (Vollbrecht 1995, S. 33). Viele Jugendliche kommen an den
„Kern“ von Jugendkulturen, sofern es denn (bei einigen) noch einen gibt, gar nicht mehr heran.
Jugendkulturen wurden bzw. werden im Zuge der „Vermassung“ oberflächlicher, was einhergeht
mit der schon mehrmals erwähnten Ästhetisierung des Alltags und der Schnelllebigkeit
jugendlicher (Handlungs-) Stile. Inhalte (z.B. Kampf für eine bessere Gesellschaft) verflüchtigen
sich bzw. werden schnelllebig und diffus. „Es scheint nicht mehr möglich, Gegenentwürfe und
subkulturelle Abgrenzungen als geschlossenes, fest gefügtes und auf lange Zeit praktiziertes
Muster zu entwickeln“ (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S. 20). Die „Multioptionalität“
führt dazu, dass man immer weniger Zeit hat sich mit einer Sache eingehender zu beschäftigen
(Janke 1995, S. 136). Spaß und Vergnügen mit Gleichgesinnten stehen scheinbar im Vordergrund,
ohne dass dabei längerfristige Verpflichtungen eingegangen werden. Immer mehr Jugendliche
„praktizieren“ mehrere Stile gleichzeitig, meist aber eben nur oberflächlich (Jugendwerk der
Deutschen Shell 1997, S. 21). Das Schlagwort heißt „Cross Culture: Ein bißchen davon, ein
bißchen hiervon, heute dies, morgen das, tagsüber eifriger Schüler, abends cooler Rapper, montags
bis freitags geregelte Arbeit, am Wochenende raven bis zum Austrocknen – vielschichtiger,
verschachtelter, widersprüchlicher, undurchsichtiger, wechselhafter, fluktuierender wird das Spiel
mit Stilen und Selbstinszenierungen“ (Rohmann 1999, S. 19). Dies ist auch kaum verwunderlich,
wenn die traditionellen Jugendkulturen veralten und Inhalte austauschbar werden. Der Druck, in
der Vielfalt der Angebote etwas zu verpassen, ist groß, eine Art „Freizeitstress“ breitet sich aus.
Dennoch kann in diesen vielfältigen Ausgestaltungen jugendlicher Lebensweisen immer noch ein
„Gegenwelt-Charakter“ entdeckt werden, aber eben nicht mehr im traditionellen Sinn: „Gegenwelt
bedeutet [...] nicht mehr einen geschlossenen Gegenentwurf gegen die heutige Gesellschaft,
sondern ein Gegengewicht gegen die schwieriger gewordene Situation im Leistungs- und
Anforderungsbereich, z.B. in der Schule, im Studium oder im Betrieb und gegen die
wahrgenommene Unsicherheit der gesellschaftlichen und biografischen Zukunftsperspektive“
(Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S. 21). Daher muss meines Erachtens den Jugendkulturen,
trotz vielfacher „Verwässerungen“ durch Erwachsenen- und Konsumkultur immer noch eine
Eigenständigkeit zugestanden werden. Waren z.B. in den 60er Jahren Systemveränderung und
Protest die Ziele bzw. Mittel der Jugendkulturen, wird heute der Weg zur Problembewältigung
eben durch die Hinwendung zu Spaß und Vergnügen zu erreichen versucht.
Rückblickend auf die bisherigen Ausführungen zu Jugendkulturen ist eines offensichtlich:
Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und Jugendkulturen stehen in enger Verbindung und
haben, stärker als früher, Einfluss aufeinander. Mit der „Ausdehnung der Jugend“ seit Beginn des
20. Jahrhunderts hat sich die Jugendkultur zu Jugendkulturen ausgeweitet. Die gestiegene Pluralität
45
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
in allen Lebensbereichen (Alltag, Wissenschaft etc.) wirkt sich also auch hier aus. Schon die
Begriffsvielfalt macht dies deutlich: Teilkultur, Gegenkultur, Subkultur, Jugendsubkultur oder
einfach nur Jugendkultur? Alle Begriffe erfassen nur Teile des „Ganzen“, das aber selbst wohl
nicht vollständig erfassbar ist. Für mich macht der Begriff „Jugendkultur“ dabei am meisten Sinn.
Er weist darauf hin, dass es sich um ein Ausdrucksverhalten handelt, das zumindest ursprünglich in
jugendlichen Gruppierungen entstanden ist und damit eine gewisse Eigenständigkeit impliziert.
Des weiteren sind Jugendkulturen dadurch gekennzeichnet, dass hauptsächlich junge Menschen die
Träger dieser Kulturen sind. „Kultur“ muss dabei in einem neuen Zusammenhang gesehen werden,
dem neue Dimensionen (z.B. auch Populär-, Massen-, Trivialkultur etc.) zugeteilt sind. Allerdings
ist die Unterscheidung auch schwierig geworden, weil durch die kommerzielle Durchdringung aller
Bereiche oft nicht mehr festgestellt werden kann, ob es sich noch um Jugendkulturen oder schon
um Konsum-, Freizeit- oder Erwachsenenkulturen handelt. Auch der Jugendsubkulturbegriff ist
noch bedeutend, aber auf Grund des Ineinanderfließens der verschiedenen gesellschaftlichen
Bereiche und der damit verbundenen „allseitigen Liberalität“ sind die subversiven Elemente der
Jugendkulturen seltener geworden bzw. sie werden nicht mehr als solche wahrgenommen. Deshalb
würde ich auch die Jugendsubkulturen unter den allgemeinen Begriff der „Jugendkulturen“
subsumieren. Jugendkulturen sind damit einmal mehr, einmal weniger progressiv oder konservativ,
mehr oder weniger in die Gemeinschaft integriert, in Übereinstimmung oder in Diskrepanz mit den
gesamtgesellschaftlichen Werten und Normen, meist aber als Abgrenzungsversuch (durch Stile,
Musik, Moden, Medien etc.) gegen Eltern, Traditionen etc. zu sehen. Allerdings darf die
jugendkulturelle Abgrenzung nicht als Negation der Elterngeneration verstanden werden, sondern
(meist) als Mischung aus Unabhängigkeit von den Eltern und Identifikation mit ihnen. Trotz
vielfältiger Individualisierung, Pluralisierung und damit verbundener Strukturauflösung ist die
Wahl von Jugendkulturen letztlich nicht vollends beliebig. So haben Soziallage, Bildung,
emotionale Entwicklung und weitere soziologische Faktoren weiterhin Einfluss auf die
Zugehörigkeit zu jugendkulturellen Gruppen, aber im Vergleich zu früher ist ihr Einfluss weniger
bedeutend.
Einerseits muss das kreative Potential der Jugendkulturen anerkannt werden. Jugendkultur ist
meines Erachtens mehr als „Äußerlichkeit“, denn diese Äußerlichkeit ist nur die Oberfläche unter
der tiefersitzende Bedeutungen liegen (können). Diese Bedeutungen werden über Stile, Moden
oder bestimmte Verhaltensweisen durch die Jugendlichen aktiv hergestellt und repräsentiert, oft
auch unbewusst. Andererseits muss ebenfalls ihre Ambivalenz gesehen werden, wenn sie z.B. zwar
eine Unterstützung der Jugendlichen bei vielfältigen Problemen sind, aber diese auf Abwertung
anderer Gruppen, auf kriminellen Verhaltensweisen etc. beruht (z.B. rechtsradikale Gruppierungen,
Diebesbanden etc.). Jugendkulturen können Orte sein, an denen junge Menschen ein positives
Lebensgefühl vermittelt bekommen, an denen sie soziale Kompetenzen erlangen und (Lern)Erfahrungen in den verschiedensten Bereichen (sozial, emotional, kognitiv etc.) sammeln können,
46
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
aber auch Orte, an denen Resignation herrscht, Gefährdungsquellen (Drogen, Gewalt etc.) lauern
und sie dementsprechend negative Erfahrungen machen können. Somit sind Jugendkulturen keine
Idealform jugendlicher Gesellung wie noch in Vorstellungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch
sie sind in der (krisenhaften) Realität angekommen bzw. waren schon immer in sie eingebunden
und bieten damit keine „Insel der Erholung“, auf der „stabile Verhältnisse“ herrschen. Aus
pädagogischer Sicht wären hier Hilfsangebote angebracht, welche jedoch immer weniger greifen,
da die Institutionen (Schule, Kirche, Eltern, Jugendverbände, Politik etc.), die diese Hilfe
vermitteln
sollen,
immer
mehr
an
Einfluss
verlieren.
Dagegen
gewinnen
andere
Sozialisationsinstanzen („peers“, Medien, Konsummarkt etc.) immer mehr an Bedeutung.
Jugendkulturen sind demnach auf einer informellen Basis anzusetzen. Das macht sie für viele
Jugendliche offen und anschlussfähig, aber eben auch offen für jegliche Art der Beeinflussung
(z.B. Konsummarkt, rechte Propaganda etc.). Des weiteren ist fraglich, ob nach der Ausdehnung
der
Jugendphase
und
dem
Bedeutungsgewinn
jugendkultureller
Lebensstile
bis
ins
Erwachsenenalter ein „erzieherisches Eingreifen“ (zumindest im traditionellen Sinn über
Institutionen) überhaupt möglich bzw. legitim ist. (Darauf, inwiefern ein „pädagogischer Zugriff“
auf die Skateboard-Szene möglich ist, werde ich später zurückkommen.)
Trotz oder gerade wegen des oben Angeführten erscheint mir der Begriff „Jugendkultur(en)“
zutreffend.
2.5 Szenen als Kristallisationspunkte heutiger Jugendkulturen
Es wurde im vorherigen Teil schon angedeutet, dass sich im Zuge der gesellschaftlichen
Pluralisierung und mit dieser in Wechselwirkung stehender Prozesse, eine unüberschaubare Anzahl
verschiedenster jugendkultureller Lebensstile und –formationen entwickelt hat. Nicht nur immer
neue (Lebens-)Stile entstehen, sondern alte bleiben erhalten und aus ihnen entwickeln sich
wiederum neue (Ferchhoff 1993, S. 87). „Yuppies“, „Negos (nette Egozentriker)“, „Schicki
Mickis“, „Proller“, „Punks“, „Rocker“, „Junkies“, „Hools“, „Hip-Hopper“, „Trendsurfer“,
„Skater“, „Sprayer“, „Grufties“, „Psychchobillys“, „Teds“, Stadtindianer“, „Stinos“ (Stinknormale)
sind Einordnungsversuche jugendkultureller Gruppierungen, zu denen es noch vielfache
Ausdifferenzierungen und Unterordnungen gibt (Baacke 1999, S. 41ff). Die verschiedenen
jugendkulturellen Gesellungs- und Organisationsformen werden heute als Cliquen, Gangs,
Stämme, Crews, Posses etc. bezeichnet. In der wissenschaftlichen Betrachtung hat sich besonders
der Begriff der „Szene“ für jugendkulturelle Gesellungsformen etabliert, da er die
„Strukturveränderungen“ der Gleichaltrigengruppen, „insbesondere infolge der Verbreitung neuer
Medien, eines mehrdimensionalen Mobilitätszuwachses und der (damit einhergehenden) Loslösung
von traditionalen und lebenslagenspezifischen Bindungen“, berücksichtigt (Hitzler 2001, S. 19).
47
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Obwohl Szenen „sozialhistorisch ein neuartiges Phänomen“ sind (Schulze 1997, S. 464), ist der
Begriff an sich nicht neu, jedoch wurde „mit ihm noch in den 80er Jahren ein subversiv-diffusquerköpfiger Untergrund bezeichnet“ (Janke 1995, S. 17). Im Zuge der gesamtgesellschaftlichen
Individualisierungs-
und
Pluralisierungsprozesse
kam
es
zu
einer
„Verwässerung“,
„Ästhetisierung“ und Ausweitung von Jugendkulturen und in deren Folge zu einer „Verszenung“
(Hitzler 2001, S. 10), d.h. einer Aufteilung in viele verschiedene Szenen, die nicht mehr unbedingt
durch subversive Elemente zu kennzeichnen sind. „Es existiert nicht mehr die Jugendkultur, die nur
rechts oder links, liberal, grün oder demokratisch ist, weil eine Vielzahl von individuellen,
veränderbaren Motivationen in den verschiedenen Szenen relevant sind“ (Thiele 1998, S. 50).
Janke bezeichnet Szenen sogar als „die Gesellschaftsordnung der 90er Jahre“ (Janke 1995, S. 17).
Traditionelle Bindungen z.B. an Vereine, politische Parteien, kirchliche Verbände, bestimmte
Milieus bzw. Schichten etc. verlieren in einer Zeit, die geprägt ist durch Schnelllebigkeit,
Multioptionalität, Angst vor längerfristigen Verpflichtungen etc., immer mehr an Bedeutung.
Szenen entsprechen eher dem gegenwärtigen „Zeitgeist“ der „Erlebnisgesellschaft“: Sie beruhen
auf Freiwilligkeit, bestimmten individuellen Interessen und Wertvorstellungen, ihre Basis ist die
Freizeit und die in ihr stattfindenden Aktivitäten; die Mitgliedschaft in einer Szene schließt nicht
gleichzeitig die Partizipation in anderen Szenen aus; darüber hinaus bieten sie, wie andere
Gesellungsformen auch, Raum für soziale Kontakte und für das – immer noch vorhandene –
Bedürfnis nach Gemeinsamkeit. Dabei schaffen sie neue Strukturen, die nicht mehr unbedingt im
Zusammenhang mit sozialer und lokaler Herkunft oder Bildungsstand zu sehen sind (Janke 1995,
S. 17). Dennoch bezieht sich der Szenebegriff mancher Autoren vorwiegend auf örtliche Aspekte.
So bezeichnet Schröder die „Anhänger eines Lebensstils in einem regional begrenzten Raum“ als
jugendkulturelle Szene (Schröder 1998, S. 18). Meines Erachtens impliziert der Begriff der Szene
sowohl regionale wie auch überregionale Gesichtspunkte. Einerseits kann „Szene“ also auf eine
kleine Gruppe von Leuten in einem begrenzten Gebiet referieren, andererseits sind durch die
Mediatisierung und Globalisierung überregionale, sogar internationale Szenen entstanden. Janke
unterscheidet diese zwei Bereiche in „Szene“ und „Szene-Cliquen“, wobei die Szene-Clique eine
„Teilmenge der Gesamtszene“ darstellt (Janke 1995, S. 21). Die gestiegene Mobilität, besonders
auch die der Jugendlichen (z.B. durch Schüler- und Studententickets, eigene Autos, Bahn, günstige
Flugtickets etc.), unterstützt zusätzlich die Ausdehnung von örtlichen zu regionalen, zu
überregionalen Szenen. „Jugendkultur verliert ihre lokale Angebundenheit“ (Janke 1995, S. 19),
aber dennoch steht sie oft auch in Zusammenhang mit ganz bestimmten Orten, wie sich später noch
zeigen wird.
In einer Definition von Hitzler sind Szenen demnach „thematisch fokussierte kulturelle Netzwerke
von Personen, die bestimmte materiale und/oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung
48
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabilisieren
und weiterentwickeln“ (Hitzler 2001, S. 20).
Dabei erfüllen Szenen für ihre Mitglieder bestimmte Funktionen. Wie oben schon erwähnt ordnen
sie durch die Vermittlung bestimmter Werte-, Konsum- und Lebensstilangebote „eine immer
unübersichtlicher werdende Welt in homogene Sinnsysteme“, die den Individuen Orientierung
geben sollen (Janke 1995, S. 29). Durch Interaktion und Kommunikation mit anderen
Szenemitgliedern entwickeln sich die (szene-)spezifischen Werte, Normen, Handlungs- und
Umgangsweisen, wobei jeder gleichzeitig „Zuschauer und Darsteller“ ist (Schulze 1997, S. 466).
Sie fördern dadurch einerseits die Gruppenidentität und andererseits die Ausbildung der
individuellen Mitgliederidentitäten (Janke 1995, S. 20). Über Kommunikation und Interaktion, bei
der es um den Gebrauch typischer Zeichen, Symbole und Rituale geht – Schulze spricht dabei von
der Szene als „kognitivem Durchlauferhitzer“ (Schulze 1997, S. 466) – , schaffen sich die Szenen
selbst immer wieder neu. „Auf diese Weise ist sichergestellt, daß alltagsästhetische Schemata auf
der Ebene der Bedeutungen (Genuß, Distinktion, Lebensphilosophie) auch dann stabil bleiben,
wenn immer wieder alte Zeichen durch neue übermalt werden“ (Schulze 1997, S. 467). Dies ist
auch nötig, da Szenen äußerst dynamische Gebilde darstellen, die die Bedürfnisse ihrer Mitglieder
in der sich ständig wandelnden (Erlebnis-)Gesellschaft befriedigen sollen.
In relativ schicht- bzw. milieuneutralen Szenen kommt es hierbei zu einer „kommunikativen
Erzeugung gemeinsamer Interessen“, da Kategorien wie Klasse, Milieu, Alter etc. immer weniger
Grundlage dafür sind. (Hitzler 2001, S. 21). Diese „gemeinsamen Interessen“ stellen den Kern dar,
um den herum sich das Szene-Leben abspielt. „Alle anderen Lebensbereiche und Belange treten
zwar nicht grundsätzlich in den Hintergrund, werden aber in der Regel sozusagen ‚um das Leben in
der Szene herum’ organisiert“ (Hitzler 2001, S. 216). Szenen setzen sich also aus Individuen
zusammen, die die Vorliebe für ein bestimmtes Thema (z.B. Skateboarding, Hip-Hop, TechnoMusik etc.), oft sehr extensiv, teilen. Diesem „Thema“ wird sowohl individuell als auch gemeinsam
in der (Szene-)Gruppe nachgegangen und man kann sich so neue, szenetypische Kenntnisse bzw.
Fertigkeiten aneignen (z.B. kann man alleine skaten oder zusammen mit anderen und hierbei neue
Tricks lernen), aber die Szene konstituiert sich erst in der gemeinsamen „Kommunikation darüber
bzw. in der darauf basierenden Interaktion“ (Hitzler 2001, S. 23). Dadurch setzt eine „szenische
Stabilisierung“ ein: „Je häufiger ein Mensch zu verschiedenen Zeiten und Orten ähnliche
Grundtypen von Publika [Schulze meint damit z.B. eine Gruppe von Menschen, die einen
bestimmten Konsumstil teilen, E.J.] erlebt, desto mehr wird er zu alltagssoziologischen
Abstraktionen angeregt, zur Bildung von Kollektivbegriffen, zu Wirklichkeitsmodellen, die auf den
Publikumserfahrungen aufbauen“ (Schulze 1997, S. 463).
Die „Szenen-Intensität“, d.h. der Grad der Zusammengehörigkeit der Mitglieder, kann hier sehr
verschieden ausgeprägt sein, was kaum verwunderlich ist, da sich Jugendliche heute oft in
49
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
mehreren Szenen aufhalten, aber mit unterschiedlich großem Engagement (Janke 1995, S. 20).
Dabei ist die Szene-Intensität in den lokalen bzw. regionalen „Szene-Cliquen“ meist stärker
ausgeprägt, weil sich die Mitglieder oft persönlich kennen und regelmäßig treffen, was aber
angesichts
der
gestiegenen
Mobilität
und
der
zunehmenden
Bedeutung
neuer
Kommunikationsmedien bzw. -möglichkeiten immer mehr auch auf überregionale Szenen zutrifft
(Janke 1995, S. 21). Verbunden mit der Szene-Intensität ist auch das Ausmaß der individuellen
Bedeutung der jeweiligen Szene für ihre Mitglieder. So bezieht sich die Szeneidentität für manche
Teilnehmer auf fast alle Lebensbereiche und Tageszeiten (z.B. Punks), wohingegen manche Szenen
reine „Wochenend-Szenen“ darstellen (z.B. bestimmte Mitglieder der Techno-Szene). „Gemeinsam
ist aber allen szeneförmigen Gebilden, daß sie kaum (alle) Lebensbereiche und Lebenssituationen
übergreifende Gewissheiten vermitteln bzw. Verbindlichkeit beanspruchen ...“ (Hitzler 2001, S.
21). Dennoch muss ihr Einfluss vergleichsweise hoch eingestuft werden: „Eine repräsentative
Befragung von fünfhundert 14- bis 22jährigen ergab, daß über 70 Prozent bei der Berufswahl
entscheidend von der Meinung der eigenen Szene oder Clique beeinflußt wurden und werden.
Dagegen legten nur 35 Prozent Wert auf das Urteil ihrer Eltern“ (Janke 1995, S. 22). Dies ist umso
interessanter, da Szenen im Vergleich zu anderen (traditionellen) Institutionen (Familie, Schule,
Parteien etc.) sehr „labile Gebilde“ darstellen (Hitzler 2001, S. 23). Aufgrund der freiwilligen
Teilnahme kann man eigentlich jederzeit aussteigen (Achtung: neonazistische oder ähnlich
organisierte Szenen bilden eine Ausnahme), das Szenethema ist im Grunde die einzige Schnittstelle
– weitere folgen meistens mit längerer Verweildauer in einer Szene – und dieses ist oft nur zu
bestimmten Zeiten für die Mitglieder relevant (z.B. beschränkt sich die Techno-Szene meist auf
Abendveranstaltungen).
Auf Grund dieser „Labilität“ sind Orte wichtig, an denen sich die Szenen treffen können. Schulze
verweist darauf, dass Szenen Personen voraussetzen, „die zur gleichen Zeit am gleichen Ort
zusammenkommen“ (Schulze 1997, S. 463). Die Treffpunkte sind die Orte, an denen die
Szenekultur entsteht und sich „fortpflanzt“, da hier die Mitglieder interagieren, stilisieren und die
jeweilige Kultur modifizieren können. Hierbei spielt es oft keine Rolle, ob die betreffenden Orte
speziell für die Szenen geschaffen wurden oder ob die Szene sie quasi zweckentfremdet (z.B.
öffentlicher Platz wird von Skatern als „Skatepark“ genutzt) – dies ist zum Teil von den Szenen
sogar so gewollt (Hitzler 2001, S. 217). Die Szenegänger kennen die verschiedenen Orte genau,
wissen wer, wann und wo anzutreffen ist. Dies gilt zumindest für die lokalen, vielleicht noch für
die regionalen Szenen. Ausschlaggebend ist aber, auch wenn jemand keine anderen
Szenemitglieder persönlich kennt (z.B. wenn man in eine fremde Stadt kommt), dass man Orte
kennt, an denen es wahrscheinlich ist auf Gleichgesinnte zu stoßen. So ist es auch möglich in einer
fremden Umgebung ein Gefühl von „Sicherheit“ und Gemeinsamkeit zu erfahren und vor allem
Orientierung, da man ja „unter sich“ ist. Somit kann es auch hier zu Interaktionen kommen, die die
Szenekultur befördern. Über die typischen Szenetreffpunkte hinaus spielen die an bestimmten
50
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Orten stattfindenden „Events“ eine wichtige Rolle. Events sind Veranstaltungen, die die Szenen
selbst ausrichten und die in verdichteter Form (ganz bestimmter Ort, ganz bestimmte Zeit, anders
als sonstige Szenetreffpunkte) sich dem Szenethema widmen. Meistens beinhalten sie auch noch
ein Rahmenprogramm (z.B. Konzert). Hier kann eine Verfestigung des Szenelebens stattfinden:
Szenemitglieder treffen auf andere Gleichgesinnte, wodurch es, je nach Größe des Events, zu
Interaktionen zwischen verschiedenen lokalen, regionalen und überregionalen Mitgliedern kommen
kann; den „Außenstehenden“ eröffnet sich ein leichter Zugang zur jeweils szenespezifischen Kultur
und damit eine Informationsebene und „Einstiegsmöglichkeit“. Aber die „zumindest latente
Funktion [...] eines Events ist die Aktualisierung, Herstellung und Intensivierung von Wir-Gefühl“
(Hytzler 2001, S. 26).
In der selben Szene bestehen aber zwischen den Mitgliedern Differenzierungen und das trotz eines
übergreifenden Wir-Gefühls und diverser Gemeinsamkeiten, die die Mitglieder in ihren Szenen
erfahren und die sie besonders von Nicht-Mitgliedern unterscheidet. Die Szenen unterteilen sich
also wiederum in verschiedene Personengruppen, denen unterschiedliche Bedeutungen zukommen.
Hitzler hat das „Interaktionsgeflecht Szene“ genauer untersucht und die diversen Gruppen der
Szeneteilnehmer kategorisiert, wobei auch hier die Übergänge zum Teil fließend sind und dies
nicht nur in Bezug auf die eigene Szene, sondern auch auf andere (ähnliche) Szenen. Szenen sind
somit nicht strukturlos, sondern stellen „interaktive Netzwerke“ dar (Hitzler 2001, S. 212ff,
Hervorhebungen im Original):
Um die Szene herum bewegt sich ein mehr oder weniger großes „Publikum“, das sich
unterschiedlich stark für das Geschehen innerhalb der Szene interessiert (Hitzler 2001, S. 212). So
kann es sein, dass ein Publikum nur zufällig an bestimmten Szene-Ereignissen teilnimmt (z.B.
zufälliges Vorbeikommen an einem Szenetreffpunkt, Fernsehsendung etc.) oder aber, dass schon
ein gewisses Interesse an bestimmten Szene-Aktivitäten besteht und gezielt die Nähe von Szenen
gesucht wird ohne aber schon zur Szene dazu zu gehören (z.B. Besuch einer Szeneveranstaltung).
Je mehr sich jemand aus dem Publikum für die Szene interessiert und je regelmäßiger und
intensiver die Teilnahme (z.B. durch gezieltes Aufsuchen von Szene-Treffpunkten, veranstaltungen, durch Magazine etc.) an einer Szene ausfällt, desto näher rückt man an den
„Szenekern“ und steigt quasi in die Szene ein. Der Unterschied zwischen Publikum und Szene ist
aber konstitutiv, da er die Besonderheit der Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit begründet. Eine
„erkennbare Identifikation mit szenischer Kultur schließlich ist die Eintrittskarte zum Szenekern“
(Hitzler 2001, S. 215, Hervorhebung im Original). Hitzler spricht von denen, die um den Szenekern
„kreisen“, als „Szenegänger“ (Hitzler 2001, S. 213). Sie stellen die idealtypischen Repräsentanten
der jeweiligen Szene dar, da sie die jeweilige Szene-Kultur (Lebensstil, Verhaltensweisen, Motive,
Einstellungen, Aktivitäten etc.) leben und weitergeben. Sie besitzen die Fähigkeit zur
szenespezifischen Stilisierung und zum kompetenten Gebrauch von szenetypischen Zeichen,
51
Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
Symbolen und Verhaltensweisen. Wichtig hierbei ist auch, dass die Akteure selbst sich als
authentisch empfinden. Diejenigen, die diese Authentizität nicht „besitzen“, werden von den
Szenemitgliedern erkannt und für sie haben die jeweiligen Szenen auch ihre eigenen Begriffe (z.B.
bei Skatern gibt es die „Poser“, die nur der Kleidung und des Skateboards wegen glauben dazu
zugehören). Sie werden meist auch nicht als Mitglieder anerkannt. Für das außenstehende
Publikum wird es allerdings sehr schwierig zwischen authentischen Szenegängern und
„Mitläufern“ zu unterscheiden, da ihnen das szenespezifische Wissen fehlt. Quantitativ betrachtet
stellen die Szenegänger den größten Teil der Szene dar. Bezüglich der qualitativen Bedeutung
(Reproduktion, Stabilisierung, Weiterentwicklung der Szene (-kultur)) ist eine andere, zahlenmäßig
wesentlich kleinere Gruppe ebenso bedeutend: Die „Szene-Elite“ (Hitzler 2001, S. 213). Sie
erbringt „funktional notwendige Leistungen für die Szene“ (z.B. Herausgabe von Fanzines,
Organisation von Veranstaltungen, Demonstration bestimmter Fähigkeiten etc.) und erhält damit
eine hierarchisch höhere Position in der Szene, mit der bestimmte Privilegien (z.B. freier Eintritt zu
Veranstaltungen, verbilligte bzw. kostenlose Ausstattung mit bestimmten Produkten) verbunden
sind (Hitzler 2001, S. 213). Die Mitglieder der Szene-Eliten – an anderer Stelle von Hitzler auch
„Organisationseliten“ genannt (Hitzler 2001, S. 27) – bestehen meist aus langjährigen
Szenegängern. Sie kennen sich sehr gut aus in der Szene, bringen neue Impulse ein und sind auch
diejenigen, die die kommerziellen Chancen (z.B. die Organisation von Events) nutzen. Durch sie
werden die überregionalen Kontakte zu anderen Szenen hergestellt, wodurch wiederum eine
Netzwerk der Szene-Eliten entsteht (Hitzler 2001, S. 27). In Bezug auf jugendkulturelle Szenen ist
auffällig, dass, wie schon erwähnt, meist Post-Adoleszente oder sogar noch ältere Personen die
„Führung“, also die Szene-Elite darstellen. Hier zeigt sich der Vorteil des Szene-Begriffs z.B.
gegenüber dem Begriff der Peergroup, da er sowohl Gleichaltrigengruppen berücksichtigt als auch
Personen, die dem Alter nach zwar als erwachsen gelten, aber von sich selbst oft noch ein
jugendliches Verständnis haben. Im Zusammenhang mit der Szene-Elite gibt es noch zwei weitere
Gruppen, die sich in der Nähe des Szenekerns aufhalten, aber nicht ausschließlich der jeweiligen
Szene zuzuordnen sind: Zum einen die „Friends“ bzw. der „Freundeskreis“ (Hitzler 2001, S. 28),
zumeist, wie der Name schon sagt, Freunde und Bekannte der Szene-Elite, die „zwar punktuell für
mancherlei Hilfeleistungen aktivierbar“ sind, aber auch „in nicht unerheblichem Umfang
‚durchgefüttert’“ werden, d.h. beispielsweise, dass sie freien Eintritt zu Szeneveranstaltungen
erhalten (Hitzler 2001, S. 214). Zum anderen gibt es Personen, die „unterschiedlichste materielle
Leistungen (z.B. Zulieferer, Sponsoren) oder Vermittlungsleistungen (z.B. außerszenische
Medienvertreter) erbringen“ (Hitzler 2001, S. 214) und deswegen mit bestimmten Privilegien durch
die Szene-Elite ausgestattet werden.
In den vorherigen Ausführungen mag vielleicht der Eindruck aufgekommen sein, dass Szenen
streng hierarchisch um den Szenekern gegliedert und unter der Führung einer Szene-Elite
organisiert sind, was aber nicht der Fall ist bzw. sein muss. In Szenen gibt es oft mehrere Gruppen
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Jugend und Jugendkulturen – Was ist das?
von Szene-Eliten, um die sich jeweils spezifische Gruppen von Szenegängern – meist in SzeneCliquen organisiert –, Szene-Publikum und „Friends“ bewegen. Dies ist auch im Zusammenhang
mit der örtlichen Ausdehnung der jugendkulturellen Szenen zu sehen, d.h. ob es sich um lokale,
regionale, überregionale oder um internationale Szenen handelt. Szenen setzen sich also (meistens)
aus mehreren, größeren und kleineren Szene-Netzwerken (z.B. die diversen Crews und Posses einer
Stadt, die überregional agierenden Szene-Event-Veranstalter, internationale Szene-Ikonen etc.), aus
eigentlich eigenständigen Gruppen, die sich für andere mit gleicher bzw. ähnlicher Interessenlage
öffnen, zusammen (Hitzler 2001, S. 25ff).
53
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
3
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Trotz dieser relativen Offenheit von Szenen ist es nicht so einfach in sie einzusteigen. Szenen
haben ihre jeweiligen „Besonderheiten“, die die Szenemitglieder kennen bzw. die Szeneeinsteiger
kennen (lernen) müssen. Im Folgenden werde ich auf die „Besonderheiten“ der Skateboard-Szene
eingehen, wobei auch hier klar sein muss, dass diese Szene an sich schon wieder so heterogen ist
(z.B. bzgl. der verschiedenen Stile innerhalb der diversen (örtlichen) Skateboard-Szenen), dass eine
Beschreibung oft auf Verallgemeinerungen hinauslaufen wird und „daß die Dynamik jugendlicher
Szenen ihrer wissenschaftlichen Analyse immer mehrere Schritte voraus ist“ (Schwier 1998a, S. 7).
3.1 Überblick über die Geschichte des Skateboardings
Bevor ich nun aber genauer auf die jugendkulturelle Szene der Skateboarder eingehe, möchte ich
einen Einblick in die Geschichte des Skateboardings geben. Auch an Hand dieses Überblicks soll
deutlich werden, dass Skateboardfahren vor allem ein jugendspezifisches Phänomen ist, das aber
ebenso wie alle anderen Jugendkulturen eine ambivalente Entwicklung, vor allem bezüglich einer
kommerziellen Vereinnahmung, zusammen mit den gesamtgesellschaftlichen Veränderungen
durchgemacht hat bzw. immer noch macht.
Im Skateboarding gibt es nicht wie in manchen anderen Bereichen eine bestimmte Persönlichkeit,
mit der alles begann, jemand, der sozusagen das Skateboard erfunden hat. Die Geschichte des
Skateboards und des Skateboardfahrens muss als eine „Art Evolution“ gesehen werden (Seewaldt
1990, S. 7).
Schon immer hatten Kinder und Jugendliche eine enge Beziehung zu ihren „Fahrzeugen“, da sie
damit ihr weiteres Umfeld einfacher erkunden konnten. Das Fahrrad ist das traditionelle Gefährt
hierfür (Behnke/Zinnecker 1999, S. 470). Aber Fahrräder waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts
teuer und deshalb suchten sich die Kinder und Jugendlichen andere, billigere Alternativen (z.B.
Roller) oder bauten sich selbst etwas (z.B. Seifenkiste). Auch das Skateboard geht auf solche
Alternativen zurück. „Schon um die Jahrhundertwende [gemeint ist die Wende vom 19. zum 20.
Jahrhundert, E.J.] haben Kids alte Rollschuhe unter einen Holzbalken geschraubt, auf dem sie
zunächst saßen, später dann aufrecht standen“ (Kane 1992, S.12). Meist gab es noch eine
Haltestange, ähnlich wie bei einem Roller, die aber in den nächsten 50 Jahren verschwand. Solche
„Ur-Skateboards“ wurden vor allem von Jugendlichen in Kalifornien gebaut, aber auch auf Hawaii
gab es zu dieser Zeit ähnliche Konstruktionen (Brooke 1999, S. 17).
Nach dem 2. Weltkrieg führte der Wirtschaftsboom in den USA zu einer enormen
Kommerzialisierung des Spielzeugmarktes. Es wurden immer neue Trends gesucht mit denen sich
54
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
schnell Geld verdienen ließ (z.B. Hula-Hoop-Reifen, Jojos etc.) und so griff die Industrie auch das
„Skateboard“ oder zumindest das, was man damals als solches bezeichnen konnte, als neuen
Spielzeugtrend auf. 1959 kam das erste kommerzielle Skateboard mit neuen „technischen“
Entwicklungen (z.B. Tonrollen anstatt Metallrollen) in den USA auf den Markt, wodurch sich ein
besseres Fahrverhalten ergab und neue Tricks möglich wurden. Dies war aber gleichzeitig auch das
Ende der kreativen Eigenbauten durch die Kinder und Jugendlichen selbst (Brooke 1999, S. 16).
Aber die Entwicklung des Skateboards und der damit möglichen Tricks ist ein Zusammenspiel
zwischen immer besseren Produkten und der Leidenschaft bestimmter Personen für das
Skateboardfahren, die sich oft auch in der selbständigen Verbesserung der Produkte durch diese
Leute niederschlug. Dieser Leidenschaft gingen anfangs vor allem Surfer nach, für die das
„Sidewalk surfing“ eine willkommene Abwechslung war, wenn es gerade keine Wellen zu „reiten“
gab (Brooke 1999, S. 20). Ab 1959 bis ca. 1965 breitete sich die erste Skateboard-Welle von
Kalifornien ausgehend vor allem in den USA und hier besonders auf die Staaten der West- und
Ostküste aus. Die anfangs als Spielzeug gehandelten Bretter entwickelten sich schnell zu (relativ)
ernsten Sportgeräten. 1962 verkaufte der Surfladen „Val-Surf“ in North Hollywood zusammen mit
Hobie Alter, einem bekannten Surfbrett-Produzenten, als erster selbstgebaute Boards, die in Form
und Aussehen herkömmlichen Surfbrettern ähnelten und die immer noch mit Rollschuhachsen
versehen waren (Brooke 1999, S. 26). Im gleichen Jahr noch brachte die Firma Patteson-Forbes das
erste komplett produzierte Skateboard heraus und öffnete es so einem größeren Publikum
(Seewaldt 1990, S. 10). Einen weiteren bedeutenden Beitrag zum ersten Skateboom leistete 1963
Larry Stevenson, Herausgeber des Magazins „Surf Guide“ und Gründer der Firma „Makaha
Skateboards“, als er Skateboards in seiner Zeitschrift bewarb (Brooke 1999, S. 20).
Zwischenzeitlich waren mehrere Firmen entstanden, die Teams rekrutierten und sogenannte
„Demos“ (Showveranstaltungen) für ein breites Publikum fuhren. Skateboards waren keine reinen
Fortbewegungsmittel, sondern mit ihnen wurden diverse Kunststücke gemacht. 1963 fand dann der
erste „Skateboard-Contest“ (Wettbewerb) in Hermosa Beach, Ca., statt, der den Weg für weitere
Wettbewerbe bereitete. Diese Contests waren die Grundlage für das „Sponsoring im
Skateboarding“, weil hier die Firmen neue Talente suchten (Seewaldt 1990, S. 11). Zu den Tricks
der damaligen Zeit zählten Handstände auf dem fahrenden Brett oder „Nose- und Tail-Wheelies“
(Fahren auf den vorderen bzw. hinteren beiden Rädern), vor allem aber wurde mit den Brettern
auch Slalom zwischen Hütchen gefahren. Am Höhepunkt des Skatebooms Mitte der 60er Jahre
kassierten die Gewinner eines Contests 500 Dollar für den ersten Platz. Zu dieser Zeit entstand
auch das erste Magazin, das sich nur dem Thema Skateboarding widmete, „The Quaterly
Skateboarder“, der somit detaillierte Informationen über die Skateboardszene lieferte, die sich zu
einer beachtlichen Größe entwickelt hatte: zwischen 1962 und 1965 wurden über 50 Millionen
Skateboards verkauft (Brooke 1999, S. 20f).
55
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
„The Quaterly Skateboarder“ erschien aber nur vier Mal, da im Herbst 1965 Skateboarding
plötzlich „starb“. Trotz verbesserter „Technologie“ (Tonrollen, bessere Achsen) waren die
Skateboards sehr schwer zu lenken und Fahrfehler führten oft zu Stürzen, bei denen sich die Skater
zum Teil schwere Verletzungen zuzogen (angemerkt sei, dass Skateboard zu dieser Zeit zumeist
barfuß gefahren wurde). Dies schreckte die breite Masse zunehmend ab. „Unterstützt von der
Presse wurde Skateboarding von der öffentlichen Meinung immer mehr verteufelt [...]“ (Seewaldt
1990, S. 11), da sich Fußgänger und Grundstücksbesitzer durch rücksichtsloses Fahren gefährdet
sahen. Viele Städte „verbannten“ Skateboardfahren daher aus ihren Straßen und zum Teil durften
auf polizeiliche Anordnung hin keine Skateboards mehr verkauft werden (Brooke 1999, S. 21). Die
Firmen verloren viel Geld durch stornierte Aufträge, was viele ihre Existenz kostete.
Skateboarding verschwand aus dem öffentlich Blick, aber einige „wirkliche Skater“, vor allem die
aus der Gegend um Santa Monica und Venice Beach (unter den Skatern „Dogtown“ genannt, was
der Namensgeber einer späteren sehr populären Skateboardfirma werden sollte), erhielten den
Sport an anderen, weniger öffentlichen Orten (Swimmingpools in verlassenen Siedlungen,
Abwasserkanäle, Hinterhöfe etc.) am Leben und prägten ihn durch ihren eigenen Stil. Auch
beschäftigten sich einige der übrig geblieben Skateboard-Produzenten mit der Weiterentwicklung
des Skateboards. So entwickelte Larry Stevenson Ende der 60er Jahre das „Kicktail“ (Aufbiegung
des hinteren Brettendes), das anfangs skeptisch beäugt wurde, sich aber dann aufgrund seiner
besseren Lenkeigenschaften durchsetzte und auch von anderen Firmen kopiert wurde (Brooke
1999, S. 24). Der entscheidende Auslöser für die zweite große Skateboard-Welle war aber die
Entwicklung neuer Rollen, durch die sich das Fahr- und Lenkverhalten der Bretter extrem
verbesserten. 1970 experimentierte der Surfer und Skater Frank Nasworthy mit Urethan-Rollen
(Urethan ist ein Kunststoff, der schon in den 30er Jahren in Deutschland hergestellt worden ist), die
eigentlich für Rollschuhe entwickelt wurden, aber aufgrund ihres relativ hohen Preises nur wenig
Beachtung fanden. 1973 gründete Nasworthy seine eigene Firma „Cadillac-Wheels“, die ihre
Rollen an Surfshops verkaufte (Seewaldt 1990, S. 13). Auch andere Firmen produzierten bald diese
neuen Rollen für ein breiteres Publikum und auch die Achsen wurden weiterentwickelt, was die
Fahreigenschaften wiederum verbesserte und immer neue Tricks möglich machte. Die neuen
Bretter fanden reißenden Absatz. Slalom, „Downhill“ (Abfahrt) und „Freestyle“ wurden von
Millionen Menschen, zum Großteil in den USA, praktiziert. Neue Publikationen (z.B. 1975
„Skateboarder Magazine“) und neue Wettbewerbe entstanden (Brooke 1999, S. 44). „Eine
weltweite Skateboardeuphorie zeichnet sich ab“ (Kane 1992, S. 13). 1976 wird der erste moderne
Outdoor Skatepark in Florida gebaut, in dem man die Vorteile der neuen Entwicklungen (neben
Rollen, Achsen und Brettern auch Schutzausrüstung) ausprobieren und ungestört von Polizei,
Fußgängern, Grundstückbesitzern skaten konnte. Weitere Parks entstanden überall in den
Vereinigten Staaten. Das Terrain, das befahren wurde, veränderte sich von ebenen Flächen hin zu
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Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Transitions und auch das Befahren vertikaler Rampen wurde populär, was die Attraktivität der
Disziplinen Slalom und Freestyle minderte (Brooke 1999, S. 44).
Ungefähr in dieser Zeit schwappte diese (zweite) Skateboard-Welle auch nach Deutschland über.
Vor allem Angehörige der US-Armee brachten die rollenden Bretter nach Deutschland. Die erste
Skateboard Hochburg war dabei 1976 München (Brooke 1999, S. 160). Zu diesem Zeitpunkt
kamen dann auch die ersten Skateboard-Produkte in die deutschen Läden, die aber den
amerikanischen Qualitäts-Boards nicht das Wasser reichen konnten (Plastik-Bretter, Plastik-Rollen,
offene Kugellager etc.). „Im Laufe des Jahres 1977 führte jedes Kaufhaus und jeder
Spielwarenhandel Skateboards im Sortiment“ (Seewaldt 1990, S. 23). Skateboards waren beliebte
Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke. Auch hierzulande wurden erste Wettbewerbe organisiert,
Teams (z.B. Banzai, Pepsi) aufgestellt, der erste Skate-Park in München-Neuperlach errichtet und
spezielle Skateboard-Zeitschriften publiziert.
In den USA erschien der „Skateboarder“ ab 1977 monatlich und sorgte mit seinen Berichten über
immer neue Skateboardmöglichkeiten dafür, dass sich Skateboarding rasch weiterentwickelte, vor
allem in Richtung Pool- und Pipe-Skating (d.h. also auf Swimming-Pools und Halfpipes). In
Deutschland stand erstmals 1978 eine Halfpipe auf einem Contest, mit der aber nur die wenigsten
wirklich etwas anfangen konnten (Seewaldt 1990, S. 24). Dem neuen Terrain wurde auch das Brett
angepasst. Es war jetzt breiter als früher (von ca. 15cm auf ca. 23cm „gewachsen“) und meist aus
mehreren Holzschichten gepresst (nicht mehr aus Fiberglas) und mit einem „Concave“ (leichte
seitliche Aufbiegung) versehen, wodurch die Stabilität erhöht wurde und sich das Lenkverhalten
verbesserte. Auch entstanden hier erstmals größere Designs auf den Unterseiten der Bretter, die
bisher eigentlich nur der Firmenname schmückte. Diese „neue“ Fläche bot zudem die Möglichkeit,
für den Ausdruck verschiedenster Einstellungen und Gefühle (z.B. durch Totenkopf-Designs)
(Brooke 1999, S. 45). Die Tricks, die durch die neuen Bretter möglich wurden, begrenzten
Skateboarding nun nicht mehr auf das Fahren bis an den Rand diverser Rampen, sondern „Aerials“
(Sprünge über den Rampenrand hinaus) wurden möglich (Seewaldt 1990, S. 15). Ende der 70er
Jahre erfand Alan Gelfand den „Ollie“ (benannt nach seinem Spitzname), einen Trick, bei dem man
sich aktiv durch den Druck auf das Tail des Boards abstößt und nicht einfach nur wie bisher durch
Schwung über das Pool- oder Halfpipeende hinausfährt. Dieser Trick wird als „greatest skateboard
trick ever invented“ gehandelt (Brooke 1999, S. 72), da durch ihn ganz neue Trickvariationen
möglich wurden, vor allem für das entstehende Streetskating (Fahren auf der Straße und den
verschiedensten dort vorfindbaren Hindernissen (z.B. Sitzbänke, Mülleimer, Treppen etc.)), bei
dem zunächst Halfpipe-Tricks auf die Straße übertragen wurden. Erst Rodney Mullen brachte
Anfang der 80er Jahre den „Ollie“ in die Horizontale und somit auf die Straße, was wohl einer der
bedeutendsten Faktoren für den „Siegeszug des Streetskating“ war (Seewaldt 1990, S. 19).
57
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Erstmals mischte sich in dieser Zeit die bis dahin hauptsächlich von der Surfkultur beeinflusste
Skateboardkultur mit anderen Jugendkulturen wie z.B. dem Punk und New Wave (Seewaldt 1990,
S. 15). Damit spielen neben dem Brett selbst nun auch andere Dinge wie Musik und Kleidung eine
wichtige Rolle, aber noch nicht in dem Ausmaß wie ab der dritten Welle des Skateboardings in den
80ern.
1979/1980 erlebte das „Skateboardfieber“ erneut einen Rückgang. Wieder sind es rechtliche
Gründe, die die zweite Welle stoppten: Die Versicherungen für die Skateparks wurden zu teuer,
weswegen viele Parks schließen mussten. Viele Skater wechselten auch zu anderen neuen
Sportarten wie etwa zum BMXfahren. Das „Skateboarder Magazine“ wurde umbenannt in „Action
Now“ und behandelte auch andere Trendsportarten, die mit Skateboardfahren nicht viel zu tun
haben. Skateboarding wird wieder „underground“, aber von einigen Enthusiasten – wesentlich
mehr als am Ende der ersten Welle – weiter betrieben und weiterentwickelt in ihren eigenen
Halfpipes und Pools (Brooke 1999, S. 45). Auch in Deutschland ging es mit dem Skateboardboom
1979 allmählich bergab: „In München wird es ruhiger, der DDS [Dachverband Deutscher
Skateboarder,E.J.] stellt seine Arbeit ein, und die deutschen Magazine stellen die Herausgabe ein“
(Seewaldt 1990, S. 24). Die Szene lichtete sich und verlagerte sich eher Richtung Norden in den
Raum Frankfurt.
In den USA ging die Entwicklung wie erwähnt trotzdem rasant weiter. Obwohl die Umsatzzahlen
zurückgingen, wurden die Produkte weiter verbessert. Immer neue und schwerere Tricks wurden
dadurch möglich und zum Standard. Aufgrund des Mangels an „skateboardspezifischem Terrain“
wurde die Straße zu einem beliebten „Spielplatz“. „Die ersten Berichte über Curb-Grinding
[Entlangrutschen mit den Skateboardachsen auf Randsteinen, kleinen Mauern etc., E.J.] erscheinen
und Sprünge von Mauern etc. werden immer beliebter“ (Seewaldt 1990, S. 17). Diese Berichte
stehen vor allem in dem 1981 gegründeten „Thrasher“-Magazin, das sich an die verbliebenen
„Hardcore-Skater“ richtet. „Daß die Skater mit dem Thrasher-Magazin die Möglichkeit haben, sich
zu informieren und zu verständigen, ist die Grundvoraussetzung dafür, daß Skateboarding vor dem
totalen Aussterben bewahrt wird“ (Seewaldt 1990, S. 18). Das Magazin, das unter dem Motto steht
„von Skateboardern für Skateboarder“, liefert detaillierte Informationen über die Skateszene, aber
ebenso tauchen in dem Heft Berichte über neue Musikstile (Punk, New Wave, Heavy Metal, HipHop) und deren diverse Gruppen in Zusammenhang mit Skateboarding auf (Brooke 1999, S. 90).
Der „Thrasher“ hat ein „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“-Image, das er durch sein Hauptmotto „Skate
and Destroy“ verbreitet (Brooke 1999, S. 94). Das Magazin umgab Skateboarding mit einem
rebellischen Lebensgefühl. Der Einfluss der Punkkultur wird hier deutlich (Krosigk/Tscharn 2000).
Anders ging das 1983 erstmals publizierte „Transworld Skateboarding Magazine“ vor. Sein Image
war „sauberer“ und sprach dadurch ein größeres Publikum an (Brooke 1999, S. 96). Zudem
entstanden weltweit „kleine selbstgemachte, fotokopierte Skate-Zines, die über lokale Skater und
58
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Ereignisse berichten“ (Seewaldt 1990, S. 19). Zusammen mit diesen neuen Publikationen trugen
vor allem die ersten reinen Skateboard-Videos zur wachsenden Popularität des Skateboards bei,
wodurch die neuen Tricks sich auch weltweit etablierten (Kane 1992, S. 13).
Obwohl Skateboarding also Anfang der 80er Jahre relativ unpopulär war, entwickelte sich der
Sport auch hierzulande weiter. Entscheidend dafür war vor allem das Engagement des ehemaligen
Lehrers Titus Dittmann aus Münster, „der den Sport und das zugehörige Material im Anschluß an
einen USA-Aufenthalt nach Deutschland gebracht hat“ (Hitzler 2001, S. 85). Er war der erste in
den 80er Jahren, der Skateboard-Produkte, trotz seiner relativen Un-Popularität, im großen Stil aus
den USA importierte. Er gab darüber hinaus den Anstoß für eine Reihe von nationalen Contests,
unter anderem den Münster Monster Mastership, der sich mittlerweile zu einem der größten
internationalen Wettbewerbe entwickelt hat. Des weiteren steht er auch hinter dem 1981 eröffneten
Münster-Monster-Skatepark und dem 1982 ins Leben gerufenen Monster-Skateboard-Magazin, das
maßgeblich zur wieder wachsenden Beliebtheit des Skateboardings beitrug (Seewaldt 1990, S.
26f). Durch den Import von US-Produkten, deren Besitz zu Beginn der 80er noch etwas besonderes
war, kam auch die in den USA schon begonnene Verbindung zwischen Skateboarding und diversen
Jugend- bzw. Musikkulturen nach Deutschland. „Während man sich als Skater bis jetzt weniger um
Mode gekümmert hat, wird in dieser Zeit langsam der Einfluß einer Skate-Mode spürbar: man trägt
nicht einfach nur eine Sporthose, sondern es sollte eine Rector-Short sein; als T-Shirt muß eines
mit amerikanischen Skateboard-Motiven her, und wer Glück hat, bekommt ein Paar Vans-Shoes“
(Seewaldt 1990, S. 25). Punk-Rock war die vorherrschende Musik der Skater und dies nicht nur in
den USA (Brooke 1999, S. 161). Dort ließ sich ab ca. 1984 wieder gutes Geld mit Skateboarding
verdienen. Viele neue Contests wurden ins Leben gerufen und die Preisgelder stiegen wieder an,
was für die Stars der Profi-Szene einen angenehmen Lebenswandel zuließ. Immer mehr Firmen
entstanden in dieser Zeit, aber bis zum Ende der 80er dominierten drei Firmen (Powell Peralta,
Santa Cruz, Sims/Vision), die schon in den 70er gegründet wurden, den weltweiten
Skateboardmarkt. Aufmerksamkeit gilt neben den Boards nun auch den Schuhen (Vans, Airwalk,
Vision) und der Skate-Mode, die sogar von Nicht-Skatern getragen wird (Brooke 1999, S. 90).
Profi-Skater wurden jetzt neben den Board-Produzenten auch von Bekleidungsherstellern
gesponsert. Wiederum ist es Titus Dittmann, der hier die ersten deutschen Skater zu Profis macht,
nachdem er sich als Importeur von „Skate-Stuff“ (Skateboard-Produkte) etabliert hatte (Seewaldt
1990, S. 27).
Ab 1985 ist Skateboarding in den USA wieder „in“ und auch in Deutschland wächst die
Begeisterung für den Sport über die bis dahin weitgehende „Untergrund-Szene“ hinaus (Brooke
1999, S. 161). 1000 Zuschauer besuchen in diesem Jahr den Contest im Monster-Skatepark. Es gibt
vermehrt internationale Wettbewerbe und „die deutsche Skatescene fängt an zu reisen“ (Seewaldt
1990, S. 28). Dies führt dazu, dass die Stars der deutschen Szene besonders zu den größeren
59
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
internationalen Contests fahren und die nationalen Wettbewerbe vernachlässigen. Für die anderen
Skateboarder, deren Zahl ständig steigt, werden die kleineren lokalen Wettbewerbe bedeutend,
wodurch auch wieder neue lokale bzw. regionale Szenen entstehen. Durch Berichte in USMagazinen über europäische Skateboarder werden auch die US-Skate-Produzenten auf den
deutschen Markt aufmerksam und unterstützen vermehrt Skater auch hierzulande. Zudem kommen
immer mehr US-Profis nach Europa und im Gegenzug fahren die europäischen Stars in die
vereinigten Staaten. Eine internationale Szene entwickelt sich (Seewaldt 1990, S. 29).
Die Branche mit Hauptsitz Kalifornien hatte sich zu einer ganzen Industrie entwickelt und weltweit
gab es 1988 schätzungsweise „2 – 3 Mio. Skater. Tendenz: steigend. Die Top-Pro’s sind
mittlerweile Superstars geworden, verdienen teilweise über 200.000 DM im Jahr und besitzen
Häuser mit eigenen Ramps im Garten“ (Seewaldt 1990, S. 21). Zu dieser Zeit war Skateboarding
weltweit als ausgereifter Sport etabliert und erreichte Länder, die Skateboarding bis dato nicht
kannten (Kane 1992, S. 21). Streetskating überholte Vertskating (fahren in vertikalen Rampen) in
der Beliebtheitsskala, da es am leichtesten zugänglich ist. Immer neue Tricks wurden auf den
Straßen und der urbanen Architektur vollführt, was zu einem „Stilwechsel“ innerhalb des
Skateboardings führte. Dabei werden die Skater, die die schwersten Manöver bewältigen, immer
jünger und immer dann wenn man denkt „mehr geht nicht“, gibt es neue Skater, die das Niveau
nochmals erhöhen (Seewaldt 1990, S. 21). Die älteren Skateboard-Profis beginnen eigene Firmen
zu gründen und treten somit in Konkurrenz zu ihren früheren Geldgebern (Brooke 1999, S. 90).
Auch in Deutschland ist das Interesse am Skateboarding gegen Ende der 80er auf dem Höhepunkt:
Nicht nur Skater, „sondern ganz ‚normale’ Menschen mit Interesse am Skateboard“ sind 1988 unter
den 10000 Besuchern des „World Cup’88“ in der Münsterland Halle (Seewaldt 1990, S. 31). Die
deutsche Skate-Szene entwickelt sich zur stärksten in ganz Europa. Der Focus liegt auf
Streetskating und zu Tausenden rollen und springen die jugendlichen Skater auf Deutschlands
Straßen. „Auf der anderen Seite geht auch eine andere Bewegung los: ‚Back to the Roots.’
Skateboarding soll nicht zur Show verkommen, sondern das bleiben was es einmal war: mehr
Feeling als Sport. Man hinterfragt kritisch die Entwicklung des Sports, die Rolle, die das Geld auf
einmal spielt, die Konkurrenz der Skater untereinander“ (Seewaldt 1990, S. 31). Trotzdem
entwickelt sich Skateboarding immer weiter, aber „was mit Skateboarding immer in Verbindung
gebracht wird, der Life-style, gibt es immer noch, doch er wird mittlerweile nicht mehr einheitlich
definiert“ (Seewaldt 1990, S. 32). Somit zeigen sich auch in der Skateboardkultur die Einflüsse der
gesamtgesellschaftlichen Pluralisierungstendenzen und der diversen jugendkulturellen Bereiche.
Ab 1990 führte eine weltweite Rezession ein drittes Mal zum Niedergang der Skateboardindustrie,
woraufhin viele Firmen schließen mussten. Neben dieser Rezession gab es auch einen anderen
Grund für die schwindende Popularität des Skateboards: Rollerblades. Viele Skater stiegen auf das
60
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
leichter zu erlernende In-Line-Skating um bzw. Jugendliche fingen nicht an Skateboard sondern InLine-Skates zu fahren.
Aber durch den wachsenden Einfluss der Medien (Kabelfernsehen, Satelliten-Fernsehen, Internet)
geriet Skateboarding nicht wie Ende der 70er aus dem Blick der Öffentlichkeit und ging somit
nicht komplett unter. Die Zahl derer, die trotz Rezession weiter skateten, war größer als in den
„Untergrund-Phasen“ zuvor. Zudem haben die Leute, die die ersten Skatebooms in den 60er und
70er Jahren mitgemacht hatten, jetzt selbst Kinder und geben dieses „Gefühl“ an diese weiter
(Brooke 1999, S. 138).
Etwa ab 1994 beginnt die vierte, bis jetzt größte Welle, die bis heute anhält, vor allem durch
größere Skateboard-Events (z.B. X-Games des Fernsehsenders ESPN), die im Fernsehen
übertragen werden und besonders die Popularität von Skate-Schuhen und Skate-Kleidung (auch für
Nichtskater) führt zu einer immensen Beliebtheit des Skateboardings.
Der Schwerpunkt liegt weiterhin auf Streetskating, aber auch Vertskating erstarkt wieder, nachdem
es um 1993 fast „tot“ war. Disziplinen wie Freestyle und Slalom verschwanden schon Ende der
80er bzw. Anfang der 90er von der Bildfläche, da sie zunehmend „uncool“ waren und mit Ballett
oder Ähnlichem in Verbindung gebracht wurden. Aber auch bestimmte Tricks wurden einfach
nicht mehr gemacht, da sie „Old-School“ (veraltet) sind.
Gegen Ende der 90er gibt es wieder eine Vielzahl an Firmen und somit viele gute Produkte. Ebenso
werden alte Skateboardtrends (z.B. Longboarden, d.h. das reine Skateboardfahren mit
surfbrettähnlichen Boards) wiederbelebt. Eine Vielzahl an Skate-Parks, drinnen wie draußen,
entsteht erneut, größer und besser als alles zuvor. Skateboarding entwickelt sich rasant weiter:
Tricks werden höher, weiter, technischer und härter. Skateboarder wie Tony Hawk sind Stars wie
z.B. Basketballer der NBA und verdienen mit Skateboarding viel Geld.
Auch in Deutschland gab es zu Beginn der 90er schon zwei Skate-Hallen, in denen man auch bei
widrigen Witterungsbedingungen fahren konnte. Aber die Rezession und der In-Line-Trend traf
auch die Skateboardszene hierzulande. Es fingen nicht mehr so viele an zu fahren und vielfach
stiegen auch „alte“ Skateboarder aus, da sie einfach zu alt waren oder bestimmte Trends durch die
die Skate-Szene in dieser Zeit ging (z.B. kleine Rollen, übergroße Hosen und Shirts) nicht
mitmachen wollten. Bis 1994 schrumpfte auch in Deutschland die Skategemeinde, aber wie immer
blieb ein harter Kern erhalten, der Skateboarding weiter entwickelte und „bereit“ war, als 1995 die
Skatewelle erneut über Deutschland schwappte. Seit dieser Zeit ist das Niveau stetig gestiegen.
Skateboardfahren hat sich besonders in den letzten fünf Jahren wieder ausdifferenziert, d.h. es wird
wieder öfter Mini-Ramp (kleine Ausführung einer Halfpipe ohne Vertikale) und Vertramp gefahren
und auch „Old-School-Tricks“ sind wieder „erlaubt“, während der Schwerpunkt eine Zeit lang (ca.
1992 bis 1997) nahezu nur auf Streetskating und Ollie-Variationen lag. Wieder sind eine Reihe von
61
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Skateparks entstanden (1999: über 60 in Deutschland) und immer neue eröffnen (Brooke 1999, S.
161). Auch eine eigene unabhängige nationale bzw. europäische Skate-Industrie ist im Entstehen
und
einige
Skateboarder
können
hierzulande
von
ihrer
Lieblingsbeschäftigung
leben
(Krosigk/Tscharn 2000, S. 135ff).
In den letzten 40 Jahren hatte das Skateboardfahren viele Hochs und Tiefs, aber es wird wohl nie
mehr ganz verschwinden. Es hat sich gezeigt, dass es immer bestimmte Leute gibt, die trotz
mangelnder Popularität, meist aus purem Vergnügen am Skateboarding, es auch in schlechten
Zeiten weiterführen und -entwickeln. Besonders die heutige Vernetzung von Bereichen wie Medien
und Jugendkultur erhöht die Bedeutung der Jugendlichkeit in unserer Gesellschaft und damit auch
die Beliebtheit des Skateboardfahrens. Skateboarding ist ein „internationales Phänomen“ geworden
und zur Zeit absolut „in“ (Binder 2000, S.98).
3.2 Die Skateboard-Szene – Eine idealtypische Jugendkultur?!
Die Affinität zu Jugend und Jugendlichkeit und zwar speziell zu körperlicher Jugendlichkeit
qualifiziert Skateboardfahren als ganz spezifisch jugendkulturelle Aktivität. Offensichtlich sind
Skater heute in jeder größeren Stadt (z.B. Köln, Frankfurt, Berlin etc.) präsent und prägen das
Stadtbild oder zumindest bestimmte Plätze (Domplatte, Hauptwache, Philharmonie etc.) durch ihr
Fahren, aber auch rein durch ihre Anwesenheit (Ehni 1998, S. 109ff). Diese zunehmende
Popularität des Skateboardings wurde ebenfalls bei der Literaturrecherche für diese Arbeit sichtbar,
da viele Bücher zum Thema Jugendkultur, auch wenn sie sich nicht speziell mit dem Thema
„Skateboarding“ beschäftigen, Skateboarder als idealtypische Vertreter für Jugendkultur darstellen,
indem in den verschiedenen Werken Bilder von Skatern verwendet werden (z.B. Ferchhoff 1993,
Schnack 1996, Hitzler 2001 etc.). Im Folgenden werde ich diese (scheinbar?) idealtypische
Jugendkultur, die Szene der Skater, unter Bezug auf vorherige Ausführungen (zur Lage von
Jugendlichen in Postmodernen Gesellschaften, zur Bedeutung von Jugendkulturen und Szenen)
näher betrachten, um sie (besser) „verstehen“ zu können.
Vorher möchte ich aber noch einen theoretischen Rahmen ziehen, in dem die Skateboard-Szene
(eigentlich gibt es auch hier nicht die Szene) innerhalb der Gesellschaft zu verorten ist, in den aber
sicherlich nicht alle Mitglieder passen.
3.2.1 Gesellschaftstheoretische Rahmenbedingungen der Skateboard-Szene
Die Teilnahme und Zugehörigkeit zu einer jugendkulturellen Szene gründet nicht nur auf einem
zentralen Thema, das die jeweiligen Szenegänger teilen. Vielmehr stehen bestimmte Einstellungen,
Haltungen etc. hinter dem Interesse für ganz bestimmte Themenbereiche. Diese spezifischen
62
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Einstellungen sind aber nicht immer mit einer ganz bestimmten Szene verbunden, sondern sind oft
szeneübergreifend, so dass verschiedene Szenen ähnliche bzw. gleiche Einstellungen teilen. Hitzler
unterscheidet drei „Meta-Szenen“, in die er die vielfältigen jugendkulturellen Szenen einordnet: die
Selbstverwirklichungs-Szene, die Aufklärungs-Szene und die hedonistische Szene (Hitzler 2001, S.
224ff). Die Skater-, aber auch die Graffiti- und Sportkletterer-Szene, ordnet er der
Selbstverwirklichungs-Szene zu, da sie „die mehr oder weniger langwierige und engagierte
Ausbildung persönlichen Könnens voraussetzen“ (Hitzler 2001, S. 224). Die Verbesserung dieses
Könnens basiert auf Einstellungen, die Selbstbestimmung und Freiheit als zentrale Kriterien
aufweisen. Erfolgserlebnisse sind dabei sehr wichtig, aber nicht im herkömmlichen bürgerlichen
Verständnis (z.B. als beruflicher Erfolg): Originalität und Individualität sind wesentliche
Bestandteile des Erfolgserlebnisses (z.B. ein Skater, der einen bestimmten Trick an einem
bestimmten Ort macht, den er dort als erster gemacht hat bzw. als einziger dort kann). Dieses
„Bedürfnis nach Originalität“ beschreibt auch Schulze in seiner Charakterisierung des
Selbstverwirklichungsmilieus, in dem es nicht darum geht sich der Welt anzupassen, sondern
darum, wie man die Welt an sich anpasst (Schulze 1997, S. 312). Dies darf aber nicht mit einem
generellen Weltveränderungsbedürfnis der Selbstverwirklichungs-Szenen gleichgesetzt werden.
„Die Freiheit des Einzelnen in einer widerständigen, größtenteils anonymen Welt besteht für einen
Individualisten deshalb darin, sie sich anzueignen, sie für die eigenen Belange umzunutzen
(Skater), die eigenen Spuren zu hinterlassen (Sprayer) oder Raum (nämlich die Kletterroute)
symbolisch zu ‚erobern’ (Klettern)“ (Hitzler 2001, S. 224). Hedonistisch sind sie nur insofern, weil
individueller Spaß eine wichtige Rolle spielt, dieser sich aber nicht nur im „Hier-und-Jetzt“ ergibt,
sondern durch das Arbeiten an sich selbst und dadurch möglichen zukünftigen Erfolgserlebnissen.
Die Szenen der „Selbstverwirklicher“ sind sehr verschieden, da in ihnen jeder versucht
Individualität auszudrücken. Schulze ordnet diesem Milieu Vorlieben für bestimmte Stile zu, die
als „ausgefallen“, „frech“, „originell“, „cool“, „provozierend“ etc. gelten (Schulze 1997, S. 318).
Es ist „skeptisch gegenüber Autoritäten und hierarchischen Strukturen“ (Schulze 1997, S. 319), da
durch diese Individualität und Freiheit eingeschränkt werden.
Schwier ordnet Skateboardfahren den sogenannten „Streetszenen“ zu (Schwier 1998b, S. 30ff).
Weiter zählt er hierzu noch das In-Line-Skating und Streetballspielen. Sein Hauptkriterium hierbei
ist vor allem der Ort, an dem sich die Jugendkultur abspielt, nämlich die Straße. Sie wird von den
Jugendlichen, die diese Sportarten betreiben, als Bewegungsraum entdeckt. Die jugendkulturellen
Bewegungsformen
stellen
dabei
nicht
unbedingt
nur
reine
Sportarten
dar,
sondern
Bewegungsformen, die in den Alltag der Jugendlichen integriert und „Ausdruck eines eigenen
Lebensstils“ mit „identitätsstiftender und distinktiver Funktion“ sind (Schwier 1998b, S. 40).
Auch Baacke hat versucht Jugendkulturen in „Meta-Szenen“ zu kategorisieren. Er unterscheidet
dabei Freizeit-, Protest- und Action-Szenen, wobei er ebenfalls betont, dass diese früher, also etwa
63
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
bis Ende der 70er Jahre, noch unterscheidbar waren, aber auch damals schon durchlässig waren,
d.h. man konnte zwischen ihnen wechseln (Baacke 1999, S. 40f). Unter Berücksichtigung der
gesellschaftlichen Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse und damit auch der
Ausdifferenzierung der Jugendkulturen, sind unter diese Szenen nun unzählige Szenen zu
subsumieren und des Weiteren überschneiden sie sich jetzt in vielen Bereichen. Die „neuen
Risikosportarten“ (z.B. Skateboarding, Mountainbiking, BMX etc.) würde er heute den ActionSzenen zuordnen. Davor verstand er vor allem gewaltbereite, oft auch kriminelle Jugendliche, die
sich in Banden oder ähnlichen Gruppierungen zusammentun (Rocker, Streetgangs etc.), als
actionorientiert. Zudem ordnete er die Mitglieder dieser Szene eher den unteren Schichten zu,
wobei er dies auch mit dem Hinweis relativiert, „daß natürlich die Szenen durchlässig aufeinander
sind und gerade in den Jugendkulturen prinzipiell die Möglichkeit offen steht, unterschiedliche
Jugendmilieus zu mischen – schon darum, weil die Abkoppelung von der Familie früher und
intensiver erfolgt und damit diese Herkunft nicht bestimmend sein muß“ (Baacke 1999, S. 29,
Hervorhebungen im Original). Dennoch besteht die Skate-Szene, wie Binder in einer Studie über
die Szene in Frankfurt am Main festgestellt hat, weitgehend aus Jugendlichen der Mittelschicht
(Binder 2000, S. 100). Eine Erklärung hierfür wären möglicherweise die Werthaltungen der
Mittelschicht, die an Selbstverwirklichung orientiert sind, vor allem aber auch eine relativ gute
finanzielle Lage, da Skateboardfahren auch mit erheblichen Aufwendungen verbunden ist (Boards,
Schuhe, Kleidung etc.), die in den meisten Fällen durch die Eltern geleistet werden (Hitzler 2001,
89). Im Bewusstsein der Skater hat die Szene aber „nichts mit Gesellschaftsschichten zu tun“, weil
„alle Schichten“ vertreten sind (Rohmann 1999, S. 25).
In der „Erlebnisgesellschaft“ spielt die Action-Komponente eine wichtige Rolle. Jugendliche
suchen den „Kick“, der sie vor der Langeweile des Alltags bewahrt (Farin 2001, S. 21f). Die in
Schulzes
Spannungsschema
zum
Ausdruck
kommende
Spannung
ist
ein
konstanter
gesellschaftlicher Aspekt, der die Auswahl und Nutzung kultureller Praktiken und deren Bewertung
beeinflusst (Schulze 1997, S. 153ff). Somit folgen auch Jugendkulturen als Teil der Gesellschaft
diesem Spannungsschema. „Jugendkultur ist nicht primär Rezeptionskultur. Es dominiert die
konkrete Aktivität, das Mitmachen, die Interaktion (...) All das bringt Bewegung in einen stets von
dem drohenden Hereinbrechen der Monotonie gefährdeten Alltag“ (Heinzlmaier/Zentner 1998, S.
111). „Interessante Leute“ sind diejenigen, die etwas erleben und interessant werden sie durch das,
was sie erleben. Trend- und Extremsportarten finden derzeit vermehrt gesellschaftliche Beachtung,
was z.B. an ihrem vermehrten Einsatz zu Werbezwecken ersichtlich ist. Durch sie kann man den
„Kick“ erleben. Im Zuge der gesellschaftlichen Individualisierung wird die Tendenz zu Fun- bzw.
Trend- und auch Extremsportarten noch weiter befördert: „Auf dem Markt der Erlebnisse wird das
individuell
richtige,
das
befriedigende
und
selbstwert-fördernde
Erlebnis
gesucht“
(Heinzlmaier/Zentner 1998, S. 113).
64
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Neben
der
Action
gibt
es
noch
eine
zweite
wichtige
Komponente,
die
in
den
Selbstverwirklichungs-Szenen, aber auch in der „Erlebnisgesellschaft“ insgesamt große Bedeutung
hat: der Spaß. Die Shell-Jugendstudie von 1997 verweist auf eine starke Hinwendung der Jugend
zu Spaß und Vergnügen bei ihren Freizeitaktivitäten (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997, S.
20f) und auch Opaschowski sieht Spaß (neben Erholung, Gesundheitsförderung etc.) als die einzig
wirkliche Motivation zum Sporttreiben, besonders bei Jugendlichen (Opaschowski 1996, S. 27).
Die Suche nach dem „Kick“ soll Spaß machen und nicht unbedingt nur gefährlich sein. Deshalb
erfreuen sich „Funsportarten“, zu denen auch Skateboarding gezählt wird, großer Beliebtheit.
Funsportarten sind dabei nicht klar definiert und es liegt die Vermutung nahe, dass sie ein
„kommerziell angeheiztes jugendkulturelles Massenphänomen“ darstellen (Opaschowski 1996, S.
52). Kennzeichnende Elemente von Funsportarten sind: „Freiheit, Ungebundenheit, Rebellentum,
Gruppengefühl, ein bißchen Abenteuer (nicht zuviel, sonst machen wir daraus einen Extremsport),
Miteinander statt Konkurrenz, aber auch andere Lifestyle-Elemente, die in diese Richtung
tendieren“ (Zentner 1998, S. 122). Die Funsportarten gehen meist aus „alten“ Sportarten hervor,
indem
z.B.
das
Reglement
verändert
wird,
mehrere
Sportarten
kombiniert
werden
(Wellenreiten+Skateboardfahren+Skifahren=Snowboarden) oder aber bestehende Sportarten auf
ein neues Terrain verlegt werden (z.B. Basketball auf die Straße = Streetball; Surfen auf den
Gehweg = Skateboarding etc.). Dazu wird meist noch eine bestimmte Lebensphilosophie, ein
bestimmter Lifestyle hinzugegeben. Es wird also wiederum die Umwelt an die eigenen Bedürfnisse
angepasst, etwa in dem Sinne „wenn es hier kein Meer gibt zum Surfen, dann surfe ich eben auf der
Straße“.
Dies
entspricht
der
vorher
kurz
skizzierten
Haltung
von
Schulzes
Selbstverwirklichungsmilieus und Hitzlers Selbstverwirklichungs-Szenen. Meiner Meinung nach
stellt Skateboarding aber keine „reinrassige“ Funsportart dar. Der Spaß steht zwar auch beim
Skateboardfahren im Mittelpunkt, aber damit Skateboardfahren richtig Spaß macht, muss man
relativ hart dafür „arbeiten“. Die oben erwähnten Merkmale von Funsportarten treffen sicherlich
auch auf Skateboarding zu, aber das Wort „Funsportart“ impliziert meines Erachtens eine
Leichtigkeit als ob jeder ein guter Skateboardfahrer werden könnte, was sicherlich nicht der Fall
ist. Man erlernt es nicht in wenigen Tagen und es dauert Jahre um „richtig gut“ zu werden. Zudem
verlangt es sehr viel Willen, Ehrgeiz, Ausdauer und nicht zuletzt Talent. Um Fortschritte zu
machen reicht es normalerweise nicht aus Skateboard nur ab und zu zu fahren.
Skateboarding wird allgemein auch als Trendport bezeichnet. Dies scheint mir aber nur insofern als
treffend, wenn man sich auf die diversen „Ups and Downs“ der Skateboardgeschichte bezieht und
die verschiedenen Höhepunkte als Trends bezeichnet, denn Skateboarding ist eine Sportart, die es
eigentlich seit mehr als vierzig Jahren gibt. Zudem sehen sich „echte“ Skater nicht als
Trendsportler, denn sie werden ihrer Meinung nach auch dann weiter fahren, wenn
Skateboardfahren nicht mehr im (Massen-)Trend liegt (Stolle 2001, S. 7ff).
65
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Die Hinwendung zu Fun- und Trendsportarten ist insgesamt im Zusammenhang mit einer
zunehmenden „Versportlichung“ der Gesellschaft zu sehen, die wiederum in Zusammenhang steht
mit den gesamtgesellschaftlichen „Differenzierungs- und Individualisierungsprozessen“ (Brinkhoff
1993, S. 101f). Sportlichkeit stellt ein neues Lebensgefühl dar, das mit Gesundheit, Gelenkigkeit,
jugendlichem
Aussehen
etc.
assoziiert
wird,
was
wiederum
zur
individuellen
Attraktivitätssteigerung beiträgt (Opaschowski 1996, S. 31).
Des weiteren sieht Heinzlmaier einen Zusammenhang zwischen Funsport und Globalisierung:
Funsportarten „sind von Vorgängen beeinflußt, die sich eben nicht mehr im unmittelbaren
kulturellen Umfeld abspielen, sie sind aus lokalen Einbettungen herausgelöst, beziehen ihre
Energie aus der weltweiten Vernetzung von Marken, Märkten und Kulturen“ (Heinzlmaier 1998, S.
136). Oft wird dabei aber darauf verwiesen, dass es vor allem US-amerikanische Trends sind, die
sich global ausbreiten, wie sich an den verschiedenen Sport-„ing“-Wellen der letzten Jahre zeigt
(Opaschowski 1996, S. 54).
Sport ist bei Jugendlichen eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen und auch der Schulsport
zählt oft zu den Lieblingsfächern (Janke 1995, S. 78). Dabei ist in Analogie zur
gesamtgesellschaftlichen Individualisierung eine „Individualisierung des Sportlebens“ zu
beobachten, die sich in einer „Abwandlung der Sporttradition“ (Hinwendung zu Fun- und
Trendsportarten) und der „Verschiebung der Sportmotivation“ (vor allem Spaß und Action als
Hauptmotive) ausdrückt und in Zusammenhang steht mit der „Popularisierung eines
jugendkulturellen
Habitus“
(Brinkhoff
1993,
S.
102f).
Diese
individualisierte,
jugend(lichkeits)zentrierte Überformung des Sports hängt auch damit zusammen, „daß Jugendliche
im Feld des Sports inzwischen die Rolle der ‚Opinion Leader’ übernommen haben“ (Schwier
1998a, S. 10). Diese Aspekt zusammen sind wohl mit entscheidend dafür, „daß Körper, Bewegung
und Sport seit einigen Jahren verstärkt zu einem genuinen Bestandteil jugendkultureller Stile
werden“ (Schwier 1998a, S. 11). Sport ist für Jugendliche nicht mehr eine „eindimensional
Beschäftigung mit dem Körper“, sondern beinhaltet eben Elemente wie Spaß, Miteinander (trotz
Individualisierung), Lifestyle etc. (Heinzelmaier 1998, S. 137f). Dabei stellt die jugendliche
Sportkultur aber kein einheitliches Bild mehr dar. Sie ist ebenso differenziert wie die
Jugendkulturen und die Gesellschaft insgesamt (Brettschneider 1993, S. 75).
Die sportliche Individualisierung wirkt sich besonders auf das traditionelle Sporttreiben
Jugendlicher aus. Schildmacher sieht im Sport und besonders im Sport der Jugendlichen fünf
Trends: Dies ist erstens, dass sich der Sport zunehmend „von Drinnen nach Draußen“ orientiert
(z.B. Volleyball am Strand, Basketball auf der Straße); zweitens ist ein Trend „vom normierten
zum unnormierten Sport“ zu beobachten (z.B. vom Fußball zum Streetsoccer mit weniger und
informelleren Regeln, kleinerem Spielfeld, kleinen spontan gebildeten Mannschaften etc.); der
dritte von ihr beschriebene Trend lautet „Vom großen Mannschafts- zum kleinen Gruppensport“
66
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
(wie eben erwähnt z.B. beim Streetsoccer); der vierte Trend liegt in der Verlagerung „vom
geschützten zum risikoreicheren Sport“; der fünfte Trend, „vom verbindlichen zum
unverbindlichen Sport“ (gemeint: freie Gestaltung der Trainingszeiten, Unverbindlichkeit sozialer
Kontakte), aber auch die vorher genannten vier Trends spiegeln – zumindest teilweise – die
Individualisierung der Gesellschaft wider (Schildmacher 1998, S. 70ff). Janke betont, dass Sport
für Jugendliche sehr wichtig ist, aber der traditionelle Wettkampfaspekt an Bedeutung verliert:
„Viele der neuen Sportarten sind nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil sie nicht mehr zwingend an
ein gegenseitiges Messen oder an erreichte Höhen und Weiten gekoppelt sind“ (Janke 1995, S. 83).
Die Möglichkeit (individuell) kreativ zu sein ist der Reiz des „neuen“ Sports, der dadurch ein
Mittel zur Selbstverwirklichung darstellt. Vor allem traditionelle Vereinssportarten (z.B. Fußball,
Handball etc.) sind von diesen Entwicklungen betroffen. Sport wird heute oft nach „Lust und
Laune“ betrieben, was nicht mit festen Trainingszeiten in Einklang steht und damit eine „Distanz
gegenüber formellen Sportrollen und traditionellen Sportbindungen“ mit sich bringt (Brinkhoff
1993, S. 103). Janke drückt dies so aus: „Der Sport hat sich freigeschwommen; die Jugend hat viele
Bereiche des Sports den Klauen der Institutionen entrissen und tobt sich nach ihren eigenen
Gesetzen aus“ (Janke 1995, S. 78). In traditionellen, von Erwachsenen organisierten und
verwalteten Sportarten ist es auch schwer eine jugendliche Eigenständigkeit oder auch
Individualität auszudrücken. Ein Trainer ist für sie vor allem ein „Agent der Erwachsenenwelt, der
ihre Praxis und ihre Körper in Richtung des gesellschaftlich vorherrschenden Sportverständnisses
zu kolonialisieren sucht“ (Schwier 1998b, S. 43). Jugendkulturelle Eigenständigkeit findet sich in
organisierten Sportarten kaum wieder, obwohl „Sportvereine heute verstärkt spaß- und
erlebnisorientierte Freizeittrends adaptieren“ (Schwier 1998a, S. 15). Sportvereine liefern dabei
nicht „Echtheit“ und „Stil“, worauf Jugendliche heute gesteigerten Wert legen. Es ist damit zu
rechnen, dass der Zustrom zu Fun- und Trendsportarten sich verstärken wird, da sie „explizit
außerhalb traditioneller Strukturen positioniert“ sind: „Snowboarder, Skater und Inline-Skater
wollen frei sein“ (Heinzelmaier 1998, S. 146). Dennoch repräsentiert das „organisierte Sporttreiben
im Verein“ immer noch den „Mainstream des jugendlichen Sportengagements“ (Schwier 1998b, S.
35), aber eben mit sinkender Bedeutung: Es „sprechen erste Anzeichen dafür, daß heute besonders
bei Jugendlichen – aber nicht nur dort – die Vereinsmitgliedschaft eher im Sinne eines
Dienstleistungsverhältnisses
(und
insofern
ein
Stück
vergleichbar
mit
den
neuen
Organisationsformen des kommerziellen Handlungssystems Sport) betrachtet wird“ (Brinkhoff
1993, S. 104). Vereinssport und das institutionalisierte Sportsystem bieten vor allem den
sogenannten „unauffälligen“, „integrierten“, „familienorientierten“ oder „normalen“ Jugendlichen
die Basis ihres Sporttreibens (Schwier 1998a, S. 14). Hier sind wir aber wieder an dem Punkt, dass
das „Normale“ heute wenig interessant, sein Erlebnisfaktor scheinbar ungenügend ist, wodurch
sich die Entwicklung zu fun- und actionorientierten Trendsportarten erklären ließe, die als „in“
gelten.
67
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Was diese Sportarten aber neben Spaß und Action für Jugendliche besonders interessant macht, ist
das umfassende „Lifestylepakt“, das mit dem Betreiben quasi mitgeliefert wird. Aber nicht nur mit
dem Betreiben kann der Sport-Szene-Lifestyle erworben werden, denn Sport kann nicht nur aktiv
betrieben, sondern auch passiv konsumiert werden (z.B. als Zuschauer oder durch Tragen der
Kleidung der jeweiligen (Sport-)Szene) (Heinzlmaier 1998, S. 137). Dieses „Lifestylepaket“ bietet
dem an der jeweiligen Szene partizipierenden Jugendlichen Orientierung bezüglich wichtiger
Stilelemente wie Musik oder Mode und gibt ihm eine gewisse Sicherheit in einem „Gewirr von
Möglichkeiten“. Dadurch kann auch Identität einfacher erworben bzw. dargestellt werden.
Sportarten wie Skateboarding „werden zu umfassenden Welten, die nicht einfach mit dem
Schlusspfiff enden“ (Janke 1995, S. 84). Aus bestimmten Sportarten können somit ganz neue
Jugendkulturen hervorgehen, wie es z.B. beim Skateboardfahren der Fall war (Janke 1995, S. 78).
Die bisher dargestellten Faktoren, neben den im ersten Teil der Arbeit schon besprochenen
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Lebensphase Jugend und den Charakteristiken von
Jugendkulturen, wirken sich stark auf die Gestalt der Skateboardszene bzw. der verschiedensten
jugendkulturellen Szenen überhaupt aus. Skateboarding steht dabei „prototypisch für eine spätbzw. postmoderne Lebensweise, in der Spaß und Action im Vordergrund stehen“ (Hitzler 2001, S.
86) und stellt somit eine besonders aktuelle Form von Jugendkultur dar.
3.2.2 Beschreibung wesentlicher Merkmale der Skateboard-Szene
Skateboarding ist, wie schon in ihrem geschichtlichen Rückblick sichtbar wurde, ein
internationales Phänomen, das aber wie viele in den letzten Jahren aufkommende Trend- und
Funsportarten ihre Wurzeln in den USA hat. Danach ist Skateboardfahren in erster Linie eine
Sportart (Hitzler 2001, S. 87). Schon früh fand eine Ausdifferenzierung der Skateboardszene in
viele nationale, regionale und lokale Szenen statt, sodass es Skateboardfahren heute überall auf der
Welt gibt, aber mit den jeweiligen Besonderheiten der örtlichen Szenen. Das „Mekka des
Skateboarding“ stellt dabei aber auch weiterhin Kalifornien dar. Hier ist das Herz der
Skateboardindustrie und auch die meisten professionellen Skateboarder leben dort. Das Wetter ist
fast immer gut und zudem scheint die Architektur dort geradezu zum Skaten gemacht zu sein
(Binder 2000, S. 98). Von hier gehen vielfältige Impulse auf die weltweiten Skateboardszenen aus.
Umgekehrt gehen heute aber auch von nicht-amerikanischen Szenen Impulse aus, z.B. in der Form,
dass Skater aus anderen Ländern von US-Firmen gesponsert werden, dann oftmals in die USA
kommen, dort den Stil ihrer „Heimat-Szene“ verbreiten (oder zumindest repräsentieren) und
Einfluss auf die dortigen Szenen nehmen (können). Über dies hinaus ist Skateboardfahren auf der
Straße in vielen US-Bundesstaaten verboten und wird polizeilich verfolgt. Auch hierzulande bzw.
in Europa ist Skateboardfahren auf der Straße eigentlich nicht gestattet, aber es fand hier bisher
68
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
noch keine so starke Kriminalisierung und Sanktionierung statt. Viele US-Profis kommen daher
vermehrt nach Europa, weil sie hier noch „ungestört“ skaten können, aber natürlich auch aus
kommerziellem Interesse, um die Produkte ihrer Sponsoren zu „promoten“. Die Skateboard-Szene
muss also als ein globales interaktives Netzwerk gesehen werden, das in vielfältige Unter-Szenen
und Szene-Cliquen aufgeteilt ist, die von unterschiedlicher Bedeutung sind für die einzelnen Skater
wie für die Szene im Ganzen.
Auch in Deutschland ist Skateboardfahren, wie schon erwähnt, „in“ und dementsprechend hat sich
die Szene in den letzten Jahren entwickelt. Schätzungen zufolge gibt es hierzulande derzeit etwa
eine Million Skateboardfahrer, von denen wiederum zweihunderttausend den Sport so intensiv
betreiben, dass sie fast täglich fahren (Hitzler 2001, S. 85). Skateboarder findet man derzeit überall
in der Bundesrepublik, verstärkt aber in den Großstädten wie Hamburg, Berlin, München, Stuttgart,
Frankfurt oder Köln. Mit dem Skateboardfahren wird meistens zwischen 12 und 14 Jahren
begonnen, wobei auch viele, bevor sie „richtig“ anfangen, d.h. dass sie Tricks üben, schon
Erfahrungen mit einem Skateboard machen, indem sie einfach nur damit herumrollen (auch sitzend
oder liegend). Den Hauptteil der Skateboardszene stellt die Gruppe der 15- bis 18-Jährigen, die
meist bei den Eltern wohnen, die den Sport maßgeblich finanzieren (Hitzler 2001, S. 89). Die
Leute, die an Wettbewerben teilnehmen und auch schon größere Strecken dafür zurücklegen, sind
größtenteils über 18 Jahre alt. Die Altersgrenze nach oben ist eigentlich offen, wobei viele gegen
Mitte/Ende ihres dritten Lebensjahrzehnts aufhören bzw. den Sport nicht mehr so intensiv
betreiben, vor allem bezüglich des emotionalen Engagements. Dies ist wohl in Zusammenhang mit
anderen Lebensbereichen zu sehen, die mit steigendem Alter zunehmend in Konkurrenz zum
Skateboardfahren treten, das doch, wenn man es richtig betreibt, sehr zeitintensiv, aber vor allem
auch „knochenintensiv“ (d.h. Verletzungen sind keine Seltenheit) ist (Hitzler 2001, S. 86). Das
Verletzungsrisiko ist vielleicht auch der Grund dafür, dass die Skateboardszene eindeutig männlich
dominiert ist, wie auch andere Jugendkulturen, die sich – wie schon erwähnt – vornehmlich auf der
Straße abspielen. Mädchen partizipieren hauptsächlich in der Rolle des Publikums an der
Skateboardszene, wobei es aber auch einige Mädchen gibt die sehr gut fahren (Hitzler 2001, S.
86f). In letzter Zeit werden auch vermehrt Skate-Contests ausgetragen an denen Mädchen in
eigenen Startgruppen teilnehmen. Vor etwa drei Jahren wurde sogar die erste Skate-Schuhmarke
speziell für Mädchen („Gallaz“) gegründet und es gibt erste „Pro-Model-Boards“ (das sind die
Bretter der diversen Marken, auf denen der Name des Skaters steht) von Skaterinnen, was
insgesamt auf einen Bedeutungsgewinn des aktiven Skateboardfahrens bei Mädchen hinweist.
Grundsätzlich lehnen männliche Skater skatende Mädchen auch nicht ab, sondern betonen, dass sie
es gut finden, wenn Mädchen Skateboard fahren. Mädchen selbst sehen sich aber dennoch meist
eher „belächelt“ als ernsthaft akzeptiert (Hitzler 2001, S. 96). Ihnen ist auch klar, dass sie aufgrund
ihrer „körperlichen Voraussetzungen“ nicht so gut fahren können wie Jungen, aber die Motivation
zum Skaten ist die gleiche: Spaß (Rohmann 1999, S. 38ff). Binder bestätigt in ihrer Untersuchung
69
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
über die Skaterszene in Frankfurt am Main, dass Mädchen, wenn sie skaten, „nicht an so
exponierten Orten wie der Hauptwache“ auftreten, sondern eher an „zurückgezogeneren Orten“
(Binder 2000, S. 114). Eine geschlechtspezifische Sozialisation führt anscheinend immer noch zu
einem extrovertierteren Raumverhalten bei Jungen als bei Mädchen (Thiele 1998, S. 54). Vielfach
wird auch darauf verwiesen – besonders von männlichen Skatern – , dass Skateboardfahren ein
„Kraftakt“ ist, den Mädchen wegen des Mangels an Kraft nicht so gut vollziehen können
(Rohmann 1999, S. 24). Auch die Leidenschaft und Ausdauer, mit der Jungen das
Skateboardfahren betreiben („mit Haut und Haar dem Skateboarding verschrieben“), findet Binder
bei den Mädchen nicht in dieser Weise. Skaten ist hier eher eine „Beschäftigung unter vielen“,
wohingegen für männliche Jugendliche Skateboardfahren meist mehr bedeutet (Binder 2000, S.
114).
Skateboarding ist eine Bewegungsform, bei der der eigene Körper das zentrale Erfahrungsmedium
darstellt und die den Jugendlichen darüber hinaus noch Spaß macht. In einer Zeit, die von
ständigen Wandlungen des sozialen Lebens und von Unsicherheit geprägt ist, stellt der eigene
Körper eine Konstante dar. Über ihn können ganzheitliche Erfahrungen gemacht werden und durch
die Kontrolle des Körpers kann ein Gefühl der Kontrolle über die unmittelbare Lebenswelt erlangt
werden. Bette schreibt dazu, dass der Körper als „Kultobjekt“ die individuelle Lebensführung
erleichtert, indem er „Sicherheit unter den Bedingungen von Unsicherheit signalisiert“ (Bette 1992,
S. 114). Der Körper unterliegt einem sozialen Bedeutungswandel, der oftmals mit ‚Konjunktur des
Körpers’, ‚Körperboom’ oder ‚neue Körperlichkeit’ beschrieben wird und somit wiederum mit der
„Versportlichung der Gesellschaft“ in Zusammenhang steht (Brandl-Bredenbeck 1999, S.29).
Einen besonders bedeutenden Aspekt, vor allem für Jugendliche, stellt dabei die Tendenz dar, „dass
in zunehmendem Maße der Körper in modernen Gesellschaften auch in den Mittelpunkt der
Identitätsdiskussion rückt“ (Brandl-Bredenbeck 1999, S. 31). Sportliche Bewegung als
Inszenierung des Körpers ist damit ein geeignetes Mittel, sich von anderen abzugrenzen. Diese
Funktion scheint beim Skateboardfahren von besonderer Bedeutung, da es ein Sport ist, der nicht
von jedem ausgeübt werden kann und bei dem das individuelle „Tun“ des Skaters im Mittelpunkt
steht. Der Körper wird zur Basis von Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung. Das
Erscheinungsbild der Skater ist stark durch ihre Körper geprägt, wodurch es zu einer eigenen
Ästhetik kommt. Die diversen Narben, Bänderverletzungen oder auch Knochenbrüche, mit denen
jeder Skater im Laufe seiner „Skateboard-Karriere“ rechnen muss, stellen damit Symbole dar, die
auch non-verbal Auskunft geben über bestimmte Haltungen: „Ich gehe an meine körperlichen
Grenzen, ich lege keinen Wert auf makellose Schönheit nach dem Ideal der Gesellschaft und der
Kosmetikindustrie, ich erlebe jetzt etwas, ohne mich um zukünftige Auswirkungen zu kümmern“
(Binder 2000, S. 112). So spielen z.B. auch Tätowierungen eine Rolle. Viele der Skateboardprofis
sind tätowiert und auch viele der Stars in den Musikkulturen, die auf die Skateboardszene
besonderen Einfluss ausüben (Punk, Metal und Hip-Hop bzw. Rap). Sie stellen neben anderen
70
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Stilmitteln wie Kleidung und Musik, auf die ich nachher noch eingehen werde, aussagekräftige
„Accessoires“ dar. Tattoos unterstreichen die Bedeutung des Körpers als Mittel der
Persönlichkeitsdarstellung. Sie stellen Konstanten dar in inkonstanten Zeiten. Sie sollen einerseits
Ästhetik symbolisieren, andererseits auch Männlichkeit, denn der „Erwerb“ ist oft schmerzhaft.
Zudem symbolisieren Tätowierungen – je nach Motiv, einmal mehr und einmal weniger – immer
noch
Rebellion
und/oder
Abgrenzung.
Auch
sie
sind
Elemente
einer
non-verbalen
Körperkommunikation.
Der Körper stellt für Jugendliche insgesamt eine „Kapitalressource“ dar, die ihnen eigentlich
immer zur Verfügung steht, ganz im Gegensatz zu anderen Ressourcen wie „Geld, Grundbesitz,
langjährige Beziehungen, Berufstitel usw.“ (Zinnecker 1989, S. 310). Der Körper spielt im
Skateboarding also eine bedeutende Rolle, denn „nur wenn er fit ist, wird eine Partizipation an
dieser Jugendszene möglich“ (Binder 2000, S. 115).
Ein besonderer Aspekt des Körpers beim Skateboardfahren ist, wie schon angedeutet, die
Möglichkeit durch ihn Männlichkeit auszudrücken. So werden Stürze „weggesteckt“ und dadurch
Härte, ein typisches Stereotyp für Männlichkeit, demonstriert. Wie schon angeführt stellt
Skateboardfahren einen „Kraftakt“ dar und auch Kraft steht in enger Beziehung zum klassischen
Männlichkeitsbild. Ebenso steht der Ort an dem geskatet wird – dies ist meistens die Straße – in
Verbindung mit Männlichkeit. Skateboardfahren ist also eigentlich eine jungenspezifische
Bewegungspraxis, durch die sich die männlichen Jugendlichen nicht nur von älteren abgrenzen
können (dazu Titus Dittmann: ‚So ein Treppengeländer hinunter zu sliden [rutschen, E.J.], das
erfordert eine enorme Bereitschaft Schmerzen zu erdulden. Das in Kauf zu nehmen, ist ein
Erwachsener nicht bereit’ (Stolle 2001, S. 13)), sondern auch vom anderen Geschlecht.
Skateboardfahren liefert für Jungen somit die Möglichkeit „unter sich“ zu sein ohne dass Mädchen
aber von vornherein ausgeschlossen sind.
Einen interessanten Aspekt bezüglich des Geschlechts sprechen Heinzlmaier und Zentner im
Zusammenhang mit Extremsportarten an, zu denen man Skateboarding zwar nicht eindeutig zählen
kann, aber er kann auch als Erklärungsansatz für die männliche Dominanz im Skateboarding
stehen: „Da Männer immer seltener Macht über andere ausüben können, greifen sie zur Methode,
über ihren eigenen Körper Macht auszuüben und ‚sich’ im Sport zu überwinden“
(Heinzlmaier/Zentner 1998, S. 119) Das Leben in der Skateboardszene gibt männlichen
Jugendlichen die Gelegenheit mit „maskulinen ‚Tugenden’ wie Mut, Risikobereitschaft,
Aggressivität, Rücksichtslosigkeit oder dem Willen zur Überschreitung der eigenen Grenzen“ zu
experimentieren, was besonders für Jugendliche von Bedeutung ist, die noch auf der Suche nach
ihrer männlichen Identität sind (Schwier 1996, S. 82). Ob dieses „Experiment“ auch gelingt, ist
nicht immer sicher, weil es auch zur Verinnerlichung übersteigerter Männlichkeitsbilder kommen
kann (z.B. keine Gefühle zeigen). Homosexualität stellt dabei die „Negation der Männlichkeit
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Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
schlechthin“ dar, wodurch Beschimpfungen, die eine solche Neigung andeuten („Schwuchtel“,
„Balletttänzer“ etc.), mit zu den häufigsten in der Szene zählen (Binder 2000, S. 114). Da beim
Skaten oft auch keine Mädchen dabei sind, geht es vor allem darum seine Männlichkeit vor
anderen Jungen zu beweisen. Ein jugendlicher Skateboardfahrer meint dazu: „Also, Skater müssen
sich nicht vor Frauen produzieren. Man produziert sich eher vor anderen Skatern“ (Rohmann 1999,
S. 24).
Das Medium, durch das man sich neben dem Körper „produziert“, ist das Skateboard. Es ist das
alles verbindende Element der Skateboardszene. Das Skateboard steht vielfach immer noch für
Rebellion, aber vor allem auch für Spaß (Krosigk/Tscharn 2000, S. 34). Wie vorher deutlich wurde,
hängt die Evolution des Skateboardfahrens und damit auch der Skateboardszene insbesondere mit
der Verbesserung des Brettes und seiner Komponenten zusammen. Deck (Ausdruck für das Brett
ohne Achsen und Rollen), Achsen und Rollen wurden vielfach modifiziert und den jeweiligen
Bedürfnissen (z.B. fahren in Pools, fahren auf der Straße etc.) angepasst. Die Decks und Achsen
wurden durch verbesserte Bauweisen immer leichter, wodurch die Tricks heute auch einfacher zu
erlernen sind. Besonders für jüngere, noch nicht so kräftige Fahrer bzw. Fahrerinnen, trägt dies
möglicherweise zur gestiegenen Popularität des Skateboardfahrens bei. Allerdings muss man für
ein hochwertiges, komplettes Board (d.h. Brett, Achsen, Rollen, Kugellager) mit dem auch die
Profis fahren, derzeit mindestens 170 Euro aufwenden. (Es werden auch komplette Boards für über
220 Euro angeboten.) Es gibt zwar billigere Bretter, die aber qualitativ nicht den Standards
entsprechen und die den diversen Manövern (z.B. Hinunterspringen von zehn Stufen) nicht
standhalten. Bei Skateboards existieren eigentlich keine Qualitäts-Zwischen-Klassen. Die Bretter,
die von den Profis gefahren werden, sind die gleichen, die man auch hier in den
Skateboardgeschäften erwerben kann. „Kaufhaus-Bretter“ bzw. „Billig-Boards“ sind prinzipiell
dazu da um anzufangen, d.h. um auszuprobieren, ob einem die Sache Spaß macht, denn zum
Herumrollen und zum Üben einfacher Tricks sind auch sie geeignet. Wer allerdings „ernsthaft“
fahren möchte, was die Vorraussetzung für die Partizipation an der Skateboard-Szene ist, „kommt
um ein Profi-Brett nicht herum“. Dies ist meiner Meinung nach auch nicht nur kommerziell
„gepusht“. Ein gewisser Qualitätsstandard des Boards, besonders bezüglich der Robustheit, ist
nötig, um damit sportlich „voranzukommen“. Allerdings ist auch nicht immer das neueste Zubehör
nötig um gut zu fahren und sich zu verbessern.
Die Bretter sind daher auch eine Art „Status- und Zugehörigkeits-Symbol“. Daran kann der
Szenegänger erkennen, ob sich jemand ernsthaft mit Skateboarding beschäftigt, ob er Anfänger ist
oder ob er nur ein „Boardträger“ ist (Bretter sehen aus wie neu), der sich dadurch Eintritt zur Szene
verschaffen möchte. Brett ist dabei aber nicht gleich Brett. Die diversen Marken der
Skateboardproduzenten repräsentieren unterschiedliche „Images“. So sind bestimmte Marken bei
72
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
einem Teil der Skater „angesagt“, bei anderen nicht. Das Image einer Marke wird dabei
hauptsächlich durch den Fahrstil und die Persönlichkeiten der Teams der jeweiligen Marke
repräsentiert, die in den diversen Skatezeitschriften und –videos zu sehen sind. Vor allem sind es
aber die Werbeanzeigen und Grafiken der Bretter, die das Marken-Image widerspiegeln. Hier
besteht vor allem eine Verbindung mit den verschiedenen jugendkulturellen Musikstilen. So gibt es
z.B. Marken, die eher ein Hip-Hop – bzw. Rap-Image haben, und andere, die eher „punkig“ sind.
Bei der Auswahl des Brettes beginnt daher schon die innere Diversifizierung der Skateboardszene,
da die Skater in der Szene ihre Markenpräferenzen haben und ihren Stil schon über das MarkenBrett ausdrücken. Diese Differenzierung über ein Marken-Image geschieht aber nicht bei jedem auf
die gleiche Weise, weil dahinter ein fundiertes Wissen steht, das nicht allen Skatern gleichermaßen
vertraut ist, obwohl man sie schon als Szenegänger einordnen würde. Dieses Wissen wird meist
erst durch einen längeren Aufenthalt (mehrere Jahre) in der Szene erworben.
Natürlich spielt auch die Qualität der Produkte der verschiedenen Marken beim Kauf eine Rolle.
Da diese aber unter den etablierten Firmen fast gleich ist, stellen, neben dem Marken-Image,
Grafiken die einzigen wirklichen Unterschiede dar: „In keiner anderen Sport- oder Jugendkultur
spielt das Grafikdesign eine derart zentrale Rolle“ (Burgoyne/Leslie 1999, S. 11). Damit fördert vor
allem ein gutes Design den Absatz von Brettern. Besonders die Grafiken diverser „Pro-Models“
sind sehr beliebt. Dadurch können die Firmen das Image und die Beliebtheit eines Fahrers nutzen
um den Verkauf zu steigern. „Die Grafiken stellen so ein Bindeglied zwischen den Verbrauchern
und ihrem Idol dar, die Eintrittskarte in die gefährliche Lebensart des Skateboardens“
(Burgoyne/Leslie 1999, S. 49). Aber auch die Inhalte der Grafiken sind entscheidend, denn darüber
lassen sich bestimmte Aussagen machen. Die Aussagen der ersten „richtigen“ Skateboarddesigns
(also nicht nur der Firmenname, sondern Bilder) zu Beginn der 80er Jahre ging ganz deutlich in
Richtung „Rebellion“. Besonders beliebt waren Totenköpfe, was auch mit der damaligen Vorliebe
für Punkrock in der Skateboardszene zusammenhing und mit dem „Outlaw-Image“, das
Skateboarder zu dieser Zeit umgab. Skateboarding ist ‚ein ruppiger Sport und die Kunst muß das
widerspiegeln (...) Skateboardfahrer sind aggressiver [als Surfer, E.J.]. Sie müssen kämpfen, um
Orte zu finden, an denen sie fahren können. Wenn sie mit ihrem Skateboard rausgehen, dann ist das
fast, als ob sie in den Krieg zögen’ (Burgoyne/Leslie 1999, S. 49). Heute wird die
Skateboardszene, wie schon erwähnt, von vielfältigen Jugend- und Musikkulturen beeinflusst und
Totenköpfe haben auch nicht mehr ganz die „rebellische“ Wirkung wie noch vor 20 Jahren.
Dennoch besteht weiterhin die Möglichkeit über die Grafik bestimmte Einstellungen, Vorlieben,
aber immer auch noch Rebellion (z.B. Skateboardaufschrift „I Hate School“) darzustellen. Die
Grafiken der Skateboards, aber auch der T-Shirts, Sweatshirts etc., können somit immer noch als
Abgrenzungsversuche gegen die Eltern oder allgemein eine bürgerliche Lebensweise betrachtet
werden. Erik Brunetti, ein Skateboardgrafik-Designer, gibt folgende Auskunft zu seinem
Beweggrund sexuelle Motive auf Skateboards zu machen: ‚Ich habe das gemacht, weil die
73
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Jugendlichen sich von ihren Eltern abgrenzen wollen (...) Sie wollen Teil einer Art Elitetruppe
sein’ (Burgoyne/Leslie 1999, S. 49). Weiter verweist er darauf, dass mit dem Produkt ebenfalls ein
bestimmter Lebensstil erworben wird, der ein Distinktionskriterium zu anderen Menschen
darstellen soll.
Aber auch politische oder gesellschaftskritische Einstellungen können durch die Grafiken
demonstriert werden. So zierte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 das Konterfei
Osama Bin Ladens mit dem Zusatz: „Wanted! Dead Or Alive“ ein Skateboard. Es gab auch schon
eine Brettgrafik, die Winnie Pooh, den kleinen Bären des Disney-Konzerns, anstatt wie in der
Originalgrafik mit einem Topf voller Honig mit einem Topf voller Goldmünzen zeigte und so eine
Kritik am Disney-Konzern darstellte (Burgoyne/Leslie 1999, S. 50). Damit ist es also auch möglich
bestimmte Sichtweisen oder politische Statements über die Brettgrafiken zu verbreiten, was sich
natürlich auch auf die Käufer und deren Einstellung auswirken kann bzw. die Käufer können
dadurch ihre Einstellung untermauern. Ob die zum Teil politischen oder gesellschaftskritischen
Designs aber auch von den Jugendlichen immer als solche verstanden werden, ist nicht sicher.
Trotzdem: „Die Fähigkeit auf die Figuren oder Ereignisse der Popkultur einzugehen und diese zu
verwerten, ist einer der vordringlichsten Aspekte der Skateboard-Hersteller“ (Burgoyne/Leslie
1999, S. 50). Die Grafiker fahren zudem oft selbst Skateboard oder sind dieser Jugendkultur in
irgendeiner Form verbunden, wodurch sie den Szenestil prägen und weiterentwickeln, gleichzeitig
aber auch authentisch bleiben – zumindest meistens.
Die breite Masse der Skater hat aber eigentlich nur durch ihr Kaufverhalten Einfluss auf die
Grafiken. Bretter, die sich gut verkaufen, treffen anscheinend auch den Geschmack der Käufer.
Dennoch können die Jugendlichen auch selbst ihre Boards über die vorgegeben Grafik hinaus
kreativ bearbeiten. Das beginnt zum Beispiel mit dem Aufkleben des Grip-Tapes (ein Belag
ähnlich einem Sandpapier, durch das die diversen Tricks erst möglich werden) auf die Oberseite
des Decks. Schon hier kann durch ein kunstvolles Auftragen (z.B. durch das Herausschneiden von
Motiven wie Sternen u.ä.) ein bestimmter Stil mitgeteilt werden. Weiter zieren zum Teil auch
Aufschriften mit Lackstift die Grip-Tapes. „Tags“, stilvoll gestaltete (Künstler-)Namen, weisen
dabei auf eine Affinität zur Graffiti- und Hip-Hop-Szene hin. Aber auch über Aufschriften wie z.B.
„If you want to rock, you’ve got to roll ...“ ist die individuelle Einstellung des Fahrers ersichtlich
(Krosigk/Tscharn 2000, S. 36). Weiter können auch durch das (kunstvolle) Bekleben des Boards
mit Stickern von bestimmten Skateboardmarken, Skateshops oder auch aus anderen Bereichen wie
z.B. der Musik, die jeweiligen Präferenzen kundgetan werden, womit es sich wiederum um eine
stilistische (Distinktions-)Praxis handelt.
Für „echte“ Skater steht aber auch nicht unbedingt das „Equipment“ oder Design im Vordergrund –
obwohl es doch ein wichtiges Thema ist –, sondern vor allem das, was man mit dem Brett macht,
74
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
gemäß dem Motto „Action speaks louder than words“. Denn wird ein Brett aktiv gefahren, ist das
Design meist nur eine kurze Zeit sichtbar, da es durch den Gebrauch des Brettes abgetragen wird.
Beim Skateboardfahren geht es vor allem um „Körperbeherrschung und den geschickten Umgang
mit dem Board“ (Hitzler 2001, S. 87). Dabei sind die Skater vielfach stolz auf das, was sie mit dem
Brett machen, da es in ihren Augen etwas ist, das relativ schwierig ist und nicht von jedermann
schon in kurzer Zeit nachgemacht werden kann. Hier sieht sich die Skateboardszene gegenüber
anderen sportlich orientierten jugendkulturellen Szenen wie etwa der In-Line-Szene, die ganz
offensichtlich von ihr „abkupfert“, als „Elite“, wodurch ein Gemeinschaftsgefühl entsteht, welches
wiederum ein Distinktionsmerkmal zu anderen Gruppen darstellt (Rohmann 1999, S. 27). Wie
vorher erwähnt entzieht sich Skateboardfahren (bewusst?!) den Leistungskriterien anderer,
traditioneller Sportarten, aber dennoch spielt Leistung ein wichtige Rolle. Allerdings ist diese
schwer messbar, da in sie neben der Kontrolle des Körpers und des Brettes, Kriterien wie
Originalität, Kreativität und „Style“ (Ästhetik der Bewegung, meist aber auch in Zusammenhang
mit Kleidung) einfließen, die bei unterschiedlichen Menschen individuell verschieden ausgelegt
werden (können). Insofern ist der Leistungsdruck auch eigentlich relativ gering, da es keine
vorgeschriebenen Leistungskriterien gibt, die ein Skater erfüllen muss. Tricks werden nach Lust
und Laune gemacht und wenn ein Trick nicht klappt, versucht man einen anderen. Hier wird
meines Erachtens wieder der Aspekt der Selbstverwirklichung sichtbar. Es ist auch nicht unbedingt
das tatsächliche Können, das jemanden als Szenegänger etabliert, sondern vielmehr die
offensichtliche Bereitschaft (z.B. tägliches Fahren) an sich zu arbeiten und besser zu werden.
Skateboardfahren kann eigentlich von niemandem perfekt beherrscht werden, weil es eine sehr
große Vielfalt an Tricks und Kombinationsmöglichkeiten gibt. Allerdings dominieren zu den
verschiedenen Phasen der Skateboardgeschichte immer bestimmte Tricks, die z.B. als besonders
schwer, als Standard oder auch als „in“ gelten (vgl. Kap. 3.1). So werden in den jeweiligen Phasen
bestimmte Tricks von „allen“ gemacht und andere Tricks dafür gar nicht mehr, d.h. vor allem, dass
sie nicht in den verschiedenen Szenemedien (Magazine, Videos, Internet) gezeigt werden. Wie
schon erwähnt hat sich aber die Tendenz nur die „angesagten“ Tricks zu machen in den letzten
Jahren wieder etwas geändert und ältere Tricks oder einfachere Tricks werden ebenso wieder
geboten und akzeptiert. Auch sie tauchen vermehrt in den Szenemedien auf, was sich natürlich
wieder auf die Art des Skatens in der Skateboard-Szene insgesamt auswirkt. Erlaubt ist, was Spaß
macht. Deshalb ist es auch, z.B. auf Contests, schwer festzustellen wer der „Beste“ ist. „Beim
Skaten geht es nicht um Sieger und Verlierer, jeder versucht für sich und seinen Körper das
Möglichste herauszuholen“ (Binder 2000, S. 115). Bei den diversen Wettbewerben, in denen es
natürlich einen Sieger gibt, steht aber nicht das Gewinnen an erster Stelle. Contests sind die Events
der Skateboardszene, wo es zu einer Verdichtung der Szenekultur kommt. Hier werden neue Tricks
vorgeführt, alte Freunde getroffen und neue gefunden, es wird zusammen „abgehängt“ und „Party
gemacht“. Es geht vor allem um Gemeinschaft (Hitzler 2001, S. 92). Dies gilt sowohl für die aktiv
75
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
am Wettbewerb teilnehmenden Fahrer wie für das Publikum – je kleiner der Event, desto mehr
verschmelzen dabei Publikum und Contestteilnehmer und der Event wird ein „Fest unter Freunden“
(Zentner 1998, S. 129). Trotzdem gibt es natürlich auch Fahrer, denen ihre Platzierung wichtig ist,
da Contests immer auch Ereignisse darstellen, auf denen Sponsoren anwesend sind, die man durch
eine gute Leistung auf sich aufmerksam machen kann. Der Aspekt des Sponsoring im
Skateboarding ist zwar schon recht alt – die ersten gesponserten Teams gab es schon, wie erwähnt,
Anfang 1960 –, aber dadurch, dass heute sehr viele Leute diesen derzeit recht populären Sport
betreiben, gibt es auch dementsprechend viele gute Fahrer. Der Unterschied zwischen guten
Amateuren und Profis ist oft minimal. Ein Sponsoring bedeutet für den Skater eine finanzielle
Entlastung. Bretter und „Skate-Stuff“ wie Achsen und Schuhe sind wichtige Bestandteile, die meist
recht teuer sind und die bei regelmäßigem Gebrauch (täglich) hohen Verschleißerscheinungen
unterliegen. Gesponserte Fahrer müssen sich darum nicht mehr kümmern, denn geht z.B. ein Brett
kaputt, wird es vom Sponsor ersetzt. Der Fahrer kann sich somit voll auf sein Skaten konzentrieren
und muss nicht immer Angst haben, dass bei einem Trick sein Brett bricht und er dann nicht mehr
fahren kann bzw. sein gespartes Geld für ein neues Brett ausgeben muss, das, wie schon gehört,
recht teuer ist. (Ein Deck allein kostet zwischen 50 und 80 Euro.) „Man kann ohne weiteres
behaupten, daß Sponsoren im Skateboarding etwa den gleichen Stellenwert haben wie
Wettbewerbe in anderen Sportarten“ (Krosigk/Tscharn 2000, S. 139). Gesponsert werden und
vielleicht auch sein Hobby zum Beruf zu machen ist für viele jugendliche Skater ein Traum, der
meist aber auch einer bleibt. Nur wenige können in Deutschland allein vom Skateboardfahren
leben, doch aufgrund des derzeitigen „Booms“ sind es in den letzten Jahren wieder mehr geworden.
Die gesponserten Fahrer stellen somit die Szene-Elite dar. Daneben würde ich dazu auch Personen
zählen, die z.B. einen Skate-Shop besitzen, die Wettbewerbe organisieren oder Skate-Magazine
herausgeben – meist skaten diese Leute auch selbst. Es gibt aber auch andere Beispiele. So war z.B.
Titus Dittmann nie wirklich ein Skater, da er Ende der 70er Jahre, als er sich erstmals für
Skateboarding interessierte, schon 30 Jahre alt war. Er hat sich durch sein Engagement, das sich
eben nicht nur im aktiven „Selbst-Skaten“ zeigt, um die Szene verdient gemacht. Dabei stand er
aber immer in engem Kontakt mit den aktiv fahrenden Jugendlichen. Deswegen würde ich auch
solche Leute der Szene-Elite zuordnen. Dittmann gehört wie viele aus der Skateboardindustrie,
besonders bezüglich des Alterskriteriums, nicht mehr der Jugend an, aber ich würde ihn trotzdem
als Mitglied der jugendkulturellen Szene der Skateboarder sehen, wenn auch in einem anderen
Verhältnis. Für die Szene ist wichtig, dass die Authentizität gewahrt bleibt nach dem Motto „Aus
der Szene, für die Szene“ (Dittmann 2002). Die Szene-Elite ist dabei eingebunden in überregionale
Szenen (z.B. fahren gesponserte Fahrer zu Contests in andere Bundesländer oder sogar ins Ausland
und treffen dort auf andere Szenen und Szene-Eliten), wodurch ein großes Szene-Netzwerk entsteht
(Hitzler 2001, S. 95).
76
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
„Von Skatern wird immer wieder hervorgehoben, daß man einfach nur skaten sollte – ohne an
Erfolge und eventuelle Sponsorenverträge zu denken; nur für sich und seinen Spaß“ (Binder 2000,
S. 121, Hervorhebungen im Original). Die meisten Skaterboarder werden auch in ihrer „Karriere“
nie an einem Contest teilnehmen, geschweige denn einen Sponsorenvertrag haben, was aber nicht
unbedingt notwendig ist um in der Szene akzeptiert zu werden. Es geht darum „möglichst viele und
möglichst schwierige Tricks zu beherrschen“ (Hitzler 2001, S. 87). Dies wird dann, insofern diese
Tricks auf einem „Wettkampf“ gezeigt werden, mit einer guten Platzierung belohnt und eventuell
mit einem Sponsor. Im „Normalfall“, d.h. wenn mit Freunden geskatet wird, besteht die Belohnung
aus dem „Respect“ (Schwier 1998a, S. 19), den man für einen „gestandenen“ (schwierigen) Trick
bzw. für sein Skaten allgemein von den anderen erhält. Das Trick-Niveau, für das man die
Anerkennung anderer erhält, ist aber ganz verschieden. So wird jemand, der erst seit kurzer Zeit
mit seinen Freunden skatet, aber schon einen „Ollie“ über ein längs aufgestelltes Skateboard
machen kann, von diesen ebenso hoch eingeschätzt wie jemand, der schon seit längerem in einer
Gruppe fährt, in der das Niveau entsprechend höher ist, wenn er dort einen dem Gruppenniveau
„überlegenen“ Trick vollführt. Allgemein ist in den letzten Jahren eine enorme Steigerung des
Trickniveaus festzustellen, sowohl bei den Profis, die immer jünger werden (z.T. werden schon 15Jährige zu Profis), als auch bei den „Amateuren“. Die Tricks werden höher und weiter gesprungen
und auch die schwierigeren (z.B. Tricks, bei denen das Brett „geflippt“ wird, d.h. mit den Füßen so
bewegt wird, dass es sich um die Längs- bzw. Querachse dreht) werden z.B. immer höhere
Treppenabsätze hinunter gemacht. In der ersten Ausgabe des „ON-Video“-Magazins beschreibt
Jamie Thomas, ein seit Jahren sehr angesehener Skateboardprofi und mittlerweile auch schon 28
Jahre alt, die Situation ungefähr so: „Die Kids sehen die Stunts der Profis in den Videos und
Magazinen (...) Je mehr sie von diesen stunts sehen, desto normaler werden sie für sie (...) Sie
machen diese dann selber meist ohne zu zögern und so wird das Niveau immer höher und big
stunts für sie zum Standard (...) weil sie bisher keine Konsequenzen [d.h. schwere Verletzungen,
E.J.] erlebt haben“ (411 Video Productions 2000). Hier bekommt wieder der Aspekt der Suche
nach dem „Kick“ und der Männlichkeit Bedeutung. Durch einen „big stunt“ demonstriert man
Härte und Risikobereitschaft, wodurch man (vielleicht) von anderen bewundert und von ihnen als
besonders „tough“ und männlich angesehen wird. Das Problem hierbei ist sein Können richtig
einzuschätzen, denn eine Fehleinschätzung kann „unangenehme“ Folgen haben, weswegen der
Aufbau von „Risikokompetenz“ wichtig ist (Schwier 1998a, S. 132). Beim Skaten müssen es auch
nicht immer die ganz großen Tricks sein, die einem „Respect“ einbringen. Nicht nur die Erfahrung
etwas Gefährliches versucht und bestanden zu haben, sondern auch etwas „technisch“ Schwieriges
(z.B. komplizierte Bewegung des Brettes durch den Körper), kann zu einer Steigerung des
Selbstbewusstseins führen. Ebenso kann die Erfahrung etwas nicht geschafft zu haben förderlich
sein für die Entwicklung der Persönlichkeit. Man erkannt die Notwendigkeit weiteren Übens oder
man muss sich eingestehen, dass ein Vorhaben auf unüberwindbare Schwierigkeiten stößt. Eine
77
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Leistung kann zudem alleine sich selbst zugeschrieben werden, aber natürlich auch eine
Fehlleistung.
Dennoch ist ein Erfolgserlebnis „aufgrund der Diffizilität dieser Bewegungsform ein derart
herausragendes und befriedigendes Ereignis, an dem man dran bleiben muß“ (Binder 2000, S.
122f, Hervorhebungen im Original). Dieses „Dranbleiben“ bedeutet dabei nicht nur ständig fahren
zu wollen und sich zu verbessern, es bedeutet meist auch das „Eintauchen“ in die Skateboardszene
und die „Skate-Kultur“, zu der wie schon vielfach angedeutet, mehr gehört als der Besitz eines
Skateboards und das Fahren mit selbigem. „Skaten kontaminiert alle Lebensbereiche eines
typischen Skaters“ (Hitzler 2001, S. 90). Schule oder Beruf werden so „organisiert“, damit
möglichst viel Zeit für die „Lieblingsbeschäftigung“ bleibt. Die intensive Beschäftigung mit dem
Skateboard hat meist auch Auswirkungen auf das eigene Identitätsverständnis der Skateboarder.
Titus Dittman verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass viele Jugendliche, die Skateboard
fahren, wenn sie gefragt werden „was sie denn so machen“, mit der Aussage „Ich bin Skater“
reagieren, wohingegen andere Jugendliche auf diese Frage beispielsweise antworten: „Ich bin
Schüler und spiel’ Tennis“ (Dittmann 2002). Skateboardfahren stellt somit für viele mehr dar als
eine Sportart. Für sie ist es „Ausdruck eines distinktiven Lebensstils“, der (Lebens-)Einstellungen
beinhaltet, die mit einem bestimmten Lifestyle verbunden sind und der auch weitergeführt wird,
wenn man nicht auf dem Board steht (Schwier 1998a, S. 16). Dies bestätigt auch Bernhard Grabbe,
ehemaliger Vorsitzender des „Vereins zur Förderung der Jugendkultur“ in Münster: ‚Ein Skater
versteht sich auch in seinem Alltag als ein solcher, mit allem was er darstellt, sei es die Kleidung,
die Musik, durch alle seine Lebensbereiche zieht sich das’ (Hitzler 2001, S. 90).
In der Skateboardszene, wie in vielen anderen Jugendkulturen, stellen Musik und Kleidung
„zentrale Stilmittel der Szenen“ dar (Wenzel 1997, S. 186). Gerade im Skateboarding besteht eine
enge Beziehung zur Musik, da über sie die Verbindung zu anderen Jugendkulturen bzw.
jugendkulturellen Praktiken hergestellt wurden bzw. werden. Die enge Verbindung zwischen
Skateboarding und Musik zeigt sich vor allem auf den verschiedenen Contests, während derer
eigentlich immer Musik zu hören ist. Auch im Rahmenprogramm größerer SkateboardVeranstaltungen wie etwa dem „Münster-Monster-Mastership“ finden Live-Konzerte diverser in
der Szene „angesagter“ Bands statt. Zudem gibt es auch „Crossover-Events“ (Zentner 1998, S.
129), d.h. Veranstaltungen, die ganz gezielt Trendsportarten und Musik zusammenbringen, wie
etwa die jährlich stattfindende „Vans-Warped-Tour“. Hier zeigen Skateboard- und BMX-Profis
ihre Kunststücke und gleichzeitig spielen verschiedene Musikgruppen, wodurch Leute angezogen
werden, denen beides gefällt und auch solche, die nur wegen der Musik bzw. des Skateboardings
kommen.
78
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Zu Beginn der 60er Jahre war es die Musik der Surfer („Surfsound“), die die Skateboarder, welche
selbst größtenteils auch surften, beeinflusste. Den ersten großen Einfluss, der in der Szene immer
noch spürbar ist, hatte aber die Jugendkultur des Punk Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre.
Mit ihm verschmolz Skateboardfahren und Rebellentum, da die meisten Skater diese Musik hörten
und auch dem damit verbundenen Lebensstil nahe standen. „Anarchisch“ und „regellos“ sind
Eigenschaften, die sowohl auf den Punk wie auch auf das Streetskating zutreffen (Krosigk/Tscharn
2000, S. 33). Punk eignet(e) sich auch hervorragend zum Skaten, da er schnell und aggressiv ist,
was der Stimmung beim Fahren entgegenkommt bzw. jemanden in eine gute Stimmung zum
Skaten versetzt (Rohmann 1999, S. 26). Die Authentizität des Punks spielt dabei eine wichtige
Rolle. Das Motto des Trasher-Magazins „Skate and Destroy“, das besonders in den 80ern die Szene
prägte, ist ebenfalls im Zusammenhang mit Rebellion zu sehen. Krosigk, selbst einer der wenigen
deutschen Skateboardprofis, und Tscharn, seit Jahren renommierter Skateboardfotograf, sehen
Skaten heute eher als „innere Rebellion, die aber keine Formen von Aggression oder bewußtem
Widerstand annimmt“, verweisen aber dennoch weiter auf das „Outlaw-Image“ von Skateboarding,
da es gesetzlich verboten ist auf der Straße zu fahren und von der Mehrheit der Bevölkerung auch
nicht als Sport anerkannt, sondern eher als Ruhestörung und Sachbeschädigung empfunden wird
(Krosigk/Tscharn 2000, S. 34ff).
Mit Beginn der 90er prägt(e) dann vor allem der Hip-Hop und der (Gangsta-)Rap die Szene. Mit
dieser Musikkultur kam das „Ghetto-Flair“ amerikanischer Großstädte, aber auch die betonte
Lässigkeit in die Szene, weil durch diese Musik eine „lockere, ‚coole’ Lebenseinstellung zum
Ausdruck kommt, die von Urbanität und von der aktiven Auseinandersetzung mit der urbanen Welt
geprägt ist“ (Hitzler 2001, S. 93). Lifestyle und Musik greifen hier nahtlos ineinander und ergänzen
sich. Im Hip-Hop und (Gangsta-)Rap werden Themen wie Ghetto-Alltag, das „Gesetz der Straße“,
Maskulinität etc. aufgegriffen, die sich quasi auch mit dem Skateboard „thematisieren“ lassen.
Diese „Wertvorstellungen und Codes“ des Hip-Hop sind aber im „Kontext der Black Community
als afroamerikanische Jugendkultur entstanden“, wodurch diese Botschaften und Symbole bei der
Übertragung in unseren Kulturkreis „zwangsläufig unvollständig dechiffriert und verfremdet
werden“, aber dennoch irgendwie die Jugendlichen an- und ihrem Lebensgefühl entsprechen
(Schwier 1998a, S. 19). Durch den Einfluss des Hip-Hop hat sich nicht nur der Stil der Szene
bezüglich der Kleidung u.ä. verändert, sondern auch der Fahrstil. Boris, ein Stuttgarter Skater,
beschreibt dies so: „Der [Stil, E.J.] ist einfach, wie man so schön sagt ‚smoother’ geworden,
gemütlicher. Der hat mehr ‚flow’, der fließt richtig, der ist weicher geworden“ (Rohmann 1999, S.
23). Krosigk betont aber in diesem Zusammenhang auch, „dass sich Skateboarding heute eher an
der Hip-Hop-Kultur orientiert, bedeutet nicht, dass sich das [rebellische Moment, E.J.] verändert
hätte. Denn auch Hip-Hop benutzt die Sprache der Rebellion“ (Krosigk/Tscharn 2000, S. 38).
79
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Neben dem seit einiger Zeit dominanten Hip-Hop und dem Punk spielen aber auch andere
Musikrichtungen wie Crossover, Rock, Metal und Hardcore eine Rolle, denn nicht alle Skater
folgen der jeweils in der Szene angesagten Musik (Zentner 1998, S. 125). Dadurch kommt es
wiederum zu szeneinternen Differenzierungen über den Musikgeschmack. Die persönliche
Neigung für eine bestimmte Musikrichtung kann wie gehört auch die persönliche Art zu skaten
prägen, d.h. die Vorlieben für bestimmte Arten von Tricks. Es ist aber auch möglich, dass man sich
mit all den oben erwähnten Musikstilen identifiziert und diese je nach Stimmung nutzt. Dieses
Rezeptionsverhalten könnte man als „Crossover“ bezeichnen (Heinzelmaier 1998, S. 150). In der
Musik der Szene spiegelt sich meiner Meinung nach auch die gesamtgesellschaftliche
Pluralisierung und die damit verbunden Optionsvielfalt wider. War es zu Beginn der 80er Jahre
noch eine Musikrichtung, die in enger Verbindung mit Skateboarding stand, ist heute eigentlich
keine klare Zuordnung einer bestimmtem Musikart zur Szene mehr möglich, was natürlich auch
mit der enormen Zunahme der Szenenmitglieder in Zusammenhang steht. Auch wer nicht Hip-Hop
oder Punk hört, sondern z.B. Metal, kann immer noch als „echter“ Skater gelten. Zudem ist nicht
gesagt, wenn jemand Hip-Hop oder Punk hört, dass er auch Skateboard fährt und umgekehrt.
Dennoch ist die Verbindung da, was sich z.B. auch daran zeigt, dass in verschiedenen Hip-Hopund Punk-Musikvideos Skateboarder zu sehen sind. In letzter Zeit ist dies verstärkt festzustellen,
sogar in Pop-Videos. Die Frage ist hierbei aber immer, ob die/der Gruppe/Interpret wirklich etwas
mit Skateboardfahren zu tun hat und insofern authentisch ist oder ob es nur aus Marketinggründen
eingesetzt wird und als ein allgemeines Symbol für Jugendkultur und die damit verbundenen
Assoziationen steht. Die Erforschung von Szenen als Zielgruppen spielt im betriebswirtschaftlichen
Marketing eine wichtige Rolle (Erber 2001, S. 65ff).
Gemeinsam ist den in der Szene vorherrschenden Musikrichtungen, dass sie „hart und schnell“ sind
und das nicht unbedingt immer nur musikalisch, sondern gerade im Hip-Hop oftmals über die
Texte der Lieder (Zentner 1998, S. 125). Techno wird dagegen durchwegs von der Szene
abgelehnt, da es nicht zur „attitude“ der Skater passt (Hitzler 2001, S. 93). Hier sind ganz klare
(musikalische) Grenzen zwischen der Skateboard- und der Techno-Szene zu erkennen, die z.B.
gegenüber der BMX-Szene nicht so deutlich sind, da hier weitgehend die gleichen
Musikpräferenzen vorherrschen und auch der Lebensstil insgesamt recht ähnlich ist. Zu Konflikten
kommt es hier eher in anderen Bereichen, z.B. wenn diese beiden Szenen die gleichen
Einrichtungen nutzen und die Skater sich darüber aufregen, dass die BMXer die Rampen
beschädigen und die BMXer sich beklagen, weil die Skater im Weg stehen. Gemeinsam ist ihnen
aber, dass sie sich als authentisch und elitär empfinden – besonders auch bezüglich ihres Sports,
den nicht jeder macht, und ihrer Musik, die nicht jeder hört – und sich (eigentlich) gegenseitig
respektieren.
80
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Dieser „Elite-Status“ wird auch durch ein anderes jugendkulturelles Stilelement auszudrücken
versucht, die Kleidung. Kleidung und andere Accessoires wie etwa Schmuck, aber z.B. auch
Frisuren und die schon erwähnten Tätowierungen, stellen „elementare Lebensäußerungen der
jugendlichen Identität“ dar und haben einen dementsprechenden Stellenwert (Janke 1995, S. 65).
Jede Szene hat diesbezüglich ihre eigenen „Regeln“, die sich aber gerade heute ständig im Wandel
befinden und sich zudem oft mit anderen Szenen überschneiden, was natürlich auch auf die
Skateboard-Szene zutrifft. Die Kenntnis dieser Regeln ist für die Szenegänger wie für die, die in
die Szene einsteigen möchten, von großer Bedeutung, da über Kleidung Zugehörigkeit und
Abgrenzung, aber auch Individualität und (Lebens-)Einstellungen symbolisiert werden. Gerade
auch die Abgrenzung zur Mode Erwachsener ist ein wesentliches Merkmal jugendkultureller
Bekleidung, weil sie meist nicht nach traditionellen ästhetischen Ansichten vorgeht bzw. diese
Ansichten über die Technik der Bricolage (innerhalb der Szene) umdeutet. Des Weiteren gilt
Kleidung oft noch als Statussymbol, was besonders im Zusammenhang mit bestimmten Marken der
Fall ist, denn wie beim Kauf eines Skateboards wird auch beim Kauf von Markenkleidung ein
bestimmtes Image mit erworben. Janke spricht hier von einem „ideologischen Mehrwert“ (Janke
1995, S. 66).
Wie schon angesprochen bezieht sich eine (ernsthafte) „Skater-Identität“ auf alle Lebensbereiche
und somit auch auf alle Tages- und Nachtzeiten. Dies bedeutet, dass Skater nicht zwischen
„Bewegungs- und Nicht-Bewegungszeiten“ unterscheiden und Skaten eigentlich auch nicht als
Sport im traditionellen Sinne empfinden, weswegen man sich dafür auch nicht extra umzieht
(Binder 2000, S. 99). Die Kleidung, die man in der Schule trägt, ist die gleiche, die man auch
nachmittags zum Skaten an hat, aber auch abends beim „Party machen“ oder „Chillen“ (bewusstes
Nichtstun). Wesentliches Kriterium ist daher, dass die Bekleidung bequem und funktional ist.
Diese Merkmale waren bis Ende der 80er, neben der Vorliebe für bestimmte Marken in der Szene,
ausschlaggebend für die Kleiderwahl. Mit dem Einfluss des Hip-Hop zu Beginn der 90er Jahre
rückte das Element der „Coolness“ zunehmend in den Vordergrund, was nicht nur in direkten
Handlungen zu beobachten ist, sondern auch im Tragen bestimmter Bekleidung. Um 1992 war die
Mode in der Skate-Szene XXL, d.h. übergroße Hosen, bei denen der Schritt bis zu den Knien
hängt, und es wurden – nach traditionellen Vorstellungen – viel zu große T-Shirts getragen. Dieser
„Baggy-Style“ hat sich bis heute in der Szene gehalten, wenn auch die Hosen und Shirts nicht mehr
ganz so groß ausfallen. In der Hip-Hop-Kultur dominiert dagegen weiterhin der „XXL-Look“, was
auf eine eigenständige Entwicklung der Skate-Mode schließen lässt. Zudem ist nicht klar, ob das
derartige Tragen der Hosen und der überweite Kleidungsstil nun auf die Hip-Hop-Kultur
zurückzuführen ist oder auf die Skate-Kultur, die diesen Stil aus Bequemlichkeitsgründen trug/trägt
(Stolle 2001, S. 13). Entscheidend ist, dass diese Art der Kleidung und diese Art Kleidung zu
tragen einen wesentlichen Einfluss auf viele jugendkulturelle Szenen ausgeübt hat, aber zum Teil
auch auf den Mode-Mainstream, wodurch es zu einer Aufweichung dieses Distinktionsmittels kam.
81
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Ein Skater dazu: „Ich mein’, die skaten nicht, warum zieh’n die dann unsere Sachen an?“ (Binder
2000, S. 109). Schwier deutet diesen hip-hop-orientierten Stil so: „Die Weite und Übergröße des
Streetwear steht für distanzierte Lässigkeit, für eine ironisch-aggressive Haltung gegenüber dem
Mode-Mainstream und erschwert dem Betrachter ein genaues Bild von der körperlichen Statur des
Trägers zu gewinnen.“ (Schwier 1998a, S. 18). Dieser Aspekt der Verhüllung des Körpers lässt den
Schluss auf eine der gesamtgesellschaftlichen Tendenz gegenläufige Entwicklung in der Szene zu,
nämlich seinen Körper bewusst bekleidet zur Schau zu stellen. Dagegen spricht aber der Aspekt,
dass Skateboarder sich des öfteren ihres T-Shirts entledigen und „oben-ohne“ skaten, auch an
öffentlichen Plätzen.
Neben dieser hip-hop-orientierten Skatebekleidung ist in den letzten drei Jahren, wie schon bei der
Musik angedeutet, ein „Punk-Revival“ innerhalb der Szene auch bezüglich der Kleidung zu
beobachten. Dieser Stil ist eher durch enge Jeans, zum Teil zerrissen, durch T-Shirts mit
abgerissenen Ärmeln, durch Nietengürtel etc. geprägt. Dadurch vermitteln die Träger natürlich
auch andere Einstellungen. Insgesamt hat sich die Skate-Szene aber betreffend der Kleidung
„liberalisiert“, d.h. vielfältige Variationen sind möglich und werden akzeptiert, was wiederum mit
dem Einfluss andere Jugendkulturen auf die Skateboard-Szene zusammenhängt und so sind auch
hier Pluralisierungstendenzen festzustellen. Wie bei der Musik kommt es auch jetzt vermehrt zu
einem „Stil-Sampling“, einem „Crossover“ im Bereich der Bekleidung, d.h. die nebeneinander
existierenden Stile werden als Baukasten für neue Ideen und Kreationen genutzt. Janke betont, dass
diese „Sample-Kultur“ zu einer der wichtigsten „jugendkulturellen Strategien“ geworden ist (Janke
1995, S. 129). Für die Skateboardszene bedeutet dies jetzt nicht, dass aus völlig anderen
Jugendkulturen Stilelemente importiert werden. Die verschiedenen Stile innerhalb der Szene bzw.
die, die auf die Szene Einfluss haben, können aber gemischt werden. So kann z.B. jemand, obwohl
er eher Hip-Hop hört, auch schon einmal einen Nietengürtel tragen, der eigentlich ein typisches
Punk-Accessoire ist. Zudem entsteht dieses Stil-Sampling auch oft durch Unwissenheit, d.h. dass
die Beteiligten die genauen Bedeutungen der verschiedenen „Stilmittel“ nicht kennen und diese
übernehmen, weil sie ihnen gefallen oder weil jemand, den sie „gut finden“ (z.B. ein bestimmter
Profi-Skater, ein guter Fahrer aus der lokalen Szene oder der Sänger der Lieblingsband) das so hat.
Heinzlmaier sieht auch in diesem Stil-Sampling bzw. „Kulturcrossover“ eine Verbindung zur
Globalisierung (Heinzlmaier 1998, S. 143).
Wie ebenfalls schon erwähnt spielen bei der Bekleidung die diversen Marken eine wichtige Rolle.
„Baggy pants“ gibt es heute nicht mehr nur in den verschiedenen Skateboardgeschäften, sondern
sie können z.B. auch bei H & M gekauft werden und stehen somit einem Massenpublikum zur
Verfügung. Ein bedeutendes Unterscheidungskriterium, um sich weiterhin eine gewisse
Exklusivität zu sichern, ist daher die Marke der Kleidung, weswegen in der Szene auch ein starkes
Markenbewusstsein herrscht (Schwier 1996, S. 77). Skateboarder tragen „bevorzugt Marken von
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Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Firmen, die sich speziell auf Kleidung für Skateboardfahren eingestellt haben“ (Binder 2000, S.
107f). Laien sehen zwischen den Massenprodukten und den Szene-Marken eigentlich keinen
Unterschied, nur die Szenegänger kennen „ihre“ Marken und können daran die verschiedensten
Dinge „ablesen“ – Zugehörigkeit, Grad der Involviertheit etc., ähnlich dem vorher schon
beschriebenen „Mechanismus“ beim Kauf eines Brettes. Durch die Marke kann man sich also
wiederum eine gewisse Exklusivität sichern, da die skatespezifischen Labels eigentlich nicht in
Kaufhäusern verkauft werden, sondern in den Skate-Shops, die in der Szene bekannt sind und in
denen dann auch überwiegend Szenegänger verkehren und einkaufen. Die Glaubwürdigkeit und
Authentizität einer Marke hängt damit stark vom Ort ab, an dem sie verkauft wird, aber eben auch
die „Echtheit“ des Skaters steht mit den „richtigen Klamotten“ in Verbindung. Die diversen
Marken sollten also nur in der Szene bekannt sein und auch nur hier getragen werden. „Marken, die
zunächst auf ein Skater-Publikum spezialisiert waren und dann ihren Markt in Richtung
Mainstream erweitern, haben von diesem Zeitpunkt an die Gunst der skatenden Gemeinschaft
verloren“ (Binder 2000, S. 108). Allerdings ist dieser Mechanismus wesentlich komplizierter, da es
immer fraglich ist, wann „Mainstream“ beginnt.
Das „Übertreiben“ des Markenbewusstseins kann auch (innerhalb der Szene) genau in die
umgekehrte Richtung gedeutet werden. Jemand, der komplett „in Marken“ gekleidet ist, aber die
Kleidung dann z.B. stilistisch nicht zusammenpasst bzw. nicht danach aussieht, als ob in ihr
geskatet wird, macht sich als „Poser“ verdächtig, als jemand, der nur durch die diversen Marken
dazugehören will und eigentlich gar nicht wirklich Skateboard fährt, was letztlich das wichtigste
Kriterium darstellt (Rohmann 1999, S. 23f). Solch ein „Verhalten“ ist für Skater natürlich kein
Zeichen für Authentizität und auch nicht für Zugehörigkeit.
Ein wesentliches Kriterium für Authentizität und Zugehörigkeit in Zusammenhang mit Kleidung
stellen die Skate-Schuhe dar. Natürlich kann man prinzipiell auch in anderen, nicht extra zum
Skaten gemachten Schuhen fahren, aber Skate-Schuhe sind für Skater mehr als „normale“ Schuhe.
Vom sportlichen Aspekt her sind die Schuhe das Bindeglied zwischen Fahrer und Brett. Sie sollen
„einen Sturz abfedern und zudem festen Halt bieten“ (Hitzler 2001, S. 93f). Das Besondere an
Skate-Schuhen im Vergleich zu „normalen“ Turnschuhen ist, dass sie an den durchs Skaten stark
beanspruchten Stellen (Zehenbereich und seitlich) verstärkt und die einzelnen Schuhteile oft
dreifach vernäht sind. Früher waren Skate-Schuhe vom „technologischen“ Stand wesentlich
einfacher und schlichter. Heute sind viele Schuhe aus hochwertigen Materialien und
„technologisch“ fortschrittlicher, vor allem bezüglich der Haltbarkeit und der Sohle mit ihrem
Dämpfungssystem (z.B. Air- oder Gel-Systeme). Dies hängt auch mit der derzeitigen Art zu skaten
zusammen, bei der immer größere Hindernisse hinunter- oder übersprungen werden und dann der
Aufprall dementsprechend stark ist. Dennoch unterliegen Skate-Schuhe auch dem (Mode-)Trend in
der Szene. In den letzten Jahren kamen dann auch verstärkt Schuhe auf den Markt, die an
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Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Basketball-Schuhe der großen Marken wie etwa Nike angelehnt waren. Dies ist wiederum im
Zusammenhang mit der Hip-Hop-Kultur zu sehen, in der Basketballschuhe sehr populär sind. Diese
Weiterentwicklung der Skate-Schuhe führte auch dazu, dass die Preise angestiegen sind. Es gibt
derzeit Skate-Schuhe für bis zu 145 Euro. Die billigsten liegen bei etwa 70 Euro, sind dann aber
nicht so „haltbar“, da sie weniger aufwendig gefertigt werden. Daher wird von vielen – im
Gegensatz zur Kleidung – das Schuhwerk zum Skaten vorher oft gewechselt, d.h. man hat ein Paar
Schuhe zum Skaten, die dann auch dementsprechend aussehen, und eines zum „normal Anziehen“.
Schuhe, die täglich gefahren werden, halten meist nicht länger als zwei bis drei Monate, womit sie
eine der wesentlichen „finanziellen Belastungen“ für die Skater darstellen.
In letzter Zeit gibt es aber auch wieder eine Entwicklung hin zu eher schlichten Skate-Schuhen,
was wiederum auf den Einfluss des Punks zurückgeführt werden kann, aber vor allem auch darauf,
dass die „High-Tech“ Schuhe zum Teil zu dicke Sohlen haben und zu klobig sind, weswegen es
mit ihnen schwer ist zu skaten (Rohmann 1999, S. 21ff). Bei solchen Schuhen überwiegt dann der
„Style“ gegenüber der Funktion, was natürlich wieder die Glaubwürdigkeit einer SkateSchuhmarke in Frage stellt.
Wie bei der Kleidung spielt die Authentizität von Skate-Schuhmarken eine wesentliche Rolle für
ihren Ruf in der Szene. Zu Beginn der 90er konnte man anhand der Schuhe erkennen, ob jemand
Skateboard fuhr. Erstens waren die Schuhe an den entsprechenden Stellen abgenutzt und zweitens
waren die Skate-Schuhmarken eigentlich nur in der Szene bekannt. Robinson Kuhlmann, ein
bekannter deutscher Skater, meint dazu: „Wenn du früher jemand mit Airwalk Ones gesehen hast,
wusstest du natürlich, dass der ein Skater ist. Du hast auf jeden Fall ‚Hallo’ gesagt. Heute trägt
jedes Schulkind Skate-Schuhe und weite Hosen“ (Stolle 2001, S. 13). Wie im Überblick über die
Geschichte des Skateboarding schon angesprochen wurde, hängt die seit etwa 1995 wieder
steigende Beliebtheit des Skateboardfahrens mit der wachsenden Popularität von Skate-Schuhen
und den diversen Skate-Schuhmarken zusammen. Schuhe stellen in den diversen Skate-Magazinen
das „meistbeworbene Produkt“ dar (Hitzler 2001, S. 94). Mit dem zunehmenden Gebrauch von
Skate-Schuhen durch Nicht-Skater geht natürlich die Funktion verloren sich durch sie von anderen
abzugrenzen. Wie auch bei der Kleidung verlieren Schuhmarken, die „Mainstream werden“,
meistens recht schnell das Vertrauen der Szene – spätestens wenn die Schuhe in Kaufhäusern und
Schuhgeschäften auftauchen oder wenn ins Markenprogramm auch skate-unspezifische Schuhe für
die „Masse“ aufgenommen werden. Dieser Aufstieg und Fall einer Marke kann sehr schnell gehen.
So erzählt ein Skater in einem Interview von 1999 noch: „Na ja, und dann kennt man ja die
Skateboardschuhe, also z.B. die Marke ‚DC’ [...] Schau’ dich um – alle haben DC-Schuhe an“
(Rohmann 1999, S. 28). In einem Interview mit einem Skater im Jahr 2000 zeigt sich, dass diese
Marke ihr „gutes Image“ mittlerweile eingebüßt hat: „Das hat nichts mehr mit uns zu tun richtig,
weil das halt jeder anhat – Nichtskater“ (Binder 2000, S. 109). „Die jugendkulturellen Szenen [der
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Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Skater, E.J.] sind ferner quasi immer auf der Flucht vor den kulturindustriellen ‚Major Companies’,
die ihnen auf der Spur zu bleiben versuchen, indem sie die erfolgreichen ‚Underground Labels’
aufkaufen oder kopieren“ (Schwier 1998b, S. 59). Skate-Schuhe sind die szenespezifischen
Produkte, die am weitesten auch außerhalb der Szene verbreitet sind (Maier 2002, S. 35) und
„Tatsache ist, dass sich in Deutschland Skate-Bekleidung und Skate-Schuhe viel besser als die
Boards verkaufen“ (Stolle 2001, S. 13).
Die Ausstattung mit Markenkleidung und -schuhen ist also sehr bedeutend in der Szene, weil sie
ein wesentliches Abgrenzungsmittel darstellen und Exklusivität sichern sollen. Allerdings sind die
Markenprodukte meist recht teuer und stellen somit auch „Statussymbole“ dar. Aber „obgleich
bestimmte Marken bevorzugt werden und einen Skater als authentisch auszeichnen, kleidet man
sich nicht ausschließlich in diesen Marken“, denn oft entsprechen die Preise nicht den finanziellen
Mitteln der Skater (Binder 2000, S. 110). Meist wird ein Mittelweg aus Markenkleidung und
preisgünstigeren Alternativen gefunden und somit die „Echtheit“ gewahrt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kleidung, vor allem auch Markenkleidung, eine wichtige
Rolle spielt. Sie ist nicht nur Stilelement, das eine Unterscheidung zu anderen Gruppen ermöglicht,
sondern vor allem sind mit ihr auch ästhetische Aspekte verbunden. Dies bedeutet, dass ein und
derselbe Trick, in skate-unspezifischer Kleidung vorgeführt nicht so „stilvoll“ aussieht wie in
skateboardspezifischer Bekleidung, denn beim Skaten geht es ja um mehr als nur den „Sport“
(Binder 2000, S. 110). Immer noch vorherrschend sind weite Hosen (vor allem Jeans, aber auch
Chino- und „Cargo-Pants“, Hosen mit aufgesetzten Seitentaschen), Sweat- und T-Shirts (meist
bedruckt mit einem Brustlogo der diversen Skateboardartikelhersteller), bei denen neben der
Ästhetik besonders die Funktion (Bewegungsfreiheit) und die Bequemlichkeit im Vordergrund
stehen (Hitzler 2001, S. 93f). Aber auch engere Hosen werden wieder getragen, weil die nun von
„allen“ getragenen „baggy pants“ nicht mehr ganz die ursprüngliche Authentizität und
Distinktionskraft vermitteln (Stolle 2001, S.13). Ebenso sind Schildmützen und „Beanies“
(Wollmützen) mit Aufdrucken oder Stickereien der Skateboardproduzenten beliebte Accessoires.
Diese Art der Bekleidung wird oft auch als „Streetwear“ bezeichnet.
Über diesen Begriff sind wir jetzt an dem Ort angelangt, an dem Skateboardfahren vornehmlich
stattfindet: auf der Straße. Wenzel bezeichnet den „Lifestyle“ jugendkultureller Straßensportarten
(dazu gehören neben Skateboarding auch In-Line-Skating und Streetball) als „Streetstyle“, mit dem
die bereits beschriebenen Faktoren Körper, Mode und Musik in Verbindung stehen. Die bekannten
jugendkulturellen Stilelemente (Mode, Musik, Sprache, Verhalten) werden nun durch die
„Dimension des Raums“ erweitert, dem „in den meisten früheren Jugendkulturen nicht diese
explizite Bedeutung“ zukam (Wenzel 1997, S. 184ff). Im Zuge der gesellschaftlichen
Veränderungen der letzten 40 Jahre haben sich die Umweltbedingungen gewandelt, die großen
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Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Einfluss auf die Lebensgestaltung und vor allem die Lebensgestaltungsmöglichkeiten von
Jugendlichen haben (Vollbrecht 1995, S. 28). Urban geprägte Lebensräume beeinflussen heute
besonders Freizeitbereich und -gestaltung von Jugendlichen. Wollte die jugendkulturelle
Bewegung des Wandervogels zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch „aus grauer Städte Mauern“
aufs Land ziehen, so „haben die modernen Funsportarten eine intensive Bindung an die urbanen
Kulturen“ (Heinzlmaier 1998, S. 138). Im Gegensatz zur Entstehung der, wie Dietrich es nennt,
„Spielwüste Großstadt“ im Zusammenhang mit dem „Verschwinden des Kinderspiels im
öffentlichen Raum“ (Dietrich 1996, S. 31), entsteht durch die fortschreitende Verstädterung eine
„Spieloase“ für Skateboardfahrer. Die Straße ist der Ort, an dem jeder Skater anfängt die „ersten
Schritte“ zu machen. Oft bleibt sie auch die Umgebung, in der am liebsten gefahren wird („Ich
fahre selber ja auch nur Street“ (Stolle 2001, S. 10)), trotz der steigenden Anzahl von eigens
eingerichteten Skate-Parks und -Hallen. Die Straße ist das Terrain, das am leichtesten zugänglich
ist. In direkter Wohnumgebung gibt es meistens irgendeinen „Spot“, d.h. einen geeigneten Ort zum
Fahren. „Eine wichtige Rolle spielt dabei zunächst der Belag“, der relativ eben und frei von
Kieselsteinen oder ähnlichem sein sollte (Hitzler 2001, S. 90). Aber nicht nur der Belag eines Spots
ist wichtig, sondern die gesamte vorfindbare Architektur (Treppen, Geländer, Bänke, Steinblöcke,
schräge Rampen etc.) zeichnet einen Platz als geeignet zum Skateboardfahren aus. Je reichhaltiger
er mit bestimmten „Obstacles“ (oben genannte Gegenstände, an denen Tricks vollführt werden)
ausgestattet ist, desto mehr Möglichkeiten ergeben sich für die unterschiedlichsten Tricks und
Trickkombinationen. Beispiele für solch attraktive Plätze sind in Deutschland die Kölner
Domplatte, die Frankfurter Hauptwache oder die Philharmonie in Berlin. Prinzipiell gibt es wohl in
jeder Stadt einige gute Plätze, an denen man fahren kann. Auffällig ist, dass die Spots sich im
öffentlichen, meist stark frequentierten Raum befinden. Dies legt nahe, dass Skater darauf aus sind
ihr Können vor Publikum zu zeigen. Für sie ist dies nach eigenen Angaben aber weniger von
Bedeutung, was auch an den vielfältigen Konflikten mit Passanten und sogar der Polizei ersichtlich
ist (Hitzler 2001, S.91). Schwier dagegen weist auf die „bewußte Wahl der urbanen Räume und der
städtischen Öffentlichkeit als Orte der Körperpräsentation und der sportiven Praxis“ hin (Schwier
1996, S. 75). Wenn auch bei manchen Skatern der Aspekt des „Bewundertwerdens“ bzw. der
bewussten Konfliktsuche eine Motivation darstellt, steht meiner Meinung nach bei der Wahl
öffentlicher Plätze zum Skateboardfahren vor allem die gegebene Architektur im Vordergrund. Sie
wird „kreativ bearbeitet“ und ist deswegen auch ohne Publikum reizvoll, was sich z.B. daran zeigt,
dass viele Spots auch nachts aufgesucht werden, wenn kein „Publikum“ anwesend ist. Eine
Bedeutung hat das Publikum aber insofern, als Skateboarding ein Kommunikationsmittel darstellt,
mit dem man „Anderssein“ demonstrieren möchte/kann. Ohne Publikum würde diese
Kommunikation ins Leere laufen (Binder 2000, S. 116).
Prinzipiell ist die Straße „ein ‚gegenpädagogisches Milieu’, durch das man sich den
Erziehungsmaßnahmen der Eltern entziehen und seine Andersartigkeit und Innovationsfähigkeit im
86
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
bewußten Aufsuchen städtischer Bewegungsnischen zum Ausdruck bringen kann“ (Wenzel 1997,
S. 188). Dennoch ist dieser öffentliche Raum für Skater nicht von vornherein ihr Raum. So sind
Bänke auf öffentlichen Plätzen oder Treppengeländer nicht als Gegenstände aufgestellt, die mit
dem Skateboard „geslidet“ (Entlangrutschen mit der Unterseite des Brettes) werden sollen, sondern
haben eigentlich andere Bestimmungen. Die Bedeutung der Objekte im öffentlichen Raum wird im
Grunde von jedem von klein auf erlernt und verstanden (z.B. eine Bank ist zum Sitzen da, ein
Treppengeländer um sich beim Hinauf- bzw. Hinuntergehen daran festzuhalten). Krosigk und
Tscharn nennen diese vordefinierten Bedeutungen die „Sprache der Stadt“ (Krosigk/Tscharn 2000,
S. 25). Dadurch entsteht für die Menschen eine gewisse Sicherheit und Vorhersehbarkeit bezüglich
der in einer Stadt vorfindbaren Gegebenheiten und Verhaltensweisen (z.B. sollte man sich
eigentlich in einer Einbahnstraße darauf verlassen können, dass niemand entgegen kommt), aber
auch eine Begrenzung der Individualität (z.B. durch diverse Verbotsschilder). Skateboarder sehen
eine Stadt aber mit ganz anderen Augen als „normale“ Leute. Bezogen auf die Metapher der
„Sprache der Stadt“ spricht die Stadt quasi in einem „Dialekt“ zu den Skatern und diese
„antworten“ auch in einem „Dialekt“. Dieser Dialekt ist Skateboardfahren an und mit Objekten, die
eigentlich nicht dafür gedacht sind. Zudem hat der Skater weiterhin die Möglichkeit dem Dialekt
neue „Worte“ hinzuzufügen, d.h. indem er mit dem Skateboard die verschiedensten Tricks an den
unterschiedlichsten urbanen Gegenständen probiert und sein Können erweitert, verändert sich für
ihn die Sicht einer Stadt ständig, denn er entdeckt an immer neuen Orten die Möglichkeit Tricks zu
machen. Dies ist ein kreativer Vorgang in einer Umgebung, die eher mit Langweile und
Konformität in Verbindung steht. „Das Stahlrohr, das den Supermarkt umrandet, stellt jetzt keine
Grenze mehr dar, sondern ist Hilfsmittel für Grinds und Slides aller Art“ (Krosigk/Tscharn 2000, S.
26). Man hat ‚die Freiheit sich selbst was auszudenken. Man sucht sich irgendwo in der Stadt ein
Geländer und probiert so lange an einem Trick, bis er klappt’ (Stolle 2001, S. 10). Somit ist im
„Bewußtsein der Akteure letztlich die gesamte Stadtlandschaft voll von potentiellen
Aktionsräumen, die nur darauf warten, für das Skateboard [...] entdeckt zu werden“ (Schwier 1996,
S. 74f). Die Bretter stellen dabei neben dem „Werkzeug der Kreativität“ meist auch die
Transportmittel dar, die die Skater von einem Ort zum anderen bringen. Aber auch öffentliche
Verkehrsmittel, Fahrräder oder Autos werden von den Jugendlichen genutzt, um an die diversen
Spots zu gelangen, die im Laufe eines Nachmittags zum Teil mehrmals gewechselt werden
(Schwier 1996, S. 76). Dies gewährleistet ihnen wiederum Unabhängigkeit von Erwachsenen. Die
jugendlichen Skater „erobern“ sich Lebensräume, die ursprünglich nicht für sie bestimmt waren
und die außerhalb eines „pädagogischen Zugriffs“ liegen. Darin zeigt sich wiederum das
rebellische Moment des Skateboardings. „Streetskating ist von Grund auf eine Form von Rebellion,
aber diese richtet sich nicht gegen das soziale Umfeld, sondern in erster Linie gegen die
Phantasielosigkeit unserer Städte und die fehlende Kreativität des Alltags“ (Krosigk/Tscharn 2000,
S. 34). So liegt der Spaß z.B. beim „Grinden“ (Entlangrutschen mit den Achsen auf diversen
87
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Gegenständen) eines Marmorblocks nicht darin, diesen zu beschädigen – was aber zum Teil die
Folge ist –, sondern einen selbst ausgedachten Trick an einem Objekt zu machen, das eigentlich
nicht dafür geschaffen wurde (Hitzler 2001, S. 88). Zudem können die Skater, wenn ein „Curb“
(Randstein auf dem man „grinden“ kann) kaputt geht, selbst auch nicht mehr fahren, womit sie sich
durch eine mutwillige Zerstörung „ins eigene Fleisch schneiden“ würden. Das „Skate and
Destroy“-Motto spielt somit nur noch am Rande eine Rolle und ist eher durch „Skateboarding is
not a crime“ ersetzt worden. Trotzdem geht es in gewisser Weise um Verstöße „gegen die Regeln
eines üblichen, vordefinierten Auftretens in dieser Öffentlichkeit“ (Binder 2000, S. 18). Dem
Skaten auf der Straße kann man somit auch ein (unbewusstes) „politisches Moment“ unterstellen:
Jugendliche „fordern öffentlichen Raum“ für ihre jugendkulturelle Selbstinszenierung (Stolle 2001,
S. 10). Binder geht noch weiter und sieht Skateboardfahren als die „körperbezogene Reaktion auf
die Folgen fortgeschrittener Modernisierung“ (z.B. Urbanisierung, Hektik der Großstadt etc.)
(Binder 2000, S. 117). Der Skateboard-Lifestyle (Kleidung, sportliche Praxis, Musik, „cooles“
Verhalten) in Zusammenhang mit bestimmten Orten kann als Ausdruck dafür verstanden werden,
wie Jugendliche die Gesellschaft interpretieren und wahrnehmen. Im Gegenzug werden aber auch
die Skater an den öffentlichen Orten wahrgenommen und kategorisiert. Die Reaktionen reichen
hier von Desinteresse über Staunen und Beifall bis hin zu – wie schon erwähnt – Ablehnung als
„Ruhestörer“ und „mutwillige Zerstörer“. Aber die eigentliche Gefahr, die vor allem oft von Seiten
der „Stadtväter“ als solche in den Skatern gesehen wird, ist die Neu- oder Umdefinition von
öffentlichem Raum durch sie, wodurch bestehende Verhältnisse in Frage gestellt werden. Hier kann
eine Verbindung zwischen Skateboardern und Obdachlosen hergestellt werden, „die ebenso Plätze
besetzen ohne an den ökonomischen Aktivitäten um diese Plätze teil zu haben, und deshalb auf
eine Art ‚räumliche Zensur’ treffen, indem man sie vertreibt“ (Binder 2000, S. 120). Konflikte mit
Hausmeistern, Wachmännern, Polizeibeamten etc. sind an öffentlichen Orten an der Tagesordnung.
Skaten in der Öffentlichkeit wird zunehmend kriminalisiert, in den USA stehen zum Teil schon
Haftstrafen auf Skateboardfahren auf öffentlichen Straßen und Plätzen. Darin kann für manche
Skater aber auch der Reiz bestimmter Orte liegen, der Reiz des Verbotenen, mit dem das Image des
„Widerstandskämpfers“ gegen die Regeln der Erwachsenenwelt einhergeht (Schwier 1998b, S.
55f). Skaten stellt für sie bewusste Formen der Auflehnung und Provokation dar, „wie sie
Jugendkulturen zur eigenen Konstitution schon immer benötigt haben“ (Wenzel 1997, S 188).
Skater könnte man quasi mit Soldaten vergleichen, die neue Räume im „urbanen Dschungel“
erobern und alte verteidigen und mit dem Bild des Soldaten ergibt sich wiederum eine Verbindung
zur Männlichkeit. Allerdings gibt es aus Sicht der Szene nur wenige Skater, die bewusst
provozieren wollen. Deswegen ist Gewalt in der bzw. für die Szene eigentlich auch kein wichtiges
Thema. Als zu Beginn der 90er Jahre die In-Line-Skater zunehmend die Plätze der Skater mit
beanspruchten, gab es einige „heftige Auseinandersetzungen: korrekte Keilereien“, was sich
mittlerweile aber durch das Abflauen des In-Line-Booms und eine „gegenseitige Gewöhnung“
88
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
wieder gelegt hat (Rohmann 1999, S. 29). Es kommt jetzt sogar vermehrt vor, dass es die
Skateboarder sind, die von Passanten verbal („Brecht euch die Knochen“) und tätlich angegriffen
werden (Krosigk/Tscharn 2000, S. 37). Die wiederholten Bezeichnungen als „Rowdys“,
„Zerstörer“, „Ruhestörer“ etc. können sich im Sinne des „Labelling-Approach“ bzw.
„Etikettierungsansatzes“ auf die Jugendlichen auch so auswirken, dass sie dieses Bild in ihr
(labiles) Selbstbild aufnehmen und dann dem gemäß handeln, d.h. sie verhalten sich wirklich
„rowdyhaft“ und rücksichtslos. Aber auch wenn sie sich nicht so verhalten, hat diese Art der
Behandlung durch andere sicherlich Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Skater, besonders
bezüglich des „Außenseiterimages“ und des Gemeinschaftssinns in der Szene.
In letzter Zeit wird vermehrt versucht Konflikten von vornherein aus dem Weg zu gehen, indem an
öffentlichen Plätzen Fahrverbote erlassen werden oder indem die Spots „unskatebar“ gemacht
werden, d.h. es erfolgen Umbauten (Kopfsteinpflaster, Blumenstöcke vor den Obstacles,
Metallketten um Geländer etc.), durch die man die Architektur bzw. den Platz im Ganzen nicht
mehr zum Skaten nutzen kann (Hitzler 2001, S. 91). Diese Umbauten können in manchen Fällen
aber genau das Gegenteil bewirken, nämlich dass an einem Spot gerade wegen der Umbauten
weiter geskatet wird oder er dadurch noch attraktiver ist. Wird z.B. um ein Geländer eine Kette
gelegt, damit man nicht mehr darauf „sliden“ oder „grinden“ kann, versucht man nun über diese
Kette zu springen und erst weiter unten am Geländer den Trick zu machen, der dadurch zwar
schwieriger wird, was aber gleichzeitig natürlich eine Herausforderung darstellt. Diese
Herausforderung ist aber jetzt nicht nur an das eigene Können gerichtet, sondern eben auch wieder
an die Leute, die den Spot „skaterfrei“ haben wollen, was sie aber dann doch nicht geschafft haben.
Auch hier zeigt sich wieder deutlich das rebellische Moment und der räumliche Aneignungsaspekt.
Alternativen zum Skaten in der Öffentlichkeit stellen Skate-Parks und -Hallen dar. Hier sind die
Skater nicht den Vertreibungen ausgesetzt und können ihrem Vergnügen in Ruhe nachgehen.
Problematisch dabei ist, dass die Konzeption der häufig recht teuren Anlagen und Hallen oftmals
ohne Einbeziehung der örtlichen Skate-Szene bzw. von Leuten, die sich mit der Einrichtung
solcher Anlagen auskennen, durch Städte oder Gemeinden allein erfolgt. Dies führt dann oft dazu,
dass die eigens eingerichteten Plätze und Hallen von den Skatern nicht akzeptiert werden, da sie
„verplant“ sind, d.h. sie entsprechen nicht den erforderlichen Bedürfnissen (Hitzler 2001, S. 91).
Dies verstimmt natürlich wieder die Verantwortlichen und erschwert die Durchführung weiterer
Projekte. An diesen eigens eingerichteten Anlagen kann es auch zu Konflikten zwischen den
verschiedenen Nutzergruppen (Skater, In-Liner, BMXer) kommen, da diese Gruppen die Obstacles
auf unterschiedliche Weise fahren und dabei meistens nicht auf die anderen Gruppen Rücksicht
nehmen. Darüber hinaus kostet der Eintritt zu diesen Einrichtungen oftmals Geld, was bei einer
häufigen Nutzung doch eine gewisse finanzielle Belastung darstellt. Vor allem fällt bei solchen
Anlagen aber die „Erlebnis-Dimension der Aneignung des öffentlichen Raumes weg“ (Hitzler
89
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
2001, S. 91). Dennoch etablieren sich Skate-Hallen zunehmend als Szene-Treffpunkte, denn hier
kann man auch bei schlechtem Wetter und im Winter fahren. Für jemanden, der täglich fahren
möchte, stellen Hallen, auch wenn sie nicht ganz den Bedürfnissen entsprechen, gute Alternativen
dar, die mancherorts sehnsüchtig herbeigewünscht werden.
Zudem sind die extra eingerichteten Anlagen, ebenso wie die „natürlichen“ Spots, Treffpunkte, an
denen es zur Gemeinschaftsbildung kommt und an denen die Szene-Kultur durch das gemeinsame
Fahren und die Kommunikation untereinander weiterentwickelt wird. An den diversen Spots wird
eben nicht immer nur gefahren, sondern auch einfach nur „mit den Kumpels abgehängt und
gequatscht“. So suchen z.B. verletzte Skater, obwohl sie im Moment nicht fahren können, ebenso
wie sonst die Skate-Plätze auf um Freunde zu treffen. Die Szene wird auch oft mit einer „Familie“
verglichen (Binder 2000, S. 101). Die jeweiligen lokalen Spots sind darüber hinaus Anlaufstellen
und Kontaktpunkte für ortsfremde Skater. Neben diesen Plätzen spielen dabei auch die örtlichen
Skate-Shops eine wichtige Rolle für die Szene, nicht nur als Lieferanten der „Hard- und Software“
(Boards, Kleidung, Schuhe etc.), sondern auch als Treffpunkte für die lokale Szene, aber eben auch
für Ortsfremde. Tilmann Göbel, selbst Skater und Mitarbeiter des „Skater’s Palace“ (Skatehalle) in
Münster, meint dazu: ‚Wenn man in einer Stadt neu ist, dann geht man am besten in den lokalen
Skater-owned-Shop, weil man sicher sein kann, daß da dann die lokalen Skater sind, mit denen
man über Spots und anderes quatschen kann’ (Hitzler 2001, S. 91f).
Ein weiterer „Informationslieferant“, angesiedelt auf einer anderen Ebene, sind die diversen SzeneMedien, allen voran die Skate-Magazine. Auch sie stellen eine Kommunikationsplattform und
„Verbindung zwischen den einzelnen örtlichen Szenen“, aber auch zur internationalen Szene dar
(Schwier 1996, S. 74). Szene-Medien geben „Impulse“ vor bzw. nehmen diese auf und spiegeln sie
wider (Binder 2000, S. 121). In Deutschland gibt es im Bereich der Print-Medien zwei große
Publikationen („Monster Skateboard Magazine“ und „Limited Skateboard Magazine“), daneben
einige kleinere Magazine (z.B. „Boardstein“), aber auch „Skate-Zines“, die von örtlichen Szenen
herausgegeben werden und meist nur wenige kopierte Exemplare umfassen. Auch die USMagazine („Thrasher“, „Transworld Skateboarding Magazine“, „Skateboarder“, „Big Brother“)
sind in den Skateshops erhältlich, die mit durchschnittlich sechs Euro aber mehr als doppelt so
teuer sind wie die deutschen Magazine. Des Weiteren gibt es auch Magazine wie etwa das „LoDown“, das sich neben Skateboarding auch mit anderen jugendkulturellen Bereichen wie
Snowboarding, Graffiti, Hip-Hop, Lifestyle etc. befasst.
Der Inhalt der „reinen“ Skate-Magazine umfasst Berichte über Contests und Skate-Touren, „CityReports“ (hier wird eine Stadt mit seinen Spots und der örtlichen Szene vorgestellt), Interviews mit
bekannten nationalen wie internationalen Skatern und „Newcomern“ in der Szene, Berichte über
(neue) Skate-Parks bzw. -Hallen und zum Teil auch über neue Produkte, oft auch Interviews mit
90
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Musikgruppen, Berichte über neue (Szene-)Musik-Alben, Videospiele und natürlich Werbung
(hauptsächlich von Unternehmen aus der Skateboardbranche). „Großen Raum nehmen aber vor
allem Photos von bekannten Skatern ein, die vor der Kamera ihre spektakulären Tricks vorführen“
(Hitzler 2001, S. 94). Sowohl der Inhalt der Magazine als auch die Sprache, in der die
verschiedenen Artikel verfasst sind, verdeutlichen, dass die Hefte sich speziell an die „Kernszene“
bzw. die etablierten Szenegänger wenden (Zentner 1998, S. 126f). Es dominiert die Szene-Sprache
mit ihren diversen Fachausdrücken für das Material („Deck“, „Wheels“, „Griptape“, „Spacer“ etc.),
für die verschiedenen Tricks („Ollie“, „Pop-Shove-It“, „Kickflip“, „Ollie to frontside Tailslide 270
Shove-It off“ etc.) und Gegenstände an denen die Tricks gemacht werden („curb“, „ledge“, „bank“
(gemeint ist damit keine Bank zum Sitzen, sondern eine schräge Auffahrt), „rail“, „stairs“ etc.).
Aber auch andere Ausdrücke werden verwendet, die eigentlich nur innerhalb der Szene oder
„verwandten“ Szenen bekannt sind („gestoked“, „fett“, „Poser“ etc.). Dies liegt auch daran, dass
die „redaktionelle Arbeit [...] durchgängig von Szenegängern geleistet“ wird (Hitzler 2001, S. 95).
Die Sprache ist, wie schon erwähnt, ein wesentliches Stilmittel, durch das sich die Jugendlichen
bewusst abgrenzen können. Gespräche zwischen Skatern über Szene-Themen sind für
Außenstehende meist unverständlich. Wie aus den oben angeführten Fachausdrücken ersichtlich
wurde, besteht die Sprache zu einem großen Teil aus Anglizismen, was auch nicht verwunderlich
ist, „da die nordamerikanische Szene die Referenz-Kultur schlechthin ist“ (Binder 2000, S. 107).
(Der Einfluss des Englischen ist aber in Deutschland in vielen, auch nicht jugendkulturellen
Bereichen deutlich erkennbar, wie die diversen Fachausdrücke z.B. im betriebswirtschaftlichen
„Marketing“-Bereich zeigen). Das Erlernen und der richtige Gebrauch der Szene-Sprache erfordert,
ebenso wie der korrekte Einsatz anderer (Szene-)Stilmittel, eine längere und intensive
Beschäftigung mit der Szene. Aber wie bei der Kleidung kann jemand durch den übermäßigen
Gebrauch des scheinbar authentischen Stilmittels der Sprache wieder als „Poser“ entlarvt werden.
Viele „fahren mit ihrem Mund“ besser Skateboard als mit ihren Füßen.
Dennoch ist die Sprache ein wichtiges gruppenkonstituierendes und gemeinschaftsförderndes
Distinktionsmittel, in dem auch der Lifestyle und bestimmte Einstellungen zum Ausdruck kommen.
Zurückkommend auf die Skate-Magazine wird dies in den Artikeln immer wieder deutlich, wenn
z.B. über die Partys berichtet wird, die oft im Zusammenhang mit den Wettbewerben und Events
statt finden. „Die Zeitschriften [...] zeigen Profis, die einerseits noch Spaß am Sport, andererseits
Partylaune haben (das zeigt sich durch ein enges Gruppengefühl der Sportler untereinander, Neid
wird eher durch Freude über gelungene Sprünge der Konkurrenz ersetzt). Gerade das
Freiheitsbedürfnis der Sportler wird in den Zeitschriften deutlich gezeigt“ (Zentner 1998, S. 128).
Freiheit ist, wie erwähnt, einer der bedeutendesten und motivierendsten Aspekte des
Skateboardings. Das bedeutet, dass die Sache, die man sich freiwillig ausgesucht hat, (täglich)
geübt wird, ohne Trainer, Leistungsdruck und Konkurrenz, wann und wo man will. Trotz dieser
91
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Individualität sind „Kommunikativität und Gemeinschaft“ wichtige Bezugspunkte der Szene und
dies obwohl Leistungsunterschiede zwischen den Skatern bestehen (Hitzler 2001, S. 89). Gute
Fahrer wirken an einem Spot dabei oft wie „Magneten“, d.h. andere Skater kommen extra an einen
Platz, um diese Fahrer zu sehen, um sich Tricks abzuschauen oder um mit ihnen zu reden (Hitzler
2001, S. 95). Ebenso wird betont, dass der Spaß zusammen mit anderen im Vordergrund steht und
eben nicht die Leistung, was in den diversen Interviews mit Skateboardern immer wieder zum
Ausdruck kommt („ ... im Prinzip einfach Spaß haben zusammen“, „Hauptsache: Skaten und Spaß
haben“, „An erster Stelle steht der Spaß“ (Rohmann 1999, S. 26ff)). Diese Einstellungen
schwingen in der Sprache und somit in der direkten Kommunikation unter den Skatern immer
(latent) mit und daher auch in den Artikeln der Skate-Publikationen. Durch diesen „Szene-Code“
wird die Szene-Kultur aufrechterhalten und weitergegeben (Zentner 1998, S. 133).
Ein weiteres wichtiges „Kommunikationsmedium“ stellen Videos dar (Hitzler 2001, S. 95). Die
meist von den Skateartikelherstellern produzierten Filme zeigen die bekannten Skater mit ihren
neuesten Tricks und dienen somit als Anregung für andere Skater, auch bezüglich dargebotener
Lifestyle-Elemente (z.B. Kleidung oder „Party machen“). Zudem fangen auch die örtlichen Szenen
hierzulande an Videos zu filmen und in den (lokalen) Skate-Shops zu verkaufen. Dabei stimmen
die Einstellungen und Meinungen, die in den Szene-Medien verbreitet werden, nicht unbedingt
immer mit denen von Eltern oder Pädagogen überein, denn in manchen Videos geht es nicht immer
nur um Skateboardfahren. Auch das „Party machen“ wird auf einigen Videos und in Magazinen
dokumentiert. Hier wird dann oft verstärkter Alkoholkonsum – zum Teil auch Drogenkonsum –
gezeigt bzw. darüber berichtet. Allerdings spielen in der Szene „harte Drogen“ eigentlich keine
Rolle. Am häufigsten werden neben Alkohol „weiche Drogen“ wie Cannabisprodukte konsumiert,
die auch im Rahmen des Lifestyles als „normal“ gelten. Dies wird auch nicht unbedingt als
illegales Verhalten gesehen (Rohmann 1999, S. 22ff). Dennoch ist der Alkohol- und
Drogenkonsum nicht „verpflichtend“, d.h. ein „echter“ Skater muss nicht automatisch Alkohol
trinken und „kiffen“. Daneben werden in manchen Videos auch diverse „Aktionen“ gezeigt, die ich
vom pädagogischen Standpunkt als bedenklich einstufen würde. So gab es vor einigen Jahren z.B.
ein Video, in dem sich die Akteure – eigentlich professionelle Skate- und Snowboarder – in
betrunkenem Zustand Bierflaschen auf dem eigenen Kopf zerschlagen haben. In den folgenden
Monaten wurde dies auf diversen Partys von vielen Jugendlichen nachgemacht, meist eben von
Skatern, weil sie das (Szene-) Video kannten. Ein aktuelles Beispiel stellt die derzeitige Diskussion
um die MTV-Show „Jackass“ dar, an deren Konzeption und Durchführung einige Leute aus der
US-amerikanischen Skateboard-Szene (Skateboard-Profis, Skateboard-Fotografen etc.) maßgeblich
beteiligt sind. Auch hier werden „Späße“ aller Art gezeigt, vom Erschrecken anderer durch Leute
in Werewolf-Kostümen bis hin zum Test von Selbstschutzwaffen wie Taser oder CS-Gas an sich
selbst. Gerade weil viele dieser Aktionen von Jugendlichen nachgeahmt werden, steht die Sendung
in der Diskussion. Auch bezüglich der Tricks werden in Videos zum Teil sehr gefährliche Manöver
92
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
gezeigt, die nicht unbedingt von jedem nachgeahmt werden sollten. Das alles kann natürlich als
jugendkulturelles „Abgrenzungsverhalten“ interpretiert werden. Dieser „Vorbild-Effekt“ ist meiner
Meinung nach aber kein Problem, das nur auf Skateboarding zutrifft, sondern allgemein die
Mediennutzung und die damit verbundene Medienkompetenz betrifft, und er steht sicherlich noch
in Verbindung mit anderen Faktoren (z.B. individuelle Persönlichkeit, Situation etc.).
Problematisch wird es, wenn solch ein Verhalten als konstitutiv für einen „echten“ Skater erachtet
wird.
Nichtsdestoweniger haben Videos auch einen gemeinschaftsbildenden Aspekt, denn es ist üblich,
„daß sich Skater zu Hause treffen und gemeinsam Videos anschauen“ (Hitzler 2001, S. 95). Auch
in Skate-Läden oder -hallen werden zum Teil Videos gezeigt, z.B. als Premierevorführungen.
Zudem filmen viele Jugendliche, egal wie gut sie fahren, ihre Tricks und machen selbst kleine
Videos (Rohmann 1999, S. 25). Diese Form der Dokumentation spielt in der Szene und auch bei
den Profis eine wichtige Rolle. Eine Kamera motiviert oft dazu einen Trick zu versuchen, den man
ohne sie vielleicht nicht wagen würde. So machen Skater z.B. einen schwierigen oder gefährlichen
Trick oft nur solange bis er „im Kasten“ ist und wiederholen ihn nicht. In den Videos werden somit
Leistungen gezeigt, an der sich andere dann messen, z.B. in der Form, dass sie an diesem Spot
einen schwierigeren Trick versuchen. Ein guter „Part“ (Beitrag) in einem Video oder ein Interview
in einem großen Skateboard-Magazin mit entsprechenden Bildbeweisen über das Können ist oft die
Voraussetzung für den Aufstieg (zum Star) in der Skateboard-Szene (regional, national wie auch
international) – bedeutender als gute Wettbewerbsplatzierungen. Ähnlich dem Mechanismus im
„Show-Business“ stellt somit die Medienpräsenz eines Skaters einen wichtigen Faktor dar um in
der Szene bekannt zu werden und diese Medienpräsenz muss eben nicht immer nur in guten
sportlichen Leistungen bestehen. Der Erfolg einiger bekannter Skateboarder kommt oft daher, dass
sie einerseits gut und „stylish“ fahren, andererseits aber keine Party auslassen und auch hier „über
Grenzen gehen“, d.h. viel trinken, „kiffen“ oder „groben Unfug“ treiben, was dann in Videos oder
Magazinen dargestellt wird (Rohmann 1999, S. 34). Hier zeigt sich wieder deutlich, dass
Skateboarding mehr umfasst als den sportlichen Aspekt, aber auch dass die gesellschaftliche
Mediatisierung und ihre Mechanismen sich ebenfalls auf die Skateboard-Szene auswirken. Den
Medien kommt somit eine „Gatekeeper-Funktion“ zu (Janke 1995, S. 34), weil sie selektieren und
eben nicht die ganze Bandbreite präsentieren, d.h. in diesem Fall z.B., dass nicht alle guten bzw.
„normalen“ Skater-Persönlichkeiten gezeigt werden. Ebenso dienen neue Medien wie etwa das
Internet, im Zusammenspiel mit anderen technischen Entwicklungen (z.B. Digitalkameras), der
Szene zur schnellen Verbreitung von Informationen (Hitzler 2001, S. 95). Ihnen kommt also
insgesamt eine große Bedeutung für die Entwicklung der Szene zu – für den derzeitigen „Boom“
sind besonders die Massenmedien (Fernsehen, Magazine) durch ihre Berichterstattung über die
Szene mitverantwortlich –, indem einerseits neue Trends in der Szene und darüber hinaus verbreitet
werden und andererseits auch eine Art „Selbst-Stereotypisierung“ stattfindet, durch die es zu einer
93
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Festigung der Szene-Kultur kommt (Binder 2000, S. 121). Die nationalen bzw. internationalen
Medien führen dabei zu einer Angleichung der verschiedenen lokalen Ausprägungen der Szene
(z.B. durch Werbung für bestimmte Marken), da die in den Medien repräsentierte Gestalt des
Skateboardings als verbindlich erachtet wird.
Die Medien liefern zusammen mit dem „wirklichen“ Leben in der Szene die Kriterien für die
Authentizität des Skateboardings. Diese „Echtheit“ ist, wie schon an einigen Stellen dargestellt,
eines der wichtigsten Kennzeichen für die Zugehörigkeit und auch für das Selbstverständnis der
Szene. Das ist auch verständlich, weil Jugendkulturen heute zum Teil konsumindustriell
„produziert“ werden, gerade auch in Verbindung mit Medien. Die Zugehörigkeit zur Szene basiert
auf der Authentizität ihrer Mitglieder. Es kommt zu einer Differenzierung in „In- und Out-Group“
und zwar dadurch, dass einigen das Prädikat „authentisch“ zugesprochen wird und anderen nicht
(Binder 2000, S. 121). Dies geschieht durch die Einschätzung der vorher erwähnten Stilelemente
wie Kleidung, Board, Musik, Verhalten etc. durch andere. Neben diesen Merkmalen spielt das
eigentliche Skateboardfahren aber immer noch die wichtigste Grundlage für die Zuschreibung von
„Echtheit“. Dies ist besonders jetzt von großer Bedeutung, da durch die „Vermassung“ der Szene
bisher gültige „Güte-Siegel“ (skateboardspezifische Kleidung, Schuhe, Musik etc.) zunehmend ihre
Funktion als Zugehörigkeitssymbol und Distinktionsmittel verlieren. Die gestiegene Popularität des
Skateboardings wird von vielen Skatern daher vielfach negativ beurteilt. Ein Jugendlicher meint
zur gegenwärtigen Entwicklung: „Bin ich besser als die anderen? Was hast du für ein Deck, was
hast du für Klamotten? Um nichts anderes geht es mehr. Das ist doch hier alles äußerst unschön“
(Stolle 2001, S. 13). Deswegen werden andere Kennzeichen für Authentizität in der Szene
wichtiger, wie etwa die „Ursprünglichkeit“ des individuellen „Skater-Daseins“. „Schon immer zu
skaten“ und nicht erst seit es Mode ist gilt als authentisch, weswegen auch ältere Skater, die nicht
mehr die neuesten und härtesten Tricks machen, dennoch akzeptiert sind (Rohmann 1999, S. 23).
Darüber hinaus symbolisieren auch die verschiedensten Verletzungen die Ernsthaftigkeit der
Beschäftigung mit dem Brett (Binder 2000, S. 122). Dies alles sind Merkmale, die eigentlich nicht
käuflich sind.
Zusammenfassend lässt sich meiner Meinung nach über die Skateboard-Szene sagen, dass sie eine
prototypische Jugendkultur der Postmoderne darstellt, was vor allem in ihren Einstellungen
(Selbstverwirklichung, Freiheit, Gemeinschaft, Individualität, Ästhetik, Spaß, Action, Bedeutung
von Stil- bzw. Distinktionsmittel wie Kleidung, Musik, Körper etc.) zum Ausdruck kommt. Die
Szene kann dabei positive wie negative Auswirkungen auf ihre Mitglieder haben, je nach
Persönlichkeit, Grad der Eingebundenheit, Alter, andere Interessen (z.B. andere Hobbies) etc. Der
Großteil der Szene sind Jugendliche im klassischen Sinn (zwischen 13 und 18 Jahren) und Post-
94
Die jugendkulturelle Skateboard-Szene
Adoleszente (bis etwa 25 Jahre), wobei auch immer mehr ältere (bis 30 Jahre) sich der Szene
zugehörig fühlen. Aus dieser Gruppe kommen vor allem die „Macher“ der Szene (Skate-ShopBesitzer, Contest-Veranstalter etc.), die die kommerziellen „Chancen“, die die Szene bietet, nutzen.
Wie alle anderen Jugendkulturen stellt auch die Skateboard-Szene einen Abgrenzungsversuch,
besonders gegenüber Erwachsenen, aber auch gegen andere Jugendkulturen dar. Sie ist dabei
trotzdem in die gesamtgesellschaftlichen Mechanismen der Konsumindustrie eingebunden, d.h.
dass auch sie vor erwachsenen- bzw. massenkulturellen Vereinnahmungen nicht verschont bleibt
(z.B. ersichtlich an Sponsoren auf Skateboardveranstaltungen wie etwa Elektronikkonzerne oder
Softdrinkhersteller, Aufkaufen populärer Szene-Marken durch große Konzerne). Das Verhältnis
der Szene zu dieser Entwicklung ist auch hier ambivalent, da zwar einerseits versucht wird den
Vereinnahmungsversuchen bewusst zu entgehen um authentisch zu bleiben („sich nicht kaufen
lassen“), aber andererseits wird die Szene dadurch größer, es fließt mehr Geld in sie, was ihr und
den Skatern zu Gute kommen kann (z.B. bessere Produkte, mehr Sponsoring, bessere SkateAnlagen etc.). Durch die steigende Popularität und dem damit verbundenen Wachstum der letzten
Jahre verliert sie aber wiederum ihren elitären Charakter und die Funktion sich durch
Skateboardfahren abzugrenzen. Die Szene ist mittlerweile so bedeutend, dass sie vor allem
bezüglich
ihres
Lifestyles
wesentlichen
Einfluss
auf
andere
jugendkulturelle
Szenen
(Snowboarding, Wakeboarding, In-Line, z.T. BMX) ausübt und sogar auf die Erwachsenenkultur
(z.B. bezüglich Sportmode) (Hitzler 2001, S. 86). Ähnlich dem Wandervogel, dem nur ein relativ
geringer Prozentsatz der damaligen Jugend angehörte, hat auch die Skateboard-Szene heute meines
Erachtens im Verhältnis zu ihren Mitgliedern einen relativ großen Einfluss auf Jugendliche
allgemein (z.B. bezüglich Kleidung und Schuhe) – wenn auch oft indirekt (vgl. auch Kap. 2.4, S.
34).
Das aktive Ausüben des Sports bleibt dabei aufgrund der notwendigen körperlichen Konstitution
und auch wegen des hohen Zeitaufwandes den Jugendlichen vorbehalten. Skateboarding stellt in
Zeiten von Multioptionalität und „Bindungsangst“ aber trotzdem keine Freizeitkultur dar an der
man nur ab und zu teilnimmt. Zum Teil hat sie sogar den Charakter einer Subkultur, gerade wenn
es um die „Eroberung von Räumen“ und „Rebellion“ geht. Die Jugendkultur „Skateboarding“
beeinflusst alle Lebensbereiche eines „echten“ Skaters, auch jenseits der Freizeit, und wirkt sich
dadurch prägend auf die Identität der Jugendlichen aus. Ihnen ist dabei aber klar, dass sie diesen
Sport nicht ihr ganzes Leben lang praktizieren können (Rohmann 1999, S. 26). Dennoch glauben
viele ihr „Skater-Image“ auch in ein „Leben danach“, zumindest teilweise, mitnehmen zu können
(Binder 2000, S. 123). Was dies für die Zukunft der Gesellschaft bedeutet bleibt abzuwarten.
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Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
4
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
Die vorangegangene Beschreibung der Skateboard-Szene ist, wie schon gesagt, verallgemeinernd
und nicht vollständig. Aufgrund der vielfältigen Ausprägungen und Möglichkeiten, die die
Jugendphase bietet, zusammen mit der Schnelllebigkeit von Trends und Moden in der heutigen
Zeit, sind solche Beschreibungsversuche auch immer schwierig, gerade weil es verschiedene
Interpretationsmöglichkeiten bestimmter Sachverhalte gibt. Ich glaube trotzdem, dass gewisse
Haltungen und Tendenzen sichtbar wurden, die für eine pädagogische Arbeit mit der Szene
relevant sind.
Vorab stellt sich aber die Frage, ob die Skateboard-Szene überhaupt pädagogische „Hilfe“ benötigt.
Wahrscheinlicher ist sogar, dass solche „Hilfe“, wenn sie in „üblicher“ Form ausfällt, als
Vereinnahmungsversuch und Bevormundung durch Erwachsene empfunden wird, denen sich die
Skater vermutlich entziehen. Der Erfolg dieser Jugendkultur liegt gerade in der NichtInstitutionalisierung, dem informellen Charakter der Szene und dem weitgehenden Ausschluss von
Erwachsenen. Daher ist es unwahrscheinlich, dass eine „traditionelle“ Herangehensweise an die
Szene über herkömmlichen Angebote (z.B. Sportvereine, Jugendverbände, Schulsport etc.)
erfolgsversprechend ist, weil durch sie dieser „spezielle Charakter“ verloren geht bzw. diesem nicht
entsprochen wird (Schwier 1998a, S. 7). Zudem scheint mir die Szene auch keine Zielgruppe im
klassischen Sinn für (sozial-)pädagogische „Intervention“ zu sein, wie etwa für sozial
benachteiligte Jugendliche mit „problematischem“ Verhalten, die es natürlich in der Szene auch
gibt. Wie erwähnt stammen die Mitglieder vornehmlich aus der Mittelschicht, sind durch die Eltern
meist finanziell abgesichert und gesellschaftlich integriert. „Auffällig“ werden sie oft erst durch
Skateboardfahren in der Öffentlichkeit, wenn z.B. Bänke, Geländer und ähnliches in
Mitleidenschaft gezogen werden und es zu Konflikten mit Passanten oder der Polizei kommt. Das
Problem hierbei ist, dass Skateboarding oft noch nicht als Sport anerkannt wird („mit den Füßen
gegen ein Stück Holz treten“), was natürlich wieder auf die informelle Art der Szeneorganisation
und die Nicht-Institutionalisierung zurückzuführen ist, weswegen es meist auch keine
Interessenvertretungen für die Belange von Skateboardern gibt.
Der sportliche Aspekt spielt beim Skateboarding dennoch eine wesentliche Rolle: „Skaten ist eine
Sportart“ (Hitzler 2001, S. 87). Dabei muss man nämlich die Entwicklung des Sports in der
Gesellschaft mitberücksichtigen. Wie erwähnt ist eine gesellschaftliche Versportlichung, aber auch
eine Individualisierung im Sport festzustellen, wodurch es insgesamt zu einer Veränderung des
Sports kommt bzw. zu einer Veränderung der Auffassung von dem, was Sport ist. Skateboarding
entspricht diesem Entwicklungstrend (vgl. fünf Trends der Sportentwicklung bei Jugendlichen
(Kap. 3.2.1, S. 67f)), trifft aber auch immer wieder auf die erwähnten „traditionellen
Sportvorstellungen“ (Trainer, feste Trainingszeiten und –orte, Trikots, Wettkampfgedanke etc.).
96
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
Durch die verstärkte Präsenz in (Massen-)Medien (v.a. im Fernsehen, z.B. bei DSF, Euro-Sport
etc.) bekommt Skateboarding zwar immer mehr den Ruf einer „seriösen“ Sportart, was wohl aber
vor allem daran liegt, dass über Skate-Contests berichtet wird, die von der „Masse“ – besonders
von Erwachsenen – in Analogie zu Wettbewerben in anderen Sportarten betrachtet werden. Dass
Wettbewerbe in der Szene aber nicht den gleichen Stellenwert haben wie in traditionellen
Sportarten, bleibt meist unerwähnt.
Insgesamt besteht ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass Sport sich positiv auf die
Gesundheit auswirkt, durch ihn Entspannung und Wohlbefinden hergestellt werden können und
dass er auch ein Mittel zur individuellen Selbstdarstellung sein kann. Immer wieder wird betont,
dass Sport vor allem für Jugendliche eine pädagogisch wertvolle Betätigung ist, die mit positiven
sozialisatorischen Wirkungen in Verbindung gebracht wird. Auch vom Gesetzgeber wird Sport zu
den Schwerpunkten der Jugendarbeit gezählt (SGB VIII, Kap. 2, §11 (3). Brinkhoff sieht besonders
die Funktionen des Vereinssports als Unterstützung bei der „Bewältigung jugendtypischer
Entwicklungsaufgaben und Alltagsbelastungen“ und als Moderator in der „EntwicklungsBelastungs-Bewältigungs-Beziehung“, wobei er auf folgende mögliche Wirkungen des aktiven
Sporttreibens hinweist, die meines Erachtens aber nicht nur auf das organisierte Sporttreiben
zutreffen, sondern auch auf „informelle“ Sportarten wie eben Skateboarding: physische und
psychische Effekte (z.B. motorische Entwicklung, Gesundheit), protektive Effekte (Schutz gegen
Alltagsbelastungen, Dystress), präventive Effekte (z.B. Gewalt- und Drogenprävention),
antizipative Effekte (z.B. körperliche Signalwirkungen der Sportaktivität), ressourcenstärkende
Effekte (z.B. positive Veränderungen des Selbstbildes) und ressourcenschützende Effekte (z.B.
Erzeugung von Wohlbefinden) (Brinkhoff 1997, S. 9ff). Skateboardfahren ist eine sehr „diffizile“
Sportart, in der die motorischen Fähigkeiten trainiert werden können. Körperliche Bewegung ist ein
wichtiger Bestandteil dieses Sports, was der zunehmenden Bewegungsarmut von Kindern und
Jugendlichen auch im Zusammenhang mit der Technisierung (z.B. Technisierung von Spielzeug,
Computer etc.) und Urbanisierung ihrer Lebenswelt entgegengewirkt (Dietrich 1996, S. 33f).
Skateboardfahren stellt dadurch auch eine gesundheitsfördernde Bewegungsmöglichkeit (physisch
wie psychisch) dar. Es ist dabei, wie erwähnt, für viele Jugendliche mit Spaß und Vergnügen
verbunden, wodurch sie dem Stress des Alltags für einige Zeit entgehen können und dies somit zu
einer „temporären Spannungsreduktion“ des Organismus führt (Brinkhoff 1997, S. 30). Außerdem
kann es ein Ventil für Aggressionsgefühle sein, die oft Auslöser für Gewalt sind, da diese
aggressive Energie in sportlicher Aktivität kanalisiert werden kann (Pilz 1999, 2). Gerade in
„verbetonisierten“ und „verampelten“ Räumen, die wenig Möglichkeiten bieten sich auszutoben
und selbst etwas zu bewirken, ist das Skateboard ein Medium, das trotzdem affektive Erlebnisse
ermöglicht und durch das „überschüssige“ Energie abgebaut werden kann. Mit ihm können die
eigenen körperlichen Möglichkeiten, aber auch die körperliche Grenzen „erkundet“ werden. Im
Sinne der „Kompetenzwahrnehmungs-Hypothese“ können sportliche Erfolgserlebnisse, z.B. das
97
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
Landen eines lang geübten Tricks, das Bewusstsein vermitteln etwas geschafft zu haben, woraus
man Kraft für neue bzw. andere Aufgaben schöpfen kann (Brinkhoff 1997, S. 32). Diese
Erfolgserlebnisse
können
ein
Mittel
zur
Selbstwertbestimmung
darstellen,
durch
das
Selbstbewusstsein aufgebaut wird, das auch in anderen Lebensbereichen von Bedeutung ist
(Heinzlmaier/Zentner 1998, S. 112f). Insgesamt können „sportaffine Praktiken“ wie eben
Skateboarding „in dem scheinbar schwieriger gewordenen Prozeß des Erwachsenwerdens eine
unterstützende Funktion einnehmen, da die jugendliche Suche nach personaler Identität
gegenwärtig zu einer verstärkten Thematisierung von Körper und Bewegung führt“ (Schwier
1998a, S. 11). Dies bestätigt auch die Aussage eines Skaters aus Stuttgart: „Manchmal hängst du
drei bis vier Wochen an dem selben Scheiß [gemeint ist ein Trick, E.J.] rum und trotzdem tut’s
nichts – es funktioniert nicht. Und dann [...] macht’s echt einen Schlag und – bah, da ist wieder `n
Knoten geplatzt! Du stärkst, du trainierst dein Bewußtsein irgendwie (...) Und so ist es ja nicht nur
mit dem Skaten. Diese Denkweise überträgst du ja auf deinen ganzen Lifestyle: Du willst was
erreichen, also arbeitest du darauf hin (...) Wenn du an dich selber glaubst, kannst du alles
erreichen, da gibt’s keine Grenzen mehr“ (Rohmann 1999, S. 34).
Schwier sieht in diesem Zusammenhang die „sozialerzieherische Ausrichtung des organisierten
Jugendsports“ als Verkörperung der „arbeitsethischen Normen und Tugenden der mittleren
Soziallagen“, wie etwa das Wettkampfprinzip, Zielgerichtetheit oder Leistungsorientierung
(Schwier 1998b, S. 35f). Gerade die neuen Entwicklungen im Bereich der urbanen Funsportarten
scheinen dem aber entgegengesetzt zu verlaufen, da sie andere Funktionen betonen, die durch Sport
ebenfalls ausgedrückt werden können: körperlich verfasste Opposition, sinnlicher Protest,
leibeskulturelle Erneuerung (Schwier 1998b, S. 36). Hier zeigt sich meines Erachtens auch das
schon mehrfach angedeutete „Verschwimmen“ von Soziallagen, die für die Ausübung bestimmter
kultureller Praktiken immer weniger bedeutend werden (vgl. Kap. 3.2.1, S. 65). In diesem neuen
Sportverständnis gibt es nicht nur „schwarz-weiß“, d.h. Sieg oder Niederlage, Leistung oder NichtLeistung, sondern auch andere mögliche Auslegungen. Diese positiven Wertvorstellungen, die eher
Gemeinschaft statt Gegeneinander betonen, die Leistung anders bewerten, die Individualität
zulassen etc., können im Skateboarding „gelebt“ werden und dadurch positive „sozialerzieherische
Wirkungen“ haben. Der traditionelle Vereinssport beschneidet oft durch seine Organisation diese
„befreienden und innovativen Momente“ und darüber hinaus sind die Auswirkungen des
organisierten Sporttreibens auch nicht durchwegs positiv zu sehen, z.B. bezüglich der
Verinnerlichung übersteigerten Mannschaftsgeistes und Leistungsdenkens (Schäfers 1998, S.201f).
Die informellen Skater-Cliquen ermöglichen im Sinne der Leistungen der Peer-Group eine
„Sozialisation in eigener Regie“ mit (möglichen) positiven (soziale Stützung der jugendlichen
Opposition, Schutz und Ausgleich bei emotionalen Problemen etc.) und negativen (abweichendes
Verhalten wie Gewalt, Diebstahl, Drogen etc.) Auswirkungen (Schäfers 1998, S. 191f). Binder
98
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
stellt in ihrer Untersuchung über die Skater-Szene an der Frankfurter Hauptwache aber fest, dass
abweichendes Verhalten „keineswegs konstitutiv“ für diese Jugendlichen ist (Binder 2000, S. 103).
Dirk, ein Skater aus Stuttgart, bestätigt dies: „Ich würde die Skate-Szene auf keinen Fall als eine
aggressive Szene bezeichnen und auch nicht von vornherein als vorurteilsbehaftete Szene (...)
Gewalt spielt eine absolut untergeordnete Rolle“ (Rohmann 1999, S. 44). Von Skatern wird auch
vielfach auf die Offenheit und Toleranz der Szene hingewiesen (Rohmann 1999, S. 33).
Autoren wie Schwier oder Pilz sehen – vielleicht gerade deswegen – in den neuen Funsportarten
eine Zugangsmöglichkeit zu sozial benachteiligten Jugendlichen mit problematischem Verhalten
(z.B. Gewalt): „Der Sport, den wir im Jugendschutz, in der Sozialarbeit propagieren müssen, ist
weniger der Sport, den wir in den Sportvereinen vorfinden, sondern der, der sich in den
Jugendkulturen ausformt“ (Pilz 1999, 41). Seit Anfang der 80er Jahre gehören sportbezogene
Angebote zum „Standardrepertoire der Jugendhilfe“ (Schwier 1998b, S. 114), wobei Pilz kritisiert,
dass sie oft nur als „preiswerteste Sozialarbeit“ gesehen werden (Pilz 1999, 4). Der Vereinssport
und die mit ihm verbundenen positiven sozialisatorischen Wirkungen greifen bei sozial
benachteiligten, randständigen oder Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen nicht in dem
Maße, da sie sehr viel seltener Mitglieder in Sportvereinen sind (Deutsche Sportjugend 1998). Dies
kann wiederum in Zusammenhang stehen mit der vorherrschenden Orientierung der Vereine bzw.
der traditionellen Sportarten an Werthaltungen der Mittelschicht (Schwier 1998b, S. 115).
Angebote der offenen Jugendarbeit, die sich eben auf diese jugendkulturellen Sportpraktiken
beziehen, scheinen mir deshalb heute geeigneter, um Jugendsozialarbeit, aber vor allem auch um
Jugendarbeit allgemein zu betreiben, da die offene Jugendarbeit insgesamt informellere Angebote
(z.B. bezüglich Freiwilligkeit der Teilnahme) für Jugendliche bieten kann. Vereine müssten ihre
Strukturen offener und informeller gestalten und „niedrigschwellige“ Angebote bereitstellen, die
auch dem Freizeitverhalten der Jugendlichen entsprechen (Pilz 1999, 9). Erste Voraussetzung auf
Seiten der Pädagogen (bzw. gegebenenfalls der Vereine) ist, dass eine Sensibilität für die
Lebenswelt
der
Jugendlichen
besteht,
dass
man
konkrete
Vorstellungen
von
ihren
handlungsleitenden Motiven (Probleme, Ängste, Sehnsüchte etc.) hat und dass jugendkulturelle
Bewegungsformen als Ausdrucksmittel der Jugendlichen akzeptiert werden und vor allem deren
Bedeutung für sie wahrgenommen wird (Skaten ist für viele mehr als nur eine Sportart!). Auch im
SGB VIII wird darauf verwiesen, dass Maßnahmen der Jugendhilfe „an den Interessen der
Jugendlichen anknüpfen“ sollen (SGB VIII, 2. Kap. §11 (1)). Das Interesse der Jugendlichen liegt
dabei eben vielfach im Bereich der Funsports. Ein Ansatz an jugendkulturellen Bewegungsformen
1
Noch gibt es keine allgemein anerkannten und verbindlichen Regeln zum Zitieren von Internet-Quellen. Es finden sich
aber im Internet selbst einige Hinweise darauf (z.B. Universität Zürich). Ich habe mich bei meinen Internetquellen an den
herkömmlichen Regeln des Zitierens orientiert. Problematisch ist vor allem die Angabe der Seitenzahlen, da
Internetdokumente je nach Einstellungen des jeweiligen Computers (z.B. bzgl. der Schriftgröße) unterschiedlich
99
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
stellt somit eine gute Basis dar, auf der erfolgreiche Jugendarbeit aufbauen kann. Eine
sportbezogene Jugend(sozial)arbeit kann somit ein Gegenentwurf zur bewegungsarmen Lebenswelt
der Jugendlichen und eine Kompensationsmöglichkeit für Spannungsarmut, aber auch für
überzogenes Risikoverhalten sein. Deswegen müssen Räume geschaffen werden, die Sport
ermöglichen, der dann auch die Möglichkeit für Erfahrungen zur positiven Identitätsbildung bietet
(Pilz 1999, 9). Dabei sollten es keine „vorgefertigten“ pädagogischen Angebote sein (z.B.
„vorgefertigte“ Skate-Plätze), sondern sie sollten zu einem größtmöglichen Teil von den
Jugendlichen selbst (mit)gestaltet werden (Schwier 1998b, S. 128). Die Jugendlichen sollten sich
durch „Rat und Tat“ einbringen können, wodurch ihnen möglicherweise ein Gefühl vermittelt wird,
ihre Lebenswelt aktiv (mit-)gestalten zu können. Gerade auch bezüglich der Akzeptanz und
Effektivität ist eine Mit- bzw. Selbstgestaltung von Vorteil: das, was man selbst geschaffen hat
bzw. daran mitgeholfen hat, wird wahrscheinlich auch weniger oft sabotiert bzw. zerstört (bzgl.
bestimmter Einrichtungen wie z.B. einem Skate-Platz).
Beim Skateboarding besteht zudem die Möglichkeit Leistungen außerhalb des schulischen bzw.
beruflichen Bereichs zu erbringen. Dies ist für Jugendliche oftmals von größerer Bedeutung, weil
sie in diesem (Freizeit-)Bereich ihre Leistungsfähigkeit besser unter Beweis stellen können. Gerade
auch für Jugendliche, die Probleme in Schule und Ausbildung haben, sind solche Erfahrungen
wichtig. Jens, ein zum Zeitpunkt des Interviews 21-jähriger Skater, drückt sein Verhältnis zur
„Leistungsgesellschaft“ so aus: „Wieso kann ich nicht wo arbeiten und kreativ sein, ohne daß ich
ein Abitur hab’? (...) Das stört mich irgendwie: Wieso geben die Leute nicht mehr auf das Talent
und auf Interessen? Nur immer auf Noten und so, das versteh’ ich halt nicht“ (Rohmann 1999, S.
31). Hier kann dem Skateboardfahren eine kompensatorische Funktion zukommen, was auch das
folgende Zitat eines Skaters belegt: „Also bei uns hängen viele rum, wo man vielleicht auch denken
könnte, die haben im alltäglichen Leben nicht so den riesigen Erfolg, die Riesenbestätigung, und
erreichen nicht unbedingt die gesellschaftlichen Maßstäbe, die ja so gesetzt sind: guter Job und
Ausbildung. Aber hier müssen sie nicht die Regeln einhalten und finden auch hier über den Sport
ihre Bestätigung, die sie sonst nicht haben (...) Jungs, die in anderen Augen vielleicht sozial fast
schon unten durch wären, wobei sie bei uns die Stars sind, weil sie Rollbrett fahren können, locker
sind, weil sie gut drauf sind einfach, einfach wegen dem Menschlichen“ (Rohmann 1999, S. 44).
Dies ist meiner Meinung nach einer der wichtigsten (möglichen) Wirkungen des Skateboardings,
das Gefühl etwas zu können und akzeptiert zu sein. Hier sehe ich auch die Möglichkeit
pädagogisch „einzugreifen“, d.h. diese positiven Wirkungen zu verstärken (z.B. durch Lob). Pilz
verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass gerade für Jugendliche im „sozialen Brennpunkt“
neben dem reinen Sportangebot Ansprechpartner wichtig sind, damit sich die positiven Wirkungen
angezeigt werden. Die nach dem Autor und der Jahreszahl angegebene Zahl bezeichnet in meiner Arbeit ein ganzes
Dokument, das quasi als eine einzige Seite gesehen wird.
100
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
des Sports entfalten können (Pilz 1999, 5). Angebote der Jugend(sozial)arbeit sollten daran
ansetzen, was die Jugendlichen können und sie dort fördern und nicht unbedingt nur an dem, was
sie nicht können. Dies erhöht die Bereitschaft solche Angebote auch zu nutzen. Am besten ist es
aber meines Erachtens, wenn die Jugendlichen sich gegenseitig verstärken, wenn sich also die
positiven Funktionen der Peer-Group ohne das Zutun Erwachsener auswirken können, wenn
Pädagogen nur anregende bzw. förderliche Umweltbedingungen arrangieren. Skateboardfahren
muss indirekt als pädagogische Maßnahme konzipiert sein. Alles andere würde aufgrund der
Interpretation als Vereinnahmungsversuch Abwehrhaltungen hervorrufen, denn von Pädagogen
„belabert“ zu werden ist für Jugendliche meist „uncool“. Deswegen sollte bei der Arbeit mit den
Jugendlichen der informelle Charakter weitgehend beibehalten werden, was Aspekte wie Verzicht
auf Leistungskontrollen, Einbezug altersheterogener Gruppen, Gruppen-/Cliquenorientierung,
Flexibilität in Bezug auf Angebote, Methoden, Kommunikationsformen, Ort und Zeit beinhaltet
und darüber hinaus die vorher schon erwähnte Orientierung an den Interessen der Jugendlichen
(Pilz 1999, 4). Dennoch sollen Pädagogen auch hier ihre Meinung vertreten und den Jugendlichen
klar machen, was sie für richtig oder falsch halten. Schwier geht davon aus, dass „sportorientierte
Jugendsozialarbeit“ sich einer „Systematisierung“ entzieht und sogar „notwendigerweise
uneinheitlich“ sein muss, da sie nur einen „partikularen Geltungsanspruch“ besitzt (Schwier 1998b,
S. 123). Die pädagogischen Angebote müssen immer als Ergänzung zur Lebenswelt der
Jugendlichen verstanden werden, in der sie mit anderen „Einflussfaktoren“ (Medien, Konsummarkt
etc.) konkurrieren. Um attraktiv und „konkurrenzfähig“ zu sein, sollten sie das geänderte
Freizeitverhalten der Jugendlichen beachten, d.h., dass z.B. auch Angebote bis in die Nacht hinein
und auch am Wochenende zur Verfügung stehen (z.B. im Rahmen von „Mitternachtssport“) (Pilz
1999, 5). Je nach Qualität des Angebots kann seine Wirkung dann auch entsprechend groß bzw.
klein sein.
Wie ich schon erwähnt habe, erscheint mir Skateboarding nicht unbedingt, wie Schwier oder Pilz
es sehen, als besonders geeignete „Zugangsmethode“ zu „auffälligen“ oder „problematischen“
Jugendlichen im „sozialen Brennpunkt“, da diese in der Szene unterrepräsentiert sind. Dennoch
halte ich natürlich die Übertragung der positiven Wirkungen des Skateboardings im Rahmen der
Jugendsozialarbeit auch auf diese Jugendlichen für möglich und sinnvoll (vgl. einleitendes Zitat).
Die Szene ist aber eher mittelschichtsorientiert, was sich auch an den Werthaltungen (z.B.
Leistungsorientierung, Individualität) zeigt (vgl. Kap. 3.2.1). Darüber hinaus sind mit dem
Skateboardfahren auch finanzielle Aspekte (vor allem Bretter und Schuhe, daneben aber auch
Bekleidung) verbunden, die sozial Schwächeren von dieser Seite her den Einstieg erschweren. Hier
könnten pädagogische Angebote diesen Jugendlichen den Zugang zum Skateboarding erleichtern,
z.B. indem Bretter zur Verfügung gestellt werden. Allerdings ist dies kein Ansatz an der Szene,
101
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
sondern es wird versucht die jugendkulturelle Bewegungspraktik „Skateboardfahren“ für
pädagogische Zwecke fruchtbar zu machen, meist dann eben für Jugendliche, die gar nicht mit der
Szene in Verbindung stehen und auf die die beschriebenen Merkmale der Szenemitglieder nicht
unbedingt zutreffen. Es kann aber ein Ansatzpunkt sein, um Jugendliche zum Skateboardfahren zu
animieren und um auf diese Weise die positiven Aspekte des Sports (z.B. sinnvolle
Freizeitgestaltung, die (positive) individuelle und soziale Erfahrungsräume bietet) auch auf sie
wirken zu lassen.
Ich sehe die größten Chancen für einen erfolgreichen Einsatz des Skateboardfahrens als Methode in
der Jugendhilfe nicht vorrangig in der Jugendsozialarbeit, sondern vor allem in der Jugendarbeit
zur Förderung der Entwicklung junger Menschen und im Sinne der Prävention für (noch)
„unauffällige“ Jugendliche (vgl. SGB VIII, Kap. 2, §11 (1)).
Meiner Meinung nach ist dabei eine der besten Möglichkeiten (indirekt) pädagogisch auf die Szene
einzuwirken, ihr also pädagogische „Hilfe“ zukommen zu lassen, das Eintreten für die Interessen
der jugendlichen Skater. Hierbei denke ich vor allem an die Unterstützung der Jugendlichen beim
Finden geeigneter „Räume“ für ihren Sport. Diese Räume können „Treffpunkte“ für die Szene
darstellen, wo es zu Kontakten zwischen Jugendlichen und Pädagogen kommen kann und zudem
können
diese
Plätze
auch
für
Angebote
der
Jugendarbeit
genutzt
werden
(z.B.
geschlechtsspezifische Angebote, Jugendsozialarbeit etc.). Diese Räume sollen aber vor allem auch
Orte sein, an denen Jugendliche sich nicht ständig den Regeln Erwachsener unterordnen müssen.
Wie erwähnt stoßen Skater vermehrt auf Widerstand beim Ausüben ihrer jugendkulturellen
Aktivität. Es wird ihnen sozusagen die Möglichkeit genommen sich aktiv und kreativ in einer
eigentlich erlebnisarmen, urbanen Umgebung zu bewegen. Dies steht im Gegensatz zu den
Ergebnissen der Sportministerkonferenz vom 6./7. Juni 1991. Die erste Forderung des
Ergebnisprotokolls lautet: „Die sozialen Rahmenbedingungen für ein jugendgemäßes Leben in der
Gesellschaft sind zu überdenken - falls erforderlich - zu Gunsten jugendlicher Interessen zu
verändern. Dazu zählen mit längerfristiger Wirkung u.a.: die Schaffung von ausreichenden
Bewegungsräumen für jugendgemäße Freizeitgestaltung, insbesondere im urbanen Nahbereich und
Berücksichtigung dieser Aspekte in den einschlägigen Planungen der Städte und Gemeinden“
(zitiert nach Pilz 1999, 5). Solche Forderungen sind natürlich immer mit finanziellen
Aufwendungen für die Verantwortlichen verbunden, was eines der Hauptprobleme bei der
Bereitstellung von geeigneten Angeboten darstellt. Skateboarding und andere jugendkulturelle
Bewegungspraktiken werden meist als Trendsportarten kategorisiert, womit ihnen nur eine
begrenzte Aktualität zugestanden wird: Wieso sollte man teure Anlagen für einen Sport bauen, der
in ein bis zwei Jahren wieder „out“ ist? Die Geschichte des Skateboarding hat gezeigt, dass die
Entwicklung wellenartig verläuft, d.h. es ist damit zu rechnen, dass auch der gegenwärtige Boom
wieder abnimmt. Dennoch wird Skateboardfahren wohl nicht mehr völlig verschwinden. Die Plätze
102
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
bzw. Hallen werden (wahrscheinlich) auch weiterhin genutzt, möglicherweise aber nicht nur in
ihrer ursprünglichen Bestimmung zum Skateboard-, BMX- oder In-Line-fahren, zum
Streetballspielen etc., sondern vielleicht von neuen jugendkulturellen „Trends“. Zudem sind sie, je
nach Beschaffenheit, oft auch für andere Veranstaltungen einsetzbar. Im Prinzip geht es um die
Schaffung von Bewegungs- und Erfahrungsräumen für Jugendliche, die nicht schuld daran sind,
dass diese ihnen nicht zur Verfügung stehen. Dies sollte auch nicht an finanziellen Fragen
scheitern. Will die Jugend(sozial)arbeit Skateboardfahren als Methode nutzen, sind Skate-Anlagen
als Orte dafür unverzichtbar. Sie stellen Begegnungsmöglichkeiten für Jugendliche und Pädagogen
dar und liefern den Rahmen für eventuelle Maßnahmen – natürlich nur, wenn die Anlagen auch
angenommen werden.
Aufgrund des Mangels an geeigneten Plätzen und wegen des hohen „Konfliktpotentials“, das
Skaten im öffentlichen Raum hervorruft, erfreuen sich extra dafür eingerichtete Anlagen und
Hallen immer größerer Beliebtheit (Hitzler 2001, S. 92). Die Bereitstellung spezieller
Einrichtungen könnte die Auseinandersetzungen mit Passanten, Ladenbesitzern oder der Polizei
entschärfen, wobei aber zu bedenken ist, dass mit solchen Maßnahmen das Skateboardfahren auf
der Straße wohl nicht verschwinden wird.
Dabei sollte die Einrichtung solcher Anlagen mit den Jugendlichen, die sie später auch nutzen
sollen, abgesprochen sein. Es gibt genügend Beispiele für „Aktionismus“ von Städten, Gemeinden
oder auch Jugendeinrichtungen, der aber seine beabsichtigte Wirkung verfehlte, da die
Jugendlichen nicht in die Planung einbezogen wurden (z.B. in Augsburg die mittlerweile abgebaute
Halfpipe des Stadtjugendrings im Uni-Viertel, die nicht den Bedürfnissen entsprach,
dementsprechend wenig genutzt wurde und ein „Opfer“ des Vandalismus wurde; die Mini-Ramp
unter der B-17 Brücke in Göggingen, auf der kaum gefahren wird, da sie nicht den richtigen Maßen
entspricht; vgl. auch Hitzler 2001, S. 91). Ein Gegenbeispiel ist im Raum Augsburg die SkateAnlage in Inningen, die komplett von Skatern geplant wurde und dementsprechend gut genutzt
wird, obwohl ein Eintrittsgeld erhoben wird. Die Beteiligung der Jugendlichen an der Planung und
gegebenenfalls an der Durchführung entspricht ebenso wieder dem pädagogischen Gedanke der
Mitbestimmung und Einflussnahme auf die eigenen Lebensbedingungen (Palentien/Hurrelmann
1997, S. 21). Hier können Mitarbeiter der Jugendarbeit ein Bindeglied zwischen den Skatern und
den Verantwortlichen von Städten und Gemeinden sein. Sie kommen in Kontakt mit Jugendlichen,
die Skateboard fahren und die wissen, wie geeignete Anlagen aussehen. Somit kann die
Jugendarbeit eine Vermittlerrolle einnehmen und sich dadurch für die Interessen der Jugendlichen
einsetzen. Damit solche Bemühungen von Erfolg gekrönt sind, setzt dies ein gutes Zusammenspiel
der beteiligten Personen voraus, d.h. es muss auf Seiten der Skate-Szene und auf Seiten der
Pädagogen bzw. der Verantwortlichen Leute geben, die sich engagieren und kooperieren. Hier
bekommt die Sache eine politische Dimension. Pädagogen, die sich für die Szene einsetzen wollen,
103
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
können dies einerseits durch eigenes Engagement tun. Pilz sieht eine „politische Einmischung“ von
Pädagogen
sogar
als
Grundvoraussetzung
für
die
Änderung
und
Verbesserung
der
Lebensbedingungen Jugendlicher: „Jugendarbeit heißt zumindest auch, ja wenn nicht in erster
Linie, Institutionenarbeit, politische Einflussnahme“ (Pilz 1999, 5). Dies bedeutet, dass sich die
Jugendarbeit nicht nur auf das (angeblich) „Machbare“ beschränken darf und Konflikten mit
anderen Institutionen aus dem Weg geht, sondern sicht aktiv vor Ort für die Verbesserung der
Situation von Jugendlichen einsetzt und dadurch Demokratie „vorlebt“.
Was mir aber andererseits als noch bedeutendere Aufgabe von Pädagogen erscheint, ist die
Aktivierung von Jugendlichen, sich selbst für ihre Belange (politisch) einzusetzen. Auch
Hurrelmann und Palentien sehen die direkte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen
wesentlichen Entscheidungen in ihrer Lebenswelt als ein wesentliches Ziel demokratischer
Gesellschaften (Palentien/Hurrelmann 1997, S. 21). Jugendlichen unter 18 Jahren fehlt aber
weitgehend eine direkte politische Einflussnahmemöglichkeit (Wahlrecht). Skateboardfahren kann
somit auch aufgrund dieser fehlenden Einflussnahmemöglichkeit als „politisches Moment“, als ein
neues Verständnis von Politik betrachtet werden, gerade wenn es um die Nutzung von öffentlichem
Raum durch nicht-wahlberechtigte Jugendliche geht. Wie auch zu Beginn der Arbeit schon erwähnt
wurde, ist bei der Jugend allgemein eine gewisse Politikverdrossenheit bezüglich des traditionellen
Politikengagements (z.B. Engagement in politischen Parteien) zu beobachten, was aber nicht
bedeutet, dass sie „unpolitisch“ ist (vgl. Kap. 2.3, S. 27f). Jugendliche fühlen sich von den
traditionellen politischen Institutionen vernachlässigt und sie vermissen vor allem in der
traditionellen Politik mit ihrer „ritualisierten Betriebsamkeit“ den „Bezug zum wirklichen Leben“
(Jugendwerk der Deutschen Shell 2000, S. 16). Wenn es sich um andere politische Einrichtungen
wie z.B. Bürgerinitiativen oder Naturschutzorganisationen handelt, stehen Jugendliche diesen
grundsätzlich positiv gegenüber und sind auch eher bereit sich hier zu engagieren (Jugendwerk der
Deutschen Shell 1997, S.17ff). Sich für die eigenen Belange direkt einzusetzen und dadurch etwas
erreichen zu können, weckt (vielleicht) ein „politisches Bewusstsein“ bei Jugendlichen. Im
„politischen Kampf“ um ihre Interessen können demokratische Prozesse erlernt und eingeübt
werden. Mit Beck gesprochen bedeutet dies, dass der „Geist der Demokratie zum Geist einer
Gesellschaft“ werden kann und zwar durch „Taten, d.h. die Erfahrung politischer Freiheiten durch
ihre Ein- und Ausübung“ (Beck 1997, S. 202, Hervorhebung im Original). Im Rahmen der
gesellschaftlichen Individualisierungsprozesse liegt es auch nahe sich für seine (politischen)
Interessen selbst einzusetzen, aber eben nicht mehr nur in traditioneller Weise (z.B. über Parteien),
sondern vermehrt in kurzfristigen, informelleren, kleineren Gruppen, Interessengemeinschaften
oder Bürgerinitiativen (Zoll 1997, S. 29). Pädagogen der offenen Jugendarbeit können die
Jugendlichen dabei unterstützen, indem sie sie beraten (z.B. wie Jugendliche ihre Interessen
artikulieren können, an wen sie sich wenden müssen etc.), aber auch indem sie ihnen ihre
Ressourcen zur Verfügung stellen (z.B. dass Jugendliche über die pädagogische Einrichtung
104
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
leichter mit den verantwortlichen Stellen der Städte und Gemeinden in Kontakt kommen). Die
Erfahrung über diesen Weg etwas zu erreichen kann das Vertrauen in Demokratie und
demokratische Prozesse stärken und die, hoffentlich positiven, Erfahrungen können an andere
Jugendliche weitergegeben werden. Dies entspricht auch den Zielen der Jugendarbeit wie etwa den
Fähigkeiten zu Selbstbestimmung, gesellschaftlicher Mitverantwortung und sozialem Engagement
(SGB VIII, Kap. 2, §11 (1)). Politik ist hier nicht abstrakt oder indirekt, sondern konkret selbst
erfahrbar und vor allem mit direktem Bezug zur Lebenswelt der Jugendlichen. Für die SkateboardSzene bedeutet dies meines Erachtens nicht, dass sich alle in Interessengruppen, Vereinen etc.
zusammentun müssen, sondern es reicht aus, wenn sich einige für die Interessen der Szene
einsetzen. So kann der informelle Charakter beibehalten werden. Je mehr Leute sich aber
organisieren und ein gemeinsames Interesse bekunden, desto mehr können sie (meistens) erreichen.
Dennoch ist meiner Meinung nach vielfach noch die weitverbreitete Bürokratie mit schuld an der
Politikverdrossenheit Jugendlicher. Die politischen Prozesse ziehen sich oft über längere Zeit hin,
obwohl konkreter Handlungsbedarf besteht. In einer Zeit, die geprägt ist von Schnelllebigkeit,
erhöht dies wahrscheinlich nicht die Glaubwürdigkeit politischer Verfahren bzw. ein eigenes
politisches Engagement von Jugendlichen. Auch wird die Eigeninitiative der Skater, die
bestehenden Skate-Plätze z.B. durch selbst gebaute Obstacles attraktiver zu machen, oft von den
Betreibern zunichte gemacht, indem diese sie wieder entfernen, was aber vorwiegend aufgrund von
Versicherungsauflagen der Fall ist. So erhöht sich weder die Attraktivität der Anlagen noch das
Vertrauen in die Verantwortlichen von Seiten der Skater, die ihre „Umweltbedingungen“ – in
diesem Fall einen Skate-Platz bzw. –Halle – selbst verbessern wollen. „Die bewegungsorientierte
Jugend- und Jugendsozialarbeit ohne Vereinsbindung darf nicht an Versicherungsschutzfragen
scheitern“ (Pilz 1999, 9). Darum muss zusammen mit den Verantwortlichen nach flexibleren
Lösungen gesucht werden, bei denen Pädagogen sich engagieren bzw. eine moderierende Funktion
einnehmen können. In erster Linie ist es aber wichtig, dass die Jugendlichen erzielte Erfolge ihrem
eigenen Einsatz zuschreiben können.
Um Projekte und Initiativen voranzutreiben ist es auch sinnvoll, dass möglichst alle Beteiligten „an
einem Strick ziehen“. Städte und Gemeinden müssen sich mit Jugendeinrichtungen, mit
Sportvereinen und vor allem mit den Jugendlichen „vernetzen“. So kann es, z.B. trotz finanzieller
Einschränkungen, leichter sein geeignete Bedingungen zu schaffen (z.B. indem ein Sportverein
Platz und eventuell Obstacles zur Verfügung stellt, indem Sponsoren gefunden werden etc.). Man
sollte auch auf das nicht zu unterschätzende Eigenengagement der Jugendlichen setzen, durch das
finanzielle Kosten eingedämmt werden können. Gleichzeitig bezieht man sie so auch wieder aktiv
in die Gestaltung und Verantwortung mit ein.
Wie schon erwähnt benötigt die Jugendarbeit meiner Meinung nach Orte, um Skateboardfahren
pädagogisch einzusetzen. Einzelne „Events“ können zwar das Interesse für Skateboardfahren
105
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
wecken, aber wenn darüber hinaus keine längerfristige Möglichkeit besteht weiter zu üben, kann
sich auch keine positive Wirkung einstellen. Geeignet wären Plätze, die z.B. zu Jugendhäusern
gehören oder Hallen, die für jugendkulturelle Bewegungspraktiken zur Verfügung stehen. Die
Einrichtungen sollten auf jeden Fall in der Nähe der „Zielgruppe“ liegen und mit öffentlichen
Verkehrsmitteln gut und günstig zu erreichen sein, weil ein großer Teil der Jugendlichen auf diese
Transportmittel angewiesen ist. Ebenso ist es möglich, dass Skate-Plätze im Rahmen von
Streetwork-Projekten von Pädagogen „betreut“ werden. Auch an den Spots im öffentlichen Raum
können Streetworker Kontakt zur Szene aufnehmen. Aber wie schon mehrfach erwähnt dürfen
Pädagogen nicht mit dem Vorsatz der „Verbesserung“ an die Szene herantreten. Es geht zuerst um
Kontaktaufnahme, die Ansatzpunkt für eine Zusammenarbeit sein kann. Ist eine Verbindung
hergestellt und besteht gegenseitiges Vertrauen, kann die Jugendarbeit im Gegenzug auch die
„Ressourcen“ der Szene nutzen, wenn es z.B. darum geht „Events“ zu veranstalten, die
Skateboardfahren miteinbeziehen sollen. Über die Szene kann z.B. der Kontakt zu guten Fahrern
entstehen, die dann auf Veranstaltungen „Demos“ fahren, oder Leute aus der Szene können die
„Organisation“ der Obstacles und Rampen übernehmen. Dadurch wird eine gewisse Authentizität
solcher Veranstaltungen gewahrt, was sich auch positiv auf den Veranstalter (eventuell eben
Jugendeinrichtungen) auswirken kann. So werden möglicherweise auch wieder Jugendliche
motiviert entsprechende Angebote der Jugendarbeit zu nutzen.
Gute Skate-Anlagen können auch die Grundlage von „Skate-Camps“ sein. Dies sind im Endeffekt
Szene-Events auf denen es in verdichteter Form um die Szenekultur geht. Hier wird den
Jugendlichen, die für einen bestimmten Zeitraum (z.B. eine Woche in den Schulferien) in einem
Camp (z.B. ein Gelände mit Skate-Platz/-Halle, Zeltplatz/Schlafgelegenheiten, evtl. weiteren
Erlebnisräumen wie etwa ein Wald, ein See, Fußballplatz etc.) sind, neben der Erlebniskomponente
eines alleinigen Urlaubs und der Beschäftigung mit ihrer Lieblingstätigkeit auch die Möglichkeit
gegeben mit guten Fahrern an der Verbesserung ihres Könnens zu „feilen“. Darüber hinaus kann
ein Rahmenprogramm (z.B. andere Sportarten wie Schwimmen, Basketball, Trampolinspringen,
Lagerfeuer etc.) erweiterte Erfahrungsmöglichkeiten bieten. Steht solch ein Skate-Camp unter
pädagogischer Betreuung, wenn z.B. der Veranstalter eine pädagogische Einrichtung ist und
pädagogische Mitarbeiter sich mit den Jugendlichen beschäftigen, eröffnet sich hier
möglicherweise eine (indirekte) positive Einflussnahmemöglichkeit auf die Jugendlichen. Solche
Maßnahmen setzen natürlich immer finanzielle Mittel voraus, das Vorhandensein geeigneter
Anlagen, aber eben vor allem die Bereitschaft Skateboarding als Methode in der Jugendarbeit
einzusetzen ohne dass „pädagogische Erfolge“ garantiert sind. Dennoch glaube ich, wenn geeignete
„Umweltbedingungen“ bei solchen Veranstaltungen gegeben sind (z.B. friedliche Atmosphäre,
soziales Verhalten etc.) – die von Pädagogen in einem bestimmten Maße arrangiert werden können
–, dass diese sich in positiver Weise auf die Jugendlichen auswirken können. Hier denke ich
besonders an die Einübung sozialer Kompetenzen. Jugendliche sind wahrscheinlich in einer ihnen
106
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
„wohlwollenden“ Umgebung geneigter gewisse Hinweise und Ratschläge anzunehmen. Auch die
Zusammenarbeit mit der Skate-Szene ist hier wieder bedeutend, wodurch die Authentizität der
Veranstaltung gewährleistet wird und darüber hinaus eine Mitgestaltung der Veranstaltung durch
die Jugendlichen ermöglicht im Sinne des Mottos „von Skatern für Skater“.
Eine weitere pädagogischer Einsatzmöglichkeit des Skateboarding, neben der von Schwier und Pilz
vertretenen Jugendsozialarbeit und Gewaltprävention und einer möglichen politischen „Bildung“,
liegt meiner Meinung nach in geschlechtsspezifischen Angeboten. Wie in der Beschreibung der
Skateboard-Szene schon angesprochen, ist diese eindeutig männlich dominiert (vgl. Kap. 3.2.2, S.
70). Sie stellt somit vor allem ein Erfahrungsfeld für männliche Jugendliche dar. Durch die
Bereitstellung von Möglichkeiten zum Skaten kann die Jugendarbeit männlichen Jugendlichen
Raum bieten mit ihrer Geschlechtsrolle zu experimentieren. In Anwesenheit von Pädagogen
können dann auch problematische Verhaltensweisen, die mit Männlichkeit in Verbindung stehen
(z.B. Gewalt, Schmerzen aushalten, Rücksichtslosigkeit, Risikoverhalten etc.) und die das „innere
Wachstum“ behindern, thematisiert und (möglicherweise) bearbeitet werden (Schnack/Neutzling
1996, S. 238). Aber auch andere Bereiche (Medien, Konsumverhalten etc.), die Jugendliche heute
interessieren, können – beiläufig, je nach Situation – angesprochen werden. Hier können
Pädagogen also Unterstützung bei der Bearbeitung der Entwicklungsaufgaben geben.
Einerseits ist Skateboardfahren zwar eine sehr jungenspezifische Sportart, aber andererseits kann
die Jugendarbeit gezielt auch Angebote für weibliche Jugendliche machen. Wie Binder in ihrer
Untersuchung über die Frankfurter Skate-Szene schon festgestellt hat, fahren Mädchen „nicht an so
exponierten Orten wie der Hauptwache“ Skateboard (Binder 2000, S. 114). Neben einem
gegenüber Jungen (erziehungsmäßig bedingten) anderen Verhalten im öffentlichen Raum, spielt
sicherlich auch das Gefühl der Unterlegenheit eine Rolle. Mädchen glauben, dass sie aufgrund ihrer
körperlichen Verfassung nicht so gut fahren können wie Jungen (Rohmann 1999, S. 39). Viele
Mädchen haben dadurch auch Hemmungen vor Jungen zu fahren, aus Angst sich zu blamieren.
Stehen der Jugendarbeit nun geeignete Einrichtungen zur Verfügung, können hier Angebote
speziell für Mädchen („girls-only-sessions“, Wettbewerbe speziell für Mädchen) gemacht werden,
zu denen Jungen keinen Zugang haben. So könnten auch Mädchen an den Sport herangeführt
werden. Meines Erachtens sollte aber ein gemeinsames Fahren von Mädchen und Jungen kein
Problem darstellen. Mädchen selbst verweisen darauf, dass sie bei den „kleinsten Sachen“ von den
Jungs höher bewertet werden als wenn ein Junge einen vergleichbaren Trick macht, was für sie
sehr motivierend ist (Rohmann 1999, S. 39).
Bei allen Bemühungen durch Skateboardfahren positive Wirkungen bei Jugendlichen zu erzielen
sollte aber klar sein, dass dies nur der Fall sein wird, wenn die Jugendlichen wirklich aus eigenem
Antrieb heraus diesen Sport betreiben. Die Leidenschaft zum Skateboarding ist meiner Meinung
nach die Voraussetzung für (mögliche) positive Effekte, denn erst dadurch wird ein persönlicher
107
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
Einsatz (z.B. politisches Engagement für einen Skate-Platz) sinnvoll. Zudem sollten auch die
Pädagogen offen sein gegenüber dieser Sportart oder sie sogar selbst betreiben bzw. betrieben
haben. Dadurch kann die Beziehung zu den Jugendlichen, die eine wesentliche Voraussetzung für
erfolgreiche Jugendarbeit darstellt, verbessert oder gerade auch erst ermöglicht werden. Deswegen
ist eine Kenntnis der Szene für die Leute von Vorteil, die mit ihr arbeiten möchten.
Ein weiterer interessanter Punkt, der aber nicht direkt mit pädagogischen Maßnahmen der
Jugendarbeit zusammenhängt, durch den die Skate-Szene positive Wirkungen auf Jugendliche
haben kann, ergibt sich aus dem „Boom“ des Skateboardings, den aber nicht alle in der Szene
positiv sehen. Vielfach ist von Kommerzialisierung und „Sell-Out“ des Lifesstyles die Rede.
Dennoch kann die Kommerzialisierung und „Vermassung“ der Szene für die Jugendlichen, die
diesen Sport mit Leib und Seele betreiben, eine Chance für ihre (berufliche) Zukunft bieten. Binder
stellte in ihrer Untersuchung fest, dass unter den jugendlichen Skatern an der Frankfurter
Hauptwache eine „große Orientierungslosigkeit“ vor allem bezüglich ihrer beruflichen Zukunft
herrscht (Binder 2000, S. 112). Viele in der Szene wollen einmal einen Beruf, der ihnen Spaß
macht und der möglicherweise etwas mit Skateboarding zu tun hat (z.B. Arbeit in einem SkateShop, Arbeit bei einem Skateboard-Magazin etc.). Durch die Zunahme der Mitglieder der Szene
hat sich auch die damit zusammenhängende Industrie vergrößert. Für die Jugendlichen bedeutet
dies eine größere Möglichkeit einen Sponsor zu finden und ihr Hobby zum Beruf zu machen. Auch
die wachsende Skateboard-Industrie hierzulande bietet den Jugendlichen verstärkt die Möglichkeit
einen Beruf zu wählen, der mit ihrem Hobby in Verbindung steht. Ein gutes Beispiel ist die Titus
AG in Münster, die derzeit über 500, größtenteils jugendliche Mitarbeiter beschäftigt und 50
Ausbildungsplätze in den verschiedensten Bereichen bietet, die alle mit Skateboardfahren im
weitesten Sinne zu tun haben. Im Hinblick auf Glaubwürdigkeit setzt dieses Unternehmens auf die
Authentizität ihrer Angestellten, d.h. die meisten fahren selbst Skateboard oder stehen der SkateSzene und den damit zusammenhängenden Jugendkulturen nahe. Titus Dittmann verweist auch
darauf, dass in seinem Betrieb die Auswahl der Mitarbeiter vor allem aufgrund von Persönlichkeit
und erst in zweiter Linie aufgrund von Zeugnisnoten erfolgt (Dittmann 2002). Diese Einstellung
kommt auch der der Jugendlichen entgegen, die hinter der „Leistungsgesellschaft“ oft nur (Noten-)
Druck sehen (Rohmann 1999, S. 30ff). Pädagogisch bedeutend kann diese Tatsache werden, wenn
es bei den Jugendlichen um die Suche nach einer für sie geeigneten beruflichen Stelle geht.
Pädagogen der Jugendarbeit, aber auch Lehrer können den Jugendlichen Anregungen geben ihre
berufliche Zukunft in dem Bereich zu suchen, dem sie auch in ihrer Freizeit zugewandt sind (z.B.
indem Berufsinformationen in Jugendhäusern, Schulen oder auf Bildungsmessen angeboten
werden, auf denen (szene-bekannte) Leute aus der Skateboardbranche Möglichkeiten und
Voraussetzungen für einen Berufseinstieg erläutern). Die „Fachkenntnisse“, die sich SzeneMitglieder durch ihren (langjährigen) Aufenthalt in ihr erworben haben, stellt gewiss eine gute
108
Mögliche Konsequenzen für die Jugendarbeit
Voraussetzung – wenn auch nicht die einzige – für eine berufliche Laufbahn in der
Skateboardbranche oder auch für andere Berufe dar, die in Verbindung mit Jugendkulturen stehen.
Skateboardfahren in der Jugendarbeit ist sicherlich keine „revolutionäre Methode“ oder
der
„Königsweg“ schlechthin, denn damit werden eigentlich nur die Jugendlichen angesprochen, die
sich schon damit beschäftigen bzw. interessiert daran sind. Es muss vielmehr wie alle anderen
Methoden als Versuch angesehen werden, der Erfolge begünstigen kann, gerade auch jetzt, weil ein
großes Bedürfnis danach besteht. Eine Erfolgsgarantie kann es aber nicht geben. Es existieren zu
viele Einflussfaktoren, die in Wechselwirkung miteinander stehen. Die Jugendarbeit kann aber
einige dieser Faktoren so gestalten, dass durch sie positive Effekte wahrscheinlicher werden.
Neben den pädagogischen Möglichkeiten, die das Skateboardfahren bieten kann, steht für mich
überhaupt die Gelegenheit zur Ausübung dieser jugendkulturellen Bewegungspraktik an erster
Stelle. Den Jugendlichen sollte die Möglichkeit dazu nicht zu rigide „verbaut“ werden, denn nur
dann kann sich Skateboardfahren positiv auf die Entwicklung junger Menschen auswirken. Die
Besonderheit und der Reiz dieser Bewegungsform ist für diejenigen, die diesen Sport nicht selbst
ausüben bzw. ausgeübt haben, oft schwer nachzuvollziehen. Deswegen sollte den Jugendlichen in
dieser Beziehung mehr Toleranz entgegengebracht werden. Ist dies der Fall, werden auch die
Jugendlichen ihrerseits diese Toleranz anderen entgegenbringen.
Die Bewegungspraktik „Skateboarding“ ist derzeit weit verbreitet und erreicht daher auch viele
Jugendliche. Sie ist Ausdruck gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse und Bedürfnisse. Für
manche Jugendliche ist diese Jugendkultur aber weitaus mehr als eine Freizeitbeschäftigung und
spielt darum für deren Entwicklung in vielfältigen Bereichen (z.B. sozial, kognitiv, emotional etc.)
eine sehr bedeutende Rolle – positiv wie (möglicherweise) negativ. Auch wenn die Popularität
dieser Jugendkultur wieder zurückgeht, wird sie wohl nicht mehr verschwinden und auch weiterhin
in den verschiedensten Ausformungen für Jugendliche bedeutsam sein – vielleicht so bedeutend,
dass sie für einige in gewisser Weise sogar einen „Lebensretter“ darstellt.
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Persönliche Erklärung:
Hiermit bestätige ich, die Diplomarbeit eigenständig und nur unter Zuhilfenahme der angegebenen
Literatur und Quellen angefertigt zu haben.
Augsburg, den 20. September 2002
Unterschrift des Diplomanden
115