Campus Verlag - Marke Eigenbau

Transcription

Campus Verlag - Marke Eigenbau
106 Marke Eigenbau
der Knappheit gelockert und versucht nun, es durch die Hintertür
wieder einzuführen, indem sie Knappheit künstlich simuliert. Oft
ist das der Versuch, die Aura des Originals auch in homöopathischer
Verdünnung noch als wirksam anzupreisen. Star-Designer geben
ihren Namen her für Mode, Möbel oder Küchenaccessoirs. Sie verströmen ihre Aura über die gesamte Kollektion, auch wenn über die
absolute Auflagenhöhe nichts bekannt ist. Eine unbrauchbare Saftpresse von Allessi wird durch die Handschrift von Philippe Starck
zum begehrten Designobjekt. Teile aus den H&M-Kollektionen von
Karl Lagerfeld, Stella McCartney oder Madonna erzielen auf eBay
Preise weit jenseits des Ladenpreises. Exklusive Modelabels steuern
die Verknappung räumlich darüber, dass sie nur in ausgewählten
Geschäften in wenigen Städten überhaupt verfügbar sind. Natürlich
ist die It-Bag der Saison immer schon ausverkauft. Sämtliche Sneaker-Marken von Adidas über Nike bis K-Swiss arbeiten mit dem Mechanismus künstlicher Verknappung, indem sie von Zeit zu Zeit Sondereditionen in angeblich streng limitierter Auflage herausbringen.
Spätestens bei Spülmitteln und Grillsaucen in limitierter Auflage
aber wird der Mechanismus ad absurdum geführt, und die PseudoVerknappung kippt ins Lächerliche. Hier haben Eigenbau-Marken
einen natürlichen Glaubwürdigkeitsvorsprung, weil ihr Ausstoß
schon allein durch die Produktionsweise begrenzt ist und die Aura
des Besonderen nicht erst künstlich hergestellt werden muss. Ihre
Produkte entsprechen weit eher dem Zeitgeist der Long-Tail-Ära.
Sie versprechen echten Distinktionsgewinn, weil sie Kennerschaft
voraussetzen und eine Geschichte erzählen können. Anscheinend
gelingt es ihnen deshalb auch besser, den Reiz des echten Unikats
zu erzeugen, auch wenn man sich mittlerweile seine Sneakers über
die Website zusamenklicken und dadurch einzigartig machen
kann (vgl. Kapitel 4.2). Das Design-Studio Proxy zum Beispiel hat
die parasitäre Idee des Ikea-Hackings in ein Geschäftsmodell verwandelt und baut aus Ikea-Zutaten Kleinserien und Unikate. Unter
studioproxy.de finden sich modulierte Beistelltischchen und ineinander verkeilte Billy-Regale namens »Shizo Brothers«, Preise
auf Anfrage. Das Modelabel No Editions des in New York lebenden
Münchners Christian Niessen wendet dieses Prinzip auf Kleidung