Mit Detlef Bach hinterm Sofa

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Mit Detlef Bach hinterm Sofa
Mit Detlef Bach hinterm Sofa
„Mit Detlef Bach hinterm Sofa“ - Andy Dino Iussa über Detlef Bach
Vor vielen Jahren trug es sich zu, dass Kunstliebhaber ihre Kölner Wohnung für
kleine Ausstellungsparties zur Verfügung stellten. Künstler durften ihre Werke in
dieser Wohnung hängen oder stellen und dann wurde zur Wohnzimmerausstellung
eingeladen.
Über drei oder mehr Ecken erfuhr auch Detlef Bach von diesem sympathischen
Treiben. So kam es, dass einmal auch seine Bilder während einer Kunstparty in
dieser Wohnung hingen. Während dieser Party bevölkerten sonderbare Gestalten die
Behausung.
Leute, die sich für Künstler hielten, solche, die möglicherweise einmal Künstler
waren,andere, die einmal von einem Künstler gehört haben, und wieder andere, die
niemals Künstler werden würden, Kunst aber liebten und deshalb dazu
übergegangen waren, die Kunst anderer zu kaufen.
Und etwas abseits lag den ganzen Tag über ein Typ mit Gipsbein auf einer
Chaiselongue. Niemand schien zu wissen, wer dieser Kerl war – aber es machte
auch keiner Anstalten, dies herauszufinden. Die Chaiselongue und der Typ mit dem
Gipsbein waren einfach da. Sprechen wir also nicht weiter davon.
Einer jener Besucher, die sich im Erwerb von Kunstwerken übten, war Mosby Harvey
Junior - der Enkel von Harvey Samuel Firestone, dem Gründer des Reifenherstellers
Firestone in Akron / Ohio.
Bodennahe Begegnung / Mosby Harvey Junior
Mosby Harvey Junior also war Gast auf dieser Kunstparty und fand Gefallen an
einem echten Bach. Er fragte andere Besucher, wer denn der Erschaffer dieses
einen Bildes sei. Niemand konnte ihm weiterhelfen und fast hatte er schon
aufgegeben, als ihm der Wohnungsinhaber sagte: „Ach, das ist der Bach. Der
versteckt sich da drüben hinter der Chaiselongue.“
Detlef Bach war damals nicht gerne unter fremden Menschen und außerdem hatte er
Angst, dass ihm jemand ein Bild wegkaufen wollte. Das war ihm nämlich schon
einige Male passiert.
Mosby Harvey Junior jedoch kroch zu Detlef Bach hinter die Chaiselongue und da
lagen die beiden nun eine geraume Zeit stumm nebeneinander.
Irgendwann fasste der Amerikaner sich ein Herz und sprach Detlef, der bis dato mit
dem Gesicht zur Wand gelegen hatte, an:
„Hey man – who is that guy lying on this couch over here?“
Bach konnte Mosbys Atem in seinem Nacken nicht länger ertragen und wandte sich
hilflos zu ihm um. Erstaunlicherweise entwickelte sich recht schnell ein angeregtes
Gespräch zwischen den beiden liegenden Männern; sie unterhielten sich über den
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Härtegrad diverser Bodenbeläge, über diese merkwürdigen anderen Besucher, und
über die Bilder dieser eigenartigen Ausstellung.
Dabei lenkte Mosby das Gespräch immer wieder auf dieses eine Bild von Bach.
Nebenbei versprach Mosby ihm einen Satz nagelneuer Reifen und obwohl Bach gar
keinen Führerschein, geschweige denn ein Auto besaß, verkaufte er im Gegenzug
sein Bild. Mosby wollte das Kunstwerk nun so schnell wie möglich nach Amerika
transportieren, weil er fürchtete, dass es in dieser Wohnung über kurz oder lang
Schaden nehmen würde.
Nun war dies aber kein Bild, das man mal eben unter den Arm klemmt und mit in den
Flieger Richtung Ohio nimmt. Das Ding war verdammt groß und man fragte sich, wie
es überhaupt an der Wohnzimmerwand befestigt werden konnte. Ob da etwa der Typ
mit dem Gipsbein….?
Jemand, der sich um den Transport des Bildes nach Amerika kümmerte, musste her.
Da traf es sich gut, dass im Nachbarhaus eine Spedition residierte, deren Chef sich
des sensiblen Falles auch gerne annahm. Mosby Harvey Junior und Detlef Bach
trafen sich also noch einige Male, um mit Lukas, dem Speditionsführer, Details zu
planen. Alles ging gut, das große Bild kam wohlbehalten in Ohio an und hängt heute
im Akron Art Museum.
Mosby Harvey Junior ist mittlerweile verstorben. Ob Lukas auch heute noch Bilder
durch die Welt transportiert, wissen wir nicht. Sie können ja mal im Branchenbuch
nachschauen: Die Spedition hieß Lukas Cranach. Zufall?
Die Familie von Mosby Harvey Junior stammt übrigens von Deutschen aus dem
Elsass namens Feuerstein ab.
Das erinnert an den modernen Steinzeitmenschen Fred Feuerstein und dies
wiederum verweist auf die Affinität des Intellektuellen Detlef Bach zu Comics.
Wahrscheinlich hat Bach nie aufgehört, Comics zu lieben, weil in diesem Genre
Gesetzmäßigkeiten und Konventionen, die unser Leben und Denken bestimmen und
begrenzen, schlichtweg aufgehoben werden.
Tiere können sprechen, Menschen können sich in Superhelden verwandeln – aber
Mäuse können auch Juden sein und Katzen können Nazis sein und Zeichen-Künstler
wie Art Spiegelman können undarstellbare Geschehnisse und die Erinnerung daran
zeigen, ohne sie zu zeigen.
Das Besondere am Comic ist, dass hier gespielt werden darf – mit Techniken, mit
Bedeutungsebenen, mit Realitäten, Träumen und Visionen, mit Zitaten und
Verweisen. Und dies im Gegensatz zu anderen Künsten eben frei von Kritik und
Kunstpolizeibehörden.
Unangestrengt und welt- und lebensoffen. Diese spielerische Qualität ist eine
Grundlage für Bachs Arbeiten.
Bach orientiert sich nicht an Konventionen, an kunsthistorischen Kategorien und
nicht an Trends. Den gegenwärtigen Neo Rauch-Boom unter dem Titel „Neue
Leipziger Schule“ kommentierte Bach kürzlich lapidar: Ich bin nicht Leipziger Schule;
ich bin vielleicht Leipziger Allerlei.
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„Der Legende nach ist Leipziger Allerlei eine Erfindung, um die damals reiche Stadt
Leipzig nach den napoleonischen Kriegen vor Bettlern und Steuereintreibern zu
schützen. Der Stadtschreiber Malthus Hempel soll den Stadtvätern vorgeschlagen
haben: Verstecken wir den Speck und bringen nur noch Gemüse auf den Tisch,
sonntags vielleicht ein Stückchen Mettwurst oder ein Krebslein aus der Pleiße dazu.
Und wer kommt und etwas will, der bekommt statt Fleisch ein Schälchen
Gemüsebrühe und all die Bettler und Steuereintreiber werden sich nach Halle oder
Dresden orientieren.“1
Ich finde, das beschreibt ganz gut Bachs Bestreben, sich inhaltsarme Moden und
oberflächliches Kunstszenegetue vom Leib zu halten. An die Fleischtöpfe hingegen,
an das, was Bachs Arbeiten so besonders macht, kommen nur jene ran, die sich
ernsthaft und spielerisch zugleich Bachs Werken nähern. Das macht es ihm und den
Betrachtern seiner Bilder nicht einfacher.
Auf Augenhöhe mit der Klaviatur / Glenn Gould
Nicht einfach hat es seinem Publikum und der Fachwelt auch ein anderer Künstler
gemacht: Glenn Gould ist auch einen sehr eigenen Weg, jenseits aller Konventionen
und Kategorien gegangen.
Sicher haben Sie irgendwann einmal von ihm gehört. Der Pianist mit den
ungewöhnlichen Bach-Interpretationen. Berühmt wurden seine Goldberg-Variationen.
Noch berühmter war sein Stuhl, den er immer mit sich trug – ob zu einem Konzert
oder zu seinen zahlreichen Studioaufnahmen.
Dieser Stuhl war schon an sich eine Besonderheit, denn es handelte sich um einen
zusammenklappbaren Kartenspielerstuhl.
Der Künstler als Kartenspieler.
Das Blatt, das sich immer wieder neu zusammensetzt.
Der immerwährende Versuch, die richtige Karte in der Hand zu haben, die man am
Ende ausspielt, um dann triumphal
MAU MAU! zu rufen. Ein großer Moment, ein großes Gefühl.
Aber danach werden die Karten neu gemischt und das Spiel beginnt von vorn.
Glenns Vater steigerte die Skurrilität des Stuhles noch, indem er alle 4 Beine dieses
Stuhls um jeweils 10cm kürzte.
Glenn wollte das so.
Er wollte wahrscheinlich unter die verdeckt auf dem Tisch liegenden Karten gucken,
um zu sehen, wo die Trümpfe liegen. Er wollte aber sicher ganz nah an seinem
Instrument sein; quasi Teil des Instruments werden, mit ihm verschmelzen. Und
damit Teil des Kunstwerkes, der Musik.
Er wollte auf Augenhöhe mit der Klaviatur spielen.
Auf sehr vielen Aufnahmen hört man Glenn Gould die Kompositionen mitsummen.
Seine Stimme, seine Seele mussten in die Musik einfließen. Und doch ist er streng
analytisch an die Musikwerke herangegangen, die er interpretierte.
In Bachs Wohnung steht auch ein Stuhl, dessen Beine abgesägt sind.
Bach sitzt nur nie darauf.
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Er kann ja auch nicht Mau-Mau spielen.
Weil er sich nicht an die Regeln halten mag.
Er kann auch nicht Klavier spielen.
Aber Mitsummen, das kann er. Er summt nur anders mit. Er flüstert eher.
Flüsterlaute –
Flüsterlaute –
So nennt Bach seine Werkgruppe, aus der die hier präsentierten Bilder stammen.
Photographien, Malereien, Übermalungen, Textfetzen, Zeichnungen und anderes
mehr versammeln sich auf einer Leinwand.
Schicht auf Schicht auf Schicht.
Bisweilen erkennt man auf den ersten, zweiten oder dritten Blick auch Bach selbst.
Oder vermutet ihn dort.
Unterhalb der Gesamtexpressivität der Bilder kann man so ein leises Summen oder
eben Flüstern vernehmen.
Ein Klang wie ein Wort wie ein Bild.
Sprache und Musik / Hans Werner Henze
Hier fällt dem Freund von Detlef Bach der Komponist Hans Werner Henze ein. Oft
genug hat er diesen Namen im Bachschen Atelier gehört. Wie übrigens so viele
Namen, die immerzu durch diesen Raum schwirren, so dass dem Besucher jedes
Mal schwindlig wird und er bald den Maler bittet, doch den Ort zu wechseln –
praktischerweise ist die nächste Kneipe nur 150 Meter vom Atelier entfernt und dort
wird ein sehr vernünftiges norddeutsches Bier vom Fass ausgeschenkt.
Henze also. Flüsterlaute wie Bilder. Henze arbeitete stets für ein „Verständnis von
Musik wie Sprache. Gleichsam auf Augenhöhe. Und das heißt, Musik bemisst sich
nach den gleichen Standards der Verständlichkeit, Empathie und poetischer
Präzision – und das schließt Mehrdeutigkeit, Vagheit und Offenheit mit ein -, die wir
auch an den Gebrauch der Wortsprache anlegen.“2
Henze vertrat schon früh ein „offenes, pluralistisches Klanguniversum. In ihm
überlagern sich Schichten von Materialien aus unterschiedlichen Zeiten und Welten
mit Avantgarde-Techniken und bereichern sich gegenseitig.“2
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Schicht auf Schicht auf Schicht…
… schafft Bach Bilder, die blitzlichthaft vor uns auftauchen, ineinander fließen,
transparent werden, sich auflösen, um sich an anderer Stelle wieder zusammen
zusetzen. Seine Flüsterlaute sind bewusste Kompositionen, die von Gefühlen geleitet
werden. Sie sind spekulative Analysen und sichere Vermutungen, die beide nach
Spielregeln gieren, die, wenn sie denn erscheinen, nicht eingehalten werden.
So ist Detlef Bach letzten Endes auch ein Theatermacher.
Oder anders gesagt: Er führt Regie in einem zunächst zweidimensional
erscheinenden Theater. Löst man aber die Eintrittskarte, so erkennt man, dass es
sich um Vorlagen handelt, die ihre eigene Inszenierung gleich mitliefern. Er setzt
damit einen – seinen - künstlerischen Stil.
So wie Gould sich einen Dreck um konventionelle Bach-Interpretationen scherte, wie
Henze Grenzen zwischen Musik und Sprache durchbrach, wie Art Spiegelman den
Umgang mit dem Unfassbaren revolutionierte, wie Superman die Begrenztheit
menschlichen Lebens aufhob, so nähert sich Bach einem Universum, indem er sich
verspielt und analytisch zugleich darauf zu bewegt.
Das ist doch Theater: Spielen und Analysieren. Und dabei: In Frage stellen. Vor
allem sich selbst und die gewohnten und gelernten Erkenntniswege.
Bach genügt sich selbst nicht als Autor, er ist neu – gierig auf die Ideen und
Methoden anderer und auch deshalb ist das Collagieren mehrerer
Bedeutungsebenen und Techniken konstituierendes Wesen seiner Bilder.
Bach empfindet Grenzen schlicht als unnatürlich und akzeptiert keine Mauern
zwischen Bildender Kunst, Musik, Literatur, Theater, Philosophie, Önologie und dem
Kamasutra.
Er wählt die Titel seiner Werke mit großer Sorgfalt – manchmal dauert die
Titelgebung länger als das Schaffen des Bildes –
und deshalb finden sich so oft Textfragmente oder Notationen auf den Leinwänden.
Hinter den Kulissen in Bachs Theater arbeiten in der Requisite, der Inspizienz, in der
Dramaturgie, in Gewandabteilung und in den Werkstätten Glenn Gould, David
Hockney, Hans Werner Henze, André Gide, Wolfgang Max Faust, Lukas Cranach,
aber eben auch Superman und Batman, Lassiter, Fred Feuerstein und Barny
Geröllheimer.
Auf der Bühne tummeln sich Flüsterlaute, Typen mit Gipsbein auf der Chaiselongue
liegend, Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis Junior; Klaus Kinski, Arno
Schmidt, Glenn Goulds Stuhl, Kartenspieler, obszöne Bagatellen, Mosby Harvey
Junior und alle helfen bei der Suche nach DEM Bild, nach dem Bild vom Leben.
Was für ein Personal, was für eine Besetzung!
Was für eine Inszenierung!
Mir sagte Bach einmal: wenn ich es gefunden und geschaffen habe,
DAS Bild,
das Bild, nach dem ich suche, dann ziehe ich mir die Schuhe aus und steige hinein.
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Wenn es ihm gelingt – dann wird er sich selbst dort treffen.
Sich selbst finden
Und das Bild vom Leben
Es gibt sicher nicht viele, denen dies wirklich gelungen wäre. Hin und wieder, völlig
unerwartet, flackert für den Bruchteil einer Sekunde eine vage Ahnung auf.
Vielleicht sollte man ab und an mal hinter das Sofa schauen.
Andy Dino Iussa
aus: Wikipedia
2) aus: Musik-Konzepte 132, Hans Werner Henze / Musik und Sprache
1)
ANDY DINO IUSSA
Katholischer Spurensucher; Theaterregisseur, Kunstpreis Berlin 1995 (mit Ratten 07);
Auszeichnung zur Theodor-Heuss-Preis-Verleihung 2000 (mit ArbeitslosenWalzer);
Auszeichnung mit dem Robert-Jungh-Preis 2007;
Mitglied der Arbeitsgruppe Interkulturelle Kulturarbeit im Ministerium für Städtebau
& Wohnen, Kultur & Sport NRW; Gesellschafter von iussa+ufermann / Kultur wirkt
(Entwicklung von Kulturprojekten); Verfechter von paradoxen Interventionen.
iussa+ufermann GbR
Kultur wirkt.
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