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„In unserer Epoche des großen Kampfes um die neue Kunst
streiten wir als ›Wilde‹, nicht Organisierte gegen eine alte, organisierte Macht. Der Kampf scheint ungleich; aber in geistigen Dingen siegt nie die Zahl, sondern die Stärke der Ideen.
Die gefürchteten Waffen der ›Wilden‹ sind ihre neuen Gedanken; sie töten besser als Stahl und brechen, was für unzerbrechlich galt.“ (Franz Marc)
1
Max Ackermann
(Berlin 1887 - 1975 Unterlengenhard)
Hymne.
Pastell auf Velin, unten links mit Bleistift signiert und datiert, 1956. 35 : 25
cm.
Von schöner Erhaltung.
Provenienz: Nachlass Max Ackermann; Galerie Döbele, Stuttgart;
Galerie Baukunst, Köln; Privatsammlung Westfalen.
Das Pastell ist im Max-AckermannArchiv unter der Nummer ACK 3324
registriert.
„Die Entwicklung abstrakter Malerei
in Deutschland ist dominiert durch
zwei ganz unterschiedliche Schulen,
die viele andere Innovationen bündelte: das Bauhaus in Dessau/Weimar
und die Hölzel-Klasse an der Stuttgarter Akademie. Mehr oder weniger sind
alle formalen und strukturellen Überlegungen, die abstrakten Arbeiten
der Zeit zugrunde liegen, von diesen
Lehren geprägt. Waren es im Bauhaus
vor allem Ideen, die den Kunstbegriff
erweiterten, Gebrauchskunst und
Architektur mit der ‚hohen Kunst‘
versöhnten, deren kunsttheoretisch
formale und ästhetische Problemlösungen den intellektuellen Künstler
forderten, war im Gegensatz hierzu
die Schule Adolf Hölzels auf dem ‚Erlebnis Kunst‘ aufgebaut. Vielleicht ist
dieser mehr emotionale Ansatz auch
der Grund für die verzögerte Rezeption der Hölzel-Lehre. Während das
Bauhaus, seine Lehrer und Schüler
heute international durchgesetzt und
respektiert sind, ist der Kreis um Hölzel bisher - zu Unrecht - noch eine nationale Diskussion. Auch die Wirkung
Max Ackermanns hängt wesentlich
mit diesem Phänomen zusammen.“1
1
Bayer, Rudolf, Max Ackermann 18871975. Bilder aus siebzig Jahren. Retrospektive zum 20.
Todestag. Bietigheim-Bissingen 1995. S. 9
2
„. . . ich erkannte, daß der Gegenstand ein Hemmnis für freie Gestaltung wurde. Ich hob die Musik heraus,
lauschte auf musikalische Gesetze, bis
ich endlich eine Verwandtschaft von
Malerei und Musik feststellte. „ (Max
Ackermann)
3
Max Beckmann
(Leipzig 1884 - 1950 New York)
Die Seiltänzer.
Kaltnadelradierung auf Japan, mit
Bleistift signiert, 1921. 25,8 : 25,7 cm
auf 54,2 : 38,4 cm.
Werkverzeichnis: Hofmaier 198 II B
b.
Eins von 75 Exemplaren auf Japan,
dazu 125 auf Bütten.
Blatt 8 der Mappe „Der Jahrmarkt“.
Herausgegeben vom Verlag der Marées Gesellschaft München (mit deren
Trockenstempel).
Ganz ausgezeichneter, herrlich kräftiger und gratiger, in den Schwärzen
sehr schön samtiger Druck mit dem
vollen Rand und nur unmerklichen
Altersspuren.
Provenienz: Sammlung Samuel Montealegre (Maler und Kunstkritiker),
Rom; Galleria Giulia; Rom; Privatsammlung Rom.
4
„Die Sympathie für das fahrende
Volk scheint Beckmann von seinem
Vater geerbt zu haben. In einem Brief
an seinen Verleger Reinhard Piper,
den Auftraggeber der Graphikfolge
>Jahrmarkt<, erzählt er am 1. Juni
1921, sein Vater habe einmal den
leider nicht realisierten Plan gehabt,
sich einen Wohnwagen (>so wie ihn
die kleinen Artisten haben<) zu kaufen und mit ihm von Stadt zu Stadt zu
ziehen. Er selbst, so fährt Beckmann
fort, freue sich >nun darauf von einer
Kupferplatte zur anderen zu reisen<.
Die Stationen dieser Reise waren
die (zunächst) neun Platten, die der
Künstler bereits im Mai in verschiedenen Größen bestellt hatte, >da immer ein und dasselbe Format für den
Beschauer wie für den Produzenten
etwas langweilig ist.< Im Juli nahm
Beckmann die noch unbearbeiteten
Platten nach Graz mit, wo er seine
Frau Minna, die seit 1918 Sängerin
am Grazer Opernhaus war, besuchte.
Von hier aus ist Beckmann - vermutlich mit Minna - nach Wien gereist
und hat dabei wohl auch sein Vorhaben wahrgemacht, den Prater zu besuchen. In Graz radierte Beckmann
während des Sommers die neun mitgebrachten Platten, wobei sich sein
Aufenthalt bis Oktober verlängerte,
da Minna schwer erkrankte. Nach
Frankfurt zurückgekehrt, kam er Pipers Wunsch nach, noch zwei weitere
Jahrmarktszenen zu schaffen. Davon
sollte eine die etwas aus dem Rahmen
fallende Darstellung >Ringkämpfer< ersetzen, die andere die Folge
auf zehn Blätter erweitern. [...] Die
ungeklärte Beziehung zu Minna, von
der Beckmann seit 1915 weitgehend
getrennt lebte, die er aber nach wie
vor verehrte, ja liebte, ist auch für
das Blatt >Seiltänzer< von Bedeutung. Das Exemplar für Minna versah
Beckmann mit der Bemerkung, dies
sei ihrer beider Bildnis. Mann und
Frau vollführen einen gefährlichen
Balanceakt mit ungewissen Ausgang.
Die Artistin übt ihre Kunst mit großer
Sicherheit aus. Ihr Unterleib fällt optisch mit der Achse des Riesenrades
zusammen, das für das Auf und Ab
des Lebens steht. Die Schößchen des
Rockes wirken wie Speichen des Rades und auch der Sonnenschirm, der
doch dem Gleichgewicht dienen soll,
scheint zu rotieren. Der Mann - blind
durch ein übergehängtes Tuch - läuft
von rechts auf die Frau zu und ist ihr
bereits bedenklich nahe. Die Mondsichel in seinem Rücken bringt das
Traumwandlerische dieses Schauspiels zum Ausdruck. [...] Beckmanns
>Jahrmarkt< ist ein graphisches
Meisterwerk. Diese Folge ist gelöster, heiterer als die >Hölle< oder die
>Stadtnacht<. Und dennoch ist sie
von tiefem Ernst erfüllt. Sensibel rückt
Beckmann Aspekte der menschlichen
Existenz, des Künstlerdaseins und
insbesondere auch seiner ganz persönlichen Situation ins Blickfeld.“1
1
Max Beckmann. Druckgraphik 19141924. Katalog der Ausstellung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe 2005. S. 112 ff
5
Charlotte Berend-Corinth
(Berlin 1880 - 1967 New York)
Ohne Titel (Liegender weiblicher Akt).
Tuschpinselzeichnung auf Velin, mit
Bleistift signiert, ohne Jahr (19081914?). Ca. 32 : 27,8 cm (Papierformat; etwas unregelmäßig beschnitten). Verso Montierungsspuren, sonst
sehr schön erhalten.
Provenienz: Unbekannte Privatsammlung: verso Sammlungsstempel R CF
über Krone (nicht bei Lugt); Privatsammlung Westfalen.
Die Zeichnung könnte in Zusammenhang mit dem Gemälde „Die schwere
Stunde“ aus dem Jahr 1908 stehen, zu
dem auch eine Ölstudie existiert.
„Charlotte Berend-Corinth stellte seit
1906 regelmäßig in den Ausstellungen
der Berliner Secession aus und wurde
1911 als Mitglied aufgenommen, seit
1915 arbeitete sie in der Jury und in
den zwanziger Jahren im Vorstand der
Berliner Secession mit. 1908 erregte
sie mit dem großformatigen Gemälde
>Schwere Stunde<, der Darstellung
einer Geburtsszene, großes Aufsehen
und löste [...] heftige Reaktionen aus,
die von Else Laske-Schülers begeisterter Besprechung bis zu scharfen
Ablehnungen durch konservative Kritiker reichten.“ 1
Ebenso könnte die Künstlerin durch
ihren Mann inspiriert worden sein,
das sich Corinth ab 1914 mehrfach
mit dem Thema Joseph und Potiphars
Weib auseinandersetzte.
Charlotte Berend-Corinth, Die schwere Stunde. Öl auf
Leinwand 1907/1908. Verschollen
Charlotte Berend-Cornith, Die schwere Stunde. Öl auf
Pappe 1908. Lentos Kunstmuseum Linz
Lovis Corinth, Potiphars Weib. Aquarell und Tusche
1914.
Kunsthalle Mannheim
1
Hofmann, Karl-Ludwig, Charlotte Berend-Corinth - Lovis Corinth. Ein Künstlerpaar im Berlin der Klassischen Moderne. Katalog der Ausstellung im
Reuchlinhaus Pforzheim 2005. S. 6 f.
6
7
Émile Bernard
(Lille 1868 - 1941 Paris)
Ohne Titel (Liegender weiblicher Akt)
Kohle und Pastellkreidezeichnung auf
bräunlichem Papier, mit Kohle monogrammiert, um 1886/89. 15 : 44 cm
auf 31 : 48,4 cm. Verso mit einer angefangenen Bleistiftstudie sowie dem
roten Stempel der Sammlung Jung.
Verso Montierungsreste, sonst nur
geringfügige Altersspuren
Provenienz: Sammlung Richard Jung,
Freiburg. Jung (1911 - 1986) war
ein bedeutender Neurologe und auch
Zeichnungssammler. Die Staatsgalerie Stuttgart besitzt einen Teil seines
Vermächtnisses an Zeichnungen des
16. bis 18. Jahrhunderts; Privatsammlung Westfalen
Vorliegende Zeichnung wird im Kontext mit einem ursprünglich dreiteiligen Fries für das Gartenatelier
Bernards entstanden sein. Die Bilder
wurden vor 1901 einzeln an Ambroise
Vollard verkauft und gelangten in verschiedenen Besitz.
Auf dem im Pariser Musée d‘Orsay
befindlichen linken Teil befindet sich
ungefähr in der Bildmitte ein liegender Akt, der in sehr ähnlicher Haltung
(mit angewinkeltem Bein, ein Arm vor
dem Gesicht), nur spiegelbildlich zu
unserem dargestellt ist.
Der Katalog der Bremer BernardAusstellung1 zeigt ein großes Studienblatt mit Akten, das der Künstler während seiner Studienzeit bei Cormon in
Kreide und Tusche geschaffen hat. Es
bildet wohl den Auftakt zu einer Serie
großformatiger Akte, die, angeregt
durch Tizian und Michelangelo, in
dem Bild „Nach dem Bad“ von 1908
seine Fortsetzung findet. Auch hier
zeigt der mittlere Akt eine ähnliche
Haltung wie auf unserer Zeichnung.
1
Hansen, Dorothee, Hrsg., Emile Bernard.
Am Puls der Moderne. Katalog der Kunsthalle Bremen
2015. S. 138
8
Biographie
1868 geboren am 28. April in Lille
1878 die Familie zieht nach Paris
1884 Bernard wird in das Atelier des
Malers Fernand Corman aufgenommen; dort trifft er u. a. auf ToulouseLautrec
1886 wird aus dem Atelier Cormon
verwiesen; sechsmonatige Fußwanderung durch die Bretagne; lernt in
Pont-Aven Paul Gauguin kennen;
lernt Van Gogh kennen
1887 besucht Signac in dessen Atelier; Zusammenarbeit mit Van Gogh
1888 Beginn des intensiven Briefwechsel mit Van Gogh; Aufenthalt
in Pont-Aven; enge Zusammenarbeit
mit Gauguin
1890 ist bei Van Goghs Beerdigung
anwesend, wo er Andries Bonger, den
Schwager Theo van Goghs kennenlernt, der sein Mäzen wird
1891 Bruch zwischen Bernard und
Gauguin
1892 Besuch von Renoir in PontAven
1893 fährt nach Italien, um die alten
Meister zu studieren; von dort weiter
nach Konstantinopel; Reise nach
Jerusalem und in das Nildelta
1894 heiratet die 15-Jährige Hanenah aus Kairo
1896 Reise nach Andalusien; die
Familie ist nahezu mittellos
1897 Rückkehr nach Ägypten; Ausstellung bei Vollard in Paris
1898 verkauft aus finanzieller Not
Werke von van Gogh und Gauguin
1901 Ausstellung bei Vollard
1904 Rückkehr nach Frankreich;
besucht Cézanne in Aix-en-Provence
Ausstellung in der Galerie BernheimJeune
1905 zweiter Besuch bei Cézanne
1911 erbt das Vermögen des Vaters
1922-1926 Aufenthalt in Venedig
1940 Aufnahme in die Académie des
Beaux-Arts
1941 stirbt am 16. April; auf der
Beerdigung in Saint-Louis-en-l‘Isle
hält Maurice Denis die Trauerrede
„Ich träumte davon, einen hieratischen Stil zu schaffen, der über den
Modernismus und die Realität des Alltags hinaus geht. Die Vorgehensweise
und die Inspiration muß man bei den
Primitiven suchen; technisch muß
man mit knappen Mitteln vorgehen;
die Linie sollte nur dazu dienen, die
Form zu definieren, während die Farbe Seinszustände wiedergibt. Mit einem Wort, es galt, einen Stil zu schaffen, der wirklich zu unserem Zeitalter
gehörte.“ (Émile Bernard 1891)
Émile Bernard, Badende mit roter Kuh.
Öl auf Leinwand 1889. Musée d‘Orsay, Paris
Émile Bernard, Nach dem Bad (Die Nymphen).
Öl auf Leinwand 1908. Musée d‘Orsay, Paris
9
Émile Bernard
(Lille 1868 - 1941 Paris)
Genua
Lavierte Tuschpinselzeichnung in
braun auf festem bräunlichen Papier,
mit Pinsel signiert und betitelt, 1893.
34,8 : 25 cm.
Bis auf leichte Randmängel sehr gut
erhalten. Verso mit Marginalien und
einem Pariser Zollstempel.
Provenienz:
sammlung
Westfälische
Privat-
Graf Antoine de La Rochefoucauld,
Mäzen Bernards, ermöglichte es dem
Künstler, 1893 nach Italien zu reisen,
um die alten Meister kennenzulernen.
Ende März besucht er die Sixtinische
Kapelle, anschließend reist er für
einen Monat nach Florenz. Im Mai
fährt Bernard nach Genua, von dort
geht es nach Konstantinopel.
„Seine Reise nach Italien im Frühjahr
1893 öffnete Emile Bernard die Augen
noch weiter für die >Primitiven<. In
Rom enttäuschte ihn Michelangelo,
der >kein Mystiker ist so wie ich es
verstehe<. Seine Leidenschaft galt
Giotto, Taddeo Gaddi, Lippo Memmi,
Orcagna und vor allem Fra Angelico
in Florenz, eine Vorliebe, zu der die
Anwesenheit von Paul Sérusier und
Jan Verkade in Florenz beigetragen
haben dürfte. In begeisterten Briefen
versuchte er, das Missverständnis
auszuräumen, dass die >Primitiven<
ignorant seien. Was diese Künstler
geleistet hätten, sei das Weiterreichen der >synthetischen Bildformeln
einer ganzen Zivilisation<, die ihrerseits wiederum die Errungenschaften
älterer Zivilisationen einbegriffen
hätten. Das führe dazu, dass >in diesen alten Genies das Sublime vollständiger enthalten ist und uns mehr
beeindruckt.<“1
1
Hansen, Dorothee, Hrsg., Emile Bernard.
Am Puls der Moderne. Katalog der Kunsthalle Bremen
2015. S. 55
10
11
Pierre Bonnard
(Fontenay-aux-Roses 1867 - 1947 Le Cannet/Cannes)
Blick auf Köln vom Mülheimer Rheinufer aus
Recto: Ohne Titel (Vue de Cologne
depuis la rive droite du rhin/Blick auf
Köln vom Mülheimer Rheinufer aus)
Verso: Ohne Titel (Alfred Charles
Edwards am Bug seines Schiffes)
Bleistiftzeichnung auf Papier, mit
dem roten Monogramm-Stempel
(Lugt 3887), 1905/1906.
9,3 : 12 cm
Schwach randgebräunt, einige
wenige Braunfleckchen, verso kleine
Montierungsspuren.
Provenienz:
Nachlass Pierre Bonnard; Sammlung
Charles Terrasse; Sammlung Antoine
Terrasse, Paris
Ausstellungen:
• Pierre Bonnard. Palazzo Reale.
Mailand 1988/1989
• Pierre Bonnard. Magier der Farbe.
Von der Heydt-Museum Wuppertal
2010
Literatur:
• Terrasse, Antoine, Bonnard. Paris
1988. Abbildung auf Seite 255 (hier
noch betitelt: „Amsterdam“ ou
„L’Église“ und datiert 1905)
• Terrasse, Antoine, Bonnard. Köln
1989. Abbildung auf Seite 255 (hier
noch betitelt: „Amsterdam“ oder
„Die Kirche“ und datiert 1905)
• Pierre Bonnard. Katalog der Ausstellung im Palazzo Reale. Mailand
1988/1989. Abbildung auf Seite 127
(hier datiert auf Juli/August 1906)
• Pierre Bonnard. Katalog der Ausstellung im von der Heydt-Museum
Wuppertal 2010. Mit Abbildungen
auf Seite 90 und 221
Weiterführende Literatur:
• Terrasse, Antoine, Bonnard Illustrateur. Catalogue raisonné. Paris 1988
• Bernier, Georges, La Revue
blanche. Paris 1991.
• „Misia. Reine de Paris.“ Katalog
12
der Ausstellung im Musée d’Orsay,
Paris 2012 und im Musée Bonnard,
Le Cannes 2012/13.
• Pierre Bonnard. Peindre l’Arcadie.
Katalog der Ausstellung im Musée
d’Orsay 2015
Zur Provenienz:
Antoine Terrasse (1928-2013) war
der Grossneffe des Künstlers und
ausgewiesener Bonnard-Experte. Als
solcher veröffentlichte er 1964 seine
erste Monographie über ihn, kuratierte die Bonnard-Retrospektiven in der
Orangerie des Tuileries 1967, ebenso
die in Tokyo 1968, in New York 1969,
im Centre Pompidou 1984 sowie im
Musée d‘ Art Moderne de la Ville de
Paris 2006. Die große Bonnard-Retrospektive 2015 im Musée d‘Orsay (die
anschliessend in Madrid und 2016
San Francisco gezeigt wird), ist Antoine Terrasse gewidmet. Die meisten
Arbeiten Bonnards hatte Antoine von
seinem Vater Charles Terrasse geerbt,
der sie wiederum aus dem Nachlass
Bonnards erhalten hatte. Teile seiner
grossen Sammlung, wie die Fotoplatten Bonnards, vermachte Antoine zu
Lebzeiten dem Musée d‘ Orsay, von
anderen Werken - so auch unserer
Zeichnung - trennte er sich nie.
recto
13
Pierre Bonnard
(Fontenay-aux-Roses 1867 - 1947 Le Cannet/Cannes)
Blick auf Köln vom Mülheimer Rheinufer aus
Zur Entstehungsgeschichte:
Pierre Bonnard schuf 1894 ein Plakat
für die „Revue Blanche“, einer bedeutenden künstlerisch-literatischen
Zeitschrift. Deren Direktor Thadée
Natanson hatte 1893 Misia Godebska
geheiratet. Misia gilt als DIE Muse
der „Nabis“, sie heiratete 1905 den
Milliardär Alfred Charles Edwards.
Im Sommer des folgenden Jahres lud
das Ehepaar u. a. Bonnard und Maurice Ravel auf ihre Yacht “L’Aimée“
ein, um über Kanäle und Flüsse durch
Belgien, Holland und Deutschland zu
reisen. Bei dieser Gelegenheit zeichnete Bonnard das Kölner Panorama
vom Mülheimer Ufer aus.
„In den Jahren 1905 und 1906 folgen Reisen nach Belgien und Holland, an Bord der Yacht Missas, die
inzwischen Alfred Edwards geheiratet
hatte, den Eigentümer von Le Matin,
der einflussreichen Zeitung der Jahre.
Einige kleine Bilder rufen diese Reise
auf der Yacht Aimée (M für Misia, E
für Edwards) wieder in Erinnerung.
Außerdem existieren zwei Notizbücher mit Skizzen, in denen hier und
da die Namen der angelaufenen Städte angegeben sind: Givet, Lüttich,
Dordrecht. Das war im Juni 1905 und
in Begleitung von Pierre Lapidare
und Maurice Ravel; und noch einmal
im Juli-August 1906. Das weiße Boot
bewegte sich ruhig auf der Maas voran. Bonnard betrachtete die Landschaft entlang der Ufer, die Städte in
der Ferne. Schließlich der große Hafen: Amsterdam. Entsprechend häufen
sich die Notizen und bald Erinnerungen, die ihm zwei Jahre später erlauben sollen, den Bericht des Freundes
Oktave Mirabeau über seine Reise
nach Belgien und Holland zu illustrieren.“ 1
1
Terrasse, Antoine, Pierre Bonnard. Leben
und Werk. Köln 1989. S. 88 f
14
Misia und Alfred Charles Edwards an Deck ihrer Yacht
1906 Foto: Pierre Bonnard
Musée d’Orsay Paris, Schenkung Antoine Terrasse 1992
Der berühmte französische Schriftsteller Oktave Moreau bat Bonnard
1907, seinen Roman „La 628-E8“ zu
illustrieren. Der Erzähler fährt in dem
Buch in seinem Auto, einem Charon
mit dem Kennzeichen 628-E8, durch
Belgien, Holland und Deutschland,
wobei das Auto die Hauptperson der
Handlung ist. In dem Kapitel „Bords
du Rhin“ (Rheinufer) gelangen die
Protagonisten auch nach Köln, wozu
Bonnard eine ebenfalls den Dom zeigende Illustration schuf.
verso
15
Georges Braque
(Argenteuil-sur-Seine 1882 - 1963 Paris)
Tête en profil et l’étoile.
Farbaquatintaradierung auf festem
Vélin, mit Bleistift signiert und
nummeriert, 1960. 29,5 : 24,5 cm auf
38 : 28,5 cm.
Eins von 50 Exemplaren.
Werkverzeichnis: Vallier 152. Für
die Vorzugsausgabe von: Christian
Zervos, Georges Braque, Nouvelles
Sculptures et Plaques gravées. Paris,
Albert Morancé, 1960. Mit dem
Trockenstempel „Libreria Prandi
Reggio E.“
Links und rechts am äußersten Rand
kleine Spuren alter Rahmung, verso
Montierungsreste, insgesamt aber
schön erhalten.
Provenienz: Privatsammlung München.
„Man sollte einmal die Spätwerke der
großen Meister zusammenstellen - ich
denke an Matisse und Léger, Picasso
und Braque, Klee und Kandinsky und nach ihrer inneren Übereinstimmung befragen. Man würde lapidare
Antworten erhalten. Das Nebensächliche ist weggefallen, der Kontur gestrafft und doch geschmeidig, die Fläche zum vollen Klang ausgereift. Ich
denke an die Velasquez-Huldigungen
von Picasso, an die Bauleute und Akrobaten von Léger, an die sinnenfrohen ‚papiers découpés‘ von Matisse,
an Klees letztes Bild, das Stilleben
mit dem Engel, an die Pariser Bilder
Kandinskys (in denen eine heitere,
koboldhafte Gegenständlichkeit rumort), und ich denke an die magistralen Bildpoesien des späten Braque.
Was ich als Gemeinsames empfinde,
das die Verschiedenheit der Herkunft
und die Gegensätze des Wollens überbrückt, ist dieses: ein eigentümliches
Geborgensein in der Form, ein bündiges, sinnenhaftes Ergreifen der
Wirklichkeit; die Abwandlung einiger
weniger Leitmotive; Sparsamkeit, die
den direktesten Weg einschlägt; eine
immer größere Bestimmtheit der Syntax, die ohne Umschweife verfährt.
Keine Launen mehr, ein Sich-Runden, eine souveräne, dichte Zusammenfügung. Form als Fügung - im
zweifachen Wortverstand. Und die
Würde der Abgeschiedenheit, die aus
der Lauterkeit der Mittel kommt und
in die Bereiche des Monumentalen
wächst. Der stille Atem des Absichtslosen und der Selbstverständlichkeit
scheint durch diese Kunst zu gehen,
und erst die nachträgliche Überlegung kommt dem Anteil des Könnens
auf die Spur“1
1
Hofmann, Werner, Einleitung, Georges
Braque. Das graphische Werk. Stuttgart 1961. S. XXIII
16
17
Marc Chagall
(Witebsk 1887 - 1985 St. Paul de Vence)
Paysage, 2e état (Landschaft, 2. Zustand).
Kreidelithographie von der Zinkplatte
auf Arches-Bütten (mit Wasserzeichen), mit Bleistift signiert und nummeriert, 1956. 59 : 47 cm auf 65 : 50,2
cm.
Werkverzeichnis: Sorlier/Mourlot
154.
Einer von 20 Abzügen für den Künstler (dazu einige wenige Probeabzüge,
keine Auflage, die Platte wurde unbrauchbar gemacht).
Vorzüglich erhalten.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen.
„Sehr bald merkt man, daß zweierlei
graphische Möglichkeiten ihn locken:
die mehr >malerische< und die rein
>zeichnerische< Graphik. Die erste richtet sich mehr auf die Nuancen und bringt durch Abstufung der
Schwarztöne Licht- und sogar Farbvorstellungen zur Geltung; die zweite berücksichtigt mehr die Eleganz,
Geschmeidigkeit und Treffsicherheit
des Strichs sowie die Bemühung, das
Weiß lebendig zu lassen. Diese beiden
graphischen Methoden widersprechen
einander keineswegs, vielmehr ergänzen sie sich reizvoll, sei es, indem sie
sich kontrastierend voneinander abheben, sei es, indem sie sich miteinander verkoppeln [...]. >Es hätte mir sicherlich<, so erklärt Chagall, >etwas
gefehlt, wenn ich nicht irgendwann in
meinem Leben mich neben der Malerei auch mit Radierungen und Lithographien beschäftigt hätte. Von frühester Jugend an, sobald ich anfing,
einen Bleistift zu handhaben, suchte
ich nach diesem Etwas, das sich ergießen konnte wie ein großer Strom
zu fernen, lockenden Ufern. Wenn ich
einen Stein zum Lithographieren oder
eine Kupferplatte in die Hand nahm,
meinte ich einen Talisman zu berüh18
ren. Mir schien, ich könne alle meine
Trübsale, alle meine Freuden in sie
einlassen ... All das, was im Laufe der
Jahre mein Leben berührte: Geburt
und Tod, Hochzeiten, Blumen, Tiere,
Vögel, geplagte Arbeiter, die Eltern,
Liebende in der Nacht, die Propheten
der Bibel, auf der Straße, im Haus,
im Tempel und im Himmel; und mit
den Jahren, die Tragödie des Lebens
in uns und um uns. Wenn ich all diese
Werkzeuge in die Hand nehme, fühle
ich den Unterschied zwischen Lithographie, Zeichnung und Radierung.
Zeichnen können, ist nicht dasselbe,
wie in den Fingern diesen Nerv für
die Lithographie spüren: es ist eine
Sache des Gefühls. So muß auch von
jedem einzelnen Strich dieses besondere Gespür ausgehen, das nichts
mehr zu tun hat mit dem Können oder
dem Handgriff.“ 1
1
Maretau, Robert, Chagall als Graphiker.
In: Hommage à Chagall. Paris 1969. S. 100 ff
19
Lovis Corinth
(Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort)
Katze auf Baumstrunk.
Kaltnadelradierung auf Japan, mit
Bleistift signiert und als „Probedruck“
bezeichnet, 1920.
24,5 : 19,5 cm auf 36,2 : 28,2 cm.
Werkverzeichnis: Schwarz 432 VIII.
Einer von wenigen Probedrucken vor
der Auflage von 25 Exemplaren auf
Japan und 50 Exemplaren auf Bütten als Blatt 8 der Mappe „Am Walchensee“, erschienen als 30. Werk der
Gurlitt-Presse im Verlag Fritz Gurlitt,
Berlin, 1920.
Provenienz: Privatsammlung München
„In der heißen Sonne schnurrt vor
dem Häuschen unser Kater, ein Kätzchen, das wir jung aufgezogen, und
das nun zweijährig ist. Ein herrliches
Tier, behütet und gepflegt vom ganzen
Hause, was es uns tausendfach vergilt. Lief es doch wie ein Hündchen
hinter meiner Frau einher. Versteckte
sich auf Bäumen; scherzte und spielte mit dem Saume ihres Kleides.“
(Lovis Corinth).
Charlotte in Urfeld beim Füttern der Katze „Strick“
mit der Milchflasche, daneben die Katze „Strolch“
(Aufnahme: Lovis Corinth)
Bis auf kleinere Läsuren in den Ecken
prachtvoller, tief eingepreßter Druck
mit leichtem Plattenton.
Lovis Corinth
(Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort)
Am Walchensee.
Kaltnadelradierung mit Aquatinta auf
Japanbütten, mit Bleistift signiert,
1923.
17,8 : 24,2 cm auf 22 : 29 cm.
Werkverzeichnis: Müller 674.
Gratiger Druck mit leichtem Plattenton, bis auf wenige Altersspuren
schön Erhaltung.
Provenienz: Rheinischer Privatbesitz
20
Einer von wahrscheinlich sehr wenigen Zustandsdrucken. Auch die Blätter der Auflage sind selten, da laut
Müller diese durch einen Brand fast
vollständig vernichtet wurden.
Eindrucksvolle, expressive Arbeit,
die sich vielleicht am stärksten aller Walchensee-Graphiken vom dem
„Gegenstand“ der Landschaft löst
und diese im gestischen Duktus nur
noch andeutet.
21
Lovis Corinth
(Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort)
Winter am Walchensee (Hotel Fischer am See).
Kaltnadelradierung auf Bütten, mit
Bleistift signiert, 1924. 15 : 19,7 cm
auf 20,5 : 26,7 cm.
Werkverzeichnis: Müller 858.
Eins von 200 Exemplaren der Vorzugsausgabe von: Biermann, Georg,
Der Zeichner Lovis Corinth.
Dresden, Verlag Ernst Arnold, 1924.
Herrlich kräftiger und gratiger, in
den Schwärzen sehr schön samtiger
Druck.
Provenienz: Privatbesitz Hamburg.
22
„Die Kunststraße vom Kochel- zum
Walchensee windet sich am Kesselberg empor, bis wir endlich auf dem
höchsten Punkt angekommen sind.
Hier zeigt sich auch zum erstenmal
der See. Von dieser Höhe geht es
jäh herunter. Das Gefährt schlängelt
sich, mit Vorsicht gestoppt, eine schön
gepflegte Straße in zahlreichen Windungen herab, bis hart zum Ufer des
Walchensees. wo auch das Dörfchen
Urfeld beginnt. Dieses Urfeld ist ein
ganz winziger Ort, es gibt dort eine
Post, zwei Gasthäuser, aber weder
Schuster noch Schneider. Einige Vil-
len, ebenfalls Liliputanerstil, leuchten
unter schwarzen Tannen hervor“ (Lovis Corinth: Am Walchensee. 1921).
Winter 1924/1925
Familie Corinth vor dem Haus in Urfeld (rechts eine
Freundin)
Lovis Corinth
(Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort)
Schweizer Landschaften.
Mappe mit fünf Kreidelithographie auf „Der Schweizer Maler Cuno Amiet,
Bütten, mit Bleistift signiert, 1923.
wohnhaft in Oschwand bei Rietweol,
38,8 : 29,4 cm (Blattformat).
Kanton Bern, erinnerte sich später
an eine gemeinsame Fahrt durch die
Werkverzeichnis: Müller 792-796, Schweizer Landschaft: >... Sehr oft
Ausgabe C.
denke ich an jenen Tag zurück, als Frau
Aus der Auflage von 100 Exemplaren Corinth ihren Mann zu mir brachte, im
(dazu 25 farbig gedruckt auf Japan und Jahr 1923 (1924?). Ich holte die bei100 farbig gedruckt auf Bütten).
den in Olten ab und fuhr sie im Auto
Erschienen im Verlag der Münster- auf die Oschwand; durch die schöne,
Presse Horgen-Zürich/Leipzig und Ver- sonnige Landschaft gemütlich fahrend,
lag Dr. Karl Hoenn.
plaudernd und spaßend ... Wir fuhren
im offenen Wagen und meine verehrProvenienz: Privatsammlung Westfa- ten Gäste hatten rechte Freude an der
len.
schweizer Landschaft.<
Corinth hatte sich auch Bücher über
Enthält die Blätter Bergsee (17,5 : 18 landschaftliche Darstellungen der
cm), Burg am See (13 : 18 cm); Alp- Schweiz und Kupferstiche kommen
hütte (15,5 : 18 cm); Wildbach (15,5 : lassen. 1924 fand eine Ausstellung Co18 cm) und Bergsee (16,5 : 17,5 cm).
rinths im Kunsthaus Zürich statt. Im
selben Jahr schuf er zwei Gemälde mit
Motiven vom Luzerner See (Berend-Corinth 950 und 951, Hamburger Kunsthalle, Hamburg) und radierte eine Ansicht von Zürich (Müller 861).
Die >Schweizer Landschaften< sollten
ursprünglich als Vignetten zur Tell-Folge erscheinen, wurden dann aber in einer separaten Mappe vereinigt. Die Bewunderung der Schweizer Landschaft
ist vorgeprägt durch die Tradition der
Romantik seit Ende des 18. Jahrhunderts. Aus der romantischen Natursehnsucht in Verbindung mit der Schweizer
Alpenlandschaft. Wie die Künstler früherer Zeit ist Corinth berührt von dem
Erlebnis der erhabenen Natur.“ 1
1
Fehlemann, Sabine, Hrsg. und Birthälmer,
Antje, Bearb., Lovis Corinth. Aus der Graphischen Sammlung des Von der Heydt-Museums. Wuppertal 2004. S. 379.
23
Eugen Croissant
(Landau/Pfalz 1898 - 1976 Urfahrn/Chiemsee)
Ohne Titel (Blick über das winterliche Murnauer Moos in Richtung Zugspitzmassiv).
Aquarell auf Karton, mit Tinte signiert, um 1930. 35,5 : 49 cm.
Auf dickeren Karton kaschiert, an den
Rändern minimal lichtrandig, wohl
leicht beschnitten.
Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland.
„Croissant war fast ausschließlich ein
Landschaftsmaler, der den Chiemsee
und das Berchtesgadener Land in das
Zentrum seiner Bildwelt stellte. Wie
im 19. Jahrhundert Joseph Wopfner,
umkreiste er thematisch immer wieder dieses Gebiet und das Voralpenland, allerdings verzichtete er ganz
auf Staffagefiguren und damit auf eine
pointierte Zuspitzung im Szenischen.
Obschon seine Bildform am Natureindruck orientiert ist, bevorzugte er
eine Farbigkeit, die durch den Expressionismus und seine Strömungen
geprägt wurde. Bekannt wurde er vor
allem durch seine großformatigen
Aquarelle.“1
1
Ludwig, Horst, Bearb., Münchner Maler
im 19./20. Jahrhundert. Band V. München 1993. S. 161
24
1918-1920 Architekturstudium an der
Technischen Hochschule in München
1920-1922 durch Unterstützung von
Max Slevogt erlaubt der Vater den
Wechsel zur Kunstgewerbeschule in
München, wo Croissant bei Julius
Diez und Willi Geiger studiert
1923-1924 Fortsetzung des Studiums
an der Akademie für Bildende Künste
in der Malklasse von Karl Caspar
seit 1924 freischaffender Künstler
1925 Ausstellung in Landau
1926 Ausstellung in Kaiserslautern
und Neustadt
1927 Ausstellung in Speyer, Kassel
und Hamburg
1928 Ausstellung in Ludwigshafen,
München, Nürnberg und Kaiserslautern
1931 Ausstellung in Pirmasens
1932 Ausstellung in Landau
1933 Ausstellung in Mannheim und
Düsseldorf
mit Hilfe von Stipendien zahlreiche
Reisen durch Europa und den Orient
1931 am 6. Juni werden beim Brand
des Münchner Glaspalastes 12 Aquarelle seiner Orientreise vernichtet
bis 1939 zeichnet für diverse Zeitschriften (Fliegende Blätter, Meggendorfer Blätter, Simplicissimus“ u. a.)
Karikaturen
wird Mitglied des „Deutschen Künstlerbundes“, dem Max Liebermann
vorsteht
1930-1944 durch Unterstützung von
Richard Seewald wird Croissant Mitglied der „Münchener Neuen Sezession“
1941 Tod des Vaters in Landau
1943 Zerstörung seines Münchner
Ateliers durch Luftangriffe; zieht an
den Chiemsee
1945 kurz vor Kriegsende Einberufung
nach 1945 der Chiemsee und seine
Umgebung werden zu seinen bevorzugten Motiven
wird Mitbegründer der „Neuen Gruppe“, die jährliche Ausstellungen im
„Haus der Kunst“ in München ver-
anstalten
1967 Tod der Mutter in Landau
1975 Preis für Malerei von der Bayerischen Akademie für Schöne Künste
1976 stirbt in Urfahrn und wird auf
dem Friedhof von Frauenchiemsee
beigesetzt, in einem Ehrengrab, das
die Gemeinde Breitbrunn für die besten Künstler ihrer Gemarkung eingerichtet hat.
25
Ferdinand Carl Cürten
(Düsseldorf 1892 - 1945 Beverungen)
Ohne Titel (Artist vor dem Zirkus/Selbstbildnis?)
Kreidelithographie auf Maschinenbütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, ohne Jahre (um 1920?). Ca.
37 : 25 cm (Stein unregelmäßig) auf
56,2 : 41 cm.
7. von 30 Exemplaren.
Der breite Rand mit leichten Läsuren,
insgesamt aber sehr schöner Abzug.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen.
WIR KÖNNEN AUSSER DIESEM
BLATT KEINE WEITERE GRAPHIK
AUS DER HAND DES KÜNSTLERS
NACHWEISEN.
Cürten studierte zunächst an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule und
im Anschluß an der dortigen Kunstakademie. Sein Frühwerk stand noch
unter dem Einfluß des rheinischen
Impressionismus. Studienreisen durch
Europa und Nordafrika bereicherten
seine Palette um leuchtende Farben.
1919 trat Cürten der Künstlervereinigung „Das Junge Rheinland“ bei,
das in der Galerie von Johanna (Mutter) Ey gegründet worden war. 1923
verließ er die Gruppe und wurde
Mitglied in der gerade gegründeten
„Rheingruppe“, aus der sich 1928 die
„Rheinische Sezession“ bildete. So
nahm Cürten zwischen 1919 und 1933
an allen wichtigen Ausstellungen der
rheinischen Avantgarde teil.
1926 erhielt er den Auftrag, im Zuge
der „Großen Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen (GeSoLei) ein Gemälde
für den Rundbau des Planetariums zu
schaffen. Die GeSoLei war die größte
Messe der Weimarer Republik! 1928
folgte ein Auftrag zur Ausgestaltung
einer Ausstellung des „Völkerbundes“ in Genf. Anfang der Dreißiger
Jahre wandte sich Cürten mehr und
mehr dem Aquarell zu. Zwei seiner
Bilder wurden von den Nationalsozialisten im Rahmen der „Entarteten
Kunst“-Aktion aus den Kunstsamm26
lungen der Stadt Düsseldorf entfernt
und zerstört. Cürten wurde als Leutnant nach Nordafrika abkommandiert
und starb am 30. Mai 1945 im Lazarett auf Schloss Amelunxen in Beverungen / Kreis Höxter.
Bei dem dargestellten Artisten könnte
es sich um ein Selbstporträt handeln,
denn es zeigt starke Ähnlichkeit mit
einem Gemälde des Künstlers, das
1921 im „Jungen Rheinland“ ausgestellt war (leider nur als Abbildung
bekannt).
Ferdinand Carl Cürten, Bildnis, Öl auf Leinwand (?), ausgestellt 1921 im „Jungen Rheinland“
27
Henri Gaston Darien (eigtl. Adrien)
(1864 - Paris - 1926)
Ohne Titel (Tempel in Agrigent auf Sizilien)
Öl auf Pappe, mit Pinsel signiert, ohne
Jahr (um 1910?). 22 : 14 cm.
Provenienz: Privatsammlung Paris
Darien (eigentlich Adrien) war ein
sehr erfolgreicher Genremaler, dessen
Werke noch heute zahlreich reproduziert werden. Er „pflegt einen gemäßigten Impressionismus und wird als
Kolorist berühmt“ (Thieme-Becker).
Darien wurde am 8. Januar 1864 in
Paris geboren, wo er am 7. Januar
1926 starb. Seine Mutter Françoise-Sidonie Adrien starb, als er fünf
Jahre alt war, woraufhin sein Vater
Honoré-Charles-Émilien Adrien Élise-Antoinette Schlumberger (*1839)
aus dem Elsass heiratete, die eine
ausgesprochen gläubige Protestantin war. Darien hatte einen Bruder,
den Schriftsteller Georges Darien
(6.4.1862-19.8.1921).
Er studierte an der École des Beaux-Arts bei Jules-Joseph Lefebvre
(1834-1911) und bei dem impressionistischen Maler Antoine Guillemet
(1843-1918). Lange Zeit wohnte er
am Pariser Boulevard St. Michel, von
wo aus er Szenen des Pariser Lebens
malte, die ihn sehr berühmt machten.
Daneben besaß er ein Landhaus in der
Normandie, wo er unter dem Einfluß
Guillemets die Landschaft „en plein
air“ malte. Ab 1886 war er Mitglied
der Société des Artistes français.
Darien erhielt zahlreiche Auszeichnungen, so eine „mention honorable“ 1889, eine „médaille de troisième
classe“ 1897, den „prix de Raigecourt-Goyon“ 1897, die „médaille
deuxième classe“ 1899. 1904 gewann
der Künstler eine Ausschreibung für
Wandmalereien für den Festsaal des
1898 errichteten Rathauses in Vanves (nahe Paris), die seit 2001 unter
Denkmalschutz stehen. Seit 2002 heißt
der Saal „Salle Henry Darien“.
1900 nahm er an der Weltausstellung
28
teil, wo er eine Bronzemedaille bekam. Er wurde 1910 Ritter der Ehrenlegion.
Unsere Ölstudie stammt wohl von einer möglicherweise gemeinsam mit
dem Bruder unternommenen Reise,
die den Künstler nach Tunesien führte und während der er seine Eindrücke auf Pappen dieses (offensichtlich
vorgeschnittenen) Formates malte.
Anders als seine akademisch wirkenden Genrebilder zeigt sich hier ein
meisterhafter Umgang mit locker und
spontan gesetzten Pinselstrichen sowie eine virtuose impressionistische
Farbgebung.
Henri-Gaston Darien, Wasserträger in der Wüste. Öl
auf Pappe 14 : 22 cm; Privatbesitz Frankreich
Henri-Gaston Darien, Reges Leben am Kai. Öl auf
Pappe 14 : 22 cm; Privatbesitz Frankreich
29
Eugène Delacroix
(Charenton-Saint-Maurice 1798 - 1863 Paris)
Députés.
Vorbereitende
Entwurfszeichnung
für die Wandmalereien in der Bibliothèque de la chambre des députés
(Assemblée nationale im Palais Bourbon, Paris).
Bleistift auf Bütten, mit Bleistift bezeichnet „Députés“ sowie dem roten
Nachlaß-Stempel (Lugt 838), um
1838. 19,5 : 27,6 cm.
Verso umlaufend auf Büttenkarton
montiert, in der Darstellung ein kleiner Fleck, verso Marginalien von alter
Hand bezüglich einer Rahmung.
den Salon du Roi im Palais Bourbon
auszumalen.
übertrugen und 15 der Zwickel so
weit ausmalten, daß er nur noch geringfügige Korrekturen anzubringen
hatte. Die Halbkuppeln und die übrigen Zwickel malte er selbst.“1
Provenienz: Privatsammlung New
York.
Literatur: Johnson, Lee, The Paintings of Eugène Delacroix. A critical
Catalogue (The Public Decorations
and their Sketches) Volume V. Text.
Oxford 1989. S. 33 ff
Das Palais Bourbon wurde von 1722
bis 1728 von Lorenzo Giardini und
Jules Hardouin- Mansart für Louise
Françoise de Bourbon, die Tochter
Ludwig XIV, erbaut. Während der
Revolution wurde das Gebäude verstaatlicht. Ab 1798 diente es als Tagungsort des Rates der Fünfhundert.
Unter Napoleon wurde ein klassizistischer Portikus vorgesetzt. Nach 1815
wurde das Palais an die Abgeordnetenkammer vermietet und 1827 an
diese verkauft. Es folgten umfangreiche Baumaßnahmen. Seit 1848 ist das
Palais Bourbon Sitz der Nationalversammlung.
1833 erhielt Delacroix den Auftrag
30
Die Bibliothek
„Als er 1838 - kurz nachdem die
Wandbilder im Salon du Roi enthüllt
worden waren - in Valmont zu Besuch
war, las er zufällig in einer Pariser
Zeitung, daß er eine weitere Reihe
von Deckenbildern, ebenfalls im Palais Bourbon, für die Bibliothek der
Deputiertenkammer, schaffen sollte.
Dieser Auftrag hing seit einem Jahr
in der Luft, und Delacroix hatte alle
Hoffnungen aufgegeben, ihn zu erhalten. Er war außer sich vor Freude:
der Raum stellte noch größere Anforderungen an seine Erfindungskraft
als der Salon du Roi. Er war nicht so
breit, aber über dreimal so lang - rund
42 m insgesamt.
Hinzu kam, daß die Decke, die er nun
zu bewältigen hatte, nicht eine Kuppel
wie im Salon du Roi, sondern deren
fünf mit je vier Zwickeln mußten erfindungsreich und mannigfaltig ausgemalt werden. Alles in allem war es
eine gewaltige Aufgabe, der er allein
nicht leisten konnte. Delaroix stellte etwa 30 Gehilfen ein und richtete
ein Atelier ein, wo er sie bei vorbereitenden Arbeiten anleitete. Bei der
Ausführung verließ er sich auf drei
der Begabteren unter ihnen, die seine Vorzeichnungen auf die Leinwand
verso
Die Wandmalereien befassen sich mit
Krieg und Frieden, mit Poesie, Religion, Gesetzgebung, Philosophie und
Naturwissenschaften, gespeist aus
Vorlagen aus der Bibel und der griechischen bzw. römischen Mythologie.
1
Prideaux, Tom, Delacroix und seine Zeit.
1798-1863. O. O. 1975. S. 143
recto
31
Eugène Delacroix
(Charenton-Saint-Maurice 1798 - 1863 Paris)
Députés.
Bei den Darstellungen in der oberen
Hälfte des Blattes handelt es sich um
mythologische Motive, die das Meer
betreffen.
Ganz rechts (1) kann es sich um Poseidon, dem Gott des Meeres, handeln, der oft mit Dreizack in einem
Streitwagen dargestellt wird.
Die mittlere Szene (2) könnte Amphitrite, die Beherrscherin der Meere
zeigen. Poseidon schickte ihr einen
Delphin als Brautwerber, der ihr Herz
erweichte.

Der Delphin ist aber auch gleichzeitig
ein Attribut der Aphrodite, der Göttin
der Liebe. Die „Meerschaumgeborene“ wurde nach griechischer Mythologie aus einer Muschel geboren, die
spätestens in Botticellis „Geburt der
Venus“ aus dem Jahr 1486 eine Jakobsmuschel zeigt (3).
Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus ca. 1485/86
Uffizien, Florenz
Die weibliche Kriegerin unten links
(4) erinnert unweigerlich an das 1830
entstandene Gemälde „Die Freiheit
führt das Volk“ von Delacroix. Sicher wird er sich bei der Planung der
Wandgestaltung der Julirevolution
von 1830 erinnert haben, die just an
diesem Ort ihren Anfang nahm, da
der reaktionäre König Charles X. die
Abgeordnetenkammer auflöste und
Wahl- und Pressefreiheit stark einschränkte. Das führte zu einem dreitägigen blutigen Aufstand, der mit
32
dem Sturz des Königs endete. In dem
Bild trägt die Anführerin der Aufständigen (die spätere Figur der Marianne) die Freiheitsmütze der Jakobiner,
ebenso auf der Zeichnung, hier allerdings nicht mit Tricolore, sondern
mit einer Art Hellebarde und einem
Schild.
Eugène Delacroix, La Liberté guidant le peuble 1830
Louvre, Paris
Bei der männlichen Figur rechts (5)
könnte es sich schließlich um den
Kriegsgott Ares bzw. Mars handeln,
dessen Attribute u. a. die Lanze und
der Helm sind. Der griechische Gott
Ares steht für Blutbad und Massaker.
„Mit seinen Wandbildern krönte Delacroix seine Bemühungen als Maler; er bewies seine Fähigkeit, einer
sterbenden Kunstform neues Leben
einzuhauchen. Zu seiner Zeit hatte
die Wandmalerei sich selbst überlebt,
sie existierte nur noch als formelhaft
erstarrte, verblühte Dekoration, die
dem offiziellen Geschmack entsprach.
Doch Delacroix‘ Wandbilder sind,
obwohl Schwierigkeiten, wie ungünstige Flächenaufteilung und störender
Lichteinfall, zu überwinden waren,
herrliche Meisterwerke. Sie zählen
zu den Prunkstücken französischer
Kunst.
Delacroix ließ an diesen Werken erkennen, daß er in allen Epochen der
Menschheitsgeschichte
bewandert
war. Obwohl er einige der klassizistischen Versuche, sich in den Geist der
Antike zu versetzen, ablehnte, empfand
er seit langem eine Wesensverwandtschaft mit jener Welt; jetzt, da die antiken und biblischen Allegorien des
Salon du Roi und weitere Vorhaben
zu verwirklichen waren, ähnelte seine
Beschäftigung mit der Vergangenheit
nicht einer Durchreise, sondern einer
geistigen Heimkehr. Zugleich blieb
er der Gegenwart verhaftet und war
offen und aufgeschlossen gegenüber
den romantischen Ideen seines Zeitalters. Darüber hinaus drang er in die
Zukunft vor, nicht nur, was seine Technik und Farbgebung betrifft, sondern
durch seinen nachdrücklichen Hinweis auf die Bedeutung der eigenen
Schaukraft eines Künstlers. Indem er
dafür plädierte, daß die Kunst nicht
lediglich darstelle, sondern deutliches
Sehen mit unerklärlichem Fühlen vereine, daß sie mehr einem Liebesbrief
als einer detaillierten Rechnung gleiche, bereite er den Boden vor für die
moderne Kunst und half ein Klima
schaffen, das ihrem Heranwachsen
gedeihlich sein sollte.“2
2
Prideaux, Tom, Delacroix und seine Zeit.
1798-1863. O. O. 1975. S. 141
1
3
2
4
5
33
Sonia Delaunay-Terk
(Gradiszk/Ukraine 1885 - 1976 Paris)
Rythme.
Farblithographie auf Velin d‘Arches,
mit Bleistift signiert und nummeriert,
1964. 40 : 37,7 cm auf 65 : 50 cm.
Eins von 75 Exemplaren. Von bestechender Erhaltung.
Provenienz: Privatsammlung München
„In den späten 1930er Jahren findet
Sonia Delaunay zu einem Formenkanon, der sich in ihrem Spätwerk weiter entfaltet. Mit den ersten Gouachen
der >Rhythmes colorés<, >Farbige Rhythmen<, kleine, skizzenhafte
Kompositionen abstrakter farbiger
Formationen aus der zweiten Hälfte
der 1930er Jahre, ist auch der Titel
präsent, den eine große Anzahl von
Bildern ihres Spätwerkes tragen wird,
und der schließlich von den >Rhythmes couleurs<, >Farbrhythmen<
genannten Bildern ergänzt wird, ohne
dass sich zwischen beiden Werkgruppen eine inhaltliche oder formale
Grenzlinie ziehen ließe. In ihrem
Spätwerk etwa ab Mitte der 1950er
Jahre erfüllt sie mit der auch im Alter
wiedergewonnenen, nahezu unermüdlichen Schaffenskraft ihr künstlerisches Glaubensbekenntnis, dass sie
1949 in ihrem Tagebuch notiert hatte,
und das für sie selbst zum Ansporn
für die weitere Arbeit wird, während
es zugleich auch ein künstlerisches
Vermächtnis Roberts ist: >Bis in die
Gegenwart ist die Malerei nichts als
farbige Fotografie gewesen, und die
Farbe ist immer nur dazu verwendet
worden, etwas zu beschreiben. Abstrakte Malerei wird erst dann beginnen, wenn die Menschen verstehen,
dass Farbe ein unabhängiges Leben
für sich hat, dass unendliche Farbkombinationen eine viel ausdrucksstärkere Poesie und Sprache haben
als die althergebrachten Methoden.
Es ist eine geheimnisvolle Sprache,
in Harmonie mit den Schwingungen,
ja dem Leben der Farbe. Auf diesem
34
Gebiet liegen neue und unendliche
Möglichkeiten. Wenn man dies verstanden haben wird, wird man unsere
Bedeutung, meine und Roberts, für
die Malerei verstehen, und man wird
zu verstehen versuchen, was wir gemacht haben. [Tagebucheintrag vom
22. August 1949]“ 1
1
Hülsewig-Johnen, Jutta, Hrsg., Sonia
Delaunays Welt der Kunst. Katalog der Ausstellung in
der Kunsthalle Bielefeld 2008-2009. S. 44
35
Andre Derain
(Chatou 1880 - 1954 Garches)
Bildnis Raymonde Knaublich.
Bleistiftzeichnung auf Maschinenbütten, unten rechts mit dem AtelierStempel (Lugt 668 a), verso mit dem
„André Derain/Knaublich“-Stempel
und der Nr. 513, 1930er Jahre. 22 : 16
cm auf 32,2 : 24 cm.
Der Rand etwas unregelmäßig und
leicht gebräunt, oben links ein kleiner
hinterlegter Einriss.
Provenienz: Nachlass des Künstlers; Collection André Charlemagne Derain, Frankreich; Collection
Raymonde Knaublich, Frankreich;
Succession de Madame R. Knaublich
(Nachlaß-Versteigerung bei Loiseau
et Schmitz, St.-Germain-en-Laye,
Frankreich; Privatsammlung London.
Von 1935 bis zu seinem Tod lebte André Derain mit seiner Ehefrau Alice
in Chambourcy bei Paris. Sie hatten
1926 nach fast zwanzigjährigem Zusammenlebens geheiratet. Die Ehe
blieb kinderlos, doch hatte er einen
Sohn von seinem Modell und seiner
Geliebten, Raymonde Knaublich:
André Charlemagne Derain, genannt
Boby (*30.6.1939). Dieser starb 1992
und hinterließ 3/4 des Atelierbestandes seines Vaters, den nun Raymonde
erbte. Nach deren Tod 2001 wurde der
Nachlaß (4200 Arbeiten auf Papier,
49 Terrakotten und 52 Bronzen) im
Auktionshaus von Jean Loiseau und
Alain Schmitz verkauft.
36
37
Otto Dix
(Untermhaus/Gera 1891 - 1969 Singen)
Frau Otto Mueller.
Kreidelithographie auf ZandersBütten, mit Bleistift signiert, datiert,
nummeriert und als „Vorzugsdruck“
bezeichnet, 1923. 48,5 : 38 cm auf ca.
58 : 39 cm.
Werkverzeichnis: Karsch 57 a (von
c). Eins von 15 Exemplaren, die als
„Vorzugsdruck“ bezeichnet sind, dazu
weitere 15 auf Maschinenbütten und
ca. 20 auf weißem Werkdruckpapier.
Der Rand etwas unregelmäßig, oben
rechts mit kleinem Ausriss, verso
Montierungsstreifen und Marginalien
in Bleistift, insgesamt aber von sehr
schöner Erhaltung.
Provenienz: Galerie Nierendorf,
Berlin; Privatsammlung SchleswigHolstein.
Bei der Dargestellten handelt es sich
um Muellers zweite Ehefrau Elsbeth
Lübke. „Infolge seiner übersteigert
krampfhaften Suche nach Liebe, Geborgenheit und v. a. nach Familie
(mit eigenem Kind), stürzt sich Otto
Mueller (fast kopflos, weil als Single hilflos) in sein zweites Breslauer
>Liebesabenteuer< (diesmal mit standesamtlichen Folgen) - zur schnellen
Kompensation seiner zwei, erst vor
einem halben Jahr total gescheiterten Beziehungen, gewiß auch aus
Torschußpanik, v. a. aber dem Naturgesetz >Stirb und werde< getreu folgend und es (leider blind) befolgend:
>Durch die Familie Rodenwald lernte
er seine zweite Frau, Elisabeth Lübke
(1902-1977) kennen und lieben. Da
sie aus einem gut bürgerlichen Haus
entstammte, glaubte er, in ihr die
rechte Lebensgefährtin gefunden zu
haben. Als er mir ihre Photographie
zeigte, schwärmte er von ihrer Jugend
und Schönheit, und mit welcher Liebe
sie an ihm hinge. Sie sei froh aus der
engen Bürgerlichkeit herauszukommen. Ihr zuliebe ließ er sich 1922 zum
zweiten [recte: ersten] Mal kirchlich
38
trauen< (Emmy Mueller, Erinnerungen. S. 27) Obwohl Elsbeth Mueller
zunächst versucht, sich Otto Muellers ‚Frauen-Idealbild‘ (und Vorbild)
Maschka Mueller anzupassen - >sie
trug die dunkelblonden Haare à la
Maschka geschnitten (Marg Moll:
Otto Mueller 1956. Typoskript im Archiv der Otto Mueller-Gesellschaft.
S. 7), aber schon 1923 pechrabenschwarz gefärbt - und angeblich >an
ihm hängt<, ist aufgrund des enormen Altersunterschiedes von 27/28
Jahren, aber auch wegen der Unvereinbarkeit der künstlerischen Bohème
Otto Muellers, seiner ‚unheilbaren
Unbürgerlichkeit‘ (Emmy Mueller),
mit ihrer genuinen ‚Gutbürgerlichkeit‘, bereits bei der Eheschließung
(1922) das ‚Verfallsdatum‘ dieser
Mesalliance-Ehe vorprogrammiert.
Trotz der Geburt des gemeinsamen
Sohnes Josef (1925-1992) im Jahre
1925, wird Otto Muellers zweite Ehe
bereits nach fünf Jahren im Oktober
1927 wieder geschieden.“ 1
„Nach dem Ersten Weltkrieg konzentrierte sich Dix zunehmend auf wichtige Personen des Kunst- und Kulturlebens. Seitdem er Nierendorf kannte,
entstanden vor allem lithographierte
Portraits bekannter Persönlichkeiten,
die Dix selbst nur flüchtig gekannt
haben kann; Nierendorf war der Verleger dieser Einzelblätter. [...] Weitere Arbeiten, die Personen aus dem
Freundeskreis um Nierendorf zeigen,
entstanden 1923 als großformatige
Lithographien. Der Galerist konnte
so die Protagonisten und die Freunde seiner Galerie in Form von Kunst
anbieten: das Portrait des Malers und
Bildhauers Otto Freundlich (Karsch
53), das der Frau des Malers Otto
Müller [sic] (Karsch 57), des Komponisten und Chefdirigenten der Kölner
1
Mück, Hans-Dieter, Otto Mueller. Band
II des Kataloges zur Ausstellung in den Kunstsammlungen Zwickau, den Städtischen Museen Heilbronn und im
Lehmbruck Museum Duisburg 2012/13. S. 115 f
Oper Otto Klemperer (Karsch 67) und
des Kölner Kunstkritikers Alfred Salmony (Karsch 56) und den Schriftsteller Angermayer (Karsch 60).“ 2„Bei
der Dargestellten handelt es sich um
Müllers [sic] zweite Frau Elisabeth
Lüdke, die er 1922 heiratete. Müller
hielt sich seit der Trennung von seiner ersten Frau 1921 in Köln auf und
könnte so näheren Kontakt zu Nierendorf gehabt haben, der erst 1927
nachweislich Arbeiten in seiner Galerie ausstellte. [...] Der Kontakt zum
älteren und bereits etablierten Müller
war nie eng. [...] In einem undatierten Brief aus den zwanziger Jahren
an seine erste Frau bemüht er sich im
Kontakt zu Dix, den er gerne als Lehrer in Breslau gesehen hätte.“ 3
Elsbeth Mueller, geb. Lüdke
2
Stroble, Andreas. Otto Dix. Eine Malerkarriere der zwanziger Jahre. Berlin 1996. S. 114
3
siehe Anm.2, S. 114; Fußnote 331.
39
Conrad Felixmüller
(Dresden 1897 - 1977 Berlin)
Frau am Morgen (Hemd anziehend).
Radierung mit Aquatinta auf festem
Bütten, mit Bleistift signiert, datiert
(nachträglich ? 1922) und unter der
Darstellung bezeichnet: 2/3. II. Zustand, Aquatinta“ sowie am unteren
Rand betitelt „Frau am Morgen Hemd anziehen“, dazu Marginalien
von fremder Hand, in der Platte monogrammiert, 1920. 29,7: 19,4 cm
auf 49,9 : 35 cm.
Werkverzeichnis: Söhn 238 a (von b).
Zweiter von 3 Probedrucken des
zweiten Zustandes mit Aquatinta, vor
der Auflage von 50, effektiv 12 Exemplaren.
Mit kleinen Farbsprengseln und leichtem Lichtrand durch ein ehemaliges
Passepartout, verso Montierungssreste
und Atelierspuren (Fingerabdrücke).
Provenienz: Privatsammlung Pfalz
Im Jahre 1925 stellte Conrad Felixmüller eine Mappe zusammen, die unter dem Titel >Frau< [...] angeboten
wurde und 21 Radierungen aus den
Jahren 1921 - 1922 zum Thema Frau
enthielt.“ (Söhn 335 M). Daher ergibt
sich eventuell die unterschiedliche
Datierung.
„So wie mit den ersten Augenblicken
meiner Bewußtwerdung alles Sein mit
aller Not und Sorge durch mich floß,
wie aus Arbeit und Enttäuschung,
Schönheit und Konzentration, Widerspruch und Zerwürfnis, berauschende Liebe, unendliche Ruhe wurde,
freudige Zuversicht, heiteres Wissen
- so auch aus Kunst des Könnens eine
Kunst des Willens: im Bewußtsein
ihrer Einordnung in das Leben der
menschlichen Gesellschaft. So wird
aus dem immer höher steigenden Chaos unserer Zeit vielleicht als Sinn für
die Kunst hervorgehen die Notwendigkeit des Aufgebens ästhetischer
Ansschauungen und Eigenschaften.
Die Kunst würde gerade wegen ihres
heutigen rationellen Charakters die
höchste Zusammenfassung unseres
mit höchsten Spannungen angefüllten,
von kühnsten Hoffnungen getragenen
Daseins im XX. Jahrhundert sein.
Wie eine Hand umfaßt unser wissendes Hirn unsern Erdball; geschäfteabschließend, elendgehetzt, brotsorgend, opferungsfähig, - überall
dieselbe Menschheit: sich liebend zugleich hassend, den gleichen Kampf
kämpfend; diesselbe Not - denselben
Luxus - der gleiche Kummer, - dasselbe zu sein, zu wissen, zu wollen: der
einzelne der Masse doch einsam mit
seinem unendlich zart-sehnsuchtsvollen Herzen:
Der Mensch.
Die Kunst sollte es aussprechen.
Darum mühe ich mich. -“1
1
Conrad Felixmüller 1920. Zitiert nach:
Gleisberg, Dieter, Felixmüller. Leben und Werk. Dresden 1982. S. 254
40
41
Conrad Felixmüller
(Dresden 1897 - 1977 Berlin)
Federlithographien aus der Folge „Malerleben“
1. Ermutigung des Jünglings.
Federlithographie auf starkem, imitierten Japan,
mit Bleistift signiert und datiert, im Stein monogrammiert, 1927. 26,2 : 19,6 cm auf 34 : 23,9
cm.
Werkverzeichnis: Söhn 373.
2. Bedrücktsein im Atelier.
Federlithographie auf starkem, imitierten Japan,
mit Bleistift signiert und datiert, im Stein monogrammiert, 1927. 26,3 : 20,2 cm auf 34 : 23,9
cm.
Werkverzeichnis: Söhn 381.
Am linken Rand Farbspuren.
3. Plein air.
Federlithographie auf starkem, imitierten Japan,
mit Bleistift signiert und datiert, im Stein monogrammiert, 1927. 26,3 : 20,2 cm auf 34 : 23,9
cm.
Werkverzeichnis: Söhn 383.
4. Junge Eltern.
Federlithographie auf starkem, imitierten Japan,
mit Bleistift signiert und datiert, 1927. 26,5 :
20,2 cm auf 34,7 : 23,8 cm.
Werkverzeichnis: Söhn 384.
42
Jeweils wohl vor der Auflage von
130 Exemplaren auf diesem Papier
(dazu 30 auf Bütten) für die Folge
„Malerleben“, 1927 in Dresden im
Selbstverlag erschienen.
Provenienz: Privatsammlung Rheinland
1
2
3
4
43
Hugo von Habermann
(Landshut 1899 - 1981Murnau)
Ohne Titel (Sitzende Frau am Tisch mit Obstschale).
Öl auf Leinwand, rückseitig mit
Nachlaß-Stempel, um 1930-35. 58,5
: 50,5 cm.
Provenienz: Privatbesitz Süddeutschland
„Während des Krieges setzte sich von
Habermann in Paris mit dem Kubismus auseinander. Seine Stilleben aus
den vierziger und fünfziger Jahren
zeigen dessen flächige Aufteilung.
Auch die Begegnung mit dem ‚kubistischen Picasso‘ wird in seinen
Figurendarstellungen deutlich. Seine
Arbeiten aus diesen Jahren zeichnen
sich durch helle, klare und schön gegeneinander Farbflächen aus. [...]
Auffallend ist, daß von Habermann
seine Bilder zunächst kaum signierte
und fast nie datierte.“1
Biographie
seit 1922 Studium an der Münchner
Akademie der Bildenden Künste bei
seinem Onkel sowie Prof. Hermann
Groeber
Mitglied der Münchner Sezession
1925 Ausstellung im Münchner Glaspalast
1930 als freischaffender Künstler in
Berlin
zahlreiche Reisen nach Italien und
vor allem nach Paris
1935 Ausstellungsverbot
1940 Einbeziehung als Soldat
1946 wohnt in Rieden am Staffelsee,
gleichzeitig Atelier in München
1949 Vorstandsmitglied der Neuen
Gruppe, München
ab 1950 Ausstellungsbeteiligung in
der Großen Kunstausstellung im Haus
der Kunst
1960 Mitglied des Deutschen Künstlerbundes
1965 Förderpreis der Stadt München
1968 Ehrenpreis der Villa Massimo
Werke von Habermann finden sich u.
1
Ludwig, Horst, Bearb., Münchner Maler
im 19./20. Jahrhundert. Band V. München 1993. S. 331.
44
a. in der Pinakothek der Moderne und
im Lenbachhaus München.
45
Karl Hahn
(Burkersdorf/Erzgebirge 1892 - 1980 Dresden)
Ohne Titel (Sitzende Frau im Unterrock und Strümpfen).
Bleistiftzeichnung auf gelblichem velin, mit Bleistift signiert und datiert,
1927. 37 : 24 cm auf 41,8 : 29 cm.
Verso mit dem Nachlaßsstempel.
Verso am oberen Rand Montierungsrest, leichte Altersspuren.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
Hahn studierte von 1910 bis 1914 an
der Dresdner Kunstakademie bei Richard Müller, Osmar Schindler, Carl
Banzer und Hermann Prell. Nach dem
Ende des Ersten Weltkrieges, den er
als Soldat erleben mußte, beendete
er 1919 sein Studium bei Ludwig von
Hofmann. In den Zwanziger Jahren
nahm er an zahlreichen Ausstellungen in der „Dresdner Kunstgenossenschaft, 1926 an der Internationalen
Kunstausstellung in Dresden teil. Erneut mußte er von 1939 bis 1945 als
Soldat dienen und war danach wieder
freischaffender Künstler. 1953 schloß
man ihn aus dem Verband bildender
Künstler aus.
46
47
Erich Heckel
(Döbeln 1883 - 1970 Radolfzell)
Ohne Titel (Akrobat)
Ölkreide und Aquarell über Bleistift
auf Vélin, rückseitig mit Bleistift signiert, um 1910.
15,7 : 10 cm.
Bis auf rückseitige Montierungsreste
vorzüglich erhaltene ausdrucksstarke Studie in gekonntem, schnellem
Strich. Von beeindruckender Farbfrische.
Die Authentizität des Blattes wurde
von Hans Geissler (Erich-HeckelStiftung) bestätigt.
Provenienz: Privatsammlung Hessen.
„Der Auftritt des ‚Millmann-Trios‘ im
Dresdner Varieté ‚Salon Victoria‘ im
November 1909 faszinierte Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner gleichermaßen und sie beschäftigten sich
mit den Darbietungen der Drahtseilartisten in Zeichnungen, Druckgraphiken und Gemälden. [...] Artistische
Darbietungen in Circus und Varieté
begeisterten Erich Heckel von der
Jugend bis ins hohe Alter. Hans Hess,
der Sohn des Sammlers Alfred Hess,
erinnert sich an die Zeit, als Heckel
- er war damals mit den Wandmalereien im Erfurter Museum beschäftigt
- im elterlichen Hause wohnte: ‚Kam
aber ein Zirkus in die Stadt, dann ging
er (Heckel) in den Zirkus. Er freundete sich mit dem dummen August den
Clowns und Akrobaten an, setzte sich
auf eine Tonne und zeichnete. Ich
glaube, er hätte selbst ein Clown werden können.“ 1
„Heckels Arbeiten auf Papier, seine
Zeichnungen und Aquarelle sowie
sein druckgraphisches Schaffen, bilden einen Höhepunkt nicht nur im
Œuvre des Künstlers, sondern nehmen
im gesamten Phänomen Expressionismus eine herausragende Stellung
ein. [...] vor allem in der Zeichnung
wird die Spontaneität des optischen
1
Faszination Zirkus. Katalog des Museums Buchheim. Feldafing 2010. Nicht paginiert
48
Erlebnisses umgesetzt, die präzise
schwungvolle Linie markiert die auf
das Wesentlichste reduzierte Form.
[...] Dieser Drang zur Flächigkeit
und das Agieren mit betonten Konturen ist auch für sein malerisches Werk
charakteristisch. Ab 1910 kommt zu
dieser betonten Flächigkeit eine Tendenz zur härteren, kantigeren Form
hinzu, die teilweise bis zur Deformierung reicht. Die Auseinandersetzung
mit außereuropäischer Stammeskunst
hat zur Ausprägung dieses so genannten ‚reifen Brücke-Stils‘ entscheidend
beigetragen. Auch Heckels zeichnerisches Schaffen weist nun Elemente einer zunehmend strengeren Gestaltung
auf. Reduzierte Linienführung führt
einerseits zu harter, winkliger Ausformung der Konturen, welche nun
die Darstellungen bestimmen, andererseits übernehmen offene Konturen
und leere Bildteile eine aktive Rolle in
der Komposition.“2
recto
2
Moeller, Magdalena M., >unmittelbar
und unverfälscht<. Aquarelle, Zeichnungen und Druckgraphik der >Brücke< aus dem Brücke-Museum Berlin
2003. S. 110
49
Erich Heckel
(Döbeln 1883 - 1970 Radolfzell)
Frau mit Halstuch.
Kreidelithographie auf bräunlichem
Japan, mit Bleistift signiert und datiert, unten links betitelt, 1907. 32,8 :
27,5 cm auf 39,3 : 31,3cm.
Werkverzeichnis: Vor Dube L 8 I. Wir
kennen nur ein weiteres Exemplar in
einem späteren Zustand im BrückeMuseum, Berlin.
Ohne das Monogramm und die Jahreszahl im Stein, vor der Verstärkung
der Linien des Hintergrundes und der
Verdichtung der Zeichnung auf dem
Körper zu einer schwarzen Fläche.
„Als kostbaren Besitz hatte er sich einen Stein zugelegt und erzählte, wie
er wohl nachts, von den Eingebungen
seiner Phantasie angetrieben, aufspringe, um die Visionen seines inneren Auges auf den Stein zu bringen,
diese ätzte, einige Abzüge mache und
ihn wieder abschleife, damit er wieder Neues aufnehmen könne.“ 2
Provenienz: Sammlung Walter Kern,
Davos (recto und verso mit Sammlungsstempel); Galerie Vömel, Düsseldorf
Walter Kern (Küsnacht 1898 - 1966
Uttwil) war schweizer Maler, Kunstkritiker und Schriftsteller.
„Mit Kreide und Pinsel zeichnete Heckel seine Erlebnisse auf den Stein und
gewann mit seiner Freude am Handwerklichen gerade in dieser Technik
die verschiedensten Verfahren ab.
Entweder beließ er dem Strich seine
zeichnerische Härte, oder er verdünnte die Druckeschwärze mit Terpentin
und erzielte dadurch durchsichtig
graue Töne. Da der Druckvorgang in
den eigenen Händen lag, entdeckten
die Freunde immer neue Manipulationen. [...] Wenn man bedenkt, daß 135
Lithographien in den Jahren 1907 bis
1909 geschaffen wurden [...] so wird
die Bedeutung der Steinzeichnung
gerade in jenen Jahren offenbar. Hier
vollzog sich scheinbar mühelos die
Verschmelzung von Zeichnung und
graphischer Technik. Der Stil ist zu
Beginn weich fließend, strebt dann
aber einem flächigeren, klaren Aufbau zu.“ 1
1
Erich Heckel 1883-1970. Gemälde,
Aquarelle, Zeichnungen und Graphik. Hrsg. von Zdenek
Felix. Katalog der Ausstellung im Folkwang Museum
Essen und im Haus der Kunst München 1983/84. S. 58
50
2
Schiefler, Gustav, Meine Graphiksammlung. Hamburg 1974. S. 56.
51
Karl Hofer
(Karlsruhe 1878 - 1955 Berlin)
Halbakt im Stuhl.
Unsere Graphik dürfte im Zusammenhang mit Hofers Bildern von den Tiller Girls stehen.
Radierung auf Bütten, mit Bleistift signiert, um 1924.
20,6 : 17 cm.
Zustandsdruck!
Kleiner hinterlegter Einriss am rechten Rand, im ehemaligen Passepartoutausschnitt etwas gebräunt, insgesamt
aber prachtvoller Druck mit tiefem,
samtigen Grat, feinem körnigen Plattenton und von besonderem Reichtum
der Kontraste.
Werkverzeichnis: Rathenau 43.
Provenienz: Rheinischer Privatbesitz.
Eine der anmutigsten graphischen
Schöpfungen Hofers. Von großer Seltenheit!
Karl Hofer
Tiller Girls. Öl auf Leinwand um 1923. 110,1 : 88,6 cm.
Kunsthalle Emden
„In den 20er Jahren wird die Hauptstadt und Kulturmetropole Berlin
vom Tanzfieber erfasst. Der schwarze
Dixieland Jazz und der Charleston
lösen eine Welle der Begeisterung
aus, von der sich auch Karl Hofer
mitreißen läßt. >Als ich Karl Hofer
1926 kennenlernte<, berichtet Irene Meyer-Hanno, >nahm er gerade
Tanzstunden, man tanzte Charleston,
er nahm viele Stunden bei einer guten
Lehrerin. Dann konnte er hingegeben
eine Nacht durchtanzen, immer aufpassend, ja keinen Fehler zu begehen.< Großer Popularität erfreuten
sich auch die sogenannten >Girltruppen< der Berliner Nachtkabaretts. Im
Revuetheater von Hermann Haller im
Admiralspalast an der Weidendammer Brücke treten die Tiller-Girls auf.
[...] Karl Hofer setzt sich Anfang der
20er Jahre intensiv mit dem Tanz auseinander. 1923 schafft er neben den
>Tiller Girls< eine lithographische
Serie zum Thema.“ 1
Wohl späterer Zustand
1
Sommer, Achim, Hrsg., Sammlung Henri
Nannen. Emden 2000. S. 156
52
53
Georg Kolbe
(Waldheim/Sachsen 1877 - 1947 Berlin)
Ohne Titel (Mann und Frau miteinander ringend).
Bronze 1913. Auf der Plinthe monogrammiert und mit dem Gießerstempel „H. Noack Berlin“. 35,4 : 30 : 16
cm.
Einer von zwei bisher ausgeführten
Güssen (Auflage: 4 Exemplare).
Werkverzeichnis: Nicht bei Berger.
Posthumer Guss aus dem Jahr
2010/11 (ein Lebzeitguss ist nicht
bekannt), durch Noack vom OriginalGipsmodell (Kolbe-Museum, Berlin)
abgenommen.
Provenienz: Privatsammlung Pfalz.
Mit Gutachten von Dr. Ursel Berger,
Georg-Kolbe-Museum Berlin zu dem
Gipsmodell und zur Bronze.
„Die Komposition war im KolbeNachlass unbekannt. Als 37 cm hohes
Gipsmodell wurde sie im Nachlass
von Kolbes bevorzugtem Steinmetzen,
Alfred Dietrich, überliefert. Vermutlich ist die Gipsgruppe ein Entwurf
für einen Brunnen, der für die Kölner
Werkbundausstellung von 1914 geplant war. Anfangs sah Kolbe dafür
‚eine etwas überlebensgrosse Gruppe,
Mann und Weib‘ vor. ‚Für die Gruppe
selbst schwebt mir eine in die Fläche gedrängte Composition mit weit
ausholenden Gesten vor. Das Motiv
des Ringens giebt mir dazu reichlich
Gelegenheit.‘ (Brief Kolbe an Karl
Ernst Osthaus vom 9.10.1913, KarlErnst-Osthaus-Archiv, Hagen DWK
108/1). Dass es bei einem solchen
Thema Einwände geben könnte, sah
Kolbe voraus. Er betonte deshalb:
‚Ich möchte diese Composition rücksichtslos frei gestalten, ohne selbstredend gegen die Bedingungen, die eine
Öffentlichkeit fordert, zu verstossen.‘
Die mächtige Drapierung um die
Hüften der Frau ist wohl aus diesem
Grund angefügt worden. Die flächige
Komposition war auf den Platz an einer Landungsbrücke für Rheinfähren
an der Ecke einer geplanten Architek54
tur von Walter Gropius abgestimmt.
Es kam allerdings zu einer Planänderung sowohl in der Architektur
wie auch bei der Plastik. Schließlich
realisierte Kolbe eine rundplastische
Freifigur in einem großen Brunnenbecken vor dem Fabrikgebäude von
Walter Gropius (die Bronze befindet
sich heute im Gruga-Park in Essen).
Die Frauenfigur der Gruppe erinnert
an Kolbes ab 1912 in mehreren Versionen geschaffene ‚Amazone‘, ebenfalls eine kämpferisch bewegte Frauengestalt. Diese kann man als eine
‚Schwester‘ von Kolbes berühmtester
Plastik, der ‚Tänzerin‘ von 1911/12
ansehen (Nationalgalerie Berlin).
Möglicherweise stand in all diesen
Fällen Charlotte Pechstein, geb. Kaprolath, die Frau des Malers Max
Pechstein, Modell.
Das Gipsmodell weist eine Schellackierung auf, somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zumindest
einen historischen Bronzeguss gab,
wovon jedoch keine Spur nachzuweisen ist.
Von dem Modell, das in das Eigentum des Georg-Kolbe-Museums übergegangen ist, wurden 2010/11 zwei
Bronzegüsse hergestellt. Die Auflage
ist auf vier Güsse beschränkt.“1
„Vor dem ersten Weltkrieg waren
Aktfiguren in der Öffentlichkeit noch
hart umkämpft. Bei den einschlägigen
>Skandalen< spielten auch Plastiken von Kolbe eine Rolle [...] Die
dritte Freiplastik, die der Bildhauer
in der Öffentlichkeit aufstellen konnte, war die >Große Badende< auf
der Werkbundausstellung in Köln.
Beim >Nudistenstreit< anläßlich
dieser Ausstellung wurde auch das
>dicke Fräulein vor dem Theater<
kritisiert. Die kleinere Fassung der
>Badenden<, die 1914 in der Freien
Secession ausgestellt war, wurde in
der Presse kommentiert: >... im all1
Aus dem Gutachten von Dr. Ursel Berger
vom September 2011
gemeinen ist die Haltung für eine im
Freien aufzustellende Plastik wohl etwas zu ‚lose‘, wie häufig bei Kolbe.<
Mehr Aufregung hätte es sicherlich
gegeben, wenn Kolbe für die Werkbundausstellung seinen ursprünglichen Plan ausgeführt hätte: eine
überlebensgroße Gruppe von >Mann
und Weib<, die miteinander ‚ringen‘
(Kolbe an Osthaus,9.10.1913, KarlErnst-Osthaus-Archiv im Karl-ErnstOsthaus-Museum, Hagen). [...] Die
Werkbundausstellung fand durch den
Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein
vorzeitiges Ende. Auch in Kolbes
Entwicklung markierte sich ein Einschnitt; nur ein paar Jahre dauerte
jene glücklichste Phase in seinem
Werk. Zu der heiter-lyrischen Harmonie der Vorkriegsarbeiten sollte er nie
wieder zurückfinden.“ 2
2
Berger, Ursel, Georg Kolbe - Leben und
Werk. 2. A. Berlin 1994. S. 50ff
55
Käthe Kollwitz
(1867 Königsberg - Moritzburg 1945)
Turm der Mütter.
Bronze mit brauner Patina, seitlich signiert und mit dem Gießerstempel „H.
Noack Berlin“ versehen, 1937-38.
Höhe ca. 28 cm, Breite ca. 26,5 cm.
Mit schöner, prägnanter Reliefwirkung.
Werkverzeichnis: Timm 55.
Provenienz: Privatsammlung Nordrhein-Westfalen.
Literatur (Auswahl):
Barron, Stephanie, Hrsg., Skulptur
des Expressionismus. München 1984.
Guratzsch, Herwig, Hrsg., Käthe
Kollwitz. Druckgraphik, Handzeichnungen, Plastik. Stuttgart 1990.
Seeler, Annette, Bearb., Käthe Kollwitz. Zeichnung, Grafik, Plastik. Bestandskatalog des Käthe-KollwitzMuseums Berlin. Leipzig 1999.
Auflage:
Käthe Kollwitz schuf 15 erhaltene
plastische Werke, deren Gipsmodelle
die Berliner Kunstakademie besitzt.
Der größte Teil dieser Arbeiten entstand während der NS-Zeit und konnte daher kaum oder gar nicht in Bronze gegossen werden. Nur drei Bronzen
wurden nachweislich zu Lebzeiten der
Künstlerin gegossen, das „Grabrelief“, „Turm der Mutter“ und „Abschied“.
Da die Künstlerin mit der Veröffentlichung ihrer plastischen Werke sehr
zurückhaltend war und diese auch
von den Nazis diffamiert wurden,
können nur sehr wenige Güsse entstanden sein. Hinzu kommt, das Käthe
Kollwitz gegen Kriegsende versuchte,
ihre Werke an verschiedensten Orten in Sicherheit zu bringen, wobei
sie sich bald selbst nicht mehr erinnerte, was wohin gekommen war.
Was schließlich durch Bomben und
Kriegswirren verloren ging, läßt sich
nicht mehr rekonstruieren. Uns ist als
Lebzeitguss nur ein Exemplar mit dem
Giesserstempel „Noack-Friedenau“
56
bekannt, der 1940 bei der Künstlerin
erworben wurde.
Nach dem Tod der Künstlerin kümmerte sich ihr Sohn Hans Kollwitz
(1892-1971) um den Nachlass und
liess je nach Bestellung von jedem
Gips zwischen 10 und 20 Güsse (mit
Ausnahme der „Klage“, hier ist von
mindestens 50 die Rede) bei Noack
herstellen.
Vorliegende Bronze wurde nach Aussage von Heinrich Noack Sen. in den
1950er Jahren gegossen. Trotz einer
anzunehmenden Anzahl von 20 Güssen ist diese bedeutende Arbeit relativ
selten im Kunsthandel zu finden.
Entstehungsgeschichte:
Käthe Kollwitz schuf 1922/23 einen
Holzschnitt „Die Mütter“ für die Folge „Krieg“, in dem sie erstmals das
Thema der die Kinder schützenden
Mütter darstellt. In diesem Zusammenhang schreibt sie am 30. April
1922 in ihr Tagebuch: „Je mehr man
arbeitet, desto mehr taucht in einem
auf, was noch zu arbeiten ist, so wie
auf einer Platte, die im Entwicklungswasser liegt, allmählich das Bild
kenntlich wird und immer mehr aus
dem Nebel herauskommt. So hab ich
jetzt nicht mehr die Auffassung, daß
ich bald zur Plastik zurückgehn könnte. Seitdem ich Holz schneide lockt da
vieles. Vor allem aber habe ich Angst
vor der Plastik. Sie ist wohl nicht eroberbar für mich, ich bin zu alt dazu
um sie wirklich noch zu bewältigen.
Nicht ganz unmöglich, daß ich von
der Holzschnitt-Technik allmählich
zum Holzschneiden kommen könnte.
Doch ist das noch ganz nebelhaft. Die
im Kreis stehenden Mütter, die ihre
Kinder verteidigen, als Rundplastik!“
Im darauf folgenden Jahr formuliert
sie die Idee für eine weitere Graphik
als „in einen schwarzen Klumpen zusammengedrängt, wie Tiere, die ihre
Brut verteidigen, Frauen die ihre Kinder schützen. Als Text sollte darunter
stehen: Wir haben unsere Kinder nicht
zum Kriege geboren.“
Käthe Kollwitz war eine erfolgreiche
Graphikerin, ihr plastisches Werk
wurde zu ihren Lebzeiten kaum rezipiert, da sie sich damit auch sehr zurück hielt. Erst 1931 bekam sie große
Anerkennung für die Gipsfassung des
„Trauernden Elternpaares“ und so
schuf sie schließlich in Vorahnung des
Krieges das Motiv der Mütter in einer
Rundplastik, die sie im Oktober 1938
bei Noack giessen ließ. Nun hat sie jedoch die Aussage gegenüber der Graphik noch einmal drastisch gesteigert,
indem die Frauen ihre Kinder noch
vehementer zu schützen suchen. Die
Künstlerin schildert in ihrem Tagebuch die Beerdigung Barlachs am
27. Oktober 1938 und schreibt dann:
„Am Tag drauf war ich wieder in meinem Atelier. Ich hatte die kleine Gruppe der zusammengedrängten Frauen,
die ihre Kinder schützen, vom Giesser
zurückbekommen. Zum ersten Mal mit
einem Bronzeguss ganz zufrieden.“
An ihre Freundin Beate Bonus-Jeep
schrieb sie: „Die kleine Gruppe, die
Frauen, die ihre Kinder schützen, hab
ich jetzt in Bronze giessen lassen, da
es auch Leuten mit Ansprüchen gefällt, bin ich zufrieden.“
Während einer Ausstellung von
„Turm der Mütter“ im Atelierhaus in
der Berliner Klosterstraße entfernten
die Nationalsozialisten die Bronze
mit der Begründung: „daß im Dritten
Reich die Mütter kein Bedürfnis hätten, ihre Kinder zu beschützen. Der
Staat würde dies für sie erledigen“...
57
Käthe Kollwitz
(1867 Königsberg - Moritzburg 1945)
Mütter.
Kreidelithographie auf Zanders-Bütten (mit Wasserzeichen), mit Bleistift
signiert, 1919. 44,5 : 58,5 cm auf 51 :
68,5 cm. Knesebeck 140 I c (von II).
Eins von 275 Exemplaren auf diesem
Papier (dazu 6 auf dickem Velin sowie 25 auf Japanbütten; vor den Exemplaren mit lithographierter Signatur nach 1931; Stein zerstört). Bis auf
geringfügige Randmängel sehr schön
erhalten.
Verworfene zweite Fassung des Blattes der Folge ‚Krieg‘.
Provenienz: Privatsammlung Pfalz.
Die Entstehungsgeschichte dieses bedeutenden und imposanten Blattes ist
den Tagebüchern der Künstlerin zu
entnehmen:
21. März 1918: „Die B. Z. bringt die
Nachricht, daß man mit Geschützen,
die 120 km weit tragen, Paris beschieße. [...] Ich habe die Platte vorgenommen, oder die Zeichnungen dazu, wo
die Mütter mit ihren Kindern stehen.
‚Das die Lieblinge unserer Wiegen
Sollen als stinkendes Aas auf den
Feldern liegen...‘
Aus der ‚Seeschlacht‘:
‚Vaterland, Vaterland, o lieb Vaterland.
Wir sind Schweine
Die auf den Metzger warten.
Wir sind Kälber, die abgestochen
werden.
Unser Blut färbt die Fische!
Vaterland, sieh, sieh, sieh!
Schweine, die gemetzt werden,
Kälber, die abgestochen werden!
Herde, die der Blitz zerschmeißt.
Der Schlag, der Schlag, wann kommt
er uns?
Vaterland Vaterland!
Was hast Du noch mit uns vor?‘
26. März 1918: Man beschießt Paris
58
auf 120 km Entfernung.
Von Hans immer noch nichts.
29. März 1918: Karfreitag Im Westen
die große Offensive.
Vom Hans wissen wir nichts, wissen
nicht wo er ist und ob er gesund ist.
Der Karfreitag war Peters Feiertag.
Da ging er für sich und feierte seine
Frühlingsfeier. [...]
30. März 1918: Am Sonnabend 30.
März von Hans Nachricht! 4 Briefe.
Es ist Sperre gewesen. [...]
6. Juni 1918: [...] Mein Arbeiten in
diesen Wochen ja Monaten ist ganz
schlecht und ungenügend. Ich fühl
mich sehr ohne Kraft und glaube
nicht mehr an mein Arbeiten. Bin oft
furchtbar traurig. Und hab ein Körpergefühl, als bin ich schon fast am
Ende.
Einmal in diesen Nächten träumte ich
von Hans. Ich weiß nicht mehr genau
was. Ich weiß nur, daß ich ihn umschlang und sehr weinte, daß er aber
glücklich war und irgendwie von Befreiung sprach.
1. Juli 1918: [...] Wie war mein Leben
stark in Leidenschaft, in Schmerz und
Freude. Damals kämpfte ich in der
Sonne ‚ein Sohn der Erde‘.
Dann kam das allmähliche Altern.
Dann kam der Krieg. Das in die Höhegerissenwerden durch die Jungen.
Das Opfer Peters. Mein Opfer Peters. Sein Opfertod. Und dann fiel ich
auch. Fortgerissen noch durch ihn in
Entwicklungen des Schmerzens und
der Liebe, sank ich allmählich in dies
Leben zurück. Es blieb Schmerz um
ihn. [...] Der Schmerz hat Müdigkeit
zurückgelassen, Es ist ja nicht allein
der Peter. Er ist der Krieg, der einen
bis auf den Boden drückt.
Juli 1918: [...] Heut als ich Annie
Karbe vom Stettiner Bahnhof abholte
stand auf dem Perron ein Junge, der
angekommen war. Ich sah gerade, wie
die Eltern auf ihn zuliefen. Die Mutter
voran. Umarmte und küßte ihn und
dann der Vater. Alle waren umschlungen. Es ging mir durch und durch wie
die Mutter ihn umschlang und küßte.
[...]
20. November 1918: Am Mittwoch,
dem 20. November 1918 - am Bußtag
- kommt abends unser Hans zurück.
[...] So ist er da. Wird das Schicksal
ihn uns lassen? Ich denke ja. Er ist da
und wir haben das gute ruhige befriedigte Gefühl, daß der Krieg aus ist für
uns. Seltsam, wie das Denken an Peter so wenig schmerzlich ist jetzt. [...]
6. Februar 1919: Lieber Peter, Dein
Geburstag.
Dreiundzwanzig Jahre.
Es ist ein schöner Tag. Nach langer
Zeit zum ersten Mal wieder fühl ich,
daß ich viel kann. Ich arbeite die
‚Mütter‘. In den vorigen Tagen rührte es sich in mir. Gestern den Versuch
beschlossen, die Kriegsblätter in
Steindruck umzuarbeiten. Und heut
an Peters Geburtstag kann ich es. Ich
habe die Mutter gezeichnet, die ihre
beiden Kinder umschließt, ich bin es
mit meinen eigenen leibgeborenen
Kindern, meinem Hans und meinem
Peterchen. Und ich hab es gut machen können. Danke! [...] 1
1
Käthe Kollwitz, Die Tagebücher 19081943. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen
von Jutta Bohnke-Kollwitz. München 2012
59
Paul Kuhfuss
(1883 - Berlin - 1960)
Marktszene (Wochenmarkt in Pankow).
Holzschnitt auf festem Bütten, mit
Tinte signiert und bezeichnet: „Orig.
Holzschnitt“, 1910. 21,8 : 27,4 auf
43,8 : 57,2 cm.
Werkverzeichnis:
Hellwich-Röske
10/17 (außer dem hier abgebildeten
und unserem kennen wir kein weiteres Exemplar).
suchte er, das ein oder andere Motiv
großstädtischer Vergnügungen in dieses widerspenstige Medium zu übertragen. Nicht ohne Erfolg, wie auch
noch Beispiele aus den frühen zwanziger Jahren beweisen. Aber die harte
Kontrapunktik von Schwarz und Weiß
entsprach nicht seiner Meinung, die
Beschäftigung mit dem Holzschnitt
blieb eine Episode.“2
Ausgesprochen breitrandiges Exemplar, bis auf leicht Bräunung und wenige Fleckchen sehr gut erhalten.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen.
Die Graphik steht in engem Zusammenhang mit dem Gemälde „Wochenmarkt in Pankow“ (Hellwich-Röske
10/1) aus dem selben Jahr.
„Im Jahre 1910 entdeckt Paul Kuhfuss die druckgraphischen Techniken.
Bis 1915 entstehen rund 60 Blätter Holzschnitte, Lithographien und Radierungen. 1923 greift Kuhfuss noch
einmal die Technik des Holzschnittes
auf, mit vier expressiven Blättern [...]
ist das druckgraphische Werk abgeschlossen, es bleibt Episode.
Das Jahr 1910 bringt entscheidende Ereignisse im Leben des jungen
Künstlers, er beginnt als Kunstpädagoge zu arbeiten. Fast 40 Jahre währt
diese Tätigkeit, die ihm die materielle Lebensgrundlage und damit den
Freiraum für die künstlerische Arbeit
schafft. Im gleichen Jahr bezieht Paul
Kuhfuss in Berlin Pankow eine geräumige Atelierwohnung, die für ihn
lebenslang zu einem Refugium wird
und die bis in die neunziger Jahre das
Kuhfuss-Archiv beherbergt.“ 1
„Wohl unter dem Eindruck der Holzschnitte der Brücke-Künstler ver1
Hellwich, Ekkehard und Dr. Peter Röske,
Hrsg., Werkverzeichnis Paul Kuhfuss. Berlin 2000. S. 13
60
2
März, Roland, Paul Kuhfuss und der
Berliner Seccessions-Expressionismus der frühen
zwanziger Jahre. In: Paul Kuhfuss. 1893-1960. Malerei
und Graphik. Katalog der Ausstellung der Staatlichen
Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett und Sammlung
der Zeichnungen, Nationalgalerie. Berlin 1983. S. 35
61
Alcide Le Beau
(Lorient/Bretagne 1873 - 1943 Sanary/Var)
Ohne Titel (Bretonische Landschaft).
Öl auf Leinwand, unten links signiert,
um 1905/10. 31 : 38 cm. Bis auf kleines Craquelée sehr schön erhalten.
Provenienz: Privatsammlung Südfrankreich
Biographie:
1886 Ausstellungsbeteiligung in der
Galerie Le Barc de Boutteville, Paris
1903 Ausstellungsdebut im Salon des
Indépendants
1902-1905 Teilnahme an den Gruppenausstellungen mit Picasso, Matisse, Marquet, Dufy, Derain in der
Galerie Berthe Weill in Paris
1904 Ausstellung in der Galerie Durand-Ruel
1905 Beteiligung am Herbstsalon, wo
er neben Matisse, Marquet, Vlaminck,
Derain und van Dongen zum „cage
aux fauves“ (Dem Käfig der Wilden)
gezählt wurde
1906 Ambroise Vollard vertritt Le
Beaus Werke1
1907 Einzelausstellung in der Galerie
Druet, Paris
1908 Ausstellungsbeteiligung in der
Galerie Blot
1909 Ausstellung im Salon de la Libre
Esthétique in Brüssel
1911 Ausstellung in der Galerie La
Boetie und bei Durand-Ruel
1914-18 verbringt den Ersten Weltkrieg in der Schweiz, um nicht wieder
an die Front zu müssen, wo er eine
Verletzung erlitten hat; verliert innerhalb kurzer Zeit Frau und Tochter
1918 Beteiligung an der großen Ausstellung für französische Kunst in der
Galerie Moss, Genf
1920er Jahre zieht sich nach Südfrankreich zurück
1939 Ausstellung mit André Lhote
1
Vollard veranstaltete vom 15. bis 29.
März 1906 eine erste Einzelausstellung Le Beaus,
der eine Cézanne-Ausstellung zuvorging und eine mit
Werken Bonnards folgte. Siehe: Cézanne to Picasso.
Ambroise Vollard, Patron of the Avant-Garde. Katalog
der Ausstellung im Metropolitan Museum of Art, New
York, im Art Institute of Chicago und im Musée d‘Orsay
Paris 2006-2007. S. 281
62
und Maria Blanchard in der Kunsthalle Bern
1946 Retrospektive auf dem Salon
d‘Automne
1973 Ausstellung der Barbizon Gallery, Paris
1992 Ausstellung in Pontoise im Camille-Pissarro-Museum und im Museum von Pont-Aven (mit Katalog)
Museen: Cannes, Musée des Beaux
Arts
Paris, Musée des Arts modernes
Rom, Vatikanische Museen
Auch in der Sammlung von August
von der Heydt war Le Beau mit einem
Bild vertreten2
„In seiner Jugend schwimmt er auf
der impressionistischen Welle mit, und
als Bretone ist er besonders empfänglich für die Interpretation, welche die
Meister von Pont-Aven, seiner Heimat geben. [...] Die tausend Facetten
seines Talents - die subtile Sichtweise
des Atmosphärischen, die Einfachheit
des Bildaufbaus, die Ausgeglichenheit der Pinselführung, die gespannte
Harmonie der Oberfläche, der lyrische Schwung, sein angeborener Sinn
für das Rhythmische und Körperhafte,
Erstaunen vor den riesigen farbigen
Ebenen, natürliches Interesse für die
großen inspirierenden Gedanken dies alles zeigt sich bis zum Anfang
des Jahrhunderts in impressionistischem Gewand. Einige Jahre später
wird die Palette reicher: Die Originalität von Inspiration und Ausdruck
führt ihn manchmal in die Nähe von
Gauguin, von Vuillard und van Gogh.
[...] Seit 1896 stellt Le beau bei LeBarc de Boutteville aus, einige Jahre
später bei Berthe Weill, die sein Werk
so sehr lobte - in ihrem Buch >Pan im
Auge< -, mit dem Erfolg, daß sie seine Arbeiten besser verkaufte als die
2
Meyer, Andrea, Ein Sammler ‚Französischer Expressionisten‘ August von der Heydt. In: Pophanken, Andrea und Felix Billeter, Hrsg., Die Moderne
und Ihre Sammler. Französische Kunst in deutschem
Privatbesitz vom Kaiserreich zur Weimarer Republik.
Berlin 2001. S. 240
von Picasso. Le Beaus wachsende Berühmtheit läßt sich an den zahlreichen
Ausstellungen ablesen, an denen er in
der Folgezeit teilnahm, in Frankreich
und in den benachbarten Ländern, bis
nach St. Petersburg.
Der Kunsthistoriker Louis Vauxcelles
stellte Le Beau in seiner berühmten
Salonbesprechung von 1905 in eine
Reihe mit den Größten und erwähnte besonders seine Einsendung >La
Promenade au Bois de Boulogne< als
eines der Hauptwerke dieses Salons
der >Wilden<, der von ihm als >Fauves< bezeichneten Künstler, darunter
Derain, Cézanne, Marquet, Matisse,
Rouault, der >Zöllner< Rousseau,
Valtat, Vuillard etc.
Die Kritik war besonders zu dieser
Zeit voller Lob für Le Beau. Gustave
Geoffroy zögerte nicht, ihn mit van
Gogh zu vergleichen. Dieser Vergleich war nicht unpassend zu einer
Zeit, da ein bedeutender Sammler der
heutigen Stiftung Pommern in Kiel
gleichzeitig ein Bild von Le Beau und
ein Werk von van Gogh zum Geschenk
machte. Eine Ausstellung bei Vollard
1906 bedeutete den Durchbruch und
bestätigte die Erwartungen des Salons von 1905. Seit dieser Zeit benützte Le Beau eine Skala von kühnen,
heftigen und kontrastierenden Tönen,
von eigenmächtigen Farbakkorden
ungewohnter Kraft, die ihn unter die
Schöpfer des Fauvismus einordnet.
[...] Die neue Inspiration revolutionierte vollständig seine Farbskala.
Die ungewöhnlichsten Farbwerte
wurden miteinander konfrontiert ohne
Veränderung der Komposition. Bislang kaum bekannte Feinheiten gehen
in großen Zusammenhängen auf, woraus eine selten erreichte Macht des
Ausdrucks entsteht. Diese Periode
war die konzentrierteste und meisterlichste seines Werkes.
Von September 1906 bis Januar 1907
nahm Le Beau mit einer Gruppe von
Malern, darunter Luce, Manguin,
Matisse, Marquet, van Rysselberghe
und Seurat, an einer Serie von Ausstellungen französischer Malerei teil, die
in den Museen von Dresden, Frankfurt, Karlsruhe, München und Stuttgart
stattfanden. Zahlreiche weitere Ausstellungen folgten bis 1914, und in diesem
Jahr insbesondere die Ausstellung in
der Galerie Louis Le Grand [...]. 1907
stellte er ca. 30 Bilder in der Galerie
Druet aus und verkaufte diesem Kunsthändler seinen >Christus inmitte der
Diebe<, ein Bild, in dem sich unter einem dekorativem Aspekt ein bewegter
Expressionismus verbirgt - Vorspiel einer großen malerischen Bewegung, die
die Geschichte der modernen Malerei
genauso prägte wie der Fauvismus und
der Kubismus.
Die Malerei Alcide Le Beaus spiegelt
in ihrer Qualität den Reichtum des beginnenden 20. Jahrhunderts. In dieser
Hinsicht hat er zweifellos seinen Platz
in der Geschichte, aber höher anzusetzen ist der Reichtum seines lyrischen
Empfindens, Reinkarnation einer Romantik, die auf dem Weg malerischer
Revolutionen untergegangen war. Seine
Bilder sollten wiederentdeckt werden
- in ihrer Reinheit und echten Menschlichkeit verführerische und hinreißende
Noten im schillernden Konzert der Malerei“ 3
3
Robert Hellebranth, Ein vergessener
Fauve: Alcide Le Beau. In: Weltkunst, Heft 2, 15. Januar
1988. S. 107
63
Melchior Lechter
(Münster 1865 - 1937 Raron, Kanton Wallis/Schweiz) und
Stefan George
(Büdesheim bei Bingen am Rhein 1868 - 1933 Minusio bei Locarno/Schweiz)
Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod mit einem Vorspiel.
(Berlin), Blätter für die Kunst, 18991900. 38 : 36,5 cm. 26 nicht nummerierte Blatt. Titelblatt in rot und
schwarz gedruckt (Lechter-Schrift).
Text gedruckt in der Cicero Römischen Antiqua auf schwerem grauen
Bütten mit 4 Zwischentiteln, Initialen
und Bordüren nach Entwürfen von
Melchior Lechter. Grüner OriginalLeinwandband auf Holzdeckeln mit
blaugeprägter Deckelzeichnung, dazu
ein Pergamentumschlag (dieser stärker bebräunt und leicht brüchig).
6. von 300 Exemplaren. Von Lechter
und George eigenhändig signiert.
Auf dem vorderen fliegenden Vorsatz
mit Bleistift in Sütterlin bezeichnet
„Geschenk Stefan Georges an Ernst
Glöckner +“ (von Ernst Bertram).
Pergamentumschlag, sowie vorderer
und hinterer Vorsatz mit dem Stempel
„Nachlaß Ernst Glöckner, Weilburg“.
Seltene Erstausgabe.
Werkverzeichnis: Raub A 30.
Rücken und Kanten sehr leicht verblichen bzw. bestossen.
Provenienz: Sammlung Ernst Glöckner, Weilburg; Privatsammlung Westfalen.
Über das Buch:
„Die Drucklegung war für den 1.
August des Jahres 1899 vorgesehen.
Zwischen Ende Juni und Mitte August 1899 überließ Stefan George
jedoch Melchior Lechter ein Manuskript, bei dem es sich wohl um die
einzige lückenlose Handschrift aller
72 Gedichte handelte. Der Erstdruck
wurde auf den 1. September verschoben; tatsächlich begann die Drucklegung nicht vor dem 30.10.1899. Die
prachtvolle Erstausgabe des Bandes,
64
von Melchior Lechter künstlerisch
ausgestaltet, wurde schließlich am
30.11.1899 veröffentlicht und war
vorausdatiert auf das Jahr 1900. Es
handelte sich um eine kleine Auflage
von 300 Exemplaren, die der Berliner
Drucker Otto von Holten betreute. Die
einzelnen Bände dieser Erstauflage
wurden nummeriert, die verwendeten
Druckplatten anschließend zerstört.
Dieser Entscheidung, gleichsam eine
Emphase der technischen Nichtreproduzierbarkeit, entsprach die Gewähltheit des Äußeren. Auf grauem
Büttenpapier im Großquart-Format
(etwa 35 mal 38 cm) befanden sich
jeweils zwei Gedichte auf einer Seite. Die drei Zyklen des Bandes waren
von Melchior Lechter ornamental
eingerahmt worden. Nach dem >Jahr
der Seele< stellt der >Teppich des
Lebens< einen weiteren Höhepunkt in
der Zusammenarbeit Stefan Georges
mit Lechter dar, die mit dem >Siebenten Ring< dann ihren Abschluss
finden sollte. Der größte Teil der ersten Auflage wurde an Freunde und
Bekannte im Umkreis der >Blätter für
die Kunst< abgegeben. In den freien
Verkauf gelangten nur wenige Exemplare über ausgewählte Buchhandlungen, die zudem einen höheren Preis
verlangten als die Subskription von
25 Mark.“ 1
„In zahlreichen Frontispizen und Vignetten versucht Lechter, den Inhalt
eines Textes in einem Bild zusammenzufassen. Auf dem Titelblatt des >Teppich des Lebens< ruft er mit einigen
wenigen Elementen die Atmosphäre
des Buches auf. Zwei hohe Leuchter mit je sieben brennenden Kerzen
flankieren links und rechts den Titel,
und eine schmale horizontale Leiste
1
Aurnhammer, Achim u. a. Hrsg., Stefan
George und sein Kreis. Ein Handbuch. Band 1. Tübingen 2012. S. 157.
rahmt das Mittelfeld unten wie mit einer Schwelle. In dem sakralen Raum,
der auf diese Weise suggeriert wird,
erscheint oberhalb des Titels das
Symbol des Heiligen Geistes, die sich
herabsenkende Taube. In dem Tondo,
das die Taube umgibt, erkennt man
Wolken, Himmel und Sterne. Offenbar
steht die Dichtung dieses Bandes im
Zeichen der göttlichen Gnade. Aus
dieser Überzeugung wächst Lechters
Bildsprache, von hieraus legitimiert
sie sich.“ (Treffers, Bert, Melchior
Lechters Buchkunst. In: Melchior
Lechter, der Meister des Buches 18651937. Amsterdam 1987. S. 13)
Zur Provenienz:
Dem Buch liegt folgende handschriftliche Notiz bei: „Nr. 2b der Briefe von
George (teilsweise von Gundolf geschrieben) an Ernst Glöckner. Original im Besitz des George-Archivs von
Dr. Boehringer. >Anbei im Auftrag
des Meisters 1 ‚Teppich des Lebens‘
(Erstausgabe mit Melchior Lechter)
Herzlichst Ihr Gundolf<.
Angekommen in Weilburg am
15.1.1918“
Ernst Glöckner (1885 - Weilburg
- 1934) studierte in Bonn Kunstgeschichte und Germanistik und wurde
1909 promoviert. Sein Lebensgefährte
war der Geisteswissenschaftler Ernst
Bertram (1884-1957), der ebenso wie
Glöckner zum George-Kreis zählte.
Bertram kümmerte sich um den Nachlass des Freundes.
Die württembergische Landesbibliothek Stuttgart besitzt einen Teil des
Glöckner-Nachlasses.
65
Max Liebermann
(1847 - Berlin - 1935)
Holländische Viehweide.
Schwarze Kreide auf festem Papier,
mit Kreide signiert, um 1900. 10,6 :
18,2 cm.
Verso mit dem Sammlungsstempel
von Siegbert M. Marzynski, später
Marcy (nicht bei Lugt).
Das Blatt ist im Liebermann-Archiv
Berlin registriert.
Provenienz: Sammlung Siegbert H.
Marzynski (später Marcy), BerlinBeverly Hills; Galerie Rosenbach;
seit Anfang der 1970er Jahre Privatsammlung Hamburg.
Siegbert Marzynski (Berlin 1892 1969 Beverly Hills), hatte bei Heinrich Wölfflin in Berlin Kunstgeschichte studiert, wo der berühmte Gelehrte
1901 bis 1912 unterrichtete. Er trat
dann aber in das Exportgeschäft seines Vaters ein. Das Unternehmen,
das Stoffe für Herrenbekleidung exportierte, hatte eine Filiale in Paris,
wo sich Marzynski regelmäßig aufhielt. Er lernte viele zeitgenössische
französische Künstler kennen und
erwarb Arbeiten von ihnen. Er war
u. a. mit Corinth, Max Liebermann,
Paul Signac, Maurice de Vlaminck
und Maurice Utrillo befreundet. 1934
schenkte Liebermann Marzynski und
dessen Frau zu ihrer Hochzeit einen
kleinen ,Wannseegarten‘. Marzynski
emigrierte 1941 mit seiner Frau nach
Kalifornien, wo er seinen Nachnamen
in Marcy änderte. Eine Auswahl seiner großen Sammlung von Arbeiten
Corinths schenkte er der National
Gallery in Washington. Liebermann
porträtierte ihn in Öl und auch in einer Radierung.
"Max Liebermann liebte Holland.
Doch damit war er nicht der einzige deutsche Künstler. Die Liebe der
Schriftsteller und Maler zur holländischen Landschaft war geprägt von
der Begeisterung für die Meister der
niederländischen Malerei des 17.
Jahrhunderts. [...] Als Liebermann
1871 anschließend an seine Ausbildung in Weimar nach Düsseldorf kam,
war Holland noch immer das große
Thema. Dort lernte er das Fischergenre und den Realismus kennen.
[...] Durch die Auseinandersetzung
mit Munkácsy, Rembrandt und Frans
Hals kam Max Liebermann zu der
Devise: Wiedergabe der Wirklichkeit,
unverfälscht und überzeugend. Damit
gehörte er innerhalb wie außerhalb
Deutschlands zum Kreis der progressiven Künstler. Diese lehnten sich
gegen die Vorherrschaft der Historienmalerei auf, wie man sie am Hofe
des deutschen Kaisers und an der
konservativen Kunstakademie in Berlin kultivierte. Auch in Frankreich geriet das Urteil der konservativen Jurymitglieder des jährlichen Salon de
Paris immer heftiger in die Kritik. Die
Künstler, die wir jetzt als Impressionisten kennen, wollten die Ablehnung
ihrer Werke nicht länger hinnehmen
und organisierten von 1874 an ihre
eigenen Ausstellungen im Atelier des
Fotografen Nadar. Sogar in den Niederlanden wehte jetzt ein neuer Wind.
Die romantischen Winterlandschaften,
die nach stickiger Atelierluft rochen,
mussten den Werken junger Landschaftsmaler weichen, die, genau wie
die Maler der Schule von Barbizon,
beschlossen hatten, im Freien zu arbeiten. Die unmittelbare Wiedergabe
der Natur, darum ging es jetzt." 1
1
Sillevis, John, Max Liebermann, Die
Haager Schule und Vincent van Gogh. In: Martin
Faass, Hrsg., Liebermann und Van Gogh. Katalog der
Ausstellung der Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin
2015. S. 105 f.
66
67
Max Liebermann
(1847 - Berlin - 1935)
Gartenterrasse in Nikolskoe.
Bleistiftzeichnung auf Skizzenbuchpapier, mit Bleistift signiert, um 1918.
13 : 20,6 cm.
Verso mit dem Sammlungsstempel
von Siegbert M. Marzynski, später
Marcy (nicht bei Lugt).
Das Blatt ist im Liebermann-Archiv
Berlin registriert.
Provenienz: Sammlung Siegbert H.
Marzynski (später Marcy), BerlinBeverly Hills; Galerie Rosenbach;
seit Anfang der 1970er Jahre Privatsammlung Hamburg.
Literatur: Julius Elias, Die Handzeichnungen Max Liebermanns. Berlin, Paul Cassirer, 1922. Tafel 92.
„Nach dem Kriegsausbruch im August
1914 wollte Liebermann nicht mehr in
die Niederlande fahren. So begann er
sich in seiner nächsten Umgebung
nach Motiven umzusehen. Er fand sie
überreichlich in seinem Garten und in
der Umgebung seines Landhauses in
Wannsee. Auch das vorliegende Bild
zeigt sehr wahrscheinlich ein Lokal
an der Havel, vermutlich Nikolskoe
am Ostufer des Flusses, von dem sich
ein weiter Blick nach Westen öffnet.
[...] Menschen unterschiedlichen
Alters versammeln sich in Ruhe und
Muße unter Bäumen am Wasser. [...]
Es entsteht ein Bild des Friedens mitten im Krieg, ein Augenblick sozialer
Harmonie.“1
Seit Kriegsausbruch malte Max Liebermann mehrere Versionen des Berliner Gartenlokals, so daß in Berlin
befindliche „Gartenlokal an der Havel, Nikolskoe“ von 1915.
Max Liebermann, Gartenlokal an der Havel, Nikolskoe.
Öl auf Leinwand 1915 (Eberle 1915/14)
1
Eberle, Matthias, Max Liebermann.
Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II.
1900-1935. München 1996. S. 904
68
69
Max Liebermann
(1847 - Berlin - 1935)
Pferderennen.
Kreidelithographie auf Vélin, mit Bleistift signiert, 1909. 22,5 : 34,5 cm auf
40,8 : 53 cm. Werkverzeichnis: Schiefler 87. Schön erhalten.
Provenienz: Privatsammlung München.
Vorliegendes Blatt stellt eine graphische Variante zu dem in mehreren
Fassungen (Eberle 1909/3-5) gemalten Ölbild „Pferderennen in den Cascinen“ dar. „Im Frühling des Jahres
sondern nur noch drei Pferde am Beschauer vorbeifliegen. Die Bewegungen dieser drei Tiere werden dort noch
stärker aufeinander und den Sprung
über die Hürde bezogen: Das erste
Pferd setzt mit den Vorderbeinen schon
wieder auf, das zweite schwebt in der
Luft, das dritte setzt gerade erst zum
Sprung an. Diese Komposition scheint
den Künstler am meisten be70
1908 hatte sich Liebermann mit seiner
Familie zwei Wochen in Florenz aufgehalten. In diese Zeit fällt der Eindruck,
den er in dem Bild ‚Pferderennen in
den Cascinen‘ gestaltete. Liebermanns
Aufmerksamkeit gegenüber dem Motiv
war vielleicht durch Alfred Lichtwark
angeregt worden, der von Liebermann
ein Pferderennen für die Hamburger
Kunsthalle haben wollte [...] Dargestellt ist ein Hindernisrennen. Im
Vordergrund verläuft parallel zur Bildebene die Rennbahn, auf der [...] drei
Pferde über das Hindernis setzen [...].
Die beiden Pferde im Vordergrund bilden in ihrer Bewegung einen geschlossenen Bogen, der sich über die Hecke
wölbt. Pferde und Reiter sind scharf
gezeichnet, der Hintergrund dagegen,
wo sich Zuschauer an der Barriere
drängen, verschwimmt. [...] Das Motive des Jockeys, der mit der rechten
Hand die Gerte schwingt, um sein
Tier anzutreiben, nimmt der Maler in
der zweiten großen Fassung (1909/5)
wieder zurück, in der nicht mehr vier,
friedigt zu haben, er hat sie im selben
Jahr auch lithographiert (Schiefler Nr.
87).“ 1
Max Liebermann, Pferderennen in den Cascinen - 2.
Fassung (Eberle 1909/5) Öl auf Holz. Kunstmuseum
Winterthur
1
Eberle, Matthias, Max Liebermann.
Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II.
1900-1935. München 1996. S. 758
Max Liebermann
(1847 - Berlin - 1935)
Kind mit Wärterin.
Kaltnadelradierung auf Bütten, mit
Bleistift signiert, am unteren Rand in
Bleistift bezeichnet „vor der Auflage
(Probedruck)“, 1919. 25,1 : 18,9 cm
auf 36,8 : 27,8 cm.
Werkverzeichnis: Schiefler 315, wohl
II oder III (von IV). Zustandsdruck vor
den Überarbeitungen an der Kleidung
der Dargestellten und der Auflage von
50 Exemplaren. Ausgesprochen selten!
bermanns Biograph beschrieb das Bild
mit den Worten: >Ein kleines Bild, das
[...] 1920 in der Sezession ausgestellt
war, zeigt die Kleine, wie sie auf dem
Schoß der Wärterin sitzend mit ihrem
Händchen auf dem Bilderbuch herumtappt, das vor ihr auf dem Tische liegt.
Diese Bilder kann man unbedenklich
den wundervollen intimen Porträts
an die Seite stellen, die Liebermann
vor Jahren von seiner kleinen Tochter
gemalt hat.< (Kunst und Künstler, Jg.
XX, 1922, Heft 10, S. 346).“1
Provenienz: Privatsammlung Berlin
Auch hier handelt es sich um die graphische Variante zu einem Gemälde
(Eberle 1919/25), dessen Standort
allerdings unbekannt ist. „Maria
Riezler (Berlin 27.3.1917 - 14.1.1995
New York), die Enkelin des Künstlers,
sitzt auf dem Schoße ihrer Kinderfrau
Ida Schönherr an einem Tisch und
betrachtet unter deren Anleitung ein
aufgeschlagenes Bilderbuch. [...] Lie-
1
Eberle, Matthias, Max Liebermann.
Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II.
1900-1935. München 1996. S. 758
71
Max Liebermann
(1847 - Berlin - 1935)
Das Konzert.
Kaltnadelradierung auf Bütten, mit
Bleistift signiert und nummeriert,
1922. 23,3 : 31 cm auf 29 : 39 cm.
Werkverzeichnis: Schiefler 344 IIId.
Eins von 100 Exemplaren, erschienen
bei Paul Cassirer.
Am rechten Rand restaurierter Einriss
(außerhalb der Darstellung), sonst sehr
gut erhalten.
Provenienz: Rheinischer Privatbesitz.
72
Zu dieser Graphik sind vier Versionen
in Öl bei Eberle (1922/1-4) aufgeführt,
deren Standorte unbekannt sind. Sie
zeigt den Blick aus einer Loge auf die
Bühne der Staatsoper Unter den Linden auf die Bühne, wo der Dirigent mit
erhobenen Armen das Orchester leitet.
Max Liebermann
(1847 - Berlin - 1935)
Haus am Wannsee.
Kaltnadelradierung auf festem Velin,
mit Bleistift signiert, 1926. 14,5 : 19,8
cm auf 29,8 : 38,2 cm. Werkverzeichnis: Achenbach 106. Einer von wohl
wenigen Abzügen vor der Verstählung
der Platte. Absolut vorzüglich erhalten,
breitrandig und nuanciert.
Am unteren Rand Bleistiftmarginalien.
Graphische Variante zu dem Gemälde
"Die Birkenallee im Wannseegarten
nach Westen" (Eberle 1926/25).
Provenienz: Rheinischer Privatbesitz
"Das Grundstück am Wannsee, das
Liebermann 1909 erwarb, war an der
Südseite von einem Birkenwäldchen
bestanden, das sich zum See hinunter
zieht. Die Birken, die Verlauf des neu
angelegten Weges standen, wurden
nicht gerodet und überspielten daher
den schnurgerade ausgerichteten Weg.
So vermitteln die weißen Baumstämme, der lockere Wuchs und die feinblättrige Belaubung zusammen mit
dem hellen Kiesbelag des Pfades ein
sehr lichtes Bild."1
1
Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. München 1996. S. 963.; siehe auch: Faass, Martin, Hrsg., Max
Liebermann. Der Birkenweg. Ein Motiv zwischen Impressionismus und Jugendstil. Katalog der Ausstellung in der
Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin 2008
73
Max Liebermann
(1847 - Berlin - 1935)
Gartenszene (Wärterin, Kind und Hund).
Kaltnadelradierung auf Zanders-Bütten, mit Bleistift signiert, 1921. 11 :
17,5 cm auf 41,8 : 33,2 cm. Werkverzeichnis: Schiefler 331 II d. Eins von
430 Exemplaren auf Bütten für das
Werk „Max Liebermanns Handzeichnungen“, herausgegeben von Paul
Cassirer.
Trotz der Auflage nicht häufig.
zeigt, wiederholen sich fortwährend
die Worte: ‚Mein Enkel - meine Tochter - meine Frau - mein Enkel!‘ Was
um ihn herum lebt, sieht er am häufigsten und es lockt ihn auch bald eine
Haltung, eine Linie zum Festhalten mit
dem Stift. Bei den Unterschriften will
er aber nicht betont sehen, daß es seine Verwandten sind. ‚Meine Frau und
meine Tochter die wollen nicht immer74
Breitrandiges, makellos erhaltenes Exemplar dieses gesuchten Blattes.
Provenienz: Norddeutsche Privatsammlung
Dargestellt ist die Enkelin Liebermanns mit dem Kindermädchen und
dem Dackel Nicki.
zu genannt sein. Das ist doch ‚ne Frau
oder ‚n Mädchen, die ich jemalt habe.
Sagen Se man ‚Lesendes Mädchen‘!‘
Aber beim Kramen nennt er die Blätter doch wieder: ‚Mein Enkel - meine
Frau - meine Tochter - mein Enkel!‘
Am liebevollsten spricht er aus: ‚Mein
Enkel!‘“ 1
1
Ostwald, Hans, Das Liebermann-Buch.
Berlin 1930. S. 366.
„Und selbst als im Enkelkind das Modell für die Kinderzeichnungen in der
Familie sich wiederholte, war Liebermann wohl der angeregte und aufmerksame Großvater - aber nicht der
verliebte, großväterliche Künstler. Seine Zeichnungen blieben frei von hübschmachender, fälschender Zuneigung.
Trotzdem sonst zu berichten ist: Wenn
Liebermann Zeichnungen und Skizzen
Max Liebermann
(1847 - Berlin - 1935)
Badende.
Kreidelithographie auf China-Bütten,
mit Bleistift signiert, 1926. 24,4 : 20
cm auf 31,5 : 42,3 cm.
Werkverzeichnis. Achenbach 116.
Blatt 9 aus der Mappe „Max Liebermann - 9 Steinzeichnungen“, erschie-
nen bei Bruno Cassirer in Berlin in 60
Exemplaren.
Im ehemaligen Passepartout-Auschnitt
kaum merklich gebräunt, sonst sehr
schöner Abzug dieses anmutigen Blattes.
Provenienz: Westfälische Privatsammlung
rung und Zeichenroutine geboren. [...]
Auch lithographierend variiert Liebermann wieder seine alten Motive. Vor
allem Strandszenen, Reiter am Meer
und weite Landschaften, Pleinairmotive, die sich mittels der weichen lithographischen Kreide gut darstellen
lassen, und denen das luftige Atmo-
sphärische wichtig ist. Der Skizzencharakter herrscht unverkennbar.“ 1
„Auch sie [die Lithographien] weisen
die Tugenden der Zeichnungen auf;
aber noch mehr sind sie aus der Erfah-
1
Scheffler, Karl, Max Liebermann. München 1922. S. 198
75
Peter Ludwigs
(Aachen 1888 - 1943 Düsseldorf)
Ohne Titel (Fischer).
Aquarell und Feder auf Bütten, mit Feder signiert, datiert und mit der Ortsbezeichnung „Cassis“, 1929. 49,7 : 35
cm.
Stellenweise braunfleckig, ein hinterlegter Einriss, verso Montierungsreste,
insgesamt aber von schöner Gesamterhaltung und beeindruckender Leuchtkraft.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen.
Literatur: „Peter Ludwigs. Malerei,
Grafik, Dokumente“. Katalog der Ausstellung im Stadtmuseum Düsseldorf
1982/83.
Peter Ludwigs entstammte einer wohlhabenden Aachener Fabrikantenfamilie. Er studierte Bildhauerei an den
Akademien in Aachen, Lüttich und
Brüssel. 1911 zog er nach Düsseldorf.
1915 bis 1918 nahm er als Freiwilliger
am Krieg teil. 1918 wurde er neben
Otto Pankok, Gert Wollheim u. a. Mitglied des „Aktivistenbundes“, ebenso
gehörte er 1919 zu den Mitbegründern
des „Jungen Rheinlands“, das sich bei
Johanna „Mutter“ Ey traf. 1924 beteiligte er sich an der „Ersten Allgemeinen Kunstausstellung“ in Moskau gemeinsam mit Dix, Baluschek, Zille und
Kollwitz. In dieser Zeit wandte er sich
verstärkt der Malerei zu. 1926 lernte
er die oldenburgerische Künstlerin Lucie Uptmoor kennen, die er ab 1927 in
Düsseldorf unterrichtete und mit der er
sich ein Atelier teilte. Nach Zerfall des
„Jungen Rheinlands“ wurde Ludwigs
Vorstandsmitglied der „Rheinischen
Sezession“. Im Sommer 1929 reiste
er gemeinsam mit Lucie Uptmoor und
Heinz Tappeser für drei Monate nach
Marseille, Arles und Cassis, wo auch
unser Bild entstand. Nach der Machtergreifung Hitlers fand Ludwigs keine
Ausstellungsmöglichkeiten mehr, er
mußte sich immer mehr zurückziehen.
Ludwigs war seit 1922 KPD-Mitglied
76
und arbeitete ab 1942 verstärkt im
Widerstand. Am 5. Februar 1943 wurde Ludwigs verhaftet, seine schwere
Zuckererkrankung wurde nicht behandelt, auch bekam er kein entsprechendes Essen. Dennoch zwang man
ihn zu schweren Strassenräumarbeiten, wodurch der völlig ausgemergelte
Künstler am 2. Juli 1943 im Gefängnis
„Ulmer Höhe“ starb. Zuvor hatte man
seiner Frau die Besuchserlaubnis entzogen, damit sie sehen konnte, in welchen Zustand man ihn gebracht hatte.
Johanna Ey, Peter Ludwigs, Robert Pudlich, Luzie
Uptmoor (von links nach rechts) vor dem Eingang der
Galerie Ey
77
Franz Marc
(München 1880 - Braquis bei Verdun 1916)
Bretonische Bettler.
Kreidelithographie auf Velin, mit Bleistift signiert, im Stein monogrammiert,
1907. 25 : 29,5 cm.
Im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt gebräunt.
Werkverzeichnis: Hoberg/Jansen 6.
Provenienz: Sammlung Max Dietzel,
München (mit dessen handschriftlichen Notizen von 1913 auf dem Passepartout); Sammlung Heinrich Stinnes,
Köln (mit dessen Sammlungsstempel
und handschriftlichen Beschriftungen); Sammlung Helmut Goedeckemeyer, Frankfurt (mit dessen Sammlungsstempel verso); Privatsammlung
Pfalz.
Max Dietzel (1883 - 1916) führte
zusammen mit seinem Freund Paul
Ferdinand Schmidt 1912/13 in der
Münchner Königinstraße den „Neuen
Kunstsalon“, wo u. a. Künstler des
„Blauen Reiter“ und der „Brücke“
ausgestellt waren. Außerdem kooperierte die Galerie mit dem Folkwang
Museum in Hagen.
Er schrieb auf das Passepartout in
Tinte: „N.K.-S. [Neuer Kunst-Salon]
Max Dietzel. VIII/1913. Franz Marc
1880-1916: Holz- (Lumpen?)sammler.
Lithographie mit der Feder auf Stein;
handschr. bez. Druck auf Bütten 25,-“
Heinrich Stinnes (Mülheim an der
Ruhr 1867 - 1932 Köln) trug von 1910
bis 1932 eine der bedeutensten Graphiksammlungen Europas zusammen
(ca. 200000 Blätter !), die nach seinem
Tod auf mehreren Auktionen versteigert
und damit zerrissen wurde. Stinnes erwarb nur frühe und beste Abzüge, die
er recto mit seinem Stempel versah.
Seine Bleistiftnotation lautet: „Franz
Marc - Holz-/Lumpen ?/Sammler. Lithographie 25,-“ was darauf schließen
läßt, das Stinnes das Blatt bei Dietzel
erworben hat.
Helmut Goedeckemeyer (1898-1983)
besaß eine druckgraphische Sammlung
78
der deutschen und französischen klassischen Moderne von ca. 5000 Werken.
Seine Kollwitz-Sammlung ging an das
Städelsche Kunstinstitut in Frankfurt.
„Trotz der überschaubaren Anzahl
von 14 größeren Lithographien und 22
Holzschnitten erweist sich das druckgraphische Werk von Franz Marc als
recht komplex. Dies betrifft weniger
das frühe lithographische Werk, dessen
Blätter äußerst rar und zum Teil sogar
nur in Unikaten erhalten sind, sondern
die Variationsbreite der SchwarzWeiß- und Farbholzschnitte, die ab
1911/12 entstanden sind und verschiedene Auflagen erfahren haben. [...]
Marc begann sein druckgraphisches
Werk ab dem Winter 1907 mit der Herstellung von Lithographien, die er offenbar zu Verkaufszwecken anfertigte,
um seine in diesen Jahren stets angespannte finanzielle Situation zu verbessern, die sich erst ab 1910 durch seine
Begegnung mit dem Mäzen Bernhard
Koehler ändern sollte. [...] Doch die
Anzahl der erhaltenen Abzüge seiner
Lithographien, die häufig noch delikat
und unterschiedlich eingefärbt waren,
ist außerordentlich gering, meist geht
sie nicht über zwei bis zehn Exemplare
hinaus.“1
Franz Marc reiste im Mai 1903 auf
Einladung seines wohlhabenden Kommilitonen Friedrich Lauer für vier Monate nach Frankreich, wo er Werken
von Manet, Courbet und Delacroix begegnete und den Endschluß faßte, die
Akademie zu verlassen um sich autodidaktisch weiter zu bilden. Auf einer
zweiten Reise nach Paris im Frühjahr
1907 begegnete Marc schließlich Werken Van Goghs, dem seine große Bewunderung galt. Am 13.4.1907 schreibt
er an Maria Franck: „Ich war selten
so sehr mit mir einig als Künstler wie
diesmal in Paris. Diese 8 Tage gehören
1
Hoberg, Annegret und Isabelle Jansen,
Franz Marc. Werkverzeichnis Band III. Skizzenbücher
und Druckgraphik. München 2011. S. 310
zu den traumhaftesten Tagen meines
Lebens, – und voll Gewinn. Ich sah mir
nur wenig anderes an als die beiden
großen neuen Meister van Gogh
und Gauguin und daneben ägyptische und mittelalterliche Plastik und
Rodin. Am meisten aber ›la belle
Seine ...‹ zu allen Tagesstunden und
Nachtstunden. Ich war unsagbar
glücklich, allein sein zu dürfen, und
was man dazu dachte, kümmerte mich
nicht.“ Am 24.7.1907 schreibt er erneut an Maria: „Van Gogh ist für
mich die teuerste, größte, rührendste
Malergestalt, die ich kenne. Ein Stück
einfachster Natur zu malen und dahinein allen Glauben und alle Sehnsucht hineinzumalen, das ist doch das
Würdigste; ich ziehe ihn heut dem viel
berechnenderen Gauguin in jeder Beziehung vor.“
Vorliegende Lithographie läßt den
Einfluss Van Goghs spüren, den Marc
eingehend in Paris studiert hatte.2
Vincent van Gogh, Alter Schiffer mit Südwester. Schwarze Kreide 1883. Rijksmuseum Kröller-Müller, Otterlo
2
Roßbeck, Brigitte, Franz Marc. Die Träume und das Leben. München 2015. S. 93
79
Franz Marc
(München 1880 - Braquis bei Verdun 1916)
Springende Pferdchen.
Holzschnitt auf gelblichem Maschinenbütten, im Stock monogrammiert,
1912. 13,5 : 9 cm auf 23,9 : 16,7 cm.
Werkverzeichnis: Hoberg/Jansen 31.
Mit Atelierspuren, in der rechten oberen Ecke kleiner Wasserrand. Möglicherweise Probedruck vor der ersten
Auflage von Handdrucken und der
zweiten Auflage für „Der Sturm. Wochenschrift für Kultur und die Künste“, hrsg. von Herwald Walden, N°
129, S. 163 von Oktober 1912.
Teils sehr pastoser Farbauftrag, verso
durchschlagend.
Provenienz: Privatbesitz Berlin.
„Gegenüber dem schon mengenmäßig imponierenden Holzschnittwerk
der Künstler aus dem ‚Brücke‘-Kreis
- fast 1000 verschiedene Blätter von
Kirchner, jeweils an die 450 von
Schmidt-Rottluff und Heckel oder 200
von Nolde - , aber auch im Vergleich
zu Kandinskys rund 150 Nummern
nehmen sich die kaum über zwanzig
zählenden Holzschnitte Franz Marcs
mehr als bescheiden aus; daher rührt
freilich ebenso die Seltenheit her,
Drucke von seiner Hand auf dem
Kunstmarkt zu finden.
Die Beschäftigung mit dem Holzschnitt umfaßt bei Marc nur zweieinhalb Jahre: von der Wende 1911/12 bis
zur Mitte 1914, als der Sechsunddreißigjährige in den Krieg zog, aus dem
er nicht mehr zurückkehren sollte. [...]
So zwangsläufig, im Rückblick auf das
Lebenswerk gesehen, der Schritt von
der Lithographie zum Holzschnitt gewesen ist, es mußten doch verschiedene Anregungen zusammenkommen,
damit Marc sich diesem graphischen
Verfahren öffnete. [...] den letzten Anstoß scheint nach dem Bericht seiner
Frau Maria Marc doch Kandinksy
gegeben zu haben, der den Freund
im Zusammenhang mit den Plänen
zur Bebilderung des Almanachs Der
Blaue Reiter ermunterte, sich in dieser Technik zu versuchen. [...] Den
entscheidenden Eindruck von den vielfältigen künstlerischen Möglichkeiten
des Holzschneidens gewann Marc jedoch im Januar 1912, als er während
eines Berliner Aufenthaltes die Maler
der Brücke und der Neuen Secession
in ihren Ateliers aufsuchte: Heckel,
Kirchner, Nolde und Pechstein. Er
war überwältigt von dem ‚Riesenma80
terial‘ und packte sofort einen großen
Stoß davon zusammen, um ihn nach
München zur geplanten SchwarzWeiss-Ausstellung des Blauen Reiters
zu schicken, die Mitte Februar eröffnet wurde. [...] So sehr Marc von der
Kunst der Brücke angetan war, seine
eigenen Blätter verleugnen nie das
andersartige Formgefühl und das abweichende Ziel. Gegenüber der kantigen, zuweilen brutal vereinfachenden
Sprache der Dresdner und Berliner
Gruppe werden sie von schwingenden Rhythmen beherrscht; kunstvoll
geflochtene Liniengewebe betonen
das Weiche mehr als das Harte, das
Gerundete mehr als das Eckige, das
Verbindende mehr als das Trennende.
Akt, Tier und Pflanze sind organisch
einer übergreifenden Ganzheit eingebunden, jenem ‚Unteilbaren Sein‘, das
darzustellen Marc sich sehnte. [...]
Nach Marcs Worten sollten die überzähligen Drucke als ‚Versuchsdrucke‘
bezeichnet werden - ein Begriff, der
noch mehr als der gebräuchlichere
‚Probedrucke‘ das Stadium des Experimentes umschreibt und den Maria
Marc vielleicht eben deswegen nicht
benutzt hat. Die Ankündigung, solche
Drucke - ‚soweit sie fertig sind‘ - später nachzusignieren, hat der Künstler
indessen nicht wahrmachen können
[...].1
„Die Springenden Pferdchen verdienen ihre Bezeichnung eigentlich
nicht ganz; denn allenfalls das unterste zeigt eine solche Bewegung. Es
scheint eher emporzusteigen, seine
Aufwärtsrichtung wird von den drei
Tieren darüber so aufgenommen, dass
ein Zickzackrhythmus mit manchen
Diagonalimpulsen entsteht - eine kleine Vorahnung des Turms der blauen
Pferde.“ 2
recto
Der Turm der blauen Pferde
Öl auf Leinwand 1913
200 : 130 cm
seit 1945 verschollen
1
Lankheit, Klaus, Die Holzschnitte Franz
Marcs. In: Hoberg, Annegret und Isabelle Jansen, Franz
Marc. Werkverzeichnis Band III. Skizzenbücher und
Druckgraphik. München 2011. S. 319 ff.
2
Holst, Christian von, Franz Marc.
Pferde. Katalog der Ausstellung in der Staatsgalerie
Stuttgart 2000. S. 102 ff.
81
Frans Masereel
(Blankenberghe 1889 - 1972 Avignon)
Femme à la cigarette.
Öl auf Leinwand, unten links monogrammiert und datiert, 1923. 43,3 :
34,3 cm.
Bis auf leichtes Craquelé schön
erhalten.
Provenienz: Rheinische Privatsammlung.
Dargestellt ist die dreiundzwanzigjährige Paule Thomas, die Tochter
von Masereels Frau Pauline, die er
am 23. Februar 1921 in Genf geheiratet hatte. Masereel hatte Pauline
Imhoff, Tochter eines Fabrikdirektors
wohl 1909 in Paris kennengelernt.
„Pauline war beinahe elf Jahre älter
als Frans. Sie ist 1878 in Randonnai
im normandischen Departement Orne
geboren, in der Bretagne aufgewachsen und hat 1899 in Gent Adolphe
Auguste Thomas geheiratet. Die Ehe
war übrigens von kurzer Dauer, denn
Thomas ist 1908 nach Brüssel umgesiedelt und hat Pauline mit ihrem
achtjährigen Töchterchen Paule in
Gent zurückgelassen.“1 1923 malt
Masereel mehrere Porträts von Mutter und Tochter. Paule Thomas hatte
im Juni 1922 den Bankangestellten
Georges Kustner geheiratet und sich
in Genf niedergelassen.
Das Bild steht am Beginn von Masereels internationalem Erfolg als
Maler. Durch die Galerie Billiet in
Paris werden seine Werke lanciert:
„Die sechs Masereel-Ausstellungen,
die Billiet zwischen 1922 und 1928
veranstaltet, sorgen dafür, dass Museumsdirektoren und Kunsthändler
sowohl den Maler als auch den Grafiker Masereel kennenlernen, und natürlich profitiert auch die Galerie von
seinem Erfolg. Ausser seiner Zusammenarbeit mit Billiet hat Masereel
seine zunehmende Bekanntheit vor allem Stefan Zweig und Carl und Thea
Sternheim zu danken, die es als eine
1
Parys, Joris van, Masereel. Eine Biographie. Zürich 1999. S 40
82
Ehrensache betrachten, dem Werk
ihres flämischen Freundes internationale Anerkennung zu verschaffen.
>Ich sagte schon Billiet, dass ich es
an der Zeit hielte, eine gesamte Ausstellung deiner Werke in Deutschland
oder Böhmen zu machen.<, schreibt
Zweig im Juli 1923. >Mein Freund
Cumill Hoffmann kann das in Prag
leicht durchsetzen, und wir würden
dann die Ausstellung gleich nach
Wien weiterschicken, vielleicht sogar
nach Budapest.<“2
„War nachmittags in der Galerie Billiet, die neuen Masereel Bilder zu sehen. Du kannst Dir nicht denken, wie
herrlich seine letzten Porträts sind man soll die Reproduktionen verbrennen, so leblos und farbtot wirken sie.
Ich bin grenzenlos begeistert, und ein
grosses Bild hätte ich leidenschaftlich
gern gekauft, aber lieber lass ich mich
doch von M. portraitieren.“3
„An seinem 35. Geburtstag, am 30.
Juli 1924, schreibt er [Masereel] Georg Rheinhart, dass er als Maler die
gleiche Intensität und Expressivität
erreichen wolle wie in seinen Holzschnitten. Von seinen ersten Pariser Bildern sagt er, dass die Farben
>sehr streng und schlicht sind und
ziemlich spanisch anmuten.< Dies
gilt besonders für das erste gemalte Selbstporträt, in dem Ocker- und
Grautöne vorherrschen, und für ein
Dutzend anderer Porträts, mit denen
er 1923 anfängt, sich als Maler selbst
zu entdecken - es handelt sich um
Pauline, Paule, Le Fauconnier, Léon
Werth und Georg Reinhart, der im
November zum Posieren nach Paris
kommt. [...] Ein gutes Porträt, findet
Masereel selbst, ist ein Porträt, das
dem Publikum beim ersten Blick einen richtigen Eindruck gibt, sowohl
von der Persönlichkeit als auch von
dem gesellschaftlichen Hintergrund
des Porträtierten. Daher ist das Por2
siehe Anm. 1 S. 182
3
Stefan Zweig an Friderike Zweig im
Januar 1924
trät Paulines aus dem Jahr 1923 ein
elegantes Werk im Sinne der Ecole de
Paris [...] Die Porträts sind die ersten
Bilder, mit denen Masereel sich als
Maler vom direkten Einfluss seiner
Grafik befreit, aber das heisst nicht,
dass eine solide Zeichnung als Basisstruktur seiner Bilder nicht weniger
wichtig würde.“4
4
siehe Anm. 1 S. 189
83
Maguy Monier (eigtl. Marguerite Monier, geb. Poirion)
(Malabry 1887 - 1965 Châtenay)
Ohne Titel (Ansicht eines bretonischen Dorfes im Sommer).
Öl auf Leinwand, unten rechts signiert,
um 1910. 57,5 : 76,5 cm.
Bis auf leichtes Craquelé sehr schön
erhalten.
Provenienz: Privatbesitz Bretagne.
Die Künstlerin lebte mit ihrem Mann,
dem Bildhauer Émile Monier (18831970), in ihrem Elternhaus „Le Bocage“ in Châtenay-Malabry in der
Region Île de France. Als Graphikerin
schuf sie berühmte Modedarstellungen, die auch in Form von Postkarten
publiziert wurden, und Buchillustrationen für den Nilsson-Verlag, im Stil des
Art Déco.
1925 stellte sie in der Galerie G.-L.
Manuel frères in Paris Gemälde aus.
Dazu schrieb der Schriftsteller Gustave Kahn im „Mercure de France“:
„Mme Maggy [sic] Monier hat uns
um die 40 kleine Bilder gezeigt - Provence, Bretagne, Blumen, in flinker Art
gemalt. Sie sich nach Vereinfachung im
Farbton. Es gibt einen intimen Wert in
der Darstellung der alten bretonischen
Spinnerinnen, die in den dunklen Türöffnungen sitzen. Ihre Blumen sind
ganz klar gemalt und befinden sich immer in einer schlichten weißen Vase“.
Émile Monier war einer der bedeutendsten Medaillisten des Art Déco.
1906 wurde die Tochter Madeleine
Monier geboren.
1927 beteiligte sich Maguy am Salon
des Indépendants.
Wo Maguy ihre Ausbildung erhielt,
können wir nicht ermitteln. Leider ist
die Erkenntnislage über die in Paris
studierenden Künstlerinnen noch sehr
desolat.1 Möglicherweise besuchte sie
eine der zahlreichen privaten Malschulen wie die Académie Julian in
Paris, denn die hervorragende Qualität der Komposition, des spätimpresi1
siehe hierzu: „Paris bezauberte mich.
Käthe Kollwitz und die französische Moderne“. Hrsg.
von Hannelore Fischer und Alexandra von dem Knesebeck. Katalog der Ausstellung im Kollwitz-Museum Köln,
2010/11. S. 19
84
onistischen Pinselstrichs und der stimmungsvollen Wiedergabe der still vor
sich hin arbeitenden Bäuerin an einem
sonnigen Tag im Sommer, sprechen für
eine gute Ausbildung und natürlich
auch für ein großes Talent.
85
Friedrich Wilhelm Mook
(1888 - Frankfurt - 1944)
Ohne Titel (Sommerliches Gartenbeet in Gomaringen/Tübingen).
Öl auf Leinwand, recto unten rechts
mit geritzter Signatur und Datierung,
verso auf dem Keilrahmen signiert und
datiert, 1940. 72,5 : 54,5 cm.
Ausgesprochen farbintensives, sehr
pastos gemaltes Gartenstück.
Provenienz: Privatsammlung Rheinland.
Literatur: Valdivieso-Schröpfer, Edith,
Friedrich Wilhelm Mook (1899 - 1944).
Ein Frankfurter Maler. Frankfurt 2008
(Inauguraldissertation).
Bei einem Bombenangriff im März
1944, wenige Wochen nach Mooks Tod,
wurden seine Wohnung und Atelier fast
vollständig zerstört, ausgelagerte Werke gingen ebenfalls in den Kriegswirren verloren. Das erklärt, warum der
das Oeuvre des Malers heute weitgehend unbekannt ist.
Friedrich Wilhelm Mook wurde am 14.
März 1888 in Frankfurt am Main geboren. Schon als Jugendlicher besuchte er Wilhelm Trübner in dessen Atelier, was nicht ohne Einfluß auf seine
künstlerische Entwicklung blieb. Zwar
absolvierte er eine kaufmännische
Ausbildung, begann aber schließend
mit 19 Jahren 1907 mit dem Kunststudium bei Johann Heinrich Limpert an
der Städelschule in Frankfurt. Im November 1908 wechselte Mook für fünf
Monate an die Akademie in Karlsruhe.
Nach Frankfurt zurückgekehrt wandte er sich dem akademischen Ausbildungsbetrieb ab und bildete sich autodidaktisch weiter. Schon in dieser Zeit
entsteht die Ausprägung auf die Wiedergabe malerischer Werte wie Licht
und Farbe bei einfachstem Bildgegenstand. Hier stand besonders das Werk
Trübners Pate, der sich in Farben und
Bildgestaltungen so radikal von der alten Schule abgewandt hatte. Seit 1910
beteiligte sich Mook an öffentlichen
Ausstellungen in Frankfurt. Erneut
86
wird er durch den Besuch einer Trübner-Ausstellung im Frankfurter Kunstverein 1916 von dessen ausdrucksstarker Farbgebung beeinflußt. Und im
selben Jahr findet eine Ausstellung mit
seinen Arbeiten gemeinsam mit Werken Trübners, Steinhausens, Thomas,
Slevogts und Corinths im Frankfurter
Kunstsalon Schneider statt, die für
Mook ein großer Erfolg wird und seine
Etablierung im Frankfurter Kunsthandel bedeutet. In den Zwanziger Jahren
erlebt Mooks künstlerische Laufbahn
einen ersten Höhepunkt. Ausstellungen und positive Kritiken folgen nahtlos aneinander. Das setzt sich auch
zu Beginn der Dreissiger Jahre fort.
Politisch eher uninteressiert nimmt er
von 1936 bis 1943 an den jährlichen
Ausstellungen der Reichskulturkammer teil. In dieser Zeit unternimmt
er häufiger Fahrten in die Natur als
Ausstellungen zu besuchen. Aus Anlaß
seines 50. Geburtstages wurde 1938
eine große Ausstellung im Frankfurter
Kunstverein ausgerichtet. Obwohl gesundheitlich angegriffen, unternahm
er noch einige weitere Reisen, so im
Sommer ins Schwäbische.
Etwa drei Wochen vor seinem Tod
wurde der erst 56jährige wegen Herzproblemen in das Bürgerhospital nach
Frankfurt eingeliefert, wo er am 28.
Januar 1944 verstarb.
Mook in Gomaringen 1940
87
Emil Nolde
( Nolde/Nordschleswig 1867 - 1956 Seebüll)
Junge Mutter.
Holzschnitt auf Kupferdruckkarton,
mit Bleistift signiert und wohl von Ada
Nolde betitelt und bezeichnet „Ex. III.
10“, 1917. 21,2 : 15,2 cm auf 33,5 : 27
cm. Werkverzeichnis: Schiefler/Mosel
137 (nennen eine Auflage von ca. 12
Exemplaren).
Im Bereich der nichtdruckenden Fläche links neben der Hand der Mutter
leichte (druckbedingte?) Vertiefungen
im Papier, sonst prachtvoller Handdruck in tiefem, sattem Schwarz.
Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland
„Der Holzschnitt zeigt eine junge Frau
im Profil, die ihr Neugeborenes im Arm
hält. Mit einem unnatürlich gebogenen
Hals [...] betont Nolde das liebevolle Herabneigen der Mutter zu ihrem
Kind. Durch die vom schwarzen Hintergrund abgesetzte Aussparung sticht
die Figuren gruppe wie von einem grellen Licht angeleuchtet aus dem Dunkel
hervor. Das Motiv beschäftigte Nolde
kurze Zeit später ein zweites Mal: In
einem kompositorisch fast identischen
Druck verzichtet er auf modellierende Binnenformen und schneidet die
Figuren in breiten Konturen aus dem
Holz heraus. Während er für diese erste Druckgrafik den alternativen Titel
‚Junge Mutter (ländlich)‘ (Schiefler
137) notiert, versieht er die stärker
abstrahierte spätere Version mit dem
beschreibenden Zusatz ‚städtisch‘
(Schiefler 142).“ 1
1
Emil Nolde. Retrospektive. Katalog der
Ausstellung im Städel Museum Frankfurt 2014. S. 265
88
89
Emil Orlik
(Prag 1870 - 1932 Berlin)
Porträt Bella Chagall.
Pastell auf Malkarton, mit Kreide signiert, um 1923. 69 : 49 cm. An den
Kanten und an der rechten oberen
Ecke leichte Altersspuren. Verso mit
Farbproben in Pastellkreide sowie
dem Adress-Stempel von Leopold
Hess Kunstmaterialien“, Genthiner
Str. 29, Berlin (bei dem auch Slevogt
kaufte).
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein
Orlik porträtierte Marc Chagall 1923
in Berlin (veröffentlicht in „Emil
Orlik. Neue fünfundneunzig Köpfe“,
Berlin 1926), in diesem Kontext wird
auch unser Bild entstanden sein.
„Wenig bekannt ist, daß der später
weltberühmte Maler [Marc Chagall]
seine erste große Ausstellung in Berlin hatte, bei Herwarth Walden in dessen Galerie ‚Der Sturm‘. Bald danach
reiste er in seine Heimat zurück, wo er
von Weltkrieg und Oktoberrevolution
überrascht wurde und auf Vermittlung
A. Lunatscharskys für einige Jahre als
sowjetischer Kunstkommissar tätig
war, obwohl er, wie er einmal sagte,
anfangs von Karl Marx nur wußte,
daß er Jude war und einen großen
weißen Bart trug. Als die Dinge immer unerquicklicher wurden, reiste
er, wiederum durch Lunatscharschkys Hilfe, 1922 nach Berlin zurück.
Chagall bemühte sich vergeblich, die
über 100 Bilder, die Walden in seiner
Galerie lagerte, zurückzubekommen.
Chagall ging wieder nach Paris, wo
er schon 1910 gelebt hatte. Gerhard
Ulrich notierte: >Ein Blick auf dieses
noch immer knabenhelle Gesicht genügt, um die Unvereinbarkeit seiner
Welt mit jener anderen (kommunistischen) zu begreifen.<“1
Bella Rosenfeld (Witebsk 1895 - 1944
New York) war die Tochter eines wohlhabenden jüdischen Juweliers. Nach
dem Abitur studierte sie an der Moskauer Universität. 1915 heiratete sie
Chagall, 1916 wurde die Tochter Ida
geboren. Nach einem kurzen Aufenthalt in Deutschland zog die Familie
1923 nach Paris. 1941 wanderten sie
in die USA aus, wo Bella drei Jahre
später an einem viralem Infekt starb.
„Im Sommer [1922] Ankunft in Berlin mit all seinen Bildern. Seine Frau
Bella, die wegen eines gebrochenen
Arms zunächst in Moskau bleiben
mußte, und seine Tochter Ida treffen
ebenfalls in Berlin ein. Sie bleiben ein
Jahr lang und wohnen an vier verschiedenen Adressen. Mit Ausnahme
der letzten liegen alle Wohnungen
zentral, in der Umgebung des Prager
Platzes, wo viele Russen wohnen. [...]
Chagall ist in Berlin kein Unbekannter, weil er 1914 in der Galerie ‚Der
Sturm‘ 40 Gemälde und mehr als 100
Gouachen zurückgelassen hat, die
Herwarth Walden auch später noch
dort zeigte; 1918 widmete er Chagall
das ‚Sturm-Bilderbuch‘ Nr. 1. [...] Zu
seinen Freunden gehören der Schriftsteller und Zionist Chaim Bialik, die
Maler George Grosz (den er in Paris
kennengelernt hat), Karl Hofer und
Jankel Adler, David Schterenberg und
seine Frau Nedeshda (eine Freundin
Bellas) und Alexander Archipenko.“2
1
Friese, Eberhard, Buch der Freundschaft und Spiegel der Zeit: Orliks Köpfesammlung.
In: Setsuko Kuwabara, Emil Orlik, ein Porträtist des
geistigen Berlin. Berlin 1998. S. 34.
2
Compton, Susan. Marc Chagall. Mein
Leben - Mein Traum. Berlin und Paris 1922-1940.
Katalog der Ausstellung im Wilhelm-Hack-Museum
Ludwigshafen 1990. S. 261
90
Chagall mit Bella und Ida in Berlin 1923
Marc malt Bella Chagall,
Paris 1934.
91
Emil Orlik
(Prag 1870 - 1932 Berlin)
Radierungen aus der Mappe „Orlik. Die Reise nach Japan“, erschienen in 100 Exemplaren im Verlag F. Bruckmann, München 1921.
1.
Aus Port-Said. Radierung
und Aquatinta auf Bütten, mit Bleistift
signiert und nummeriert, 1921. 17,6 :
12,6 cm auf 27,3 : 21,3 cm. Blatt 3 der
Mappe.
2.
Arabisches Cafe. Radierung
und Aquatinta auf Bütten, mit Bleistift
signiert und nummeriert, 1921. 11 : 11
cm auf 27,3 : 21,3 cm. Blatt 4 der Mappe.
3.
Erinnerung an Singapore.
Radierung und Aquatinta auf Bütten,
mit Bleistift signiert und nummeriert,
1921. 16,7 : 14 cm auf 27,3 : 21,3 cm.
Blatt 6 der Mappe.
4.
Bei Hong-Kong. Radierung
und Vernis mou mit Roulette auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1921. 11 : 12 cm auf 21,3 : 27,3
cm. Blatt 7 der Mappe.
5.
Shanghai-Mädchen. Radierung und Aquatinta auf Bütten, mit
Bleistift signiert und nummeriert, a.
17,2 : 10,7 cm auf 27,3 : 21,3 cm. Blatt
8 der Mappe.
6.
Japanische Bauern. Radierung und Aquatinta auf Bütten, mit
Bleistift signiert und nummeriert,
1921. 17,7 : 12,7 cm auf 27,3 : 21,3
cm. Blatt 9 der Mappe.
7.
Im Winterkleid. Radierung
und Vernis mou mit Roulette auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1921. 9 : 7 cm auf 27,3 : 21,3cm.
Blatt 10 der Mappe.
Provenienz: Privatsammlung München
92
Orlik trat Ende 1911 zum zweimal eine
Ostasien-Reise an.
„Ende des Jahres 1911 reiste Orlik
von Genua mit dem Schiff ab, zunächst
nach Ägypten. Der dortige Aufenthalt,
der eigentlich nur eine Zwischenstation sein sollte, brachte den höchsten
künstlerischen Ertrag dieser Fahrt.
Ägypten zog Orlik sofort in seinen
Bann. [...] Ende März 1912 verließ Orlik Ägypten mit dem Schiff gen Ceylon
und reiste über Singapur nach China.
[...] Über Korea, mit einem Halt in Seoul Ende Juni 1912, fuhr Orlik weiter
nach Tokio, seinem eigentlichen Ziel,
wo er diesmal jedoch nicht lang blieb.
[...] Mit der Transibirischen Eisenbahn kehrte er über Russland zurück.
[...]Wie es Orliks übliche Praxis war,
lagen den Radierungen der Mappe
vor Ort angefertigte Zeichnungen zugrunde, so zum Beispiel beim Motiv
‚Shanghai-Mädchen‘, das zwei junge
Chinesinnen in einem Hauseingang
zeigt. Die schwarze Kreidezeichnung
ist materialbedingt in der Faktur gröber, mit der feinen Radiernadel hat
Orlik die Gesichtszüge differenzierter
ausarbeiten können.“ 1
„Jene Faszination, die Orlik als jungen Mann dazu bewegt hatte, Japan zu
bereisen, blieb freilich ein Leben lang
wach und prägte seine Gedankwelt.
So schrieb er noch 1926 im Vorwort
eines von ihm herausgegebenen Portraitbuches: >Wenn ich so alt werden
sollte wie weiland Hokusai, so möchte
ich mich so nennen wie er: GWAKYO
ROJIN, der in das Zeichnen vernarrte
Greis<.“2
1
Matthias, Agnes, Emil Orlik - Zwischen
Japan und Amerika. Katalog der Ausstellung im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg 2012/2013. S. 24 ff
2
Otto, Eugen, Hrsg., Emil Orlik. Leben und
Werk. Wien 1997. S. 32
2
1
4
3
5
6
7
93
Paul Paeschke
(1875 - Berlin - 1943)
Ohne Titel (Blick vom Potsdamer Platz in die Leipziger Straße)
Kaltnadelradierung mit Roulette und
Vernis mou auf Velin, mit Bleistift signiert, 1918. 26,5 : 34,5 cm auf 40 :
52 cm.
„Paul Paeschke ist gebürtiger Berliner. Er gehört, wie das für einen 1875
geborenen kaum zu vermeiden war,
zu den Impressionisten, und einem
Berliner Impressionisten kam es am
allerwenigsten in den Sinn, mit ‚Gemüt‘ zu schaffen. Aber ohne daß er ein
Wort darüber verliert oder es in seinen
Schöpfungen unterstreicht, spüren wir:
er liebt sein Volk, aus dem er hervorgegangen ist. [...] Paeschke hat auf der
Kunstschule in Berlin studiert und das
Zeichenlehrerexamen bestanden. Dann
ist er noch sechs Jahre lang auf die
Akademie gegangen und hat den Lehrplan mit fast pedantischer Gründlichkeit durchgemacht. Er gehört nicht zu
denen, die auf ihre Lehrer und auf ihre
Lehrzeit schelten. Er neigte, auch hierin ein richtiger Berliner, nicht dazu,
vor den Geheimnissen des Schaffens
Schauer der Ehrfurcht zu empfinden.
Ihm schien viel oder beinahe alles durch
Fleiß und Aufmerksamkeit erreichbar,
und es spricht für die ursprüngliche
Echtheit seiner Künstlerschaft, daß er
von ihr am allerwenigsten redet.[...]
Er legte das Hauptgewicht seiner Arbeit auf die Graphik und versuchte, mit
dem sparsamen und in seiner Hand so
unendlich ausdrucksvollen Mitteln von
Schwarz und Weiß das Großstadtleben
zu schildern. [...] Und dann: der Potsdamer Platz! Er hat ihn mehrfach gezeichnet und radiert, immer von oben
gesehen, vom Balkon des Café Josty
mit dem Blick über den Leipziger Platz
in die Leipziger Straße. Mit unwiderstehlicher Gewalt werden wir in das
Hasten und Jagen hineingezogen, und
wundervoll hat Paeschke den Rhythmus der Ordnung empfunden, der in
dem scheinbar regellosen Durcheinander auch damals pulsierte, als es noch
94
keinen Verkehrsturm gab. Mit solchen
graphischen Arbeiten [...] ist Paeschke
berühmt geworden. In Berlin hatte der
Künstler sich selbst gefunden. In Berlin
hatte er die ersten Erfolge erzielt.“ 1
Die Konditorei „Café Josty“ hatte
seit 1880 eine Filiale am Potsdamer
Platz, das sogenannte „Künstlercafé“, denn hier trafen sich Heinriche
Heine, Eichendorff, Fontane, Menzel
u.v.m. Erich Kästner schrieb hier seinen Roman „Emil und die Detektive“,
der auch z. T. hier spielt. Das Café zog
1930 in die Friedrich-Ebert-Straße
um.
1912 veröffentlichte Paul Boldt das Sonett „Auf der Terrasse des Café Josty:
Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentrakte: Trams auf Eisenschienen,
Automobile und den Menschenmüll.
Die Menschen rinnen über den Asphalt,
Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken
blink,
Schwimmen wie Sonnenlicht durch
dunklen Wald.
Nachtregen hüllt den Platz in eine
Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln
schlagen
Und lila Quallen liegen – bunte Öle;
Die mehren sich, zerschnitten von den
Wagen. –
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd
Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer
Pest.
1
Weiglin, Paul, Paul Paeschke. In:
Velhagen & Klasings Monatshefte. 42. Jahrgang, 3. Heft.
Berlin, November 1927. S. 257 ff
95
Paul Paeschke
(1875 - Berlin - 1943)
Ohne Titel (An der Promenade des Tegeler Sees in Berlin).
Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, um 1925. 17,6 : 23,3 auf 34,4: 47
cm. Bis auf zwei winzige Fleckchen prachtvoller und breitrandiger Abzug.
„Immerhin verdanken wir Landschaftsmalern wie dem Berliner Paul Paeschke unendlich viel Anschauliches und Hübsches
von Gegenden um Berlin, in denen meist nur als kleine bunte, in Scharen auftretende Staffagefiguren, eine Rolle spielten.
Die sportliche Betätigung der Jugend hatte nach dem Ersten Weltkrieg zugenommen, die Verkehrsmittel der Weltstadt erlaubten billigere und weitere Ausflüge in die Umgebung der Stadt. [...] Eine besondere Begabung hatte Paeschke für die Radierkunst, die er ebenso meisterlich ausübte wie die Größten seiner Zeit seit Liebermann. [...] Überall ist in seinen spontan
wirkenden, doch kompositionell durchdachten graphischen Blättern das Licht gegenwärtig.“ 1
1
96
Wirth, Irmgard, Berlin und die Mark Brandenburg. Landschaften. Gemälde und Graphiken aus drei Jahrhunderten. Hamburg 1982. S. 200f.
Paul Paeschke
(1875 - Berlin - 1943)
Ohne Titel (Berlin - Blick von der Burgstraße auf Schloß und Dom ).
Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, und bezeichnet: „Letzter Zustand II.
Druck Probedruck“ sowie „Probedruck Pae“, um 1925. 22,2 : 24 auf 33,4 : 35,2 cm. Mit leichten Atelierspuren.
Durch die graphische Umsetzung ist die Darstellung seitenverkehrt wiedergegeben.
horizontal gespiegelt
97
Paul Paeschke
(1875 - Berlin - 1943)
Ohne Titel (Ruder- und Segelboote auf der Alster in Hamburg).
Kaltnadelradierung mit Aquatinta auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, um 1925. 20,8 : 26,3 auf 31,2: 41,8 cm. Bis auf
leichte Alterspuren sehr gut erhalten.
Paeschke wird das sportliche Treiben auf dem Wasser vom Uhlenhorster Fährhaus aus beobachtet haben, das schon Max
Liebermann zu einigen Bildfindungen verhalf. „Das Uhlenhorster Fährhaus war ein beliebtes Hamburger Lokal, das im
Nordosten der großen Außenalster lag. [...] Das Restaurant wurde am 6.10.1900 eröffnet. Es war ein gastronomischer Palast, der nachts im Licht von 2000 Glühbirnen erstrahlte. Der Pachtvertrag [...] endete 1933, im Zweiten Weltkrieg wurde
das Lokal durch Bomben zerstört.“1
Max Liebermann
Abend am Uhlenhorster Fährhaus - Sommerabend an
der Alster.
Öl auf Leinwand 1910. Kunsthalle Hamburg
1
98
Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. München 1996. S. 795
Paul Paeschke
(1875 - Berlin - 1943)
Ohne Titel (Elbtunnel in Hamburg).
Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und als „letzter Zustand Probedruck“ bezeichnet, um 1925. 20,2 : 26, 7 auf 36,8: 45 cm. Prachtvoller, breitrandiger Abzug, vorzüglich erhalten.
„Vom stilistischen Standpunkt genommen ist Paeschke ein intensiver Graphiker, der sich damit befaßt, subtile atmosphärische Wirkungen in seinen Straßenbildern auszuarbeiten. Es gelingt ihm überraschend gut, die Tonwirkung gegen die
Linienwirkung abzuwägen und seine Freiheit trotz der Delikatesse des Vortrags zu wahren. Die Farbigkeit seiner Kaltnadelbehandlung ist vorzüglich, und er gehört zu jenen Künstlern, die ein besonderes Geschick in der Behandlung von
Menschenmassen entfalten.“ 1
1
Singer, Hans W., Die moderne Graphik. Leipzig 1914. S. 137
99
Paul Paeschke
(1875 - Berlin - 1943)
Ohne Titel (Schlossplatz in Dresden bei Regen).
Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und als „letzter Zustand“ bezeichnet, um 1925. 17,2 : 23, 7 auf 31,7 : 33,8 cm.
Prachtvoller, breitrandiger Abzug, bis auf einen leichten Knick in der rechten oberen Ecke und einer kleinen Ergänzung in
der linken oberen Ecke vorzüglich erhalten.
100
Paul Paeschke
(1875 - Berlin - 1943)
Ohne Titel (Im Sand spielende Kinder).
Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf gelblichem Bütten, mit Bleistift signiert und als „letzter Zustand“
bezeichnet, um 1925. 14 : 16,4 cm auf 22,5 : 24 cm.
Sehr schön erhalten.
101
Bernhard Pankok
(Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)
Ohne Titel (Frau am Bach mit herbstlichen Bäumen).
Öl auf Leinwand , unten links signiert,
1894. 43 : 36 cm. Im Originalrahmen
nach Entwurf des Künstlers (64,8 : 57
cm). Verso auf dem Keilrahmen in rot
mit Pinsel „20“ und in schwarzer Farbe mit Pinsel „Pankok 4“.
Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.
Pankok hielt sich von August bis Dezember 1894 zu Studienzwecken im
niederrheinischen Dingden bei der
befreundeten Familie Hülsmann auf,
die ihn finanziell unterstützte. Es war
seit seinem Weggang aus Münster der
erste westfälische Malaufenthalt.
Unser Bild könnte den Mumbecker
Bach zeigen, der die Mühle von Kloster Marienvrede nährte, die man im
Hintergrund erahnt. Die mit einer
Schürze bekleidete Frau steht am
Bachrand unter frühherbstlich verfärbten Laubbäumen, offensichtlich
die zwei Enten oder Gänse im Wasser
beobachtend. Typisch für Pankoks
frühe Bilder sind diese mit wenigen
Pinselstrichen gemalten Staffagefiguren.
Zum Rahmen:
Pankok strebte „eine Umrahmung
an, die in Farbe und Form zum Bild
paßte. Sie sollte die Malerei möglichst
gut zur Geltung bringen und die Verbindung zur Wand herstellen. Julius
Baum schrieb, Pankok sei über Rahmen - da er keine passenden für seine
Bilder gefunden habe - zum Kunsthandwerk gekommen (Die Stuttgarter
Kunst der Gegenwart, 1913, S. 168).
Auch wenn es in dieser Form eine Anekdote ist, zeigt sie das Wesentliche:
daß es dem Künstler um den einheitlichen Gesamteindruck ging. Ein historisierender Rahmen konnte zu seinen
Bildern nicht passen. Dazu kam bei
Pankok eine persönliche Vorliebe, etwas einzufassen, abzugrenzen gegen
außen. [...] Die frühen Rahmen Pankoks waren wie seine Möbel oft aus
Wassereiche oder Mahagoni. Nach
1900 traten auch vergoldete Rahmen
auf, entweder im ganzen geschnitzt in
amorphen Formen [...] oder mit kleinen, gefrästen Einbuchtungen.“2
Pankok nahm „eine Einladung der
Lehrerfamilie Hülsmann in Dingden
bei Bocholt an, die ihm im Herbst
gastliche Aufnahme gewährte. Die
heimatliche Landschaft und der
menschliche Kontakt ließen noch einmal in diesem Jahr eine Fülle von Arbeiten entstehen, darunter acht Landschaften mit Staffagefiguren“ 1
1
Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart
1973. S. 254
102
2
siehe Anm. 1., S. 132
103
Bernhard Pankok
(Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)
Ohne Titel (Westfälische Landschaft).
Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert und datiert, 19.10.1893. 32 : 16
cm.
Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.
Während des 1892 begonnenen Studiums in München hielt sich Pankok in
den Sommermonaten in Münster auf
und zeichnete vor der Natur.
„Die Bleistiftzeichnungen aus den
Jahren 1892/93 besitzen besonderen
Wert. Sie sind lebhaft und frisch, in
stetem Wechsel von Hell und Dunkel,
und zeigen die Lebendigkeit, mit welcher der Zeichner die Welt um sich
beobachtete. Verglichen mit Pankoks
früheren Werken und der Malerei anderer deutscher Künstler jener Zeit,
haben diese Zeichnungen als eine der
ersten Leistungen des deutschen Impressionismus zu gelten. Pankok schuf
sie nahezu unbeeinflußt und selbständig. In diesen Zeichnungen, welche in
seinem Lebenswerk seltsam isoliert
dastehen, lebt zugleich ein Gefühl
für knappe Form und Vereinfachung,
das sich im allgemeinen erst kurz
vor Kriegsausbruch in der deutschen
Kunst durchzusetzen begann.“ 1
„Fast alle Zeichnungen Pankoks
stammen aus dem Jahrzehnt zwischen
1890 und 1900. In dieser Zeit, besonders im Jahr 1893, hielt er mit dem
Bleistift Eindrücke seiner Umgebung
in kleinen impressionistischen Szenen
fest.[...] Landschaften zeichnete er in
Westfalen und auf seinen Italienreisen, zum Teil als Skizzen, zum Teil aus
Vorlagen für Druckgraphik. [...] Die
Zeichnungen leben von ihrer tonigen
malerischen Qualität. Es ist viel Atmosphäre und Tiefe in ihnen, beides
Eigenschaften, die den Stilmerkmalen
1
Büddemann, Werner, Bernard Pankok.
In: Das schöne Münster. 4. Jahrgang. 15. Mai 1932.
Heft 10, S. 138 f.
104
des Jugendstil an sich entgegengesetzt sind.“ 2
„Pankok verbrachte im Frühjahr und
Sommer 1893 ungewöhnlich viel Zeit
zeichnend und malend im Freien.
Damals entstanden seine schönsten
Bleistiftmalereien, die sich vor allem
in einem kleinen Skizzenbuch erhalten
haben. Ungemein malerische, geradezu ‚farbige‘ Blätter [...] halten [...]
landschaftliche Motive aus der Umgebung fest.“3
2
Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart
1973. S. 184
3
siehe Anm. 2, S. 253
105
Bernhard Pankok
(Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)
Ohne Titel (Eiche bei Haus Langen).
Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert und datiert, 24.9.1895. 33,6 :
25,2 cm (Blattformat).
Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.
Während des 1892 begonnenen Studiums in München hielt sich Pankok in
den Sommermonaten in Münster auf
und zeichnete vor der Natur. Er zeichnet vornehmlich in der Gegend um
Haus Langen und Westbevern.
Vorliegende Zeichnung könnte im Kontext mit der 1904 entstandenen Radierung „Die große Eiche mit Kuherde“
stehen, zu der er schon am 24.8.1895
eine Zeichnung schuf (Staatliche Graphische Sammlung München). Pankok
zeigt hier „eine Vorliebe für schlichte
Naturausschnitte, wobei er gern einzelne kräftige Bäume abbildet, von
den aufgrund ihrer eigentümlichen
Licht- und Schattengebung eine dekorative Wirkung ausgeht. Es sind
Bäume von üppiger und wegen ihres
Freistandes weit am Stamm herunterreichender Belaubung.“1 Kompositionell ist auch in unserer Zeichnung
bereits die vom oberen Bildrand abgeschnittene Baumkrone vorhanden,
ebenso der den Hintergrund bildende
Waldrand.
„Bäume scheinen allgemein ein
bevorzugtes Motiv in seiner Landschaftskunst zu sein, denn in der Malerei wie auch in der Graphik werden
sie häufig als einzelne, bildbestimmende Erscheinungen dargestellt
oder als Gruppe im Hintergrund in
seine Kompositionen einbezogen. [...]
In der Strichführung und Strichbreite
zeigt Pankok sich im Gegensatz zur
kontrastbetonten Tönung sehr variantenreich. Der Spielraum reicht von
1
Denhardt, Annette, Die Landschaft als
Thema im Werk Pankoks. In: Bernhard Pankok. Katalog
der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. S. 159
106
einem feinen, hartem Auftrag bis zu
einem weichen, malerischen Duktus,
der die Papierstruktur deutlich zum
Vorschein bringt. In sich ist die Schraffur geprägt durch Kombinationen von
horizontalen, schrägen und vertikalen Strichlagen, die zum Beispiel den
dunklen Flächen des Baumlaubwerks
eine lebhafte Binnenstruktur mit plastischer Wirkung verleihen. So kommt
Pankok durch die verschiedenartige
Handhabung des Bleistifts auch in
seinen Zeichnungen der malerischen
Ausdruckskraft seiner Ölbilder nahe
und setzt sich in der Verwendung von
Raumtiefe und Atmosphäre von den
damals in der Graphik vorherrschenden Charakteristika ab.“2
Das Landesmuseum in Münster besitzt eine am selben Tag entstandene
Zeichnung „Holzbrücke im Wiesental“ (Inv.Nr. K 22-36 KdZ 45). Zu
sehen ist ein krumm gewachsener
Baum hinter einer Holzbrücke: „Das
Motiv findet sich in Pankoks Graphik
wie Gemälden. Der hohe graphische
Reiz dieses Blattes beruht in der nur
sparsam angedeuteten Landschaft, in
die in bizarren Gekräusel ein großer
Baum gesetzt ist, der friesartig von
den kugeligen Bäumen am Horizont
gerahmt ist.“ 3
2
Denhardt, Annette, Die Landschaft als
Thema im Werk Pankoks. In: Bernhard Pankok. Katalog
der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. S. 153 f.
3
Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. S.
317
107
Bernhard Pankok
(Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)
Ohne Titel (Beverlandschaft mit Kühen).
Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert und datiert, 10.9.1895. 30,3 :
24,7 cm (Blattformat).
Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.
der Hitze barg, im Bilde festzuhalten, oder auch einen kleinen Fluß zu
skizzieren, der fast im Lauf der Jahrhunderte ein tiefes Bett mit breiten
gebüschbestandenen Böschungen in
ihnen gegraben hatte.“ 1
Ausstellungen: Bernhard Pankok.
Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986.
Katalog-Nummer 141 (mit Abbildung): „In lockerem freien Duktus
zeigt das bemerkenswerte Blatt Pankoks Vorliebe für die Auflösung der
Landschaft in ‚Bildmuster‘. Hier ist
der kugelig-krause große Baum effektvoll neben die glatten, schrägen
Strichlagen des Bodens gesetzt.“
Mit gezeichneter Remarque eines
kleinen Hundes.
„Nimmt man dazu als Wahrzeichen
des Landes die üppigen, scheinbar
dem eigenen Wildwuchs überlassenen
Wallhecken, die die sorgsam bebauten
Äcker voneinander trennen wie die
Sonn- und Feiertage die Arbeitswochen, und achtet schließlich noch auf
die schilfigen ‚Kolke‘ an den Wassermühlen, auf deren tiefem Grund der
Kinderschreck der ‚Bömann‘ lauert,
so hat man einige der Eindrücke beisammen, die die unverwechselbare
Eigenheit dieses Landstrichs ausmachen. Hierhin zog es den Maler, wenn
der Sommer kam, solange er noch
ledig und damit besonders beweglich
war, immer wieder mit Gewalt. Er
lebte dann wohl in ‚Haus Langen‘,
nicht weit von Westbevern, wo er
die typisch westfälische Landschaft
genoß und mit seinem Freunde Coppenrath den ganzen Tag, ein frugales
Mahl in der Tasche, mit Leinwand,
Pinsel und Farben herumstreifte, um
die mit schweren Ästen über die Weiden wuchtenden Eichen, in deren fast
schwarzem Schatten sich das Vieh vor
108
1
Schücking, Levin Ludwig, Erinnerungen
an Bernhard Pankok. In: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde. 52. Band, Heft 1-4. Münster
1974. S. 105
109
Bernhard Pankok
(Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)
Ohne Titel (Westfälische Landschaft mit Bauernhöfen).
Kohlezeichnung auf Bütten, mit Kohle monogrammiert und datiert, 1898.
32,5 : 36,5 cm (Blattformat).
Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.
„Die Mehrzahl von Pankoks Zeichnungen entstand während seiner Studien Anfang der 90er Jahre und seiner
Jugendstilzeit. Besonderes künstlerisches Gewicht besitzt die kleine Gruppe impressionistischer Skizzenbücher
und die Reihe schöner westfälischer
Landschaftszeichnungen dekorativen
Charakters. Aus der Zeit um und nach
1900 haben sich nur wenige Blätter
erhalten, Pankok zeichnet seltener,
will man die spätimpressionistischen,
Slevogt ähnelnden, spritzigen Federlithos der 20er und 30er Jahre nicht
dazurechnen.“ 1
Nach Pankoks Übersiedlung nach
Stuttgart 1902 kam er nur noch selten
ins Münsterland und fand wohl auch
keine Zeit mehr zu zeichnen.
1
Thamer, Jutta, Natur und Phantasie.
Das graphische Werk Bernhard Pankoks. In: Bernhard
Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen
Landesmuseum Münster 1986. S. 178
110
111
Bernhard Pankok
(Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)
Ohne Titel (Italienische Landschaft).
Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert, wohl April 1900. 28,8 : 39,8 cm.
Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.
Mittig ehemals gefalzt.
Ausstellungen: Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. Katalognummer 147 (mit Abbildung): „Das Blatt zeigt eine Landschaft am Gardasee und entstand während Pankoks Reise nach Italien
1900. Es ist die Vorzeichnung für die Landschaft in der Radierung ‚Vagabunden‘.“
112
Bernhard Pankok
(Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)
Ohne Titel (Landschaft am Gardasee).
Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert und datiert, April 1900. 19 : 27,5 cm.
Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.
Ab 1898 zeichnete Pankok fast ausschließlich während seiner Italienreisen.
113
Bernhard Pankok
(Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)
Haus Langen, Mühle.
Aquatintaradierung mit vernis mou auf Bütten, mit Bleistift signiert und als „2. Zustand“ bezeichnet, ebenfalls vom Drucker
Wetteroth, München signiert, in der Platte signiert und datiert, 1902. 20,6 : 14 cm.
Im orginal Nussbaum-Rahmen des Künstlers (bis auf eine kleine Beschädigung perfekt erhalten).
Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.
„Die Wassermühle, die von dem Volumen des Baumes überlagert wird, ist [...] in eine stimmungsvolle Landschaftsdarstellung eingebunden. Die [...] dämmerige Stimmung wird zum einen durch denbeigen Plattenton erreicht, zum anderen durch
die Flächenkontraste zwischen den dunkleren Bäumen, dem düsteren Himmel und den wie ein heller Fleck hervortretenden
Gebäuden. Durch das abwechslungsreiche, rhythmische Lichtspiel wird zugleich die Tiefenräumlichkeit betont. Dem dunklen Baum und der grauen Wiese folgen die hellen Gebäude, hinterfangen wiederum von dunklen Baumwipfeln, aus denen
deutlich das hellere Dach des Hauses Langen hervorragt. Von der Technik her zeigt Pankok in diesem Blatt sehr deutlich
sein Interesse an der Verschmelzung verschiedener graphischer Verfahren. Die Wiesen und das in ähnlicher Tonigkeit
erscheinende Dach des Hauses Langen sind in Weichgrundätzung ausgeführt, wobei die graue Untergrundfläche ihre Belebung durch die schwärzlichen Punkte und Liniengebilde erhält. Der dunkle Baum am rechten Bildrand und die Hintergrundbäume hingegen wurden in Aquatintamanier geätzt, unter zusätzlicher Verwendung von Schabeisen und Roulette. Die
hellen Mühlengebäude sind in normaler Radiertechnik angelegt.“ 1
1
114
Bernhard Pankok - Münster und das Münsterland. Katalog der Ausstellung im Stadtmuseum Münster 1987. S. 70
Bernhard Pankok
(Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)
Weide (Kühe) am Wasser.
Kaltnadelradierung mit Roulette auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, in der Platte signiert, um 1920. 13,8 :
20,6 cm.
3. von 100 Exemplaren.
Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.
Das Landesmuseum Münster besitzt einen Zustandsdruck des Blattes (Inv.-Nr. K 16-14): „Eines der späteren Blätter der
westfälischen Landschaft in freierem Duktus.“ (Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. S. 333)
115
Max Pechstein
(Zwickau 1881 - 1955 Berlin)
Der Tanz (Tanzende und Badende am Waldsee) (recto) - Mutter mit Kind (verso)
Recto: Handaquarellierte Lithographie (kein Schablonenkolorit) auf
festem Papier, mit Bleistift signiert,
datiert und bezeichnet „54“, 1912. 54
: 40 cm (Blattgröße).
Werkverzeichnis: Krüger L 149.
Eines von ca. 100 nummerierten Exemplaren für die VII. Jahresmappe
der Brücke, 1912.
Bis auf kleinere Altersspuren sehr
schön und farbfrisch erhalten. Im
Gegensatz zu anderen uns bekannten
Exemplaren sehr fein ausgeführtes
Aquarell.
Die graphischen Beiträge für die Jahresmappen der Brücke gelten als Höhepunkte der deutschen Druckgraphik
des Expressionismus!
Verso: Tuschfeder- und pinselzeichnung, mit Bleistift monogrammiert
und datiert, 1919.
Bei einigen Exemplaren der Graphik
hat Pechstein später auf der Rückseite
gezeichnet.
Provenienz: Privatsammlung Pfalz
Zur Lithographie:
„Seit 1906 verteilte die >Brücke<
jährlich eine Mappe mit Originalgraphiken an ihre passiven Mitglieder. Die Jahresmappe 1912, deren
Umschlag von Otto Mueller gestaltet
wurde, enthielt einen Holzschnitt ‚Fischerkop‘, eine Radierung ‚Russisches
Ballett‘ und die vorliegende handkolorierte Lithographie. Da jedoch
Pechstein wegen interner Differenzen
1912 aus der ‚Brücke‘ ausschied, kam
die Mappe nicht mehr zur Verteilung.
In der vorliegenden Darstellung
kommt Pechsteins dekoratives Talent
zum Ausdruck. [...] Die Komposition
ist ganz in der Fläche angelegt, das
116
heißt Vorder- und Hintergrund werden übereinander gestaffelt. Rhythmus und Bewegung dominieren in der
Darstellung. Ihren besonderen Reiz
erhält die Lithographie durch die von
Hand aufgetragene Farbigkeit: ein
kräftiges Grün und ein zartes Blau.
Das Blatt ist neben der Anspielung
auf Pechsteins Phase französischen
Einflusses auch eine Reminiszenz an
die gemeinsamen Sommeraufenthalte
mit Kirchner und Heckel an den Moritzburger Teichen.“ 1
Zur Zeichnung:
„Der Mensch in der Natur ist auch
das Thema der Lithographie >Tanzende um den Waldteich<. Mit expressiver Gestik umrunden die Tanzenden dynamisch den Teich. Im
Zentrum stehen dabei ihre Energie
und Bewegung. Die Darstellung wirkt
dekorativer und spielerischer als der
von monumentaler Schwere geprägte
Holzschnitt >Kähne< aus dem gleichen Jahr. Die flächige Komposition
und die Ornamentik der tanzenden
Körper scheinen darüber hinaus an
die Malerei von Henri Matisse anzuknüpfen, dessen Arbeiten 1908 im
Kunstsalon der Fauvisten in Dresden
und im Jahr darauf in Berlin ausgestellt worden waren. 1909 malte Matisse sein berühmtes Gemälde ‚Der
Tanz‘ (Museum of Modern Art, New
York), dessen Komposition mit kreisförmig Tanzenden Pechstein als Vorbild diente.“ 2
„Es gelang ihm, den besonderen
Charakter einer Landschaft zu inszenieren, ihre Vegetation und Licht und
Dunkel in eine eigene Dynamik zu
versetzen. Aus fahrig angelegten Linien entstehen Räume und Landschaften, Figuren. Betonte Details lassen
ein räumliches Umfeld ahnen: glatte,
großzügig gezogene Liniensysteme
mindern die Kargheit, ja Härte anderer Zeichen und Kürzel. Gerade in der
Zeichnung und Druckgraphik findet
er wiederum adäquate Medien. Ob
es der kantig-kraftvolle Rohrfederstrich oder die flüchtig-heftige Geste
des Tuschpinsels ist - Zagen und Zögern erlauben beide Techniken, die
er souverän beherrschte, nicht. [...]
Diese mit einem spröden Pinsel die
wesentlichen Konturen lapidar umreißenden und sicher lavierten Blätter
bilden einen Gipfelpunkt des zeichnerischen Werkes. Das Gegenständliche
ist gleichsam in den Urformen erfaßt
und die Bewegungen und Gebärden
der Dargestellten sind so untrüglich
bestimmt, daß die Frage nach stilistischen Merkmalen gar nicht auftaucht.
Hier ist die stärkste Aussage mit den
geringsten Mitteln erzielt und die erstrebte Identität von Kunst und Leben
tatsächlich erreicht worden.“ 3
1
Moeller, Magdalena M., Brücke-Museum
Berlin. Die Sammlung. München 2010. Nr. 249
2
Hans, Henrike, Fremde Schönheit.
August Macke und die Künstler der Brücke auf Reisen.
Kunsthalle Bremen - Der Kunstverein in Bremen. Kataloge des Kupferstichkabinetts 4. Bremen 2014. S. 40
Das Mutter-Kind-Motiv bei Pechstein
nimmt häufig seine Frau Lotte und
den 1913 geborenen Sohn Frank als
Vorbild. Für die Südseereise 1914
hatte man eine zweijährige Trennung
vom Sohn in Kauf genommen.
Die nach der Südseereise entstandenen Zeichnungen gelten als ein weiterer Höhepunkt in Pechsteins Schaffen.
3
1989. S. 22
Schilling, Jürgen, Max Pechstein. Bönen
117
Max Pechstein
(Zwickau1881 - 1955 Berlin)
Am Ufer.
Kaltnadelradierung mit Riffelfeile
und Pinselätzung auf , mit Bleistift
signiert, 1920. 20,5 : 26,5 cm auf 31
: 41 cm.
Werkverzeichnis: Krüger R 116. Aus
der Auflage von insgesamt 125 Exemplaren für die Mappe „Die Schaffenden“, 3. Jahrgang, 1. Mappe.
Provenienz: Privatsammlung Pfalz
„Wie an Pechsteins Aktdarstellungen
der Jahre 1906 bis 1920 ersichtlich
wird, suchte er die unmittelbare Erfassung des Aktes und die ästhetische
Bildreflexion mit einer umfassenden
Befragung der Bildtradition zu vereinbaren. Über das Zeichnen des
ruhenden sowie des bewegten Aktes
gelangte er schließlich zur Darstellung der Badenden im Freien. Aus der
Erfassung der Akte sprach stets sein
persönliches Empfindungserlebnis.
Die Formwerdung des inneren Erleb-
nisses war verbunden mit der Suche
nach einer neuen Ästhetik.“ 1
1
Buschhoff-Leineweber, Studien zum graphischen Werk von Max Pechstein (1905-1921). Bremen
2004. S. 90
Max Pechstein
(Zwickau1881 - 1955 Berlin)
Nach dem Bad.
Kaltnadelradierung auf Bütten, mit
Bleistift signiert, 1920. 26,5 : 21,8
cm auf 42 : 31 cm.
Aus der 1. Mappe des IV. Jahrgangs
der „Schaffenden“ 1922/23, mit dem
Blindstempel der „Schaffenden“.
Eins von 100 Exemplaren (Gesamtauflage 125).
Werkverzeichnis: Krüger R 118. Söhn
HDO 72709-8.
In der rechten unteren Ecke sehr leicht
knittrig.
Provenienz: Privatsammlung Pfalz
„Gustave Courbet griff auf die Natürlichkeit des weiblichen Körpers
zurück und stellte eine korpulente
Nackte in den Wald, Edgar Degas befreite sich ebenfalls von Mythologie
und Akademielehre und machte das
Studium des unbekleideten Körpers
im Interieur zum Dauerthema, Paul
Cézanne stellte unzählige Akte in die
freie Natur - um sich mit einer künstlerischen Fantasie neue malerischformale Wege zu ebnen. Die ‚Brücke‘Maler setzten solche künstlerischen
Errungenschaften nach der Jahrhundertwende fort, indem sie in die Natur gingen, um während des Badevorgangs eigene Modelle zu erleben und
Körper in ungezwungener Bewegung
zu studieren. Während Badende in der
traditionellen Malerei häufig erotische Arrangements zu krönen hatten,
dienten sie bei den Expressionisten
[...] primär einer Umsetzung erotisch
vitaler Energien. Bei den ‚Brücke‘Künstlern diente das Bildmotiv nicht
mehr als Vorwand, sondern als Ausdruck eines Lebensgefühls, als bewusstes Ergebnis direkten künstlerischen Vorgehens in der Natur. Die
mythologische Schaumgeburt der Venus scheint sich bei ihnen erstmals an
geographisch lokalisierbaren Stränden zu bewahrheiten.“1
1
Peterlein, Nicole, Ursprünge und Traditionen des Badenden-Sujets. In: Die Badenden. Mensch
und Natur im Expressionismus. Katalog der Ausstellung
in der Kunsthalle Bielefeld 2000. S. 89
118
119
Max Pechstein
(Zwickau1881 - 1955 Berlin)
Ein Friese.
Kaltnadelradierung auf Bütten, mit
Bleistift signiert und datiert, 1923.
24,5 : 17,8 cm auf 33,4 : 24,7 cm.
Werkverzeichnis: Krüger R 133
(1922).
Eins von 100 Exemplaren auf Bütten
(dazu 10 auf Japan) für die Mappe
„Acht Original-Radierungen“, erschienen 1923 im Propyläen-Verlag,
Berlin.
Bis auf sehr leichten Lichtrand durch
das ehemalige Passepartout hervorragend erhaltener, differenzierter Abzug
mit sehr samtigem Grat.
mit seinem seltsam leeren, nach innen
gerichteten Blick fesselt und verstört.
El Greco reagierte mit dieser Art der
Darstellung sensibel auf die Taubheit
seines Freundes. Junge Expressionisten aber entdeckten in diesen Qualitäten ein ‚Seelenbildnis‘ [...]. Mit der
Vernachlässigung von Äußerlichkeiten zugunsten der Konzentration auf
das verborgene Wesen des Menschen
öffnete sich hier im Blick der beginnenden Moderne das Porträt als Visualisierung psychologischer Befindlichkeiten [...].“1
Trotz der Auflagenhöhe nicht häufig!
Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland
Ein betagtes Gesicht vor einem irrealen Hintergrund und ein melancholischer Blick erinnern an Bilder El Grecos, wie das Bildnis des Antonio de
Covarrubias, das Pechstein bei seiner
Parisreise 1907/08 im Louvre gesehen haben könnte, einem Zeitpunkt,
in dem die deutsche Kunstgeschichte
Cézanne als den unmittelbaren Nachfolger El Grecos entdeckt.
„Das Brustbild des Covarrubias erscheint vor leerem, rötlich-braunem
Grund. Der Körper ist stilisiert zu
einer sockelartigen Hülse, aus der
der helle Kopf herauswächst, eingebettet in den weiß leuchtenden Kragen. Stärker noch als die verhärtende Entkörperlichung befremdet das
schmale Gesicht mit seinen Asymmetrien. Der Mund ist leicht aus der
Mitte verschoben, ein Auge geöffnet,
das andere verschwindet hinter dem
hängenden Lid. Markante Nase und
alterschmale Lippen unter einem fein
gestutzten Bart vervollständigen das
hagere Gesicht des alten Herren, der
120
1
Schroeder, Veronika, El Greco im Blick
junger Expressionisten. In: Wismer, Beat und Michael
Scholz-Hänsel, Hrsg., El Greco und die Moderne. Katalog der Ausstellung im Museum Kunstpalast Düsseldorf
2012. S. 238 f.
El Greco
Bildnis des Antonio de Covarrubias
Öl auf Leinwand um 1600
Musée du Louvre, Paris
121
Georg Karl Pfahler
(1926 - Emetzheim, heute Weißenburg/Bayern - 2002)
Ohne Titel (Blau-Rot-Komposition; Farbform).
Gouache auf Papier, signiert und datiert, 1962.
51 : 64,5 cm.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen
„Die Kunst Georg Karl Pfahlers vergegenwärtig elementare Eigenschaften unserer Wahrnehmung und ist
ohne jede figürliche Abbildung der
Realität ganz nahe: Es geht um die
Räumlichkeit der Farbe. Um 1960
entwickelte sich Pfahler weg vom Informel und fand über seine >formativen< Bilder, die mit ihren schweren,
sich ausbreitenden Schwarzformen
auf den Einfluss Willi Baumeisters und
seiner Montaru-Serie zurückgehen,
zur Hardedge, einer Farbfeldmalerei
von klar umrissenen Formflächen.
Den Strukturen Baumeister gegenüber wirken die Farbformen Pfahlers
jedoch von vornherein räumlicher:
Seriell - auch hier war Baumeister
durchaus vorbildhaft - und in für die
deutsche Nachkriegsmalerei ungewöhnlich großen Formaten erforschte
Pfahler die plastische Kraft der Farbe, die der Form immer übergeordnet
bleibt..“1
1
Land auf, Land ab. Karlsruhe und Stuttgart im Kaleidoskop der Sammlung Würth. Katalog der
Ausstellung in der Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall
2004. S. 172
122
123
Pablo Picasso
(Málaga 1881 - 1973 Mougins)
Trois nus debout, avec esquisses de visages (Drei stehende Akte, mit Kopfstudien).
Kaltnadelradierung auf Japanpapier,
mit rotem Buntstift signiert, 1927.
19,5 : 28 cm auf 25 : 33 cm.
Werkverzeichisse: Baer 131 c. Bloch
90.
genes Licht und imitiert es nicht< (Picasso im Gespräch mit Daniel Henry
Kahnweiler am 2.10.1933).“1
Eins von 65 Exemplaren auf diesem
Papier, von denen etwa 12 zu einem
späteren Zeitpunkt signiert wurden,
da sie für eine Suite auf Japanpapier
vorgesehen waren, die jedoch nicht
realisiert wurde.
Abzug von der verstählten und facettierten Platte neben der 1931 erschienenen Sonderedition von 13 Blättern
aus „Le chef-d‘oeuvre inconnu“ von
Balzac (Blatt IX), die in 99 + 8 Exemplaren gedruckt wurde (dazu noch
6 Probeabzüge). Das eigentliche Buch
wurde in 340 Exemplaren auf unterschiedlichen Papieren gedruckt.
Provenienz: Privatsammlung Rheinland.
„Bei der Stilisierung des (weiblichen)
Körpers zur Schönheit einer Figur
folgte Picasso insbesondere dem Beispiel von Jean-Auguste-Dominique
Ingres und seinem ‚Türkischen Bad‘,
einem Bild, das Schönheit bereits im
Plural, in der Vielfalt ihrer möglichen
Erscheinungsformen präsentiert. [...]
Picasso näherte sich einer Tradition
[...] nur versuchsweise an, ohne sich
von ihr vereinnahmen lassen zu wollen. Er betonte die Virtuosität seiner
zeichnenden Hand, die im kontrollierten Duktus eine Autonomie der Linie
erlangt. Den klassizistischen Umrißzeichnungen John Flaxmans ähnlich,
beansprucht auch Picassos Linienführung einen künstlerischen Eigenwert:
>Nur die Linienzeichnung vermeidet
es, imitativ zu sein [...] sie hat ihr ei-
124
Jean-Auguste-Dominique Ingres, Das türkische Bad. Öl auf Leinwand 1863. Musée du Louvre, Paris
1
Dickel, Hans, Pablo Picassos >Suite
Vollard< und die Kunst des Klassizismus. In: Mildenberg, Hermann, Hans Dickel und Uwe Fleckner,
Arkadische Welten. Pablo Picasso und die Kunst des
Klassizismus. Katalog der Ausstellung im Schloßmuseum Weimar 2003. S. 20 f.
125
Pablo Picasso
(Málaga 1880 - 1973 Mougins)
Paris 14. juillet 1942 (L‘homme au mouton) / Paris 14. Juli 1942 (Mann mit dem Schaf).
Lithographie von der Zinkplatte, Umdruck einer Radierung auf Zink, gedruckt auf Vélin d‘arches (mit Wasserzeichen), in der Platte betitelt „Paris
14 juillet 42“ um 1945. 45 : 64 cm auf
50,5 : 66 cm.
Auflage: Von der Radierung gibt es
fünf Zustände, von der Lithographie
diesen Einen. Keine Auflage, kein signiertes Exemplar; Die Radierungen
wie die Lithographie in sehr kleiner
Zahl gedruckt.
Werkverzeichnisse: Nicht bei Bloch,
nicht bei Mourlot; Baer 682 V + Note
(kennt 2, vermutet 3 Abzüge), Rau 30
A; Reusse 33.
Von prächtiger Erhaltung!
Provenienz: Privatsammlung Westfalen
Diese bedeutende und technisch anspruchsvolle Graphik ist gleichsam
ein politisches Programmbild. Am
französischen Nationalfeiertag, der
1942 nicht gefeiert werden durfte, entstanden, stehen die Dargestellten für
den Frieden und die Freiheit. Hierbei
ließ sich Picasso von Reliefs der „Ara
Pacis Augustae“ - eines Tempels zu
Ehren der durch Augustus gesicherten
Friedenszeit zwischen 13 und 9 v. Chr.
in Rom inspirieren. 1
Picasso schuf diese Graphik, während
er unter Ausstellungsverbot stand,
Widerstandskämpfern der Résistance
half, Repressalien durch die Gestapo
fürchten mußte und von Frankreich
aus die Deportationen nach Auschwitz
begannen. „>Was, wenn sie mein Atelier in Brand stecken?<, fragte Picasso
in großer Sorge angesichts derartiger
1
Eine ausführliche Interpretation stammt
von Bühler, Andreas, Picassos Lithographie Paris 14. Juli
1942 und die Ara pacis Augustae. In: Hachmeister, Heiner, Hrsg., Pablo Picasso, Paraphrasen und Variationen.
Seltene Graphik. Münster 2004.
126
Geschehnisse, den mit ihm befreundeten Photographen Brassai. Die Angriffe, denen sich Picasso schon vor dem
Krieg ausgesetzt sah, steigerten sich
in den Kriegsjahren immer mehr. Im
Zuge dessen wurde sein künstlerisches
Werk immer häufiger in eine direkte
Verbindung zum Judentum gerückt.
Noch bis in die letzten Tage der deutschen Besatzung hieß es:>Picasso,
das ist der jüdische Wahnsinn.< [...]
Die bestehende Gefahr, ins Räderwerk
der anlaufenden >Endlösung der Judenfrage< zu geraten, steigerte sich
für Picasso noch zusätzlich, als es der
Besatzungsmacht nicht länger verborgen blieb, dass er enge Verbindungen
zur Résistance unterhielt und dabei
selbst den Widerstand aktiv unterstützte. Aufgrund derartiger Umstände geschah es, dass Picasso intensiv von der
Besatzungsmacht überwacht wurde: In
regelmäßigen Abständen wurden seine
Wohnung und sein Atelier durchsucht.
Die dabei gewonnenen Erkenntnisse
gingen in die von der Gestapo fortgeführte Akte über Picasso ein. Außerdem wurden Spitzel auf ihn und seine
Umgebung angesetzt, wobei Picasso
konkret fürchtete, dass man ihm belastende Dokumente unterschieben könnte, welche die Gestapo bei ihrer nächsten Durchsuchung als Beweismaterial
verwenden könnte.“2
Zur Entstehungsgeschichte schreibt
Bühler: „Sie basiert auf einem PositivAbzug der gleichnamigen Radierung,
von der auch nur einige Probeabzüge
existieren. Picasso hatte seinen Lithographen Fernand Mourlot (in dessen
Werkstatt er einen eigenen Arbeitsraum
hatte) beauftragt, einen Umdruck auf
lithographischen Zink zu machen, weil
er an dem Sujet als Lithographie weiterarbeiten wollte und die Radierplatte
selbst sich nicht mehr zur Weiterarbeit
eignete. Er verfolgte jedoch das Pro2
Klepsch, Michael Carlo, Picasso und der
Nationalsozialismus. Düsseldorf 2007. S. 175 f.
jekt nicht weiter, nachdem etwa drei
bis fünf Abzüge der Lithographie gemacht wurden.“3
Das Blatt besticht durch seine klaren
Linien und dem gekonnten Einsatz
derselben, um Kontraste zu schaffen. Vergleicht man die unterschiedlichen Zustände so gewinnt die reine
Zeichnung immer mehr an Bedeutung
und alle ablenkenden Faktoren werden eliminiert, so dass das vorliegende
Blatt zu den beeindruckendsten dieser
Folge gehört.
Françoise Gilot schrieb 1964 über
dieses Blatt: „Ich sah den >Mann
mit dem Schaf< erstmals als Gipsabguß der ursprünglichen Tonfigur. Bei
einem meiner ersten Besuche in der
Rue des Grands-Augustins hatte Pablo mir erzählt, daß die Idee dazu
schon seit langem in ihm gearbeitet
habe. Er zeigte mir Skizzen und auch
die Radierung eines Frieses, einer
Familie, die sich um den Mann, der
ein Schaf trug, gruppierte. >Wenn ich
eine solche Folge von Zeichnungen
mache<, erklärte Pablo, >weiß ich
nicht, ob es nur bei den Zeichnungen
bleibt oder ob eine Radierung oder Lithographie daraus entsteht oder sogar
eine Skulptur. Aber als ich schließlich
diese Figur des Mannes mit dem Schaf
in der Mitte des Frieses isoliert hatte, sah ich ihn im Relief und dann im
Raum, als Skulptur.<“4
Die Bronze „Mann mit Schaf“ wurde
1950 auf dem Marktplatz von Vallauris aufgestellt.
3
Bühler, Andreas, Picassos Lithographie
Paris 14. Juli 1942 und die Ara pacis Augustae. In:
Hachmeister, Heiner, Hrsg., Pablo Picasso, Paraphrasen
und Variationen. Seltene Graphik. Münster 2004. S. 11
4
Gilot, Françoise, Carlton Lake, Leben mit
Picasso. Zürich, Diogenes, 1980. S. 262.
127
Pablo Picasso
(Málaga 1880 - 1973 Mougins)
Le départ / Der Aufbruch.
Folge von 6 Zustandsdrucken.
Zustand I: Lavierte Pinsellithographie mit
Feder und Schaber in SCHWARZ von der
Zinkplatte auf Vélin d‘arches (mit Wasserzeichen), in der Platte seitenverkehrt
datiert, 12.3.1951. 34,7 : 43,8 cm auf 38
: 56,5 cm. Auflage: 5 Abzüge in ROT für
den Künstler (bisher ist nur 1 Abzug in
Schwarz bekannt gewesen: Reuße 566)
Zustand III: Lavierte Feder- und Pinsellithographie von der Zinkplatte auf BFKRives-Vélin, in der Platte seitenverkehrt
datiert, 25.4.1951. 35,5 : 43,5 cm auf 45,2
: 56 cm. Mit Bleistift vers beschriftet: „2e
état“ „page 54“, recto: „G même réduction
que F. Les épreuves sont en répérage“.
Nicht bei Bloch; Mourlot 201 (mit falschem Datum); Rau 526; Reuße 571 (hier
als 6. Zustand).
Diese Fassung entstand auf einer neuen
Zinkplatte, auf die ein Abzug von der am
12. März angefertigten Platte übertragen
wurde. Abzug außerhalb der Auflage von
5 Künstlerexemplaren.
Zustand V: 2 Farben: Schwarz und Ocker:
Schaber und Sandpapier auf eingeschwärztem Stein mit Tonplatte auf BFK-RivesVélin (mit Wasserzeichen), außerhalb (?)
des Steins seitenverkehrt datiert, 1. Mai
1951. 35,2 : 44,3 cm auf45 : 55,7 cm.
Abzug außerhalb der Auflage von 5 Künstlerexemplaren. Vgl. Bloch 686; vgl. Mourlot 201; vgl. Rau 530 : „Ein Negativ-Abzug
(Umkehrung von Schwarz und Weiß) oder
ein Abzug in weiß wurde von der Zinkplatte der Fassung [Zustand 1] vorgenommen
und auf einen mit Tusche bedeckten neuen
Stein abgeklatscht. Die aus dem schwarzen Grund herausgeschabte Zeichnung erscheint im Druck weiß“; Reuße 578 [hier
13. Zustand]: „einziger bislang bekannter
Druck in dieser Farbigkeit“.
Zustand VII: 3 Farben: Schwarz, Ocker,
Gelb: Schaber, Sandpapier mit eingescwärztem Stein auf sehr weißem BFK-Rives-Vélin, außerhalb (?) des Steins seitenverkehrt datiert, 1. Mai 1951. 35,2 : 44,2
cm auf 44,8 : 55,7 cm. Abzug außerhalb
der Auflage von 5 Künstlerexemplaren.
Vgl. Bloch 686 (datiert 1-29. Mai 1951;
gedruckt in ocker und schwarz); Vgl.
Mourlot 201 („Abgezogen durch Druck
128
der Zinkplatte vom 12. März in dunklem
Ocker und des Steins vom 21. Mai in
schwarz auf ockerfarbenem Grund“); vgl.
Rau 532 (datiert auf 21.5.1951. „Schwarz:
unveränderte Platte von 531; Braun: unveränderte Platte von 524; Ocker. Tonplatte (Stein)“; vgl. Reuße 581 [hier: 16.
Zustand] (datiert in der Darstellung unten
links: 27.5.1951). Abzug außerhalb der
Auflage von 5 Künstleremxemplaren.
Zustand IX: lavierte Feder- und Pinsellithographie von der Zinkplatte auf Vélin
d‘Arches (mit Wasserzeichen), in der Platte seitenverkehrt datiert, 20. 5. 1951. 45,4
: 55,8 cm auf 50 : 65,2 cm. Bloch 686;
Mourlot 201; Rau 533 („Wie Picasso auf
eine neue Platte zeichnete, so erweiterte
er das Motiv um Gestalten am linken und
rechten Rand der Komposition“; Reuße
582 [hier 17. Zustand].
Zustand X (endgültiger Zustand): Abzug in
vier Farben von 4 Platten auf ockerfarbenem Vélin d‘Arches (mit Wasserzeichen).
45 : 55,8 cm auf 54 : 64,8 cm. Am oberen
Rand kleiner Wasserrand, etwas gebräunt.
die Hände nach ihm aus. Links und rechts
sind drei Figuren angebracht: eine Frau,
vermutlich eine Gesellschafterin, mit offenem Buch; ein tonsurierter Mönch und ein
sitzender Junge. Am 20. Mai 1951 hatte
Picasso die Platte für das Schwarz zum
zweitenmal völlig neu gezeichnet, diesmal
auf größerem Format, so daß die drei erwähnten Randfiguren noch untergebracht
werden konnten, außerhalb des Drucks
von der Platte mit dem Rot. Picassos Darstellungen von Rittern und Pagen können
mit entsprechenden Holzschnitten von Lukas Cranach d. Ä. in Verbindung gebracht
werden, auf denen Turniere zu sehen sind.
Picasso muß diese Blätter aufgrund seiner
intensiven Auseinandersetzung mit dem
Werk Cranachs gekannt haben. Vergleichbar ist die Wiedergabe von Ritter, Pferd
und Pagen, hier wie dort findet sich die
gleiche ornamentale, kostbare Gestaltung
von Rüstung und Waffen. Abgesehen von
den formalen Anlehnungen hat Picasso
auch etwas von der Stimmung der Bilder
Cranachs in seine Darstellungen übertragen“ 1
Provenienz: Collection Mourlot (sämtlich
recto mit dem Sammlungsstempel) (bis auf
X); Privatsammlung Westfalen.
„1950/51 erschien in einer Pariser Tageszeitung ein Comicstrip, in dessen Mittelpunkt Ivanhoe stand, die Figur aus Walter
Scotts gleichnamigen, 1819 geschriebenen
Roman. Hierdurch inspiriert schuf Picasso zahlreiche Zeichnungen von Rittern
und Pagen. Im Januar und Februar 1951
entstanden drei Lithographien ,Der kleine Ritter‘ (M 198) und ,Der Ritter und der
Page‘ (M 200) sowie auch ein Gemälde
mit dem Titel ,Pagenspiele‘. In Anlehnung
an das Gemälde begann Picasso am 12.
März 1951 mit der Lithographie ,Der Aufbruch‘, die er in zehn Zuständen verschiedener Farbe variieren sollte. Die Arbeit
erfolgte mit Pinsel, Feder und Schaber
auf Zinkplatten und auf Stein. Dargestellt
ist wohl der Moment, in dem Ivanhoe zum
Kreuzzug aufbricht. Der Ritter trägt eine
kostbare, ornamentale Rüstung, in der
Hand hat er das Schild: sein Pferd ist reich
gepanzert; hinter ihm sein Knappe mit der
Lanze. Rowena, die Ivanhoe liebt, läßt ihn
nur ungern ziehen; vergebens streckt sie
1
Moeller, Madgalena M., Picasso. Druckgraphik, illustrierte Bücher, Zeichnungen, Collagen und
Gemälde aus dem Sprengel Museum Hannover. 1986. S.
218
129
Picasso, Pablo
(Málaga 1881 - 1973 Mougins)
La répétition / Die Probe.
Kreidelithographie mit Frottage und
Pinsel auf Vélin d‘Arches (mit Wasserzeichen), per Umdruckpapier umgedruckt auf Stein, im Stein datiert,
21.2-26.2.54, 1954. 50,3 : 65,5 cm.
Werkverzeichnisse:
Bloch
756;
Mourlot 252: „Eine bemerkenswerte
Komposition, die den Künstler lange
beschäftigte. Die Übertragung gelang
einwandfrei. Eine schlechte Übertragung hätte mir kein Lob eingetragen“; Rau 592 :„Im Zentrum dieser
Lithographien [zum Thema Maler
und Modell] steht jedoch zweifellos
Die Probe (Rau 592), ein Blatt, in dem
die Alte, das Kind und drei Mädchen,
der schon bekannte Personenkreis,
einem tanzenden Paar zusehen und
das über die Umrißzeichnung hinaus
ein differenziertes Hell-Dunkel in die
Darstellung einbezieht. Die Tanzende
in der Mitte des Blattes hält eine Maske vor ihr Gesicht. Auch hier dürfte
sich der Schlüssel zum Verständnis
dieser Lithographie in der zerbrochenen Gemeinschaft mit Françoise
Gilot finden lassen. Im Tanz stellt sich
die Schwierigkeit einer tatsächlichen
Begegnung der Geschlechter dar. Die
Zuschauenden - das Kind, die Alte,
die drei Mädchen - sind von der sich
ihnen in diesem Tanz darstellenden
Problematik noch nicht oder nicht
mehr betroffen“.; Reuße 644.
Auflage: Einer von 5 Künstlerabzüge
vor der Auflage von 50 signierten und
nummerierten Exemplaren; Platte abgeschliffen.
An den Rändern minimal gebräunt.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen
130
131
Pablo Picasso
(Málaga 1880 - 1973 Mougins)
La pose habilée / Das bekleidete Modell.
Lavierte Pinsellithographie mit Feder auf Vélin d‘Arches (mit Wasserzeichen) von der Zinkplatte, in der
Platte seitenverkehrt datiert, 19. und
26.3.54, 1954. 55,5 : 38,5 cm auf 65,5
: 49,7 cm.
Werkverzeichnisse: Bloch 764;
Mourlot 257; Rau 600; Reuße 651.
Der biographische Bezug - die Trennung von Françoise Gilot und der
dadurch ausgelöste Gedanke an das
Alter - liegt auf der Hand. Im Februar und März 1954 setzt Picasso die
Maler- und Modell-Thematik in einer
Reihe von Lithographien fort.“ 2
1
Auflage: Einer von 5 Künstlerabzüge
vor der Auflage von 50 signierten und
nummerierten Exemplaren; Platte abgeschliffen.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen
„Im September 1953 verläßt Françoise Gilot Picasso und kehrt nach Paris
zurück. In der Zeit vom 27. November
1953 bis zum 3. Februar 1954 zeichnet Picasso 180 Blätter, die zu einem
wesentlichen Teil als Thema Maler
und Modell variieren, das Picasso
lange zuvor schon in den Illustrationen zu Balzacs Chef d‘oeuvre inconnu
und in der Suite Vollard berührt hatte.
In den schließlich in der Zeitschrift
Verve publizierten Zeichnungen ist
es vor allem die Gegenüberstellung
eines alten Malers und eines jungen
Mädchens, die Picasso beschäftigt.
Gemeinsam ist diesen Blättern, daß
sie den Maler stets im Augenblick der
intensiven Anspannung zeigen, das
Bild des Modells auf die Leinwand zu
bringen. Staffelei und Leinwand trennen die auch durch die Kunst nichtmehr überbrückbaren Welten: Hier
das strahlend schöne Modell, dort
der kurzsichtige, emsige, vielfach eitle und akademische Gnom von Künstler, dessen Platz mitunter ein auf dem
Hocker kauernder Affe einnimmt, der
sich auch sonst in die Szene mischt‘
132
1
Gallwitz, Klaus, Picasso Laureatus.
Sein malerisches Werk seit 1945. Luzern und Frankfurt
1971, S. 162
2
Rau, Bernd, Pablo Picasso, Die Lithographien. Stuttgart 1988, S. 28
133
Camille Pissarro
(Charlotte-Amalie, Saint Thomas, Kleine Antillen 1830 - 1903 Paris)
Ohne Titel (Landschaft mit Pferdefuhrwerk in der Nähe von Pontoise, im Hintergrund die
Oise; recto: Liebespaar unter Bäumen, dazu eine weitere Studie des Paares).
Kreidezeichnung, meist gewischt, mit
Kreide signiert, um 1872/75. 22 : 29,5
cm.
nach dem Tod Pissarros, erschien,
stellte sich Cézanne als >Schüler von
Pissarro< vor.“ 1
Provenienz: Privatsammlung Rheinland, Galerie Beck & Eggeling,
Düsseldorf; Privatsammlung Norddeutschland.
„Die späteren Zeichnungen wirken
häufig wie Abbreviaturen, wie flüchtig notierte Skizzen, spontane Vergegenwärtigungen von Situationen [...].
Sie zeugen von einer Sicherheit des
Strichs, von einer Präzision der Erfassung von Personen, Bewegungen
Der Rand etwas unregelmäßig; stellenweise leichte Braunfleckchen.
1
Finckh, Gerhard, Hrsg., Camille
Pissarro, der Vater des Impressionismus. Katalog der
Ausstellung im Von der Heydt-Museum Wuppertal
2014/2015. S. 239
2
Camille Pissarro, Die verschneite Straße von Gisors
nach Pontoise. Öl auf Leinwand 1872. Privatsammlung
Bei Ausbruch des französisch-preußischen Krieges 1870 floh Pissarro
mit seiner Familie von Louveciennes
nach London. Hier studierte er die
Werke von Turner und Constable,
was seine eigene Kunst maßgeblich
beeinflußte. „1872 zog Pissarro aber
wieder nach Pontoise, wo er sich bereits 1866 niedergelassen hatte. 1873
mietete Paul Cézanne im benachbarten Auvers-sur-Oise ein Haus, und
von da an waren die beiden Freunde,
die sich 1861 an der Académie Suisse
kennengelernt hatten, nahezu unzertrennlich. Seite an Seite malten sie
die Landschaft des Oise-Tals rund um
Pontoise und beeinflussten sich dabei
gegenseitig maßgeblich. [...] Cézanne
erklärte später: >Bis zu meinem 40.
Lebensjahr habe ich mein Leben vergeudet. Erst als ich Pissarro kennenlernte, der so unermüdlich war, bin
ich auf den Geschmack des Arbeitens
gekommen<, und noch in einem Ausstellungskatalog, der 1906, drei Jahre
134
und Räumen, die schlicht als meisterhaft zu nennen ist.“ 2
verso
siehe Anm. 1, S. 201
135
Rudolf Riester
(Waldkirch i. Br. 1904 - 1999 Freiburg i. Br.)
Arles.
Pastell auf Velin, signiert und datiert, 1929. 49 : 64 cm.
Provenienz: Nachlaß des Künstlers
1920 nach dem „Einjährigen“ kaufmännische Ausbildung
1921 Übersiedlung nach Freiburg im
Breisgau
Aktzeichnen an der Universität
1924 Studium an der Akademie der
Bildenden Künste in München (bei
Karl Caspar)
1925 Studium an den Vereinigten
Staatsschulen für freie und angewandte Kunst Berlin (bei Erich Wolfsfeld)
1928 Meisteratelier bei Hans Meid
Beteiligung an Paul Westheims Berli136
ner Ausstellung „Junge Künstler“
1929 Reise nach Paris und Südfrankreich
1930 erste Einzelausstellung in der
Galerie Weber, Berlin
1932 Sommer in Graubünden/Schweiz
Beteiligung an der Winter-Ausstellung
der Berliner Sezession
1934 Ausstellung in der Galerie Gurlitt, Berlin
1935 Freundschaft mit Ludwig Roselius, Bremen
1936 Dürer-Preis der Stadt Nürnberg
Stipendium der Villa Massimo, Rom
Begegnung mit Werner Gilles
Ausstellung in der Böttcherstraße Bremen
1937 von Rom aus Reise nach Griechenland
Beschlagnahme eines Bildes durch
die Reichskunstkammer im Freiburger
Augustinermuseum
1939 Bezug eines privaten Ateliers in
Berlin
1940 Ausstellungsbeteiligung in der
Galerie von der Heyde, Berlin
Rudolf Riester
(Waldkirch i. Br. 1904 - 1999 Freiburg i. Br.)
Schwarzwaldtal II.
Aquarell auf schwerem Velin, mit Bleistift signiert und datiert, 1984. 40/40,8 : 58/59,1 cm. Werknummer 1402 (im
Manuskript einer unvollständigen Weiterführung des Katalogs der Aquarelle von 1979). Rückseitig vom Künstler betitelt
und datiert.
Provenienz: Nachlaß des Künstlers
Schließung und Beschlagnahme von
Bildern
Stipendiat der Villa Romana, Florenz
Ausstellung in der Galleria di Roma,
Rom
1943 Rückkehr nach Freiburg
Einberufung
Ausbombung des Berliner Ateliers,
Verlust großer Teile des Werkes
1945 französische Kriegsgefangenschaft
1946 nach schwerer Erkrankung Entlassung in die Schweiz
Aufenthalt in Zürich
Beteiligung an der Ausstellung „Kunst
in Deutschland 1930-1949“ im Kunsthaus Zürich
1952 Übersiedlung nach Freiburg im
Breisgau
Freundschaft mit Reinhold Schneider
1953 erste Einzelausstellung nach dem
Krieg in Freiburg
1957 Hans-Thoma-Preis des Landes
Baden-Württemberg
1959 Gründung des Freundeskreises
bildender Künstler „Palette“
zahlreiche Aufsätze und Rundfunkvorträge
1969-1978 zahlreiche Reisen nach
Frankreich
1974 Ausstellung in der städtischen Galerie „Schwarzes Kloster“, Freiburg
1976 Ausstellung bei der Hans ThomaGesellschaft im Spendhaus Reutlingen
1980 Verleihung des Professorentitels,
Ernennung zum Mitglied des Künstlerbundes Baden-Württemberg
Ausstellung: Städtische Wessenberg
Galerie Konstanz: Rudolf Riester
1904-1999. 11. September 2015 bis 31.
Januar 2016
137
Christian Schad
(Miesbach 1894 - 1982 Stuttgart)
Selbstbildnis 1927.
Siebdruck nach dem Gemälde auf Velin, mit Bleistift signiert und als „ea“
bezeichnet, 1982. 66 : 54,5 cm auf 87
: 70 cm.
Werkverzeichnis: Richter 37. Einer
von wenigen Probeabzügen vor der
Auflage von 450 Exemplaren.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
„Zu den bekanntesten Bildern Christian Schads und der zwanziger Jahre
in Deutschland gehört sicherlich dies
‚Selbstbildnis‘, in dem der Maler mit
sich selbst schärfer ins Gericht geht,
als mit vielen seiner Modelle. [...] Der
Maler sitzt am Rande eines zerwühlten Lagers und blickt scharf, beinahe
bitter aus dem Bild heraus. Die unterschiedlichen Richtungen von Blickund Gesichtsachse lassen vermuten,
er habe sich selbst im Spiegel überrascht und sehe sich nun gezwungen,
sich mit diesem Spiegelbild, also mit
sich selbst, auseinanderzusetzen. Er
überrascht sich in einer Situation, die
man gemeinhin zu verbergen bemüht
ist, einer Situation, die gerade ihrer
Intimität wegen mehr vom Menschen
enthüllt als bloße Haut. [...] Hier gibt
es keine Vorfreude mehr, die Begegnung ist bereits vorüber, selbst die
Möglichkeit zur Illusion ist verspielt.
Die Partnerin des Mannes, eine ihrer
körperlichen Attraktivität sehr wohl
bewußte Frau, wirkt bewußt ausgezogen, nicht nackt. Ein schwarzes
Schleifchen am linken Handgelenk,
das der Maler an einem Mädchen im
Wiener Prater beobachtet hatte, sowie
der Saum eines roten Strumpfes am
rechten Oberschenkel unterstreichen
das ‚deshabillé‘. Es war wohl keine
Hingabe, eher ein flüchtiges Treffen,
von dem nicht zu sagen ist, wer hier
wen mehr als Objekt benutzt hat. Sie,
durch die Narbe auf ihrer linken Wan138
ge zum Objekt gestempelt, nicht unbedingt zu seinem, doch zum Objekt
in einer bestimmten, südländischen,
auf den Besitz des anderen angelegten Tradition, ist aus der Begegnung
ebenso ungerührt hervorgegangen
wie er. Für beide war der Versuch, die
Kluft zwischen ihnen zu überbrücken,
dem Gefängnis des eigenen Ich zu
entgehen, vergeblich. Deutlicher noch
als die Frau bleibt der Mann in sich
gefangen. Sein grünes, durchsichtiges
Hemd, das ihn selbst in diesem Augenblick noch einhüllt, auf das er selbst
in dieser Situation nicht verzichten
mochte, hält ihn gefangen. So ist er
gezwungen, sich ins Gesicht zu sehen
und mit seinem Narzißmus auseinanderzusetzen, auf den die Narzisse
verweist, die hinter der Frau hervorwächst. Die beängstigende Mischung
von Attraktivität und Häßlichkeit, die
die Frau verkörpert, deutet wohl darauf hin, daß der Mann gerade wegen seines Narzißmus kaum in der
Lage ist, ein weibliches Gegenüber
als vollkommen und ihm angemessen
zu akzeptieren. Ob die Silhouette der
Dächer von Paris, dem Sehnsuchtsort
aller Bohemiens, eine Fluchtmöglichkeit anzeigt, ist ungewiß. Mehr als
Sehnsucht nach dem ungebundenen
Leben der Pariser Bohème kann dem
Maler nicht bleiben, der seine Ehe mit
der sehr traditionell empfindenden
Italienerin Marcella in diesem Jahr
als endgültig gescheitert ansehen
mußte.“ 1
1
Christian Schad. Katalog der Staatlichen
Kunsthalle Berlin 1980. S. 119 f.
139
Egon Schiele
(Tulln 1890 - 1918 Wien)
Selbstbildnis.
Bronze nach der Terrakotta-Skulptur
von 1917, im Guss gestempelt, nummeriert und datiert, 1980.
28,5 : 17 : 23 cm.
Werkverzeichnis: Kallir 4 f
Eins von 300 Exemplaren (dazu XXX
h.c.)
Provenienz: Privatsammlung Rheinland
Ausstellungen: Klimt, Schiele, Kokoschka - Die Verführung der Linie.
Kunstmuseum Pablo Picasso, Münster 26.10.2014 - 18.1.2015
Editionsgeschichte:
Der Verbleib der ursprünglichen
Terrakotta-Skulptur von ca. 1917 ist
unbekannt, wahrscheinlich wurde Sie
während des Gießvorgangs zerstört.
Zwischen 1918 und 1925, möglicherweise aber auch noch aus Schieles
Hand entstand ein Gipsabguss, der
dunkel gefaßt wurde (Historisches
Museum der Stadt Wien). Einen zweiten Gipsabguss (Stanford University
Art Gallery and Museum, Stanford)
stellte die Bronzefabrik Karl Frank
zwischen 1925 und 1928 entweder
von der Terrakotta-Büste oder von
dem ersten Gipsabguss her, die davon wiederum einen Bronzeguss in
einer Auflage von 2 oder 3 Exemplaren machte. 1956 stellte die Giesserei
Schmäke in Düsseldorf von dem zweiten Gipsmodell eine Bronze in circa
6 Exemplaren her. Vier Jahre später
entstand nach dem ersten Gipsmodell
ein Bronzeguss in 2 oder 3 Exemplaren. 1965 wurde der Bildhauer Fritz
Wotruba beauftragt, eine Bronzeedition mit 7 nummerierten und 2 oder 3
unnummierten Exemplaren zu erstellen.
1980 editierte Venturi Arte in Bologne eine dunkel patinierte Auflage von
140
330 Bronzen, aus der unser Exemplar
stammt. 1987 schließlich entstand
eine grünlich patinierte Auflage von
10 Bronzen.
Exemplare aus unserer Auflage befindet sich u. a. in der Österreichischen
Galerie Belvedere und im LeopoldMuseum in Wien.
Geradezu manisch inspiziert Schiele
immer wieder sein Gesicht im Spiegel
und bahnt sich über 100 mal selbst
auf die Leinwand.
141
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
Ekstase (auch Liebesszene; Illustration zu ‚Tausendundeine Nacht‘).
Vernis-mou mit Tonplatte in braun
auf Bütten, mit Bleistift signiert
und nummeriert, 1913. 18,6 : 24 cm
auf 29,8 : 34,8 cm. Eins von 20
Exemplaren.
Geringfügig fleckig, verso mit Montierungsresten.
Verso mit der Bleistiftnotation von
alter Hand: R. Schlichter ‚Ekstase‘
hochapartes Blatt; 18 [sic] Drucke,
vergriffen, Platte zerstört“. Dazu ein
Sammlungsstempel in blau : MQ (ligiert), nicht bei Lugt.
Sehr selten!
Provenienz: Privatsammlung
Schleswig-Holstein.
Entstanden während seines Studiums
an der Kunstakademie in Karlsruhe,
wo er mit dem Verkauf pornographischer Graphik seinen Lebensunterhalt
bestreitet. In dieser Zeit lebt er mit der
Prostituierten Fanny zusammen. „Ich
kultivierte eine Religion des Bösen,
trieb einen Kult des Lasters und konnte doch die warnende Stimme des Gewissens nie ganz betäuben.“ (Rudolf
Schlichter)
„Bereits in der Karlsruher Akademiezeit hatte Schlichter Kontakt zur
‚Unterwelt‘ und war der ‚Religion
des Bösen‘ verfallen. Schlichters
Freundin ‚Fanny Hablützel‘ bestritt
den gemeinsamen Unterhalt durch
Prostitution. Um Fanny zu unterstützen, zeichnete Schlichter explizit pornographische Darstellungen.
Diese Arbeiten ‚legitimierte‘ Schlichter nachträglich auf ungewöhnliche
Weise. Über seinen Nebenbuhler bei
Fanny, den ‚Einjährigen‘ Ernst Martin, lernte Schlichter in Karlsruhe den
Antropologen Rudolf Martin (18641925) kennen. ‚Professor L.‘, so die
Verschlüsselung in ‚Tönerne Füße‘,
‚huldigte‘ als ‚>engster Freund des
Schweizer Psychiaters und Sozial142
hygienikers Forel [...] dem Glauben
an eine vernünftige Regelung des
Geschlechtsverkehrs, den er ebenso
vorurteilslos und sachlich behandelt
wissen wollte wie die Funktionen des
Stuhlgangs oder des Urinablassens.<
Schon Martins Frau Elise, die mit
ihren beiden Söhnen Ernst und Kurt
von ihrem Mann getrennt in Karlsruhe lebte, betrachtete eine ‚Mappe Radierungen und Zeichnungen‘
Schlichters mit ‚großem Interesse‘.
Möglicherweise zeigte Schlichter ihr
seine ersten Platten mit erotischen
Szenen aus ‚Tausendundeine Nacht‘
wie den ‚Haremswächter‘ oder die
‚Liebesszene‘ (um 1913). Ihm fiel jedenfalls >die Vorurteilslosigkeit, mit
der sie die gewagten Szenen meiner
Darstellungen hinnahm, angenehm
auf. Nicht weniger freute mich das
seltene Verständnis für die graphische
Subtilität einzelner Blätter.< Auch
Professor Martin sah diese Blätter
bei einem seiner Besuche in Karlsruhe, kritisierte zwar anfangs >die
Unausgeglichenheit und mangelnde
Kultur des Strichs<, kaufte aber dennoch vor einer Reise Schlichters nach
Paris ‚drei Originale‘.“ 1
1
Heißerer, Dirk, Eros und Gewalt.
Schlichters ‚Liebesvariation‘. In: Adriani, Götz, Hrsg.,
Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal
und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München
1997/1998. S. 29
143
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
Unterhaltung.
Bleistiftzeichnung auf festem Bütten,
mit Bleistift signiert und betitelt, um
1920. 50 : 63 cm.
Papierbedingt leicht wellig, sonst
sehr schön erhalten.
Provenienz: Kunsthandel Fischer,
Berlin; Privatsammlung SchleswigHolstein.
„Berlin: Keine andere deutsche Stadt
nach dem Ersten Weltkrieg ist mit
dem Mythos des Verruchten und der
Zwielichtigkeit, mit der Bezeichnung
‚Sündenbabel‘ so eng verbunden
wie die Hauptstadt der Weimarer
Republik. Das Korsett der Kaiserzeit war gesprengt, der Kriegswahn,
wenn auch nicht dessen verheerende
Folgen, überstanden. [...] Eine ekstatische Genusssucht erfasste die
Gesellschaft inmitten politischer
Machtkämpfe, zwischen wirtschaftlichem Aufschwung und Niedergang.
Alles schien möglich, alles schien erlaubt. Und das, was nicht erlaubt war,
fand im Halbdunklen oder Dunklen
statt. Die sexuelle Lust und die sexuellen Laster wurden freizügig wie
nie, auch außerhalb der Ekel und in
gleichgeschlechtlichen Verbindungen,
gelebt. Einher ging diese Entwicklung
mit sich bedrohlich ausbreitenden
Geschlechtskrankheiten, der Syphilis, des Trippers und des Schankers.
[...] Die Unterhaltung von Bordellen
oder bordellartiger Betriebe wurde
verboten, dafür die Beschränkung auf
bestimmte Straßen oder Häuserblocks
zur Ausübung der ‚gewerbsmäßigen
Unzucht‘ aufgehoben. [...] Berlin
wusste sich in den Zwanziger Jahren
im Geschäft der Erotik und käuflichen
Liebe hervorragend zu vermarkten.
Zwar galt weiterhin Paris als die
Stadt der Liebe, aber Berlin wartete
mit Lastern auf, die in Paris und London nicht geboten wurden. Der Laufsteg ihrer erogenen Zonen, auf dem
Frauen wie Männer ihre Körper dar144
boten, verlief von Nord über Ost nach
West, von der Elendsprostitution zur
Edelprostitution. Das Liebesgeschäft
war angesichts weit verbreiteter Arbeitslosigkeit für viele Mädchen und
Frauen von existenzieller Bedeutung.
[...] Zahllose in der Stadt und an der
Peripherie existierende oder sich neu
ansiedelnde Lokalitäten, die wie die
Spielcasinos regelrecht aus dem Boden sprossen, profitierten hiervon.
[...] Sie [die Prostituierten] tranken,
rauchten, konsumierten Rauschgift
und trugen alles oder nichts im Vergleich zur eigentlichen ‚Dame‘, die
wußte, wieviel Rouge sie auflegen
oder wie viel Haut sie bei welcher
Gelegenheit zeigen konnte. [...] Die
einfache Hure trug eher Pumps mit
hohem Schaft, Knöpf- und Schnürstiefel in knalligen Farben. [...] Blieben Künstler wie Hans Baluschek
ihrer Sichtweise auf das Thema in
den Zwanziger Jahren treu, interpretierten andere, so Michel Fingesten,
George Grosz, Christian Schad und
Rudolf Schlichter, das erotische Berlin ebenso freizügig wie die Stadt sich
selbst freizügig zeigte. Es gibt wohl
keine sexuelle Pose, egal ob nackt
oder frivol bekleidet, ob kopulierend
oder masturbierend, ob in der Gruppe
oder allein, sadistisch oder masochistisch, die nicht künstlerisch umgesetzt
wurde. Es zeigt sich geradezu eine
Lust am Grausigen. Künstler hatten
weder Scheu vor der Darstellung des
kriegsversehrten Freiers noch vor
Dirnenmordleichen oder Lustmörderphantasien.“ 1
1
Ebert, Marlies, Die Nacht ist nicht
allein zum schlafen da. In: Mothes, Christian und
Dominik Bartmann, Tanz auf dem Vulkan. Das Berlin
der Zwanziger Jahre im Spiegel der Künste. Katalog
der Ausstellung im Ephraim-Palais/Stadtmuseum Berlin
2015/2016. S. 152 ff
145
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
Spaziergänger.
Federlithographie auf festem Bütten,
mit Bleistift signiert und nummeriert,
1920. 21 : 28 cm auf 40,7 : 30,7cm.
Blatt 10 der 4. Mappe des II. Jahrgangs der „Schaffenden“, mit dem
Trockenstempel des Euphorionverlages. Eins von 25 römisch nummerierten Exemplaren (Gesamtauflage 125).
Söhn HDO 72708-10. Im ehemaligen
Passepartout-Ausschnitt etwas lichtrandig.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
146
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
Der Bräutigam
Kreidelithographie auf Bütten, mit
Bleistift signiert, 1922. 34,3 : 24,8 cm
auf 41 : 31 cm. Blatt 9 der 3. Mappe
des III. Jahrgangs der „Schaffenden“,
mit dem Trockenstempel des Euphorionverlages. Eins von 100 Exemplaren
(Gesamtauflage 125). Söhn HDO
72711-9.Verso Montierungsreste.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
„Schlichter blieb Gefangener einer
Obsession, die nur in der Kombination von Knöpfstiefelfetischismus und
Strangulation zur Triebbefriedigung
gelangte. Ein bislang unbekannter,
schonungsloser Befund aus dem ‚Geheimen Tagebuch‘ 1942 dokumentiert
Schlichters Not: >Warum werde ich
diese Besessenheit nicht los? Wenn ich
meine Knöpfstiefel anziehe, spüre ich
schon den Trieb zur Entladung rumo-
ren. Eine Viertelstunde später hänge
ich bereits mit zuckenden Füßen. Was
ist dies alles, welches Geheimnis liegt
hier zu Grunde? Ein Gegenstand aus
Leder mit Knöpfen u. Knopflöchern,
den ich über meine Füße ziehe [,] ist
im Stande, alle Dämonen der Wollust
zu entfesseln. Ist es ein Symbol, ist es
ein Gleichnis, ist es eine böse zauberische Verwandlung? <“1
1
Adriani, Götz, Rudolf Schlichter. Katalog
der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der
Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im
Lenbachhaus München 1997-1998. S. 32
147
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
Raufende Frauen (auch: Liebende).
Kreidelithographie auf Bütten, mit
Bleistift signiert, 1922. 21 : 32 cm auf
30,5 : 41 cm. Blatt 10 der 3. Mappe
des III. Jahrgangs der „Schaffenden“,
mit dem Trockenstempel des Euphorionverlages. Eins von 100 Exemplaren (Gesamtauflage 125). Söhn HDO
72711-10. Verso Montierungssreste;
im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt leicht gebräunt.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
Im Katalog der Schlichter-Ausstellung in Tübingen 1997 ist eine Skizze und eine Abbildung des um 1928
entstandenen Gemäldes „Balgende
Frauen“ zu finden. „Zwei Frauen
in Unterröcken, Stöckelschuhen und
Seidenstrümpfen, vielleicht Prostituierte, balgen sich dort im Streit auf
dem Boden. Die Unterlegene wird
von der über ihr Knieenden gewürgt.
Der Dominierenden ist der Unterrock über das Gesäß gerutscht, und
ihre Schulter ist frei. Auf der Skizze
[die der Graphik noch näher kommt]
bildet dagegen noch das blanke Gefäß der Würgenden den optischen
Mittelpunkt. [...] Die Szene wirkt als
eigenartige Mischung aus Kampf und
Vergewaltigung“ 1
1
Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter.
Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen,
dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S.
32.
Im Katalog der Pforzheimer Ausstellung wird das Blatt
als „Liebende, um 1928“ beschrieben und die Szene
ganz anders interpretiert: „Zu seinen Vorlieben gehörten auch Strangulationen und das Motiv des Erdrosselns
wie auf dem Blatt ‚Liebende‘ - einem anscheinend
erotischen Gerangel zwischen zwei Frauen.“ Greschat,
Isabel, Hrsg., Rudolf Schlichter. Großstadt - Porträt
- Obsession. Katalog der Ausstellung der Pforzheim
Galerie 2008/2009. Nr. 26
148
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
Liebesunterhaltung (auch: Der Verführer).
Tuschpinsellithographie auf Bütten,
mit Bleistift signiert, 1923. 34 : 26
cm auf 40,5 : 30,7 cm. Blatt 8 der 4.
Mappe des IV. Jahrgangs der „Schaffenden“, mit dem Trockenstempel des
Euphorionverlages. Eins von 100 Exemplaren (Gesamtauflage 125). Söhn
HDO 72716-8. An den Rändern etwas
knittrig, ein kleiner Einriss, verso Montierungssreste.
Provenienz: Privatsammlung Schles- sind bei Schlichter oft Persiflagen, in
wig-Holstein.
denen das Mysterium des bürgerlichen
Nachtlebens eine lächerliche Note er„Schon in seiner Studienzeit in Karlsru- fährt wie beispielsweise in dem Blatt
he produzierte Schlichter erotisch-por- ‚Der Verführer‘. Männer sind in diesen
nografische Grafik, die sich gut verkau- Zeichnungen oft nur Staffage. Nicht selfen ließ. Diese frühen Arbeiten signierte ten wirken sie dümmlich. Die Damen
er mit dem Pseudonym ‚Udor Réthyl‘. der Halbwelt erscheinen abweisend,
Für die interessierte Kundschaft ent- manchmal sogar völlig teilnahmslos
standen noch Mitte der 1920er Jahre und puppenhaft.“1
die ‚Liebesvariationen‘. Bordellszenen
1
Greschat, Isabel, Hrsg., Rudolf Schlichter.
Großstadt - Porträt - Obsession. Katalog der Ausstellung
der Pforzheim Galerie 2008/2009. Nr. 27
149
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
Geparden.
Tuschfederzeichnung auf festerem
Papier, mit Bleistift signiert, datiert
und betitelt, 1933. 46,3 : 63 cm. Am
unteren Rand hinterlegter Einriss, die
Ränder insgesamt etwas knittrig und
fleckig. Verso Montagespuren.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
„Schlichter hat in seinen verschiedenen Werkphasen im erwieder versucht,
seine emotionale und intellektuelle
Situation mit Hilfe von Tierzeichnungen und -bildern zu formulieren. In
der Mitte der zwanziger Jahre wurde
der ‚Leopard‘ von einem sich auf dem
Rücken wälzenden Panther abgelöst. Daneben zeichnete er Schakale
in verschiedenen charakteristischen
Körperhaltungen.“ 1
1
Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter.
Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen,
dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S.
75
150
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
Kleitho und Poseidon (Zu Platons Atlantis).
Federzeichnung auf Bütten, mit Bleistift signiert und betitelt, um 1934. 40
: 61 cm auf 50 : 68 cm.
Om oberen Rand leichte Altersspuren,
in der linken oberen Ecke die Darstellung leicht berieben.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
Ein „Vergleich mit der Quelle aller Atlantis-Erzählungen, den platonischen
Dialogen ‚Timaios‘ und ‚Kritias‘, zeigt,
daß sich Schlichter ziemlich genau an
die dortigen Vorgaben gehalten hat.“ 1
„Wie schon im Obigen erzählt wurde,
daß die Götter die ganze Erde unter
sich teils in größere, teils in kleinere
Teile verteilt und sich selber ihre Heiligtümer und Opferstätten gegründet
hätten, so fiel auch dem Poseidon die
Insel Atlantis zu, und er verpflanzte seine Sprößlinge, die er mit einem sterbli-
Männern, namens Euenor, zusamt seiner Gattin Leukippe, und sie hatten eine
einzige Tochter, Kleito, erzeugt. Als nun
dies Mädchen in das Alter der Mannbarkeit gekommen war, starben ihr
Mutter und Vater; Poseidon aber ward
von Liebe zu ihr ergriffen und verband
sich mit ihr. Er trennte deshalb auch den
Hügel, auf welchem sie wohnte, rings
herum durch eine starke Umhegung ab,
indem er mehrere kleinere und größere
Ringe abwechselnd von Wasser und von
Erde um einander fügte, und zwar ihrer
zwei von Erde und drei von Wasser, und
mitten aus der Insel gleichsam herauszirkelte, so daß ein jeder in allen seinen
Teilen gleichmäßig von den anderen
entfernt war; wodurch denn der Hügel
für Menschen unzugänglich ward, denn
Schiffe und Schiffahrt gab es damals
noch nicht. Für seine Zwecke aber stattete er die in der Mitte liegende Insel,
wie es ihm als einem Gotte nicht schwer
ward, mit allem Nötigen aus, indem er
1
Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter.
Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem
Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen
Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 252
chen Weib erzeugt hatte, auf einen Ort
der Insel von ungefähr folgender Beschaffenheit: Ziemlich in der Mitte der
ganzen Insel, jedoch so, daß sie an das
Meer stieß, lag eine Ebene, welche von
allen Ebenen die schönste und von ganz
vorzüglicher Güte des Bodens gewesen
sein soll. Am Rande dieser Ebene aber
lag wiederum, und zwar etwa sechzig
Stadien vom Meere entfernt, ein nach
allen Seiten niedriger Berg. Auf diesem
nun wohnte einer von den daselbst im
Anfange aus der Erde entsprossenen
zwei Wassersprudel, den einen warm
und den andern kalt, dergestalt, daß sie
aus einer gemeinsamen Quelle flossen,
aus der Erde emporsteigen und mannigfache und reichliche Frucht aus ihr
hervorgehen ließ.“ 2
2
203 f.
Platon, Sämtliche Werke. Berlin 1940. S.
151
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
An der Waldgrenze.
Aquarell auf Bütten, mit Bleistift signiert, rückseitig betitelt, um 1937. 61,5
: 49 cm.
Von farbfrischer Erhaltung.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
„Wie sehr Schlichter das Thema
‚Landschaft‘ während der Niederschrift beschäftigte, zeigen beide Bände der Autobiographie. Neben den
Schilderungen skurriler schwäbischer
Charaktere, seiner abstrusen familiären Situation und der Karlsruher
Vorkriegsbohème nehmen die Wanderungen durch die Wälder, Dörfer und
Städte seiner Heimat einen breiten
Raum ein. Unter dem Eindruck der
sich überstürzenden politischen Ereignisse und der immer schwieriger werdenden Lebenssituation in Berlin fand
Schlichter Kraft und Rückhalt im Karst
des Schwäbischen Jura. Er entdeckte
die Landschaft seiner Jugend neu als
ein Symbol der Geborgenheit und Stabilität, das die politischen Verirrungen
überdauern würde. Schon während der
Studienzeit in Karlsruhe wurde ein Stipendium zum Anlaß, die >Ferien nach
langer Abwesenheit wieder am Rand
der Schwäbischen Alb in der Nähe der
Heimat meines Vaters zu verbringen. Es
war nicht nur die alte, nie verlöschende Sehnsucht, die mich dorthin trieb,
sondern vor allem künstlerische Gründe hatten den Entschluß in mir reifen
lassen, mehr als es bisher geschehen
war, die Landschaft in mein Schaffen
einzubeziehen.< In der Erinnerung an
einen Ausflug nach Straßburg artikulierte sich die Heimatliebe in einer für
Schlichter ungewöhnlich pathetischen
Form: >Oft verachtet und in törichter
Scham verschwiegen, mit Gewalt aus
meinem Denken und Gefühlsleben in
die tieferen Schächte des Unbewußten
verdrängt, brach doch immer wieder in
Augenblicken sehnsuchtsvoller Verlas152
senheit die heiße Liebe zu den düsterheimlichen Hängen des Schwarzwaldes hervor, deren wundersame Formen
mir in früher Kindheit das Bild der
Welt ins empfängliche Herz geprägt
hatten.<“ 1
1
Adriani, Götz, Rudolf Schlichter. Katalog
der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der
Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie
im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 51
153
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
Die Messingstadt. (1001 Nacht), Emir Musa.
Federzeichnung auf Bütten, mit Bleistift signiert, datiert und betitelt, 1941.
43,5 : 60 cm auf 52,5 : 71,2 cm.
Stellenweise kleine Montierungsfleckchen, sonst gut erhalten.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
Ausstellungen: Rudolf Schlichter.
Austellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im
Lenbachhaus München 1997-1998.
Katalognr. 166, S. 283 mit Abbildung
Literatur: Schlichter, Rudolf, Tausendundeine Nacht. Federzeichnungen aus
den Jahren 1940-1945. Berlin 1993. S.
105 und 110 mit Abbildung.
„Am 23.11.1949 schrieb [Ernst] Jünger an Schlichter: >Ich ziehe diejenigen ihrer Schöpfungen vor, die man
wie Ihre Gebirgstäler oder wie ‚Atlantis vor dem Untergange‘ immer um
sich haben kann. Immer hatte ich gehofft, als Pendant zu dieser Zeichnung
[...] auch einmal in gleicher Größe einen ‚Emir Musa in der Messingstadt‘
zu besitzen, denn dieser Musa ist neben Peri Banu eine der Gestalten aus
Tausendundeine Nacht, von denen ich
schon früh und mit besonderer Gewalt
berührt wurde.< Nachdem Schlichter
am 26.5.1950 Jünger zu verstehen gegeben hatte, daß er sich von den Blättern zu ‚Tausendundeine Nacht‘ noch
nicht trennen wolle, da er >noch mit
der Möglichkeit einer Veröffentlichung
als Buch oder in Mappenform rechne<, verlieh Jünger seinem Wunsch
am 11.6.1950 noch einmal Nachdruck:
>Von dem Blatt über meinen Liebling
Emir Musa wollen sie sich also vorläufig noch nicht trennen. [...] Im Falle
einer Veräußerung denken Sie bitte zu-
154
nächst an mich. [...]< 1
„>Sie müßten 1001 Nacht überhaupt
durchgehend illustrieren. Sie würden
das besser machen als selbst Doré<,
schreibt Ernst Jünger am 29. Dezember 1942 an Rudolf Schlichter, nachdem er dessen Zeichnungen - es sind
ihrer fünfzig zu sechs ausgewählten
Episoden - kennengelernt hatte. Und
fährt fort: >Besonders packte mich das
Bild der Messingstadt. Dieses Märchen hat selbst innerhalb des bedeutenden Rahmens seine besondere Tiefe,
seinen Rang. Schon als Kind hörte ich
meinem Vater oft von der Messingstadt
und dem hohen Emir Musa sprechen;
ich glaube aber, daß ich erst bei den
letzten Lektüren wirklich zum Kern
des Märchens vorgedrungen bin. Ich
finde darin eine Grundfigur, die auch
uns Abendländer in Bann hält: die
Konfrontierung von Lebenspracht und
Tod, die uns zugleich mit Schmerz und
Lust erfüllt. In diesem Genusse liegt
auch eines der Elemente unserer Wissenschaft, insbesondere der Archäologie, aber Musa genießt ihn reiner,
kontemplativ.< [...] Schlichter erlebt
die Schlußphase des Tausendjährigen
Reichs als beschleunigte Endzeit. Die
Erzählungen aus 1001 Nacht sind ihm
Spiegel dieser politischen Auflösung.
Im orientalischen Despotismus enthüllt sich ihm die Hypris der aktuellen
Machthaber. Vor allem die Geschichte
von der Messingstadt symbolisiert für
Schlichter den Untergang des Abendlandes als Erstarrung seiner Kultur.
Sie beschäftigt ihn 1941/42 in München, wie etwa gleichzeitig auch Ernst
Jünger und Max Beckmann, und löst
nicht weniger als fünfzehn Zeichnungen aus. Die Kämpfe und Wüsteneien,
die Zwingburgen, verödeten Städte,
die mumifizierten Toten - all das kann
auf dem Hintergrund zeitgenössischer
Luftangriffe und Kesselschlachten
1
Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter.
Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem
Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen
Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S.250
auch als Memento mori oder Epitaph
auf eine Zivilisation gelesen werden.
>Dieses geheimnisvolle Märchen
handelt von der Vergänglichkeit aller
Macht, von der Hinfälligkeit menschlicher Größe, von der Eitelkeit menschlichen Strebens und von der furchtbaren Majestät des Todes<, hatte Rudolf
Schlichter die Erzählung charakterisiert. Darin erfährt Emir Musa von
einem wilden schwarzen Volk, das im
Besitz seltsamer Flaschen sein soll,
in welchen rebellische Geister eingesperrt sind. Man bricht mit einer Karawane auf und erreicht nach langer
Irrfahrt und Begegnungen unheimlicher Art einen Hügel. >Und als sie
dann dort oben standen, erblickten sie
eine Stadt, so groß und herrlich, wie
sie noch nie ein Auge gesehen hatte:
hohe Paläste winkten, und glänzende
Kuppeln blinkten; die Häuser dort hätte man voller Menschen gedacht, und
die Gärten standen in voller Pracht;
die Bächlein sprangen, und die Bäume waren mit Früchten behangen. Sie
war eine Stadt mit festen Toren, aber
sie lag öde und verlassen da; kein Laut
erscholl in ihr, kein menschliches Wesen gab es dort.< Es gelingt, durch
magische Koranformeln die Stadttore
zu öffnen. Überall finden die Reisenden Reichtum und unerhörte Pracht,
doch kein Leben. Alle Einwohner sind
tot. Als eingetrocknete Mumien sitzen
sie auf der Straße, in Basaren und Moscheen, wie sie vom Tod überrascht
wurden. >Sie waren eine Warnung für
die, so sich warnen lassen< heißt es im
Text, dem Schlichter eng gefolgt ist.“2
2
Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter.
Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem
Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen
Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 283
155
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
Meine Mutter.
Bleistiftzeichnung auf gelblichen Papier, mit Bleistift signiert, datiert und
betitelt, 2.3.1942. 14,5 : 21 cm. Auf
Karton montiert.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
„Rudolf Schlichters Mutter war die
Frau eines Lohngärtners. Früh verwitwet, brachte sie sich und die ihrigen
als Näherin durch. Sie ist unterschwellig die Hauptfigur in Schlichters zweibändigen Erinnerungen, die zunächst
156
in und um Calw an der Nagold, dann
in der badischen Residenz Karlsruhe
spielen, wohin die Familie umzog und
wo Rudolf, nach einem Zwischenspiel
in Stuttgart, die Kunstakademie bezog.
Trotz aller Unterschiede - nüchterner
Wirklichkeitssinn auf seiten der Mutter, durch maßlose Lektüren genährte
Realitätsflucht, Phantasieausschweifung und Exzentrik beim Sohn - riß das
Band zwischen beiden nie ab. Schlichter zeichnete die Mutter auch auf dem
Totenbett.“1
1
Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter.
Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem
Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen
Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 183
Rudolf Schlichter
(Calw 1890 -1955 München)
Bildnis Franz Ehrenwirth.
Bleistiftzeichnung auf festem Papier, mit Bleistift signiert und datiert,
12.2.1948. 41 : 31,5 cm. stellenweise
leicht fleckig.
Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein.
Ehrenwirth (1904-1993) war Verleger
in München.
„Doch stetig und unangefochten, seit
den Berliner, ja Karlsruher Jahren bis
in die Münchner Nachkriegszeit, entwarf Schlichter Porträts von Weggefährten und ihm wichtigen Begegnungen [...]. Sie sind der rote Faden im
changierenden Werk, Selbstvergewisserung in chaotischer Zeit. Zu Recht
erkannte jener Kritiker, >daß ihm alles
zum Bildnis wird<.“ 1
1
Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter.
Katalog der Ausstellungin der Kunsthalle Tübingen, dem
Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen
Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 32
157
Rudolf Schmidt-Dethloff
(Rostock 1900 - 1971 Lindau)
Hafen von Ribnitz/Nordvorpommern.
Aquarell auf Bütten, 1948. 30 : 37 cm. -Verso mit Nachlaß-Stempel. Werknummer 480.
Provenienz: Nachlaß des Künstlers
1900 Geboren am 28. September in
Rostock
1907-1915 Realgymnasium in Rostock
1915-1918 Kriegshilfsdienst
1918-1920 kaufmännische Lehre in
Rostock
1920-1925 Studium der Malerei:
in Hamburg bei Professor Thedy
in Weimar bei Professor Bunke
in Dresden bei Professor Richter und
Oskar Kokoschka
1925-1929 Studienreisen nach München, an den Bodensee, nach Wien und
158
Italien
1929-1936 Vorsitzender der Rostocker
Künstlervereinigung.
Ausstellungen in Rostock, Schwerin,
Hamburg, Lübeck und Bremen
1937-1938 Wohnsitz in Berlin
1939-1945 Wehrmacht
1945 Gefangenschaft in Auschwitz
1946-1952 Atelier in der Künstlerkolonie Ahrenshoop
Ausstellungen in der Galerie Lowinsky, Berlin, in den Galerien Himmer
und Ferdinand West in Rostock und in
der Galerie Levy in Hamburg
Wandmalereien in der Königsjägerkaserne Stettin
Zerstörung aller Gemälde in seinem
Rostocker Atelier durch Volkspolizisten
1953-1955 Wohnsitz in West-Berlin
1955-1958 Wohnsitze in Bregenz, Cuxhaven, Heidelberg und Freiburg
ab 1958 Wohnsitz in Lindau am Bodensee
Mitglied der Künstlergilde Esslingen
1971 Gestorben am 12. Juni in Lindau
Rudolf Schmidt-Dethloff
(Rostock 1900 - 1971 Lindau)
Ahrenshoop - Kühe am Bodden.
Aquarell auf Bütten 1949. 36,7 : 51,2 cm. Verso mit Nachlaß-Stempel. Werknummer 598.
Provenienz: Nachlaß des Künstlers
159
Rudolf Schmidt-Dethloff
(Rostock 1900 - 1971 Lindau)
Havellandschaft.
Aquarell auf Bütten, 1954. 36,6 : 48 cm. Mit Nachlaß-Stempel auf der Rückseite. Werknummer 688.
Provenienz: Nachlaß des Künstlers
160
Rudolf Schmidt-Dethloff
(Rostock 1900 - 1971 Lindau)
Schwarzwald 2.
Aquarell auf Bütten, verso mit Nachlaß-Stempel, 1957. 36,7 : 51 cm. Werknummer 443. Am unteren Rand 2 kleine Einrisse.
Provenienz: Nachlaß des Künstlers
161
Rudolf Schmidt-Dethloff
(Rostock 1900 - 1971 Lindau)
Markgräfler Land 3.
Aquarell auf Bütten, 1958. 26 : 35,6 cm. Mit Nachlaß-Stempel auf der Rückseite. Werknummer 378
Provenienz: Nachlaß des Künstlers
162
Rudolf Schmidt-Dethloff
(Rostock 1900 - 1971 Lindau)
Wasserburg am Bodensee 16.
Aquarell auf Bütten, 1960/65. 35,8 : 47,8 cm. Mit Nachlaß-Stempel auf der Rückseite. Werknummer 193
Provenienz: Nachlaß des Künstlers
163
Karl Schmidt-Rottluff
(Rottluff bei Chemnitz 1884 - 1976 Berlin)
Nächtliche Straße (Gartenstraße in Rottluff bei Chemnitz).
Kreidelithographie auf festem Bütten,
mit Bleistift signiert und datiert, am
unteren Rand betitelt, 1906. 25 : 31,5
cm.
Werkverzeichnis: Schapire L 4. Eine
Auflage ist nicht bekannt, der Stein
wurde abgeschliffen.
Vorzüglich erhalten.
Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland
„1906 entstanden Schmidt-Rottluffs
erste Lithographien. Die Technik hatte ihm der mit ihm gut bekannte Robert Sterl vermittelt. Wie in den frühen Aquarellen entsteht ein unruhiger,
flakkernder Eindruck. [...] Die Gegenständlichkeit ist nur schwer zu erkennen. Interesse an flimmerndem Licht
als letztes Erbe des Impressionismus
verbindet sich mit einem expressiven
Interesse an Ausdruckssteigerung.“1
„Daß der Steindruck mehr als dekorative Gebrauchskunst sein und dem
Ausdruck so noch nie gesehener Bekenntnisse und Bedrängnisse dienen
könnte, erkannten die jungen Deutschen und erkannte auch SchmidtRottluff erst vor den erregenden
Blättern Edvard Munchs. Wie wenig
gerade er jedoch in die Gefahr einer
Abhängigkeit von dem als Vorbild bewunderten großen Norweger geriet,
bewies Munchs Verhalten in dem Augenblick, da er bei Gustav Schiefler
die ersten Lithographien von SchmidtRottluff sah und erkennen mußte, daß
ein von ihm am Ende geglaubter Weg
von einem Jüngeren doch noch weitergeführt werden konnte. Die Bedeutung, die dieser Reaktion Munchs auf
Arbeiten Schmidt-Rottluffs zukommt,
mag die auszugsweise Veröffentlichung des ersten Berichtes darü1
Moeller, Magdalena M., Die Brücke.
Zeichnungen, Aquarelle, Druckgraphik. Katalog der
Ausstellung im Brücke-Museum Berlin 1992. S. 424f.
164
ber rechtfertigen, der in einem Brief
Schieflers vom 4.5.1907 enthalten ist:
‚Ich habe die Blätter einer ganzen
Reihe von Bekannten gezeigt, von denen sich natürlich ein Teil ablehnend
verhält. Aber mehr als das, was ich
von meinem Eindruck sagen kann,
wird Sie interessieren, wie Munch
und Richard Dehmel sich zu den Sachen stellten. Munch war zuerst, ich
möchte fast sagen, erschrocken. Folgenden Tages sagte er, er hätte immer
an die Lithographien denken müssen;
da steckte etwas sehr Merkwürdiges
darin, und er wäre sehr gespannt,
weitere von ihnen zu sehen.‘ In seiner
Antwort bestätigt Schmidt-Rottluff
seine Wertschätzung Munchs, geht
aber insbesondere auf eine bestimmte Charakterisierung seiner Arbeiten
durch Schiefler ein: ‚Rhythmisierung
- für das Wort bin ich Ihnen besonders dankbar. Der Rhythmus, das
Rauschen der Farben, das ist das,
was mich immer bannt und beschäftigt. Wenn Ihnen bei einigen Blättern
das Gegenständliche noch nicht ganz
zur Vorstellung gekommen ist, so ist
es freilich schwer, darüber etwas zu
sagen, wo mit einer Bewegung der
Hand alles gesagt ist. Aber vielleicht
sind Ihnen auch diese Blätter inzwischen zugänglicher geworden...‘ Die
ungeheuer starke Rhythmisierung,
die Ausgewogenheit und Wohlklang
durch kaum noch erträglich scheinende Spannungen ersetzt, ist in der
Tat ein wesentliches und die Entwicklung voranreißendes Kriterium in
diesen frühen Lithographien SchmidtRottluffs, die natürlich gleichzeitig
auch als Dokumente der Sturm- und
Drangperiode dieses Künstlers gelten
können. Hier gibt es keinen verklärenden Abstand und keine objektivierende Auseinandersetzung mit der
Natur, nur eine Identifizierung mit ihr,
ein förmliches Hineinwühlen in sie,
um so ihre innerste Wesenhaftigkeit
herauszuholen und zur eigenen ma-
chen zu können. Bäume und Häuser
werden mit ungezügeltem Zugriff angegangen, das Meer heran- und der
Himmel heruntergeholt, weil hinter
ihnen das Eigentliche gefunden werden soll - selbst erteilte Antwort auf
die drängende Frage nach der absoluten Ursprünglichkeit. Dem mitreißenden Pathos und dem gärenden,
brodelnden, lodernden Ungestüm
dieser Blätter, deren äußere Maße
allesamt bescheiden sind, ist damals
kaum Gleichwertiges an die Seite zu
setzen.“ 2
„So kam es, daß mir Schmidt-Rottluff
eine Anzahl seiner frühen Steindrucke
zur Ansicht schickte. Munch war gerade bei uns, als ich sie auspackte. Er
schüttelte den Kopf und sagte: ‚Gott
soll uns schützen, wir gehen schweren
Zeiten entgegen‘. Am folgenden Morgen beichtete er, er schäme sich; er
habe die ganze Nacht an die Sachen
gedacht, es müsse doch wohl etwas
daran sein. Ich hatte gleichfalls die
Empfindung, daß in diesen, beim ersten Anblick als Gekritzel und Gewisch
erscheinenden Blättern eine verhaltene Kraft steckte.“3
Die Kunstsammlungen in Chemnitz
besitzen zwei Fassungen in Öl mit
diesem Motiv aus dem Jahr 1906
„Gartenstrasse“ (Inv.-Nr. L 113)4 und
„Gartenstraße frühmorgens“ (Inv.Nr. L 108)5.
2
Wietek, Gerhard, Schmidt-Rottluff
Graphik. München 1971. S. 28
.
3
Schiefler, Gustav, Meine Graphiksammlung. Hamburg 1974. S. 53
4
abgebildet in: Doschka, Roland, Hrsg.,
Karl Schmidt-Rottluff. Meisterwerke aus den Kunstsammlungen Chemnitz. Katalog der Ausstellung in der
Stadthalle Ballingen. München 2005. Kat.-Nr. 7
5
abgebildet in: Expressionismus in
Deutschland und Frankreich. Von Matisse zum Blauen
Reiter. Katalog der Ausstellung im Kunsthaus Zürich
2014. Kat.-Nr. 93
165
Karl Schmidt-Rottluff
(Rottluff bei Chemnitz 1884 - 1976 Berlin)
Münzgasse (in Dresden).
Kreidelithographie, mit Bleistift signiert, 1906. 35 : 19 cm.
Werkverzeichnis: Schapire L 7.
Eine Auflage ist nicht bekannt, der
Stein wurde abgeschliffen.
Von feinster Erhaltung.
Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland.
„Die Motive vieler graphischer
Blätter aus der Dresdner Zeit hängen mit der Lage des Ateliers der
‚Brücke‘-Künstler in der Berliner
Straße zusammen. Dort hatten sie
einen ehemaligen Laden als Atelier
eingerichtet und unternahmen von da
aus ihre Streifzüge in die unmittelbare
Umgebung. Was zu Fuß in etwa einer halben Stunde zu erreichen war,
wurde in Skizzen festgehalten und im
Atelier in Radierungen, Holzschnitte
und Lithographien umgesetzt oder zu
Aquarellen ergänzt.“ 1
„Auf den ersten Lithographien
Schmidt-Rottluffs vollzog sich der
Aufbau der Form aus der Zusammenfügung scheinbar wirr gekritzelter
Kreidestriche. Zu ihnen gesellten sich
alsbald merkwürdig eckig gruppierte Tonflächen, die mit dem Wischer
erzielt waren, und eine energische
Handhabung des Schabers.“2
1
Die Künstlergruppe „Brücke“. Aquarelle, Zeichnungen und Druckgraphik aus dem Kunstmuseum Hannover mit Sammlung Sprengel. Katalog der
Ausstellungen in der Städtischen Galerie Albstadt u. a.
1983. S. 19
2
Schiefler, Gustav, Meine Graphiksammlung. Hamburg 1974. S. 55
166
167
Karl Schmidt-Rottluff
(Rottluff bei Chemnitz 1884 - 1976 Berlin)
Ostseeküste.
Kaltnadelradierung auf Bütten, mit
Bleistift signiert, auch vom Drucker
Vogt signiert, 1920. 24 : 29,45 cm.
und mit der denkbar knappsten Umschreibung der Form ausgekommen
wird.“ 1
Werkverzeichnisse: Schapire R 38.
Söhn HDO 52002-1.
Eins von 110 signierten Exemplaren
der Auflage für den „Kreis graphischer Künstler und Sammler in Leipzig“. Die Platte wurde zerstört.
Kleine druckbedingte Quetschfalte,
sonst sehr schöner Abzug.
Provenienz: Privatsammlung Pfalz.
„Die Stiche mit Motiven aus Schlawe
- der dem Sommeraufenthalt Jershöft
zunächst gelegenen pommerschen
Kleinstadt - sind nicht nur wegen ihres äußeren Formates große Blätter.
In der Monumentalität der Wirkung
und Größe der Auffassung stehen sie
den holzgeschnittenen Stadtbildern
von Soest in nichts nach. Überhaupt
stellt die Entwicklung der Kaltnadelarbeiten und Stiche zu adäquaten,
den Holzschnitten und Lithographien
völlig gleichberechtigten graphischen
Ausdrucksmitteln die Sonderleistung
jener Jahre dar, in denen erst- und
letztmalig auch der Umfang der Metalldrucke denjenigen der übrigen
Techniken übertrifft. Für die ersten
Blätter des Jahres 1920, in denen vereinzelt noch Eindrücke aus Rußland,
vor allem aber Motive des vorjährigen Sommers in Hohwacht verarbeitet werden, wird wieder die 1915 zum
letztenmal benutzte Kaltnadel verwendet, die 1921 nur noch für ein Motiv aus Rowe - wo sich zeitweilig auch
Pechstein aufhielt - herangezogen
wird. Es gibt die Eigentümlichkeiten
dieser Gruppe besonders prägnant
wieder, in der ohne Zwischentöne allein mit der Entschiedenheit kräftiger
oder dünner Linien gearbeitet wird
168
1
Wietek, Gerhard, Schmidt-Rottluff
Graphik. München 1971. S. 181 f.
169
Georg Schrimpf
(München 1889 - 1938 Berlin)
Moorlandschaft (Blick von den Osterseen über das Kocheler Moos).
Aquarell auf Vélin, mit Pinsel signiert
und datiert, rückseitig mit Bleistift
betitelt, 1929. 23 : 39,6 cm auf 25,5
: 42 cm.
Darstellung vom Künstler mit Bleistift umrandet.
Das stimmungsvolle neusachliche
Aquarell in absolut farbfrischer Erhaltung.
Provenienz: Privatsammlung München.
„Bemerkung des Künstlers. Anläßlich
der Einzelausstellung im Graphischen
Kabinett Günther Franke, München
1932.
Auf die Frage nach meiner besonderen Verbundenheit mit München
und Süddeutschland kann ich so
antworten: ich fühle mich hier in einem naturbetonten Sinn, im Sinn der
Landschaft und des Lebens verbunden. Deshalb lebe ich hier. Was Art
und Wesen meiner Malerei angeht,
so kann ich hierzu nur eines sagen:
meine Darstellung hat mit programmatischer Malerei, sei es in diesem,
sei es in jenem Sinne, nichts zu tun.
Was ich mit meinen Bildern will, gilt
dem Leben schlechthin; so wie es trotz
aller zufälligen Wirkungen und Erscheinungen abläuft. So bemühe ich
mich um Klarheit und Einfachheit als
den mir wesentlichen Grundzügen,
in dem Glauben, eben dadurch auch
dem inneren Wert der Dinge nahe zu
kommen.“1
1
Zitiert nach: Storch, Wolfgang, Georg
Schrimpf und Maria Uhden. Leben und Werk. Berlin
1985. S. 162
170
171
Fritz Stuckenberg
(München 1881 - 1944 Horn bei Füssen)
Ohne Titel (Borkum)
Aquarell auf Bütten, mit Bleistift monogrammiert und datiert, 1927. 24,5 :
34,3 cm.
Ganz leicht beschnitten, verso Montierungsspuren, sonst sehr schön und
farbfrisch erhalten.
Provenienz: Privatbesitz Süddeutschland
„Die ersten Landschaftsaquarelle
malte Stuckenberg 1924 auf Ischia.
Sehr schnell entwickelte er in diesem Genre einen entschieden eigenen
Stil. Die große Suggestionskraft, die
von diesen Landschaften ausgeht,
verdankt sich vorrangig einer konsequenten, oft bis zur Abstraktion
führenden Formstilisierung, so daß
die Landschaft >imaginiert< werden
muß.“ 1
1
Wandschneider, Andrea, Stuckenbergs
gegenständliches Spätwerk - Eine Annäherung.
In: Fritz Stuckenberg 1881-1944. Eine Retrospektive.
Städtische Galerie Delmenhorst 1993. S. 95
172
Biographie
1881 in München geboren
1893 Umzug der Familie nach Delmenhorst im Oldenburger Land
1902 Lehre bei einem Theatermaler
in Leipzig; anschließend Studium in
Weimar und München
1907 bezieht ein Atelier in Paris, wo
er Wilhelm Uhde kennenlernt
1908 Reise nach Pont-Aven in die
Bretagne
1909 stellt im „Salon d‘Automne“
aus und wird Mitglied der „Société de
Peinture Moderne“
1910 Ausstellungsbeteiligung im „Salon de l‘Union Internationale des
Beaux-Arts et des Lettres“; Reise nach
Marseille, Cassis und Martigues
1912 Übersiedlung nach Berlin
1916 wird Soldat, jedoch ohne Fronteinsätze; lernt Herwarth Walden
kennen; erste von einem Dutzend Beteiligungen an den „Sturm-Ausstellungen“
1919 Mitglied im „Arbeitsrat für
Kunst“ und in der „Novembergruppe“; Übersiedlung nach Seeshaupt
am Starnberger See
1920 Walter Dexel zeigt im Jenaer
Kunstverein Bilder von Stuckenberg,
zusammen mit Arbeiten von Klee (den
Stuckenberg in München besucht) und
Molzahn; Ausstellung bei Flechtheim
in Düsseldorf
1921 Umzug nach Delmenhorst;
schwere Nervenerkrankung
1923 erste Einzelausstellung
1924 lebt ein halbes Jahr auf Ischia
1928 Teilnahme an der Großen Berliner Kunstausstelllung, ebenso 1930;
Ausbruch einer Lungenkrankheit; Sanatorium in Arosa
1929 Parisaufenthalt
1935-36 Aufenthalt in München
1941 Umzug ins Allgäu
1944 in Horn bei Füssen gestorben
173
Paul Signac
(1863 - Paris - 1935)
Lézardrieux.
Schwarze Tusche mit Rohrfeder über
Bleistift, braun aquarelliert auf Vélin,
dieses auf Büttenkarton kaschiert, mit
Bleistift signiert, betitelt und datiert,
1925. 30 : 43,7 cm.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen.
Mit Expertise von Marina Ferretti,
Archives Signac Paris und Direktorin
des Musée des Impressionismes Giverny , vom 28. März 2012.
sionistische Freilichtmalerei nicht in
der Natur entstanden sind.
Zwischen 1925 und 1932 mietete Signac für mehrere Monate ein Haus
in Lézardrieux, das sich in der NordBretagne am Ufer des Flusses Trieux
befindet. Hier war er besonders von
der Landschaft zu beiden Seiten des
Flusses angetan.
Im Unterschied zu Georges Seurat,
der der Darstellung des Menschen
den Vorzug gab, widmete sich Signac
fast ausschliesslich der Landschaft.
Die französische Küste wurde sein
bevorzugtes Bildmotiv. Jeden Sommer
verliess er die Hauptstadt für einen
längeren Aufenthalt in Südfrankreich
in Collioure oder St. Tropez, wo er
1892 ein Haus gekauft hatte, das ihm
bis zu seinem Umzug nach Antibes,
1913, auch als Atelier diente.
Paul Signac hatte eine besondere Vorliebe für Segelboote und den Segelsport. Er besass ein kleines Schiff, mit
dem er fast alle Häfen Frankreichs
anlief und sogar bis nach Holland
oder Konstantinopel fuhr.
Auf diesen Reisen schuf er auf Anraten von Camille Pissarro zahlreiche
Aquarelle und Zeichnungen, die allesamt vor dem Motiv in der Natur entstanden sind und deshalb einen ausgeprägt spontanen und skizzenhaften
Charakter aufweisen. Unsere Zeichnung ist von besonderer Klarheit und
Sicherheit in der Ausführung gekennzeichnet, was durch die Tonigkeit der
Farbe noch unterstrichen wird.
Diese teils farbigen Impressionen
dienten ihm als Ausgangsmaterial für
grossformatige, im Atelier geschaffene Ölbilder, die anders als die impres174
Signac in seinem Segelboot „Olympia“ (als hommage
an das berühmte Gemälde von Manet)
175
Max Slevogt
(Landshut 1868 - 1932 Neukastel)
Achill und die Gefangenen.
Öl auf Holz, rechts unten mit geritztem Monogramm und Datierung,
1907.23,2 : 30,5 cm. Schwache Craqueléebildung, Platte etwas gewölbt.
Verso von fremder Hand bezeichnet.
Provenienz: Privatsammlung Norddeutschland.
„Nachdem Slevogt sich seit 1905
mit der Figur des Achill aus Homers
‚Ilias‘ und deren Gestaltung auseinander gesetzt hatte, erschienen 1907
im Münchner Verlag Albert Langen
15 Kreidelithographien zum Buch
‚Achill‘. [...] Der Stoff war für Slevogt
reizvoll, da ihm das spannungs- und
temporeiche Geschehen die Möglichkeit gab, den bewegten Menschen in
dramatischen Situationen darzustellen; das große klassische Werk lieferte
in letzter Konsequenz hierzu nur den
Vorwand.“1„Die von Winckelmann
für die griechische Klassik proklamierte ‚edle Einfalt und stille Größe‘
sucht man in Slevogts Achill vergebens. Gewiss kannte der Künstler die
traditionelle Ikonographie [...]. Doch
ließ Slevogt all dies hinter sich und
griff in genauer Kenntnis des Homerischen Epos nur den Kern der Erzählung heraus, der einzig den >Groll
des Achill< und dessen verheerende
Auswirkungen zum Inhalt hat. [...] Auf
ergreifende Weise stellt Slevogt die
blinde Raserei des von Rache getriebenen Achill dar. Kein stilisierter Held
steht vor uns, sondern ein brutaler,
schonungsloser, in seinem Blutrausch
geradezu barbarisch wirkender Krieger. Die Götterwelt ist für Slevogt belanglos, für ihn zählt nur der innere
und äußere Kampf des Menschen, der
sich in drastische Bewegtheit umset1
Geil, Bernhard, Die Lithographien für
den ‚Achill‘ und die Entwicklung einer neuen Form der
Illustration. In: Max Slevogt. Die Berliner Jahre. Hrsg.
von Sabine Fehlemann. Katalog der Ausstellung im Von
der Heydt-Museum Wuppertal 2005. S. 172 f.
176
zen läßt. Beim Anblick des körperlich
übermächtigen Achill, der die geradezu kindlich hilflos wirkenden Gegner
aus dem Wasser schleift, den Dolch
zwischen den Zähnen, die Augen im
Wahn starr und vergrößert auf den
Betrachter gerichtet, erschaudert man
vor der Darstellungskraft des Künstlers. Auf schmückendes Beiwerk wie
Landschaftsillustration und - mit Ausnahme von Brustpanzer, Beinschienen
und Helm - selbst Kleidung wird verzichtet, alles ist auf das Wesentliche
reduziert: die körperliche Aktivität
und Blicke des Handelnden.“2
2
Niehoff, Franz, Hrsg., Mit Phantasie
und Schöpferlaune. Max Slevogt als Graphiker und
Illustrator. Schriften aus den Museen der Stadt Landshut
27. Landshut 2009. S. 71
177
Max Slevogt
(Landshut 1868 - 1932 Neukastel)
Seelenmesse der Georgiritter.
2 Kaltnadelradierungen mit Aquatinta
auf Japan bzw. Bütten, mit Bleistift
signiert, 1911.
Blatt I: 23,8 : 18 cm auf 46,4 : 32 cm.
Am unteren Rand nummeriert und
bezeichnet: „Gottesdienst der Georgiritter“.
Werkverzeichnis: Sievers/Waldmann
425-3. Eins von 50 Exemplaren auf
Japan im Verlag von Paul Cassirer,
Berlin 1912, unter den „Vierzehn Radierungen von Max Slevogt“ als Nr. 4
erschienen.
Mit dem Kopf des Künstlers im Fenster links vom Altar, nebst Hand und
Skizzenbuch sowie weiteren Überarbeitungen.
Blatt II: 23,6 : 18,1 cm auf 36,6 :
27,6 cm. Mit dem Trockenstempel
der Neukasteler Presse und der handschriftlichen Widmung „Für H. Kohl
Max Slevogt i. Dez. 22“.
Werkverzeichnis: Sievers-Waldmann
425-5. Die Platte nun tief nachgeätzt,
das Profil des am Altar knieenden
Prinzregenten hell herauspoliert, die
Platte mit der kalten Nadel übergangen.
Vermutlich Probeabzug vor der Auflage von 100 signierten und nummerierten Exemplaren, erschienen 1923
im Verlag Bruno Cassirer, mit dem
Blindstempel des Verlages und der
Neukasteler Presse.
Sehr schön erhalten.
Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand, St. Ingbert; Privatsammlung
Saarland.
Seit 1908 hatte sich Slevogt mit diesem Thema auseinandergesetzt (die
sogenannten „Prinzregentenbilder“),
als er erstmals der jährlichen Zusammenkunft der Georgiritter beiwohnte.
„Großmeister dieses Ordens ist der
Prinzregent selbst. König Ludwig II.
hatte aus seiner Zuneigung zu phan178
tastischer Lebensform und prächtigem Zeremoniell die Kongregation
eingerichtet. Alljährlich versammeln
sich die Angehörigen der exklusiven
Gemeinschaft am Hof zu München.
Slevogt wird vom Prinzregenten 1908
zu Gast geladen. [...] Er wird Zeuge
aller Hauptereignisse der Festfolge,
die er mit seinen Bildern dokumentarisch belegt. Schauplatz ist meistens die Hofkapelle. Hier findet der
Gedächtnisgottesdienst für König
Ludwig II. statt, wird die Seelenmesse für die verstorbenen Angehörigen
gelesen oder ein neues Mitglied zum
Ritter geschlagen.“ 1
Franz Josef Kohl-Weigand (Ludwigshafen 1900 - 1972 St. Ingbert/Saar)
wuchs als Sohn des Bankdirektors und
Heimatforschers Heinrich Kohl in der
Pfalz auf. 1930 heiratete er die Unternehmerstochter Auguste Weigand
und übersiedelte an die Saar. Nach
dem Zweiten Weltkrieg machte er die
Firma „Otto Weigand & Sohn“ zu
einem sehr erfolgreichen Unternehmen. Schon der Vater war ein großer
Kunstkenner und u. a. mit Max Slevogt
befreundet. Kohl-Weigand baute eine
eigene Sammlung mit Künstlern aus
der Pfalz (u. a. Slevogt, Purrmann)
und St. Ingbert (u. a. Albert Weisgerber) auf. Sie wurde als die „größte
Sammlung deutscher Impressionisten
im südwestdeutschen Raum“ (Saarbrücker Zeitung) bezeichnet. Durch
Steuerschulden der Firma übereignete Kohl-Weigand den größten Teil seiner Gemälde-Sammlung der Stiftung
Saarländischer Kulturbesitz. Das Unternehmen „Otto Weigand & Sohn“
wurde 1994 aufgelöst. Franz Josef
Kohl-Weigand besaß die umfangreichste Sammlung von Druckgraphik
Max Slevogts in Privatbesitz.
„Die Begegnung mit einem der Künst1
Imiela, Hans-Jürgen, Max Slevogt.
Karlsruhe 1968. S. 138
ler, die im elterlichen Hause ein- und
ausgingen, wurde für Franz Josef
Kohl-Weigand schicksalshaft. Mit 14
Jahren lernte er Max Slevogt kennen,
und zwar im November 1914. Slevogt war zu Beginn des Weltkrieges
endgültig ins benachbarte Neukastel
im pfälzischen Wasgau übersiedelt,
nachdem er schon 1909 in Godramstein Wohnung bezogen hatte. Heinrich Kohl hatte den Maler, der 1898
Nini Finkler, die Tochter der Besitzerfamilie in Neukastel, geheiratet hatte,
schon früh kennengelernt. [...] Dem
jungen Franz Josef wurde erlaubt,
den Vater beim Besuch in Neukastel zu
begleiten. In seinen ‚Erinnerungen an
Neukastel‘ schrieb Franz Josef KohlWeigand, wie dem ersten Besuch weitere Gaststunden in Neukastel folgten.
Schließlich durfte er, wie zur Familie
des Malers gehörend, im Atelier sein,
während Slevogt arbeitete. [...] >Auch
Niederschriften und Druck vieler graphischer Blätter vollzogen sich unter meinen Augen. Bei der Arbeit an
Slevogts eigener Druckpresse mußten
die ganze Familie und alle Anwesenden Hand anlegen. Slevogt ritzte aufmerksam die Zeichnung auf eine Platte. Dr. Finkler und mein Vater hatten
fachgerecht und mit aller Vorsicht das
für den Abdruck vorgesehene Papier
leicht anzufeuchten. Ich selbst bediente die Druckpresse und war gehalten,
bemüht zu sein, mit besonderer Fertigkeit eine ganz bestimmte Kraft
auf die Presse zu übertragen, damit
es keinen Fehldruck gebe. Das war
jedesmal ein aufregender Moment,
wenn das Blatt zum Vorschein kam.
Je nachdem, wie der Druck ausgefallen war, gab es Lob oder Tadel.< [...]
Die beginnende Sammlerleidenschaft,
die genährt wurde durch Überlassen
mancher Slevogt-Drucke (als Dank
für die Mitarbeit), gewinnt dadurch
von vornherein Legitimität.“2
2
Imiela, Hans-Jürgen und Wilhelm Weber,
Die Sammlung Kohl-Weigand. Heidelberg 1961. S. 13 f.
179
Max Slevogt
(Landshut 1868 - 1932 Neukastel)
Löwenjagd.
Kreidelithographie von der Zinkplatte
auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, nach 1914. 23 : 28 cm auf 30 :
39,6 cm. Mit den Trockenstempel der
Neukasteler Presse und von Bruno
Cassirer.
In keinem Werkverzeichnis.
Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand, St. Ingbert; Privatsammlung
Saarland.
Das Motiv taucht spätestens 1907,
nämlich in dem Gemälde „Löwenüberfall“ auf und wurde wie häufig
vom Künstler in verschiedenen Techniken variiert, so in dem Aquarell
„Löwenjagd“. Angeregt wurde er sicherlich durch entsprechende Bilder
Eugène Delacroix‘, dessen großer
Bewunderer er war. „Im Märchen
und durch den Zauber sind die Grenzen des Faßbaren zum Ausgeliefertsein verschlissen. Innerhalb dieses
Übergangsbereichs liegt für Slevogt
auch die Zone der Todessituation. Die
Wiederaufnahme des SardanapalThemas wird so zu begründen sein,
und der ‚Löwenüberfall‘, 1921, darf
so verstanden werden. Slevogt hat
jetzt, beim Forschen in den Randbezirken menschlicher Existenz, die
in ihrer erschütternden Bedeutung
immer mehr sein aufmerksames Fragenmüssen beschäftigen, auch ein
inneres Verhältnis zur Mythologie
gewonnen. [...] Der verlorene Krieg,
die Isolierung in der Pfalz, die politische Umwälzung in Deutschland und
die Depressionen über die Ohnmacht
des Reiches sind der düstere Hintergrund der zu der Komposition ‚Die
gefesselte Germania‘, die 1922 gemalt ist und später in den Besitz von
Slevogts Vaterstadt Landshut gelangt.
Über die Einstellung Slevogts zum
fortschreitenden Kriegsgeschehen haben die Lithographien der ‚Gesichte‘
Auskunft gegeben. Ein zweiter Zyklus
mit dem gleichen Titel entsteht 1918
bis 1922, wird aber nie veröffentlicht.
180
Das Diktat der Siegermächte und die
innere Auflösung Deutschlands sind
die Voraussetzungen.“ „Gesichte II,
Folge von 8 Lithographien, entstanden 1918-1920, unveröffentlicht: 1.
Niederbruch I; 2. Niederbruch II; 3.
Deutschland am Scheidewege, zwischen den Gestalten von Vergangenheit und Zukunft; 4. Verkehrte Welt;
5. Klassenkampf; 6. Das Gespenst I;
7. Das Gespenst II; 8. Der Bourgeois
(nur dieses letzte Blatt ist 1921 in der
von der ‚Freien Sezession‘ herausgegebenen Mappe mit Originalgraphik
erschienen).“ 1 In diesem Kontext ist
unsere Graphik zu sehen.
Eugène Delacroix, Löwenjagd 1858.
Öl auf Leinwand, Museum of fine Arts, Boston
1
Imiela, Hans-Jürgen, Max Slevogt.
Karlsruhe 1968. S. 220 und Anm. 8
Max Slevogt
(Landshut 1868 - 1932 Neukastel)
Sturm.
Hier könnte Slevogt durch Shakespeares „Sturm“ inspiriert worden sein:
„Den Einbruch überwirklicher Macht
hat auch die zweite große Komposition
Slevogts nach einem Shakespearschen
Thema zum Inhalt: ‚Der Sturm‘. Ariel
lenkt die Winde so, daß das Schiff des
Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand, Königs am Ufer strandet. Der weise
St. Ingbert; Privatsammlung Saarland. Zauberer Prospero hat den schuldigen
Bruder in seine Macht befohlen, damit
Kreidelithographie von der Zinkplatte
auf festem Bütten, mit Bleistift signiert,
nach 1914. 21 : 27 cm auf 30 : 39,6 cm.
Mit den Trockenstempel der Neukasteler Presse und von Bruno Cassirer.
In keinem Werkverzeichnis.
er, sein Vergehen bekennend, verzeihen kann und als Zeichen seiner Zuneigung das Symbol der Herrschaft
über die außermenschlichen Kräfte,
den Zauberstab, zerbrechen.“ 1Auch
diesmal könnte Delacroix zur Komposition angeregt haben.
Dieses Blatt steht ebenfalls im Kontext der „Gesichte.“
1
Imiela, Hans-Jürgen, Max Slevogt.
Karlsruhe 1968. S. 219
181
Max Slevogt
(Landshut 1868 - 1932 Neukastel)
Allegorie auf den Rhein.
Kreidelithographie auf Bütten, mit
Bleistift signiert, 1922. 23,6 : 18,2
cm auf 42 : 31,4 cm. Mit dem Blindstempel Bruno Cassirers.
182
In keinem Werkverzeichnis.
Mit minimalen Altersspuren.
Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand, St. Ingbert; Privatsammlung
Saarland.
Max Slevogt
(Landshut 1868 - 1932 Neukastel)
Der Tod auf dem Sarg.
Kreidelithographie auf Bütten, mit Bleistift signiert und bezeichnet: „Probedruck
Juli 1929“. 32 : 23 cm auf 47 : 33,3 cm.
Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand,
St. Ingbert; Privatsammlung Saarland.
Vorliegende Lithographie wird eher
entstanden sein, als das Datum annehmen läßt. Das Motiv steht in engem
Zusammenhang mit den Beiträgen für
den „Bildermann“ und der Mappe
„Gesichte“, also während des Ersten
Weltkrieges entstandener Arbeiten. In
einem Katalog (Nr. 189) des Berliner
Auktionshauses Max Perl von 1935, in
dem ausnehmend zahlreiche graphische
Blätter Slevogts angeboten wurden, findet sich unter Los-Nummer 1934: „Tod
auf einem Sarg (Unverwendetes Blatt zu
den Gesichten). Litho auf Kupferdruck.
Quer-Kl.-Folio. Signiert und datiert:
Landau 18. Probedruck“. Dieses läßt
weitere andersformatige Graphiken in
diesem Kontext vermuten, die letztlich
nicht publiziert wurden. Auf Anfrage
2013 bezüglich einiger noch nicht identifizierter Graphiken aus der Sammlung
Kohl-Weigand, antwortete uns Dr. Sigrun Paas, langjährige Leiterin der
Slevogt-Galerie in Edenkoben: „die 3
Blätter kenne ich alle, sie befinden sich
auch im Nachlass, den Rheinland-Pfalz
gerade im Ankauf verhandelt.. Sie gehören zu Einzelblättern, zu denen es noch
kein Werkverzeichnis gibt u. wovon ich
hoffe, daß entweder mein Kollege oder
ich in den nächsten Jahren eines erstellen können. Vom Kettenschwinger
ohne Kopf gibt es noch eine Version,
wo der Kopf noch auf dem Rumpf ist das war für den Bildermann gemacht,
der in den Kriegsjahren bei Paul Cassirer rauskam, aber Ihr Blatt ist, wenn
ich richtig lese, von Slevogt mit „Probedruck Juli 29“ bezeichnet und es
hat ganz eindeutig einen politischen
Bezug, den man noch erforschen muß.“
183
Hans Thoma
(Bernau 1839 - 1924 Karlsruhe)
Heiliger Christophorus.
Ockerfarbener Fayencescherben, glasiert; auf ockerfarbener Engobe Glasurmalerei in Blau, Gelb, Grün, im
Bildfeld unten rechts monogrammiert
und datiert (geritzt), 1903. Bildfeld
mit gekehlter Rahmung und Hohlkehlenbordüre. Verso mit Manufakturzeichen (aufgemalt). 44 : 32 cm.
phorusplatte das glühende Blaugrün
mit dem leuchtenden Gelb einen feierlichen Farbenklang bildet.“ 1
Thoma entwarf mindestens drei Versionen dieses Themas für die Majolika,
jede ein Unikat!
Provenienz: Privatsammlung Südwestdeutschland.
„Von überragender Bedeutung war
die künstlerische Mitwirkung Hans
Thomas, der als Maler den ersten
Zeitabschnitt der Karlsruher Manufaktur richtungsgebend beeinflußt
hat. [...] Zahlreiche der keramischen
Pläne, die er zum Teil persönlich auf
die Tonplatte malte, während er andere seiner Entwürfe auch durch Süs
oder den in der Anstalt tätigen Maler August Gebhard ausführen ließ.
Auf einem dieser Majolikabilder ist
Sankt Christophorus dargestellt als
Mann von starkem Körperbau und
ausdrucksvollen milden Zügen, der
auf der Schulter das Christuskind
über den hochgehenden Fluß trägt.
Mühsam gebraucht er mit der Rechten einen jungen Baumstamm als Stütze, während er den linken Arm in die
Hüfte stemmt, denn - o Wunder - so
klein das Kind auch ist, immer gewaltiger drückt ihn die Last darnieder.
Da erkennt er, es ist der Heiland mit
der Weltenkugel, den ertragen darf,
und auf einmal ist er vom dem Glanze übergosssen, der von dem Kinde
ausstrahlt. Diesen Augenblick hat
der Künstler festgehalten. Besonders
auffallend ist die Art, wie Thoma das
von dem Kind ausstrahlende Licht
dem Beschauer entgegenfallen läßt,
wundervoll, wie auch auf der Christo184
Majolikamarke
1
Moufang, Nicola, Die grossherzogliche
Majolika Manufaktur in Karlsruhe. Heidelberg 1920. S.
33 f.
185
Hans Thoma
(Bernau 1839 - 1924 Karlsruhe)
1.
Sägemühle (Falkau).
Radierung auf Bütten, in der Platte monogrammiert, datiert, beziffert (XII), betitelt und erneut datiert
(2.8.62), 1898. 17,3 : 22,3 cm auf 29,4
: 35,5 cm.
Werkverzeichnis: Beringer 26-2. Bis
auf geringe Altersspuren schön erhaltener, differenzierter Abzug.
2.
Schwarzwaldhof
(Vordach).
Radierung auf Büttenpapier, in der
Platte monogrammiert und datiert,
mit Bleistift signiert, 1901.
30 :24,5 cm auf 50,2 : 39,7 cm.
Werkverzeichnis: Beringer 41-3.
Breitrandiger, schöner Abzug. Mit
kleinen Altersspuren.
6.
Radierung auf Bütten, in der Platte
monogrammiert, und datiert, mit Bleistift signiert, 1917. 24,4 : 19,8 cm.
Werkverzeichnis: Beringer 215-5.
Schönes, breitrandiges Exemplar.
7.
Radierung auf Büttenpapier, in der
Platte monogrammiert und datiert,
mit Bleistift signiert, 1914.
16,1 : 24,8 cm.
Werkverzeichnis: Beringer 114-2.
Mit kleinen Altersspuren.
Mondaufgang.
Radierung auf Büttenpapier, in der
Platte monogrammiert, bezeichnet
„Bernau 1859 und datiert, mit Bleistift signiert, 1915.
14,8 : 14 cm.
Wortverzeichnis: Beringer 179-2.
5.
Winter.
Radierung auf Büttenpapier, in der
Platte monogrammiert und datiert,
mit Bleistift signiert, 1915. 14,9 :
13,8 cm auf 24,4 : 22 cm.
Werkverzeichnis: Beringer 180.
186
Alte Katze.
Radierung auf Büttenpapier, in der
Platte monogrammiert, mit Bleistift
signiert, 1917. 9,3 : 13,6 cm.
Werkverzeichnis: Beringer 231-3.
Etwas gebräunt.
3.
Schwarzwaldhöhe
(Tal bei St. Blasien)
4.
Mutterglück.
2
1
3
5
4
7
6
187
Hann Trier
(Kaiserswerth 1915 - 1999 Castiglione della Pescaia)
Ohne Titel.
Aquarell auf Bütten, mit Pinsel signiert und datiert, 1966. 78 : 57,9 cm.
Provenienz: Galerie Schlichtenmaier,
Grafenau; Privatsammlung Westfalen
Trier war ursprünglich Linkshänder,
wurde aber zum Rechtshänder „umerzogen“. Das brachte ihn dazu, mit
beiden Händen gleichzeitig zu malen,
indem er von einer Mittelachse ausgehend symmetrische Gesten, die an
Tanz erinnern, auf Papier oder Leinwand bringt.
Ausstellungshinweis: Hann Trier – Ich
tanze mit den Pinseln. Aquarelle und
Zeichnungen der 50er + 60er Jahre,
Käthe Kollwitz Museum Köln, 18.
September bis 29. November 2015.
188
189
Wilhelm Trübner
(Heidelberg 1851 - 1917 Karlsruhe)
Aussicht auf dem Plättig im Schwarzwald.
Öl auf Leinwand, unten links signiert
„W. Trübner“, 1895.
62 : 76 cm.
Werkverzeichnis: Rohrandt G 621.
Literatur: Beringer, Josef August,
Trübner. Des Meisters Gemälde.
Stuttgart und Berlin 1917. S. 202 (mit
Abbildung).
Provenienz: Privatbesitz Ruhrgebiet.
„In einem Akt der Selbstfindung und
Selbstformung vor und an der Landschaft kulminiert Trübners künstlerischer Werdegang in den 90er Jahren
zu einem imponierenden ästhetischen
Ereignis. Die Landschaft wird zu
Trübners Lebensgrund, wenn er in
Laubmassen eingebettete Dörfer oder
einzelne Gebäude wiedergibt.
Die Verbindung von räumlich-flächenhaften Darstellungsformen, die
rhythmisch belebt sind, können jetzt
als das Kernproblem im künstlerischen Schaffen Wilhelm Trübners
bezeichnet werden. Immer wieder
kreisen seine Bemühungen daraum,
tiefenräumliche Aspekte mit Mitteln
der zweidimensionalen Darstellung
anschaulich zu werden.“ 1
„In der Landschaft führt die großartige Luft- und Raumdarstellung zur
größten Vereinfachung und Helligkeit“ (Wilhelm Trübner 1911).
1
Rohradt, Klaus, Wilhelm Trübner und
die künstlerische Avantgarde seiner Zeit. In: Wilhelm
Trübner. Katalog der Ausstellung im Kurpfälzischen
Museum der Stadt Heidelberg und der Kunsthalle der
Hypo-Kulturstiftung München 1994/1995. S. 45
190
191
Lesser Ury
(Birnbaum/Posen 1861 - 1931 Berlin)
Beim Kornpuppenbinden.
Kaltnadelradierung auf Bütten, mit
Bleistift signiert und nummeriert,
1923. 20,8 : 15 cm auf 34 : 25 cm.
Werkverzeichnis: Rosenbach 17.
Eins von 100 arabisch nummerierten
Exemplaren (dazu 25 römisch) aus
der Mappe „Holländische Motive.
7 Radierungen von Lesser Ury“, erschienen 1923 im Euphorion Verlag
Berlin.
Provenienz:
sammlung
Westfälische
Privat-
Gemessen an der Auflagenhöhe sind
die Graphiken Lesser Urys Raritäten,
da viele ihrer Besitzer wie Ury Juden
waren und sie und ihr Besitz durch die
Nationalsozialisten vernichtet wurde.
Daneben gelangten etliche Arbeiten
durch Emigration der Besitzer nach
USA und Israel.
Zudem sorgte Ury selbst für eine Dezimierung seiner Graphiken, wie Max
Osborn berichtet: „Die furchtbarste
Szene aber spielte sich ab, als einmal
ein Sammler erschien, der Proben
von Urys gesamter Graphik erwer-
ben wollte. Es war im Winter, nun
stand auch ein grosser eisener Ofen
im Atelier. Dieser Besucher war weniger gutwillig und begann zu handeln,
als der Künstler einen Stoss gehäufter Radierungen, Lithographien und
Handzeichnungen anschleppte. Nie
werde ich den Augenblick vergessen,
wie Ury vor Wut puterrot wurde und
mit Zähneknirschen (aber richtigem,
hörbarem) die Worte zischte: >Ehe
ich den Packen für einen solchen
Schandpreis verkaufe, stecke ich die
ganze Geschichte in den Ofen.< Der
Eisenturm glühte. Der Sammler, wohl
ein halber Händler, blieb steifnackig
und dachte: Kennen wir; verrückter
Kerl; werden wir schon machen. Und
wiederholte sein freilich beschämend
niedriges Angebot. Da geschieht etwas Unglaubliches. Ury reisst den
breiten runden Ofendeckel ab und
stopft wirklich und wahrhaftig die
Blätter in das gierig auflodernde Feuer. Wir stürzen herbei, aber es ist zu
spät. Hochauf züngeln die Flammen.
Nichts wurde gerettet.“1
1
Osborn, Max, Der bunte Spiegel. Erinnerungen aus dem Kunst-, Kultur- und Geistesleben der
Jahre 1890 bis 1933. Hrsg. von Thomas B. Schumann.
Hürth 2013. S. 73 f.
192
Lesser Ury
(Birnbaum/Posen 1861 - 1931 Berlin)
Schlachtensee I.
„Auch Ury ist unter die Graphiker gegangen, und seine Lithographien und
Radierungen beweisen, daß die Musik
seiner Farben getragen ist von einem
sicheren Gerüst empfindungsvoller
Zeichnung. Diese Blätter behandeln
seine Lieblingsthemen, die stille Landschaft am See, die regenfeuchte Straße,
über die elegante Damen trippeln, und
die verschiedenartigen Szenen im weltProvenienz: Privatbesitz Süddeutsch- städtischen Café. [...] Sie rufen in ihrer
Einfachheit den Eindruck mühelosen
land
Kaltnadelradierung mit Aquatinta auf
Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1924. 17,8 : 13 cm auf 22,5 :
21 cm.
Werkverzeichnis: Rosenbach 27. Eins
von 100 nummerierten Exemplaren.
Aus der Mappe „Berliner Impressionen“, erschienen im Euphorion-Verlag.
Sehr schöner, vollrandiger Abzug.
Entstehens hervor, so daß man begreift, daß der alte Menzel, der immer
zu gewissenhaft sauberer, peinlicher
Durchführung mahnte, ihm einmal sagte: >Bei Ihnen ist ja alles nur Zufall!<
Ein gesegneter Zufall, der so köstliche
Blätter schafft.“1
1
Struck, Hermann, Die Kunst des Radierens.
4. A. Berlin 1920. S. 255f.
193
Lesser Ury
(Birnbaum/Posen 1861 - 1931 Berlin)
Nächtliche Impression (mit Droschke vor Lokomotivendampf).
Radierung auf Bütten, mit Bleistift
signiert, 1924. 17,8 : 12,7 cm.
Werkverzeichnis: Rosenbach 23.
Eins von 100 arabisch nummerierten Exemplaren. Entstanden für
die Mappe „Lesser Ury, Berliner
Impressionen. Sieben Radierungen.
Berlin im Jahre 1924“, erschienen im
Euphorion-Verlag.
Graphische Variante zu dem Gemälde „Nachtimpression (Stadtbahn)“
von 1918.
Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland.
„Als im Jahre 1986 in München im
Haus der Kunst die Ausstellung >Das
Automobil in der Kunst< gezeigt
wurde, stellte man auch ein Straßenbild Lesser Urys aus, das eine Autokolonne auf der Champs-Elysées
zeigt, gemalt 1928. Dabei hatte der
Künstler >für technische Dinge wie
Eisenbahn, Auto, Elektrizität in jeder
Form nicht das geringste Gefühl oder
irgendwelche Kenntnisse<, schreibt
Carl Schapira. >Sein Auge nahm
Dinge auf, wie sie sich seinem Blick,
aber nicht seinem Verständnis darboten, und er gab sie aus der Erinnerung wieder. War die Erinnerung gut,
so entstand ein Bilde, gegen das vom
Standpunkt der Technik nichts einzuwenden war. War das Gedächtnis
schlecht, zum Beispiel, wenn andere
gleichzeitige Eindrücke überwogen,
so entstand ein Bild, das vom Standpunkt der Technik lächerlich und verzerrt war.> Als Exempel dafür nennt
Schapira das damals in seinem Besitz
befindliche Gemälde >Nachtimpression< aus dem Jahr 1918. Es zeigt
eine nächtliche Straße, die von einer
Eisenbahnbrücke überquert wird; gerade durchfährt eine Pferdedroschke
die Unterführung, während ein Eisenbahnzug über die Brücke rollt. Vom
Zug sieht man die Lokomotive und
einen Teil des ersten Wagens mit erleuchteten Fenstern. Aus dem hohen
Schornstein der Zugmaschine quillt
Dampf und verhüllt einen großen
Teil der Szene. >Die Lokomotive ist
vollkommen verzerrt<, schreibt Carl
Schapira weiter, >und weniger als
halb so lang als sie in Wirklichkeit ist,
auch wenn es eine kleine Stadtbahnlokomotive sein soll. Diese Fremdheit
der Technik gegenüber verhinderte
Lesser Ury jahrelang Automobile zu
malen. Zu einer Zeit, d. h. um 1920,
als es schon viele Autos gab, waren
es immer Pferdedroschken, die seine
Berliner-Straßen-Bilder belebten. Ich
sprach mit ihm darüber und er sagte mir, daß die Berliner Autos sich
seinem Gehirn und Auge noch nicht
eingeprägen. Es wären vor allem zu
wenige. Ich hatte ihm 1921 eine Ansichtskarte von Paris geschickt, wo
die Autos in Linien die Champs-Elysées hinunterfuhren und er bat mich
ihm von meiner nächsten Reise im
gleichen Jahr, so viele Ansichtskarten, schwarz-weiße und farbige, wie
nur möglich mitzubringen. Das tat ich
natürlich und indem er diese Postkarten studierte, überwand er die Scheu
und das Automobil war als Malobjekt
geboren. Nun hatte er keine Schwierigkeiten mehr, es wiederzugeben.
Es ist eine merkwürdige Gehirntätigkeit, die sich auf das zu malende
Objekt vom reinen Standpunkt des
Auges, d. h. des Gefühls, nicht aber
des Verstandes konzentriert.<„ 1
Lesser Urys vielleicht beeindruckendste Graphik mit ungewöhnlich
hohem Abstraktionsgrad bei dichtester atmosphärischer Darstellung
im besten „turnerschen“ Sinne.
William Turner, Rain, Steam and Speed – The Great Western Railway
Öl auf Leinwand 1844; National Gallery, London
1
Schlögl, Hermann A. und Karl Schwarz,
Lesser Ury. Zauber des Lichts. Katalog der Ausstellung
im Käthe-Kollwitz-Museum Berlin 1995. S. 51
194
195
Maurice de Vlaminck
(Paris 1876 - 1958 Reuil-la-Gadelière)
Us, La Place.
Tuschpinsellithographie auf Chine
volant, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1924. 22,9 : 29 cm auf 32,2
: 49,2 cm.
Werkverzeichnis: Walterskirchen 173
II e (von f). Eins von 100 Exemplaren
des zweiten Zustandes mit dem Trockenstempel des Verlages „Galerie
des peintres-graveurs Paris“.
Im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt leicht gebräunt; am oberen
Rand Montierungsspuren.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen.
„Zum erstenmal versucht sich Vlaminck 1921 mit dem Steindruck. [...]
Die persönliche Auffassung bei der
Wahl des darzustellenden Naturausschnitts, die Art, wie die Motive arrangiert und zu bestimmten Wirkungen zusammengefaßt werden, wurde
von Vlaminck je nach der zu erzielenden Wirkung verschieden gehandhabt. Daher gelingt es uns, [...] drei
sich chronologisch folgende ‚Stile‘ zu
unterscheiden: Der erste [1921-1926]
ist durch seine Transparenz und sein
dekoratives Moment gekennzeichnet.
Der zweite [1926-1930] zeichnet sich
durch die Auswahl kleiner, wie durch
enge Fenster gesehener und sehr kontrastreich ausgeführter Ausschnitte
aus der Landschaft aus.“1
1
Walterskirchen, Katalin von, Maurice de
Vlaminck. Verzeichnis des graphischen Werkes. Bern
1974. S. 13
196
Maurice de Vlaminck
(Paris 1876 - 1958 Reuil-la-Gadelière)
Le Bengali I.
Tuschpinsellithographie auf Vélin filigrané des Papeteries d‘Arches MS, mit
Bleistift signiert, 1927. 10,3 : 16 cm
auf 20 : 24 cm. Werkverzeichnis: Walterskirchen 214 b (von b). Eins von 300
Exemplaren auf diesem Papier.
Erschienen als Blatt 15 des Buches
„Les hommes abandonnés“ von Georges Duhamel, erschienen bei den Éditions Marcel Seheur in Paris.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen.
197
Heinrich Vogeler
(Bremen 1872 - 1942 Kornejewka/Kasachstan)
Frühlingsmärchen.
Radierung und Aquatinta in braun auf
Bütten, in der Platte monogrammiert,
mit Bleistift signiert, 1912. 33,7 : 23,5
cm auf 42 : 30,3 cm.
Werkverzeichnis: Rief 47 II. d (von e).
Eins von 100 Exemplaren, teils auch
in grün gedruckt von Otto Felsing.
Schöner, nuancierter Abzug, im ehemaligen Passepartoutausschnitt etwas
gebräunt. Minimale Altersspuren.
Provenienz: Privatsammlung München.
„Mehr noch als die Malerei erregten
zu Beginn der künstlerischen Tätigkeit Vogelers dessen Radierungen
Aufmerksamkeit. [...] bis heute gelten
die subtil gezeichneten, stets etwas
märchenhaft-verträumt
wirkenden
Kompositionen [...] als Höhepunkt
im Werk Vogelers, spiegelt sich in ihnen doch das feinnervige Wesen des
Künstlers am deutlichsten wider. [...]
Die meisten Szenen versetzte Vogeler
in die reale Umgebung der Worpsweder Landschaft mit ihren Birken und
reetgedeckten Häusern. Diese Naturverbundenheit zieht sich wie ein roter
Faden durch sein Werk. Insbesondere
in seinen Radierungen rückt Vogeler
die Suche nach einer Verbindung zwischen Mensch und Landschaft, gipfelnd in der Vorstellung eines irdischen
Paradieses, in den Vordergrund. Der
‚Frühling‘, eines der Leitmotive des
Jugendstils schlechthin, avanciert dabei zum Gegenstand zahlreicher Darstellungen von der szenischen Komposition bis hin zur ausschnitthaften
Wiedergabe knospender Bäume und
Blumen. Häufig faßt Vogeler die Darstellung in eine mehr oder weniger
breite Rahmung, in die erzählerische,
symbolische oder rein dekorative Elemente der Binnenkomposition noch
einmal aufgenommen werden.“ 1
1
Ulmer, Renate, Das druckgraphische
Werk. In: Heinrich Vogeler und der Jugendstil. Katalog
der Ausstellung im Barkenhoff/Haus im Schluh, Worpswede, Museum Künstlerkolonie Darmstadt und GustavLübcke-Museum, Hamm 1997-1999. S. 100
198
199
Fritz Wimmer
(Rochlitz/Sachsen 1879 - 1960 Neuburg am Inn)
Mädchenstudie.
Kohlezeichnung auf Maschinenbütten,
rückseitig signiert, bezeichnet „Stuttgart Ateliergebäude Untere Anlagen“
und betitelt, dazu der Nachlaßstempel,
ohne Jahr (um 1908). 55,4 : 42,5 cm.
Einheitlich, aber nicht störend, gebräunt, am oberen Rand hinterlegter
Einriss, verso Montierungsreste.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen.
Literatur: Fritz Wimmer. Oeuvreverzeichnis des Nachlasses. Galerie von
Abercron München 1991. Nr. K-0801
(Mädchen mit Schürze auf Stuhl). Mit
ganzseitiger Abbildung.
„Fritz Wimmer war ‚Schwabinger‘ in
‚der großen Schwabinger Zeit‘, aber
sein Blickwinkel war nicht der des auf
den Wellen der Zeit emporgetragenen
Künstlers, sondern der des Chronisten, der nüchtern beobachtet. Spricht
man bei der Gruppe ‚Neu-Dachau‘
von einem stilistischen Spätimpressioniusmus, so ist diese Stilbezeichnung im weitesten Sinn wohl auch für
Fritz Wimmer zutreffend, wenn auch
der Einfluß verschiedene expressive
Richtungen auf den Künstler ganz offensichtlich ist. [...] Angesichts von
Werken wie [...] der Kohlezeichnung
‚Mädchen mit Schürze auf Stuhl‘, kann
ich mir vorstellen, daß es sich lohnen würde, das Werk Fritz Wimmers
der Vergessenheit zu entreißen, wofür
hier der erste wichtige Schritt getan
wurde.“1
Wimmer studierte in München zunächst
an der privaten Kunstschule von Ludwig Schmid-Reutte, ab 1887 an der
Akademie bei Karl Raupp. Von 1898
bis 1904 war er Schüler von Paul Hoecker, Ludwig von Herterich und Franz
von Stuck. Bei einem Sommeraufenthalt in Dachau lernte er Ludwig Dill
1
Gärtner, Ulrike, Einführung. Fritz
Wimmer. Œuvreverzeichnis des Nachlasses. Galerie von
Abercron München 1991. S. 4
200
und Adolf Hölzel kennen, dem er 1906
an die Stuttgarter Kunstakademie folgte. Hier studierte er bis 1910 in Hölzels
Komponierklasse. Im Anschluß ließ er
sich als freier Künstler in Schwabing
nieder. 1944 wurde sein Atelier durch
Bombenangriffe zerstört, woraufhin
Wimmer nach Neuburg übersiedelte
201
Marius Woulfart
(Paris 1905 - 1991 Grasse ?)
Ohne Titel (Auf der Terrasse in Südfrankreich)
Öl auf Holz, mit Pinsel signiert, um
1930. 33 : 40,8 cm.
Provenienz: Privatbesitz Südfrankreich.
Der Künstler war der Sohn des lettisch-französischen Malers Max Wulfart (Frauenburg 1876 - Paris 1955),
von dem er auch ausgebildet wurde.
Max Wulfart hatte in Paris bei Fernand Cormon und Jean-Paul Laurens
studiert. Werke seines Sohnes befinden sich außer in Pariser Museen u.
a. im Musée de Montréal/Kanada,
Musée de Palm Beach/Florida sowie
in zahlreichen internationalen Privatsammlungen.
Auszeichnungen:
- 1970 : Premier prix et médaille
d‘or XIe salon Grasse.
- 1971 : Premier prix dessin salon
Grasse.
- 1972 : Premier prix salon International.
- 1973 : Médaille de la ville de
Mantes-La-Joie.
- 1978 : Médaille d‘or de la ville de
Grandville.
- Chevalier des Arts et Lettres.
- Chevalier des Arts Sciences et
Lettres.
Ausstellungen:
- Salon d‘automne de Paris.
- Biennale de Menton.
- Galerie Wellington, Montréal
(Kanada).
- Galerie Juarez, Palm Beach
(Florida).
- Galerie du Vieux Colombier
(Paris).
- Galerie Georges V (Paris).
- Galerie des Champs Elysées
(Paris).
- Galerie Gréco (Bordeaux).
- Galerie Page (Bayonne).
- Galerie Oeillet (Toulouse).
- Galerie Négresco (Nizza).
202
- Palais de la Méditerranée (Nizza).
- Galerie Bonnefon (Perpignan).
- Musée d‘Auch (Gers).
- Musée du chateau de Nérac.
- Musée du Bastion St-André (Antibes).
- Zahlreiche Galerien in Cannes.
- Centre International de Grasse.
Literatur:
„Destins brisés. Peintres de l‘École
de Paris“ Katalog der Ausstellung im
Musée départemental de la Résistance et de la Déportation Toulouse
25.10.2010-14.1.2011.
203
Heinrich Zille
(Radeburg 1858 - 1929 Berlin)
Zwei Welten.
Zwei Bleistiftzeichnungen auf Velin,
ohne Jahr. 12,3 : 5,5 cm auf 13 : 7,5
cm und 11 : 5,5 cm auf 12,6 : 11 cm
(diese betitelt und signiert). Im ehemaligen Passepartoutausschnitt gebräunt. Verso Montierungsreste. Die
Ränder mit Altersspuren.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen
Von der Not getrieben und in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft kam die
verschuldete Familie Zille mit Tochter
Fanny und dem neunjährigen Sohn
Heinrich im November 1867 nach
Berlin. Von einigen wenigen Reisen
abgesehen, verbrachte Heinrich Zille das folgende halbe Jahrhundert
in dieser Stadt und wurde ihr originellster Chronist. Als er 1929 starb,
folgten 2000 Menschen dem Sarg:
Künstler, Politiker und Repräsentanten der Stadt erwiesen ihm die letzte
Ehre, das einfache Volk beweinte seinen geliebten ‚Raffael der Hinterhöfe‘. Zille hinterließ ein Werk, das in
seiner Art in Deutschland einzigartig
Am Alexanderplatz. Schwarze und farbige Kreiden, 43,5 : 32,5 cm
Stadtmuseum Berlin
ist. Es portraitiert und feiert die Stadt
und ihre Menschen in vielen Facetten,
prangert aber zugleich die sozialen
Verhältnisse an. Dabei schwelgen die
einzelnen Arbeiten in scharf beobachteten Details und Anekdoten, die in
der Gesamtschau eine beredte Quelle zur Kulturgeschichte der Reichshauptstadt und der Wilhelminischen
Zeit liefern.“1
Foto von Heinrich Zille, Ecke Friedrichstrasse/Mittelstraße um 1901/1902
1
Fischer, Rolf, Heinrich Zilles Berlin. Sein
Milljöh in Zeichnungen und zeitgenössischen Fotografien. Köln o. J. S. 7
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Heinrich Zille
(Radeburg 1858 - 1929 Berlin)
Ohne Titel (Mutter mit Kind).
Kohlezeichnung auf Velin (rückseitig
fragmentarische Studie eines weiblichen Oberkörpers), ohne Jahr. 8,5 :
7,5 cm auf 12 : 8,7 cm. Verso Montierungsreste.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen (1972 in der Galerie Rosenbach,
Hannover erworben).
„Immer aber lockte ihn das Thema
>Mutter und Kind<. Er wußte warum, was das Kind für die Mutter
bedeutet: Schmerz und Sorge - und
Glück zugleich. Und selbst da, wo er
die Mutter zeigt, wie sie ihrem Kind
die Läuse absucht, weiß er durch seine künstlerische Vermittlung noch ein
verstehendes Lächeln zu erwecken.
Für seine Mutter hatte er die höchste
Verehrung - nicht minder für die Mutter seiner Kinder. >Ne Mutter ist immer was Heiliges!< sagte er oft.“1
recto
verso
1
Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.50 Tsd. Berlin 1930. S. 21 f.
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Heinrich Zille
(Radeburg 1858 - 1929 Berlin)
Ohne Titel (Dienstmann).
Kohle- und Farbkreidezeichnung auf
Teil eines Briefumschlages, ohne Jahr.
13 : 5 cm auf 14,5 : 9,2 cm. Im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt gebräunt. Verso mit der Beschriftung in
Tinte „Herrn! H. Zille“ sowie dem roten Nachlaßstempel (Lugt 2676 b)
Provenienz: Privatsammlung Westfalen
(1972 in der Galerie Rosenbach, Hannover erworben).
„Für einen wohlhabenden Berliner
hat er recht bescheiden gewohnt. Ja,
der >Anwalt der Armen< hatte es
verstanden, mit seinen Pfunden zu wu-
chern, und er wußte wohl den Wert des
Geldes zu schätzen, das ihm im Alter,
im Gegensatz zu seinen Äußerungen,
die auch so von seinen Biographen
übernommen wurden, reichlich zugeflossen war und nach seinem Tode ein
stattliches Erbe ausmachte. Trotzdem
war er stets sparsam bis zum Exzeß.
Er rechnete seiner Frau die Pfennige vor, zeichnete im schlechtgeheizten
Atelier mit Handschuhen, die nach Art
des flotten Autofahrers an den Fingerkuppen abgeschnitten waren, um die
klammen Finger beweglich zu halten.
Er verstand es, überall und immer zu
sparen: Heinrich >fingerte<, wie er
das Zeichnen nannte, auf jedem Papierfetzen, der ihm noch geeignet dazu
erschien, und so finden wir heute die
schönsten Studien auf Rückseiten von
sorgfältig
auseinandergenommenen
Briefumschlägen, zerschnittenen technischen Zeichnungen, ungedruckten
Rückseiten von Rechnung und Prospekten. Zeichenpapier war ihm zu teuer,
und als ihm Freunde zum Geburtstag
ein in Leder gebundenes Skizzenbuch
mit Büttenpapier schenkten, trug er es
in die Vitrine wie ein kostbares Ausstellungsobjekt. nach seinem Tode lag es
immer noch da: unberührt.“ 1
verso
recto
Heinrich Zille
Dienstmann um 1910
Farbige Kreide 19 : 13,3 cm
Stadtmuseum Berlin
1
Rosenbach, Detlef, Zwischen Tradition und
Moderne. Katalog 28. Hannover 1985. S. 74
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Heinrich Zille
(Radeburg 1858 - 1929 Berlin)
Ohne Titel (Frau mit Dutt).
Kohlezeichnung auf Velin, ohne Jahr.
11,2 : 7,5 cm auf 13,5 : 10,5 cm. Im
ehemaligen Passepartoutausschnitt
leicht gebräunt. Verso Montierungsreste. Auf Papier montiert, hier verso
der rote Nachlaßstempel „Nachlaß
Prof. Heinrich Zille“ sowie die handschriftliche Notiz „S. Z“
Provenienz: Privatsammlung Westfalen (1972 in der Galerie Rosenbach,
Hannover erworben).
Zum Stempel: Dieser rote Nachlaßstempel wurde von Zilles Sohn
Walter zur Kennzeichnung der in
seinem Besitz befindlichen Originale benutzt. Er ist auf unsignierten
Studien und Skizzen anzutreffen 1
„Äußerst vielfältig ist der Duktus der
Studien und Skizzen des kaum überschaubaren Nachlasses; die meisten
von ihnen dürften in den zehn Jahren
nach der Jahrhundertwende entstanden sein. Hier zeigt sich am ehesten
die Virtuosität des Künstlers, die Eigenart einer Bewegung, eines Vorganges oder gar eines Charakters festzuhalten. Mit der zu Studienzwecken am
häufigsten benutzten Kreide erreicht
er jene rundlichen Formen, die die
meisten der kleinformatigen Blätter
auszeichnen und deren Ausdruckskraft im Geranke der Linien liegt:
eine Art zu gestalten, die er bis in das
letzte Lebensjahrzehnt beibehalten
hat. Die auf den unterschiedlichsten
Papieren ausgeführten Skizzen haben
oft nur die Größe eines Briefumschlages und waren als Vorlagen für größere Kompositionen gedacht. Vereinzelt
finden wir diese kleinen Blätter auch
mit Kohle skizziert, während er die
Feder in dieser Zeit kaum benutzt.“ 2
Paula mit die Krampfaderbeene „Früher war ick de Venus
von‘s Imperial. Nu bin ick de Paula mit die Krampfaderbeene.
Kreideskizze nach der Natur (Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.-50 Tsd. Berlin 1930. Abb. 171)
1
Siehe hierzu: Rosenbach, Detlev, Hrsg.,
Heinrich Zille. Das graphische Werk. Hannover 1984. S. 32
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2
Altner, Renate, Der Einfluß der Berliner
Sezession auf die Ausprägung des grafischen Stiles von
Heinrich Zille. In: Heinrich Zille 1858-1929. Katalog der
Ausstellung im Märkischen Museum Berlin o. J. S. 119
Heinrich Zille
(Radeburg 1858 - 1929 Berlin)
Ohne Titel (Frau mit Hut).
als die Bildhaft ausgearbeiteten Zeichnungen lassen die Skizzen und Studien
Phasen einer künstlerischen Entwicklung erkennen. Mit spielender Leichtigkeit umreißt der Stift die Gestalt, verrät
die Feinheiten der Physiognomie. Hin
und wieder arbeitet er ganz im Sinne
des Impressionismus. Mit der Auflösung
der Linie um dem pointierten Einsatz
der farbigen Kreiden erreicht er jenen
„Allmählich handhabt er die Kreide im- atmosphärischen Reiz, der die Bildwermer freier und dynamischer. Mehr noch ke des Impressionismus auszeichnet.
Kohle- und Farbkreidezeichnung auf
Velin, ohne Jahr. 9,5 : 7,5 cm auf 12,3
: 9,7 cm. Im ehemaligen PassepartoutAusschnitt gebräunt, am oberen Rand
kleiner Einriss, verso Montierungsreste.
Provenienz: Privatsammlung Westfalen
(1972 in der Galerie Rosenbach, Hannover erworben).
Doch meist hielt Zille am Umriß fest,
und mehr oder weniger sind die Details
markiert, die Schatten angedeutet. In
der bildhaft ausgearbeiteten Zeichnung
verdichtet sich de Form, wird körperhaft und bezieht die Umgebung in die
meist mit schwungvollen Linien gestalteten Figuren ein. Sicherheit des Strichs
paart sich mit einer erstaunlichen Fähigkeit, Bewegung zu erfassen.“1
1
Altner, Renate, Der Einfluß der Berliner
Sezession auf die Ausprägung des grafischen Stiles von
Heinrich Zille. In: Heinrich Zille 1858-1929. Katalog der
Ausstellung im Märkischen Museum Berlin o. J. S. 112
links: „Frau H..., Plättanstaltbesitzerin“. Kohlestudie (Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.50 Tsd. Berlin 1930. Abb. 194)
rechts: Frau mit Pleureuse. Radierung 1908. Rosenbach 32. Abgebildet in: Zille, Kinder, S. 56:
„Trübe Aussicht. >Unter Polizeiuffsicht und unmoderne Kluft, da kann man keene besseren Bekanntschaften machen<
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Heinrich Zille
(Radeburg 1858 - 1929 Berlin)
Ohne Titel (In der Laubenkolonie)
Zwei Bleistiftzeichnungen recto und
verso auf Velin, ohne Jahr. 31,6 : 15,8
cm (Blattformat). Verso mit dem roten Nachlaßstempel (Lugt 22676 b)
sowie dem Sammlungstempel „Zille
Sammlung Auzinger“ und der handschriftlichen Bezifferung „23“ sowie
„2702“. Recto in der Mitte kleine Läsur, verso Montierungsreste. Die Ränder mit Altersspuren.
Provenienz:
Sammlung
Auzinger/
Kempten; Galerie Rosenbach, Hannover; Privatsammlung Westfalen
(1972 bei Rosenbach erworben).
„In einer Skizze von einem Ehepaar,
das seine Gartenerde umgräbt, hat
Heinrich Zille eine monumentale Verherrlichung dieser Ur-Arbeit geschaffen. Selten ist wohl mit so wenig Strichen ein so monumentaler Eindruck
von der Arbeit an dem Boden erreicht
worden, wie ihn hier Heinrich Zille
schuf.“1
„Laß man, Olle, wir haben‘t bald jeschafft!“
Kohleskizze aus einer Laubenkolonie (Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.50 Tsd. Berlin 1930. Abb. 15)
1
Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis.
26.-50 Tsd. Berlin 1930. S. 22
210
recto
verso
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