Sehe ich den herrlichen Kopf des Perugino, der

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Sehe ich den herrlichen Kopf des Perugino, der
Raffael und Umkreis
Raffael und Umkreis
Handzeichnungen Aus der Sammlung Wolf Bürgi
Katalogtexte Paul Joannides
mit Beiträgen von
Costanza Barbieri
Lucia Tantardini
Galerie Hans · Jungfernstieg 34 · Hamburg
Mit dieser Ausstellung möchte ich dem Freund und Sammler Prof. Wolf Bürgi (1901–1989) gedenken. Wir
zeigen rund 50 italienische Handzeichnungen des 16. Jahrhunderts aus seiner Sammlung.
Ich lernte ihn Ende der 70er Jahre durch Vermittlung eines befreundeten Gemälderestaurators in Bern
kennen.
Sein im 17. Jahrhundert erbautes Haus lag direkt neben dem Münster in der Junkerngasse. Bei meinem ersten
Besuch war ich überwältigt von den Schätzen, die ich dort zu sehen bekam.
Der alte, freundliche Herr führte mich durch enge Flure, die vollgehängt waren mit den schönsten Zeichnungen.
Er zeigte mir begeistert seine Schätze und erzählte dazu all die Geschichten, die wahre Sammler von ihren
Kostbarkeiten zu berichten wissen.
Insbesondere erinnere ich mich an eine detailliert ausgeführte braune Tusche von Honoré Fragonard „Tanzende
Satyren mit Cymbeln“ nach der es eine Radierung des Künstlers gibt, einen Profilkopf mit Kappe, der
Giovanni Bellini hieß, oder einen „Hl. Georg zu Pferde“ von Salviati, der in einem wunderschönen florentiner
Plattenrahmen des 16. Jhds. eingelegt war.
Vom Wohnzimmer aus hatte man einen weiten Blick auf das Gebirge und die grünblaue Aare, die unten
im Tal am befestigten Bergfuß der Altstadt floß. An den Wänden hingen die schönsten Bilder, die ich bis
dato in einem Privathaus gesehen hatte. Zum Beispiel ein Gemälde von W. Turner mit der Darstellung von
Ehrenbreitstein, oder über dem Bureau plat hing der großer Karton mit einer Madonna, der Fra Bartolommeo
zugeschrieben war.
Es bedurfte langer Gespräche und vieler Besuche in Bern bis wir im Fahrstuhl in das „Allerheiligste“ vor­
drangen, das sich im vierten Stock unter dem Dachboden befand. Neben einer ausgesuchten Handbibliothek
stand ein großer Barockschrank, der angefüllt war mit Mappen voller Zeichnungen. Während er mir liebevoll
seine Schätze in die Hände legte, erzählte mir Prof. Bürgi, dass er als junger Anwalt in den 30er Jahren
regelmäßig nach Venedig, Rom, London und Paris zu reisen hatte. Seine Freizeit habe er in Antiquariaten
verbracht, wo er für wenig Geld gute Zeichnungen erwerben konnte, die damals kaum Interesse fanden, im
Gegensatz zur gesuchten Druckgraphik, die hoch im Kurs stand.
Schon sein Vater, Emil Bürgi, Professor der Medizin in Bern, Mitbegründer des Seruminstituts und Offizier
der Ehrenlegion habe sich eine kleine Gemäldesammlung französischer Künstler des 18. Jhds. angelegt. Sein
Hauptinteresse hätte aber im Sammeln asiatischer Kunst gelegen.
Im Laufe der Jahre haben wir versucht gemeinsam Ordnung in die umfangreichen Bestände von ca. 2000
Blättern zu bringen. Dabei kamen immer wieder die erstaunlichsten Entdeckungen zutage, wie sie heute auf
dem Kunstmarkt kaum noch zu finden sind.
Zum Beispiel eine Engelstudie auf Pergament des Meister E. S. – man stelle sich dies vor!
Oder eine Hirschstudie von Albrecht Dürer, die möglicherweise als Vorstudie für seinen berühmten Kupferstich
von 1501 mit dem Hl. Eustachius diente. Oder ein Entwurf von Ludovico Carracci für den Palazzo Ercolani
in Bologna, um nur einige zu nennen.
Bei wichtigen Neuerwerbungen wurden für benötigte Geldmittel aber auch Zeichnungen abgegeben, die man
natürlich lieber behalten hätte. So vermittelte ich u.a. an den bekannten Zeichnungssammler Ian Woodner in
New York die herrlichen Hundestudien von Antoine Watteau – oder eine Kreuzigung mit Engel von F. Barocci
an die Stiftung Ratjen in Vaduz.
Prof. Bürgi hat noch mit großem Interesse 1987 die Eröffnung meiner neuen Galerieräume am Jungfernstieg
in Hamburg miterlebt. Nach seinem Tode habe ich mit seiner Tochter Marie-Christa über viele Jahre den
Wünschen des Sammlers entsprechend seine „Schätze“ nicht an Museen, sondern an Privatsammler verkauft,
die ebenso viel Freude an der Kunst haben sollten wie er. Für das mir entgegengebrachte Vertrauen und die
daraus entstandene Freundschaft möchte ihr danken!
Im Rahmen der Ausstellung und der begleitenden Kataloge gilt mein besonderer Dank Prof. Paul Joannides,
Oxford, dem Verfasser des Werkkataloges der Zeichnungen Raffaels. Er hat mit viel Verständnis und großer
Kennerschaft unseren Zeichnungsband bearbeitet.
Allen Experten, die mit der Beantwortung unserer Frage weitergeholfen haben, möchte ich ebenfalls danken.
Für Textbeiträge danke ich Prof. Costanza Barbieri, Rom, Dr. Carlos. O. Boerner, Hamburg, Prof. Claudia La
Malfa, Rom, Prof. Jürg Meyer zur Capellen, Münster, Dr. Lucia Tantardini Lloyd, Oxford, Prof. Carolyn C.
Wilson Houston, Prof. Allesandro Vezzosi, Vinci.
Ferner gilt mein Dank allen Leihgebern, die sich für den Zeitraum der Ausstellung von ihren Schätzen
trennen.
Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Mitarbeiterin Anne Auber, die seit Mitte 2007 als Kunsthistorikerin
in der Galerie tätig ist und die Katalogbearbeitung und Ausstellungsorganisation übernommen hat.
Mathias F. Hans
KÜNSTLERverzeichnis
ALBERTI, CHERUBINO ............................................................................................................... 53
BANDINELLI, BACCIO . ............................................................................................................... 48
BAROCCI, FEDERICO . .......................................................................................................... 24, 25
BEZZI, GIO. FRANCESCO . .......................................................................................................... 42
CARAVAGGIO, POLIDORO DA . ....................................................................................... 39, 43, 45
CARPACCIO, VITTORE . ................................................................................................................ 5
CARPI, GIROLAMO DA . ........................................................................................................ 32–34
FRA BARTOLOMMEO . ............................................................................................................ 9–10
IMOLA, INNOCENZO DA ............................................................................................................. 21
LARCIANI, GIOVANNI ................................................................................................................. 11
LIGORIO, PIRRO . ........................................................................................................................ 20
LIPPI, FILIPPINO . ......................................................................................................................... 7
LUINI, AURELIO . ........................................................................................................................ 35
MANTEGNA, ANDREA .............................................................................................................. 1–4
MICHELANGELO ......................................................................................................................... 50
NALDINI, GIOVANNI . .................................................................................................................. 12
PENNI, FRANCESCO ................................................................................................................... 19
PERUGINO, PIETRO . ..................................................................................................................... 8
PIOMBO, SEBASTIANO DEL . ................................................................................................ 46, 47
PUPINI, BIAGIO ........................................................................................................................... 29
RAFFAEL .......................................................................................................................... 13–17, 22
RAIMONDI, MARCANTONIO . ....................................................................................................... 6
REGGIO, RAFFAELLINO DA ....................................................................................................... 44
ROMANO, GIULIO . ......................................................................................... 18, 26–28, 30, 31, 51
ROSSO FIORENTINO ................................................................................................................... 49
TIBALDI, PELLEGRINO ........................................................................................................ 40, 41
VAGA, PERINO DEL ............................................................................................................... 36–38
VASARI, GIORGIO . ...................................................................................................................... 23
VOLTERRA, DANIELE DA ........................................................................................................... 52
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Raffael und seine Kreise
Der im Titel gewählte Plural deutet an, dass Raffael nicht im oder nahe dem Zentrum nur eines Kreises
steht, sondern vieler. Einer dieser Kreise betrifft seine Anhänger. Jeder seiner großen Schüler schöpfte aus
unterschiedlichen Aspekten des vielgestaltigen Raffael’schen Œuvres, und alle schufen sich aus bestimmten
Winkeln seiner Kreise ihren eigenen Umkreis. Das gilt auch für Künstler, die nur wenig Kontakt zu Raffael
hatten, wie Baccio Bandinelli, oder die erst nach Raffaels Tod geboren wurden, wie Barocci, der sich von
Raffaels Arbeit leiten und inspirieren ließ. Doch auch Raffaels eigenes Leben, seine Laufbahn und sein Werk
kreuzen eine Reihe sich überschneidender Kreise, namentlich die seiner Lehrer, seiner Vorgänger, seiner
Modelle und seiner Zeitgenossen, die manchmal auch Rivalen waren. Wenngleich dieser Katalog also die
Arbeiten zahlreicher Künstler präsentiert, bilden Raffael und sein Werk auf die eine oder andere Weise einen
vorzüglichen Ausgangspunkt für deren Besprechung.
Das mag auf den ersten Blick überraschen. Zeichnungen der bedeutendsten Künstler des Quattrocento und
des Cinquecento kommen selten auf den Markt, und es ist ungewöhnlich, dass eine private Galerie eine so
kohärente Gruppe von Zeichnungen in einer einzigen Ausstellung zeigen kann. Üblicherweise ist dies die
Domäne von Museen. Und natürlich gibt es zwangsläufig gewisse Grenzen. Man hätte sich Originalblätter von
Raffaels Hand und der seines größten Widersachers, Michelangelo, gewünscht, und auch von Mantegna und
Polidoro da Caravaggio, dem A und dem O des antikischen Revivals (die intellektuelle Abstammungslinie
Mantegna – Raffael – Polidoro ist bemerkenswert direkt). Das Fehlen einer Zeichnung von oder nach Leonardo
da Vinci, dessen Werk Raffael zutiefst verpflichtet war, stellt eine große Lücke dar, auch wenn eine seiner
Arbeiten entfernt in einer hier gezeigten Studie aus der Schule Giulio Romanos anklingt. Doch selbst ohne
Leonardo fehlt es dieser Ausstellung, mit teils bedeutsamen Zeichnungen von Perugino, Fra Bartolommeo,
Giulio Romano, Perino del Vaga und Federico Barocci sowie weiteren, Il Rosso, Pellegrino Tibaldi und Il
Nosadella zugeschriebenen Blättern, nicht an Qualität. Dass sie aber einen gedanklich und historisch weit
größeren Zusammenhalt aufweist, als er durch die Präsentation einzelner Glanzstücke zu erzielen wäre, ist
einer Reihe von Kopien zu verdanken, die zum Teil einer bestimmten Hand zuzuordnen sind und zum Teil von
wahrhaft begabten Künstlern stammen, deren Identität sich wahrscheinlich erst nach ausgiebigen weiteren
Recherchen feststellen ließe.
An dieser Stelle sollte etwas über Kopien gesagt werden. Vermutlich stimmt es, dass sie die größte noch
existierende Gruppe von Zeichnungen aus dem Cinquecento bilden. Jeder Künstler, besonders jeder junge
Künstler, kopiert den anderen. Dennoch ist dieser Bereich der Kunst bislang kaum erforscht, denn zum einen
ist er von Natur aus kompliziert – Künstler unterdrücken häufig ihre eigene Persönlichkeit, wenn sie fremde
Zeichnungen kopieren – und zum anderen sind Kopien ihrem Wesen nach keine Originalkompositionen: ihnen
fehlt der Reiz des Neuen. Andererseits können Kopien in der Auslegung ihrer Vorbilder originär sein, für sich
allein bemerkenswert schön und außerdem historisch bedeutsam. So sind einige der hier gezeigten Kopien nach
Polidoro da Caravaggio von höchster Qualität – zum Glück, könnte man sagen, denn ohne die Kopien selbst wüssten
wir quasi nichts über Polidoros Fassadenfresken und ihren unermesslichen Einfluss auf spätere Künstler, und
ohne die Schönheit der Kopien kaum etwas über den mächtigen inspirativen Effekt, den diese Fresken hatten.
Raffael selbst studierte natürlich ausgiebig die Werke anderer Künstler, und obwohl nur relativ wenige seiner
Kopien überlebt haben, gab es einmal sehr viele davon, zumeist in heute verschollenen Skizzenbüchern.
Schon zu Raffaels Lebzeiten wurden fremde Einflüsse auf seine Arbeit beobachtet und diskutiert, aber wie
andere große Maler, etwa Rubens oder Michelangelo, dessen früheste Zeichnungen Kopien nach Giotto und
Masaccio waren, nahm er innerhalb der vorgefundenen Grenzen ständig Neuerungen vor.
Kopien bilden daher ein Hauptthema dieses Kataloges. Ein anderes ist die Antike. Einige der hier präsentierten
Zeichnungen illustrieren Motive aus der antiken Geschichte und Mythologie, viele andere dokumentieren den
Einfluss der klassischen Bildhauerei, speziell römischer Reliefs und, gelegentlich, Plastiken. Gegen Ende
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seines Lebens wurde Raffael von Papst Leo X. zum Aufseher über die römischen Antiken ernannt, und so
wird Raffaels letzte Schaffensphase, mit leichter Übertreibung, auch als sein klassischer Stil beschrieben.
Im Spätwerk seiner letzten fünf Lebensjahre vereinte er die kompositorischen Prinzipien des klassischen
Reliefs mit den Eigenschaften freistehender Skulpturen, namentlich ihrer individuellen Gestaltung und der
Möglichkeit, sie von allen Seiten zu betrachten. Diese Verschmelzung beflügelte viele Werke seiner Anhänger.
Der vorliegende Katalog verfolgt in Teilen das Thema der Antike. Zu finden sind Arbeiten aus der Werkstatt
von oder nach Andrea Mantegna, den Raffaels Vater, Giovanni Santi, am meisten bewunderte. Mantegnas
erhabene Auffassung von der Kunst, sein hohes Ansehen, seine autoritativen gestalterischen Fähigkeiten
und seine immensen Kenntnisse des Altertums, in denen er sämtliche seiner Zeitgenossen und die meisten
seiner Nachfolger übertraf, machten ihn für Raffael zum Vorbild. Hätte Mantegna nicht in Mantua gelebt
und gearbeitet, wäre er in der Tat ein Antikenaufseher gewesen, der Raffel an Kenntnisreichtum noch
übertroffen hätte. Obwohl beide Männer nie persönlich miteinander in Berührung kamen, hatte Mantegna
mächtigen Einfluss auf Raffaels Kunst, am augenscheinlichsten in dessen späteren Phasen in Florenz und
Rom. Die hier gezeigte Version der Szene aus Mantegnas Triumph des Julius Cäsar veranschaulicht das
von Raffael für einige seiner späteren Vorhaben übernommene, systematische Grundmuster. In der gleichen
Sektion ist auch eine Kopie nach einer der bekanntesten Arbeiten aus Mantegnas Stichwerk zu sehen, einer
Disziplin, in der er Pionierarbeit leistete. Dazu passend, schließt die Sektion mit einer frühen Zeichnung
des Kupferstechers Marcantonio Raimondi ab, die entstand, als dieser noch in Bologna arbeitete. Das Blatt
verdeutlicht die süßliche Assimilation der Strenge Mantegnas, die damals in der Stadt üblich war und später
auch die Bologneser Annäherung an Raffael und Giulio Romano kennzeichnete. Marcantonio arbeitete später
für Raffael, der Mantegna in der Weiterentwicklung der Stichkunst schließlich weit hinter sich lassen sollte.
Der bedeutendere Künstler in Raffaels frühester Entwicklung, als dieser noch in Marken und Umbrien
arbeitete, war Perugino, ein persönlicher Bekannter von Giovanni Santi. Wie Vasari berichtet, gab Giovanni
seinen Sohn in Peruginos Obhut. So umstritten Raffaels genaue Verbindung zu Perugino ist, so offenkundig
ist auch, dass dessen Arbeitsweise, die neo-niederländische Üppigkeit seiner Bildoberflächen und seine
introspektive Spiritualität einen nachhaltigen Eindruck in Raffaels Frühwerk hinterließen. Tatsächlich ist
Perugino der einzige Künstler, dessen Zeichnungen noch heute manchmal mit Raffaels verwechselt werden.
Sein Einfluss lässt sich bis zu Raffaels letzten florentinischen Arbeiten verfolgen.
Für Raffael bedeutsam war auch Baccio della Porta, als Dominikanermönch nach 1500 Fra Bartolommeo
genannt. Als junger Künstler wurde Baccio in den 1490er Jahren anfangs von Ghirlandaio beeinflusst, danach
von Leonardo und Perugino, deren Eigenschaften er teilweise in sich vereinigte. Im Anschluss an seine
theologische Ausbildung kehrte er zur Malerei zurück und entwickelte nach 1504 weiträumige, belebte
Kompositionen und einen grandiosen Figurenstil. Davon tief bewegt, übernahm Raffael Fra Bartolommeos
raumgreifende Methode für einige seiner späten florentinischen und frühen römischen Gemälde. Ein späterer
Karton von Fra Bartolommeos Anhänger Giovanni Larciani spiegelt das Werk des Frate in der ersten Dekade
des 16. Jahrhunderts teilweise wider. In dieser Sektion befindet sich auch eine zweiseitige Zeichnung von einem
Mitarbeiter Filippino Lippis, dessen unruhige und tiefe Faltenwürfe zeitweilig Raffaels Interesse erregten.
Nach einem von Filippinos Fresken fertigte er auf einem Blatt beidseitig Kopien an (Paris, Louvre).
Die Sektion über Raffael selbst enthält, obwohl namhafte Wissenschaftler bei zwei Blättern anderer Meinung
sind, nach Ansicht des Autors keine Originalzeichnungen von Raffaels Hand. Gleichwohl ist eine Kopie nach
der Studie einer florentinischen Madonna zu sehen (der Larciani-Karton verneigt sich ebenfalls vor dem
Raffael der Florentiner Zeit) und eine Reihe von Reflexionen und Kopien nach Werken aus Raffaels römischer
Periode. Eine erweiterte Gruppe von Exponaten soll Raffaels Einfluss auf einige unvermutete Künstler
belegen, darunter etwa Giorgio Vasari, dessen wunderbare Heilige Familie eine Reverenz an Raffaels um
1510 entstandene Madonna di Loreto ist, oder Federico Barocci, der voller Eifer Raffaels Methode übernahm,
große Mengen von Vorzeichnungen anzufertigen.
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Die Sektion enthält darüber hinaus eine Gruppe von vier hochwertigen Kopien nach den Scheinreliefs in
Grisaille, die Raffael für die untere Wand der Loggia im Vatikan entwarf. Die Szenen leiten direkt über zu
dem antikischen Reliefstil von Polidoro da Caravaggio, dem die Ausführung dieser heute verschwundenen
Fresken zugeschrieben wird. Wie oben erwähnt, war Raffaels Phantasie am Ende seines Lebens durchdrungen
vom Wesen der Antike. Beim Anblick der Figuren in der Sala di Psiche der Villa Farnesina ist es schwierig,
ja manchmal unmöglich, die aus der Antike entlehnten Formen von Raffaels eigenen Erfindungen zu
unterscheiden. Doch seine Betrachtungen über die Klassik sind stets von Leben durchdrungen, und es ist
hier interessant zu sehen, wie eine Kopie nach Psyches Entführung Raffaels ungemein körperliche Figur der
Psyche auf ein geradezu neo-klassisches Ebenmaß reduziert. Nicht von ungefähr dürfte diese Kopie dem
lieblichsten der raffaelisierenden Künstler in der Emilia zuzuordnen sein: Innocenzo da Imola, dessen Stil die
süßliche Bologneser Tradition fortsetzte.
Die Sektion von Zeichnungen von und nach Giulio Romano ist eine der ergiebigsten des Kataloges. Obwohl
ein ergebener Schüler Raffaels, übte Giulio gegen 1520, als Raffaels Kompositionen freier wurden, mit seiner
kraftvollen künstlerischen Persönlichkeit vermutlich einen gewissen umgekehrten Einfluss auf den Meister aus.
Giulios Zeichnung der Heimsuchung, vermutlich zu Raffaels Lebzeiten entstanden, modifiziert dessen Entwurf
nur geringfügig. Aus der hier gezeigten Kopie nach der Konstantinischen Schenkung dagegen, dem letzten der
vier großen Historienfresken in der Sala di Constantino, spricht ein Raumkonzept, das sich deutlich von Raffael
absetzt, und es findet sich, nur vier Jahre nach dessen Tod, so gut wie keine Reminiszenz mehr an Raffaels Stil.
Giulios Temperament unterschied sich essentiell und unverwechselbar von Raffaels. Zeitweise nähert sich
sein späteres Werk eher der unausgewogenen und ungestümen Energie eines Filippino Lippi an als der des
Meisters. Die Richtung seiner Entwicklung wird schon in Mantua sehr früh und deutlich sichtbar. Aufschluss
gibt hierüber ein Vergleich der Kopie nach Giulios Psyches Entführung in der Sala di Psiche des Palazzo del
Te mit Raffaels Psyches Entführung in der Farnesina. Die Behandlung da sotto in sù ist Raffael eher fremd. Sie
zeigt Giulios Rückgriff auf Mantegna, seinen berühmten Vorgänger in Mantua, als Inspirationsquelle. Dieses
Interesse an der Perspektive führte schließlich zu seinem großen Coup de Théâtre, dem Deckengewölbe der
Sala dei Giganti, das hier in drei zusammenhängenden, von einem Mitglied seiner Werkstatt ausgeführten
Kopien präsent ist. Die Zeichnung von Aurelio Luini dokumentiert Giulios Arbeitsweise, wie sie im weiteren
Verlauf des 16. Jahrhunderts gedeutet wurde, schaut dabei aber eher auf Giulios Entwürfe für den Chor der
Kathedrale von Verona als auf seine Arbeiten im Palazzo del Te.
Giulio war Experte für die elegante, harmonische Seite der klassischen Antike. Doch nicht sie war es, die ihn
reizte, sondern die raue, gelegentlich rohe Expressivität der spätrömischen Reliefs, die er in den Stukkaturen
des Palazzo del Te interpretierte. Eine von Biagio Pupini gefertigte Kopie nach einer dieser Arbeiten bringt
sehr schön deren malerische Qualität und Lebendigkeit zum Ausdruck. Dies gilt in gleicher Weise für die hier
gezeigten Federzeichnungen von Girolamo da Carpi. Keine der drei Zeichnungen Girolamos in diesem Katalog
ist eine direkte Ableitung von Giulios Werk, aber sein Zeichenstil wurde so stark von Giulio geprägt, dass seine
Zeichnungen häufig für Werke von Giulios Hand gehalten werden (leider sind hier keine Federzeichnungen
von Giulio selbst vertreten). Ihre energische, markige Linie trug dazu ganz erheblich bei. Darüber hinaus teilte
Girolamo Giulios Faszination für das klassische Altertum. Er legte ganze Alben von Kopien nach Figuren aus
der Antike an, die er bisweilen auch in den Gemälden Raffaels und seiner Werkstatt fand, aber stets aus dem
gegebenen Kontext herauslöste. Die Oberfläche interessierte Girolamo in seinen Kopien wenig. Die Bewegung
der Figuren und ihrer Umhänge war es, die ihn umtrieb, was ihn einmal mehr in die Nähe des späten Giulio
rückt, dessen sinnlichere Studien eher dekorativen Objekten und Metallarbeiten vorbehalten waren.
Eine kleine Gruppe Zeichnungen von Perino schließt sich an. Weiter von Raffael entfernt als Giulio oder Gian
Francesco Penni, gehört Perino eher in den zweiten Ring der Anhänger Raffaels. In dessen Werkstatt scheint
er größtenteils unter der Anleitung von Giulio und Penni (dessen Schwester er später heiratete) gearbeitet zu
haben, aber nicht direkt für Raffael. Die innere Anmut seiner Arbeitsweise wird im Vergleich einer Kopie
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seines eigenen, verschollenen Entwurfs für Moses und der brennende Dornenbusch mit dem offensichtlichen
Vorbild in Raffaels Loggia deutlich. Rein zufällig hatte Perinos Schwager, Penni (von dem eine Vorlage für
die Loggia hier in einer Kopie zu sehen ist), die Vorlage für den Moses in der Loggia ausgeführt. Perinos
Raffinesse beruhte teilweise auf seinen frühen Erfahrungen in Florenz. Weniger das Werk seines Meisters,
Rudolfo Ghirlandaio, als das eines Andrea del Sarto durchdrang Perinos Arbeit, vor allem die zerbrechliche,
leicht geometrisch anmutende Eleganz, die del Sarto in ihm animierte (eine Kopie von Naldini nach einem
del Sarto-Gemälde ist hier katalogisiert). Perinos Liebe für Oberflächeneffekte, ordentlich begrenzte,
gestreckte Figuren und sporadisch unterbrochene Linien führte in seiner Kreuzigungsgruppe zu ansehnlichen
Ergebnissen. Diese zeigt auch Anklänge des Nordens, besonders von Dürer, für den sich sowohl Pontormo,
Perinos Florentiner Mitstreiter in den frühen 1520er Jahren, als auch Raffael in seinen letzten Lebensjahren
interessierten. Raffaels Neugier galt dabei allerdings eher Dürers Erzähltechniken als seinem Stil.
In einem seiner reichhaltigsten Abschnitte beschäftigt sich der vorliegende Katalog mit Zeichnungen nach
Polidoro da Caravaggio. Polidoro ist mit einem noch indirekteren Zugang zum Meister als Perino vermutlich
im dritten Ring von Raffaels Gesellschaft anzusiedeln. Dabei war er in mancherlei Hinsicht der individuellste
und mit Sicherheit der kraftvollste Künstler, der aus Raffaels Werkstatt hervorging. Er malte relativ wenige
Staffeleibilder, obwohl einige der davon noch existierenden ungeheuer einfallsreich und in bemerkenswerter
Bandbreite ausgeführt sind. Gleiches gilt für seine Zeichnungen, vor allem für jene in roter Kreide, deren
Festigkeit und Vitalität bis zu Annibale Caracci so gut wie unerreicht blieben. Darum ist es bedauerlich, dass
hier keine Originale von ihm zu sehen sind. Polidoros große, ja historische Errungenschaft aber waren seine
Fassadenmalereien von höchster gestalterischer Qualität. Alessandro Marabottini stellte erstmals fest, dass
Polidoro in Zusammenarbeit mit seinem kaum in Erscheinung tretenden Partner Maturino in rund vier Jahren
etwa 40 Fassaden dekoriert hat. Um derart produktiv zu sein, muss er eine Armee von Helfern beschäftigt
haben, und wie groß sein eigener Anteil an der Ausführung tatsächlich war, bleibt im Dunkeln. Die wenigen
Fragmente jedenfalls, die noch existieren, lassen kaum ein Urteil zu. Einige Projekte aber, wie das am Palazzo
Milesi, scheinen von schwelgerischer Vielfalt und außergewöhnlicher Güte gewesen zu sein. Davon zeugen
die Kopien in diesem Katalog.
Polidoros Entwürfe sind eine Offenbarung. Seine Motive fand er zumeist in historischen Episoden, aber auch
in der klassischen Mythologie. Den Zugang dazu bekam er über Reliefs, die er auf Sarkophagen oder auf den
Triumphbögen und Siegessäulen Roms fand. Die alten Formen füllte Polidoro betont mit neuer Lebenskraft und
Energie. Ihm gingen Stärke und physische Größe über Eleganz, dem Stillstand zog er die jederzeit mögliche
Bewegung vor. Symmetrie bewegte ihn nicht sonderlich, und obwohl er sich für Flächenwirkung interessierte,
dachte er sich seine Figuren immer plastisch. Auf dem Nährboden der Antike forcierte er körperliche Energie
und robustes Leben. In der Fusion von antiken Details mit der Kraft der Natur antizipierte er Rubens und Pietro
da Cortona, die beide ausführlich sein Werk studierten. Mit seinen Fassaden schuf Polidoro eine gigantische
Kunstschule unter freiem Himmel für seine jungen und nicht mehr so jungen Zeitgenossen. Kopien nach
Figuren seiner Werke kennen wir von Giulio Romano und von Perino, dessen großflächige Scheinreliefs in
der Sala Paolina des Castel Sant’ Angelo ohne Polidoros Beispiel kaum denkbar wären. Zweifellos hielt Perino
seine Schüler an, Polidoro zu studieren, denn gerade diejenigen Künstler, die im Rom der 1540er Jahre
mehr oder weniger unter Perinos Einfluss arbeiteten, wie Pellegrino Tibaldi oder Giovanni Francesco Bezzi,
genannt Il Nosadella, scheinen sich besonders eingehend und verständig mit Polidoro befasst zu haben und
entwickelten ihren Stil zu großen Teilen nach seinem Werk. Dies traf auch für den jungen Taddeo Zuccaro
zu.
Der Katalog ruft anschließend in kurzer Zusammenfassung das Werk von Sebastiano Luciani wach, nach dem
päpstlichen Amt, das ihm Clemens VII übertrug, besser bekannt als Sebastiano del Piombo und als Raffaels
großer Rivale in dessen späteren Jahren in Rom. Die Vorlage für die Aufnahme Mariens in den Himmel, die
Sebastiano für den Altar der Chigi-Kapelle in der Kirche Santa Maria del Popolo schuf, sollte ursprünglich
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von Raffael konzipiert werden, der den Gesamtentwurf geschaffen hatte. Sie illustriert die anhaltende Rivalität
der beiden Künstler, die in der Konkurrenz zwischen Sebastianos Erweckung des Lazarus und Raffaels
Verklärung Christi gipfelte. Sebastiano dürfte die Aufnahme Mariens kurz nach dem Tod von Raffael und
Chigi, die beide 1520 innerhalb einer Woche starben, ausgearbeitet haben – oder auch kurz vorher: Es ist
nämlich nicht ausgeschlossen, dass Chigi Raffaels ständiger Verzögerungen des Projekts überdrüssig war und
noch zu seinen Lebzeiten Sebastiano mit dem Werk beauftragte. Dieser offenbarte in der Figur der Jungfrau
Maria beiläufig seine ihm bewusste, klare Schuld gegenüber Mantegna. In der Ausstellung ist außerdem eine
sehr frühe Kopie nach dem einflussreichsten Einzelgemälde zu sehen, das Sebastiano in Rom zurückließ:
seine Geißelung Christi für die Borgherini-Kapelle in der Kirche San Pietro in Montorio. Michelangelo hatte
die Komposition entworfen. Sie löste eine vorherige kanonische Version des Themas, die durch einen Stich
Mantegnas berühmt geworden war, als Referenzpunkt für angehende Künstler weitestgehend ab.
Mit dem Werk und Umkreis von Raffaels größtem Zeitgenossen schließt der Katalog: Michelangelo, der
sich nach anfänglicher Duldung Raffaels vehement gegen ihn wandte. Leider sehen wir in der Ausstellung
weder Originalzeichnungen von Michelangelo noch Kopien nach der Decke der Sixtinischen Kapelle –
wenngleich der Akt aus dem Umkreis Bandinellis Erinnerungen daran wachruft. Die Schau beinhaltet dafür
eine frühe, feine Kopie nach einer der schönsten Skulpturen Michelangelos, der Aurora, und eine Kopie
nach seiner Zeichnung Golgatha, die etwa zur gleichen Zeit entstand wie Perinos Kreuzigungsgruppe. Sie
beschwört außerdem Michelangelos Gegeneinfluss zu Raffael herauf, vor allem in der Rosso zugeschriebenen
Vorlage, die deutlich an Michelangelos strengen Kompositionsstil in Verbindung mit seinen sehr aufwendig
ausgearbeiteten Figuren angelehnt ist. Gleichzeitig zeigt die Ausstellung ein Kuriosum, das – in Grenzen
– die Traditionen versöhnt. Eine Kopie nach einem von Michelangelos berühmten Geschenkblättern, dem
Traum vom menschlichen Leben, schmückt ein Blatt aus dem engen Umkreis von Giulio Romano, auf dessen
Rückseite sich Kopien nach verschollenen Zeichnungen von Giulio selbst finden. Eine davon bezieht sich auf
eine Komposition von Leonardo.
Die letzte Zeichnung in dieser Gruppe ist eine Kopie von Cherubino Alberti nach der höchst plastischen Figur
des Simon von Cyrene in Michelangelos Jüngstem Gericht. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts entstanden,
diente sie vermutlich als Vorzeichnung für Cherubinos Stich derselben Figur. In mancherlei Hinsicht bildet
sie eine summarische Rückschau. Ihre Zeichentechnik nimmt direkt Bezug auf Michelangelos eigene
Federskizzen vom Anfang des Jahrhunderts, die auf den jungen Raffael eine profunde Wirkung hatten.
Cherubinos Federstrich erinnert in seiner Präzision und Nähe zur Stichkunst auch an die Federstudien – und
natürlich an die Stiche – von Mantegna. Insofern greift seine Simon-Studie viele Themen dieses Katalogs
wieder auf. Obwohl sie nach einer späten Arbeit Michelangelos ausgeführt wurde, wendet sie sich seinem
Frühwerk und dem Werk seines Rivalen Raffael zu. Sie sieht durch beide hindurch auf Mantegna und blickt
in der physischen Beschaffenheit der Form, die wie Marmor erscheint, weiter zurück in die Antike. Und
schließlich demonstriert sie einmal mehr, welch verblüffend hochwertige Qualität manche Kopien erreichen.
Danksagung
Mein Dank gilt Mathias Hans und Anne Auber sowie Costanza Barbieri, Anne Varick Lauder und Lucia
Tantardini.
Paul Joannides
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ANDREA MANTEGNA UND UMKREIS
Andrea Mantegna (nach)
Isola de Carturo/Padua 1431 – 1506 Mantua
1
Bacchanal mit einem Weinfaß
Feder in Braun laviert, 31,2 x 41,0 cm
(Wasserzeichen mit Halbmond)
PROVENIENZ: A. P. F. Robert-Dumesnil
Hier liegt eine sehr überzeugende Kopie nach Mantegnas berühmtem Stich Bacchanal mit einem Weinfaß
vor, dessen früheste Fassung vermutlich zu Anfang der 70er Jahre des 15. Jahrhunderts erstmals im Druck
erschien und eine sehr begrenzte Auflage hatte. Der Entwurf wurde sehr bewundert und in mehreren Kopien
festgehalten, die sich alle sowohl stilistisch als auch in ihren Maßen eng an die erste Version hielten. Die
Drucke wurden ihrerseits teilweise oder gänzlich von Künstlern kopiert, denen es darum ging, sich mit
Mantegnas Ideen vertraut zu machen. Es gibt eine sehr schöne Kopie – bzw. das Counterproof der Kopie – in
Oberlin, sie ist in roter Kreide gezeichnet und wahrscheinlich ähnlich zu datieren wie unsere Zeichnung (27,8
x 41,9 cm, siehe Stechow, Nr. 233) und spätere Kopisten, unter denen sich auch Rubens befand, der sich für
Mantegna begeisterte und eine großartige Kopie des heroischen Akts mit dem Füllhorn schuf. Tatsächlich
ist Mantegna einer der wenigen Maler des 15. Jahrhunderts, dessen Einfluß noch bis in das 17. Jahrhundert
reichte.
Unsere Zeichnung orientiert sich an einer Kopie aus der späteren Phase, genauer gesagt an jener, die Suzanne
Boorsch dem Meister von 1515 zuschreibt (Boorsch 1992, Nr. 78). Jener Stich, der ebenso ausgerichtet ist
wie Mantegnas Original – im Gegensatz zu jenem, der allgemein Giovanni Andrea da Brescia zugesprochen
wird (ebd., Nr. 77) – unterscheidet sich von diesem nicht nur durch eine etwas gröbere Ausführung, sondern
auch durch das für die vorliegende Arbeit bedeutungsvolle Detail, daß eines der Blätter vom Apfelbaum den
Stützpfahl des Weinstocks berührt, während im Original ein Abstand zwischen beiden besteht. Weil unsere
Kopie der Vorlage des Meisters von 1515 folgt, darf man sie wohl auf die Zeit nach 1500 datieren.
Die Kopie ist von besonderem Interesse, da der Künstler mit Pinsel und Lavierung über der Federzeichnung
das chiaroscuro zu nuancieren versucht, das Mantegna und die ihn kopierenden Kupferstecher zwangsweise
nur mittels abgestufter Schraffur wiedergeben konnten. Diese Verwendung malerischer Medien verschafft dem
Bacchanal die atmosphärische Einheit und bildnerische Leichtigkeit, die den Stichen fehlt. Möglicherweise
war dieser Eingriff als Vorbereitung für die Umwandlung eines Entwurfs von Mantegna in ein Gemälde oder
Fresko gedacht, oder vielleicht auch nur als eine neue Interpretation in einem zeitgemäßeren Stil.
PJ
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Andrea Mantegna (Werkstatt)
Isola de Carturo/Padua 1431 – 1506 Mantua
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Caesars Triumphzug: Trophäen, Waffen, Münzen und Rüstungen
Feder in Schwarz, blau laviert, 26,6 x 23,3 cm
PROVENIENZ:
Slg. L. Delatigny, Lugt Suppl. 1768A
Berkely, Sheffield, A. Doncaste
Hotel Drouot, Auktion 4.5. 1937, Lot 266
Diese ungewöhnlich feine und einfühlsame Zeichnung, auf deren hohe Qualität erstmals Dr. Peter Dreyer
hingewiesen hat, stammt sicherlich von einem Künstler, der direkten Zugang zu Mantegnas Studio hatte. Die
Arbeit lehnt sich offensichtlich sehr nahe an Gemälde III des Triumphzugs an, das die Träger der Trophäen,
Waffen, Münzen und Rüstungen zeigt. Es ist jedoch keine Kopie der Komposition, da dort die Figuren zwar
weitgehend die gleichen Posen einnehmen, doch merklich größer sind, und ihre Kleidung wesentlich einfacher
ausfällt. Unser Blatt steht der Federzeichnung in der Albertina (Inv. 2584, 26,0 x 26,1 cm; Martindale, S. 164)
viel näher, die allgemein als Kopie einer verschollenen Vorstudie Mantegnas für diese Komposition betrachtet
wird. In der vorliegenden Zeichnung hingegen ist der Entwurf an den Rändern reduziert und seitlich leicht
gestaucht. Im Detail sind Kleidung und Typus der Gesichter sehr ähnlich, doch hat in dem Wiener Blatt die
Entwicklung zur Verlängerung der Figurendarstellungen bereits begonnen, woraus man schließen kann, daß
diese Zeichnung sich an einer oder mehreren Studien orientierte, die zu einer früheren Phase der Bildfindung
gehörten.
Es gibt noch einen weiteren, gewichtigeren Unterschied. In unserer Zeichnung findet sich eine Gestalt, die
weder in der Version der Albertina noch in Gemälde III des Triumphzugs erscheint, und zwar der Mann links
im Vordergrund, der eine Statue trägt. Diese Figur kommt in Gemälde II vor, das gewaltige Statuen auf Wagen,
die Darstellung einer eroberten Stadt, Belagerungsgeräte, Marmorplaketten mit Inschriften und Bilder zeigt.
Da liegt die Vermutung nahe, der Künstler habe ihn schlicht von Gemälde II übernommen, um eine Lücke
in dem Gemälde zu füllen und somit seine Bearbeitung in sich geschlossen zu gestalten. Darum kann es sich
nicht gehandelt haben, denn diese Zeichnung der Figur bezieht sich in der gleichen Weise auf ihr Pendant
in der gemalten Fassung von Bild II, wie die anderen hier gezeichneten Figuren zu der gemalten Fassung
von Bild III. Das besagt, daß diese Figur nicht von Bild II kopiert wurde, sondern von einer Vorzeichnung
Mantegnas stammt, von der weder das Original noch eine Kopie erhalten sind. Es ist nicht mit Bestimmtheit
zu sagen, ob Mantegna die Figur ursprünglich der Szene in Gemälde III zuordnen wollte und sie dann in
Gemälde II einsetzte, oder ob sie von Beginn an für Gemälde II bestimmt war, und der unbekannte Künstler
in Kenntnis von zwei verschiedenen Vorstudien des Meisters sie in die vorliegende Zeichnung übertrug. In
beiden Fällen läßt sich jedenfalls sagen, daß der Künstler ein Mitarbeiter in Mantegnas Studio gewesen sein
muß, und keineswegs nur flüchtig mit Mantegnas Arbeit und kreativen Verfahren vertraut gewesen ist.
Auch in technischer Hinsicht steht die Zeichnung Mantegna sehr nahe. Der außerordentlich durchdachte
Einsatz kolorierter Lavierung ist eine Technik, auf die Mantegna – als beinahe der einzige unter seinen
Zeitgenossen – sich spezialisiert hatte, und man kennt lavierte Zeichnungen sowohl von Mantegnas eigener
Hand als auch von seinen engsten Nachfolgern.
Der Autor dieser Zeichnung ‘versteinerte’ Mantegnas Entwurf und die einzelnen Gestalten, als kehre er zu
dessen eigenen bildhauerischen Quellen zurück. Die kräftige Lavierung, die den Hintergrund definiert, liest
sich wie eine Basis aus dunklem Gestein, von der sich die blassen Figuren abheben. Der Gesamteindruck
erinnert an tief eingeschnittene Reliefs von Bildhauern wie beispielsweise Bambaia. Es kann kaum ein
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Zufall sein, daß Mantegna sich um das Jahr 1500 unter anderem dafür interessierte, mit malerischen Mitteln
verschiedene Arten von Reliefskulpturen wiederzugeben, darunter auch weiß oder grau marmorierte Figuren
auf koloriertem Marmorgrund. Man ist versucht anzunehmen, daß die vorliegende Zeichnung dem Versuch
diente, Mantegnas Komposition bildhauerischen Charakter zu geben.
PJ
21
Andrea Mantegna (nach?)
Isola de Carturo/Padua 1431 – 1506 Mantua
3
Kopf eines Mannes
rote Kreide, 24,7 x 18,5 cm
PROVENIENZ:
S. Woodburn
Die Zeichnung wiederholt wahrscheinlich eine verschollene Malerei oder Zeichnung von Mantegna, doch läßt
die Verwendung von Rötel, die sich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts sehr selten findet, vermuten, daß sie
nach 1500 entstand, als dieses Medium zunehmend benutzt wurde.
Bei der Zeichnung handelt es sich eindeutig um das Portrait einer bestimmten Person und nicht um einen
idealisierten Typus, wie er in einer narrativen Komposition erscheinen würde und in der nächsten zu
besprechenden Zeichnung auch auftritt. Sie bezieht sich allerdings wohl kaum auf ein eigenständiges Portrait,
das als Gemälde oder Zeichnung angelegt war. (Mantegna hat zweifellos eigenständige Portraitzeichungen
produziert, doch besteht in der Literatur selten Einstimmigkeit darüber, welche ihm zuzuschreiben sind.) Es
ist eher wahrscheinlich, daß der Kopf für eine Person gedacht war, die eine untergeordnete Rolle in einem
größeren Zusammenhang einnahm, zum Beispiel in der sogenannten Camera degli Sposi des herzoglichen
Palastes zu Mantua, die Mantegna zwischen den späten 60er und frühen 70er Jahren des 15. Jahrhunderts mit
Fresken ausmalte. Wenn man diesen Kontext berücksichtigt, wird offensichtlich, daß die leichte Verkürzung
der Einzelheiten in der Zeichnung nicht der Eigenwilligkeit des Künstlers zuzuschreiben ist, sondern die
räumliche Position der dargestellten Person angibt. Es gibt tatsächlich eine nahe Verwandtschaft in Bezug auf
körperlichen Typus, Blickwinkel und räumliche Verdichtung – jedoch keineswegs in Bezug auf die Identität
der Person – mit einem unbekannten Mitglied des Hofes zu Mantua, der als zweiter von rechts in dem Fresko
Marchese Lodovico Gonzaga begegnet seinem Sohn auftritt. Möglicherweise dokumentiert die vorliegende
Zeichnung eine Studie Mantegnas für diese Szene oder für ein anderes, verlorenes Werk.
PJ
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Andrea Mantegna (Umkreis)
Isola de Carturo/Padua 1431 – 1506 Mantua
4
Kopf eines jungen Mannes
rote und schwarze Kreide auf ockerfarbenem Papier, 25,9 x 20,5 cm
PROVENIENZ:
Sir R. L. Mond, Lugt 2813a
LITERATUR:
T. Borenius, R. Wittkower “Catalogue of the collection of drawings by the old Masters”,
Kat.-Nr. 175,Tafel 27
In der Sammlung Mond wurde diese Zeichnung Jacopo Palma, il Vecchio zugeschrieben, obwohl sie nicht im
geringsten mit Palmas Werk in Verbindung zu bringen ist. Der Typus ist eindeutig mantegnesk, und der Kopf
vergleichbar mit anderen Köpfen des Triumphzugs, wo Mantegna als Gegengewicht zu der vorherrschenden
rechts-links Ausrichtung der Prozession einige Figuren eingesetzt hat, die über die Schulter zurückschauen.
Die Kopfstudie läßt sich keinem der Köpfe in den Gemälden in ihrem gegenwärtigen Zustand zuordnen, doch
mag sie für eine Episode des Triumphzugs vorbereitet und dann in der letzten Überarbeitung beseitigt worden
sein. So ähnelt beispielsweise dieser Kopf sehr dem des jungen Mannes in der Mitte einer Vorstudie (eine
Kopie befindet sich in französischem Privatbesitz; Martindale, Tafel 52), die in der Ausführung beträchtlich
revidiert wurde und in Gemälde V erscheint, in der Szene mit Trompetern, Ochsen, Ochsentreibern und
Elefanten.
Mantegna wird viele Kopfstudien für die Figuren in seinen Werken angefertigt haben, und die wenigen
individuellen Portraitstudien, die ihm zugeschrieben werden, sind höchst kontrovers.
PJ
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Vittore Carpaccio (zugeschrieben)
um 1465/67 – Venedig – um 1525/26
5
Segnendes Christuskind
Feder in Braun, 11,5 x 14,2 cm
PROVENIENZ:
Slg. d`Este
Leonardo d Vinci – Künstler, Erfinder, Wissenschaftler, Historisches Museum der Pfalz,
Speyer 1995, S 196f.
LITERATUR:
Leonardo da Vinci – Künstler, Erfinder, Wissenschaftler, Historisches Museum der Pfalz,
Speyer 1995–2001
Wanderausstellung mit folgenden Stationen:
Historisches Museum der Pfalz, Speyer, Deutschland
Kunsthal Rotterdam, Niederlande
Schottenstift Wien, Österreich
Museum of Science, Boston, USA
Singapore Art Museum, Singapur
Seoul Arts Center, Korea
Royal British Columbia Museum, Victoria, Kanada
Pretoria Art Museum, Pretoria, Südafrika
National Museum of Slovenia, Ljubljana, Slowenien
National Museum of History, Taipeh, Taiwan
National Science and Technology Museum, Kaohsiung, Taiwan
Schweizerisches Landesmuseum, Zürich, Schweiz
AUSSTELLUNG:
Obwohl die Zeichnung bei ihrer Veröffentlichung Bernardino Luini zugeschrieben wurde (Härich 1995, S. 196f.),
kann der Autor keinerlei Bezug zu Luinis Zeichnungen und Gemälden entdecken, und Lucia Tantardini,
die eine wissenschaftliche Arbeit über Bernardino und Aurelio Luini vorbereitet, ist derselben Auffassung.
Thema der Zeichnung scheint das Christuskind zu sein, das sich auf einer Darstellung der Weltkugel ausruht
und – wie in Kompositionen von Sebastiano del Piombo, mit erhobener Hand segnet. Möglicherweise segnet
das Kind den jungen Hl. Johannes den Täufer, der in dieser offensichtlich fragmentarischen Zeichnung zwar
nicht erscheint, aber hinzugedacht werden darf.
Der Autor sieht in dem Werk hingegen einen engen Bezug zu venezianischen Zeichnungen, insbesondere jenen
von der Hand Vittore Carpaccios. Die Studie ähnelt jedoch nicht genug, um eine definitive Zuschreibung zu
erlauben, doch gibt es aussagekräftige Anhaltspunkte. Die gleichen vorstehenden Augen finden sich häufig
in seinen Zeichnungen, und ebenso die wiederholten vertikalen Striche, die dem Rücken Plastizität verleihen
sollen. Außerdem benutzte Carpaccio die Haltung des Kindes, – die letztlich zurückgeht auf Mantegna,
der Carpaccio stark beeinflußte – in ähnlicher Form in der Sacra Conversazione (um 1500) im Petit Palais
zu Avignon, wo das Kind aber frontal wiedergegeben ist. Man könnte sich vorstellen, daß Carpaccio ein
dreidimensionales Modell der Figur herstellte, um sie von verschiedenen Blickwinkeln aus darzustellen.
PJ
26
27
Marcantonio Raimondi
um 1480 – Bologna – um 1530
6
recto: Stehende Frau mit einer Kugel
verso: Weiblicher Akt mit Gesten der Überraschung (?)
recto und verso: Feder in Braun, 17,4 x 8,3 cm
Obgleich Marcantonio Raimondi vor allem als der fähigste und einfallsreichste Kupferstecher, der mit Raffael
zusammenarbeitete, bekannt ist, entstand die vorliegende Zeichnung bevor er nach Rom ging, und sollte am
besten im Zusammenhang mit Werken von Nachfolgern des Andrea Mantegna betrachtet werden, dessen
Einfluß sehr deutlich sowohl in dem Körpertypus als auch in der Federführung bei der Rekto-Figur bemerkbar
ist.
Marcantonios Aktivitäten als Zeichner wurden von dem verstorbenen Konrad Oberhuber 1988 weitgehend
nachgezeichnet, und Oberhubers Schlußfolgerungen scheinen ohne Widerspruch akzeptiert worden zu sein.
Zu der Zeit, als Marcantonio das vorliegende Blatt schuf (um 1503/1504), arbeitete er in Bologna, wo er stark
von Francesco Francia und Ferrareser Kunst beeinflußt war, insbesondere von Lorenzo Costas Werken. Zwar
waren Francia und Costa keine Schüler von Mantegna, aber sein Stil hat die beiden Maler tief beeindruckt,
und Costa hat bekanntlich für das studiolo von Isabella d’Este Gemälde ausgeführt, und sich den Raum mit
Werken von Mantegna geteilt. Aber keiner der beiden fühlte sich von Mantegnas Strenge angezogen, und beide
bemühten sich, seine Formen gefälliger darzustellen. Es war diese Atmosphäre eines ‘weichen’ Klassizismus,
wie er in Bologna und Ferrara im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts herrschte, von der Marcantonio
geformt wurde, und es war aufgrund dieser Erfahrung, daß er verhältnismäßig leicht den Übergang in Raffaels
Umkreis fand.
Das Rekto, das wahrscheinlich eine Sybille oder Seherin darstellt, hat sehr starke Ähnlichkeit mit einer
Zeichnung im Berliner Kupferstichkabinett (KdZ 2371; Oberhuber 1988, S. 63f., Abb. 4; Feder und Tusche;
19,4 x 10,7 cm). Auf den ersten Blick scheint eine Zeichnung die andere zu kopieren, doch unterscheiden sie
sich in verschiedenen Details (z. B. in der Frisur, dem Fall der Ärmel und dem Ausschnitt des Gewandes),
und es ist zu vermuten, daß die beiden Zeichnungen ursprünglich zwei aufeinanderfolgende Seiten eines
Skizzenbuches waren, die eine die Überarbeitung der anderen. In seinem Kommentar zu der Version in
Berlin erwähnt Oberhuber Ferrareser Tarockkarten als Vorbilder der Figur und ihren Zusammenhang mit
Marcantonios frühesten Stichen. Tatsächlich besteht große Ähnlichkeit zwischen dieser Figur und denen
in dem Stich der Hl. Katharina von Alexandria und der Hl. Lucia, den Oberhuber Marcantonio nach einem
Entwurf von Francesco Francia zuschreibt (ebd., Nr. 10, S. 108ff.).
Das Verso ist ein Beispiel für einen anderen Aspekt von Marcantonios graphischem Zugang. Es besteht
weitgehend aus Umrißlinien, der linke Schenkel ist minimal schraffiert, und der räumliche Effekt wird
mit feinen Unterschieden in der Stärke der Konturen erzielt. Diese Skizze ist straffer und räumlich stärker
ausgeführt als die Mehrzahl von Marcantonios vollständigen oder teilweisen Umrißzeichnungen (Oberhuber
1988, Abb. 31, 35, 41 und 46), ähnelt jedoch sehr in den betonten, aber geschickt modulierten Umrissen
einer der lebhaftesten Figuren des Künstlers, der Rückenansicht eines Rennenden Mannes des Musée Bonnat
in Bayonne (ebd., Abb. 33).
Bei dem Verso handelt es sich wahrscheinlich um die Vorzeichnung für eine narrative Komposition. Ein
Urteil des Paris beispielsweise würde die Nacktheit der Figur rechtfertigen und bietet sich offensichtlich an.
Marcantonio stellte das Thema selbst in einem Kupferstich um 1504/1505 dar, wahrscheinlich nach einem
Entwurf von Francia (Oberhuber 1988, Nr. 14, S. 117f.). Andererseits gebärdet sich die Figur zu unruhig
28
recto
verso
für ein Urteil des Paris, und wurde wohl eher für eine dramatischere Geschichte wie jene von Pyramus und
Thisbe, die als Gemälde 1505 entworfen wurde (ebd., Nr. 19, S. 127f.) erdacht. Es scheint offenkundig, daß
Marcantonio sich um Material bemühte, das lebendiger war als die vorwiegend statischen Kompositionen der
zeitgenössischen Kunst Emilias, und dies mag eine der künstlerischen (im Unterschied zu wirtschaftlichen)
Gründen gewesen sein, weshalb er als nächstes Dürer imitierte und anschließend Kompositionen von jüngeren,
Neuland erforschenden Künstlern in Kupferstichen festhielt, zuerst in Venedig und danach in Rom.
PJ
29
KUNST IN UMBRIEN UND FLORENZ IN DER ZWEITEN HÄLFTE
DES QUATTROCENTO UND IM FRÜHEN CINQUECENTO
Filippino Lippi (Umkreis)
Prato 1457/58 – 1504 Florenz
7
recto und verso: Studien für Gewandfiguren
Silberstift, weiß gehöht auf orangerot grundiertem Papier, 19,0 x 14,5 cm
PROVENIENZ:
E. Piot
Das Rekto und Verso dieses Blattes enthält jeweils Studien, welche anscheinend denselben sorgfältig
gekleideten jungen Mann in vier verschiedenen Posen zeigen. Während die beiden Zeichnungen des Rekto
in dieselbe Richtung ausgeführt wurden, sind jene auf dem Verso entgegengesetzt dargestellt; weshalb, ist
unklar.
Die voluminösen Gewänder, die mit scharfen, hölzernen, rippenartigen Falten und tiefen Abschüssen definiert
werden, sind charakteristisch für Filippino Lippis Stil. Die Ausführung derart komplexer Kleidung wird nicht
geübt, nur um Virtuosität zu beweisen, sondern dient auch dazu, die Gefühle der Figuren zu definieren,
lebensgetreu umzusetzen und auszuarbeiten – und ihre Bedeutung zu erklären. Diese Art von Gewand geht
letztlich auf Donatellos Werke der 30er Jahre des 15. Jahrhunderts zurück, vor allem auf das üblicherweise
als Habakuk bezeichnete Standbild am Kampanile von S. Maria dei Fiori in Florenz. Dieser Gewandtyp wurde
später von den weicheren, fließenden Gewändern eines Leonardo oder Raphael verdrängt.
Zeichenübungen dieser Art haben sich in großer Zahl erhalten und wurden als eine Zusammenschau von
Gigetta dalli Regoli in einem unschätzbaren Katalog 1975 veröffentlicht. Das vorliegende Blatt wurde nach
dem Abschluß von Dalli Regolis Katalog entdeckt und stammt zweifellos aus Filippinos Werkstatt. In ihrer
Publikation findet sich keine Wiederholung dieses Blattes.
PJ
30
recto: Ausschnitt
31
Pietro Perugino
Città della Pieve ca. 1448 – 1523 Fontignano
8
Kopf des Hl. Johannes des Täufers
Kohle und schwarze Kreide mit weißer und roter Kreide auf blaugrauem Papier,
mit Umriß-Linien, 33,3 x 24,6 cm
verso weibl. Portraitstudie in Rötel (17. Jh., nach G. Reni)
Blatt Nr. 252 aus einem Sammelalbum (aufgeklebt)
de Mestral de St. Saphorin
Benno Geiger, Venedig
L. V. Randall, USA
PROVENIENZ:
LITERATUR:
Pantheon 1938, Heft 10, Hrsg. Otto v. Falcke, Farbabb. S. 330
Benno Geiger “Handzeichnungen alter Meister”, Amalthea Verlag, 1948, Zürich,
S. 9 u. S.17, Kat.-Nr. 5, Tafel 35
Leporini, Auktion Weinmüller München, 14. Okt. 1938, Lot 558, Farbtafel
M. M. Grewenig / O. Letze, Lonardo da Vinci – Künstler, Erfinder, Wissenschaftler,
Historisches Museum der Pfalz, Speyer 1995, S. 23,24
Vgl. Walter Bombe, 1914, S. 36
AUSSTELLUNG:
Leonardo da Vinci – Künstler, Erfinder, Wissenschaftler,
Historisches Museum der Pfalz, Speyer 1995–2001
Wanderausstellung:
Historisches Museum der Pfalz, Speyer, Deutschland
Kunsthal Rotterdam, Niederlande
Schottenstift Wien, Österreich
Museum of Science, Boston, USA
Singapore Art Museum, Singapur
Seoul Arts Center, Korea
Royal British Columbia Museum, Victoria, Kanada
Pretoria Art Museum. Pretoria, Südafrika
National Museum of Slovenia, Ljubljana, Slowenien
National Museum of History, Taipeh, Taiwan
National Science and Technology Museum, Kaohsiung, Taiwan
Schweizerisches Landesmuseum, Zürich, Schweiz
32
33
Die Zeichnung steht offensichtlich in Beziehung zu dem Kopf des Täufers in Peruginos signiertem und auf
MCCCCLXXXIIII datierten Tafelbild der Hl. Jungfrau mit dem Kind, dem Hl. Johannes und Hl. Augustinus,
das für die Kirche S. Agostino in Cremona bestimmt war und sich noch heute dort befindet. Der Kopf scheint
ebenso groß wie jener in dem Gemälde zu sein, und die Freiheit der Ausführung lassen vermuten, daß es sich
um das Fragment eines Kartons handeln mag. Es ist jedoch kein Ausschnitt eines größeren Werkes, sondern
eher eine Art ‚Zweitkarton’, eine Zeichnung, die in demselben Maßstab wie das Tafelbild einen bestimmten
Teil des gesamten Kartons ausarbeitet, um damit einen wesentlichen Ausschnitt des betreffenden Gemäldes
eingehend beurteilen zu können. Im Unterschied zu Raffaels Zweitkartons, den berühmtesten Beispielen
dieser Art, die Spuren der Durchnadelung aufweisen, wurden die Umrißlinien dieser Zeichnung nicht von
dem eigentlichen Karton übertragen. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß Raffael den Zweitkarton
lediglich als Modell gebrauchte, und die Konturen nicht auf den Bildträger übertragen wurden, während
im vorliegenden Fall der Zweitkarton vorsichtig auf eine andere Fläche übertragen wurde, wie die geringe
Eindrückung der Konturen erkennen läßt. Die Erklärung für dieses Vorgehen liegt auf der Hand. Die Figur
des Hl.Augustinus auf dem Tafelbild stimmt in allen Einzelheiten überein, bis auf den Kopf des Hl.Petrus, der
in der gleichen Position in Peruginos Hl. Jungfrau mit dem Kind, dem Hl. Petrus, dem Hl. Apostel Johannes,
dem Hl. Johannes dem Täufer und dem Hl. Paulus steht (signiert und auf MCCCCLXXXXIII datiert; Wien,
Kunsthistorisches Museum). Wie Vittoria Garibaldi (S. 115f.) erwähnt, benutzte Perugino, um sich Arbeit
zu sparen, für beide Tafelbilder denselben figürlichen Karton. Als auf dem Gemälde in Cremona aber die
Identität – und damit der Charakter – des Heiligen geändert wurde, mußte Perugino eine neue Kopfstudie
komponieren. Mit dieser Zeichnung schuf Perugino eine seiner am gründlichsten durchdachten Darstellungen
mitleidender Anteilnahme.
Nachdem die Umrisse auf die Tafel übertragen waren, wird diese Zeichnung danebengelegt worden sein,
so daß der Ausführende des Kopfes sich daran orientieren konnte. Dieses Vorgehen ermöglicht auch die
Ausarbeitung der Oberfläche des Inkarnats und Partien des Bartes mit bunter Kreide – wobei der Wasserschaden
berücksichtigt werden muß, den das Bild erlitten hat. Die Vielzahl der Tönungen und Farben wird dem
Ausführenden weitere Orientierung gegeben haben. Wenngleich auch die Kolorierung in dem dünnen Korpus
an erhaltenen Zeichungen von Peruginos einmalig ist, sollte man nicht davon ausgehen, daß es sich hierbei um
den späteren Eingriff einer anderen Hand handelt. Kolorierte Zeichnungen wurden häufig von Künstlern aus
Norditalien unter der Wirkung Leonardos, der auch Perugino beeinflußte, angefertigt, und es ist zu vermerken,
daß sich der Künstler in dem Jahr, in dem das Tafelbild in Cremona entstand, zeitweilig in Venedig aufhielt.
Es ist auch darauf hinzuweisen, daß die kräftigen breiten Linien und die mit weichem Stift überzeichneten
harten Partien links in den Gewandfalten nicht mit der entsprechenden Partie des Gewandes des Hl. Johannes
in dem Gemälde übereinstimmen. Weil die Gewanddarstellung in dem vorher für das Wiener Gemälde
benutzten Karton bereits vorlag, konnte Perugino sie frei und rasch skizzieren, und musste dann nur noch
den Kopf einfügen. Die entschlossene, schwungvolle Ausführung betont noch den gefühlvollen Ausdruck des
Heiligen.
Peruginos graphisches Werk läßt sich schwer rekonstruieren, da nur wenige Zeichnungen erhalten sind.
Dem gegenüber stehen viele Kopien von Schülern nach seinen Gemälden (und gelegentlich verschollenen
Zeichnungen). Obwohl mehrere Kopfstudien in ähnlicher Größe wie diese Zeichnung bekannt sind, wurde die
Mehrzahl in Silberstift ausgeführt. Im Gegensatz zu der feinen, ausgearbeiteten Oberfläche jener Zeichnungen
– auch wenn sie meist erst durch die freizügige Verwendung von weißer Höhung Schwung und Substanz
gewinnen – belegen die Freiheit und Geschwindigkeit, mit der unser Blatt entstanden ist, die Lebendigkeit
und Energie, die Peruginos scheinbar beschaulichem Stil zugrunde liegen, und machen verständlich, weshalb
er in den 80er und 90er Jahren des 15. Jahrhunderts so viel Erfolg mit seinen großformatigen Kompositionen
hatte. Diese Zeichnung gibt außerdem einen weiteren Einblick in Peruginos Beziehungen zu seinem größten
und berühmtesten Mitarbeiter. Raffael benutzte Zweitkartons schon sehr früh in seiner Laufbahn, auch zu
34
dem Zeitpunkt, an dem seine Werke denen des Perugino am stärksten ähnelten. Gegen Ende seines Lebens,
als er ebenfalls über eine große Werkstatt und zahlreiche Assistenten verfügte, begann er bunte Kreide für
Gesichts- und andere Studien zu benutzen. Es ist kein Zufall, daß der nächste große Schritt zur Verbreitung
kolorierter Zeichnungen von dem Urbinaten Federico Barocci gemacht wurde.
Eine weitere Zeichnung von Perugino in Silberstift mit Weißhöhungen im British Museum hat man mit dem
Kopf des Hl. Johannes in Zusammenhang gebracht, doch zeigt das Blatt einen Kopf, dessen Charakterisierung
sich deutlich von der vorliegenden Arbeit unterscheidet und sein Licht von links erhält, statt von rechts
(Scarpellini, S. 88 und 183, mit Vergleichsabbildungen).
Unsere Zeichnung wird in den sich in Vorbereitung befindlichen Katalog der Zeichnungen Peruginos (von
Prof. Claudia la Malfa) aufgenommen.
PJ
„Sehe ich den herrlichen Kopf des Perugino, der Weltgeltung zu erlangen
berufen wäre und zum Erlesensten zählt, das mir je durch die Hände kam:
träumerisch hingegeben an einen Gedanken des inneren Seins.“
Benno Geiger
35
Baccio della Porta genannt Fra Bartolommeo (zugeschrieben)
Florenz 1472 – 1517 Pian di Mugnone
9
recto: Rückenansicht eines weiblichen Akts
verso: Frontalansicht eines weiblichen Akts (Fragment)
recto: Silberstift auf grau grundiertem Papier, weiß gehöht,
Reste einer Federzeichnung, u. l. von fremder Hand in Feder bez.: “Raffaello”
verso: Schwarze Kreide, 26,8 x 9,9 cm
PROVENIENZ:
Sir Joshua Reynolds, Lugt 2364
Obwohl sie sich in den letzten Jahren an einer Zuschreibung an Benozzo Gozzoli erfreuen konnte, stammt
diese Zeichnung von einem Künstler einer späteren Generation. Die alte Beschriftung in Blei, welche die
Zeichnung Raffael zuspricht, lässt vermuten, daß sie in das späte 15. oder frühe 16. Jahrhundert datiert
werden kann, und so gut wie sicher das Werk eines florentinischen Künstlers ist.
Eine solche Studie der Rückenansicht eines weiblichen Körpers ist relativ selten. Aufgrund der fehlenden,
aber offensichtlich nicht abgebrochenen Arme erinnert sie an die Antike. Die Zeichnung orientiert sich
zweifellos an einer Figur aus Bronze oder Wachs, in der Art, wie es der allgemeinen Vorstellung antiker Statuen
entsprach, ohne sich auf ein spezifisches Vorbild zu beziehen. Man findet häufig Figuren mit fehlenden Armen
und sie waren oft Bestandteil der künstlerischen Ausbildung.
Die Proportionen sind in die Länge gestreckt, insbesondere bei den Beinen. Das rechte Bein ist vor das linke
gesetzt, um zu zeigen, daß die Figur sich vorwärts bewegt. Die Konturen sind betont und einheitlich, während
die Modellierung der rechten Seite des Oberkörpers und der rechten Hinterbacke und Hüfte mittels der
gezielt eingesetzten Lavierung glaubwürdig wiedergegeben ist.
Chris Fischer hat freundlicherweise darauf hingewiesen, daß die Uffizien eine Kopie derselben Figur besitzt
(Inv. 1159E). Sie wird dem Baccio della Porta zugeschrieben, der besser unter seinem Mönchsnamen Fra
Bartolommeo bekannt ist, den er bei seinem Eintritt in den Orden der Dominikaner im Juli 1500 erhielt. Dr.
Fischer akzeptiert die Zuschreibung der Uffizien nicht, auch wenn die Zeichnung offenbar aus des Frates
Umkreis stammt. Trotzdem ist man versucht anzunehmen, daß die vorliegende Arbeit wirklich ein Werk des
jungen Baccio ist, der hier ein ungewohntes Thema mit einer ungewohnten Technik angeht. Es ist nicht üblich
Baccio mit weiblichen Aktzeichnungen in Verbindung zu bringen. Wir wissen aber durch Vasaris Erwähnung,
daß er derartige Arbeiten in einem von Savonarolas Scheiterhaufen vernichtete, die er in den 90er Jahren
des 15. Jahrhunderts schuf. Sogar nachdem er Frate geworden war, kehrte er am Ende seines Lebens wieder
zu diesem Thema zurück. Die Ausführung seines Entwurfs einer Verehrung der Venus, die für den camerino
des Alfonso d’Este bestimmt war, wurde durch seinen Tod abgebrochen. Obwohl Fra Bartolommeo sich nach
seiner Ausbildung bei den Dominikanern 1504 wieder der Malerei zuwandte und kaum noch mit Silberstift
arbeitete, hat er dieses Medium vor 1500 häufig für die Vorzeichnungen seiner Kompositionen benutzt, so
etwa bei der Verkündigung in Volterra, dem Jüngsten Gericht und dem Altarbild in Rimini.
36
recto
37
Die fragmentierte, mit schwarzer Kreide ausgeführte Studie des Verso, aus Rücksicht auf das Rekto in der
Gegenrichtung angelegt, zeigt leicht modifiziert dieselbe Figur von vorne. Sie ist nicht so gesetzt, daß sich die
Konturen von Rekto und Verso decken – ein gelegentlich verwandter Trick aus dieser Zeit – sondern, seitlich
platziert. Die Kreideskizze entweiblicht die Figur geringfügig, so daß man sie auf den ersten Blick für einen
männlichen Akt halten könnte. Die Ausbuchtung an der Hüfte ist verringert, und die eine sichtbare Brust
so klein und so hoch platziert, daß es sich um eine beabsichtigte Stilisierung handeln muß. Die Zeichnung
ist sehr typisch für den Stil Baccios früher Kreidezeichnungen, und ähnelt stilistisch und in den figürlichen
Proportionen weitgehend der mit schwarzer Kreide ausgeführten Studie in Lille, die wahrscheinlich für den
Hl. Sebastian in dem Altarbild von Pandolfo Malatesta in Rimini bestimmt war. An dem Projekt scheint der
junge Baccio beteiligt gewesen sein, nachdem Domenico Ghirlandaio im Januar 1494 gestorben war (Fahy
1966). Wie das vorliegende Verso, so trägt auch die Zeichnung in Lille und eine weitere Studie für das
Altarbild in Rimini auf dem Verso eine Zeichnung mit Silberstift. Es scheint deshalb wahrscheinlich, daß
die Figuren auf beiden Seiten dieses Blattes in den frühen bis mittleren 90er Jahren des 15. Jahrhundert
gezeichnet wurden. Möglicherweise sind dies die einzigen weiblichen Aktstudien des jungen Baccio, die der
Welle des Puritanismus entkamen.
Es ist noch auf Chris Fischers Zweifel hinzuweisen (1994/95, Nr.1), ob Baccio der Autor der Studie des Hl.
Sebastian in Lille ist, doch wirken dem Kompilator die Formen jener Zeichnung charakteristisch für den
jungen Künstler. Wie das vorliegende Verso, so reflektiert auch das in Lille Baccios Interesse an Perugino,
der zu jener Zeit in Florenz sehr aktiv war.
PJ
38
verso
39
Fra Bartolommeo (Assistent)
Florenz 1472 – 1517 Pian di Mugnone
10
Zwei musizierende Engel
rote Kreide, 19,8 x 7,8 cm
PROVENIENZ: Niccolò Garburi
Lucien de Parma
Die zwei Figuren sind Kopien nach Studien, die Fra Bartolommeo für sein großes Altarbild anfertigte, das
Piero Soderini Ende 1510 in Auftrag gab, die für die Sala del Gran Consiglio im Palazzo Vecchio bestimmt
waren. Die Ausführung wurde im Stadium der Vorzeichnung abgebrochen, als das Projekt mit dem Sturz der
Florentiner Republik 1512 aufgeben wurde.
Das Original der oberen Figur ist auf einem Blatt in den Uffizien erhalten (Inv. 470E verso; Fischer 1986, Nr.
57). Chris Fischer hat freundlicherweise bestätigt, daß das Original der unteren Figur nicht bekannt ist, doch
mag auch diese einst ein Teil von 470E gewesen sein, denn das Blatt ist nur fragmentarisch erhalten. Die
obere Figur hat die gleichen Maße wie Fra Bartolommeos Original, und dasselbe gilt wahrscheinlich auch für
die untere Figur. Das würde bedeuten, daß dem Künstler dieser Zeichnung ein Blatt oder Blätter des Frate
vorlagen.
Fra Bartolommeo verfügte über eine große Werkstatt, und man ist auf Vermutungen angewiesen, wollte man
den Schüler oder Mitarbeiter identifizieren, dem diese Kopien zuzuschreiben sind. Fra Paolino ist vielleicht
der nächstliegende Künstler.
PJ
40
41
Giovanni Larciani, ‘Meister der Kress Landschaften’ (zugeschrieben)
1484 – 1527?
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Maria mit dem Christuskind und dem kleinen Johannes dem Täufer
Kohle, 53,7 x 39,2 cm
PROVENIENZ:
Viti Antaldi
Marchesa Antaldi
Wilhelm II., König der Niederlande
Chambers Hall, London, Lugt 551
Flora Koch, London
Der Karton, der mit keinem bekannten Gemälde in Beziehung gebracht werden kann, trägt eine alte
Zuschreibung an Fra Bartolommeo. Er hat angeblich eine Viti-Antaldi Provenienz, aber nicht die üblichen
Initialen. Er ist auch nicht im Inventar des frühen 18. Jahrhunderts zu finden. Falls er sich in der Sammlung
Viti - Antaldi befunden hat, muß er vor der Aufnahme des Inventars dort gewesen sein.
Von Baccios allgemein anerkannten Originalen ähnelt diese Komposition am ehesten dem Gemälde Hl.
Jungfrau, Christuskind und Hl. Johannes im New Yorker Metropoliten Museum of Art, das in die späten
90er Jahre des 15. Jahrhunderts datiert wird und aus einer kurzen, Leonardo verpflichteten Phase in Baccios
Oeuvre stammt. Dieser Entwurf ist jedoch komprimierter und ausdrucksstärker, dies wird durch die Reduktion
der Ränder noch verstärkt. Die Figuren beherrschen den Bildraum, und ihre Präsenz scheint greifbar. Die
Variation des Motivs, wie der Johannesknabe den rechten Fuß des Heilands küßt, ist ein Meisterwerk. Diese
Wiedergabe einer Anbetung ist ungewöhnlich intim. Weder in seinem Tafelbild in New York noch anderen
Werken ist Baccio dem Christuskind so nahe gekommen.
Sollte der vorliegende Karton wirklich Baccios Werk sein, müßte er naturgemäß aus derselben Zeit wie das
Tafelbild in New York stammen. Doch entspricht der Typus der Personen und die Behandlung der Gewandfalten
nicht dem Duktus seiner frühen Periode. Der flüssige Rhythmus der Komposition deutet auf den Einfluß von
Raffaels Madonnen, aus dessen späten florentinischen und frühen römischen Zeit, hin, vor allem die auf zwei
Ebenen dargestellte Verbindung der beiden Kinder. Die Typisierung des Kopfes der Hl. Jungfrau und der Fall
ihres Gewandes lassen an die Brustbilder denken, die Fra Bartolommeo gegen Ende seines Lebens schuf, als
er dieses Thema erneut aufgriff. Diese sind jedoch viel majestätischer und reflektieren eine spätere Phase in
Raffaels Entwicklung, die der Frate 1514 während seines Besuches kennenlernte.
Kurz gesagt, der Karton stammt nicht von Fra Bartolommeo – wie Chris Fischer freundlicherweise bestätigt
hat – sondern von einem Maler seines Umkreises. Albertinelli kann ausgeschlossen werden, ebenso Fra
Paolino, Bugiardini und Franciabigio. Der Autor scheint eher Giovanni Larciani, der “Meister der Kress
Landschaften,“ gewesen zu sein, der erst 1998 von Louis Waldman wiederentdeckt wurde. Der Typus der
beiden Kinder und der Hl. Jungfrau, ihre Charakterisierung als Energieträger, das Maß an Bewegung, die
etwas unbeholfene Intensität des emotionalen Zusammenspiels – all das ist den Madonnen sehr ähnlich, die
Waldman diskutiert. Beispielsweise die Hl. Jungfrau, das Christkind und das Hl. Johanneskind in seiner Abb.
7, (Standort unbekannt), und die von Elena Capretti diskutierte Hl. Jungfrau, das Christkind und das Hl.
Johanneskind, ihre Nr. 43 und im Depot der Uffizien (Poggio Imperale, Inv. 1347). Viele weitere vergleichbare
Elemente finden sich in Larcianis gesichertem Altarbild von 1523, die Heilige Familie mit Heiligen im Museo
Civico zu Fucecchio.
Larcianis stilistischer Werdegang ist interessant. Zunächst war er sehr von Rossos nervösem Stil beeinflußt,
und einige von dessen kleineren Tafelgemälden wurden einst ihm zugeschrieben, während er sich später der
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großartigeren, publikumsfreundlicheren Art des Fra Bartolommeo anpasste. Wenngleich auch keine weiteren
Kartons von Larciani bekannt sind, läßt sich jedenfalls im vorliegenden Fall feststellen, daß der Stil feiner,
kurzer Linien ein Widerhall ist, die von Rossos betont linearen Kreidezeichnungen ausgehen. Man möchte
beinahe glauben, daß eine Zeichnung in den Uffizien (Inv. 6351F), die üblicherweise Granacci zugeschrieben
wird, aber Larcianis kleine Madonna in Arezzo vorzubereiten scheint, von ihm selbst stammt. Die Zeichnung
in den Uffizien ist zwar viel kleiner als dieser Karton, doch sind Schraffur und Faltenwurf sehr ähnlich. Chris
Fischer hat diesen Entwurf dem weiteren Umkreis des Francesco Granacci zugesprochen.
PJ
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Giovanni Battista Naldini
1537 – Florenz – 1591
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Kniender Engel (nach Andrea del Sarto)
rote Kreide auf rot getöntem Papier, 38,9 x 29,0 cm
u.l. in roter Feder bez “del Sarto”
PROVENIENZ:
Slg. W. Bateson, Lugt Suppl. 2604a
Die Vorlage dieser typisch glatten Zeichnung mit ihren ausgreifenden, aber fadenähnlichen Umrißlinien, war
der kniende Engel auf der rechten Seite von Andrea del Sartos Madonna della Scala, die um 1520 entstand
und weltweit als eines der schönsten seiner Werke gilt. Das Gemälde befand sich bis 1605 in Florenz und
wurde dann Vincenzo Gonzaga verkauft. Zusammen mit der Sammlung Gonzaga wurde es von Charles I
erworben und befindet sich jetzt im Prado. Zweifellos kopierte Naldini direkt nach dem Original, statt nach
einer Vorzeichnung des Andrea del Sarto, wobei er sich allein auf die Figur beschränkte und den Kontext
außer Acht ließ. Die Zeichnung ist derart lebendig und frei ausgeführt, daß sie auf den ersten Blick eher wie
eine selbstständige Studie erscheint, weniger wie eine Kopie.
Naldini’s Zeichenkunst war zutiefst vom Zeichenstil der großen florentinischen Maler der 20er und 30er Jahre
des 16. Jahrhunderts beeinflußt, insbesondere von Andrea del Sarto und Pontormo. Er kopierte verschiedene
Zeichnungen des einen, wie des anderen. Es überrascht nicht, daß früher einige von Naldinis Werken dem del
Sarto zugeschrieben wurden, und umgekehrt. Die Breite seines Zugangs erinnert sehr an Andreas chromatisches
chiaroscuro, und Naldinis Studium der früheren Künstler greift dem großen, neu erwachten Interesse an del
Sarto voraus, das die florentiner Maler der nächsten Generation zeigten, so zum Beispiel Ludovico Cigoli,
Cristofano Allori, Matteo Rosselli, und andere. Obwohl Naldini den Durchbruch vorbereitete, der in Florenz
den Stil des frühen 16. Jahrhunderts prägte, blieb er selbst nur am Rande des Geschehens und machte keinen
weiterführenden Schritt.
PJ
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RAFFAEL
Raffael (nach)
Urbino 1483 – 1520 Rom
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Madonna
Feder in Bister, 11,2 x 11,6 cm
verso Doublierung (aus altem Sammelband)
PROVENIENZ:
Viti Antaldi, L 2245, u. l. Sammlerstempel
LITERATUR:
Vgl. J.A. Gere. Drawings by Raphael and his circle, New York, 1987, S. 53, Nr.5
Die schwungvolle Zeichnung von Kopf und Schultern der Hl. Jungfrau wurde von John Gere Raffael
zugeschrieben und um 1505–1508 datiert. Der Autor sieht in ihr jedoch die Kopie einer verschollenen Studie
Raffaels aus dem genannten Zeitraum. Zwar ist die Kopfhaltung mit jener der Madonna del Prato (Wien,
Kunsthistorisches Museum) aus dem Jahr 1505 deutlich verwandt, aber die Bewegung ist hier heftiger und
läßt eine etwas spätere Phase in Raffaels Florentiner Zeit vermuten, etwa 1507. Das Original mag sich auf
eine Gesamtansicht der Madonna beziehen statt auf ein Brustbild, doch läßt sich das nicht mit Sicherheit
entscheiden. Die Anlage der Gesichtszüge und des Mieders erinnert stark an einige andere Federzeichnungen
des Meisters, beispielsweise an ein Blatt in den Uffizien (Inv. 515E).
Die Initialen links unten weisen darauf hin, daß die vorliegende Zeichnung oder das verschollene Original
sich einst in der Sammlung Timoteo Viti befand. Die Arbeit ist in dem Inventar der Sammlung Viti-Antaldi
aus dem frühen 18. Jahrhundert nicht zu finden. Es ist jedoch bekannt, daß eine große Zahl von Zeichnungen
in Timoteos Besitz schon vor Erstellung des Kataloges veräußert wurde. So etwa erwähnt Vasari, daß er von
Timoteos Sohn Zeichnungen erworben habe. Falls die Initialen authentisch sind, müßte dieses Blatt vor
Timoteos Tod im Jahr 1524 entstanden sein
In diesem Fall handelt es sich wahrscheinlich um eine frühe Kopie. In Umbrien und Florenz waren zahlreiche
Zeichnungen von Raffael seinen Freunden und Zeitgenossen zugänglich, und manche wurden fast sofort kopiert,
hauptsächlich von Viti selbst. Es wäre tollkühn, einen Freund vorzuschlagen, der diese Kopie angefertigt haben
mag, aber sie scheint nicht von Timoteo zu stammen, da dieser sogar beim Kopieren von Raffaels Zeichnungen
nirgends ähnlich flüssig arbeitete. Es ist eher zu vermuten, daß der Autor einer jüngeren Generation angehört.
Wir wissen, daß Raffaels Schüler Giulio Romano und Gian Francesco Penni an einigen seiner Florentiner
Entwürfe interessiert waren und sie kopierten, sogar als sie mit ihm in Rom zusammenarbeiteten. Dieses Blatt
scheint jedoch von keinem der beiden Künstler zu stammen, und so bleibt die Frage nach dem Autor offen.
Anscheinend sind keine weiteren Versionen dieser Zeichnung bekannt, die somit eine wichtige Ergänzung
zum Korpus der Kopien verschollener Zeichnungen von Raffaels Hand darstellt.
Ein weiteres Brustbild der Hl. Jungfrau (13,9 x 13,6 cm), das ähnlich angelegt ist wie die vorliegende
Zeichnung und ebenfalls die Initialen R. V. zeigt, aber nicht im Inventar zu finden ist, wird allgemein Raffael
zugeschrieben. Das Blatt befand sich früher in der Sammlung des Herzogs Roberto Ferretti und war 1987 in
New York ausgestellt (Gere, Nr. 5).
PJ
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Raffael (Umkreis)
Urbino 1483 – 1520 Rom
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Rückenansicht eines nackten Kriegers
Feder in Braun, 25,3 x 13,3 cm
PROVENIENZ:
Slg. Mariette, L 1787
Lord Pembroke, L 2183
Comte C. G. Tessin, L 2985
LITERATUR:
A. Vezzosi in “Raffaello e l’ idea della bellezza”, 2001, Bd. 4, S. 29 Nr. 2
AUSSTELLUNG:
Roma Castel Sant`Angelo, 18.12.2001–17.02.2002
San Benedetto del Tronto, 15.06. 2004–14.10.2004
Auch wenn die Zeichnung bei dem Verkauf der Sammlung Pierre Mariette Raffael gegeben wurde, darf man ihn
als Autor ausschließen. Obwohl es verführerisch ist, das Thema manchen Federzeichnungen von Schlachten
und Gefangenen zuzuordnen, mit denen Raffael sich um 1507 beschäftigte, und die für ein oder mehrere nicht
identifizierte Projekte bestimmt waren, bezieht sich das Thema vielleicht eher auf ein konkretes Ereignis in
der Geschichte Perugias, nämlich ihre Belagerung und Eroberung durch Totila. Die Schraffur ist hier steifer
und breiter und wirkt bemühter im Vergleich zu Raffaels Arbeiten. Außerdem ist die Kreuzschraffur des
Gesäßes und der oberen Hüfte kaum fähig, die Formen überzeugend zu strukturieren.
Es ist möglich, daß die Skizze eine von Raffaels verschollenen Zeichnungen festhält, aber sowohl die Gestik
des linken Armes mit dem Schild, als auch des rechten Armes mit dem wohl zu einem Speer gehörendem
Schaft, ist nicht überzeugend. Raffaels Beherrschung anatomischer Darstellungen war um das Jahr 1507
zwar noch nicht so sicher wie in späteren Jahren, doch sind die Gestaltung der Formen und die zeichnerische
Verkürzung unter Raffaels damaligem Niveau. Dem Bewegungselement des Körpers mangelt der Rhythmus,
und die Konturen wirken trocken: Noch in seinen ungeschicktesten Aktzeichnungen dieser Art erfüllt Raffael
die Figuren durch Wellenbögen der Kontur mit Leben. In der Zeichnung ist Raffaels Einfluß deutlich zu
erkennen, doch wurde sie wahrscheinlich von oder nach einem Mitarbeiter oder Zeitgenossen des Meisters
angefertigt, der sich an seinen Arbeiten aus der späten Florentiner Zeit orientierte. Zur Ausmalung von
Palästen gehörten zu jener Zeit häufig auch militärische Themen, und die vorliegende Figur hätte sich gut
für einen Fries mit römischem Bezug geeignet. Eine recht ähnliche, doch in vieler Weise abweichende Figur
findet sich in den Stuckreliefs im Gewölbe der Camera del Sole e della Luna im Palazzo Te, obgleich kein
direkter Zusammenhang besteht (Belluzzi, II, S. 147, Nr. 287). Da die Stukkatur zahlreiche Motive von Raffael
und anderen Künstlern aufweist, mag es sein, daß die Reliefs und die Zeichnung annähernde Reflexionen
einer gemeinsamen Vorlage wiedergeben.
PJ
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Raffael (nach)
Urbino 1483 – 1520 Rom
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Anatomische Studien
Feder in Schwarz auf bräunlichem Papier, 41,0 x 28,5 cm
WZ Briquet 5264, um 1520
von fremder Hand bez. u.l. “Rafaele”
PROVENIENZ:
Slg. J. Grunewald, Lugt Suppl. 1155B
Slg. Stehelin NY 1890–1900
Diese möglicherweise mittels Durchreibung kopierte Fassung folgt einem Blatt aus einem anatomischen
Skizzenbuch, das Raffael gegen Ende seiner Florentiner Zeit anlegte, und von dem nur eine einzige Seite im
Musée des Beaux-Arts zu Lille erhalten ist (Inv. PL. 490; Brejon de Lavergnée, Nr. 559). Während der Autor
früher Zweifel an der Zeichnung geäußert hat, neigt er jetzt dazu, sie als eigenhändig zu betrachten. Für das
vorliegende Blatt ist kein plausibles Original überliefert, doch ist dem Autor eine weitere Kopie bekannt, sowie
eine Reihe anderer Kopien – zu denen auch die Zeichnung in Lille gehört –, die sich in Privatbesitz befindet.
Das verschollene Album umfaßte wahrscheinlich etwa ein halbes Dutzend Blätter. Das Wasserzeichen des
vorliegenden Blattes entspricht Briquet 5264, und datiert demnach von etwa 1520, was vermuten läßt, daß
das anatomische Album bereits einige Jahre vor Raffaels Tod im Umlauf war, oder spätestens kurz danach.
Das Wasserzeichen mit den Buchstaben MJ (?) in einem Kreis, den ein Kreuz krönt, ist bei Briquet nicht
aufgeführt, aber die ähnlichsten Analogien, Nr. 9597 (Genua, 1525) Nr. 9584 (Brescia, 1586), lassen vermuten,
daß unsere Kopie in das zweite oder dritte Quartal des 16. Jahrhunderts zu datieren ist.
PJ
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Raffael (Umkreis)
Urbino 1483 – 1520 Rom
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Cupido ‘Palaemon’ aus dem ‘Triumph der Galathea’
rote Kreide, 13,0 x 18,8 cm
PROVENIENZ:
Marc Andre Aunant
de Mestral de St. Saphorin, Wien
LITERATUR:
A. Vezzosi in „Raffaello e l’idea della bellezza“, 2001, Bd. 4, S. 24, Nr. 1
AUSSTELLUNG:
Roma Castel Sant’Angelo 18.12. 2001–17. 02. 2002
San Benedetto del Tronto 15.06–14.10. 2004
Der Triumph der Galathea war das Thema von Raffaels erster größeren Komposition und wurde als Fresko
in der Villa (oder genauer gesagt in dem Palast) des Großbankiers Agostino Chigi wahrscheinlich im Jahr
1512 als Pendant des Polyphem von Sebastiano del Piombo ausgeführt. Die ausgreifende, sinnliche Gestalt
mit ihrer betont bildhauerischen Modellierung und streng geometrischen Anlage, der Heinrich Wölfflin eine
berühmte Analyse widmete, war eine römisch konzipierte Antwort auf den ausschweifenderen und weniger
differenzierten Sensualismus der Venezianer Schule. Dennoch belebt und durchwärmt die heitere Darstellung
von Jugend, Schönheit und Liebe die Figuren und macht die Malerei zu einer der unvergeßlichsten Fresken
von Raffaels Hand. Es wurde zum Vorbild zahlloser späterer Künstler einschließlich jener, die das Original
niemals gesehen haben konnten, wie beispielsweise Paolo Veronese. Zweifellos war es der Erfolg dieses Freskos,
der Agostino Chigi ermutigte, Raffael mit Szenen aus der Geschichte von Amor und Psyche zu beauftragen,
die fünf Jahre später in der benachbarten Loggia als Fresken ausgeführt wurden. (Die Kopie einer Figur des
Freskos befindet sich in dieser Ausstellung, wo sie Innocenzo da Imola zugeschrieben wird.)
Die vorliegende, meisterhafte Kopie befaßt sich nur mit der Figur des kindlichen Palaemon, die im unteren
Teil des Freskos dargestellt ist. Im Unterschied zu den meisten Kopien sind hier die geöffneten Lippen und die
Zähne des Kindes wiedergegeben. Die Arbeit orientiert sich vermutlich direkt an dem Fresko, statt an einer
anderen Zeichnung. Das läßt darauf schließen, daß der Künstler angesehen genug war, um Zugang zu einem
Privatpalais zu haben. Die Konzentration auf ein Detail von einer größeren Komposition, die bemerkenswerte
Präzision der Zeichnung, und die Verwendung spitzer roter Kreide läßt an die Kopien moderner Werke
denken, wie Francesco Salviati sie in Rom während der frühen 30er Jahre des 16. Jahrhunderts anfertigte.
Der vorliegenden Zeichnung fehlt jedoch die Vielgestaltigkeit und Lebhaftigkeit von Salviatis Handschrift
und kann ihm nicht zugesprochen werden. Vasari erwähnt, wie Salvati und er sich in ihren frühen Jahren
eine Unterkunft in Rom teilten, jeder so viele wichtige Gemälde wie möglich kopierte und sie dann ihre
Kopien gegenseitig kopierten. Man ist deshalb versucht, diese Kopie Vasari zu zuzuschreiben, dessen in Rötel
ausgeführten Arbeiten aus den frühen 30er Jahren weniger bekannt sind als die seines Freundes. Uns fehlen
jedoch genauere Anhaltspunkte über sein Werk, und deshalb ist es einstweilen sicherer, die Zeichnung einem
Anonymus zuzuschreiben und sie in die 30er Jahre zu datieren.
PJ
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Raffael (Umkreis)
Urbino 1483 – 1520 Rom
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Hagar mit dem Engel ?
Braune Tusche, 20,7 x 13,5 cm
verso Schriftübungen
PROVENIENZ:
Slg. C. R. Rudolf
LITERATUR:
A. Vezzosi in „Raffaello e l’idea della bellezza“, 2001, Bd. 4, S. 30, Nr. 1
AUSSTELLUNG:
Roma Castel Sant’Angelo 18.12. 2001–17. 02. 2002
San Benedetto del Tronto 15.06–14.10. 2004
Die Studie zeigt eine Frau mit einem Krug und einem kräftigen, fülligen Körper unter dem flatternden Gewand.
Angeregt wurde die Figur wahrscheinlich von der eindrucksvollen Frau mit einer Vase auf dem Kopf, die auf
der rechten Seite von Raffaels Brand im Borgo in der Stanza dell‘ Incendio im Vatikan zu sehen ist.
Offensichtlich ist hier ein anderes Thema dargestellt. Das ländliche Ambiente und der Engel links oben, der
mit der Frau zu sprechen scheint, legen nahe, daß es sich um die alttestamentarische Episode von Hagar und
Ismael in der Wildnis handelt. Die verzweifelte, ohne Verpflegung in Stich gelassene Hagar, deren junger
Sohn Ismael zu verdursten droht, wird von einem Engel gerettet, der sie zu einer verborgenen Quelle führt.
Der Künstler ist nicht zu identifizieren. Perino wurde vorgeschlagen, doch stammt die Zeichnung nicht von
ihm. Und obwohl sie eine gewisse Vertrautheit mit Raffaels sehr pointiertem Duktus mit der Feder vermuten
läßt, wurde die Studie weder von ihm noch nach ihm gezeichnet. Etwas an der schwungvollen Energie der
Federführung jedoch, und die recht ehrgeizige, wenngleich ungelenke Anlage der Formen, mögen auf einen
gelegentlichen Mitarbeiter Raffaels wie beispielsweise Sodoma deuten (man vergleiche seine Darstellung der
Besessenen Frau in den Uffizi, Inv. 565E), obwohl von ihm keine Darstellung des Hagar-Themas bekannt ist.
Es ist darauf hinzuweisen, daß die vorliegende Zeichnung von Konrad Oberhuber, Christel Thiem und Albert
Schug Raffael zugesprochen wurde.
PJ
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Giulio di Pietro Gianuzzi genannt Giulio Romano (Werkstatt)
Rom 1499 – 1546 Mantua
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Die Schlacht von Ostia (nach Raffael)
Feder in Braun laviert, Papier auf Leinwand aufgezogen, 42,2 x 68,7 cm
Reste einer Quadrierung
PROVENIENZ:
Slg. Fürst Liechtenstein
Die großformatige Zeichnung ist eine vollständige und genaue Kopie nach dem Fresko in der Stanza dell‘
Incendio im Vatikan und wurde wohl 1515 von einer oder mehreren Händen nach Raffaels Entwurf ausgeführt.
Sie orientiert sich zweifellos an dem Fresko und nicht an einem modello. Sie ist stilistisch Giulio Romano
sehr nahe, hat aber doch nicht den Stil, den dieser zum Zeitpunkt der Ausmalung der Fresken verwandte.
Die Zeichnung zeigt die klare Linienführung und helle Tönung der Lavierung, die für seine Zeichnungen
nach Raffaels Tod charakteristisch sind. Sie entsprechen dem Stil, der in Giulios Werken, aus seiner Zeit in
Mantua, zum tragenden Element wurde.
Wie an anderer Stelle bereits angedeutet, scheint es sicher zu sein, daß Giulio von den vielen Projekten, an
denen er sich beteiligte oder beteiligt hatte, selbst Kopien anfertigte oder anfertigen ließ. Das gilt zweifellos
für seine Arbeiten in Mantua, und mag auch bei jenen Werken der Fall gewesen sein, die er mit Raffael
gemeinsam in Rom schuf – und vielleicht auch generell für Arbeiten aus Raffaels Werkstatt. Die vorliegende
Zeichnung, die sich in keinem guten Zustand befindet, scheint zwar nicht von Giulio selbst zu stammen,
stimmt aber offensichtlich mit seinem Stil überein, und mag entweder kurz vor seiner Abreise von Rom
1524 auf seinen Wunsch hin von einem Assistenten ausgeführt worden sein, oder ist die Wiederholung einer
verschollenen Kopie von Giulios Hand.
PJ
Detail
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Detail
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Gian Francesco Penni (nach)
Florenz ca 1488 – ca. 1530 Neapel
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Der Durchzug durch das Rote Meer
Feder in Braun laviert über schwarzer Kreide, weiß gehöht, 17,0 x 28,2 cm
Die Zeichnung ist eine Kopie nach Pennis modello für die Darstellung des Durchzugs durch das Rote Meer
im achten Gewölbe der Loggia. Sie ist etwas kleiner als das Original, zeigt die vollständige Quadrierung und
befindet sich heute im Louvre (Inv. 3850; Cordellier und Py, Nr. 694; Pinsel und Lavierung, weiß gehöht über
schwarzer Kreide; 20,1 x 28,5 cm). Wahrscheinlich basierte der modello auf Skizzen von Raffaels Hand, die
Penni weiter ausarbeitete, aber weder der modello noch die Skizzen haben sich erhalten.
Die Zeichnung ist derart exakt, daß man an eine zeitgenössische Replik denken könnte. Es war anscheinend
üblich, zwei Exemplare des modello herzustellen, eines für den Künstler, das andere für den Auftraggeber.
Raffael wird selbstverständlich Pennis modello oder eine Kopie gebraucht haben, um die genaue Wiedergabe
durch den ausführenden Künstler zu überprüfen. Doch unterscheiden sich die recht emphatischen Konturen von
denen des Originals, und der Einsatz des gehöhten Weiß vermittelt einen derart mächtigeren und sinnlicheren
Eindruck, daß es sich bei der Zeichnung nur um eine Replik handeln kann, die entweder täuschen sollte oder
für die Sammlung des Besitzers bestimmt war, nachdem er das Original verkauft hatte. Diese Lesung wird von
dem Wasserzeichen bekräftigt, das aus dem 17. Jahrhundert datiert.
Der früheste belegte Standort des Originals im Louvre ist die Sammlung Pierre Crozat, in der jedoch viele
Zeichnungen aus dem Besitz von Everard Jabach stammten. Jabach ließ viele Kopien aus seinem Besitz
anfertigen, sei es um akkurate Belege von kostbaren, aber anfälligen Objekten zu haben oder mit betrügerischer
Absicht. Es ist nur eine Vermutung, aber die vorliegende Zeichnung könnte tatsächlich aus diesem Kontext
stammen.
PJ
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Pirro Ligorio (oder Werkstatt) nach Gian Francesco Penni nach Raffael
Neapel ca. 1510 – 1583 Ferrara
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a: Kain und Abel (Vatikan Loggia: 2. Gewölbe)
b: Joseph gibt sich seinen Brüdern zu erkennen (Vatikan Loggia: 7. Gewölbe)
c: Bathseba setzt sich bei David für ihren Sohn ein
(Vatikan Loggia: 11. Gewölbe)
d: Bittsteller vor Salomon (Vatikan, Loggia, 12. Gewölbe)
Feder in Braun, laviert, weiß gehöht auf blauem Papier, 7,5–8,5 x 23,5–24,0 cm
PROVENIENZ:
William H. Schab Gallery
LITERATUR:
A. Vezzosi in „Raffaello e l’idea della bellezza“, 2001, Bd. 4, S. 27, Nr. 4
Roma Castel Sant’Angelo 18.12. 2001–17. 02. 2002
San Benedetto del Tronto 15.06–14.10. 2004
AUSSTELLUNG:
Die Zeichnungen sind in einer ungewöhnlichen Farbe und Technik ausgeführt, die Polidoro verpflichtet zu
sein scheinen, wenn man beispielsweise an seinen erstaunlichen Verrat Christi in der englischen Königlichen
Sammlung denkt (Clayton, Nr. 61). Sie zeigen vier der elf alttestamentarischen Episoden, die als Fresken in
Grisaille an der Basis der Vatikanischen Loggia erscheinen. Eine fünfte Kopie in derselben Technik und mit
denselben Maßen (7,5 x 24,0 cm) nach der Aufsammlung der Manna im 8. Gewölbe befindet sich im British
Museum (Inv. 1946.7.13.604*). Wahrscheinlich war die Serie der Kopien ursprünglich vollständig. Das
Ashmolean Museum besitzt eine weitere Kopie (Parker, Nr. 661), die in diesen Zusammenhang zu gehören
scheint und von dem gleichen Künstler oder Studio angefertigt sein mag. Auch sie zeigt Bathseba und David, ist
aber in den Maßen (13,0 x 39,0 cm) wesentlich größer als die Exemplare aus der hier angeführten Gruppe.
Die wenigen erhaltenen Vorstudien für die Grisaillen an der Basis stammen von Gian Francesco Penni,
der zweifellos unter Raffaels lockerer Aufsicht arbeitete. Die Ausführung der Fresken wird häufig Polidoro
zugeschrieben, doch muß jede Identifizierung des Autors spekulativ bleiben, da von den Originalen sehr
wenig erhalten ist, und sie nur indirekt studiert werden können.
Diese Kopien wurden wahrscheinlich auf je drei oder vier horizontalen Streifen auf den Seiten eines
umfangreichen Albums ausgeführt und später getrennt. Zwei Blätter zeigen auf ihrem Verso mit einem
Zirkel konstruierte Kreise, die teilweise an den Rändern reduziert sind, was bedeutet, daß die Seiten
vollständig waren, als die Kreise angebracht wurden. Derartige Kreise dienten womöglich als Matrix für
Kopien nach antiken Münzen, was darauf schließen läßt, daß der Künstler sich für Antiquitäten interessierte.
Ein solcher Rückschluß erklärt vielleicht die frühere, unhaltbare These, der zufolge die Zeichnungen das
Werk des Baldassare Peruzzi wären. Diese Kopien mit ihren Schnauzen ähnlichen Gesichtern und schweren
Körpern lassen einen stilistischen Zusammenhang mit dem obsessiven Antiquitätensammler Pirro Ligorio
vermuten, der sich sehr für Polidoros Werk interessierte, und dessen Zeichnungen manchmal mit denen des
Polidoro verwechselt werden. Falls unsere Zeichnungen nicht von Pirro selbst stammen sollten, wurden sie
wahrscheinlich von jemandem aus seinem Umkreis geschaffen.
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Innocenzo Francucci genannt da Imola
Imola zw. 1490–94 – zw. 1547–1550 Bologna
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Psyches Rückkehr vom Styx (nach Raffael)
Feder in Braun, laviert über schwarzer Kreide, weiß gehöht, 26,9 x 15,4 cm
r.u. unleserl. bez., WZ: Anker im Kreis (ähnl. Briquet 471)
Die Kopie beruht auf einer der berühmtesten Figuren in den Pendentifkuppeln von Raffaels Loggia der
Psyche in Agostino Chigis Villa am Lungotevere, die heute unter dem Namen “Farnesina” bekannt ist. Die
Dekoration der Loggia wurde nie vollendet, und was zu sehen ist, ist weitgehend das Werk von Raffaels
Assistenten aus dem Jahr 1517. Die vorliegende Kopie ist möglicherweise indirekt. Sie streckt Raffaels Figur
ein wenig und vereinfacht sie, wodurch das körperliche Volumen zugunsten linearer Eleganz gemindert wird.
Auch modifiziert sie das Original, indem sie die Figur etwa bis zur Höhe des Knies zeigt, statt von unten. Die
Technik entspricht der von mindestens zwei emilianischen Künstlern, die großes Interesse an Raffaels Werk
der frühen 20er Jahre bekundeten – Biagio Pupini und Bartolommeo Bagnacavallo –, doch die Veränderungen
an Raffaels Entwurf, die ebenso begründet wie visuell intelligent zu sein scheinen, lassen an den damals
treuesten emilianischen „Raffaelisten“ denken, Innocenzo da Imola. Der abgewandelte Stil des Gewandstücks,
der den fließenden Faltenwurf akzentuiert, ist besonders typisch für Innocenzos Manier.
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Raffael oder Giulio Romano (nach)
Urbino 1483 – 1520 Rom
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Studie für “Die Heilige Familie Franz I.”
rote Kreide, 17,1 x 12,8 cm
LITERATUR:
Vgl. Knab, Mitsch, Oberhuber. Raphael: Die Zeichnungen, 1983, Nr. 568
PROVENIENZ:
Fürst von Liechtenstein
Zu Beginn des Jahres 1518 erhielt Raffael den Auftrag für eine besonders eindrucksvolle Darstellung der
Hl. Familie, die als Geschenk für Franz I. von Frankreich bestimmt war und später im Jahr nach Frankreich
gebracht wurde. Das Gemälde ist signiert und auf 1518 datiert und befindet sich heute im Louvre. Seine
Übertragung im späten 18. Jahrhundert von Holz auf Leinwand hat dem Werk Schaden zugefügt.
Drei belegte Vorzeichnungen für die Komposition haben sich erhalten. Die früheste ist eine Skizze im Louvre
(Inv. 3862; Rötel; 17,3 x 11,8 cm), die ohne Zweifel nach einem lebenden Modell für die sich neigende Hl.
Jungfrau geschaffen wurde. Auf dieser Skizze beruht unser Blatt. Eine wesentlich weiter ausgearbeitete Studie
der Hl. Jungfrau, die nun in prächtigem Gewand wiedergegeben ist, findet sich in den Uffizien (Inv. 535E),
wo außerdem eine Studie des Kindes aufbewahrt wird, das sich in die Arme seiner Mutter empor streckt (Inv.
534E). Alle drei Zeichnungen sind in Rötel ausgeführt. Eine vierte Zeichnung in Haarlem, die mit der Loggia
der Psyche in Verbindung gebracht wurde, ist aber, wie Shearman wohl zu Recht vorschlug, als Studie für den
heiligen Zeugen zur Linken und den Blumen streuenden Engel darüber aufzufassen, und weicht leicht von
der Fassung des Gemäldes ab (Inv. A 68). Zudem sind zwei Fragmente erhalten, die anscheinend vom Karton
stammen, eine in Melbourne, die andere in Bayonne. Doch mögen diese Fragmente eher Teil einer Kopie und
nicht des Originals sein.
Die beiden Zeichnungen in den Uffizien sowie jene in Haarlem werden einstimmig Raffael zugeschrieben,
und es wäre zu erwarten, daß dies auch bei der Vorzeichnung im Louvre der Fall ist. Obwohl viele Experten
diese Meinung teilen, gibt es auch eine Gegenposition – zu denen der Verfasser gehört –, die sich für Giulio
Romano ausspricht. (Ein Überblick über die verschiedenen Ansichten findet sich bei Cordellier und Py, Nr.
875). Die Schwerfälligkeit der Konturen und die ungeklärte Perspektive des Beines, das über die Oberfläche
des Papiers zu gleiten scheint, läßt auf Giulios Hand schließen, ebenso der leicht verschwommene Blick der
jungen Frau, die sich nicht sicher zu sein scheint, was sie mit dem Kissen in ihren Armen anfangen soll.
Von Vasari wissen wir, daß das Gemälde teilweise von Giulio ausgeführt wurde. Es scheint, daß Giulio auch
während der Vorbereitungsphase half, hier ebenso wie bei anderen Projekten.
Die vorliegende Zeichnung ist eine sehr fachmännische Kopie nach Louvre Inv. 3862, nahezu ein Faksimile.
Der Autor ist unbekannt, gehört aber vermutlich ins 16. Jahrhundert. Sie mag in Mantua gezeichnet worden
sein, wohin Giulio 1524 umzog, und wo er die restlichen zweiundzwanzig Jahre seines Lebens verbrachte. In
Mantua leitete er eine große Werkstatt, in der, wie wir wissen, auch viele Kopien seiner Zeichnungen angefertigt
wurden. Kopien wurden zu den verschiedensten Zwecken gemacht, vom Übungsmaterial für Studenten bis
zum Aufbau eines Archivs. Die Tatsache, daß sich eine große Zahl von Kopien nach Giulios Zeichnungen aus
Mantua erhalten haben, läßt vermuten, daß die Werkstatt systematisch ricordi anlegte.
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Die Kopie mag deshalb von einem seiner Assistenten in Mantua stammen, aber es gibt noch andere Kandidaten.
Denken wir zum Beispiel an Francesco Primaticcio, der eine zeitlang mit Giulio im Palazzo Te arbeitete und
wohl bei seinem Umzug nach Frankreich verschiedene Zeichnungen des Meisters mitnahm, die dieser einem
seiner bevorzugten Mitarbeitern wahrscheinlich geschenkt hatte. Dazu könnte die Zeichnung des Louvre gehört
haben, die durchaus einige Zeit in Frankreich verbracht haben mag, wo sie erstmals im Besitz des Jacques
Stella auftauchte. Es ist also nicht ausgeschlossen, daß die vorliegende Kopie in Frankreich entstanden ist.
Außerdem wurden Rötelzeichnungen, die von Raffael stammten oder von ihm zu stammen schienen, schon
früh in Mittelitalien von unbekannten und bekannten Künstlern (z.B. Francesco Salviati) kopiert. Obwohl das
Blatt kein Wasserzeichen aufweist, vermutet der Verfasser aufgrund der Papiersorte, daß diese Kopie frühen
Datums ist und wahrscheinlich in Italien hergestellt wurde.
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Giorgio Vasari
Arezzo 1511 – 1574 Florenz
23
Die Heilige Familie
Feder in Braun, weiß gehöht auf rosagrundiertem Papier, 34,2 x 25,3 cm
PROVENIENZ:
Bernhard Houthakker, Amsterdam, Auktions-Kat. 1955, Nr. 40 (als Parmigianino)
Während der ersten Hälfte der 40er Jahre des 16. Jahrhunderts –des Zeitraums, in dem die Zeichnung
entstand– schuf Vasari mehrere Gemälde, die dem Blatt in verschiedener Weise ähneln, doch ist keines
erhalten, das sich unmittelbar darauf bezieht. Der Zeichnung noch am nächsten kommt ein Fresko, das sich
einst im Konvent Santa Margherita zu Arezzo befand und im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.
Zu jener Zeit studierte Vasari eingehend Raffaels Tafelbilder, und dieser Entwurf ist eindeutig an einer von
Raffaels berühmtesten und einflußreichsten Madonnen orientiert, der Madonna di Loreto im Musée Condé
zu Chantilly, die sehr häufig repliziert worden ist. Für den Innenraum mag Vasari jedoch auch von einer
römischen Arbeit des Giulio Romano inspiriert worden sein.
Der purpurne Grund ist bei Vasari ungewöhnlich, findet sich aber um diese Zeit bei seinem Freund Agnolo
Bronzino, und vermittelt den Eindruck von großem Reichtum und vornehmer Eleganz. Dazu paßt, daß sowohl
die Komposition als auch die Details der Charakterdarstellungen eine Zärtlichkeit und Wärme ausstrahlen,
die in Vasaris vollendeten Gemälden häufig verschwommen wirkt. In der Auffassung kommt der Zeichnung
vielleicht das Tafelbild der Hl. Familie mit dem Hl. Franziskus von 1541 am nächsten, das sich ebenfalls stark
an Raffael anlehnt und dem Los Angeles County Museum of Art gehört.
Im Louvre befindet sich eine Kopie dieser Zeichnung (Inv. 2232; Monbeig-Goguel 1972, Nr. 19, Feder und
Tusche über schwarzer Kreide, braun laviert, weiß gehöht auf blauem Papier; 37,5 x 28,6 cm), die wahrscheinlich
aus Vasaris Werkstatt stammt. In ihrem Eintrag führt Madame Monbeig-Goguel die vorliegende Zeichnung an,
die sie von einer Auktion 1995 in Amsterdam her kennt, und sieht in ihr das Original.
PJ
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Federico Barocci (zugeschrieben)
um 1535 – Urbino – 1612
24
recto: Die Hl. Jungfrau mit dem Kind und dem jungen Hl. Johannes dem Täufer
verso: Die Hl. Jungfrau mit dem Kind; zwei männliche Standfiguren
recto und verso: Bister, 14,1 x 10,1 cm
am unteren Rand von fremder Hand bez.
Das vorliegende Blatt, das reduziert wurde, um die Gruppe des Rekto hervorzuheben, hat Konrad Oberhuber,
einer der größten Kenner italienischer Zeichnungen jener Zeit, vor einigen Jahren Federico Barocci
zugeschrieben.
Die beiden Seiten orientieren sich eindeutig stark an Raffael, mit dessen Werk Barocci sich ausführlich
auseinandersetzte, und dessen Gewohnheit, sich gründlich vorzubereiten, er in gelegentlich exzessivem
Maß übernahm. Beide Seiten beziehen sich auf Arbeiten aus Raffaels Florentiner Jahren, statt aus seiner
Römischen Zeit. Vielleicht läßt sich dies darauf zurückführen, daß Barocci in Urbino wohnte und in Umbrien
und den Marken arbeitete, wo Raffaels vorrömische Werke am bekanntesten waren und am höchsten geschätzt
wurden.
Die Gruppe des Rekto ist offensichtlich eine freie Variante der drei sitzenden Madonnenbilder, die Raffael
in den Jahren 1505 bis 1507 schuf, der Madonna del Prato, Madonna del Cardellino und Belle Jardinière,
wohingegen die verso Gruppe links oben an die stärker bewegte Darstellung der Florentinischen Brustbilder
von 1507/1508 denken läßt, ohne ein direktes Echo zu sein, die Bridgewater Madonna und die Große Cowper
Madonna. Es ist nicht auszuschließen, daß der unbekannte Künstler nicht nur Raffaels Gemälde kannte,
sondern auch von seinen Zeichnungen wußte, und von ihnen inspiriert wurde: In Urbino gab es eine große
Anzahl von Raffaels frühen Zeichnungen, die sich zu Baroccis Zeit im Besitz der Familie von Raffaels Freund
Timoteo Viti befand.
Sogar die zwei nackten männlichen Figuren unten rechts in dem Verso, wie ungelenk sie auch sein mögen,
könnten die Kenntnis gewisser Darstellungen nackter Kampfszenen aus der Zeit um 1507 andeuten, von
denen sich zweifellos Exemplare in Vitis Besitz befanden.
Hier ist es aber nötigt, zur Vorsicht zu mahnen. Obgleich die recht breiten Federstriche und anscheinend
charakteristischen pentimenti im Kopfbereich der Hl. Jungfrau des Rekto einen Anklang an Baroccis frühe
Studien für die Madonna in den Uffizien (Inv. 11562F und Inv. 11560F) und zwei etwas spätere Studien
( Uffizien, Inv. 1412E ; Emiliani, Abb. 71, 74 und 154) und (Uffizien, Inv.1415F; Olsen, Abb. 74) zeigen,
fehlt dem vorliegenden Blatt die Lebendigkeit und Energie der genannten Zeichnungen. Zudem läßt sich für
derart linkische Figuren wie den beiden Männern des Verso nirgendwo in Baroccis graphischem Œuvre eine
Entsprechung finden. So sehr auch Oberhubers Urteile stets größten Respekt verdienen, kann man in diesem
Fall einen leisen Zweifel nicht verleugnen.
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recto
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Federico Barocci
um 1535 – Urbino – 1612
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Kopf des Hl. Joseph
schwarze, rote, gelbe und weiße Kreide, Kohle und Pastell auf blauem Papier, 23,5 x 17,7 cm
rückseitig von fremder Hand bez.: „Federico Barocci da Urbino nato 1558 e morto –
1612 Dipingera La Vergine sotto La forma di sua scuola“
PROVENIENZ:
F. Dubini/Rasini, Mailand L 987a
LITERATUR:
Vgl. Albertina, Wien, Kat. A. Emiliani „F.B.“ Bologna 1985, S. 259, fig. 5461
Federico Barocci trieb Raffaels Methode, ausführliche Vorstudien zu entwerfen, – wie man bei seinen
Hilfskartons beobachten kann und in dieser Ausstellung an Peruginos Kopf des Hl. Johannes sieht, – bis
zum Äußersten und fertigte höchst detaillierte und maßstabgetreue Studien für die Köpfe und Hände der
wichtigeren – und manchmal auch der weniger wichtigeren Figuren – seiner Gemälde an. Er ging zudem
weiter als sein Vorbild, indem er mehrfarbige Kreiden benutzte, doch versuchte er sich selten an einem
vollständig koloriertem Naturalismus, nicht einmal in seinen Portraits.
Es ist Baroccis Platz in der historischen Nachfolge, Peruginos und Raffaels, der es rechtfertig, die vorliegende
Zeichnung in diese Ausstellung zu integrieren. Sie ist eine Studie für den Kopf des Hl. Joseph, der am rechten
Rand der Beschneidung im Louvre kniet. Das Gemälde wurde 1583 in Auftrag gegeben und 1590 vollendet
und in der Kirche Nome di Gesù zu Pesaro am Hochaltar aufgestellt. 1797 gelangte es nach Paris, und ist nie
zurückgegeben worden.
Diese Zeichnung wurde zuerst von Antonio Morassi 1937 veröffentlicht (Nr. 44), der an einen Kopf des Hl.
Joseph oder eines Schäfers in einer Anbetung dachte. Später hat Olsen sie mit der Beschneidung in Verbindung
gebracht. 1978 wies Pillsbury darauf hin, daß die Zeichnung einer Studie in schwarzer und weißer Kreide
folgt, die sich in den Uffizien befindet (Inv. 11398F) und einer anderen Zeichnung stark ähnelt, die der
E.B. Crocker Art Gallery in Sacramento, Kalifornien, gehört (Inv. 1871.234). Die Zeichnung in Sacramento
(Rötel, schwarze und weiße Kreide, Kohle, leicht koloriert mit rosa und ocker Pastellkreiden, blaues Papier,
25,2 x 20,4 cm) orientiert sich offensichtlich an der gleichen Vorlage wie unser Blatt. Weil die Gesichtszüge
weicher wiedergegeben sind, wirken sie jedoch idealisierend und vereinfacht – so fehlt beispielsweise das
Ohr. Pillsburys Diskussion (S. 81) beschreibt die Situation sehr klar:
„Die Zeichnung in den Uffizien und die Sacramento Zeichnung wurden augenscheinlich auf der Grundlage der
Figur gefertigt, die auf dem ganzformatigen Karton in den Uffizien erhalten ist [Emiliani, Abb. 526]. In dem
chiaroscuro modello, das später ausgeführt wurde, um den Lichteinfall zu studieren, und das sich gleichfalls in
den Uffizien befindet [Emiliani, Abb. 525], beginnen Physiognomie und Positur des Heiligen ihre endgültige
Form anzunehmen. Zwei kolorierte Kreidezeichnungen – eine kleine in der Sammlung Rasini [vorliegende
Arbeit], und eine größere und weiterentwickelte in der Albertina [Emiliani, Abb. 546], belegen die Verwandlung
eines kahlköpfigen Mannes mit rundem Gesicht und Stoppelbart in einen weißhaarigen, etwas älteren Mann
mit schmalem Gesicht und vollem, langen Bart. Es kommt bei Barocci selten vor, daß er so viele Zeichnungen
desselben Kopfes fertigte, vor allem solche großformatigen, kolorierten wie für diesen Hl. Joseph.
Doch mag die Bedeutung dieser Figur in der gesamten Komposition als abschließendes Bindeglied der zwanglosen
Bewegung im Raum entlang einer gewundenen Bahn in diesem Fall die Sorgfalt der Ausführung gerechtfertigt
haben.” [Angaben in Klammern vom Autor].
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Pillsbury erwähnt die Abhängigkeit von Jacopo Bassano Zeichnungen in farbiger Kreide und seine „Sorge
um die materielle Qualität der Farbe, die sich von allen Farben unterscheidet, deren sich die mittelitalienischen
Künstler jener Zeit für ihre Zeichnungen bedienten…”. Jedoch kommen die formale Kraft und Substanz dieser
wie auch der Zeichnung in Sacramento viel stärker zur Geltung, als es in Bassanos Zeichnungen üblich ist,
und diese Aspekte lassen das Römisch-Florentinische Substratum von Baroccis figürlichem Stil erkennen.
Barocci mag sich die vorliegende Zeichnung und jene in Sacramento wieder vorgenommen zu haben, als er sich
mit dem Kopf für die knienden Figur zur Rechten in der etwas späteren Madonna della Gatta beschäftigte. Das
Gemälde selbst ist verschollen, doch ist eine Kopie in einer Privatsammlung in Bologna erhalten [Emiliani,
S. 284ff.]. Diese Verbindung zu einem Gemälde, das letztlich eine modifizierte Anbetung ist, bestätigt im
Nachhinein indirekt Morassis intuitive Identifikation.
Matteo Lafranconi stellte 1998 die These zur Diskussion, daß es sich bei der vorliegenden Zeichnung, – deren
damaliger Standort ihm unbekannt war, aber von der er eine Photographie gesehen hatte –, um ein Blatt
handelte, das in dem posthumen, 1603 erstellten Inventar des römischen Sammlers Antonio Tronsarelli (16.
Jahrhundert) aufgeführt ist. Der relevante Eintrag lautet „Un quadretto in carta sopra tela de una testa di un
vecchio che ride de pastelli di mano del Barosio [Barocci] con un cornice di legno tinto di nero.” (Lafranconi, S.
526, Nr. 24). Sollte Lafranconi Recht haben, muß die Zeichnung eine beträchtliche Zeit vor seinem Tod aus
Baroccis Besitz entfernt worden sein; vielleicht hat er es sogar Tronsarelli selbst zum Geschenk gemacht.
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RAFFAELS Nachfolger
GIULIO ROMANO UND UMKREIS
Giulio Romano
Rom 1499 – 1546 Mantua
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Die Heimsuchung
Feder in Braun und Schwarz, laviert, weiß gehöht, auf grau grundiertem Papier
Durchnadelungen, 27,9 x 17,7 cm
PROVENIENZ:
Comte A. F. Andreossy Lugt 119
LITERATUR:
A. Vezzosi in „Raffaello e l’idea della bellezza“, 2001, Bd. 4, S. 24, Nr. 4
AUSSTELLUNG:
Roma Castel Sant’Angelo 18.12. 2001–17. 02. 2002
San Benedetto del Tronto 15.06–14.10. 2004
Diese Komposition ist offenbar eng verwandt mit der Heimsuchung im Prado, die zu einem unbekannten
Zeitpunkt, aber vermutlich um 1518 für einen Freund Raffaels, Giovanni Battista Branconio dell Aquila,
in seiner Werkstatt entstand. Die Signatur und die Widmung für Branconios Vater Marino auf dem PradoGemälde stammen nicht aus der Zeit, sondern wurden später ergänzt, und es ist wenig wahrscheinlich, dass
das Werk Branconio gegenüber als Original von Raffaels Hand ausgegeben wurde. Gewiss spielte Raffael eine
Rolle bei der Gestaltung des Werkes, doch ist nicht festzustellen in welchem Umfang, da keine Studien zu
dem Gemälde existieren. Der Hauptausführende des Tafelbildes, das auf Leinwand übertragen wurde, als es
während der Napoleonischen Kriege nach Frankreich kam, scheint Gian Francesco Penni gewesen zu sein,
aber wahrscheinlich stammen die Köpfe der Heiligen Elisabeth und der Jungfrau Maria von Giulio Romano.
Die vorliegende, dicht punktierte Zeichnung modifiziert den Aufbau des Prado-Gemäldes in vielfacher
Hinsicht und ist eher ein Nachfolger denn ein Vorgänger der Heimsuchung. In Stil und Ausführung und mit
ihrem farbigen Papier ist sie einer ebenfalls dicht punktierten Zeichnung der Verkündigung im Ashmolean
Museum, Oxford, so ähnlich, dass sie getrost der gleichen Hand zugeschrieben werden kann (dunkelbraune
Tusche, weiß gehöht auf grauem Untergrund, 30,8 x 20,5 cm). In Sir Karl Parkers Katalog des Ashmolean
Museum wird als Urheber dieser Verkündigung mit der Nr. 748 Tommaso Vincidor genannt. Das Werk ist
jedoch viel selbstbewusster und in der Komposition ideenreicher als alles, was der wenig originelle Vincidor
je geschaffen hat, und die Figuren sind mit weit größerer Präzision aufgebaut und modelliert.
Die Oxforder Zeichnung wurde wahrscheinlich um 1520 von Jacopo Caraglio in gleicher Größe gestochen
wie von Raffael, doch weder der lebhafte, fast überdrehte Entwurf noch die Ausführung können von Raffael
stammen. Vielmehr entspricht die Zeichnung dem typischen Stil Giulios. Wenngleich sein lichter Tusch- und
Zeichenstil geläufiger ist, kommen in seinem Werk auch dichte Zeichnungen mit verschiedenen Materialien
auf farbigen Untergründen häufig vor, insbesondere in den 1520er Jahren, als Giulios graphische Ansätze
variantenreicher waren als in seiner späteren, mantuanischen Periode.
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Mit größter Wahrscheinlichkeit entstanden sowohl die vorliegende Zeichnung als auch diejenige im Ashmolean
Museum, die beide Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria darstellen, und noch andere, heute unbekannte
Werke als Vorbereitung zu kleinen Tafelbildern, oder, noch plausibler, zu Stickereien auf kirchlichen
Gewändern, worauf die sehr dichte Punktierung hindeutet. Die Zeichnungen könnten zu Lebzeiten Raffaels
entstanden sein oder zumindest vor Giulios Weggang nach Mantua.
Obwohl in keinem guten Zustand, wurde die gegenwärtige Zeichnung nicht überarbeitet wie die in Oxford,
deren Weißhöhung eine kräftige Verstärkung erfahren hat. Möglicherweise waren beide Zeichnungen einmal
gleich groß. Andererseits variierten häufig die Größen der szenischen Verzierungen auf den Kirchengewändern
je nach ihrer Position, so dass die heutigen Maße der Zeichnungen auch den ursprünglichen entsprechen
dürften. Dafür, dass die Heimsuchung nicht beschnitten wurde, spricht eine Kopie des Bildes im Louvre, Inv.
3933 (Cordellier und Py, Nr. 439). Die Kopie, die Philip Pouncey dem Italiener Biagio Pupini zugeschrieben
hat, ist mit 36,9 x 19,2 cm etwas größer, enthält jedoch nichts, was nicht auch hier im Original zu sehen ist.
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Giulio Romano
Rom 1499 – 1546 Mantua
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Entwurf für eine Metallarbeit ?
Feder in Braun, laviert, 28,0 x 21,3 cm
PROVENIENZ:
Slg. August Grahl, Lugt 1199
Der verstorbene Professor Konrad Oberhuber erkannte als Erster, dass diese Zeichnung wohl von Giuliano
Romano selbst und nicht von einem seiner Mitarbeiter stammt. Obwohl die Konturen härter sind als für Giulio
üblich, sprechen die Zartheit der Wasserfarben und die Feinheit ihres Auftrags sehr für ihn.
Die hier gezeigte Szene erscheint wie die triumphale Krönung eines jungen Helden durch eine geflügelte
Siegesgöttin, doch ob es sich um eine Allegorie oder die Darstellung eines militärischen Triumphs handelt, ist
ungeklärt. Die kleinen Randfiguren stellen eindeutig die drei Tierkreiszeichen Löwe, Waage und Wassermann
dar. Die ersten beiden scheinen mit den Tugenden der Klugheit und der Stärke zu verschmelzen, das dritte
möglicherweise mit Reichtum, doch gelang es dem Autor bei der Zusammenstellung der hier ausgestellten
Werke nicht, die Szene weiter zu erhellen oder eine Quelle dafür zu finden.
Man darf annehmen, dass es sich bei der Zeichnung um einen Entwurf für eine Art Schmiedearbeit handelt,
wenngleich die Form äußerst schwierig zu entschlüsseln ist. Die Schatten auf der sich kräuselnden Schnecke
deuten eine Bewegung im Raum an, und die Figuren werfen Schatten auf die gewundene Form um sie
herum, was den Rückschluss erlaubt, dass sie als Relief ausgeführt werden sollten, eventuell innerhalb einer
„Zelle“ wie bei einem Email cloisonné. Die Sternzeichen am linken und unteren Rand ließen sich gut auf
der Außenseite der angenommenen Kante oder Zelle eingravieren, aber wie die Figur rechts in eine solche
Konstruktion passen soll, ist schwer vorstellbar. Insofern gelingt dem Autor hier keine plausible Rekonstruktion
der dreidimensionalen Form des Objekts. Falls es irgendeine Art von Henkel sein sollte, sind seine Funktion
und Handhabung kaum nachzuvollziehen. Die von den Trägerfiguren in der Hauptgruppe gehaltene Sichel
und Horn (?) stehen über ihre ungeklärte bildliche Symbolik hinaus in klarer formaler Beziehung zu dem
dominierenden Gesamtgebilde. Solche linearen Spiele sind üblich in Giulios Werk.
Der Stil der Figuren und die gedehnten Formen lassen auf ein Entstehungsjahr um 1530 schließen, vielleicht
zeitnah zur Ausführung der Sala dei Stucchi im Palazzo del Te.
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Giulio Romano (Werkstatt)
Rom 1499 – 1546 Mantua
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Die Konstantinische Schenkung (nach Giulio Romano)
Feder in Braun, laviert, 34,5 x 54,1 cm
Siegel r. u.
PRROVENIENZ:
Slg. Fürst Liechtenstein
Dies ist eine exakte, wenn auch schwer beschädigte Kopie des Freskos, das Giulio Romano und Gian Francesco
Penni von Ende 1523 bis Mitte 1524 für die Sala di Constantino im Vatikan entworfen und gemalt haben. Die
Kopie unterschlägt jedoch die umrahmenden Figuren in den Ecken, für die allein Penni verantwortlich war,
der außerdem den maßgeblichen Teil der heute im Ashmolean Museum befindlichen Vorzeichnung (Parker,
Nr. 248) für die rechte Hälfte des Freskos anfertigte.
Die vorliegende Zeichnung entspricht, wie die vorhergehende, sehr dem Stil Giulio Romanos, ist jedoch nicht
von ihm. Sie erbringt den Nachweis, dass Giulio Arbeiten, an denen er beteiligt war, von Assistenten kopieren
ließ, die in seiner Malweise ausgebildet waren. Es ist besonders bemerkenswert, dass in dieser Zeichnung
Pennis Figuren weggelassen wurden, was den Schluss zulässt, dass Giulio nur an Kopien seiner eigenen
Arbeit interessiert war.
Anscheinend wollte Giulio, als er mit Vasari sprach, Penni aus der Geschichte der Raffael-Werkstatt
herausgeschrieben sehen. Die Eiszeit zwischen den beiden künstlerischen Erben Raffaels hatte möglicherweise
schon begonnen, bevor Giulio 1524 Rom verließ. Drei oder vier Jahre später wurde sie manifest: laut Vasari
zeigte Giulio seinem Rivalen Penni die kalte Schulter, als dieser nach der Plünderung Roms bei seinem
früheren Freund und Partner in Mantua um Arbeit bat.
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Biagio Pupini
vor 1511 – Bologna – nach 1575
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Zwei Nymphen plagen einen Satyr (nach Giulio Romano)
Tusche laviert, weißgehöht, Reste von Feder, 17,6 x 23,2 cm
verso bez.: “Pousin”
PROVENIENZ:
Slg. Brophy
Die malerische Ausführung dieser Zeichnung ist charakteristisch für Pupinis Werk. Auf den ersten Blick
scheint das Blatt nach einem antiken Relief gefertigt zu sein, doch tatsächlich entstand es nach der von Giulio
Romano entworfenen Imitation eines solchen. Pupini hatte größtes Interesse am Werk dieses berühmten
Assimilators der Antike. Die Szene taucht in der Camera di Ovidio im Palazzo del Te auf und kann auf 1527
datiert werden (Belluzzi, II, S. 104, Abb. 122). Pupini fertigte im Palazzo del Te noch mehr Kopien an. Das
ganze Ausmaß seiner dortigen Aktivitäten gilt es erst noch zu erforschen.
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Giulio Romano (nach)
Rom 1499 – 1546 Mantua
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Zephyr weht Psyche über das Meer
Feder in Braun, laviert, weiß gehöht, Reste einer Quadierung, Papier auf Leinwand
aufgezogen, 26,3 x 28,0 cm
LITERATUR:
A. Vezzosi in „Raffaello e l’idea della bellezza“, 2001, Bd. 4, S. 31, Nr. 2
AUSSTELLUNG:
Roma Castel Sant’Angelo 18.12. 2001–17. 02. 2002
San Benedetto del Tronto 15.06–14.10. 2004
Dies ist eine exakte Kopie eines der schönsten Deckengemälde in der Sala di Psiche, einem der ersten Räume
im Palazzo del Te, die Giulio nach seiner Ankunft in Mantua ausmalte. Die virtuose zeichnerische Verkürzung
in den Deckenszenen ist eine offensichtliche Hommage an Mantegna, den Großmeister der Perspektive im
Quattrocento und Giulios meistgepriesenen Vorgänger in Mantua, nach dessen Vorbild sich dieser, zumindest
in Teilen, selbst geformt zu haben scheint. Angesichts der Tatsache, dass Mantegna der Künstler war, den
Raffaels Vater, Giovanni Santi, am meisten bewunderte, und dass er als Hofmaler, Archäologe und erfahrener
Gestalter einen Bezugspunkt für Raffael selbst darstellte, überrascht es nicht, dass sich Giulio in dem
künstlerischen Umfeld, das Mantegna für sich erobert hatte, an den größten Künstlern messen wollte, die
Mantua je hervorgebracht hatte. Die Decke könnte auch auf eine gewisse Konkurrenz zu Correggio hindeuten,
von dessen damaligen Arbeiten in der Kirche San Giovanni Evangelista in Parma Giulio mit Sicherheit
Kenntnis hatte.
Kunstfertigkeit und Kühnheit machten die Deckenabschnitte der Sala di Psiche für Kopisten unwiderstehlich,
und die vorliegende Szene war eine der beliebtesten. Rubens fertigte eine ausgezeichnete Kopie davon an, die
früher zur Ellesmere Collection gehörte. Die hier gezeigte Zeichnung ist dem Anschein nach eine sehr frühe
und stammt ohne Frage von der Hand eines der vielen Assistenten, die Giulio in Mantua hatte. Aus Sicht
des Autors jedoch handelt es sich nicht, wie der verstorbene Professor Konrad Oberhuber meinte, um eine
Vorstudie des Freskos, sondern vielmehr um ein nach dem Fresko angefertigtes Blatt.
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Giulio Romano (Werkstatt)
Rom 1499 – 1546 Mantua
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Ausschnitte aus dem Gewölbe der Sala dei Giganti
Feder in Braun, laviert über schwarzer Kreide, weiß gehöht, Spuren einer Umrahmung in roter Kreide
a: 27,1 x 47,0 cm
b: 24,4 x 43,5 cm
c: 28,5 x 49,5 cm
PROVENIENZ:
Slg. Borghese
Diese Zeichnungen zeigen drei Abschnitte aus dem äußeren Ring der Gewölbedecke der Sala dei Giganti,
des spektakulärsten und bekanntesten Raums im Palazzo del Te. Zusammengenommen bedecken diese drei
etwa die Hälfte der Decke. Ihre gebogene Form deutet darauf hin, dass sie Teil einer Serie waren, die, zu
einem Kreis zusammengefügt, den Figurenplan des gesamten Gewölbes abbildete. Zwei der Zeichnungen sind
fortlaufend (der rechte Rand von c passt an den linken Rand von a), die dritte nicht, und ursprünglich muss
es noch drei Pendants vergleichbarer Größe gegeben haben. Das Zentrum des Deckengewölbes, bestehend
aus einem von unten aufwärts einsehbaren „Schirm“, war gewiss auf einem weiteren Blatt festgehalten, das
im Kreis der äußeren sechs das Zentrum bildete.
Der Stil dieser Zeichnungen ähnelt Giulios Malweise sehr, doch mit Sicherheit stammen sie nicht von ihm.
Vermutlich von einem seiner Helfer ausgeführt, um seine Erfindungen zu dokumentieren, kommen sie in
Gestalt und Detail den tatsächlichen Deckengemälden sehr nahe. Feine Unterschiede in Darstellung und
Zwischenräumen deuten jedoch darauf hin, dass die Kopien nicht nach den Fresken, sondern nach Giulios
Vorlagen angefertigt wurden. Tatsächlich ist der Inhalt von c quasi identisch mit Giulios einziger noch
existierender, heute im Louvre befindlicher, aber doppelt so großer Vorlage für das Gewölbe (Inv. 3476,
Zeichenfeder und Tinte über schwarzer Kreide mit brauner Tusche, weiß gehöht, 50,2 x 92,0 cm).
Die vorliegenden Zeichnungen sind weder kreativ noch zeigen sie Anzeichen irgendeiner Übertragungstechnik,
wie Durchpausen, Durchdrücken oder Quadrieren. Ihre Formen sind nicht mit Giulios Vitalität und
Wachsamkeit ausgeführt. Aber sie sind von hoher Qualität und dokumentieren einmal mehr seine an anderer
Stelle in diesem Katalog diskutierte Gewohnheit, Kopien seiner Gemälde und Zeichnungen aufzubewahren
(und vermutlich sogar in Auftrag zu geben).
Giulios Schüler Ippolito Andreasi schuf zahlreiche Kopien nach seinen Kompositionen im Palazzo del Te
und dem Palazzo Ducale in Mantua für Jacopo Strada – und vielleicht auch für Giulio selbst, auch wenn die
Zeichnungen hier scheinbar nicht von ihm sind.
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Girolamo da Carpi
1500/1501 – Ferrara – 1556
32
Figurenskizzen für eine „Entführung der Europa”
Feder in Braun, 15,3 x 17,3 cm
PROVENIENZ:
Slg. August Grahl, L 1199
Dies ist ein typisches Blatt von Girolamo da Carpi, dessen Zeichenstil so stark von Giulio Romano beeinflusst
wurde, dass viele seiner Zeichnungen in der Vergangenheit Giulio zugeschrieben wurden. Es besteht nicht
aus Kopien, sondern wirkt wie eine Eigenkomposition, oder auch zwei, denn es ist nicht ganz klar, ob die
geflügelte Figur links Teil der Hauptszene ist oder nicht.
Die Figuren rechts führen, so scheint es, die Episode der Entführung Europas durch Jupiter in Stiergestalt
auf. Die Hinterbeine des Stiers sind ganz rechts zu sehen, der wehende Umhang darüber gehört zu Europa.
Die Figurtypen, Posen und Gesichtsausdrücke sind eindeutig Giulio Romano geschuldet, der großen Einfluss
auf Girolamo hatte. Die Konzeption könnte von der Stukkatur zum gleichen Thema in der Camera delle Aquile
im Palazzo del Te beeinflusst worden sein (Belluzzi, II, S. 349).
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Girolamo da Carpi
1500/1501 – Ferrara – 1556
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Hl. Johannes
Feder in Braun über schwarzer Kreide, 13,1 x 8,1 cm
Diese beiden kleinen Studien wurden nach der gleichen gemalten Figur angefertigt, zweifellos einem trauernden
Apostel Johannes aus einer Kreuzigung. In der linken, vollständigen Skizze der Figur sind die Umrisse des
Umhangs klar definiert und die Konturen grob angedeutet. Dann wurde die Figur auf der rechten Seite in
etwas größerem Maßstab ein zweites Mal skizziert, der Kopf weggelassen, aber der Umhang detaillierter
modelliert. Vermutlich diente ein vielleicht umbrisches Gemälde aus dem frühen Cinquecento als Vorlage,
worauf die verschnörkelten Falten im Stoff hindeuten, doch lässt sich der genaue Ursprung nicht ermitteln.
Die Form könnte ebenso gut aus Nordeuropa beeinflusst sein.
Girolamo da Carpi war ein produktiver Kopist, dessen veröffentliche Kopien zumeist nach Antiken oder nach
Figuren damals moderner Meister wie Michelangelo oder Raffael geschaffen waren. Üblicherweise isolierte
er einzelne Figuren aus den Kompositionen. Die Technik der vorliegenden Zeichnung ist der einer Zeichnung
im British Museum sehr ähnlich (siehe Gere und Pouncey, Nr. 158 Recto).
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Girolamo da Carpi
1500/1501 – Ferrara – 1556
34
verso: Ceres?
recto: Trauernde Figur?
Feder in Braun, 8,9 x 4,9 cm
LEIHGABE
Die Figur auf der Rückseite scheint Ceres darzustellen. Sie wurde allem Anschein nach nicht nach einer
klassischen Statue angefertigt, sondern vermutlich aus einem Relief isoliert. Allerdings konnte der Autor
keine weitere Version dieser Figur unter Girolamos Kopien finden.
Die Skizze auf der Vorderseite zeigt wahrscheinlich eine trauernde Figur aus einer Kreuzigungsgruppe. Nach
dem Umhang zu urteilen, handelt es sich um eine Frau, mutmaßlich eine der Begleiterinnen Marias. Die
Zeichnung ist zweifellos eine Kopie, unter Umständen nach einem Gemälde ähnlich jenem gefertigt, auf dem
die vorherige Studie basiert.
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Aurelio Luini
ca. 1530 – Mailand – 1593
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Studie für vier Apostel, um 1585/93
Feder in Braun, laviert, rote Kreide 11,0 x 15,0 cm
LEIHGABE
Diese Zeichnung, in der die Figuren aus einem gebührend tiefen Winkel zu sehen sind, ist eine Vorstudie
für das große Fresko Pfingsten, das Aurelio Luini in der Apsis der Kirche San Gervaso e Protaso in Trezzo
sull’Adda nördlich von Mailand geschaffen hat. Wenngleich das Gemälde nicht exakt zu datieren ist, entstand
es vermutlich in den frühen 1590er Jahren. 1578 war die Kirche zur Pfarrkirche erhoben, 1583 ein neuer
Altar in Auftrag gegeben worden (Bora 1982). Das Fresko demonstriert, wie sehr Aurelio seinen reifen Stil
beherrschte, der offen war für aktuelle künstlerische Einflüsse wie die der Gebrüder Campi, denen man das
Fresko ursprünglich zugeschrieben hatte (Moretti 1933, S. 55; siehe auch Mulazzani 1998, S. 207–209).
Natürlich hallt auch hier das Werk Giulio Romanos wider.
Im Zusammenhang mit Aurelios Zeichenkunst ist diese neue Zeichnung signifikant, weil er zuallererst als
produktiver Maler freier Entwürfe und schnell gezeichneter Geistesblitze bekannt war, die allerdings nur
selten seinen Gemälden zuzuordnen sind. Im Gegensatz dazu zeigt dieses Blatt Aurelios Gedankengänge
in einer Zwischenphase der Vorarbeiten für das Fresko. Das Kompositionsschema hat er bereits gefunden,
spielt aber noch mit der Anordnung der Figuren und kümmert sich noch gar nicht um deren genaue
Anatomie und Physiognomie. Zunächst zeichnete er das linke Paar, das mit den beiden Aposteln auf der
linken Seite des Gemäldes korrespondiert. Dann skizzierte er das rechte Paar, das aber im Fresko später
nicht auftaucht. Schließlich hob er das Körpervolumen der Figuren mit Tusche und Spuren roter Kreide in
einem fein abgestimmten Chiaroscuro hervor. Die Umhänge und Körperhaltungen hier entsprechen genau den
später gemalten, die Gesichter dagegen erscheinen im Fresko ausdrucksvoller. Erst in der letzten Phase der
Vorarbeiten wandte sich Aurelio offenbar seinen Mappen von Kopfstudien zu, um die Gesichtstypen im Detail
zu definieren.
Die emphatischen Bewegungen und eloquenten Gesten der Figuren vermitteln eine tiefe emotionale und
spirituelle Beteiligung an dem heiligen Ereignis. Wie für Aurelios Werk typisch, ist das Pfingstfresko extrem
belebt und dicht bevölkert. Voller Bewunderung für diese Kraft schrieb Aurelios Freund und Künstlerkollege
Giovan Paolo Lomazzo (1538–1592): „...ha dipinto, in pocospacio, granquantitàdi figure per forzadiquell’arte,
con la qualeegli par esserenato...“. „... er malte, auf kleinem Raum, eine große Menge Figuren kraft jener
Kunst, die ihm scheinbar angeboren war...“ (Ciardi 1973, S. 369).
LT
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97
PIETRO BUONACCORSI genannt PERINO DEL VAGA
Perino del Vaga
Florenz 1501 – 1547 Rom
36
Kreuzigungsgruppe
Feder in Braun über schwarzer Kreide, 25,3 x 19,4 cm
PROVENIENZ:
W. Conningham, Lugt 476
Diese Zeichnung entstand ohne Zweifel während Perinos erster römischer Periode, höchstwahrscheinlich
zwischen 1522 und 1525. Sie scheint ein Altarbild vorzubereiten. Die starren Figuren, die den unteren
Bildbereich ausfüllen und jede Form von Zurückweichen verhindern, werden mit einer wiederholten, starken
Betonung der Vertikale behandelt wie im Hochrelief. Eine derart strenge Konzeption verrät ein bedeutendes
Projekt.
Von Perino ist keine Kreuzigungsgruppe aus der Zeit bekannt, doch 1525 unterzeichnete er einen Vertrag
über die Dekoration von Deckengewölbe und Wänden der Capella del Crocefisso in der Kirche San Marcello
al Corso. Kurz darauf begann er mit der Ausmalung der Decke, brach die Arbeiten aber schon sehr bald
wieder ab. Erst um 1540 wurde das Deckengewölbe nach einem überarbeiteten Perino-Entwurf von Daniele
da Volterra fertig gestellt. Die Wände blieben unbemalt. Das Altarbild der Kapelle hätte vermutlich eine
Kreuzigungsgruppe oder einen Christus am Kreuz zeigen sollen, so dass die vorliegende Zeichnung eine
Studie dafür gewesen sein könnte.
Möglich ist auch, dass die Zeichnung ein Alternativentwurf für ein etwas früheres Projekt in Rom war, das
vermutlich von Melchiore Baldassini, dessen Palast Perino ausgemalt hatte, in Auftrag gegeben worden war:
die Kapelle in der Basilika Santa Maria sopra Minerva. Das dortige, unvollständig erhaltene Gemälde Perinos
zeigt eine Kreuzabnahme, aber vielleicht hatte man ursprünglich eine Kreuzigungsgruppe erwogen. In der
Tat existiert eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen dem reuigen Schächer, hier oben links im Bild, und
dem entsprechenden Fragment der Kreuzabnahme, das sich heute in der Royal Collection befindet. Auch die
Verwendung des im Wind flatternden Stoffes ist ähnlich.
Der feine, aber harte Zeichenstrich ist typisch für sein Frühwerk. Die parallelen senkrechten Linien, die den
Umhang der in zweiter Reihe direkt links neben dem Kreuz stehenden Frau modellieren, sind beispielsweise
vergleichbar mit den Linien des Vorhangs in Perinos Venus und Amor von 1527 (Florenz, Uffizien, Inv.
13552F). Die konstante, dünne und doch federnde Linie, stellenweise scharf, aber reich an lyrischen Läufen
und Kurven, ist ebenfalls charakteristisch für Perino, und die vereinfachte geometrische Darstellung der zwei
Räuber findet sich in mehreren seiner Zeichnungen aus dieser Periode wieder. Mehr als seine Zeitgenossen
scheint Perino vom Durchpausen Gebrauch gemacht zu haben. Seine Federzeichnungen weisen oftmals eine
Tendenz zur vereinfachten Linienführung auf.
Perinos Kreuzigungsgruppe basiert zwar nicht speziell auf jener in Dürers Kleiner Passion, aber Dürers Einfluss
kommt in der Kleidung, der solide ausgefüllten Oberfläche und den Gesten klar zum Ausdruck. Daneben zeigt
der Körper der Christusfigur gewisse Anklänge von Schongauers Behandlung des Christus am Kreuz, auch
wenn sich kein direkter Bezug herstellen lässt.
98
In Raffaels Umkreis, wenn nicht sogar früher, erfuhr Perino von Dürers erfinderischen Erzählweisen, und als
er 1523 nach Florenz zurückkehrte, drang ihm Jacopo da Pontormos Interesse an dem Deutschen, der Perino
selbst auch in späteren Jahren ein Vorbild bleiben sollte, ins Bewusstsein. Die hier gezeigte Verschmelzung
des statuarischen Reliefs mit ausdrucksvoll kantigen Formen ist enorm wirkungsvoll.
Anhand einer Fotografie dieser Zeichnung klassifiziert Professor Elena Parma sie als eine Kopie nach Perino.
Der Autor dagegen hält das Blatt aufgrund der Abweichungen zwischen der Vorzeichnung mit schwarzer
Kreide und den Federstrichen für ein Autograph.
PJ
99
Perino del Vaga
Florenz 1501 – 1547 Rom
37
recto: Allegorie der Stärke?
verso: Fassade eines Palastes und Figurenskizzen
Feder in Braun, 28,1 x 21,9 cm, Skizzenbuchseite
PROVENIENZ:
Hans M. Callmann, NY
Das beidseitig bemalte Blatt scheint aus einem Skizzenbuch zu stammen, wobei die gestutzten Tintenlinien
am linken Rand des Verso zeigen, dass das Blatt einmal breiter gewesen sein muss.
Die Zeichnung auf der Vorderseite könnte eine Allegorie der Stärke sein. Der geradlinige, aber lebendige
Zeichenstil ähnelt dem des Perino del Vaga sehr, vor allem, wenn man das Blatt mit verschiedenen Zeichnungen
vergleicht, die nach gängiger Auffassung aus den letzten Jahren seines Schaffens stammen. Zu nennen wären
hier jene Studien, die Elena Parma in ihrem grundlegenden Ausstellungskatalog 1999 reproduziert und
besprochen hat: eine aus dem Fitzwilliam Museum in Cambridge (Parma, Nr. 167 Verso) und eine aus dem
Ashmolean Museum in Oxford (ibid., Nr. 168 Verso). Die Frau in Rückansicht hält dem Vergleich mit einer
Zeichnung im Würzburger Martin von Wagner Museum (ibid., Nr. 169) stand, in der sowohl der Kopftypus als
auch die wogende Form sehr ähnlich sind.
Die Zeichnung auf der Rückseite ist problematischer. Die Gliederung der Putte scheint etwas hölzern für
Perino, dessen Kinderdarstellungen normalerweise rhythmischer sind. Betrachtet man den Aufbau des linken
Unterarms, der linken Hand und des linken Beins jedoch genauer, offenbart sich, sehr in Perinos Manier, eine
Serie ovaler Formen.
Die Skizze der Fassade eines prächtigen, vierstöckigen Palastes ist überraschend. Mit ihren voll ausgearbeiteten
Details sieht sie nicht aus wie eine Vorzeichnung, sondern ist, trotz ihrer freien Ausführung, wahrscheinlich
eine Reminiszenz an einen bereits fertig gestellten Entwurf. Perino betätigte sich zwar, soweit bekannt, nicht als
Architekt, kannte sich aber in Architekturelementen trotzdem sehr gut aus und arbeitete als Fassadengestalter.
Diese Tätigkeit konnte, wie es bei der Fassade des Palazzo Doria in Genua der Fall war, eine malerische
Vereinheitlichung vorgefundener, ausgesprochen unregelmäßiger Strukturen mit sich bringen – eine Aufgabe
also, die erheblichen architektonischen Sachverstand erforderte. Die hier gezeichnete Fassade, die wenig
Raum für Fresken bietet, ist als reine Architekturskizze anzusehen. Sie könnte im Prinzip für ein Gebäude
dienen, das im Hintergrund einer Wandmalerei dargestellt wird. Wahrscheinlicher aber ist, dass Perino am
Ende seiner Laufbahn, wie sein Lehrmeister Raffael und sein einstiger Kollege Giulio Romano, Ambitionen
als Architekt entwickelte.
Die hier dargestellten, hochentwickelten architektonischen Formen weisen eine enge Verwandtschaft mit der
Arbeit des Genueser Baumeisters Galeazzo Alessi auf (wie Professor Deborah Howard, die Verbindungen
zwischen dem Palazzo Marino und dem Palazzo dei Giureconsulti in Mailand festgestellt hat, dankenswerterweise
bestätigt).
100
recto
101
Wann und wie Alessi und Perino persönlich Kontakt hatten, ist nicht bekannt, doch kannte Alessi die Arbeiten
Perinos in Genua mit Sicherheit sehr genau. Offenkundig ist, bemerkte Professor Howard Burns 1975, dass,
ganz gleich wie es dazu kam, viele architektonische Ideen Alessis sich direkt auf Perino stützten. Professor
Burns spekulierte sogar, Alessi könnte Perino kurz vor dessen Tod in Rom getroffen haben, und es ist nicht
unwahrscheinlich, dass der Genueser ein paar von Perinos Zeichnungen erwarb. In jedem Fall datiert die
vorliegende Zeichnung aus Perinos letzten Tagen.
PJ
102
verso
103
Perino del Vaga (nach)
Florenz 1501 – 1547 Rom
38
Moses und der brennende Dornenbusch
Feder in Braun, laviert, weiß gehöht 17,0 x 28,2 cm
PROVENIENZ:
Slg. Marquise PH de Chennevieres, Lugt 2072
Przbam-Gladona, Zürich
Diese Zeichnung ist scheinbar die Kopie, oder vielleicht die Pause, einer verschollenen Perino-Zeichnung,
die Komposition offensichtlich eine gestraffte Version der berühmten Darstellung desselben Motivs im
Gewölbefresko der Nische Nummer IX von Raffaels Loggia. Zusätzlichen Einfluss könnte eine zweite
Behandlung des Themas in einem Scheinrelief im unteren Wandbereich der Loggia ausgeübt haben, an dem
Perino vermutlich gearbeitet hat.
Die selbstauferlegten Vereinfachungen sind typisch für Perino und deuten darauf hin, dass der Originalentwurf
etwa Mitte der 1530er Jahre entstand. Es ist jedoch kein Projekt bekannt, das diese Szene einmal hätte
enthalten können, noch lassen sich andere Zeichnungen von oder nach Perino einem alttestamentarischen
oder einem Moses-Zyklus zuweisen.
PJ
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POLIDORO CALDARA genannt POLIDORO DA CARAVAGGIO
Polidoro da Caravaggio (nach)
Caravaggio ca. 1495/99 – 1543 Messina
39
Der Triumph des Aemilius Paulus über die Barbaren
Feder in Braun, 10,9 x 25,1 cm
LITERATUR:
A. Vezzosi in „Raffaello e l’idea della bellezza“, 2001, Bd. 4, S. 29, Nr. 1
Roma Castel Sant’Angelo 18.12. 2001–17. 02. 2002
San Benedetto del Tronto 15.06–14.10. 2004
AUSSTELLUNG:
Diese Zeichnung ist eine frühe Kopie nach dem Friesschmuck, den Polidoro da Caravaggio für einen nicht
identifizierten Palast an der Piazza Madama in Rom ausgeführt hat (siehe Marabottini, Tafel cxxxii/2; Ravelli,
S. 303–305; und Leone di Castris, S. 133–136 und die ausführlichste Liste gezeichneter Kopien auf S. 502).
Der Fries, der in Teilen im Magazin des Palazzo Barberini überlebt hat, stellt den Triumph des Aemilius
Paulus über die Barbaren dar.
Polidoros üblicherweise in Grisaille gehaltenen Fassadenmalereien, von denen viele Themen der klassischen
Antike zum Inhalt hatten, waren in ihren kompositorischen Prinzipien wie in ihren Details hochgradig von
der römischen Reliefskulptur inspiriert. Im Gegensatz zu zahlreichen früheren Imitationen römischer Reliefs
wurden sie bereichert von Polidoros Vertrautheit mit Raffaels begeisternd freier Behandlung klassischer
Quellen und belebt durch einen einmalig kraftvollen Aufbau der Figuren, der sich voller Emphase in seinen
Zeichnungen zeigt. Polidoros Fassaden gaben eine Freilichtschule großflächiger Malerei im klassischen Stil
ab, und da sie, anders als Raffaels Werke im Vatikan, für jedermann zugänglich waren, dienten sie sowohl
unbedeutenden und notleidenden Künstlern als auch großen Namen wie Taddeo Zuccaro oder Rubens als
Inspirationsquelle. Wahrscheinlich sind sie die meistkopierten Kunstwerke ihrer Zeit.
Unsere Zeichnung wurde in der Vergangenheit Perino del Vaga zugeschrieben. Gewiss interessierte sich
Perino für die Arbeit seines Zeitgenossen in Raffaels Werkstatt. Auch ist eine Kopie der Fresken Polidoros
für das Casino del Bufalo (Madrid, Prado) von seiner Hand bis heute erhalten. Doch dem Federstrich hier fehlt
Perinos dekorativer Fluss, und obwohl mancher Schnörkel dem Charakter seiner frühesten Arbeiten recht
nahe kommt, erinnert die pedantische Schraffur in den Schatten eher an die Arbeitsweise seines Schwagers,
des Raffael-Schülers Gian Francesco Penni. Dieser könnte sehr wohl einige von Polidoros Arbeiten kopiert
haben, so wie Giulio Romano ganz sicher eine Figur vom Palazzo Gaddi (ehemals Ellesmere Collection)
kopiert hat – doch nachzuweisen ist es ihm nicht. Wahrscheinlicher ist, dass die vorliegende Zeichnung von
der Hand eines noch unbekannten jungen Künstlers aus dem Penni-Perino-Umkreis stammt.
PJ
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Pellegrino Tibaldi (zugeschrieben) nach Polidoro da Caravaggio
Puria di Valsolda 1527 – 1596 Mailand
40 Unbekanntes römisches Motiv
Feder in Schwarz, braun laviert, 35,1 x 19,1 cm
Die sehr weit verbreitete Gepflogenheit, Polidoros Fassadenmalereien zu kopieren, wurde im vorherigen
Eintrag bereits erwähnt.
Die vorliegende Zeichnung entstand nach einer Szene bislang unbekannten Inhalts, die sich zwischen den
Fenstern im zweiten Stock des Palazzo Milesi in Rom befand (siehe Marabottini, Tafel cxlvii; Ravelli, S.
426–428; und Leone di Castris, S. 497–498). Polidoros Fassade des Palazzo Milesi war vermutlich seine am
meisten bewunderte. Unzählige Kopien wurden nach ihr gefertigt. Die Zeichnung hier ist von hoher Qualität,
ausgeführt von einem äußerst fähigen Zeichner. Obwohl früher einmal Perino del Vaga zugeschrieben, stammt
sie mit Gewissheit nicht von ihm, sondern von einem jungen, in seinem römischen Umkreis der 1540er Jahre
tätigen Künstler, dessen Methode Perinos spätem Stil verpflichtet ist. Das Wasserzeichen, ein Schild mit Stern,
scheint ein frühes zu sein. Die Rückseite ist für die Übertragung der Zeichnung auf eine andere Oberfläche
geschwärzt, das Werk selbst mag als Ursprung weiterer Kopien gedient haben. Es könnte als Vorarbeit für
einen Stich entstanden oder von einem Kupferstecher als solche verwendet worden sein, doch ist ein früher
Druck nach dieser Szene nicht bekannt.
Der leichte, fließende und elegante Auftrag der Wasserfarbe bewirkt ein wahrhaftiges Gefühl von Volumen in
den Figuren und beschreibt detailliert ihre Plastizität. Diesen Effekt erzielten bei weitem nicht alle Kopisten
nach Polidoro. Die Figuren erinnern an den Bologneser Maler Pellegrino Tibaldi, einen der eigenwilligsten
und einflussreichsten Künstler in Perino del Vagas Umkreis der 1540er Jahre. Die Art des Kindes passt
ebenfalls zu Tibaldi. Natürlich ist mit einem derartigen Vorschlag immer vorsichtig umzugehen. Interessant
ist dennoch, dass sowohl Marabottini (Tafel cl/3) als auch Ravelli (S. 426, Nr. 839) eine andere Kopie des
gleichen Motivs, die sich in der Sammlung Königin Elisabeths II. auf Schloss Windsor befindet, Pellegrino
zugeschrieben haben.
PJ
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Pellegrino Tibaldi (zugeschrieben) nach Polidoro da Caravaggio
Puria di Valsolda 1527 – 1596 Mailand
41
3a: Ausschnitt aus dem Niobe-Fries vom Palazzo Milesi
3b: Kyros besiegt die Armee des Spargabis, vom Palazzo Milesi
a. braune Tusche, laviert, 21,7 x 57,3 cm
b: braune Tusche, laviert, 21,9 x 54,0 cm
Diese beiden Zeichnungen, Kopien von Ausschnitten der Fassade des Palazzo Milesi, wurden offensichtlich
von gleicher Hand zur gleichen Zeit ausgeführt. Die erste bildet das linke Ende – etwa ein Fünftel – des
Niobe-Frieses unmittelbar oberhalb des Erdgeschosses ab. Die zweite entstand nach der vierten Szene von
rechts über den Fenstern des Piano nobile und zeigt am rechten Rand einen Teil des Rahmenwerks, wobei
hier aus unerklärlichen Gründen die Positionen der Trophäe und der Vase im Vergleich zur Anordnung im
Original, wie wir sie von anderen Kopien kennen, vertauscht wurden. Es liegt nahe, ist jedoch nicht sicher,
dass der Zeichner die gesamte Fassade kopiert hat.
Wie die vorherige und die folgende Zeichnung zeigen, war die Fassade des Palazzo Milesi eines der
meistkopierten dekorativen Projekte Polidoros. Die gegenwärtigen Kopien sind von außerordentlicher Qualität
und in so prächtiger Art und Weise ausgeführt, dass sie das Scheinrelief der Fresken mit Gewandtheit und
Verve wachrufen. Damit dürften sie von einem namhaften Künstler stammen.
Professor Konrad Oberhuber hat diese beiden Kopien Pellegrino Tibaldi zugeschrieben, was dem Autor sehr
plausibel erscheint. Wenn Oberhuber recht hatte und wenn die vom Autor vorsichtig für Pellegrino reklamierte
Urheberschaft der vorherigen Zeichnung Zustimmung findet, könnten die geringfügigen stilistischen
Unterschiede zwischen jener und dem gegenwärtigen Paar mit einem kurzen zeitlichen Abstand in ihrer
Entstehung erklärt werden.
PJ
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G.F. Bezzi genannt Il Nosadella (zugeschrieben) nach Polidoro da Caravaggio
ca. 1530 – Bologna – 1571
42
recto: Siegeszeichen vom Palazzo Milesi
verso: Jaël und Sisera?
recto: braune Tusche, laviert über schwarzer Kreide, weiß gehöht, auf blauem Papier
verso: braune Tusche, laviert über schwarzer Kreide, auf blauem Papier (mit WZ),
19,5 x 27,6 cm
Die Zeichnung auf der Vorderseite dieses Blattes ist eine Kopie nach dem Siegeszeichen, das Polidoro über
das zentrale Fenster im zweiten Stock des Palazzo Milesi gemalt hat. Die fünf Trophäen auf der zweiten
Ebene, wie die Vasen im Piano nobile, waren großartige Einfälle, die tiefgreifenden Einfluss auf spätere
Metallarbeiten haben sollten. Sie wurden in unzähligen Zeichnungen unterschiedlichster Qualität kopiert,
aber gemessen an denen, die bei Marabottini (Tafel cxlvi) und Ravelli (S. 446–449; siehe auch Leone di
Castris, S. 498) reproduziert sind, ist die vorliegende Zeichnung mit Sicherheit die beste. Mit ihrem Reichtum
an Oberflächenwirkung, dem freien Federstrich und dem ungemein malerischen Einsatz der Wasserfarbe ist
sie eindeutig das Werk eines großen Zeichners.
Auf seine Spur führt eine Kreideskizze auf der Rückseite. Sie zeigt eine offenbar weibliche Figur, die auf eine
zweite, perspektivisch stark verkürzte, liegende und zweifellos männliche Figur einschlägt. Der Einfluss der
Figuren rechts der Mitte in Michelangelos Jüngstem Gericht ist unübersehbar und impliziert das Jahr 1541
als Terminus post quem. Die malerische Fülle des Recto und die Vitalität der liegenden Figur erinnern an die
Zeichnungen von G. F. Bezzi, genannt Il Nosadella, dessen Gemälde und Zeichnungen in der Vergangenheit
häufig mit denen seines Zeitgenossen und Bologneser Landsmanns Pellegrino Tibaldi verwechselt wurden.
Das Verso stellt vermutlich Jaël und Sisera dar, obwohl es angesichts der fehlenden Waffe auch Judith und
Holofernes sein könnte. Die relativ wenigen Zeichnungen, die bis heute Nosadella zugeordnet werden konnten,
machen umso deutlicher, dass er ein potenter und energiegeladener Zeichner war, der in beträchtlichen
Ausmaßen dachte. Seine Fähigkeit, große Figuren in energischen Posen aufzubieten, spricht sogar aus seinen
Madonna-mit-Kind-Gruppen und tritt vor allem in seiner bombastischen Darstellung von Thyestes und Aerope
zutage, die kürzlich auf dem Kunstmarkt auftauchte (siehe Matthiessen 2001, Nr. 9). In der Zeichnung hier
scheint Nosadella auf ein Szenario von ungewöhnlich kraftvoller Wirkung hinzuarbeiten.
PJ
112
recto
verso
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Polidoro da Caravaggio (nach)
Caravaggio ca. 1495/99 – 1543 Messina
43
recto: Satyr mit Stier und Färsen
verso: Sitzender Prophet
recto: Feder in Braun, laviert, 220 x 315 cm
u.r. bez.: “Perino del Vaga”
verso: Feder in Braun, Reste schwarzer und roter Kreide
Obwohl lebendig und ansprechend in der Ausführung der Wasserfarben, handelt es sich bei dieser Zeichnung
um eine Kopie nach einem verschollenen Gemälde, vermutlich einem Fresko, und nicht um eine Vorstudie.
Das oben rechts mit Kreide skizzierte Laub deutet an, dass die Kopie entweder noch nicht ganz fertig war oder
dass der Kopist vorhatte, die Szene auszubauen.
Es ist anzunehmen, dass der Satyr nicht Teil der Handlung ist, sondern von einer anderen Vorlage kopiert
wurde als die Rinder, vielleicht von einem Fresko im gleichen Raum oder an der gleichen Fassade. Er könnte
in einem vorgetäuschten Stuck das trennende Element zwischen zwei Fresken gewesen sein. Eine von Ravelli
(Nr. 376, siehe auch Guillaume, Nr. 680) publizierte Zeichnung in Dijon zeigt die gleiche Anordnung der
Tiere, aber links daneben einen Mann und eine Frau, die nach innen deutet. Dieses Blatt ist mit Polidoros
Namen versehen.
Das präsentierte Sujet bleibt für den Autor undurchsichtig. Die beiden markantesten Tiere sehen einander
geradezu warmherzig in die Augen. Eine Deutung als Liebesszene würde unterfüttert, könnte man die geflügelte
Putte, die Ravelli als Genius interpretiert, mit Sicherheit als Amor identifizieren. Das aber ist unmöglich.
Naheliegend ist dagegen, die Darstellung für eine Art metamorphische Szene zu halten: Jupiters schöne
Geliebte Io wurde von der eifersüchtigen Juno in eine Kuh verwandelt, und es wäre ermutigend zu glauben,
dass Jupiter ihr in der neuen Gestalt weiterhin romantische Besuche abstattete. Allerdings deutet nichts bei
Ovid auf eine solche Lesart hin, die nach anderen Quellen ebenso wenig gerechtfertigt wäre. Nüchterner
betrachtet, könnte die Komposition auch einfach eine beliebige römische Erzählung von erfolgreicher
Tierhaltung illustrieren.
Das vorliegende Blatt unterstützt die Zuschreibung des Originalgemäldes an Polidoro. Es trägt auf der
Rückseite eine vielleicht von anderer Hand als das Recto gefertigte Kopie der Darstellung eines unbekannten
Propheten. Eine andere Kopie der Figur ist bei Marabottini abgebildet (Tafel cxxvi/1). Mit mehreren solcher
Propheten hat Polidoro nach den bekannten Aufzeichnungen die Fassade der Basilika San Pietro in Vincoli
dekoriert. Die reich aufgetragene Tusche auf der Vorderseite und die kompakte Darstellung legen einen
Künstler wie Pellegrino Tibaldi nahe, dem Professor Konrad Oberhuber die Zeichnung zugeschrieben hat.
Der Autor aber sieht im Vergleich zu den vorherigen Blättern eine leicht abfallende Qualität und würde die
Zeichnung eher einem von Pellegrinos Assistenten zuordnen.
PJ
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Raffaello Motta genannt Raffaellino da Reggio (zugeschrieben)
ca. 1550 – 1578 Rom
44
Unbekannte römische Szene
Feder in Braun, laviert, 27,5 x 19,6 cm
u.r. bez:”Polidoro” und num.: 1522
WZ Briquet 6096
PROVENIENZ:
F. Abbott, Lugt 970
verso verschiedene ungedeutete Sammlerzeichen
Diese kompakte und effiziente Kopie von der Hand eines sehr begabten, in der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts in Rom aktiven Künstlers entstand nach einer unbekannten Szene in Scheinrelief von einer nicht
identifizierten, aber wohl berühmten Fassade, die in mindestens einer weiteren Kopie überliefert ist (siehe
Ravelli, Nr. 374). Mit ihren für eine Übertragung bestimmten Konturen wurde die Zeichnung möglicherweise
als Druckvorlage verwendet.
Bei aller gebotenen Zurückhaltung, die sich aus dem etwas abgenutzten Zustand der Zeichnung ergibt,
würde der Autor sie doch vorsichtig dem talentierten, aber jung verstorbenen Raffellino da Reggio (1550–
1578) zuschreiben, der selbst als Fassadenmaler tätig und gewiss an der Arbeit seines großen Vorgängers
interessiert war. Die Zuordnung basiert auf der gleichartigen Technik, Tusche über regelmäßiger Schraffur,
die Raffaellino bei der heute im British Museum befindlichen Zeichnung einer Figur im Profil (Gere and
Pouncey, Nr. 240) angewandt hat, und auf den morphologischen Parallelen zu einer weiteren Zeichnung,
vielleicht einer Darstellung der Diana, die ebenfalls im Besitz des British Museum ist (Gere und Pouncey,
Nr. 239).
PJ
116
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Polidoro da Caravaggio (Umkreis)
Caravaggio ca. 1495/99 – 1543 Messina
45
Das Mahl im Hause Simon
Feder in Braun, laviert, über schwarzer Kreide, 23,9 x 14,6 cm
(alte Montierung aus dem 18. Jhd.)
In einem bogenförmigen Ausschnitt sehen wir die biblische Episode, in der die Sünderin die Füße des Erlösers
mit ihrem Haar trocknet. Die Zeichnung wirkt wie eine Vorlage. In ihrer Technik an Gian Francesco Penni
erinnernd, könnte sie für ein Fresko entworfen worden sein, das an der Wand eines Refektoriums oder vielleicht
eines Klosters entstehen sollte. Unklar ist, ob die toskanischen Säulen, die das Bild beidseitig einrahmen, Teil
eines tatsächlich vorhandenen Bauwerks waren oder dieses nur vorzutäuschen hatten. Jedenfalls befindet sich
der Fluchtpunkt, definiert von der kassettierten Decke, am rechten Rand der Bildfläche, was in Verbindung mit
Christus’ Geste die Vermutung nahe legt, dass das Motiv in einem zweiten, direkt rechts angrenzenden Bogen
weitergeführt wurde, in den sich der Tisch erstreckte. Sollte Simon, was möglich wäre, am anderen Ende des
Tisches gesessen haben, hätte die Gesamtkomposition Giulio Romanos berühmten Entwurf eines Freskos zum
gleichen Thema für die Kapelle der Magdalena in der Kirche Santa Trinità dei Monti aufgenommen, der heute
verschollen, aber dank eines Stichs von Marcantonio und einer danach gefertigten Zeichnung von Parmigiano
ein vertrautes Bild ist. Erwähnt werden sollte aber auch, dass ein aus dem 15. Jahrhundert stammendes PredellaBildwerk des Sieneser Malers Matteo di Giovanni, das heute im Kunsthaus Zürich zu sehen ist, die gleiche
Szene hinter einer Arkade zweier Rundbögen zeigt, deren mittlerer Stützpfeiler das Bild in zwei Hälften teilt.
In der linken Hälfte trocknet, wie hier, die Sünderin die Füße Christi, in der rechten, am gegenüberliegenden
Ende der Tafel, richtet Simon den Blick quer durch den Raum auf den Erlöser. Wahrscheinlich gibt es keine
direkte Verbindung zwischen den beiden Darstellungen, aber die Teilung der Bildfläche in Matteos Predella
zeigt immerhin an, dass einige Künstler es für psychologisch angebracht hielten, die Gruppe um Christus von
der zweiten Hauptperson des Mahls zu trennen.
Sollte die vorliegende Zeichnung für einen Klosterraum bestimmt gewesen sein, dürften weitere Episoden aus
dem Leben Christi oder der Jungfrau Maria dazugehört haben. Polidoros einzige Zeichnung ähnlichen Formats
jedoch, angefertigt für die Verkündigung im Louvre (Inv. 6799; Leone de Castris, Abb. 528), wird allgemein
seiner messinesischen Periode zugeordnet und als Vorlage eines verschollenen Altarbildes interpretiert. Da
eindeutige Beweise fehlen, erscheint die Annahme sicherer, dass die Szene allein die Wand eines Refektoriums
schmücken sollte, und dies angesichts der prominenten Rolle der knienden Sünderin wahrscheinlich eher in
einem Nonnen- als in einem Mönchskloster.
Die Zeichnung wird traditionell Polidoro da Caravaggio zugeschrieben. Die massigen Formen erinnern an
seinen Figurenstil, das klare und solide Arrangement an seinen Sinn für erhabene Kompositionen. Dennoch
ist die Zuordnung grenzwertig. Kommen die körperlichen Grundtypen und die Ausführung des Blatts einer
Zeichnung wie der Anbetung der Hirten in Christ Church, Oxford, noch sehr nahe, fehlen ihm die dort sichtbare
formerische Kraft und plastische Vielfalt. Daher könnte es ebenso gut von einem vertrauten Anhänger
Polidoros denn von ihm selbst stammen. Darüber hinaus kann weder eine andere Polidoro-Zeichnung mit
dieser Komposition oder diesem Motiv verknüpft werden, noch ist irgendeine Behandlung des Mahls im
Hause Simon von seiner Hand aus damaligen Dokumenten oder durch Vasari überliefert.
PJ
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RAPHAEL’S RIVALE: SEBASTIANO DEL PIOMBO
Sebastiano Luciani genannt del Piombo (nach)
Venedig 1485 – 1547 Rom
46
Die Geißelung Christi
Feder in Braun, laviert über schwarzer Kreide, 42,0 cm x 32,7 cm
PROVENIENZ:
J. B. Skippe, Lugt Suppl. 1529a–b
R. Wood
E. Holland-Martin
A. Castelli
E. und M. Bick
LITERATUR:
Hrsg. Von F.W. Robinson, J. T. Palletti. Italian Drawings from the Bick Collection,
Hanover, New Hampshire, 1971, (Kat.Nr 5 )
Soth. London, Old Master Drawings 5.12.77, No. 47
AUSSTELLUNG:
Italian Drawings from the Bick Collection, Hannover – New Hamphire, 2.4–25.4. 1971
Diese Kopie zeigt Christus und direkt rechts daneben den Auspeitscher aus Sebastianos berühmter und
häufig kopierter Wandmalerei für die Kapelle von Pier Francesco Borgherini in der Kirche San Pietro in
Montorio. Bradford Watters, für dessen dazu verfassten Eintrag der Autor ihm dankt, stellte fest, dass die
Zeichnung nach dem Gemälde und nicht nach Sebastianos verschollenem Karton entstanden ist. Sie mag
einmal vollständig gewesen sein, doch ist, wie Watters betonte, der zweite Auspeitscher auf dieser Seite des
Gemäldes nur umrissen, und der gegenwärtige Kopist zielte klar darauf ab, die Oberflächenkonturen der drei
Figuren im Vordergrund zu betonen.
Michelangelo hatte die Geißelung für seinen Freund Sebastiano entworfen, dessen Wettstreit mit Raffael zu
jener Zeit in vollem Gange war. Die beiden einzigen von ihm noch existierenden autographischen Studien für
das Wandgemälde befinden sich im British Museum: eine Kompositionsstudie in Rötel und eine Skizze der
Christusfigur, mit Schwerpunkt auf dem Torso, in schwarzer Kreide. Michelangelo fertigte für die endgültige
Version auch die Vorlage eines Aktes an, an die Sebastiano sich bis auf die Hinzugabe eines Umhangs
minutiös hielt. Die Vorlage ist wohl verschollen, aber eine offenbar exakte, vermutlich sogar maßstabsgetreue
Kopie von Giulio Clovio findet sich in der Royal Collection auf Schloss Windsor. Während Michelangelos
Zeichnungen im Sommer 1516 entstanden sein dürften, vollendete Sebastiano diesen Teil des Wandgemäldes
wahrscheinlich erst 1523/24.
Nach dem markanten Wasserzeichen zu urteilen, handelt es sich bei dem vorliegenden Blatt mit Sicherheit
um eine frühe Kopie, die vermutlich kurz nach der Fertigstellung des Gemäldes in den 1520er oder 1530er
Jahren entstand. Der Kopist ist nicht bekannt, doch deutet der strenge Ansatz auf einen Künstler hin, der mit
den Ideen Sebastianos (und Michelangelos) sympathisierte.
PJ
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121
Sebastiano del Piombo und Werkstatt
Venedig 1485 – 1547 Rom
47
Die Aufnahme Mariens in den Himmel (Die unbefleckte Empfängnis)
Braune und graue Tusche über Spuren schwarzer Kreide auf bläulich-grauem Papier (zwei Teile
entlang einer zentralen Linie horizontal zusammengefügt) weiß gehöht, übermalt mit schwarzer
Kreide, einige Umrisse mit Zeichenfeder und brauner Tinte verstärkt, eine kräftige Linie brauner
Tinte entlang der Ränder.
Zwei nebeneinander liegende Anzeichen von Beschädigung unten rechts.
Von den beiden Engeln gehaltene Inschrift: ASSUMPTIO DEI/ PARAE IN COELUM
47,6 x 28,2 cm
Diese jüngst entdeckte, in der Sebastiano-Forschung bislang unbekannte Zeichnung ist eine durch
verschiedene Abweichungen gekennzeichnete Version der Aufnahme Mariens in den Himmel im Rijksmuseum
Amsterdam, eines der ersten Motive, das der venezianische Künstler für den Altar der Begräbniskapelle
Agostino Chigis in der Kirche Santa Maria del Popolo in Rom entwickelte (Van Regteren Altena, Bulletin van
het Rijksmuseum, 1955; Shearman, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 1961). Sebastiano muss
seinen Auftraggebern – zunächst Agostino Chigi und nach dessen Tod dem Apostolischen Protonotar und
Testamentsvollstrecker Chigis, Filippo Sergardi – mehrere Vorlagen geliefert haben, bevor die letzte Fassung
ausgewählt wurde. Der Amsterdamer Aufnahme Mariens folgten zwei spätere Zeichnungen der Geburt der
Jungfrau Maria: eine komplexe kompositorische Studie im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu
Berlin und die endgültige Vorlage im Pariser Louvre, die dem Altarbild in der Chigi-Kapelle sehr ähnlich
ist.
Dank dieser neuen Zeichnung lässt sich die Reihenfolge der Entstehung der vier Blätter besser rekonstruieren.
Das gegenwärtige Bild und der Amsterdamer Entwurf beschäftigen sich mit der ursprünglichen Idee, die auf
der Ikonographie der Aufnahme Mariens in den Himmel beruht, während die zweite Gruppe, in Berlin und
Paris, das Thema der Geburt der Jungfrau Maria entwickelt. Dass die Aufnahme Mariens mit der Mondsichel
als Symbol für die unbefleckte Empfängnis schließlich verworfen wurde, lässt sich mit der Unsicherheit
erklären, die zu jener Zeit über die bildliche Darstellung der unbefleckten Empfängnis noch herrschte.
Obwohl Papst Sixtus IV. die liturgische Äquivalenz zwischen Mariä Geburt und der unbefleckten Empfängnis
festgestellt hatte, gab es dafür noch keine gebräuchliche Bildsprache. Wahrscheinlich wählte Sergardi aus
diesem Grund letztendlich die Geburt als das passendere Sujet aus, feiert sie doch, wie Franziskaner und
Augustiner gemeinsam argumentieren, sowohl die Empfängnis als auch die Geburt der von der Erbsünde
befreiten Maria (Barbieri, in Sebastiano del Piombo, Ausst.-Kat., 2008). Santa Maria del Popolo gehörte
zu den bedeutendsten Augustinerkirchen in Rom und war für ihre besondere Verehrung der Muttergottes
bekannt.
Wie Paul Joannides feststellt (in Sebastiano del Piombo, Ausst.-Kat., 2008), zeichnet eine formale Rückschau
die Amsterdamer Zeichnung aus, und schon Shearman (1961) hatte auf Mantegna als Vorbild für die Figur der
Jungfrau Maria und ihr neobyzantinisches Gewand verwiesen. Wir sollten hinzufügen, dass diese Rückschau
devotionalen und ikonographischen Ursprungs ist: Das Altarbild der Himmelfahrt Mariä, Königin der Engel,
in der Sixtinischen Kapelle, mit einem knienden Papst Sixtus im Vordergrund, steht als Sinnbild für die
päpstliche Verehrung der unbefleckten Empfängnis.
In diesem Zusammenhang ist ein Vergleich zwischen der Amsterdamer Zeichnung und der vorliegenden
besonders aufschlussreich. Erstens: der Blickwinkel im Amsterdamer Werk ist tiefer und näher, was den
Eindruck von Monumentalität erzeugt, der dem Hamburger Blatt eher fehlt. Zweitens: die Gruppen der
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Apostel sind in der Amsterdamer Zeichnung wirkungsvoller getrennt, die Komposition ist weiträumiger. Der
Kopf des Heiligen Petrus ist im Vergleich zum Hamburger Werk perspektivischer gezeichnet, verliert aber an
Exaktheit. Darüber hinaus ist das Antlitz der Maria geneigt und ihr Ausdruck sanftmütig, während die strengere
Hamburger Maria einem ikonischen und statischen Vorbild näher kommt (wie bei Mantegna und Perugino).
Andererseits ist die Landschaft in der Hamburger Zeichnung gut erhalten, in der Amsterdamer dagegen so gut
wie verschwunden. Den größten Unterschied aber bilden die beiden symmetrisch angeordneten Engel rechts
und links der Muttergottes: im Hamburger Werk tanzen sie auf den Wolken und bieten die symbolträchtige
Palme und die Lilie an, während diese Details im Amsterdamer Pendant abgewandelt oder getilgt wurden, um
vielmehr mit Gebetshaltungen und ätherischeren Unterkörpern eine andere, elegantere Wirkung zu erzielen.
Wie Joannides bemerkt (in Sebastiano del Piombo, Ausst.-Kat., 2008), werden bei sorgfältiger Betrachtung
der Amsterdamer Zeichnung Spuren der früheren, dem Hamburger Werk ähnlicheren Version sichtbar. So
sind die ausradierten Beine der Engel noch deutlich zu erkennen.
Alles in allem können wir davon ausgehen, dass die Hamburger Zeichnung zusammen mit der Amsterdamer
entstanden ist. Letztere ist feiner, von höherer Qualität und wurde vermutlich dem Auftraggeber präsentiert,
erstere war Hilfsmittel im Atelier und Beleg für den Künstler. Die Abwandlungen im Amsterdamer Werk, mit
denen Sebastiano mutmaßlich die Wünsche seines Auftraggebers erfüllte, stammen daher zweifellos von ihm
selbst.
Die Inschrift der Hamburger Zeichnung (ASSUMPTIO DEI/ PARAE...) unterscheidet sich ein wenig von
der in Amsterdam (ASSUMPTIO DEIPA/RAE...), was umso mehr dafür spricht, dass beide Zeichnungen
zeitgleich in Sebastianos Atelier angefertigt wurden (das erklärt einige der Schwächen des Hamburger Werks)
und nicht die eine Kopie der anderen ist. Die Hamburger Zeichnung dokumentiert somit eine frühe Version
des Projekts, das überarbeitet und zur Amsterdamer Vorlage weiterentwickelt wurde. Zu guter Letzt wurden
die trompetenden Engel nicht, wie in der Vergangenheit behauptet, von anderer Hand hinzugefügt, sondern
ursprünglich von Sebastiano erdacht und hier, in der Hamburger Zeichnung, nachgewiesen.
CB
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MICHELANGELOS UMKREIS
Bartolomeo Bandini genannt Baccio Bandinelli (Umkreis)
Gaiole in Chianti 1488 – 1560 Florenz
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Nackter Jüngling
rote Kreide, 17,4 x 9,3 cm
PROVENIENZ:
Slg. Reitlinger
Diese außergewöhnlich interessante Zeichnung ist eine freie Variante zweier nackter Jünglinge (ignudi) von
Michelangelo, die in der sechsten Deckenwölbung der Sixtinischen Kapelle rechts und links über Ezechiel
auftauchen. Sie diente vermutlich als Vorzeichnung für eine Figur mit einer ähnlichen Bestimmung wie
jener der beiden ignudi. Diese haben vordergründig die bescheidene Funktion, Efeugirlanden zu halten,
erfüllen nach Michelangelos Plan aber die höhere Aufgabe, verschiedene Zustände des menschlichen Geistes
zu verkörpern. Die Zeichnung erreicht bei Weitem nicht Michelangelos spirituelle Intensität, strahlt aber
dennoch eine gewisse Lebendigkeit aus. An dem Band, das durch beide Hände der Figur läuft, hängen
zwei imaginäre Sphären, deren Bedeutung sich nur vermuten lässt. Sie könnten heraldischer Funktion sein,
möglicherweise ein mediceischer Verweis, was jedoch alles andere als sicher ist. Ebenso gut könnte die Figur
für die Dekoration eines provisorischen Bauwerks, wie zum Beispiel eines Triumphbogens, bestimmt gewesen
sein und nicht für ein bleibendes Milieu.
Die verstorbene Marianne Joannides hat die Zeichnung Baccio Bandinelli zugeordnet. Die abgetönte Kreide auf
Rumpf, Gesicht und Waden, die wellenartige Bearbeitung des Haars, die breiten, parallelen Kreidestriche, die
die Vorderseite des Blocks begründen, auf dem der Jüngling sitzt, und schließlich der Hintergrund bekräftigen
diese Zuschreibung. Aber selbst wenn man die Ausbesserung im oberen Bereich des Torsos abzieht, die der
Einheit der oberen Bildhälfte abträglich ist, wirkt die Artikulation der Gliedmaßen weniger sicher und sind
die Binnenproportionen der Figur launenhafter, als man es von einem Bandinelli erwarten würde. Vielleicht
schlagen sich hier die ersten Erfahrungen des jungen Baccio in Rom nieder, doch sollte die Möglichkeit, dass
die Zeichnung ein sehr frühes Werk von Francesco Salviati ist, ebenfalls in Betracht gezogen werden.
PJ
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Giovanni Battista di Jacopo di Guaspare, genannt Il Rosso (zugeschrieben)
Florenz 1494 – 1540 Paris
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Allegorie der unbefleckten Empfängnis
Feder in Braun, weiß gehöht, 34,7 x 21,2 cm
LITERATUR:
David Franklin. Rosso in Italy, London 1994, Abb. S. 244 Mr. 194, S. 293 Nr. 77
Diese ausgeklügelte allegorische Darstellung der unbefleckten Empfängnis, einer komplizierten theologischen
Doktrin, für die die Künstler in der ersten Hälfte des Cinquecento händeringend nach einer bildlichen Formel
suchten, wurde von Rosso gegen Ende seiner italienischen Periode ausgeführt. Sie ist, wie David Franklin
1994 hervorhob, „eine leichter identifizierbare Aufbereitung des Themas“ als Rossos Entwürfe von 1528 für den
geplanten, aber niemals ausgeführten Freskenzyklus im Atrium der Kirche Santissima Annunciata in Arezzo.
Vermutlich der Entwurf für ein Altarbild, war die Zeichnung weithin bekannt. Franklin (1994, S. 293) notiert
verschiedene Reaktionen darauf, und Vasari scheint sie im Sinn gehabt zu haben, als er einige Jahre später
seine berühmte Version des Themas malte. Der geplante Standort und der Auftraggeber für das von Rosso
skizzierte Gemälde sind aber nicht bekannt.
Wie Franklin klarstellte, machte Rosso zwei verschiedene Entwürfe für das Projekt. Anzahl und Identität der
Figuren waren gleich, Anordnung und Posen aber unterschiedlich. Die fraglos erste Variante kennen wir von
einer Zeichnung in der Eremitage, scheinbar der Kopie einer verschollenen Vorlage (Carroll 1968/1976, D.
40; 32,5 x 20,5 cm). Die zweite Ausgabe des Entwurfs ist in der vorliegenden Zeichnung und zwei weiteren,
ähnlich großen Versionen überliefert, von denen sich eine in Stockholm befindet (Bjurström 1976, Nr. 81;
35,1 x 20,6 cm), die andere in Christ Church (Byam Shaw 1976, Nr. 126; 36,4 x 21,6 cm). Während der
obere Rand der Petersburger Zeichnung abgerundet ist, sind die anderen rechteckig. Ob dieser Unterschied
allerdings signifikant ist, sei dahingestellt. Aus Sicht des Autors war die Oberkante des Blatts in der Eremitage
ursprünglich gerade, bevor man sie, um eine Beschädigung zu entfernen, beschnitten hat. Doch wie der
fehlende Innenrahmen am oberen Rand der gegenwärtigen Zeichnung belegt, wurde auch diese beschnitten,
wenngleich es kaum vorstellbar ist, dass sie nach oben einmal mit einem Bogen abschloss.
Erstmals veröffentlicht von Franklin (1994, S. 245 und 293, Tafel 194), steht das vorliegende Blatt auf
der Grenze zwischen Original und Kopie. Franklin schreibt dazu: „Die derzeit auf dem Markt angebotene
Zeichnung [die hier vorliegende] ist unveröffentlicht, und von den drei Kopien nach dem zweiten Entwurf ist sie
wohl die einzige, die das Zeug zum Autograph hat.“ Einige von Rossos höchst vollkommenen Entwürfe weisen
eine kaum veränderliche Feder auf, die leicht zu imitieren ist. Da seine Zeichnungen in seiner Werkstatt in
Frankreich tatsächlich häufig kopiert wurden, hat es schon vielfach Diskussionen über den Status dieser oder
jener Arbeit gegeben. Andererseits weisen selbst die elaboriertesten Vorlagen von Rossos Hand üblicherweise
Arbeitsspuren auf, insbesondere zugrunde liegende Konstruktionslinien, die in der vorliegenden Zeichnung
vollständig fehlen. Aber ihre hohe Qualität und sowohl die Feinheit der Wasserfarben als auch die Energie der
Figuren sprechen dafür, dass es sich hier, wenn nicht um ein primäres Rosso-Original, so doch um ein von ihm
selbst gleichzeitig angefertigtes Replikat handelt, und nicht um eine später in seiner Werkstatt entstandene
Kopie. Für Künstler war es üblich, zur vertragsgemäßen Kontrolle zwei Versionen einer Vorlage zu erstellen.
Im vorliegenden Fall steht nicht nur für Franklin fest, dass diese Zeichnung qualitativ wesentlich hochwertiger
ist als jene in Christ Church und Stockholm. Ihr Wasserzeichen auf dem Blatt ist kaum zu entziffern und
ließ sich im Briquet nicht identifizieren. Seine Unregelmäßigkeit spricht jedoch für ein frühes Papier.
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Obwohl Rosso nie ein Schüler Michelangelos war, studierte er dessen Arbeiten kritisch und genau. Er war
besonders fasziniert von den kantigen, manchmal grotesken Figurentypen, wie sie in den Vorfahren Jesu in der
Sixtinischen Kapelle und in einigen Zeichnungen Michelangelos aus den 1520er Jahren vorkamen, und wurde
von dessen streng geometrisch komponierten Bildaufbauten beeinflusst. So verneigt sich der gegenwärtige
Entwurf trotz seiner individuellen Besonderheiten und Abweichungen deutlich vor Michelangelos Grablegung
in der Londoner National Gallery.
PJ
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Michelangelo Buonarroti (nach)
Caprese 1475 – 1564 Rom
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Aurora
schwarze Kreide, weiß gehöht auf grauem Papier, 19,8 x 33,2 cm
auf Karton montiert, u. l. von fremder Hand bez.: „Michel Ange”
PROVENIENZ:
Slg. Lord J. Somers, Lugt 2981
Comte de C. G, Tessin, Lugt 2985
Graf M. V. Fries, Lugt 2903
Fürst Liechtentein
Diese Kopie nach Michelangelos Aurora in der Neuen Sakristei in Florenz erinnert unmittelbar an eine ähnliche
Kopie von Francesco Salviati in Edinburgh (RSA 863). Salviatis Zeichnung ist laut Raphael Rosenberg um
1539 entstanden, nach Überzeugung des Autors aber erst kurz bevor die Statue 1546 am Medici-Grabmal
aufgestellt wurde. Einigkeit herrscht darüber, dass die Kopie in Edinburgh nach der Statue entstand und nicht
nach einer verkleinerten Nachbildung. Angesichts des Blickwinkels, aus dem die vorliegende Zeichnung
angefertigt wurde, kann auch sie nur vor 1546 nach der Originalstatue entstanden sein. Eine spätere Datierung
wäre lediglich statthaft, wenn der Nachweis erbracht würde, dass eine der Nachbildungen, die seit Mitte der
1530er Jahre in Umlauf waren, oder eine andere Zeichnung als Vorlage gedient hat.
Die Zeichnung wurde verständlicherweise ebenfalls Francesco Salviati zugeschrieben. Doch wenngleich
bestimmte Aspekte der Kreidebehandlung, vor allem die Schraffur des linken Beins, für Francesco sprechen,
so entspricht das Blatt insgesamt weder seinem Stil noch besitzt es die Exaktheit seiner Hand und seines
Auges. Die Modellierung und perspektivische Verkürzung des genannten linken Beins zum Beispiel ist nicht
vollends gelungen. Die Zeichnung beschwört zwar einiges jener Fleischwerdung von Michelangelos Marmor
herauf, die in der Edinburgher Kopie zu finden ist, und es mag sogar sein, dass der Zeichner Seite an Seite mit
Salviati gearbeitet hat oder dessen Werk kannte, aber in der Qualität bestehen nennenswerte Unterschiede.
Die Inschrift Michel Ange kommt auf Zeichnungen vor, die durch die Sammlung von J. D. Lempereur gegangen
sind.
PJ
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Giulio Romano (Werkstatt) nach Giulio Romano
Rom 1499 – 1546 Mantua
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recto: Der Traum vom menschlichen Leben nach Michelangelo
verso: Kopien nach verschollenen Zeichnungen von Giulio Romano
Feder in Braun laviert, 36,6 x 27,3 cm
Das Recto ist eine Kopie identischer Größe von Michelangelos in schwarzer Kreide ausgeführtem Geschenkblatt
des sogenannten Traums vom menschlichen Leben, das sich heute in der Prince’s Gate Collection des Courtauld
Institute in London befindet (schwarze Kreide, 39,6 x 28,0 cm). Michelangelos Traum entstand in den frühen
1530er Jahren als Geschenk für einen Freund, möglicherweise Tommaso de’ Cavalieri. Seine Geschenkblätter
fanden außerordentliche Bewunderung und wurden vielfach reproduziert, wobei vom Traum vom menschlichen
Leben weniger Kopien existieren als von vielen anderen Blättern.
Es ist belegt, dass einige der Geschenkblätter mit religiösen Motiven, die Michelangelo um 1540 für Vittoria
Colonna schuf, gleich anschließend für Kardinal Ercole Gonzaga aus Mantua kopiert wurden. Noch heute
finden sich ihre Spuren in der Stadt (siehe Brown 1991). Der vorliegenden Zeichnung nach zu urteilen,
erstreckte sich das mantuanische Interesse an Michelangelos Zeichnungen auch auf seine weltlichen Sujets.
Sie steht ganz offensichtlich in der stilistischen Tradition Giulio Romanos und beweist, dass neben anderen
Blättern Michelangelos auch der Traum vom menschlichen Leben in jener Stadt bekannt war, in der Giulio die
zweite Hälfte seines Lebens verbrachte. Die Auftragslage für Kopisten muss wesentlich besser und der Markt
für ihre Produkte weit größer gewesen sein, als wir uns heute mitunter ausmalen.
Die Zeichnungen auf der Rückseite bestätigen die Verbindung zu Giulio. Nach seinen Arbeiten ausgeführt,
lässt ihre Technik darauf schließen, dass eher Zeichnungen denn Gemälde als Vorlagen dienten. Zwar
sind Giulios Originale verschollen oder noch nicht als seine identifiziert, aber die Kopien erfassen seinen
charakteristischen Stil so deutlich, dass kein Zweifel an der Urheberschaft der fehlenden Vorbilder besteht.
Die Verwendung von zweien der drei Studien ist bekannt. Die auf Delphinen reitenden Putten zeichnete Giulio
für das rechte untere Feld der Südlünette in der Camera delle Aquile des Palazzo del Te (Belluzzi, II, S. 537).
Die Jungfrau mit Einhorn ist ein gängiges Symbol der Reinheit und heute dank Leonardo da Vincis überaus
eleganter Zeichnung des Motivs im Ashmolean Museum (Parker, Nr. 15) weltberühmt. Eine gemalte Version
des Themas im Castel Sant’ Angelo lässt darauf schließen, dass Leonardos Entwurf entweder von ihm selbst
oder einem seiner Schüler weiterentwickelt wurde, und Agostino Veneziano, ein ständiger Kupferstecher
Raffaels, gab mit Datum 1515 einen signierten Stich nach der Zeichnung heraus. Giulio wiederum stand
zu dieser Zeit mit Gewissheit in engem Kontakt zu Agostino, da dieser mindestens zwei Stiche nach Giulios
eigenen Arbeiten anfertigte. Das Original dieser Jungfrau mit Einhorn verwirklichte Giulio als Stuckrelief
in der Camera dei Venti im Palazzo del Te (ibid., S. 298, Abb. 537). Folglich enthält das gleiche Blatt eine
Zeichnung nach einem der zwei großen Rivalen der Zeit – Michelangelo – und eine Zeichnung, die den
anderen – Leonardo – spiegelt. Die dritte Zeichnung auf der Rückseite des Blattes, oben links, zeigt ein
Mädchen, das vor einem Altar ihre Schürze hebt. Der Sinn ihrer Handlung erschließt sich nicht, aber Pose
und Stil ähneln denen des stehenden Mädchens in Giulios Zeichnung Ziegenopfer für Jupiter in der National
Gallery of Art, Washington D. C. (B-26.785). Zwar fand der Autor die Figur nicht im Palazzo del Te, doch
könnte die Zeichnung eine verworfene Idee für eine zweite Stuckfigur in der Camera die Venti, die Vesta,
gewesen sein, die dann in anderer Form ausgeführt wurde (Belluzzi, II, S. 295, Abb. 527).
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recto
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Die Qualität der Verso-Zeichnungen ist augenscheinlich höher als die des Recto, was jedoch nicht heißen
muss, dass die Seiten von verschiedener Hand stammen. Der Traum vom menschlichen Leben ist eine
komplexe Konstruktion mit verschiedenen Definitionsebenen und teils außerordentlich reicher Modellierung.
Die Kopiervorlage war vermutlich ebenfalls in schwarzer Kreide ausgeführt, und diese mit Feder und Tusche
zu übertragen, könnte einen Zeichner, der derlei Vielfalt und Vielschichtigkeit nicht gewohnt ist, durchaus
verunsichert haben. Im Gegensatz dazu dürfte einem Schüler Giulios das Kopieren von Zeichnungen seines
Meisters im gleichen Medium deutlich leichter gefallen sein.
PJ
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verso
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Daniele Ricciarelli genannt Daniele da Volterra (Werkstatt?)
Volterra ca. 1509 – 1566 Rom
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Golgatha („Die drei Kreuze“) nach Michelangelo
schwarze Kreide, 15,9 x 20,0 cm
Heute an den Seiten leicht beschnitten, war dieses Blatt vorher eine in schwarzer Kreide ausgeführte Kopie
und genauso groß wie der obere Teil von Michelangelos berühmter Zeichnung Die Drei Kreuze in roter Kreide,
die sich im British Museum befindet (Wilde, No. 32; rote Kreide, 39,4 x 28,1 cm). Wahrscheinlich war das
Blatt ursprünglich sogar eine vollständige Kopie, die aus Gründen, über die wir nur spekulieren können,
später zerschnitten wurde.
Michelangelos Zeichnung, deren Verwendungszweck unbekannt ist, entstand in den frühen 1520er Jahren und
könnte bis zu seinem Tod in seinem Besitz gewesen sein. Immerhin befand sie sich in der Casa Buonarroti, bis
Jean-Baptiste Wicar sie erwarb, von dem sie später an Sir Thomas Lawrence überging.
Die Technik der vorliegenden Kopie mit ihren sorgfältig voneinander getrennten Schraffuren ist typisch für
die flüchtigeren Zeichnungen Daniele da Volterras und seiner engsten Anhänger. In Michelangelos späten
Jahren war Daniele sein ausgemachter Schützling. In mehreren Fällen unterstützte Michelangelo den jüngeren
Künstler mit eigenen Entwürfen. Danieles enge Freundschaft zu Michelangelo, die sich in den 1540er Jahren
entwickelte, verschaffte ihm Zugang zu den Zeichnungen des Meisters, der ihm eine beträchtliche Anzahl
davon entweder schenkte oder vererbte. Die gegenwärtige Zeichnung stammt nicht von Daniele selbst. Offen
ist jedoch, ob sie eine verschollene Kopie von Danieles Hand reproduziert oder ob der Zeichner ein Schüler
Danieles war, der über seinen Meister Zugang zu Michelangelos Original erhielt.
PJ
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Cherubino Alberti
Borgo 1553 – 1615 Rom
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Simon von Cyrene, aus dem „Jüngsten Gericht“ nach Michelangelo
Feder in Braun, Tusche, laviert, weiß gehöht, 34,6 x 22,0 cm
PROVENIENZ:
Fürst Liechtenstein
Diese Kopie des Simon von Cyrene aus dem Jüngsten Gericht stammt von Cherubino Alberti, der die berühmte
Figur auch in einem Stich dargestellt hat. Die Zeichnung veranschaulicht sehr schön die Kraft und Energie
eines der besten Federzeichner, den die Stadt Rom im ausgehenden 16. Jahrhundert aufzubieten hatte und der
zudem selbst großartige dekorative Vorhaben ausführte. Sie ist vergleichbar mit anderen seiner Zeichnungen
(siehe beispielsweise Hermann Fiore, Nr. 6 Verso, 11, 107 und 142).
PJ
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IMPRESSUM
Herausgeber
Mathias F. Hans
Katalogbearbeitung
Anne Auber
Autoren
Anne Auber
Costanza Barbieri
Carlos O. Boerner
Paul Joannides
Lucia Tantardini
Jürg Meyer zur Capellen
Carolyn C. Wilson
Übersetzung
Stefan B. Polter
Kurt Rehkopf
Angela Siol
Fotos
Karlheinz Grünke
Mikio Feldmeier
Bildbearbeitung
Reproform, Hamburg
Benedict Press, Münsterschwarzach
Druck
Vier-Türme GmbH, Benedict Press, Abtei Münsterschwarzach
Rahmung
Julia Markert
Helmut Schulze
Passepartouts
Christian Zwang
Restaurator
Matthias Brune
Hildegard Brauneck
© 2008 Galerie Hans
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