RepRäseNTATIoNsweRTe: ARcHITekTUR AUf deM kUNsTMARkT

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RepRäseNTATIoNsweRTe: ARcHITekTUR AUf deM kUNsTMARkT
MARTIN
HARTUNG
Repräsentationswerte:
Architektur
auf dem Kunstmarkt
Vortrag bei Contemporary Fine Arts
am 29. Januar 2015
César Pelli, The Long Gallery House (1980), Beitrag zu Houses for Sale, Ausstellung bei der Leo Castelli Gallery, New York, 1980.
Foto: Bevan Davies. © Archives of American Art, Smithsonian Institution
Im EasyJet-Reisemagazin vom November 2014
wurde auf den ersten Seiten unter der
Rubrik Manual eine aktuelle Architektursensation beschrieben. Aufgemacht als Gebrauchsanweisung fürs Auge – denn von ‘DoIt-Yourself’ kann hier wahrlich nicht die Rede
sein – wurde unter dem Titel How to Build a
Fashion Cloud die kurz zuvor eröffnete, von
Frank Gehry entworfene und von Bernard Arnault unter Zurverfügungstellung von mehr
Doppelseitiges Feature von Frank Gehrys Fondation Louis Vuitton im EasyJet
Traveller Magazine, November 2014
als 100 Millionen Euro beauftragte Fondation
Louis Vuitton im Parc d’Accommodation vorgestellt. Das Gebäude liegt nun wie ein gestrandetes Luftschiff im Pariser Park, dessen
150. Jubiläum die Stadt im Jahr 2010 feierte.
Im Oktober 1860 von Napoleon III. als Zoologischer Garten eingeweiht, gibt es dort nun eine
neue Attraktion, die im Oktober letzten Jahres
hochkarätig gefeiert wurde. Dazu hieß es in
der Architectural Review beißend: “While Ebola was ravaging West Africa, Gehry fever hit
Paris this Autumn.”1 Im EasyJet-Feature werden mehrere, allerdings kapitalintensive, Erfolgsbausteine zusammengefasst; der erste:
“Hire the Industry’s Best” – als solcher wäre
dann der Kunstaffine Frank Gehry gekrönt, der
im letzten Jahr seinen 85. Geburtstag gefeiert
hat. Weiterer Erfolgsbaustein im Feature ist:
“Look the Part.” Hier wird das in Padua speziell hergestellte, gebogene Glas der zwölf Glassegel zelebriert, gefolgt von 4.: “Think about
Structure”, wo dem Leser berichtet wird, dass
15.000 Tonnen Stahl, zwei Mal mehr als es zum
Bau des Eiffelturms brauchte, für die Konstruktion des privaten Kunstmuseums mit elf
Galerien von Nöten waren. Schließlich: “Fill it
with Stars”. Hier geht es zunächst um die Gaumenfreuden im Restaurant Le Frank, das nicht
1
nur den Michelin Starkoch Jean-Louis Nomicos zu bieten hat, sondern auch Groß versionen
der Fischlampen, die Gehry seit den frühen
1980er Jahren zusammen mit einer Reihe
von Möbelentwürfen und Accessoires seinen
Bauten einverleibt. Der mittlerweile charakteristische Gehry-Fisch wurde zum Mittel des
Architekten, sich von der Vorliebe seiner postmodernen Kollegen für klassische Bauformen
am weitesten in die Vergangenheit abzusetzen,
denn Fische soll es auf der Erde immerhin
schon seit etwa 450 Millionen Jahren geben.
Inzwischen erreicht Gehrys „Ursprungs”-Design hohe Summen auf Auktionen: bei Sotheby’s
in New York wurde ein früher Entwurf von 1984
am 14. Juni 2012 für $110.500 ersteigert. Das
ist eine der Höchstsummen der Kategorie, besonders eines lebenden Architekten oder Designers. Wie der Auktionskatalog allerdings
listet, wurde die Lampe direkt vom „Künstler”
– in dem Fall also nicht „Architekten” – Gehry
zur Auktion gestellt. Das Objekt changiert
zwischen rein ästhetischem Gegenstand und
Gebrauchswert, was zur Entstehungszeit der
Lampe im Bereich des postmodernen Designs
von Architekten, das Mitte der 1980er Jahre
Eingangssituation, Restaurant Le Frank, Fondation Louis Vuitton, Paris,
Foto: Martin Hartung
hoch im Kurs stand, nicht ungewöhnlich war.
Da wirkt das opulente Fischlampen-Design im
Restaurant Le Frank gleich ein wenig erhellender und so wurde Frank Gehry von Louis
Vuitton beziehungsweise Arnault auch noch
als Taschendesigner mit eingespannt, um die
Twisted Box zu entwerfen, die im Shop der
Fondation in Serie für 3000 Euro erhältlich ist –
ein Hauch Dekonstruktivismus im praktischen
Handtaschenformat. Von der Modemarke ließ
sich Gehry so en passant als „Ikonoklast” bran-
den und war damit nicht allein, denn unter dem
Motto Six Iconoclasts, One Icon ließ Louis Vuitton 2014 von weiteren fünf Designern, darunter Karl Lagerfeld, Accessoires entwerfen, die
vom Logo des Luxusherstellers inspiriert sind.
Auch das Gebäude selbst trägt am Haupteingang das Zeichen: So könnten Gesamtkunstwerke im 21. Jahrhundert aussehen, wenn das
Prinzip Gesamtkunstwerk noch anwendbar ist.
Niklas Maak hat den Bau in seinem räumlichen
und sozialökonomischen Kontext ganz treffend
wie das im Bois de Boulogne prangende „Krokodil am Lacoste-Hemd” beschrieben.2 Sicher
ohne den Lifestyle der 1% vorwegnehmen zu
wollen, verglich Gehry seine Schöpfung mit einem „Schiff unter vollen Segeln.”3 Hier ist das
noch Metapher, andernorts entwerfen seine
Kolleginnen und Kollegen tatsächlich die Yachten der Superreichen, wie ein Beispiel der Londoner Architektin Zaha Hadid zeigt, die auf 128
aerodynamischen Metern unter anderem eine
Concept Yacht für den Bootshersteller Bohm &
Voss entworfen hat – Preis auf Anfrage.
Von Zaha Hadid, deren erstes realisiertes Gebäude überhaupt 1993, vier Jahre nach Gehrys
dortigem Museumsbau, auf dem Gelände des
Fassadenansicht mit Blick in den offenen Hof im Untergeschoss mit der Lichtskulptur Inside the Horizon (2014) von Olafur Eliasson, Fondation Louis Vuitton,
Paris, fertiggestellt 2014, Foto: Martin Hartung
beim Auktionshaus Phillips für $296.000 versteigert. Tatsächlich werden seit den 2000er
Jahren besonders Hadids Bauten, aber auch die
anderer ArchitektInnen, als weltweite Statussymbole gern mit Louis Vuitton-Handtaschen
verglichen. Die Diskussion darum entbrannte
Gehry Partners LLP, Haupteingang, Fondation Louis Vuitton, Paris, fertiggestellt
2014, Foto: Martin Hartung
Möbelherstellers Vitra in Weil am Rhein gebaut
wurde, ist mittlerweile bekannt für ihren Fable
zum Design, den sie mit anderen KollegInnen
teilt. Neben Haushaltsware, die seit dem letzten September bei Harrods in London zu Preisen von circa 70 Pfund für Platzdeckchen bis
etwa 5000 Pfund für ein Schachspiel verkauft
wird, aber auch dem Design von Schmuck, hat
sie bereits 2006 eine Icon-Handtasche zur Louis Vuitton Collection beigesteuert. Einer von
Hadids Tischen wurde schließlich im Mai 2013
Frank Gehry, Twisted Box, 2014, Handtasche der Serie Six Iconoclasts, One Icon,
Louis Vuitton, Foto: Martin Hartung
in den letzten Jahren immer wieder erneut, im
Falle Hadids tragischerweise ganz wörtlich als
die Architektin den London Design MuseumPreis für das Heydar Aliyev-Kulturzentrum in
der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku er2
hielt, das dann kurz nach der Eröffnung von Aktivisten in Brand gesteckt wurde. Bereits zuvor
war bekannt geworden, dass der Namensgeber des Komplexes jahrelang den russischen
Geheimdienst KGB leitete und das Land Aserbaidschan nach dessen Unabhängigkeit von
der Sowjetunion autoritär geführt hatte. Sein
Sohn Ilham Aliyev soll diesen Führungsstil daraufhin in korrupten Kreisen fortgesetzt haben, in denen Regimegegner brutaler Verfolgung ausgesetzt seien. Nach Presseberichten
mussten dem Bau zuvor 250 Häuser weichen,
deren Eigentümer keine Entschädigungen erhalten hätten. Wiederholt zu Stellungnahmen
im Rahmen ihrer Bauprojekte aufgefordert,
die nicht nur einmal mit diktatorischen Bauverhältnissen in Verbindung standen, lautet
Hadids Reaktion im Wesentlichen, dass sie
lediglich deren Architektin sei, für die Zustände in den Ländern die jeweiligen Regierungen
hingegen selbst verantwortlich zeichneten.
Ein Resultat der globalen Bautätigkeit großer
Architekturbüros ist, dass die zeitgenössische
Ikonenarchitektur, an deren Aufkommen Gehry
einen Mammutanteil hat, als Ansammlung von
Monumenten oft kontextfremd aus der sie umgebenen urbanen Landschaft ragt.
Rem Koolhaas, der mittlerweile wohl berühmteste Architekt, hat 2007 auf einem Panel
am Canadian Centre for Architecture (CCA) in
Montreal gerade das Bild von Gehry’s Guggenheim gezeigt, um vor dem Hintergrund eines
von globalen Marktmechanismen bestimmten
Architekturbetriebes zu beschreiben, was von
ihm und seinen Kollegen erwartet würde: “to
be extravagant and spectacular.”4 Koolhaas
schließt sich selbst nicht aus diesem Zirkel
aus, kritisiert unter anderem aber das inhärente Geltungsbedürfnis seiner Mitstreiter. Als
Direktor der letztjährigen Architekturbiennale
hat Koolhaas den Fokus der Großausstellung
gerade von der zeitgenössischen Figur des
Starchitekten weg, hin zur Rückbesinnung auf
Grundelemente des Bauens verlagert, ohne bei
aller Arbeit am Fundament den eigenen StarStatus ablegen zu können. Überhaupt hat diese
auf Forschungsarbeit statt Starchitekten-Präsentationen ausgerichtete Biennale wie keine
zuvor gezeigt – unter anderem durch die sechsmonatige Laufzeitanpassung an die wesentlich
ältere Kunstbiennale – wie prominent das Thema der Architekturausstellung in den Universitäten seit einigen Jahren diskutiert wird.
3
Vor dem Hintergrund, dass im Anschluss an Koolhaas’ Vortrag am CCA im Jahr 2007 ein Streitgespräch zwischen ihm und Peter Eisenman
veranstaltet wurde, der sozusagen zur ersten
Generation der Starchitekten zählt und auf den
ich später noch zurückkomme, nahm Koolhaas
ein Bild des von Fernsehreportern und Journalisten bedrängten Eisenman in seinem Denkmal für die ermordeten Juden Europas (2005)
zum Anlass, um über die Dringlichkeit einer
Kritik dieser sich im Architekturkontext allgemein darstellenden Aufmerksamkeitsökonomie zu sprechen. Koolhaas subsummierte
schließlich die damalige Situation mit den einprägsamen Worten: “We are not taken seriously, but we have an unlimited amount of attention.”5 Der italienische Soziologe Francesco
Alberoni hat Celebrities bereits 1962 als eine
„élite irresponsable” bezeichnet.6 Dazu kam
die Einsicht Koolhaas’, dass seine Kollegen und
er selbst leider offenbar nicht im Stande seien,
gegen die weltweiten Marktmächte anzugehen
und daher sein Fazit: “We have not been able to
save any dignity for our profession.”7
Seit 2014 steht nun die Fondation Louis Vuitton in Paris, zu deren Eröffnung Gehry zeitgleich am Centre Pompidou vom französischen
Architekturexperten Frédéric Migayroux eine
Retrospektive organisiert wurde, die im Sep-
Frank Gehry, Gehry Residence, Santa Monica, Kalifornien, 1977/1978 – Modell,
Installationsansicht der Ausstellung Frank Gehry, Centre Pompidou, Paris,
08. Oktober 2014 bis 26. Januar 2015, Foto: Martin Hartung
tember dieses Jahres am Los Angeles County
Museum of Art eröffnen soll.
Zur selben Zeit war am Pompidou auch die
Präsentation der Jeff Koons Wander-Retrospektive zu sehen, deren Hauptraum im Museum die Kunst wie eine Messe- beziehungsweise Warenauslage aussehen ließ. So kam, ob
nun gewollt oder nicht, eine wahre Kunstmasse zusammen, die ohne Umschweife den Kontext von Koon’s Durchbruch während des
Kunstmarktbooms der 1980er Jahre einfing.
Das Pompidou hatte mit seiner Eröffnung 1977
eine eigene Architekturabteilung erhalten und
ist selbst ein ikonischer Bau, der mit seinen
nach außen gekehrten Funktionsrhythmen,
denen jeweils bestimmte Farben zugeordnet
sind, im Entwurf von Richard Rogers, Renzo Piano und Gianfranco Franchini als „Monument
postmoderner Industrieästhetik” gilt.8 Noch zu
dessen Baustellenzeiten hatte der Amerikaner
Gordon Matta-Clark 1975 seine avantgardistische Arbeit Conical Intersect realisieren können, bei der er gegenüber vom damals kontrovers diskutierten, fabrikähnlichen Museumsbau im 45-Grad Winkel Löcher durch zwei nebeneinander liegende Gebäude aus dem 17.
Jahrhundert schnitt. Nach der Abtragung des
Großmarktes Les Halles im vierten Arrondissement, an dessen Stelle ursprünglich ein
Parkplatz geplant wurde, trat schließlich das
Pompidou-Museum auf den Plan. Es ist zu vermuten, dass die Kontroverse um den Museumsbau nicht der vorwiegende Grund für Matta-Clarks Ortswahl war, sondern vielmehr die
Möglichkeit, überhaupt ein Haus zum Sezieren
und Offenlegen von Bausubstanz zur Verfü-
Installationsansicht der Ausstellung Follies in der Leo Castelli Gallery, New
York, 1983. Im Vordergrund: Frank Gehry, Prison, Modell, 1983. Foto: Bevan
Davies. Archives of American Art, Smithsonian Institution
gung gestellt zu bekommen. Aus der Zerlegung bestehender Architekturen, die leer standen beziehungsweise zum Abriss bestimmt
waren, schuf Matta-Clark ‚Anti-Monumente’,
deren Zweck der Konzeptkünstler Dan Graham
in einem Text über den Künstler als Auslöser
von Erinnerungen beschrieben hat. Entgegen
des im Kultursystem fest verankerten Denkmals riefen sie laut Graham als ephemere Einschnitte „jenes subversive Gedächtnis [wach],
das im Namen einer falsch verstandenen
‚Ganzheitlichkeit’ hinter soziale und architektonische Fassaden gedrängt wurde.“9 In einer
Zeit der kritischen Hinterfragung des Galerieraumes, in der Künstler zunehmend performativ arbeiteten und weitere Ausstellungslandschaften erkundeten, bescheinigte Graham
dem Künstlerkollegen, die Galerie mit seinen
radikalen Aktionen nicht zu verurteilen, stattdessen läge der Fokus auf dem urbanen Lebensraum selbst. Das Establishment war darin
ohnehin inklusive. Matta-Clark resümierte:
„Wenn ich ein Bauwerk öffne... breche ich eine
Art Einfriedung auf, die so nicht nur aus praktischen Gründen aussieht, sondern auch, weil
die Industrie Vororte und Städte mit Wohneinheiten überflutet, die ihr einem ebenso isolierten wie passiven Konsumenten sichern.“10 Mit
dem White Cube und der steigenden Popularität von Lofts, wie jenem des Minimal ArtKünstlers Donald Judd in der New Yorker
Spring Street, visualisiert sich auch der zunehmende Überfluss im Kunstbetrieb, dem viele,
oft der Konzeptkunst nahestehende, Künstler
anfangs noch kritisch gegenüberstanden. Der
jung verstorbene Matta-Clark schuf seine ganz
eigene, anti-populistische, aber deshalb nicht
weniger aufsehenerregende „Kunst am Bau“.
Eine solche wiederum fasste Werner Lippert
vor seiner Zeit als Werbefachmann anlässlich
einer von ihm mit Philomene Magers 1977 in
deren Bonner Galerie realisierten Ausstellung
mit dem Titel Kunst und Architektur für den
deutschen Kontext als Widerpart eines reinen
Baufunktionalismus zusammen. In einigen Positionen der im selben Jahr neu entstandenen
Skulptur Projekte Münster hallte diese Kritik
wider.11 Bei Magers und Lippert ging es damals
um den „Humanisierungsversuch einer a-sozialen Bauwelt.“12 Ähnlich hatte schon Heinrich
Klotz, der 1977 gerade zum Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt/Main berufen wurde, in seinem nahezu
zeitgleich erschienenen Büchlein mit dem klingenden Titel Die röhrenden Hirsche der Architektur argumentiert, indem er die Anonymität
des standardisierten, modernen Bauens mit
der Diagnose „Betonwirtschaftsfunktionalismus“ geißelte.13 Vielmehr war es eine neue,
bildhafte, postmoderne Architektur, die er mit
4
Cover der Klotz-Tapes, Arch+ Feature, Nr. 26, 2014
dem einfachen Slogan: „Nicht mehr nur Funktion, sondern auch Fiktion,“ überschrieb und
für die er als aktiver Theoretiker vor allem in
Marburg und Frankfurt stadtplanerisch eintrat.14 Hier wird auch theoretisch für einen
künstlerischen Ausdruckswillen argumentiert,
der sich in den Funktionsbereich von Architektur und Design ausweitet. Nicht immer freundet sich dabei die Kunst mit der Architektur an
oder umgekehrt. Meist kommen Architekten,
die im Amerika der 1970er Jahre aufgrund der
durch die Ölkrise ausgelösten Rezession in
überwiegendem Maße ohne Bauaufträge bleiben, und Künstler im Baubetrieb nicht miteinander ins Gespräch, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen und zum Beispiel Künstler wie
James Wines oder Vito Acconci zur Architektur
migrieren. Es ist paradox, dass gerade zu der
Zeit, in der Architekten selten bauen können,
Künstler große Skulpturen und Installationen
schaffen, die sich der architektonischen Formensprache entlehnen. Die karge Auftragslage im Architekturbetrieb der 1970er Jahre, die
sich Ende der 1980er Jahre zu einem wahren
Bauboom wandelte, dazwischen aber eine Reihe namhafter Museums- und Kulturbauten
hervorbrachte, trug dazu bei, dass sich viele
Architekten überwiegend dem Studium und
der Lehre an Universitäten beziehungsweise
5
der Zeichnung widmeten, so dass die Architekturzeichnungen in diesen Jahren zum Teil
enorm ausgefeilt wurden. Oft lag ihnen ein besonders künstlerischer Impetus zugrunde,
aus dem sogar Arbeiten hervorgingen, die nie
zu einer späteren Realisierung bestimmt waren. Die Architekturzeichnung wurde schon
vorher zum Ort von Gesellschaftsutopien in
der Tradition Giovanni Battista Piranesis (17201778), wie derer der englischen Gruppe Archigram, die von 1960 bis 1974 bestand und zu
welcher Peter Cook gehörte, der den Funktionalismus der Moderne als überholt ansah und
in Maschinenästhetik die Plug-In City mitentwickelte, eine urbane Megastruktur mit flexiblen Wohnkomplexen, Serviceeinheiten und
Straßen. Auch Dystopien wurden gezeichnet,
wie etwa im Falle der Arbeiten von Superstudio, gegründet 1966 in Florenz, aufgelöst 1986
– eine Gruppe von fünf italienischen Architekten, die in ihrer komplett theoretisch angelegten Serie mit dem Titel The Continuous Monument im Jahr 1969 verschiedene Szenarien
entwickelten wie es aussehen könnte, wenn
zum Beispiel weite Teile von Manhattan und
schließlich die ganze Welt mit nur einer einzigen architektonischen Form überzogen werden würden. Diese Tendenz, Architekturzeichnungen – das sind zumeist für den Wettbewerb
bestimmte Grundrisse, Querschnitte, An- und
Aufsichten, repräsentative Darstellungen von
Ideen – aber auch Architekturmodelle von ihrem Zweck zu befreien und als autonome Medien zirkulieren zu lassen, ist seit den frühen
1960er Jahren, besonders aber in den 1970ern,
eng mit dem amerikanischen Kunst- und Ausstellungsmarkt verknüpft. Hier wird die meiste
der so genannten Paper Architecture vertrieben, also Architektur, die nur auf dem Papier
existiert, weil sie vor allem für den zweidimensionalen Raum erdacht wurde beziehungsweise im dreidimensionalen nicht oder noch nicht
umsetzbar ist. Der Markt speiste sich im Bereich der Architektur vor allem aus dem Lehrbetrieb – oft waren es weltweit Lehrende an
Architektur- und Kunstschulen, die auf dem
Markt ausgestellt haben. Ich möchte argumentieren, dass die Geschichte des Marktes für Architekturmedien auch eine Geschichte der
Starchitekten ist, wenn man unter dem Begriff
vor allem Architektenpersönlichkeiten versteht, die auf dem globalen Parkett ikonische
und innovative Bauwerke hervorbringen und
deren Bauten darüber hinaus von einer breiten
Medienaufmerksamkeit begleitet werden. Es
wird zu zeigen sein, dass mit dem Aufkommen
des Marktes für Architekturmedien die Verkäufe in überwiegendem Maße schwankten.
Galeristen, die Architekturmedien zeigen, reihen sich in jene Riege von Marktvertretern ein,
welche Pierre Bourdieu als „Kulturbankiers”
bezeichnete, die damit vor allem symbolisches
Kapital einstreichen konnten als ökonomisches, auch wenn das in den meisten Fällen
von Seiten der Verkäufer erst im Nachhinein
erkannt werden musste.15 Die Ausnahme bildet
über einen längeren Zeitraum die Galerie des
Amerikaners Max Protetch, der seine Unternehmung, die sich am Ende auf den New Yorker Galeriendistrikt Chelsea konzentrierte, im
Oktober 2010 zunächst verkaufte, wobei diese
dann im Jahr 2012 endgültig geschlossen wurde.16 Im Falle der Ausstellungen bei Leo Castelli, die ich gleich vorstellen werde, bildet sich
im Rahmen des Bourdieu’schen Vokabulars
überdies ab, was Hannes Loichinger in der gegenwärtigen Ausgabe von Texte zur Kunst anhand des Übergangs vom Begriff des dealers,
der demnach bis 1980 ausschließlich vorherrschte, zu jenem des Galeristen nachvollzieht, der den Bezug zum Markt trotz inhärenten Kaufinteresses „sublimieren” kann.17
Damit sind wir schließlich beim heutigen Abend
angekommen, denn Bruno, Nicole und ihr
Team sind Teil dieser hier beschriebenen Tendenz, den Marktbezug zu sublimieren, indem
sie mich hier so lange reden lassen, vor allem
hier: in einem Gebäude von David Chipperfield.
Wie viel symbolisches Kapital mit mir allerdings verdient werden kann, wird sich noch
zeigen. Der Vortrag zumindest ist genau als
solcher gemeint, nur für den Fall, dass sich im
Publikum noch Personen befinden, die sich
nicht ganz sicher sind, ob das hier eine KunstPerformance ist.
Ich habe die Präsentation im Weiteren überblicksartig angelegt, wobei ich während meiner Betrachtungen und auch am Schluss auf
die Frage zurückkommen möchte, warum es
heute nur einen spärlichen Markt für Architekturmedien gibt. Ich beziehe mich ganz bewusst auf Architekturmedien und nicht auf den
Markt für Architektur. Den gibt es natürlich
auch und er müsste eingegrenzt werden. Fest
steht aber, dass es mir nicht um solche “Celebrity Home Flippers” wie Ellen DeGeneres
oder Jennifer Anniston geht, die ganz ähnlich
wie das vom Wirtschaftssoziologen Olav Velthuis beschriebene System der „Flipper” auf
dem Kunstmarkt, ihre prestigeträchtigen Eigenheime wechseln wie ihre Abendkleider. In
der Wirtschaft sind „Flipper” wiederum „Investoren, die Aktien eines bestimmten Unternehmens zum Zeitpunkt seines Börsengangs
kaufen, um sie sehr bald mit Gewinn wieder zu
verkaufen.”18 Im Hollywood Celebrity-Kontext
hat die Plattform Forbes von dieser zum Teil
sehr lukrativen Freizeitbeschäftigung wohlhabender Anleger erst im letzten Sommer
berichtet. Aufhänger war die Talkshow-Comedian und Oskarverleihungsgastgeberin Ellen
DeGeneres, die demnach mittlerweile (wenn
sie nicht schon wieder geflippt ist) in kürzester
Zeit über ein halbes Dutzend Häuser mit Gewinn verkauft hat, wobei sie in fast jedem nicht
länger als sechs Monate gelebt haben soll –
und der Gewinn vervielfacht sich ja meist pro
Celebrity-Einheit. Zuletzt flippte DeGeneres
das Brody Haus des kalifornischen Architekten Quincy Jones, dem das Hammer Museum
in Los Angeles vor zwei Jahren eine Retrospektive widmete. DeGeneres soll das Haus für
55 Millionen Dollar an den Mitbegründer der
Webseite Napster, Sean Parker, mit einem Gewinn von 15 Millionen Dollar verkauft haben.
Davon mal abgesehen, ist der Schwerpunkt
meiner Betrachtungen historisch sowie auf
Amerika und Deutschland beschränkt, weil in
beiden Ländern ein Markt für Architekturmedien am deutlichsten in Erscheinung trat. Es
wird ein kleiner Ritt durch die Architektur- und
Kunstgeschichte, ich habe mich aber um eine
geraffte Darstellung bemüht.
Den Anfang macht die Architektin Phyllis
Lambert, geborene Bronfman, die als Tochter
des damaligen Konzernchefs von Seagram,
Samuel Bronfman, ihrem Vater 1954 den Vorschlag machte, Ludwig Mies van der Rohe für
den Bau des Firmensitzes in New York zu gewinnen. Dieser stimmte zu und gemeinsam
mit Philip Johnson, der noch als Chefkurator
des Department of Architecture am MoMA involviert war, wurde der Bau bis 1958 fertiggestellt. Lambert hatte nicht nur die Leitung
der Ausstattung des Gebäudes inne, dem ikonischen Spätwerk des Internationalen Stils,
das einen enormen Einfluss auf die amerikanische Architektur seiner Zeit ausübte, sie
war später auch für die Kunstsammlung der
6
Firma zuständig und gründete 1979 im Zuge
ihrer privaten Sammlungsaktivitäten das CCA
in Montreal, das durch Archivbestände internationaler Architekten, wie Peter Eisenman,
John Hejduk, Aldo Rossi und Cedric Price, die
weltweit umfangreichste Sammlung von Architektur der Postmoderne beherbergt.19 Nachdem Lambert sich in den 1950er Jahren in New
Yorker Künstlerkreisen eingelebt und das von
Philip Johnson entworfene Restaurant Four
Seasons mit ausgestattet hatte, aber auch den
Seagram Plaza mit wechselnden Skulpturen
bestücken konnte, startete sie ein Jahr nach
der Fertigstellung des Seagram Building ihre
eigene Sammlung von Architekturmedien.
Lambert sammelte vor allem Zeichnungen und
bald auch Fotografien, die sie mithilfe von Antiquaren und Fotografen vor allem in Paris, London und New York kaufte. Hier wurde sie zum
Dreh- und Angelpunkt eines kleinen, aber dennoch potenten Netzwerkes an Sammlern und
Verkäufern, wie dem legendären New Yorker
Buch- und Grafikhändler Lucien Goldschmidt,
der seit 1937 mit dem Verkauf eines SalomeDrucks von Picasso prominent in der Szene tätig war, oder den britischen Buchverkäufer Ben
Installationsansicht der Ausstellung Architecture I in der Leo Castelli Gallery,
New York, 1977. Foto: Bevan Davies. Archives of American Art, Smithsonian
Institution
Weinreb, der sich auf Architekturbücher spezialisierte und auch Heinrich Klotz vor der Eröffnung des Deutschen Architekturmuseums Exemplare für die Bibliothek des Hauses anbot,
deren Preis allerdings Klotz’ Budget – das seinerzeit mit 1 Mio. Mark, verteilt auf vier Jahre, für den Sammlungsaufbau eines deutschen
Museums recht stattlich angelegt war – nicht
verkraftet hätte.20 Klotz wird sich später in seinen Tonband-Aufzeichnungen, die im letzten
7
Jahr vom DAM bei Arch+ verlegt wurden, erinnern, dass er gehört habe, Phyllis Lambert
hätte drei Millionen Dollar auf den Tisch gelegt,
um ihre Bibliothek für das CCA zu erwerben.
Wie sich allerdings in Lamberts Privatarchiv
herausstellte, war das weit übertrieben, auch
wenn der Verkauf immer noch stattlich war, da
sie bei insgesamt drei Händlern ihre Bibliothek
ihrerzeit mit einem Budget von knapp $800.000
ausstattete.21 Mit etlichen Personen, Fachgrößen wie John Harris, dem Langzeitkurator des
Royal Institute of British Architects, aber auch
Freunden, wie dem immer noch tätigen, aber
weniger bekannten, englischen Architekturfotografen Richard Pare, wurde Phyllis Lambert
für viele zum Inbegriff einer Philanthropin für
die Architektur und zur Museumsgründerin –
für ihr Lebenswerk erhielt sie im letzten Jahr
den Goldenen Löwen auf der Architekturbiennale in Venedig. Ihre beachtliche Privatsammlung, die des CCA umfasst Hunderttausende
von Zeichnungen und beherbergt über 200 Archive internationaler Architekten, begann die
Philanthropin 1959 mit dem Ankauf von barocken Architekturzeichnungen aus der Sammlung des Genfer Architekten Edmond Fatio. Er
besaß herausragende Blätter der italienischen
Bibiena-Familie, die im 17. Jahrhundert über
ganz Europa für königliche Höfe Theaterarchitekturen schuf. Die Arbeiten bilden ab, wie zum
Ende des 17. Jahrhunderts die Nachfrage nach
virtuosen Architekturzeichnungen zu Spezialisierungen im Architekturbetrieb führte, da hier
bereits typischerweise eine Person die illusionistische Perspektivzeichnung, die quadratura,
fertigte und eine weitere die Ausstattung übernahm.22 Diesem Kauf folgten Tausende weitere, meist antiquarische Anschaffungen, die das
hauptsächliche Interessengebiet von Lambert
abbilden, welche zu der Zeit selbst keine Materialien zeitgenössischer Architekten kaufte.
Später sollen Archivankäufe die Ausnahme bilden, die auch heute noch breit diskutiert werden. Es gibt für Archive lebender Architekten,
wie dem von Frank Gehry, kaum potentielle
Käufer und darüber hinaus ergeben sich im
Architekturbetrieb bei ihrer Zusammenstellung oft innerstrukturelle Probleme, da Archive in der Architektur stets unter bestimmten
Autoren geführt werden, obwohl kein Bauwerk
von nur einer Person allein geschaffen wird.
Ankäufe aus Archiven heraus sprengen diese
jedoch auf und verkomplizieren die ungehin-
derte Gesamtschau eines Werkes. Hier schafft
das Schweizer Architekturbüro Herzog & de
Meuron mit ihrem eigens geplanten Archivbau am Hauptsitz in Basel einen Präzedenzfall
dieser Größenordnung, dessen Gründer unter
anderem für die internationale Ausstellung ihrer Praxis und für die Arbeit mit Künstlern bekannt sind.
Phyllis Lambert hatte 1977, kurz vor der
Gründung ihres Museums, nichts von der ersten
Ausstellung architektonischer Medien auf dem
zeitgenössischen Kunstmarkt mitbekommen,
die dort unter Federführung der Philanthropin und MoMA-Affiliierten Barbara Jakobson
in der New Yorker Leo Castelli Gallery veranstaltet wurde.23 Castelli war ein guter Freund
von Jakobson und sie hatte die simple, aber
bis zu dem Zeitpunkt nicht da gewesene Idee,
befreundeten und geschätzten Architekten auf
dem Kunstmarkt eine Bühne für ihre Arbeit
zu geben, damit sie in den bauarmen Jahren
etwas Geld nebenbei verdienen konnten. Jakobson engagierte damals ihren Ex-MoMAKollegen Pierre Apraxine, der kurz zuvor im
Skulpturen-Department des MoMA gearbeitet
hatte, sich beruflich gerade von der New Yorker Marlborough Gallery verabschiedete und
Sammlertätigkeiten für den amerikanischen
Papierhersteller Howard Gilman nachging. Ihr
Umgang mit Architekturzeichnungen reichte
zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre zurück,
als Jakobson zusammen mit dem jungen Kurator Emilio Ambasz eine informelle Ausstellung
namens Architectural Studies and Projects
anleitete. Jakobson war Mitglied des Junior
Council des Museum of Modern Art, wo sie unter anderem den damals noch aktiv betreuten
Art Lending Service leitete, bei dem sich Mitglieder des Museums Kunst aus der Sammlung ausleihen konnten. Die Ausstellung fand
1975 im Penthouse des MoMA statt, wo es eine
Art Member Lounge gab – und sie war auch nur
für Mitglieder zugänglich. Das besondere an
der Ausstellung war, dass jeder der beteiligten
Architekten, so wie John Hejduk, der Gründer
der Cooper Union School for Architecture in
New York, Peter Cook und Cedric Price, gebeten wurde, zwei Zeichnungen einzureichen, die
dann im Museum für $200 bis $2000 verkauft
werden sollten.
Eine so direkte Verbindung zwischen Museumskontext und Markt gab es sonst nicht. Es ist
allerdings noch unklar, ob und wie viele Käufe-
rInnen, außer vielleicht Jakobson selbst, sich
tatsächlich gefunden haben werden. Sicher ist,
dass Pierre Apraxine die dort präsentierte Auswahl an Architekturzeichnungen zum Anlass
nahm, für den Sammler Howard Gilman innerhalb kürzester Zeit auf einem darauffolgenden
Recherche- und Besuchstrip nach Europa, ein
bis heute als einmalig angesehenes Konvolut
an Architekturzeichnungen zusammenzutragen.24 Es enthält unter anderem Price’s Arbeit
Generator, einer frühen Form „künstlich intelligenter Architektur,”25 die für Gilman entstand
und auf dem Firmengrundswtück hätte gebaut
werden sollen, dafür aber mit seinen beweglichen Kränen, die die Architektur in Bewegung
versetzen und sich die Bauelemente flexibel an
das Leben der Menschen hätte anpassen lassen, zu kompliziert zu realisieren war. Im selben Jahr von Architectural Studies and Projects
eröffnete am MoMA die in Architekturkreisen
hoch einflussreiche und breit diskutierte Ausstellung zur Pariser École des Beaux-Arts, die
Architekturzeichnungen der Architektenschule
zeigte, deren illusionistischer Gehalt die New
Yorker Architekturwelt wie ein Blitzschlag traf.
Das MoMA hatte bereits seit 1932 ein Architekturdepartment, deren erste Leitung der Architekt Philip Johnson und der Kunsthistoriker
Henry Russel-Hitchcock übernahmen, die beide die breit rezipierte International Style-Ausstellung kuratierten und damit nicht nur einen
ganzen Architekturstil benannten, der schließlich bis zum Seagram Building reichen sollte,
sondern auch die moderne, themenbezogene
Architekturausstellung etablierten. Der im
Jahr 1975 tätige Chefkurator des ArchitekturDepartments am MoMA, Arthur Drexler, hatte
mit der Beaux-Arts Show vor allem deshalb
so viel Erfolg, weil die Qualität des Handwerks
in den ausgestellten illusionistischen Zeichnungen des 19. Jahrhunderts, die zum großen
Teil vorher in Amerika nicht zu sehen waren,
im Kontext der Reflexivität der postmodernen
Architektur, mit ihren breit gestreuten Revisionen antiker Vorbilder, die Architekten ungemein faszinieren musste.
Zugleich wurde hier im Rückblick anhand
von Meisterzeichnungen gezeigt, und daran erinnerte sich zum Beispiel Frank Gehry, welche
Möglichkeiten des handzeichnerischen Ausdrucks man durch die rationale Strenge von
Concept- und Minimal Art verloren hatte. Die
Architekturzeichnung als Kunstform konnte
8
Drexler Jahre zuvor, mit seiner Ausstellung Visionary Architecture (1960) bereits in den Rang
autonomer Kunstwerke einführen – hier wurden ganz früh, im Entstehungsjahr der Gruppe, bereits die Arbeiten von Archigram gezeigt.
Apraxine, der für Gilman arbeitete, sollte also
innerhalb kürzester Zeit eine beachtliche
Sammlung von Architekturzeichnungen, vor
allem postmoderner Architekten, zusammenstellen; diese Sammlung ging dann im Jahr
2000, nach dem Tod Gilmans 1998, ans MoMA.
In den Dekaden dazwischen hatte sich Apraxine sozusagen als freundlicher Kontrahent der
Aktivitäten Phyllis Lamberts und ihres Kreises,
des Marktes für Architekturfotografien angenommen, der durch ihn und einige Praktiker in
den 1970er Jahren einen Aufschwung erhielt.
Zwei Jahre sollten nach der Architectural
Studies and Projects-Ausstellung vergehen,
bis Jakobson, die fortan ihr Pseudonym BJ Archer annahm, bei Castelli über Apraxine mit
Architecture I eine Ausstellung ihrer Freunde
und Bekannten aus der internationalen Architekturszene umsetzen konnte. Insgesamt sieben Architekten und Visionäre waren beteiligt,
darunter Robert Venturi von der damals noch
so betitelten Firma Venturi and Rauch. Fünf
Jahre zuvor hatte er mit seiner Partnerin Denise Scott Brown und deren Mitarbeiter Steven
Izenour eine Art Festschrift für die Trivialformen in der Architektur geschrieben, von der
sich auch Klotz, der Ende der 1960er Jahre
kurz an der Yale School of Architecture lehrte, in seiner Kritik am „Betonfunktionalismus”
tief beeindruckt sah. Hier hieß es nicht wie bei
Mies van der Rohe: “Less is More,” sondern
eben gerade: “Less is a Bore.” Venturi reichte
zur Ausstellung ein Modell des Marlborough
Blenheim Hotels ein, einem Casino für Atlantic City, das aber nicht verwirklicht wurde. Es
stand als offenbar einziges Objekt der Ausstellung gar nicht zum Verkauf.
Die Preise der meisten Arbeiten reichten von
$1500 bis $3500, also angelehnt an und, was
die Zeichnungen anging, zum Teil deckungsgleich mit zeitgenössischen Kunstgrafiken.
Das galt auch für die Arbeiten Aldo Rossis, der
sich zuvor am von Peter Eisenman geleiteten
Institute for Architecture und Urban Studies,
einer Art Architektur-Think-Tank,26 aufgehalten und dort veröffentlicht hatte. In New York
machte er mit seinen, oft mit der metaphysischen Malerei verglichenen, architektonischen
9
Entwürfen Eindruck. Auch Richard Meier nahm
an der Ausstellung teil, der Jahre später mit
dem Auftrag für den Bau des Getty Centers ab
1985 in Los Angeles – dem damals prestigeträchtigsten Bauauftrag der westlichen Welt –
Furore machen sollte und als einer der Architekten der New York Five galt; die Bezeichnung
war ebenfalls einer Ausstellung am MoMA entlehnt. Der Österreicher Walter Pichler zeigte
Zeichnungen und Fotografien von Bauten auf
seinem Grundstück in St. Martin a.d. Raab. Er
hatte schon 1962, zusammen mit Hans Hollein,
in der Galerie Nächst St. Stephan in Wien an
der bekannten Ausstellung Architektur mitgewirkt, die innerhalb der damals stattfindenden
Entgrenzungen im Kunstdiskurs die soziale
Relevanz der Architektur betonten: bei Pichler war es ein „skulpturaler Raumbegriff,” bei
Hollein die Hinterfragung der „skulpturalen
Qualitäten von Technik.”27 Dass Architecture I
und weitere Architekturausstellungen Castellis weniger Verkaufserfolge denn Lehrstücke
waren, zeigte sich auch am breiten Interesse
von Museen und Universitäten, die Ausstellung
zu übernehmen, so dass sie schließlich unter
dem Titel Seven Architects in erweiterter Form
an das Institute for Contemporary Art in Philadelphia ging. Schließlich sollte es nicht lange
dauern, bis auch Briefe von Architekten beim
Poster der Ausstellung Seven Architects, Institute for Contemporary Art,
Philadelphia, 16. Dezember 1977 bis 02. Februar 1978
Galeristen eingingen, die sich für die Teilnahme an einer Ausstellung anboten, so etwa im
Fall von Superstudio, die Castelli in einem
Schreiben vom November 1977 ihr Interesse
an dessen Architekturausstellungen bekundeten (wobei sie dort nie gezeigt werden sollten)
und dabei optimistisch verkündeten: “Things
have never been so good since Piranesi.”28 Allein die Resonance, vor allem in der Presse,
war enorm. Die damalige Architekturkritikerin
für die New York Times, und Pionierin dieser
Praxis, Ada Louise Huxtable, fasste den Tenor
zusammen: “Today the lines between all of the
arts are becoming less firm. […] Within the
range from the practical to the visionary, the
one factor in common among these architects
is that everything breaks out of the conventional […]. What kind of building [the architecture]
will ultimately produce is terribly unclear.”29 In
Architekturkreisen war man sich nicht sicher,
ob man die kunstmarktgesteuerte Favorisierung formal-ästhetischer Objekte vor denen
der funktionalen Aspekte von Architektur so
einfach hinnehmen konnte beziehungsweise
die anhand der Ausstellung bei Castelli demonstrierte, neue Sichtbarkeit der Architekten
auf der Bühne der progressivsten Künstler der
Zeit nicht doch feiern sollte. Die Rezensenten
waren gespaltener Meinung.
Castelli hatte hier seine Räume nicht primär für den Verkauf, sondern als Lehrkabinette zur Verfügung gestellt. Der Galerist, der
als einflussreichster Händler seiner Zeit galt,
war in Kunstkreisen dafür bekannt, gern neue
Herausforderungen anzugehen und so stimmte er 1980 erneut dem Vorschlag Barbara Jakobsons zu, eine Ausstellung mit Architekten
zu machen.30 Diese sollte ein noch unerwarteter Präzedenzfall werden als es Architecture I
zuvor gewesen war. Der marktorientierte Ausstellungstitel Houses for Sale hielt, was er
versprach: Acht Architekten, Peter Eisenman,
wieder der MoMA-Kollege Emilio Ambasz, Vittorio Gregotti, Arata Isozaki, Charles Moore,
César Pelli, Cedric Price und Oswald Mathias
Ungers, wurden gebeten, prototypische Entwürfe für Einfamilienhäuser und Feriendomizile einzureichen, die dann von den potentiellen
Käufern, die das Land selbst bereitzustellen
hatten, sich auf einer Fläche von bis zu 4520
Quadratmetern für den Preis von je $250.000
erworben werden sollten. Der Kunsthistoriker Hal Foster, der die Ausstellung damals im
Ada Louise Huxtable, Architectural Drawings as Art Gallery Art, The New York
Times, 23. Oktober, 1977
Artforum rezensierte, fasste zusammen, dass
die Schau den teilnehmenden Architekten eher
eine eingeschränkte Freiheit gewähren würde. Einerseits wurde mit der Umkehrung des
traditionellen Kommissionsprozesses für Architektur, indem das fertige Haus-Produkt im
Vorhinein, ohne Absprache mit Klienten, auf
dem Papier stand, den Arbeiten der Architekten die Freiheit der eigenen Entwürfe zugrundegelegt. Andererseits mussten diese baubar,
bewohnbar sein, so dass jeder Auftritt auf dem
Markt, bei aller künstlerischer Freiheit, diese
Einschränkung immer noch mit sich brachte.
Im Falle eines Kaufes wäre es sicher ohnehin
zu Überarbeitungen gekommen. Es scheint
nur ein Projekt, das von César Pelli entworfene
Long Gallery House, bei dem an einen langen
Galeriegang einzelne Hauselemente für unterschiedliche Nutzungen abgingen, in den New
Yorker Hamptons tatsächlich realisiert worden zu sein. Neben der von Foster realisierten
eingeschränkten Freiheit konstatierte er vor
allem einen weiteren Effekt der Ausstellung,
der darauf angelegt gewesen sei, die Häuser
als Avantgarde-Architektur zu präsentieren,
indem man diese zugleich zu „wichtigen Werken” machte: “[…] the potential buyer gets a
house, a piece of art, and perhaps a piece of
history to boot.”31 Dem Drahtseilakt zwischen
künstlerischer Freiheit und Bewohnbarkeit
hielten längst nicht alle Entwürfe stand. So
präsentierte Oswald Mathias Ungers gerade
während der Planungsphase des Deutschen
Architekturmuseums sein Konzept des Hauses
im Haus – hier allerdings eine Festung, bei der
es fraglich ist, ob sich dafür in der sensiblen
Kunst-Käuferschicht jemand hätte begeistern
10
wollen. Darüber hinaus hätten die $250.000
wohl kaum ausgereicht, um die meisten der
Projekte überhaupt zu realisieren. Peter Eisenman etwa stellte eine Lösung mit dem Titel
House El-Even Odd bereit, ein Projekt, dass seinen Konzeptentwürfen der Vorjahre nachstand
und in der Präsentation stark an Arbeiten erinnerte, die Frank Stella einige Jahre zuvor bei
Castelli ausgestellt hatte. Darüber hinaus wäre
es schwerlich baubar gewesen. Der Architekt
beschrieb es als unterirdisches „Erd-MasseObjekt,” dass durch seine Positionierung in
der Erde und einen aufgesetzten Glaskollektor besonders Energieeffizient sein sollte, dabei aber unwillkürlich auch eine Verflachung
der Umweltbestrebungen repräsentierte, die
in der Postmoderne vielfach verfolgt werden.
Wie die amerikanische Architekturtheoretikerin Felicity Scott beschrieben hat, wurden hier
soziopolitische und technologische Fragestellungen recht sackgassenartig präsentiert und
in den Ausstellungsbeiträgen die „Symptome
der globalen Kräfte des neoliberalen Kapitalismus” allzu deutlich.32 Heinrich Klotz wird in
seinen Tonbandaufzeichnungen im Jahr 1980
während seiner Besuche von Architekturbüros
vermerken: „Ich habe den Eindruck, dass New
Yorker Galeristen langsam auf den Riecher gekommen sind und nun Architekturzeichnungen
verkaufen wollen. … Leo Castelli hat sieben international renommierte Architekten eingeladen und lässt diese sieben Häuser bauen, um
sie auf dem Kunstmarkt zu verkaufen. Soweit
also sind wir schon.”33 Im Jahr der ersten Architekturbiennale, die mit Paolo Potoghesis
Strada Novissima bunte Kulissenstraßen und
Aldo Rossis eindruckmachendes, schwimmendes Teatro del Mondo der Welt vorstellte, bemerkt Klotz auch den raschen Marktwandel,
durch den es für ihn immer schwieriger geworden war, Sammlungsankäufe zu tätigen,
da innerhalb kürzester Zeit die Preise auf dem
Markt für Architekturmedien angestiegen waren. Dafür zeichnete vor allem ein Galerist verantwortlich, der sich fortan nicht gerade zum
Liebling aller sammelnden Kuratoren machte:
Max Protetch. Ohne es noch zu ahnen, obwohl
gut mit seinem Kollegen und New Yorker Mentor Leo Castelli bekannt, konnte sich Protetch
mit der Eröffnung seiner New Yorker Galerie
1979 das symbolische Kapital, dass Castelli
über Barbara Jakobson für die bei ihm ausgestellten Architekten erwirtschaftet hatte, zu
11
Katalog-Cover, Houses for Sale, Leo Castelli Gallery, Rizzoli, New York, 1980
Nutze machen, um als erster Kunstgalerist,
der sich auf den Verkauf zeitgenössischer Architekturzeichnungen spezialisierte, erfolgreich zu sein. Wie sich herausstellen sollte,
blieb Protetch der einzige renommierte Galerist, der sich über die Ausstellung und den
Vertrieb architektonischer Medien derart profilieren konnte. Im Alter von 23 Jahren hatte
Protetch in Washington seine erste Galerie mit
Harold Rivkin gegründet, der kurze Zeit später
vom gemeinsamen Projekt absprang. Protetch
rüttelte in der amerikanischen Hauptstadt
die verstaubte Kunstwelt mit Positionen der
Konzeptkunst auf, indem er unter anderem
regelmäßig Arbeiten Sol LeWitts zeigte und
Performances mit Vito Acconci und Dan Graham veranstaltete. Die Nähe zur Architektur
und der kritische Umgang mit dem gebauten
Raum wird anhand der Auswahl des Galeristen bereits deutlich. Protetchs Architekturausstellungen beginnen 1979 in New York mit
einer Präsentation von Zeichnungen des New
York Five-Architekten Michael Graves, der bis
dahin, wie viele seiner Kollegen, wenig gebaut
hatte. Die Schau wurde sowohl ökonomisch
als auch in der Presse ein Erfolg. Grundsätzlich zelebrierte man Protetch, für die Autonomie architektonischer Schöpfung einzutreten.
Ausstellungen mit Graves sollten sich schließlich fortsetzen, als in den 1980er Jahren das
Design von Architekten, das der italienische
Hersteller Alessi angeregt hatte, auch in Galerien zu sehen war. Protetch machte 1983 den
Anfang mit der Ausstellung Architecture in Silver, in der Allessi Teeservices zu sehen waren
und die eine Art Vorschau des von Graves breit
angelegten Merchandising seiner Designmarke bildete, welche in den 1990er Jahren beim
US Discounteinzelhändler Target Feil geboten
wurde. Rückblickend stellt die zeitgenössische
Architekturzeichnung seit ihrem Marktauftritt
Mitte der 1970er Jahre den Anfang eines globalen Waren-Projektes dar.
Max Protetch wurde nicht zuletzt dadurch
bekannt, dass er in seinen Galerieorten in New
York – er startete in der 57th Street, unweit von
Leo Castelli, zog dann nach SoHo und landete
Ende der 1990er Jahre schließlich in Chelsea
– künstlerische Positionen denen von Architekten gegenüberstellte. Das tat er zu Beginn
seiner New Yorker Laufbahn noch in einem Gebäudekomplex, den er in New York unter anderem zusammen mit Frank Gehry besaß, wobei
Jackie Ferrara, and Mary Miss are ‘sited’ and
involved with the notions of use, appropriateness, and active participation. Their work isn’t
an encroachment on architecture or landscape
architecture but a complement to it. To say that
sculpture conflicts with architecture today is as
fallacious as the old architectural dictum that
there is something wrong with a wall if you have
to put a painting on it.”34 Diese Einsicht sollte
sich ein Jahr nach dem Statement im größten,
aber auch umstrittensten, Ausstellungsprojekt
des Galeristen, der 1985er Ausstellung von
Zeichnungen Frank Lloyd Wrights, äußern. Hier
gelang es Protetch, zum ersten Mal Zeichnungen der Ikone der amerikanischen Architekturmoderne anbieten zu können. Er arbeitete an
dem Verkauf (es sollten insgesamt sogar zwei
Ausstellungen werden) mit Wrights Estate zusammen, der zu diesem Zeitpunkt noch von
der Witwe des Architekten, Olgivanna Wright,
geführt wurde. Um das Winterhaus Wrights
in Taliesin, im US-Bundesstaat Arizona, renovieren zu können – so zumindest die offizielle
Begründung der Foundation – entschied man
sich zum Verkauf von 100 Zeichnungen. Es
Peter Eisenman, House El Even Odd, 1980, Detail des Modells für die Ausstellung Houses for Sale (Architecture II) in der Leo Castelli Gallery, New York, 1980.
Foto: Dick Frank Studios. Archives of American Art, Smithsonian Institution
Oswald Mathias Ungers, House Within a House, Modell für die Ausstellung
Houses for Sale (Architecture II) in der Leo Castelli Gallery, New York, 1980.
Foto: Bevan Davies. Archives of American Art, Smithsonian Institution
Gehry damals noch Pläne machte, den Baugrund umzunutzen, was jedoch nicht zustande kam. Protetch konnte für Großinstallationen, wie denjenigen von Alice Aycock und Mary
Miss, diese Räume sehr gut nutzen und mietete zu diesem Zweck zeitweise Gehrys Teil des
Hallenbaus an. Die Synergieeffekte griffen also
weit aus. In einem Art Dealer-Kompendium
der 1980er Jahre fasste der Galerist zusammen: “Many works of Armajani, Scott Burton,
sollte am Ende aus konservatorischen Gründen bei 60 bleiben, die aus dem Archiv direkt
in die Galerie gingen. In Schulkreisen war der
Aufschrei groß, da man befürchtete, das Archiv
würde zerstückelt werden und man das Genie
des Architekten damit nicht länger zur Gänze
hätte studieren können, gepaart mit der Angst,
die Zeichnungen würden fortan durch private Sammler unzugänglich gemacht. Wie die
Foundation betonte, war das Archivmaterial
12
Cover der Washington Daily News mit Max Protetch im Feature, September 1972
sehr umfangreich und die verkauften Zeichnungen wurden darüber hinaus in zahlreichen
Ausstellungen öffentlich zugänglich gemacht.
Der amerikanische Architekt und Kritiker
Michael Sorkin bemerkte zu den Kritiken zynisch: “The loss of two dissertations per annum
on the subject of the exact moment of Wright’s
transition from watercolor rendering to the use
of colored pencil will not be widely mourned.
Indeed, the foundation is selling less than 1
per cent of its holdings, although these include
real winners.”35 Es bleibt also trotz kalkulierter Fürsprechung ein Restbetrag an Sorge um
die guten Blätter, wie jene vom Fallingwater
House in Mill Run, Pennsylvania, das bis zum
Jahr 1964 fertiggestellt wurde, und für dessen Set an Zeichnungen sich drei Käuferinnen
und Käufer fanden, darunter Phyllis Lambert,
die sich eine der Zeichnungen in Eigentümerschaft mit einem texanischen Ölerben teilte,
wobei zwei weitere Fallingwater-Zeichnungen
an den englischen Baron Peter Palumbo gingen, dem amtierenden Vorsitzenden des Pritzker Architektur-Preises, der wiederum seit
1979, dem Jahr der ersten Architekturausstellung Protetchs, vergeben wird. Was neben den
verständlichen Kritiken aus Schulkreisen erstaunte, waren die Preise der Zeichnungen, die
bis über $200.000 pro Blatt angeboten wurden,
die Fallingwater-Zeichnungen lagen bei etwa
$175.000 pro Blatt, was bis dato für Architek13
turmedien nicht vorgekommen war, genauso
wenig ja wie der Verkauf der Werke selbst, so
dass hier von Protetch ein hochpreisiger und
damit stark selektionierter Markt aufgebaut
wurde, der für einige Jahre auch auf zeitgenössische Architektur abfärbte, dabei allerdings
mit weit geringeren Preisen.36 Das wiederum
alarmierte die Ausstellungsmacher wie Klotz,
der Protetchs Preise als „ungeheuerlich”37
empfand. Für einen Lageplan des Salk Institute
in San Diego von Louis Kahn, dessen Arbeiten
Protetch auch ausstellte, musste Klotz bereits
$3000 pro Blatt zahlen, was das Sammeln erschwerte, für Protetch aber noch günstig war,
der durchschnittlich ab $4500 bis $25.000 pro
Arbeit verlangte. Bei einer Begegnung mit Paul
Rudolph, einst der einflussreichste amerikanische Architekt, der auch das Gebäude der Yale
School of Architecture entworfen hatte, schien
Klotz dann geradezu vom Glauben abgefallen
zu sein, wenn er sich erinnert: „Später sprach
Rudolph davon, das seine Chicagoer Galerie
20.000 Dollar für eine seiner großen Zeichnungen angesetzt hat. Die Absurdität schlägt die
höchsten Wellen.”38
Auch wenn Protetch bis weit in die 1990er
Jahre hinein, vereinzelt am informellen Markt,
sogar bis heute, mit Architekturzeichnungen
mitunter stattliche Gewinne erzielen konnte,
so blieb der ökonomische Paukenschlag nach
dem Verkauf der Wright-Zeichnungen weitgehend aus. Die Galerie musste sich, wie weitere Erfahrungen von Kollegen zeigten, meist
über den Verkauf von Kunstwerken finanzieren, selbst wenn der Galerist nicht nur als
Vitrine der Sektion Design since 1970 in der Yale University Art Gallery, New Haven, Oktober 2014. Zu sehen sind unter anderem: Stanley Tigerman, Margaret
McCurry, Teaside, Teeservice, Porzellan, 1986, Swid Powell, New York (oben
links) sowie Michael Graves, Coach Whistle Teakettle, 1999, Rostfreier Stahl,
Aluminium, Plastik und bemaltes Holz, Target Corporation, Minneapolis (oben
rechts) und Ders., Tea-and-Coffee Service, 1984, Sterling Silber, Plastik und
Emaille, Alessi SpA, Mailand (unten mittig)
Verkäufer, sondern auch als Vermittler von
Architekturprojekten an Sammler tätig wurde.
Während Protetch in seiner Liga bis zur
Schließung seiner Galerie der einzige blieb,
der in dem Umfang Architekturmedien vertrieb, wurden in Deutschland im Jahr 1980,
also noch vier Jahre vor der Gründung des
Deutschen Architekturmuseums und ein Jahr
nach Protetchs Umzug nach New York zwei
Frauen auf dem Ausstellungsmarkt für Architektur aktiv: Die Journalistin Kristin Feireiss
und DAAD-Mitarbeiterin Helga Retzer, die
1984, im Jahr der Eröffnung des DAM, tragisch
bei einem Autounfall ums Leben kam, eröffneten 1980 in der Berliner Grolmannstraße ihre
Galerie Aedes. Die Galerie wurde einmal als
“Durchlauferhitzer”39 beschrieben, in dem in
den 1980er Jahren alle möglichen architektonischen Stiltendenzen und Stars gezeigt wurden. Anfangs hatten die beiden Galeristinnen
neben ihren Halbtagsjobs zur Finanzierung
der Galerie noch Verkaufsabsichten, die aber
kurze Zeit später ein reiner Vermittlungsauftrag ablöste. Schon im Programm wurde von
Anfang an deutlich, dass der Schwerpunkt auf
der kritischen und diskursiven Vermittlung architektonischer und städtebaulicher Zusammenhänge liegen sollte, die wiederum an das
allgemeine Publikum adressiert wurde.
Der Kontext der Internationalen Bauausstellung 1987 in Berlin, die seit 1984 etwa 150 Projekte, viele davon aus internationalen Büros,
noch in der Nachwendezeit nach Berlin brachte, gab dem Galerieprogramm einen besonderen Aufschwung und stellte der Hauptstadtpolitik immer wieder eine kritische Stimme zur
Seite. Im Zentrum der zahlreichen Artikel, die
im Laufe der Jahre zur Gründerin Kristin Feireiss erschienen sind, wurde immer wieder
darauf hingewiesen, dass die Galerie gerade
nicht mit Senatsmitteln, sondern überwiegend
durch Sponsorengelder und an die Galerie angeschlossene Cafés finanziert werden konnte.
Nach der Eintragung als Verein im Jahr 1999
wurde dies auch über andere Kanäle möglich
– die Galerie ist seit einigen Jahren, nach Dependancen und Umzügen, am Pfefferberg, in
der Christinenstraße angekommen, wo 2013
mit der Tchoban Foundation des russischen
Architekten und Sammlers Sergei Tchoban,
überdies das erste Privatmuseum für handgefertigte Architekturzeichnungen entstand.40
Anhand des Finanzierungsrahmens, aber auch
Kristin Feireiss hinter dem Neonzeichen der Galerie Aedes
des Programms von Aedes – es fanden bisher weit über 250 Ausstellungen statt, die fast
alle von Publikationen begleitet wurden – ist
der Unterschied zum amerikanischen System,
etwa im Direktvergleich mit Protetch, schnell
ersichtlich. Das gilt auch für weitere deutsche
Galeristen. 1984 eröffneten beispielsweise
Jörg Johnen und Rüdiger Schöttle ihre Galerie
in Köln mit einer Ausstellung, bei der Arbeiten
von Aldo Rossi und Thomas Schütte zu sehen
waren, mit insgesamt mageren Verkaufsaussichten im Hinblick auf die architektonischen
Medien. Jörg Johnen hatte dahingehend mit
seiner Publikationstätigkeit mehr Erfolg, die
den deutsch-amerikanischen Architektur- und
Kunstdiskurs übersetzte. So editierte er 1983
und 1985 zwei aufschlussreiche Bände der
Zeitschrift Kunstforum International, die sich
mit zeitgenössischen Debatten zu urbanem
Raum und künstlerischen Interventionen beschäftigten. An diese Tradition der intellektuellen Auseinandersetzung mit dem aktuellen
Architekturgeschehen knüpft heute in Berlin
Ulrich Müller mit seiner Architekturgalerie
Berlin in der Karl-Marx-Allee an, wo er als
einer der immer noch ganz wenigen privaten
14
Johnen & Schöttle. Galerie für Architektur und Kunst, Aldo Rossi und Thomas
Schütte, Installationsansicht, Köln, 1980. Archiv der Johnen Galerie, Berlin
Architekturgaleristen mit Ausstellungen, welche die Architekturbüros überwiegend selbst
finanzieren, bisher in Deutschland ungesehene Einzelpositionen präsentiert und dem Publikum damit kritisch den architektonischen
Raum öffnet. Müller zeigt konzeptionelle Ausstellungen, die jeweils für den Galerieraum
entworfen werden und betreut die Internetplattform Architecture-Exhibitions.com, die
als einzige so konzise weltweit stattfindende
Architekturausstellungen listet. Strebte der
studierte Architekt anfangs noch den Verkauf
von Architekturmedien an, so liegt sein Fokus
heute auf der Vermittlung von Architektur. Ähnlich wie historische Materialien und anders als
Kunstwerke müssen architektonische Medien
in ihrem Entwurfscharakter immer kontextualisiert werden, was sie zu speziellen Arbeiten
mit erhöhtem Erklärungsbedarf macht, die es
auf dem Kunstmarkt ungleich schwerer haben
als ikonische Bildwelten berühmter Künstler.
Vergleicht man Protetchs Ansatz mit dem,
den Kristin Feireiss und Helga Retzer entwickelten, dann wurde hier von ihnen die Aufgabe des Verkaufs von Architekturmedien allein
vor dem Hintergrund der Konzentration auf
die Sparte Architektur vollzogen. Aedes blieb
immer der Architektur verpflichtet, die Paper
15
Architecture eingeschlossen, wobei Max Protetch immer auch künstlerische Positionen
zeigte. Gleich zu Beginn erfolgte ein Verkauf
durch Feireiss und Retzer aus ihrer ersten Ausstellung von älteren Arbeiten der englischen
Brutalisten Allison und Peter Smithson an das
DAM, der allerdings ohne Gewinn blieb. Was für
die jungen Galeristinnen bitter gewesen sein
mag, hat in der Retrospektive seine gute Seite:
Hier konnte Heinrich Klotz noch Material der
englischen Baugeschichte gewinnen, das ihm
im amerikanischen Kontext aus Preisgründen
zunehmend verwehrt blieb. Tatsächlich verfolge Kristin Feireiss vor dem Hintergrund von Architekturzeichnungen und -modellen als Spekulationsmedien schnell eine klar zu Protetch
entgegengesetzte Ausstellungspolitik, womit
man sich auch gegen interne Herausforderungen des Marktes abgrenzte, denn Architekten waren längst nicht alle bereit, ihre Entwurfsarbeiten in Galerien zu zeigen, geschweige denn diese zum Verkauf anzubieten, wie
das Beispiel des Museumsarchitekten James
Stirling zeigt, den Feireiss zwei Jahre lang bearbeiten musste, um ihn für eine Ausstellung
zu gewinnen. Ganz anders verhielt es sich beispielsweise mit Peter Cook, der an der Städelschule lehrte, in den 1990er Jahren auch Häuser
in Deutschland entwarf und mit Archigram von
Anfang an am MoMA ausstellte. Vom Verkauf
seiner Zeichnungen konnte er bei Einzelpreisen ab 2500 Mark in den 1980er Jahren seinen
Lebensunterhalt bestreiten. Durchschnittlich
waren Zeichnungen und Modelle bei Aedes zu
Preisen von 600 bis 20.000 Mark erhältlich,
in einem seltenen Fall eines großen Modells
auch für bis zu 50.000 Mark.41 Allerdings war
das nach dem Kauf einsetzende Wertgenerierungssystem mit dem des Kunstmarktes nicht
vergleichbar, da kaum rasche Wertsteigerungen angenommen werden konnten. Die
Käufer waren meist passionierte Sammler
oder Kenner mit einem Bildungsinteresse.
Kristin Feireiss hat in einem Interview die Entscheidung, nach den ersten Galeriejahren keine Verkäufe mehr durchzuführen, mit einem
radikalen Interessenwandel begründet: „Wir
wollten Architektur nicht unbedingt als fertiges Produkt künstlerischer Ideen präsentieren, sondern sie lieber in ihrem Entwurfsprozess durchschaubar machen.“42 Das spiegelte
sich auch in den Installationen bei Aedes wider,
in deren Räumen Zeichnungen ungerahmt, auf
Glasplatten präsentiert wurden. Hier waren die
Arbeiten ganz eindeutig als Arbeitsmaterialien
inszeniert, als die Werkzeuge, die sie trotz Protetchs Aktivitäten und der Paper Architecture
immer noch bleiben sollten.
Während sich Aedes als Forum stets an die
Öffentlichkeit richtete, wurde es bei Max Protetch kaum öffentlich kritisch. Die Klientel ist
in diesem Fall, gerade im hochkapitalistischen,
amerikanischen Kontext global differenzierter konstituiert. Aedes konnte durch die Konzentration auf eine Vermittlerfunktion, die fast
museale Züge annahm, was sich dann auch im
bald etablierten Prinzip der Wanderausstellung niederschlug, bestimmte zeitgenössische
Themen aufgreifen, die baugeschichtlich breit
diskutiert wurden. Dazu gehörte 1993 eine
zusammen mit dem Österreichischen Außenministerium organisierte Schau mit dem Titel
Museumspositionen aus Österreich, die Aedes
zur Zeit der Planung des Museumsquartiers in
Wien ausrichtete, dass vom Büro Ortner und
Ortner, ehemalige Mitglieder von Haus Rucker
Co., realisiert und kritisch diskutiert wurde.
Besprochen, aber verworfen, hatte man Hans
Holleins vorgestelltes Guggenheim-Museum
in Salzburg, ein Plan, der dort dem derzeitigen Museum der Moderne voranging und die
Einbindung des Museumsbaus direkt in den
Mönchsberg bedeutet hätte. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde diese Ausstellung rezensiert und die schon Mitte der 1990er
Jahre geschilderte Problemlage hat sich kaum
gewandelt. Als „Metapher des Kunstmarktes”
wurden Museen mit ihrer aufwendigen Architektur in den achtziger Jahren erkannt. Der Museumsmann Dieter Ronte hatte im Katalog zur
Ausstellung noch geschrieben, dass es für ihn
eine Horrorvision darstellen würde, wenn bei
den diskutierten Selbstfinanzierungsproblemen der Ausstellungsinhalte die „Attraktivität
des Gezeigten mit seinem Versicherungswert
zur Deckung” käme.43 Die Presse wiederum
konstatierte eine “Disneylandisierung des Museumswesens”, in der Rontes Hoffnung auf ein
Abnehmen der Wende zum Populismus im Ausstellungswesen schon deshalb und zurecht als
unrealistisch eingeschätzt wird, weil, wie Peter
Gorsen schrieb, der das auch heute hätte formulieren können, diese Hoffnung „von einem
Besuchertyp durchkreuzt wird, der vom Museum nicht mehr unbedingt eine Alternative zum
schnellen Konsum, zum Perspektivwechsel
und zur ständig frischen Ware unter dem Diktat des McDonalds-Prinzips” erwartet.44 An den
Fronten der Architektur wird die Qualität unseres Lebens verhandelt. Das darf, gerade wenn
man an einen Markt für Architekturmedien
denkt, natürlich nicht vergessen werden. Paul
Goldberger, langjähriger Architekturkritiker
der New York Times, schrieb 1985 wiederum in
der Herald Tribune anlässlich der Verleihung
des Pritzker-Preises an Richard Meier und seiner Auftragsentgegennahme zum Bau des damals auf Hunderte von Millionen Dollar budgetierten Getty Centers in Los Angeles, von einer
Paul Goldberger, The Celebrity Architect Arrives, The International Herald
Tribune, 4. Januar 1985
16
“suspense creation” in der Architekturwelt.45
Diese ging nach dem Pompidou und bereits
vor Bilbao um, eine Spannung, mit dem Effekt
nach Goldberger, “of focusing attention not on
actual buildings or designs, but on individuals,
and thus, perhaps inadvertently it had the whole
tendency to think of architects as celebrities.”
Heute ist es Gehrys “Fashion Cloud,” die
nach 30 Jahren der Diskussion bedrohlich vor
der “dignity” seiner Kollegen aufzieht, welche
Koolhaas sich und ihnen vor einigen Jahren in
seinem Talk am CCA absprach. Die “Fashion
Cloud” ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein
treffendes Titelschlagwort, nicht nur weil es
sich bei Gehrys Fondation Louis Vuitton um ein
Haus für eine etablierte Modemarke innerhalb
eines Luxuskonglomerats mit großer Sammlung zeitgenössischer Kunst handelt oder etwa
weil Frank Gehry seit 2005 als Designer bei
Vitra beziehungsweise dem Tochterunternehmen Belux seine Lampe Cloud anbietet. Daneben entstehen schon vorher die bekannten
Sitzmöbel aus Wellkarton und Hartfaserplatten. Das Vitra Design Museum wiederum, 1989
eröffnet, gilt zusammen mit einem Fabrikbau,
einem angeschlossenen Galeriegebäude und
dem Firmenportal in Weil am Rhein, bekanntlich als Gehrys erster Baukomplex in Europa,
den sein Freund Claes Oldenburg vermittelte,
nachdem die Söhne des Vitra-Gründers Willy
Fehlbaum diesem eine Arbeit des Bildhauers
geschenkt hatten. Hier wird im Kontext des globalen Industriekampus Ende der 1980er Jahre
in Europa wohl am deutlichsten die kunst- und
architekturhistorische Verbindung der amerikanischen Pop Art als nunmehr leergelaufene
Konsumpersiflage der 1960er Jahre mit dem
zeitgleichen Einfluss kapitalintensiver konzeptueller Strömungen am Bau deutlich. Die “Fashion Cloud” hat darüber hinaus selbstredend
metaphorische Bedeutung, aus der es nicht nur
Konfetti regnet und die bei schlechtem Wetter
wohl am besten als neoliberaler Regenschirm
dient, in den das Catering sogar schon mit
eingebaut ist. Die Fondation Louis Vuitton hat
allein hinsichtlich der medialen Aufmerksamkeitsökonomie gezeigt, dass es immer noch
en vogue ist, mit den Star-Architekten zu bauen, aus deren Federn, beziehungsweise derer
ihrer Hunderten von Angestellten, ikonische
Gebäude entstehen. Hier wurde trotz Formenschwung Gehrys dekonstruktivistischer Ansatz
geglättet, der noch in seinem eigenen Haus im
17
kalifornischen Santa Monica aus den Jahren
1977/78 im Barackenstil durchexerziert wurde, mit dem der damals 48-jährige Kanadier
fachkundige Gemüter wachrüttelte. Mit Privatmuseen wie der Fondation Louis Vuitton kann
die finanzielle Schubkraft der Privatsammler,
die heute ganz andere Dimensionen annimmt
als in den 1980er und 1990er Jahren, den öffentlichen Kunstinstitutionen, wie zum Beispiel
dem Centre Pompidou, das Wasser abgraben,
wenn zum Beispiel Künstler für hochpreisige
Ausstellungen angesprochen werden, die dann
in keinem anderen Museum der Stadt Paris
ausstellen sollen. Vor diesem Hintergrund sind
die feierlichen Eröffnungsworte des französischen Präsidenten Hollande im letzten Jahr
für die einen schmeichelhaft, für die anderen
eine bittere Pille. Das Pariser Stadtmarketing
hingegen wird Gehrys flamboyantes Gebäude
mit all seinen kalifornischen Extras als neues
Flaggschiff herzlich begrüßt haben. Das funktioniert seit dem Guggenheim in Bilbao, das
die umliegenden Mieten in der Baskenstadt rasant ansteigen ließ. Das Museum ist überdies
der erste Bau, der im Entwurf mit digitalen
Planungsprogrammen umgesetzt wurde. Die
digitale Revolution im Bereich der Architekturzeichnung hat überdies den Markt enorm
verändert, wenn nicht Mitte der 1990er Jahre
sogar zum Stillstand gebracht. Mit dem Markteinbruch verbunden sind neben ästhetischen
Fragestellungen auch jene nach Autorschaft
und Authentizität.
Warum also gibt es kaum einen Markt für Architekturmedien, der über vereinzelte Auktionen hinausgeht? Ein Ansatz, sich dieser Frage
anzunehmen, wäre zunächst einmal, dass es
sich um einen imperfekten Markt handelt, der
kein absehbares Preissystem hat, dessen Klientel zu klein und informell ist, der zu sporadisch
ist. Niemand limitiert heute den Markt durch
Auswahl künstlich, wie es Protetch bei den historischen Wright-Zeichnungen gelingen konnte.
Die Materialfülle ist einfach sehr groß und in
vielen Fällen unüberschaubar. Dazu kommt die
Frage nach der Authentizität möglicher Angebote, wenn wie im Falle Zaha Hadids die Zeichnungen schon auf den Verkauf angelegt werden
oder Tadao Ando seine eigenen Gebäude noch
zwanzig Jahre nach deren Realisierung nachzeichnet. Der Markt, gerade weil er informell ist
und nicht stetig, lässt sich kaum nachvollziehen,
was Marktteilnehmer leicht abschrecken kann.
Auch kommt eine Undurchsichtigkeit der Preisbildung mit ins Spiel. Ob allerdings die Schaffung von Klarheit auf dem Markt allein schon
ausreichen kann, ist eine entscheidende Frage,
auch im Hinblick auf die, was etwa an zeitgenössischen Arbeiten nach der digitalen Wende überhaupt angeboten werden sollte. Fest
steht, dass ein Markt, auf dem man sich nicht
zurecht findet, von kaum jemandem betreten
wird. Er ist von einem heutigen Stadtpunkt aus
schlicht zu kompliziert und zu exklusiv nachvollziehbar, vor allem, wenn man die schon
schwer verständlichen Reglementierungen
des Kunstmarktes mit in Betracht zieht. Ganz
anders verhält es sich im Bereich des Design,
indem es, vor allem durch die Angebotsausrichtung des Auktionshauses Phillips seit den
späten 1970er Jahren, in direkten Kontakt zur
Modernen beziehungsweise zeitgenössischen
Kunst gebracht wurde. Es war gerade Bernard
Arnault, der Auftraggeber des Gehry-Baus in
Paris, der 1999 das Auktionshaus kaufte und
zusammen mit Simon de Pury und Daniela Luxembourg restrukturierte. Mittlerweile sind
die Besitzverhältnisse anders konstituiert. Die
Definition eines Lifestyles, der eben über Mobiliar und weitere Ausstattungen leichter vermittelbar (und darüber hinaus unkomplizierter
handelbar) ist, war von vornherein allen Teilnehmern des Marktes klar. Hier herrscht bei
den Produzenten und Vermittlern immer ein
klares Verständnis darüber, wie man auf dem
Markt eine für sich selbst und/oder andere
begehrenswerte Ware platzieren kann. Beim
Bauwerk, und auch dessen Medien, bedarf es
da weitaus konzentrierterer Maßnahmen.
Der Kontext des Marktes, der sich in den
1990er Jahren aufzulösen begann, ist heute
ein anderer, allein schon die Bezugsrahmen
der Marktteilnehmer haben sich geweitet, die
Ökonomie verkompliziert, letztlich der Ethos
als solcher neu definiert, aber davon kann ich
weit weniger sprechen als manch anderer hier
im Raum. Es braucht auf dem sehr spezifischen Markt also überhaupt erst einmal eine
Definition dessen, was eigentlich die Ware ist.
Und dazu noch eine künstliche Verknappung
des Angebots, um Werte zu schaffen.
Nun, da wir am Ende des Vortrages angekommen sind, stelle ich dem Abschluss ein
Zitat von Leo Castelli zur Seite, dass Noah Horowitz seinem Buch Art of the Deal voranstellt:
“Why should anyone want to buy a Cézanne
Aedes-Ausstellungskataloge, Auswahl
for $800,000? What’s a little Cézanne house in
the middle of a landscape? Why should it have
value? Because it’s a myth. We make myths
about politics, we make myths about everything. I have to deal with myths from 10am
to 6pm every day. And it becomes harder and
harder. We live in an age of such rapid obsolence… . My responsibility is the myth-making
of myth material – which handled properly and
imaginatively, is the job of a dealer – and I have
to go at it completely. One just can’t prudently build up a myth.”46 Castelli spricht über das
Mythenmachen, das einem Werk Bedeutung
verleiht und nicht nur ökonomischen, sondern
auch symbolischen Wert zukommen lässt. Vor
allem spricht er aber darüber, wie schwierig
und zehrend es sei, einen Künstler-Mythos als
Händler aufzubauen und zu erhalten. Protetch
scheint sich seinerzeit den letzten Satz dieses
Zitats seines einstigen Mentors zu Herzen genommen zu haben, indem er über einen längeren Zeitraum kontinuierlich Präzedenzfälle der
Präsenz von Architekten auf dem Kunstmarkt
schuf und diese letztlich sogar dafür gewinnen
konnte, eigens Arbeiten für Ausstellungen zu
schaffen. Wie ich hoffe gezeigt haben zu können, wird der Fokus auf die Repräsentation eines Gebäudes, und das schließt dessen Macher
ein, mit dem Aufkommen der autonomen Architekturzeichnung auf dem Ausstellungs- und
18
schließlich Kunstmarkt, dann aber im Weiteren auch dem globalen Immobilienmarkt,
neu justiert. Nicht zuletzt kann Architektur
nur selten in ihrem Realzustand ausgestellt
werden und bedarf immer der Vermittlung.
Aber wie kann, wenn Castellis Worte hier Anwendung finden, heute noch ein Mythos einer
zeitgenössischen Architektur oder eines zeitgenössischen Architekten aufgebaut werden,
wenn angenommen werden müsste, was Rem
Koolhaas vor einigen Jahren subsummierte:
“We are not taken seriously, but we have an
unlimited amount of attention”? Kann man
heute beispielsweise noch einen Mythos daraus kreieren, einen Frank Gehry zu bauen
beziehungsweise bauen zu lassen? Um diese
Frage positiv beantworten zu können, müssten zunächst die Parameter benannt und aktualisiert werden, unter denen man etwa die
von Castelli in seinem spezifischen Kontext
beschriebene Mythenbildung der 1960er Jahre heute verstehen könnte und analysieren,
inwieweit das ältere Konzept des Mythos auf
dem Kunstmarkt im bisherigen 21. Jahrhundert überhaupt Anwendung findet. Daran
anschließend drängt sich unweigerlich die
Frage auf, ob es im Falle Gehrys der Mythenbildung überhaupt noch bedarf oder man sich
dahingehend nicht besser jüngeren Architekturbüros zuwenden sollte. Macht man, an
diesen Gedanken anschließend, die Schwere
zwischen Mythos und Marke auf, bildet Gehry,
der gerade am Facebook-Hauptquartier in
Kalifornien arbeitet, aber einen signifikanten Schnittpunkt. In einem Interview antwortete er, angesprochen auf ikonische Bauten,
von denen es laut seinem Gesprächspartner
Charles Jencks seit der Hochmoderne kein
Zurück mehr gäbe: “In a way I did open that
door, since Bilbao, I get called to do ‘Frank
Gehry Buildings.’ They actually say that to me.
We want a ‘Frank Gehry.’ I run into trouble
when I put a design on the table and they say,
‘Well, that isn’t a Gehry building.’ It doesn’t
have enough of whatever these buildings are
supposed to have – yet.”47
19
1. Andrew Ayers, View from Paris – Gehry mania and the most preposterous handbag in France, 24.10.2014,
online unter: http://www.architectural-review.com/comment-and-opinion/view-from/view-from-paris-gehrymania-and-the-most-preposterous-handbag-in-france/8671588.article, zuletzt besucht am 29.1.2015.
2. Niklas Maak, Gehry-Bau in Paris. Die Gewalt des Auftritts, 25.10.2014, online unter: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/gehry-bau-in-paris-die-gewalt-des-auftritts-13228150.html, zuletzt besucht am 29.1.2015.
3. Stefan Simons, Frank Gehrys Fondation Louis Vuitton: Die Wolke ist gelandet, online unter: http://www.
spiegel.de/kultur/gesellschaft/frank-gehry-fondation-louis-vuitton-eroeffnet-in-paris-a-998216.html, zuletzt
besucht am 29.1.2015.
4. Rem Koolhaas, Vortrag anlässlich von Urgency 2007: Rem Koolhaas and Peter Eisenman, CCA Montreal,
8.6.2007, online unter: http://vimeo.com/27911744, zuletzt besucht am 29.1.2015.
5. Ebd.
6. Francesco Alberoni, „L’Élite irresponsible; theéorie et recherche sociologique sur le divismo,” in: Ikon, vol.
12-40/1, 1962, S. 45-62.
7. Koolhaas, siehe Anm. 4.
8. Vgl. http://www.goruma.de/Wissen/KunstundKultur/Architekturdes20und21Jahrhunderts/Europa/Centre_Georges_Pompidou.html, zuletzt besucht am 29.1.2015.
9. Dan Graham, „Gordon Matta-Clark,” in: Kunstforum International, Bd 81, 1985, S. 114-119, hier S. 118.
10. Ebd., S. 119.
11. Vgl. Walter Springer, Kunst im öffentlichen Raum. Projektkunst und Kunstprojekte der 80er und 90er Jahre
in Süddeutschland. Mit einer Fallstudie des Skulpturprojekts Tübingen 1991, Inaugural-Diss., BauhausUniversität Weimar, 2007.
12. Werner Lippert, „Die Kunst. Am Bau,” in: Kunst und Architektur, Galerie Philomene Magers, Bonn, 1977,
unpaginiert.
13. Vgl. Heinrich Klotz, Die röhrenden Hirsche der Architektur. Kitsch in der modernen Baukunst, München,
1977.
14. Vgl. Heinrich Klotz, Die Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960-1980, München 1984, S. 10.
15. Vgl. Pierre Bourdieu, Kunst und Kultur. Zur Ökonomie symbolischer Güter, Konstanz, 2011.
16. Heute vertreiben in Amerika vor allem der in Los Angeles tätige Galerist Edward Cella und die in New York
ansässige Galeristin Frederieke Taylor Architekturzeichnungen. Von 1996 bis 2006 hatte Henry Urbach in New
York die Leitung der Architekturgalerie Henry Urbach Architecture inne. In Italien war die 1976 gegründete
Mailänder Galerie Jannone die erste Architekturgalerie des Landes. In London ist der Galerist Kenny Schachter
an Architekturausstellungen interessiert. Der Franzose Patrick Seguin stellt seit 1989 in Paris die Arbeiten
von Architekten und Designern international aus und in Deutschland hat Renate Kammer in ihrer Hamburger
Galerie seit 1993 in unregelmäßigen Abständen Architektur im Programm.
17. Hannes Loichinger, „Mit Begriffen Handeln,” in: Texte zur Kunst, Heft 96, 2014, S. 64-81.
18. Olav Velthuis, „Artrank und die Flipper: Apocalypse Now?” in: Texte zur Kunst, Heft 96, 2014 S. 34-49, hier
S. 37.
19. Als leidenschaftliche Großsammlerin steht Phyllis Lambert damit in der Tradition von Sir John Soane (17531837), der in London ein Architekturmuseum aufbaute, das 1813 gegründet wurde, und Nicodemus Graf Tessin
d. Jüngere (1654-1728), einem herausragenden schwedischen Architekten und Sammler.
20. Neben Goldschmidt und Weinreb war der Amerikaner Harry Lunn (1933-1998) als internationaler Kunsthändler in Washington und Paris vor allem für den Aufbau von fotografischen Sammlungen entscheidend.
21. Vgl. Julia Voss, „Heinrich Klotz, die Preisexplosion und das Starsystem,” in: Die Klotz-Tapes. Das Making-of
der Postmoderne, Arch+ Feature, 26, 2014, S. 38-44, hier S. 39.
22. Vgl. Katalogtext zu Domenico Francia, Alternative Designs for the Decoration of a Ceiling, between ca. 1735
and ca. 1750, in: Eve Blau, Edward Kaufman (eds.), Architecture and its Image. Four Centuries of Architectural
Representation, Montreal/Boston, 1989.
23. Vgl. Gespräch des Autors mit Phyllis Lambert in Montreal am 21.07.2014.
24. Vgl. Paola Antonelli, “Interview with Pierre Apraxine,” in: The Changing of the Avant-Garde: Visionary Drawings from the Howard Gilman Collection, Ausst.Kat. The Museum of Modern Art, New York, 2002, S. 147-154.
25. Vgl. The Changing of the Avant-Garde: Visionary Architectural Drawings from the Howard Gilman Collection,
Ausst.Kat. The Museum of Modern Art, New York, 2002, S. 153.
26. Vgl. Kim Förster, The Institute for Architecture and Urban Studies, New York (1967-1985) : ein kulturelles
Projekt in der Architektur, Diss. ETH Zürich, 2011.
27. Vgl. Agnes Husslein Arco (Hg.), Utopie Gesamtkunstwerk, Ausst.Kat. 21er Haus, Wien, Köln 2012, S. 78.
28. Vgl. Brief von Superstudio an Leo Castelli, November 1977, Archives of American Art, Smithsonian
Institution, Washington.
29. Ada Louise Huxtable, “Architectural Drawings as Art Gallery Art,” in: The New York Times, 23. Oktober,
1977.
30. Vgl. Annie Cohen-Solal, Leo and His Circle: The Life of Leo Castelli, New York, 2010. Unter dem Titel Follies,
der im Geiste Bernard Tschumis Architekturexperimente aufnahm, fand 1983 die letzte Architekturausstellung
bei Castelli statt, die ebenfalls von Barbara Jakobson organisiert wurde und insgesamt neunzehn mehr oder
minder verspielte Projekte vorstellte.
31. Hal Foster, “Pastiche/Prototype/Purity: ‘Houses for Sale’,” in: Artforum, März 1981, S.77-79, hier S. 77.
32. Felicity Scott, ”Out of Place: Arata Isozaki’s Electric Labyrinth, 1968,” in: Thordis Arrhenius et al. (eds),
Place and Displacement: Exhibiting Architecture, Zürich, 2014, S.21-39, hier S. 38 [Übersetzung des Autors].
33. Heinrich Klotz, New York, 17.-20.3.1980, in: s. Anm. 21, S. 77-87, hier S. 87.
34. “Max Protetch,” in: Laura De Coppet, Alan Jones, The Art Dealers, New York, 1984, S. 227-233, hier S. 231.
35. Michael Sorkin, “Mr. Wright,” in: Exquisite Corpse. Writing on Buildings, New York, 1991, S. 92-96.
36. Vgl. Gespräch des Autors mit Max Protetch am 24.1.2015.
37. Vgl. Heinrich Klotz, New York, 17. Sept. 1981, in: s. Anm. 21, S. 147.
38. Heinrich Klotz, New York, 17. Sept. 1981, in: s. Anm. 21, S. 149. Vgl. Wolfgang Voigt, „,Lasst doch den ganzen
Bau leer’. Heinrich Klotz und die Anfänge des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main,” in:
kunsttexte.de, Nr. 4, 2014 (22 Seiten), www.kunsttexte.de, S. 10, zuletzt besucht am 29.1.2015.
39. Vgl. Aedes Archiv, Berlin.
40. Vgl. Sergei Tchoban, Tchoban Foundation – Museum für Architekturzeichnung, in: kunsttexte.de, Nr. 4, 2014
(7 Seiten), www.kunsttexte.de.
41. Vgl. Heinrich König, „Sie wissen selbst nicht, was so etwas kosten darf,” in: Die Welt, Nr. 85, 12. April 1985.
42. Vgl. Kristin Feireiss im Interview. Manuskript aus dem Aedes Archiv, 1996.
43. Vgl. Peter Gorsen, „Dialektik der Volksaufklärung,” in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1993.
44. Ebd.
45. Paul Goldberger, “The Celebrity Architect Arrives,” in: International Herald Tribune, January 4, 1985, S. 7.
46. Noah Horowitz, Art of the Deal, contemporary art in a global financial market, Princeton, 2011.
47. “Frank Gehry,” in: Charles Jencks, The Iconic Building, New York, 2005, S. 9.