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KULTUR
DIE RHEINPFALZ — NR. 26
MONTAG, 1. FEBRUAR 2010
0 1_KULT
Tannhäuser macht das rote Licht an
Karl-Heinz Steffens, musikalischer Kopf des Ludwigshafener „Rings“, dirigiert in Halle seine erste Wagner-Premiere
toph Stegemann und der 2011für Bayreuth vorgesehene Lars Cleveman (abgesehen von einer hin und wieder hörbaren Heiserkeit) Landgraf und Tannhäuser von beachtlichem stimmlichen
Format, es gibt da auch einen Sebastian Noack als Wolfram, der nicht nur
so aussieht wie der junge Fischer-Dieskau, sondern auch noch so singt. Ulrike Schneider ist eine stimmlich wie
darstellerisch hochsinnliche, erotische
Venus, Romelia Lichtenstein hätte als
Elisabeth müsste in der Höhe nicht so
forcieren. Denn: Karl-Heinz Steffens
am Pult der Staatskapelle vermag einen ganz wunderbar weichen Teppich
für jede Sängerin auszubreiten.
VON FRANK POMMER
Mit „Tannhäuser“ hat Karl-Heinz
Steffens am Samstagabend in Halle
seine erste Wagner-Premiere dirigiert. Der Erfolg, den er in SachsenAnhalt hatte, strahlt auch auf Ludwigshafen aus. Schließlich ist Steffens nicht nur Generalmusikdirektor in Halle, sondern auch Chefdirigent der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz – und musikalischer Kopf des Ludwigshafener
„Ring“-Projekts, das im Herbst mit
„Rheingold“ starten wird.
Schon der erste Einsatz in den Hörnern ist heikel. Die „Tannhäuser“-Ouvertüre beginnt so, wie die ganze
Oper endet: mit dem Thema des Pilgermarsches. Das kann schon mal daneben gehen - so früh am Abend. In
Halle ist man ganz schnell beruhigt:
Die Spielkultur der Staatskapelle ist
exzellent, nicht nur in der Ouvertüre, wo allenfalls Unsauberkeiten in
der Streicherbegleitung des Pilgerthemas zu beklagen wären.
Das Orchester überzeugt durch ein
hochkonzentriertes, sehr engagiertes
Spiel. Wie sein Chef, Karl-Heinz Steffens, der mit gleichermaßen nachdrücklicher wie unprätentiöser Stabführung vorangeht. Und einen unglaublich vollen, warmen WagnerKlang formt, in bester Karajan-Thielemann-Tradition und mit großer Emphase dort, wo es die Partitur mit
Rücksicht auf die Sänger zulässt. Als
Klangverzauberer die Droge Wagner
verabreichend; als Schatzsucher nach
Details suchend, die zu viel Pathos zudecken könnte: selten hat man das
Vorspiel zum Schlussakt aufregender,
aufwühlender gehört; als Kapellmeister für eine perfekte Koordination sorgend: wunderbar das große Ensemble
zum Ende des zweiten Aktes. Und im
Finale heißt es dann Überwältigung
pur. Die Gänsehaut hält lange an.
Da war auch die Inszenierung zu
sich gekommen, hat ihre schlüssige
Hauptaussage formuliert: Es geht
nicht um Erlösung, sondern um Verzeihung. Nicht um unterdrückte Sexualität, sondern um gelebte Partnerschaft.
Tote jedenfalls gibt es in der Inszenie-
TERMINE
— 7., 21., 27. Februar, 6. März, 2., 10.,
24. April. Karten: 0345/2050-222.
Inhalt der Oper:
Wartburg-Skandal
Puppenspielelemente, Verfremdungseffekte: „Tannhäuser“ in Halle mit Lars Cleveman in der Titelpartie und
Ulrike Schneider als Venus.
FOTO: THEATER
rung von Christian Georg Fuchs nicht
zu betrauern. Weder geht Elisabeth
dem Sünder Tannhäuser als Engel
Richtung Himmel voran, noch entzieht sich dieser durch Tod dem erneuten Zugriff der Hölle in Venus-Gestalt.
Es ist ja auch alles viel banaler. Tannhäuser hat ein wenig über die Stränge
geschlagen. Raus kommt das alles,
wenn er im Sängerkrieg des zweiten
Aktes quasi im Eifer des Gefechtes das
rote Licht anzündet. Doch der Puffbesuch des Vorspiels muss noch nicht
das Ende der Beziehung zur unschuldigen Elisabeth sein. Während Tannhäuser oben auf der von grauen Stelen beherrschten Bühne (Gregor Sturm) von
seiner nur bedingt erfolgreichen Sextherapie, pardon: seiner Pilgerreise
nach Rom, berichtet, kuschelt sich Elisabeth ganz unkeusch an Männerpuppen ran, die in verschiedenen Farben
schimmern. Und macht sich sprichwörtlich schmutzig dabei. Das Zeichen der Reinheit, ihr weißes Brautkleid, hat sie längst gegen ein T-Shirt
getauscht, dem man die Spuren des
Action-Painting-Kuschelns
ansieht.
Mit solchen Narben, die einem das Liebes- und Eheleben mitunter schlägt,
müssen Elisabeth und Tannhäuser
ebenso weiterleben wie die anderen
ähnlich zugerichteten Paare des
Schlusschores. Ein Happyend, mit
dem Wagner nun endgültig bei Rosamunde Pilcher angekommen wäre.
Der Weg dahin ist verschlüsselt, rätselhaft. Die Minnesänger tragen Polo-
Trikots (Kostüme: Gisa Kuhn), die Pilger quasi ihre Sünden als Drahtmännchen auf dem Rücken; der Landgraf ist
ein chinesischer Popanz, eine Art Götzenfigur, die mit einem überdimensionierten Venuskopf im Vorspiel korrespondiert, und die Festgesellschaft des
zweiten Aktes versammelt sich unter
unterschiedlichen Tierzeichen, von
Schwan über Taube bis Eichhörnchen.
Es gibt Puppenspielelemente, Verfremdungseffekte, die die Oper von
viel Ballast befreien. Dass es darüber
hinaus viel zu oft zu statischem Rampensingen gerade des Chores in bester
Männer-Gesangvereins-Manier
kommt: nun, es entschädigt die Musik. Und der Gesang, zumindest weitgehend. Denn nicht nur sind Chris-
Am Anfang steht das Lotterbett, am
Ende die Erlösung. Dazwischen der
Sängerkrieg und drei Akte wunderbare Musik. Zu Beginn sehen wir Tannhäuser im Venusberg. Dorthin war er
geflüchtet, weil ihn die Welt zurückgewiesen hatte. Doch er will wieder
Mensch sein, nicht Gott. Er sucht die
Schmerzen – der Liebe. Zurückgekehrt an den Hof des Landgrafen von
Thüringen auf der Wartburg, werden
sich seine Wünsche erfüllen. Statt im
Sängerkrieg die Liebe nach strengen
höfischen Gesetzen zu besingen und
dafür Elisabeth, die Nichte des Landgrafen, als Frau zu gewinnen, bejubelt er die Göttin Venus. Ein Skandal,
für den er nur deshalb nicht gelyncht
wird, weil Elisabeth sich für ihn einsetzt. Nun soll er nach Rom pilgern,
den Papst um Vergebung bitten. Der
aber weist ihn ab, verzweifelt berichtet Tannhäuser in seiner Romerzählung davon. Wolfram von Eschenbach hält ihn davon ab, wieder zu Venus zu gehen: Er verweist auf Elisabeth, die für ihn gestorben ist. Damit
ist auch er erlöst. Von einer Frau –
wie so oft bei Wagner. (pom)
Im Wald, da sind keine Räuber
Giuseppe Verdis Oper „I masnadieri“ nach Schillers Drama im Badischen Staatstheater in Karlsruhe
VON KARL GEORG BERG
Vier Opern nach Dramen Friedrich
Schillers hat Giuseppe Verdi komponiert. Nach dem berühmten „Don
Carlo“ in der vergangenen Spielzeit
bringt das Badische Staatstheater
Karlsruhe nun die selten gespielten
„I masnadieri“ (Die Räuber) auf die
Bühne. Die Begegnung mit einem
keineswegs zu vernachlässigenden
Frühwerk Verdis wird ein wenig getrübt durch eine nicht in allen Belangen gelungene musikalische Einstudierung und eine nicht unproblematische Inszenierung.
Regisseur Alexander Schulin verzichtet auf Räuberromantik im wilden
Wald. Er macht aus dem Stück eine
Art häusliches Kammerspiel und
stellt den Familienkonflikt im Hause
Moor in den Mittelpunkt. Der Wald
ist nur als Prospekt im Hintergrund
zu sehen. Die Bühne wird von einem
überdimensionalen Puppenhaus mit
Vater Moors Salon und den Zimmern
der Jungs Karl und Franz eingenommen. Karl hütet darin Topfpflanzen,
Franz gibt sich Süßigkeiten hin.
Den Entwurf zu dem Bühnenbild
hat Christoph Sehl geliefert, der aber
offensichtlich zwischenzeitlich aus
der Produktion ausgestiegen ist. Die
Kostüme in moderner Manier stammen von Ursina Zürcher.
In den Räumen des Hauses Moor
spielt sich alles ab. Statt Opernpathos und großen Gesten gibt es bedeutungsschwangere Bewegungen
und den Umgang mit symbolträchtigen Requisiten. Das ist im Prinzip
nicht schlecht, in diesem Fall aber
von wenig zwingender szenischer
Wirkung. Musik und Bühnengeschehen laufen weitgehend unvermittelt
nebeneinander her. Die Glut der Musik des frühen Verdis, ihr revolutionärer Charakter und die hier von dem
aufstrebenden Opernmeister noch
ein bisschen zu streng in der Form,
aber schon sehr intensiv in Töne gesetzten großen authentischen Gefühle und dramatische Situationen finden kaum eine Entsprechung auf der
Bühne. Die Eingriffe in das Werk mit
der Zusammenziehung der Rollen
des Karl mit seinem Spießgesellen
Roller und des Vaters Moor mit Pastor Moser mögen psychologisch be-
gründbar sein, für die Wirkung der
Werks haben sie nur geringen Effekt.
Die Absicht des Regisseurs, mehr
Schiller und Tiefgang in diese gewiss
dramaturgisch noch recht konventionell angelegt Oper zu bringen, in Ehren – ein großer Wurf ist ihm dabei
nicht gelungen.
Leider wird auch musikalisch die
Chance, mit dieser dankenswerten
Wiederbelebung ein Zeichen zu setzen zu wenig genutzt. Jochem Hochstenbach dirigiert einen kompakten
und durchaus vorwärts drängenden
Verdi mit massiven Klangballungen.
An Innenspannung und dem letzten
Quäntchen Leidenschaft allerdings
fehlt es. Ansprechend, aber ebenfalls
nicht überragend agieren Chor und
Extrachor in der Einstudierung von
Ulrich Wagner.
Der große Lichtblick im Ensemble
ist Barbara Dobrzanska als Amalie.
Wieder berührt die Sängerin durch
erlesene, glasklare Gesangslinien
und verinnerlichten Ausdruck. Auch
in den Koloraturteilen überzeugt sie
durch gewinnenden Vortrag.
Mit satter Bassfülle und weit ausschwingenden Kantilenen setzt sich
Konstantin Gorny als alter Moor und
Pater Moser eindrucksvoll in Szene.
Als Franz spielt Stefan Stoll sehr
nachdrücklich, sängerisch entfaltet
er dagegen wenig baritonalen Glanz.
Wie immer sehr robust und durchdringend gibt Keith Ikaia-Purdy den
Karl. Noble Belcanto-Kultur ist seine
Sache weniger. Versiert Klaus Schneider in der Rolle des Hermann.
TERMINE
— Nächste Vorstellungen sind am 4. und
14. Februar, 10., 18. und 25. März.
Karten: www.staatstheater-karlsruhe.de,
Telefon 0721/933333.
Inhalt der Oper: Vater und Söhne
Andrea Maffeis Libretto nach Schillers Drama „Die Räuber“ folgt den Erfordernissen einer italienischen
Oper der ersten Häfte des 19. Jahrhunderts. Der Handlungsverlauf ist
gestrafft, allerdings hält sich Maffei
teilweise eng an Schillers Text.
Im ersten Akt gedenkt der zum
Räuberhauptmann gewordene Karl
Moor des väterlichen Hauses und
der geliebten Amalie. Sein nachgeborener Bruder Franz verleumdet ihn
aber beim Vater und sinnt auf den
Tod des Alten. Eine fingierte Nachricht vom vermeintlichen Tod Karls
scheint Vater Moor Ende zu sein.
Franz begehrt in unwürdiger Weise
die trauernde Amalie. Sie stößt ihn
zurück. Von Hermann erfährt sie,
dass Karl und der alte Moor noch am
Leben sind. Im Wald, in den sie geflohen ist, trifft sie den Geliebten wieder. Beide besingen ihr Glück.
In einem Turm vegetiert Vater
Moor dahin. Karl findet ihn in seinem Verlies und schwört Rache für
die Untaten seines Bruders Franz.
Der ist von Albträumen geplagt. Es
gibt keine himmlische Gnade für ihn.
Er richtet sich selbst. Karl und die
Räuber erobern das Schloss. Karl tötet Amalie, um ihr ein Leben als Räuberbraut zu ersparen und übergibt
sich der weltlichen Justiz. (rg)
DENK MAL
Hammer, Männer
VON MIRKO WEBER
Österreichs Nationalhymne ist ein
Schmerzenskind. Dabei hatten die
Habsburger seit 1804 eine Hymne,
wie es musikalisch betrachtet
schwerlich eine schönere gibt, nämlich von Joseph Haydn: „Gott erhalte Franz, den Kaiser“. Doch eignete
sie sich die Weimarer Republik an.
Deutschland sang also die erste
Strophe (nach von Fallersleben),
die Bundesrepublik später, nach
vielen Anfangsmühen, die dritte.
Nach dem Krieg wollten die Österreicher was Neues, Eigenes. Man
krallte sich ein sehr nachlässig gesetztes Mozart-Fragment (KV 623)
und ließ – nach einem Preisausschreiben (!) – die als Autorin
längst gnädig vergessene Paula von
Preradovic dichten. Resultat: „Land
der Hämmer, zukunftsreich, Heimat bist du großer Söhne,… vielgerühmtes Österreich.“ Die Kerle.
Wie immer. Frauen: Fehlanzeige.
Seitdem arbeiten sich (hauptsächlich) Frauen daran ab, doch
noch ein poetisches Gleichgewicht
zu etablieren. Den jüngsten Versuch hat die Popsängerin Christina
Stürmer im Auftrag des Bildungsministeriums unternommen, indem sie der Stelle nach den „Söhnen“ die Wörter „und Töchter“ angehängt hat. Technisch kein Problem, die Pause ist lang genug.
Aber das holpert. Und Österreich
grollt. Feministinnen fürchten, es
würden 30 Jahre Kampf vergagt,
Traditionalisten (lies: Männer)
fürchten um den Ruf Österreichs.
Ein stolzer Sohn ist besonders auf
der Barrikade (im Netz) und rät der
zuständigen Ministerin, sich lieber
im Haushalt nützlich zu machen.
K U L T U R NOT IZ E N
Bundesregierung kritisiert
Google-Digitalisierung weiter
Die Bundesregierung macht Druck im
Streit um die Digitalisierung von Büchern durch Google. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat laut der „Süddeutschen Zeitung“ einen „Amicus-CuriaeBrief“ an das zuständige New Yorker
Gericht geschickt. Damit können Parteien, die an einem Rechtsstreit nicht unmittelbar beteiligt sind, ihre Bedenken
äußern. Leutheusser-Schnarrenberger
kritisiert, dass auch die zweite Version
eines Vergleichs, den Google mit amerikanischen Verlagen schließen möchte, die Rechte deutscher Autoren verletze. Bei der Auseinandersetzung
geht es um einen vor Gericht auszuhandelnden Vertrag, in dem festgelegt
wird, welche Bücher bei Google Books
im Netz kostenlos lesbar sein dürfen.
Einen ersten Vergleich hatte das Gericht nach Protesten von Autoren, Verlegern und aus der Politik verworfen.
Google legte im November eine zweite Vertragsfassung vor. (ddp)
Berlin: „Autokino“ in der
Temporären Kunsthalle
In der Temporären Kunsthalle auf
dem Berliner Schlossplatz können
die Besucher ab Donnerstag im Auto
Filme sehen – bei einem Kunstprojekt des 38-jährigen britischen Turnerprize-Nominierten Phil Collins.
Der in Glasgow und Berlin lebende
Künstler hat 15 Pkw in die elf Meter
hohe Halle mit einer Grundfläche
von 20 mal 30 Metern verfrachtet.
Ende August wird die Kunsthalle
planmäßig wieder verschwinden,
weil dann die Vorbereitungen für die
Wiedererrichtung des Stadtschlosses
beginnen. (ddp)
Senecas Schweigen
Der Mannheimer Popakademie-Absolvent Konstantin Gropper feiert als Get Well Soon Erfolge
VON SUSANNE SCHÜTZ
Seine neue, zweite CD „Vexations“
ist in Mannheim und Ludwigshafen
derzeit ausverkauft. Kein Wunder,
berichten dieser Tage doch nicht
mehr nur die Musikmagazine über
den aus Biberach stammenden Popakademie-Absolventen Konstantin
Gropper alias Get Well Soon.
Der 27-Jährige ist ein schwelgerischer
Schöngeist, der an einem großen, für
die deutsche Popwelt untypischen
Sound tüftelt. Betörung und Verstörung sind seine Eckpfeiler. Darum
kam der erste leise Erfolg in England,
wo die Düsternis von Bands wie Radiohead oder Muse den Nerv Tausender
trifft. So durfte Groppers Projekt Get
Well Soon, das eine ähnlich erhabene
Stimmung aufbaut, 2008 noch vor einer deutschen Tour oder Album-Veröffentlichung, beim renommierten Glastonbury-Festival auftreten.
Geigen und Gitarren, Trompeten
und Akkordeon gibt es bei Get Well
Soon, dazu Vibraphon und Glockenspiel: Indie-Folk nennt der Sohn eines
Musiklehrers, der früh Cello, Schlagzeug und Gitarre erlernte, seine Musik. Sein so pompös wie erbauend betiteltes Debüt „Rest Your Weary Head!
You Will Get Well Soon“ hat er komplett allein eingespielt, nun assistieren Streicher und Bläser. Live spannt
er die Famile ein, Schwester Verena
spielt Violine, ein Cousin Trompete.
Angst vor Pathos und Opulenz hat
der Mann mit dem strengen Seitenscheitel nicht. Eigentlich ist seine CD
„Vexations“, eine noch aufwändigere
Variation des auf dem Debüt eingeschlagenen Wegs, einen Monat zu
spät erschienen: Zu Weihnachten passen Groppers ausladende Kompositionen nämlich bestens – und er ist ein
Freund des Festlichen, hat sogar Weihnachts-EPs aufgenommen. Religion
aber ist ihm supekt, er hält sich lieber
an Marx, Darwin, Freud und Nietzsche
(in „We Are Ghosts“). Auf „Vexations“
geht es oft um Philosophie, genauer
Stoizismus. „Ich plädiere dafür, erstmal mit dem, was man hat, zufrieden
zu sein“, hat er sich von Seneca abgeschaut: Gropper hat in Heidelberg Philosophie studiert, bevor er an die Popakademie wechselte, wo er wenig
über Musik, dafür einiges über Marketingmechanismen gelernt haben will.
Als Produkt mag er sich dennoch
nicht sehen. So inspirieren den Oberschwaben, der nach einem Jahr in Berlin nun auch Mannheim wieder als
Standort angibt, eher andere Künstlerseelen. In „Werner Herzog Gets Shot“
erzählt er von dem Filmemacher, den
einst ein Verwirrter mit einem Luftgewehr angeschossen hatte. „Herzog verfolgt fast immer unter Einsatz seines
Lebens seine künstlerische Vision. Davor kann ich mich nur verneigen“,
sagt Gropper dazu in einem Interview. Weiter bewundert er den öster-
reichischen Autor Josef Winkler. „Diese Lektüre nimmt mich so mit, dass es
deshalb ein Lied über den Tod auf
dem Album gibt.“ Nämlich „5 Steps/ 7
Swords“, dank seines Balkanswings einer der etwas fröhlicheren Songs der
melancholischen CD, die es auch in einer Bonusversion mit Groppers Soundtrackarbeiten für Wim Wenders („Palermo Shooting“) oder Detlev Buck
(„Same Same but Different“) gibt.
Als Songschreiber – und Sänger –
hat sich Gropper allerdings nicht unbedingt weiter entwickelt. „Angry
Young Man“, wieder ein Zitat, heißt
eins der typischen Stücke: Wut ist
hier nicht zu hören, eher ein Sich-Ergeben. Lethargie. Suhlen im Weltschmerz. Das ist bei Groppers Können doch auf Dauer zu wenig.
TERMINE
— Get Well Soon live: 2. März, Frankfurt
(Mousonturm); 20. März, Mannheim
(Maimarktclub, Stereo-Mondo-Festival).
Pop-Philosoph aus Oberschwaben: Konstantin Gropper alias Get Well
Soon.
FOTO: JENS OELLERMANN/CITY SLANG