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Masterarbeit im Studiengang Deutschsprachige Literatur (Schwerpunkt neuere Literatur)
am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin
Abgesang auf den Roman?
Epische Aspekte im seriellen Erzählen neuerer amerikanischer TV-Serien
eingereicht von: Stefan Jetzer
Prüfer (Betreuer): Prof. Dr. Stefan Keppler-Tasaki
Prüferin: Prof Dr. Elisabeth K. Paefgen
Stefan Jetzer
Matrikel-Nr.: 4352622
Stubbenkammerstraße 1
10437 Berlin
[email protected]
Berlin, 16. Juli 2012
Selbständigkeitserklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit in allen Teilen selbständig verfasst und
keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Ich erkläre weiterhin, dass die vorliegende Arbeit noch nicht im Rahmen eines anderen Prüfungsverfahrens eingereicht wurde.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ....................................................................................................................................................... 4
1. Serielles Erzählen ....................................................................................................................................10
1.1 Ursprünge in der Literatur ............................................................................................................................. 11
1.2 Strukturelle Entwicklung und mediale Transfers: Feuilletonroman und Seifenoper ........................... 15
1.3 Formen seriellen Erzählens in amerikanischen TV-Serien von 1950–1990: ‚serials‘ und ‚series‘ ...... 20
2. Audiovisuelles serielles Erzählen im 21. Jahrhundert: Neue Formen der Produktion und
Rezeption ......................................................................................................................................................24
2.1 Neue Medien – Die DVD-Box im Bücherregal und eine bloggende ‚Rahmengesellschaft‘............... 24
2.2 „Im Strom der lebenden Sprache“– Pay-TV und die narrativen Möglichkeiten jenseits der Zensur 28
2.3 Die Rückkehr des Autors im ‚creator‘ ......................................................................................................... 33
2.4 Eindringen in „die überreale Sphäre“ – Neue Realismuskonzepte......................................................... 36
3. Das audiovisuelle Epos im 21. Jahrhundert: Battlestar Galactica .......................................................41
3.1 Die Totalität in der epischen Darstellung des „allgemeinen Weltzustandes“ ....................................... 43
3.2 Allegorische Reflektion der Gegenwartspolitik: Battlestar Galactica und die USA nach 9/11.............. 53
3.3 Identität und Alterität – oder: was ist der Mensch?................................................................................... 58
4. Schluss ......................................................................................................................................................62
4.1 Resümee und Konklusionen ......................................................................................................................... 62
4.2 Ausblick ............................................................................................................................................................ 65
Anhang ..........................................................................................................................................................67
A. Tabelle und Diagramme .................................................................................................................................. 67
B. Glossar ............................................................................................................................................................... 72
Quellenverzeichnis ......................................................................................................................................73
A. Filmographie ..................................................................................................................................................... 73
B. Primärliteratur ................................................................................................................................................... 74
C. Sekundärliteratur .............................................................................................................................................. 75
D. Webadressen ..................................................................................................................................................... 81
E. Abbildungsverzeichnis .................................................................................................................................... 81
4
Einleitung
Seit über einem Jahrzehnt1 erfreut eine Welle US-amerikanischer Produktionen die Liebhaber
qualitativ hochwertiger TV-Serien. Die Kritik ist auch im deutschsprachigen Raum voll des Lobes
für die oft aufwändig produzierten, raffiniert und intelligent erzählten und mit anspruchsvollen
filmischen Mitteln in Szene gesetzten Erzählungen, die alle erdenklichen Genres bedienen. Unter
dem Label ‚Quality Television Series‘2 gehandelt, wecken diese Serien seit längerer Zeit auch das
Interesse der versammelten Kulturwissenschaften jenseits und jüngst auch diesseits des Atlantiks.3 Doch worauf ist die plötzliche Aufmerksamkeit zurückzuführen, und was unterscheidet
diese oft als ‚neu‘ bezeichneten Serien nun von älteren Produktionen? Artikel aus der hiesigen
Tagespresse, die das Phänomen erfassen wollen, titeln etwa mit Gesendete Literatur oder Ein Balzac
für unsere Zeit. Sie spielen damit auf komplexere Erzähltechniken an und machen sich für ein Medium Fernsehen stark, das in Bezug auf seinen kulturellen wie ästhetischen Wert lange sehr
stiefmütterlich behandelt wurde, indem sie ein diesbezüglich bereits etabliertes Medium – den
Roman oder allgemeiner: die Literatur – als legitimierendes Analogon für diese neu auftretende,
kunstvolle Erzählform heranziehen. RICHARD KÄMMERLINGS schreibt in seinem Artikel Ein
Balzac für unsere Zeit: „Amerikanische Serien wie ‚The Wire‘ beweisen die Emanzipation einer epischen Form von der Unterhaltungsindustrie und sind längst zum ernsthaften Konkurrenten der
1
REGULA FREULER: Wie Fernsehen erwachsen geworden ist. In: NZZ am Sonntag vom 23.10.2011, S. 77 schreibt bspw.: „In
den letzten zehn Jahren erlebten Fernsehserien [aus den USA, S. J.] eine qualitative Revolution.“ IVO RITZER:
Fernsehen wider die Tabus. Sex, Gewalt, Zensur und die neuen US-Serien, Berlin: Bertz + Fischer 2011, S. 9 konstatiert hingegen, dass schon die vom Pay-TV Sender HBO produzierte Serie Oz (HBO, 1997–2003) einen Paradigmenwechsel
auf dem Gebiet des audiovisuellen seriellen Erzählens eingeläutet hat. LUCY MAZDON: Introduction: Histories. In: The
Contemporary Television Series. Hrsg. von MICHAEL HAMMOND und LUCY MAZDON, Edinburgh: Edinburgh Univ.
Press 2005, S. 3–10, hier S. 6, sieht dagegen – wie zahlreiche ihrer englischen und amerikanischen Kollegen – in der
Krimiserie Hill Street Blues (NBC, 1981–1987) den Prototyp einer neuen Serienmachart: „this show indubitably paved
the way for the development of the quality series/serials“.
2
Vgl. KRISTINA KÖHLER: ‚You people are not watching enough television!‘ Nach-Denken über Serien und serielle Formen. In:
Serielle Formen. Von den frühen Film-Serials zu aktuellen Quality-TV- und Online-Serien. Hrsg. von ROBERT
BLANCHET/KRISTINA KÖHLER/TEREZA SMID u. a., Marburg: Schüren 2011, S. 11–36, hier S. 15. Eine kritische
Diskussion der Begrifflichkeit ‚Quality-TV‘ bietet der Sammelband Quality TV. Contemporary American Television and
Beyond. Hrsg. von JANET MCCABE und KIM AKASS, London u. a.: Tauris 2007.
3
Mit ROBERT J. THOMPSON: Television’s Second Golden Age. From Hill Street Blues to ER, New York: Continuum 1996
erscheint eine der ersten Untersuchungen, welche die neuen Signale aus der amerikanischen Serienlandschaft erfasst
und deutet. Standesgemäß befassen sich erst die Medienwissenschaften, allen voran Film- und Fernsehwissenschaften, mit dem Phänomen, bevor sich andere Kulturwissenschaften dem Gegenstand widmen. Ab Mitte der 2000erJahre steigt die Zahl an Untersuchungen amerikanischer und angelsächsischer Provenienz zur Thematik inflationär
an, so dass ein adäquater Forschungsüberblick den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Im deutschsprachigen
Raum wird das Phänomen der neuen amerikanischen Serien auch aufgrund der verzögerten Ausstrahlung naturgemäß erst später von akademischem Interesse. Der erste deutschsprachige Beitrag, der eine globale Einsicht in die
neuere amerikanische Serienlandschaft bietet, dürfte der Sammelband Was bisher geschah. Serielles Erzählen im
zeitgenössischen amerikanischen Fernsehen. Hrsg. von SASCHA SEILER, Köln: Schnitt 2008 sein. Ihm folgen die Sammelbände Autorenserien. Die Neuerfindung des Fernsehens. Hrsg. von CHRISTOPH DREHER, Stuttgart: Merz & Solitude 2010
und Serielle Formen. Von den frühen Film-Serials zu aktuellen Quality-TV- und Online-Serien. Hrsg. von ROBERT
BLANCHET/KRISTINA KÖHLER/TEREZA SMID u. a., Marburg: Schüren 2011, bevor die ersten spezifischen Monographien erscheinen: RITZER: Wider die Tabus (wie Anm. 1) und CHRISTINE PIEPIORKA: Lost in Narration. Narrativ
komplexe Serienformate in einem transmedialen Umfeld, Stuttgart: Ibidem 2011.
5
Literatur geworden. […] ‚The Wire‘ ist ein Roman. Einer der besten.“4 BARBARA SCHWEIZERHOF
bestätigt dies und bezeichnet dieselbe Serie als „große, tragische Literatur“.5 Ein wesentliches
Kriterium, das diese ‚neuen‘ Serien von den ‚alten‘ abgrenzt, ist, folgt man diesen Einsichten, also
ihre Literarizität – die Art und Weise ihres Erzählens ist mit anderen Worten ‚romanhaft‘ oder
‚episch‘. Eine direkte Gleichsetzung von audiovisueller und literaler Erzählung – von Serie und
Roman –, wie sie hier von KÄMMERLINGS und SCHWEIZERHOF explizit aufgegriffen wird, ist
nicht unproblematisch und wird vor allem von den Film- und Fernsehwissenschaften aus guten
Gründen in Frage gestellt.6 Schließlich handelt es sich, schon auf der basalen Ebene von Schrift
und bewegtem Bild betrachtet, um zwei verschiedene Medien, die wohl etliche gemeinsame narrative Aspekte teilen können, in vielerlei Hinsicht jedoch eine andere semiotische Funktionsweise
zeitigen. Eine kurze Filmeinstellung etwa kann ein Mehrfaches an Informationen transportieren
und ein ganzheitlicheres Bild vermitteln, als dies eine Texteinheit von ähnlich langer Erzählzeit zu
bewerkstelligen fähig ist. Auf einer ausdifferenzierteren semiotischen Vergleichsebene wie etwa
dem Roman und dem Fernsehen resp. Film löst sich diese Problematik nicht auf. Schon bei oberflächlicher Betrachtung wird klar, dass jedes Medium seine eigenen Erzählkonventionen entwickelt, die eng mit seiner Wirksphäre und seinem semiotischen Wesen verwoben sind. So spielt die
Einbettung der TV-Serie in einen Programmkontext eine wichtige Rolle für ihren Erzählrhythmus und ihre narrative Struktur (Werbeeinspielungen sind dabei nur ein prominentes Beispiel).
Auch das Zensurverhalten staatlicher Institutionen bestimmt wesentlich, wie explizit z. B. Gewalt
oder Sexualität dargestellt werden dürfen. Wenn die Hauptthese der vorliegenden Arbeit also
davon ausgeht, dass die neueren amerikanischen TV-Serien die Romane oder die Epen unserer
Zeit sind, dann muss ein prüfender Vergleich notwendig auf einer allgemeineren Ebene stattfinden als ausschließlich in einer detaillierten Untersuchung und Gegenüberstellung von medienspezifischen narrativen Möglichkeiten. Ein tertium comparationis ist folglich von Nöten, unter dem
das filmische Bild und das geschriebene Wort gemeinsame Aspekte entwickeln. Die „epische
Form“, von der KÄMMERLINGS in seiner lobenden Kritik von The Wire spricht, bietet sich hier als
gesuchte dritte Vergleichskategorie an, weil das Epos einerseits als die Urform des heutigen Ro4
RICHARD KÄMMERLINGS: Ein Balzac für unsere Zeit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Onlineausgabe vom 14.5.2010,
Webadresse:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/the-wire-ein-balzac-fuer-unsere-zeit-1581949.html,
abgerufen am 25.10.2011. The Wire ist eine zwischen 2002–2008 von HBO ausgestrahlte Serie, die – für damals wie
für heute – sehr innovative Erzähltechniken anwendet.
5
BARBARA SCHWEIZERHOF: Gesendete Literatur. In: Der Freitag. Onlineausgabe vom 6.8.2010, Webadresse:
http://www.freitag.de/kultur/1031-gesendete-literatur, abgerufen am 25.10.2011.
6
Bspw. JASON MITTELL: All in the Game: The Wire, Serial Storytelling, and Procedural Logic. In: Third Person. Authoring and
Exploring Vast Narratives. Hrsg. von PAT HARRIGAN und NOAH WARDRIP-FRUIN, Cambridge, Mass. u. a.: MIT Press
2009, S. 429–438, hier S. 429, Sp. 1: „The Wire is a masterpiece of television, not a novel that happens to be televised,
and thus should be understood, analyzed, and celebrated on ist own medium’s terms“ und DERS.: Narrative
Complexity in Contemporary American Television. In: The Velvet Light Trap 58 (2006), S. 29–40, hier S. 30, Sp. 2: „While
some point to this emerging form [die narrative Struktur neuerer Serien, S. J.] as ‚novelistic‘, I contend that it is
unique to the television medium despite the clear influences from other forms“.
6
mans gelten kann, andrerseits aber „keine feste Form“ fordert. Im Gegenteil, das Epos ist „ständig zu entwickeln, und zwar durchweg im Widerstand gegen die Tradition und ihre Vertreter.“7
Wenn der Urheber dieser Aussage, Alfred Döblin, im Essay Der Bau des epischen Werks dann zur
Illustration anfügt: „Früher sang der Epiker“,8 dem Berufsstand seiner eigenen Zeit sei jedoch
„die Buchform gegeben“9, so findet sich darin eine erste Bestätigung der Vermutung, das Epische
sei ein Aspekt der Erzählung, der unabhängig vom Medium existiert. Vielmehr scheint es eine
Kategorie zu sein, die sich das für seine Epoche ausdruckstärkste Medium als Vehikel sucht, um
in Erscheinung treten zu können. Und wenn zudem der Schriftsteller Franz Werfel im Vorwort
seines 1941 veröffentlichten Romans Das Lied von Bernadette zu dem Schluss kommt, dass „[e]in
epischer Gesang in unserer Epoche nur die Form eines Romans annehmen“ kann,10 so ist die
analog auf unsere Gegenwart angewendete Hypothese, das Epos des frühen 21. Jahrhunderts
könne nur die Form der Fernsehserie annehmen, nicht ganz unbegründet.
Um den epischen Aspekten der neueren amerikanischen TV-Serien auf die Spur zu kommen,
ist eine Untersuchung dieser zeitgenössischen Produktionen vor der Folie herkömmlicher oder
‚alter‘ Fernsehserien erforderlich. Diese Vorgehensweise gründet auf der Arbeitsthese, dass ab
einem gewissen Zeitpunkt neue Formen des seriellen Erzählens im Medium Fernsehen auftreten,
die sich in ihrer gesamten Machart und Erscheinung von den älteren Serien merklich unterscheiden, und dass diese Unterschiede zumindest in Teilen die attestierte Romanhaftigkeit konstituieren. Im ersten Kapitel werden zu diesem Zweck in einem ersten Schritt die Wurzeln der seriellen
Erzählung aufgearbeitet, um aufzuzeigen, wie eng mündliche, schriftliche und audiovisuelle Formen dieser Erzählstrategie genealogisch miteinander verbunden sind. Die TV-Serie von heute ist
ohne Die Erzählungen von 1001 Nacht nicht zu denken, und wenn man den Begriff des seriellen
Erzählens weit fasst, können auch die abendländischen Urepen, die Ilias und die Odyssee, als Serie
verstanden werden.11 Odysseus ist im Grunde genommen ein prototypischer Held, der in 24 Episoden von Abenteuer zu Abenteuer driftet. Der historische Aufriss soll jedoch nicht einfach die
Entwicklungsstufen der seriellen Narration nachzeichnen, sondern, wie angesprochen, den Hintergrund aufspannen, vor dem die neueren amerikanischen TV-Produktionen zu betrachten sind.
Erst vor der Kontrastfolie einer ‚typischen‘ Bauart herkömmlicher amerikanischer TV-Serien, die
7
Alfred Döblin: Der Bau des epischen Werks. In: Ders.: Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur. Hrsg. von ERICH
KLEINSCHMIDT, Olten u. a.: Walter 1989, S. 215–245, hier S. 225.
8
Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 228.
9
Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 236.
10
Franz Werfel: Das Lied von Bernadette, Frankfurt/M.: Fischer 1991, S. 12.
11
Vgl. KNUT HICKETHIER: Art. Serie. In: Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen. Hrsg. von HANSOTTO HÜGEL, Stuttgart u. a.: Metzler 2003, S. 397–403, hier S. 397. Die Odyssee verwendet zudem auch für heutige
Begriffe komplexe Erzählverfahren, wie sie auch in zeitgenössischen TV-Serien beobachtet werden können: achronologische Gliederung, Parallelhandlungen, Rückblenden, Einschübe und Perspektivenwechsel, um ein paar narrative Strategien zu nennen.
7
gegen Ende dieses ersten Kapitels umrissen wird, können Aspekte isoliert werden, die eine
‚neue‘ Machart bestätigen und Funktionen des Epischen aufdecken können. Zudem wird aus
dem historischen Überblick deutlich, dass die Strategie des seriellen Erzählens entscheidend an
der Popularisierung von heute kanonisierten epischen Kunstformen wie dem Roman beteiligt
war. Obschon die serielle Erzählung in all ihren medialen Ausformungen immer im Ruch fader
Kost stand und noch immer steht, leistete sie gerade für den Roman einen unentbehrlichen
Dienst zu dessen Anerkennung nicht nur durch eine breite Masse von Rezipienten, sondern auch
durch die akademischen und kulturellen Wertungsinstanzen – ein Prozess, der in den letzten Jahren verstärkt auch bei den amerikanischen Fernsehserien zu beobachten ist. Im deutschsprachigen Raum für die weitreichende Akkreditierung des Romans vielleicht weniger von Bedeutung,
sind die Erfolge angelsächsischer und französischer Erzähler wie Dickens, Flaubert und Balzac
ohne den Feuilletonroman, also der seriellen Form des 19. Jahrhunderts, undenkbar.12
Das zweite Kapitel richtet sein Augenmerk auf das Herausarbeiten von epischen Aspekten in
neueren amerikanischen Serienproduktionen. Als Argumentationsgrundlage für diesen Arbeitsschritt dient Döblins bereits erwähntes Essay Der Bau des epischen Werkes. Er erarbeitet darin einen
formalen und produktionsästhetischen Grundriss des modernen Epos, der sich als adäquater
Untersuchungsrahmen für TV-Serien anbietet: 1928 als Vortrag im Auditorium Maximum der
Berliner Universität gehalten, verkörpert der Aufsatz die poetologische Basis, auf der Döblin sein
1929 veröffentlichtes Epos Berlin Alexanderplatz aufbaut, welches wiederum 1980 von Rainer
Werner Fassbinder – notabene als 14-teilige Fernsehserie – verfilmt wurde. Der erste Teil des
zweiten Kapitels untersucht ausgewählte extrinsische Faktoren,13 die als Grundbedingungen für
die zu beobachtenden Entwicklungen in der amerikanischen Serienlandschaft gelten können. So
wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts technische Neuerungen entscheidenden Einfluss auf das
Buchdruckverfahren und somit auf die Popularisierung des Romans hatten, spielt auch im 21.
Jahrhundert ein komplexes Wechselspiel zwischen der Produktion im weitesten Sinne, der Rezeption und den dazwischenliegenden Entwicklungen technischer, (firmen)politischer und sozialer Möglichkeiten eine ebenso wichtige Rolle für die Form des Endproduktes Serie, wie die Veränderungen innerhalb der Fernsehindustrie.14 Neue Datenträger wie die DVD ermöglichen eine
12
Vgl. CHRISTINE MIELKE: Zyklisch-serielle Narration. Erzähltes Erzählen von 1001 Nacht bis zur TV-Serie, Berlin u. a.: de
Gruyter 2006, S. 663, die in ihren Untersuchungen zu den genealogischen Zusammenhängen der seriellen Narration
zum Schluss kommt, „dass sich die Seifenopern […] nur auf der Basis der rahmenzyklischen Produktion im 19. Jh.
haben etablieren können. Von dort waren sowohl Erzählstruktur wie Motive und Diskursivierungsmöglichkeiten als
Angebot an die Wünsche und Bedürfnisse der Rezipierenden bekannt.“
13
Unter „extrinsische Faktoren“ werden die rein äußerlichen Bedingungen zusammengefasst, die nicht den kreativen
Prozess an sich betreffen, sondern als außenliegende Vorgaben die Möglichkeiten einer Erzählung in einem bestimmten Medium umrahmen.
14
Vgl. MAZDON: Histories (wie Anm. 1), S. 8f.: „the contemporary prime-time series/serial is very much a response
to changes in the television industries […] and underlines the need to examine closely the relationship between text
and social, political and above all industrial context.“
8
andere Art der Serienrezeption und lösen, zusammen mit der beliebigen Abrufbarkeit über das
Internet, die Serie aus ihrem rigiden Programmkontext der TV-Stationen heraus. Diese Faktoren
beeinflussen die Erzählmöglichkeiten in einem ebenso starken Maße wie die Tatsache, dass viele
der künstlerisch ambitionierten Produktionen von Abonnentensendern wie HBO oder Showtime
stammen, die, anders als die Konkurrenz der sogenannten Network-Sender wie NBC oder CBS,
keine inhaltlichen Einschränkungen seitens der amerikanischen Zensurbehörde FCC (Federal
Communications Commission) in den gestalterischen Prozess einbeziehen müssen.
Neben solchen externen Größen, die indirekt Einfluss auf die Gestaltungsmöglichkeiten eines
Erzählwerks ausüben, gilt es intrinsische Faktoren in die Betrachtungen mit einzubeziehen, die
unmittelbar mit der Erschaffung der Erzählung an sich in Verbindung stehen. Die Person des
‚creator‘ verdient diesbezüglich gesonderte Aufmerksamkeit. Zahlreiche Produktionen der letzten
Jahre führen neben ‚producer‘, ‚director‘ und dem ‚writer‘ eben einen ‚creator‘ in ihrem Abspann
auf, 15 der sich für die künstlerische Gesamtleitung einer Produktion verantwortlich zeigt und
mitunter die anderen Funktionen in Personalunion repräsentiert. Bisher eher bei Kinofilmen der
Fall (in der Person des Regisseurs), ganz eminent natürlich im europäischen Autorenkino, wird
nun auch die Serie mehr und mehr als die ganzheitliche Kreation eines Autors begriffen, der als
zentrale Schöpfergestalt eine diegetische Welt von der Idee bis zur audiovisuellen Konkretisierung fabriziert und kontrolliert und mit seiner unverwechselbaren Signatur versieht. Es scheint
ein post-postmodernes Verlangen nach dem Autor – als Idealtypus des integren und verständigen
Individuums – zu geben, der die von der Welt emittierten Zeichen im großen Epos in Form und
zur Anschauung bringt und auf diese Weise mit einem ganzheitlichen Sinn füllt.16 Was macht den
Epiker zudem aus? Döblin sieht seine Qualität im Vermögen „dicht an die Realität zu dringen
und sie zu durchdringen“.17 Bei der Betrachtung von Serien wie etwa The Wire (HBO, 2002–2008),
Mad Men (AMC, 2007–) oder Breaking Bad (AMC, 2008–) treten zwei Dinge besonders prominent
hervor.18 Erstens sind die Figuren in einer erstaunlich lebensnahen Schärfe ausgeleuchtet. Die
Helden sind gebrochen, zeigen Schwächen, sind moralisch ambivalent und entwickeln sich im
Verlauf
15
der
Serie.
Zweitens
sind
die
erzählten
Geschichten
–
pointiert
ausge-
Während englische Substantive kein bestimmtes Geschlecht implizieren, ist das im Deutschen bekanntlich nicht
der Fall. Dem Lesefluss und dem Schriftbild zuliebe wird in der Folge bei verallgemeinernden Substantiven jeweils
das Maskulinum verwendet, das immer als die weibliche Form miteinschließend verstanden werden will. Englische
Fachausdrücke werden in einfachen Anführungszeichen eingeführt (‚creator‘) und nachfolgend eingedeutscht (Creator) verwendet. Das Glossar im Anhang übersetzt und/oder erklärt solche Termini.
16
Wobei der Creator nicht im Sinne der romantischen Genieästhetik verstanden werden soll, sondern vielmehr als
Döblins Epiker, der im „Konnex“ mit seinem „Hörerkreis steht“ und aus diesem Wechselverhältnis erst den epischen Stoff schöpfen kann (Döblin: Episches Werk [wie Anm. 7], S. 229).
17
Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 245.
18
Bei der ersten Nennung eines Serientitels werden der erstausstrahlende Sender und der Zeitraum der Erstausstrahlung in Klammern aufgeführt (Angaben aus http://www.imdb.com). Im Fall von HBO sind die Serien vom Sender
selbst produziert. In den meisten anderen Fällen ist der Sender zumindest am Produktionsprozess beteiligt und/oder
delegiert ihn an Produktionsfirmen.
9
drückt – nicht mehr bloß als Füllmaterial zwischen sich jagende Höhepunkte gespannt, sondern
sind Selbstzweck und bilden die reale Welt mit akribischer Genauigkeit und in einem „Strom der
lebenden Sprache“ ab.19 Es ist deshalb angebracht, von neuen Realismuskonzepten zu sprechen
und zu untersuchen, inwiefern sie „die Realität […] durchdringen“, wie Döblin dies vom Epos
fordert.
Komplementär zu den im zweiten Kapitel herausgearbeiteten formalen produktions- und rezeptionsästhetischen Funktionen des Epischen, widmet sich das dritte Kapitel mit der Untersuchung des Science-Fiction-Epos Battlestar Galactica (Sci-Fi Channel, 2003–2009) der Frage nach
dem epischen Stoff und seiner narrativen Gestaltung. Hierfür erweisen sich unter anderem Auszüge aus G. W. F. Hegels Ästhetik als äußerst fruchtbare Basis, da sich Hegel ausführlich mit der
stofflichen Ausgestaltung des Epos entlang der antiken Beispiele Ilias und Odyssee befasst. Die
Geschichte von BSG im Sinne der histoire trägt dann auch Züge von Homers Epen; sie formt
einen eigenen intradiegetischen Schöpfungsmythos und handelt von der selbstverschuldeten Gefahr der Extermination der gesamten Menschheit durch die von ihr selbst geschaffene Roboterethnie der sogenannten ‚Zylonen‘. In der erzählerischen Abwicklung dieser exemplarischen
Konfliktsituation erreicht Battlestar Galactica (BSG) durch spezifisch serielle narrative Techniken
eine Totalität in der Darstellung der diegetischen Welt, die eine maximale Epizität entwickelt und
in dieser Hinsicht in der Serienlandschaft Ihresgleichen sucht. Im Anschluss an die stoffbezogene
und narratologische Untersuchung wird BSG in einem Interpretationsversuch als Allegorie auf
die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit der Gegenwart zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung gelesen und darüber hinaus auf Themen überprüft, die, im Gegensatz zur vermittelnden
Allegorie, unmittelbar auf die „einfachen, großen elementaren Grundsituationen […] des
menschlichen Daseins“20 zeigen.
Das Schlusswort klärt im Resümieren der eingeholten Erkenntnisse, ob die zentralen Fragen
dieser Arbeit beantwortet werden können. Ist die audiovisuelle Serie die neue epische Form und
wird sie den Roman als populärstes Erzählmedium ablösen, ihn gar überflüssig machen? Darauf
folgt ein kurzer Ausblick auf gegenwärtige Trends und mögliche Entwicklungen in der amerikanischen Serienproduktion.
19
20
Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 245.
Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 245.
10
1. Serielles Erzählen
Der Begriff der Serie wird heute selbstredend mit dem Medium Fernsehen in Verbindung gebracht. Vor allem dann, wenn damit ein Erzählvorgang bezeichnet wird, der sich durch eine temporale und thematische Wiederholungsstruktur auszeichnet. Die Rede ist natürlich von der TVSerie, die durch ihre Episodengliederung in den letzten Jahrzehnten zum Hauptgefäß seriellen
Erzählens geworden ist. Sie gilt in der kollektiven Wahrnehmung als der Inbegriff der Serie
schlechthin, was sich auch im allgemeinen Wortgebrauch spiegelt („ich sehe mir heute meine
Lieblingsserie an“). Dieser Umstand täuscht jedoch leicht darüber hinweg, dass die Wurzeln dieser Narrationsform im Bereich der Literatur, oder noch weiter zurückgreifend, in der mündlichen
Erzählung zu suchen sind. Im Metzler Lexikon Literatur findet sich unter dem Stichwort ‚Serie‘ der
folgende Eintrag:
[D]urch die Aufeinanderfolge mehrerer Teile (‚Folgen‘) gekennzeichnete Reihe in den Printmedien (z. B. Fortsetzungsroman), im Radio, Fernsehen oder Internet, die eine übergreifende Struktur und oft einen fortlaufenden
Erzählstrang enthält.21
Mit dem Fortsetzungsroman, auch Feuilletonroman oder Zeitungsroman, wird schon der wichtigste literarische Vertreter der seriellen Erzählform angesprochen. Der Artikelausschnitt benennt
zudem mit der „übergreifende[n] Struktur“, dem „fortlaufenden Erzählstrang“ und der Segmentierung in Einheiten von „Folgen“ die wichtigsten formalen Merkmale, die, unabhängig vom Erzählmedium, eine Serie im Sinne einer Narration konstituieren. Zugleich aber wird eine weitere
wichtige Bestimmung erkennbar: das Format ist nicht an ein bestimmtes Medium gebunden,
sondern existiert gleichzeitig in unterschiedlichen Ausformungen in verschiedenen medialen Bereichen.22 Während der Fortsetzungsroman im deutschsprachigen Raum „[s]eit den sechziger
Jahren […] im Rückzug begriffen“23 ist, entwickelt sich die Popularität der TV-Serie seit dieser
Zeit in umgekehrter Proportion. Im Radio sind serielle Erzählungen heute relativ selten geworden. Eines der wenigen Beispiele, das sich schon seit vielen Jahren hält, ist die Hörspielserie Die
haarsträubenden Fälle des Philip Maloney von Roger Graf. Sie wird von der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalt der Schweiz (DRS) seit 1989 jeweils sonntags gesendet.24 Ansonsten sind im
21
Metzler-Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von DIETER BURDORF/CHRISTOPH
FASBENDER/BURKHARD MOENNIGHOFF u. a., Stuttgart u. a.: Metzler 2007, S. 703, Sp. 2.
22
Der Artikel nennt mit Printmedien, Fernsehen, Radio und Internet die prominenten Medien. Dem ist noch hinzuzufügen, dass die Serie vor allem im letzten Jahrzehnt durch Datenträger wie DVD, CD etc. eine größere Verbreitung erfuhr. Unerwähnt bleibt zudem eine weitere wichtige Form des seriellen Erzählens: der Comic oder in neuerer
Zeit die sog. Graphic Novel.
23
NORBERT BACHLEITNER: Kleine Geschichte des deutschen Feuilletonromans, Tübingen: Narr 1999, S. 164.
24
Die Hörspielserie entstand ursprünglich aus Radiosketchen, in denen Graf in mehrteiligen Kurzserien populäre
Genres parodierte. Philip Maloney ist der klassische Privatdetektiv, der sich an die diesbezüglich prototypische Figur
Philip Marlowe aus den Kurzgeschichten und Romanen Raymond Chandlers anlehnt. Eine Folge dauert zwischen 20
Minuten und einer halben Stunde und wickelt in der Regel einen abgeschlossenen Fall ab.
11
Rundfunk eher abgeschlossene Einzelgeschichten, die nur im weitesten Sinne als Serie gelten
können, gefragt. Als Beispiel hierfür kann der ARD Radio Tatort gelten, der in Deutschland von
mehreren öffentlich-rechtlichen Sendern in unregelmäßigen Abständen ausgestrahlt wird. Vereinzelt treten auf dem Datenträger-Hörspielmarkt auch Serien auf, die es an Popularität mit der
audiovisuellen Serienform aufnehmen können. Die seit 1979 produzierte Detektivserie Die
drei ??? etwa stellt mit über 40 Millionen25 verkauften Tonträgern einen solchen Ausnahmefall dar.
Die angeführte simultane Präsenz der Erzählform in verschiedenen Medien, wenngleich mit unterschiedlichen Popularitätsdynamiken, lässt vermuten, was es in der Folge nachzuweisen gilt:
eine enge, transmediale Verwandtschaft dieser narrativen Technik in ihren wesentlichen formalen
Zügen.
1.1 Ursprünge in der Literatur
Die Zusammenhänge der seriellen Erzählform über die Mediengrenzen hinaus sind in der
deutschsprachigen Forschung ein Gegenstand, dem bisher nur wenig Beachtung geschenkt wurde.26 Während es einige Untersuchungen zu medienspezifischen Gattungen wie etwa dem Fortsetzungs- resp. Feuilletonroman, dem Rahmenzyklus und in neuester Zeit vermehrt zur TV-Serie
gibt, sind universelle und medienübergreifende Arbeiten zur seriellen Erzählform relativ rar.27
CHRISTINE MIELKES Monographie Zyklisch-serielle Narration ist die einzige umfassende deutschsprachige Forschungsarbeit, die sich mit der Entwicklung dieser Erzählform auseinandersetzt.
Ein Großteil der nachfolgenden Darstellungen ist daher ihrer Vorarbeit geschuldet. Wenngleich
sie sich hauptsächlich dem Genre der zyklischen Rahmenerzählung widmet, gelingt es MIELKE,
diese besondere Form der Narration in eine Genealogie des seriellen Erzählens einzureihen, welche die antike Tradition der rhapsodischen Überlieferung über mehrere Stationen bis hin zur
modernen Seifenoper im Fernsehen in eine Sukzessionslinie stellt und damit die enge Verwandt25
Vgl. STEFAN SCHULTZ: Die Pubertätsleiden der ‚Drei ???‘. In: Spiegel Online. Onlineausgabe vom 13.06.2009,
Webadresse: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,630309,00.html, abgerufen am 15.02.2012.
26
Vgl. MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 3.
27
Die einzige erschöpfende Untersuchung zum deutschen Feuilletonroman liefert BACHLEITNER: Feuilletonroman
(wie Anm. 23). Eine ausführliche Untersuchung zur Entstehung und Entwicklung des Feuilletonromans in Frankreich bietet HANS-JÖRG NEUSCHÄFER/DOROTHEE FRITZ-EL AHMAD und KLAUS-PETER WALTER: Der französische
Feuilletonroman. Die Entstehung der Serienliteratur im Medium der Tageszeitung, Darmstadt: Wiss. Buchges. 1986. Daneben
existieren zahlreiche kleinere Arbeiten zur literalen seriellen Narration, meistens zu sehr spezifischen Themengebieten innerhalb der Gattungsdiskussion. Exemplarisch hierfür etwa WOLFGANG BOTH: Science Fiction im deutschen
Zeitungsroman. In: Quarber Merkur 99/100 (2004), S. 209–222. Ein vielversprechendes Forschungsprojekt zur seriellen
Erzählung ist zurzeit an der Universität Göttingen angesetzt. Die DFG-Forschergruppe 1091 Ästhetik und Praxis
populärer Serialität „untersucht über einen Zeitraum von zunächst drei Jahren (2010–2013) in sechs Teilprojekten
einen Erzähltypus, der für die moderne Populärkultur wesensbestimmend ist: die Serie“ (vgl. http://serialitaet.unigoettingen.de/about, abgerufen am 14.2.2012). Die meisten Publikationen aus diesem Projekt erscheinen allerdings
erst im Verlauf dieses Jahres (2012).
12
schaft unter den medienspezifischen Spielarten dieser Erzählstrategie aufzeigt.28
Erste Spuren einer im weitesten Sinne seriellen Erzähltradition verortet MIELKE im orientalischen Mittelalter, wo „ein zahlendes Publikum zu einer Rahmengesellschaft vereint dem mündlichen Vortrag professioneller Unterhaltung lauschte.“ 29 Die Fortsetzung der Geschichte war
schon damals abhängig von der Bezahlung durch die Zuhörer, was den Erzähler natürlich dazu
animierte, den Schluss einer Episode möglichst spannend zu gestalten, ohne jedoch vollständige
Auflösung zu gewähren. Das abrupte Abbrechen der Erzählung am Spannungshöhepunkt ist
auch ein konstitutives Mittel der literalisierten Weiterentwicklung der mündlichen Erzähltradition: der sogenannten zyklischen Rahmenerzählung. Es ist dies eine Subgattung der Rahmenerzählung, die in einer fiktiven Rahmengeschichte die „Ursituation des Erzählens“ simuliert:30 eine
fingierte Gemeinschaft horcht einem Erzähler, der mehrere Geschichten in periodischen Abständen erzählt. Diese Binnengeschichten kreisen im Idealfall um einen „ungenannten, doch stets
im Auge behaltenen Mittelpunkt“, um am Ende „mit rundender Rückkehr zum Ausgangspunkt“ zu schließen.31 Sie können ohne weiteres durch eine Rückkehr zur Rahmengeschichte
unterbrochen werden, bevor die Geschichte zu Ende erzählt ist. Dabei können die einzelnen
Geschichten inhaltlich geschlossen sein, oder aber in einigen thematischen Bereichen gegenseitig
aufeinander verweisen. Der früheste belegte Rahmenzyklus, der den Kontrastierungseffekt des –
in audiovisuellen Medien als ‚Cliffhanger‘ bezeichneten – Erzählabbruches als markantes Stilmittel anwendet, ist die orientalische Erzählungssammlung Tausendundeine Nacht, deren erste Übersetzung ins Arabische aus dem 8. Jahrhundert stammt. „Auf dem Höhepunkt der Spannung wird
eine Geschichte unterbrochen und in der nächsten Nacht zu Ende erzählt.“32 Im Falle dieses
orientalischen Rahmenzyklus’ lassen sich neben zyklischen Elementen, wie die rhythmisierte Abfolge der Erzählsegmente,33 ausgeprägte Aspekte seriellen Erzählens beobachten. Geschichten
werden in ‚Folgen‘ unterteilt und Handlungsstränge können sich dementsprechend über mehrere
28
Vereinzelt wird in der Literatur auf die Verwandtschaftsbeziehung zwischen Feuilletonroman und Seifenoper
hingewiesen, ohne dass sie jedoch explizit nachgewiesen wird. So etwa bei NEUSCHÄFER u. a.: Der französische
Feuilletonroman (wie Anm. 27), Klappentext: „Die Feuilletonromane des 19. Jahrhunderts sind die Vorläufer der heutigen Fernsehserien“ oder GÜNTER GIESENFELD: Serialität als Erzählstrategie in der Literatur. In: Endlose Geschichten.
Serialität in den Medien. Hrsg. von DEMS., Hildesheim u. a.: Olms 1994, S. 1–11, hier S. 3: „Auch der Zeitungsroman
in Fortsetzungen ist als ein Vorläufer der [Fernseh-]Serie anzusehen“.
29
MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 2. HICKETHIER: Serie (wie Anm. 11), S. 397, sieht „die Vorläufer der massenmedialen Serie“ in den „antiken Epen, etwa die Ilias und die Odyssee Homers, die der oralen Überlieferung entstammen und rhapsodisch vorgetragen wurden.“
30
WOLFGANG KAYSER: Das sprachliche Kunstwerk. Eine Einführung in die Literaturwissenschaft, Tübingen u. a.: Francke
1992, S. 201. Zu den zahlreichen Varianten der Gattung Rahmenerzählung siehe exemplarisch ANDREAS JÄGGI: Die
Rahmenerzählung im 19. Jahrhundert. Untersuchungen zur Technik und Funktion einer Sonderform der fingierten
Wirklichkeitsaussage, Bern u. a.: Lang 1994.
31
Art. Zyklus. GERO VON WILPERT: Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart: Kröner 2001, S. 925, Sp. 1.
32
MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 40.
33
Scheherazade, die Erzählerin aus Tausendundeiner Nacht, steigt jeweils mit der untergehenden Sonne in die Erzählung ein und bricht bei Sonnenaufgang ab.
13
Segmente erstrecken. Es handelt sich mit MIELKES Worten um eine zyklisch-serielle Narrationsform, weil sie Elemente beider Strukturen aufweist.34 Der zyklische ‚Anteil‘ besteht hierbei aus
der aus der Rahmenerzählung heraus motivierten periodischen Wechselfolge von Rahmengeschichte und Binnenerzählungen einerseits und der thematischen Rückführung an den Erzählanfang in der Rahmengeschichte andrerseits. Das serielle Moment liegt in der Segmentierung der
Geschichten in ‚Folgen‘ von der Dauer einer Nacht, aber auch in deren Retardierung gegen Morgengrauen hin, die jeweils mit der gleichen Schlussformel vollzogen wird.35
Diese frühe Ausformung seriellen Erzählens bleibt neben dem ähnlich konstruierten, ebenfalls orientalischen Zyklus Das Papageienbuch für lange Zeit einzig in seiner Art. Die nächsten Zeugen einer zyklischen Erzählstrategie, die romanischen Zyklen Dekameron (~1350), Heptameron
(1558) und Pentameron (1634), entbehren größtenteils serieller Elemente und konzentrieren sich
auf die Wiedergabe abgeschlossener Geschichten in einem Erzähldurchgang, also ohne die Binnenerzählung durch eine abrupte Rückkehr zur Rahmenhandlung zu unterbrechen. Erst gegen
Ende des 18. Jahrhunderts wird die Form mit Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten
(1795) mit einem Schlag wiederbelebt und lässt „die zyklische Rahmenerzählung im deutschsprachigen Raum zu einer der wichtigsten Erzählformen des 19. Jahrhunderts avancieren“.36 Die Anlehnung an die zyklisch-serielle Erzählstrategie Scheherazades scheint dabei eine bewusste Wahl
gewesen zu sein, wie eine Bemerkung Goethes in einem Briefwechsel mit Schiller belegt: „überhaupt gedencke ich aber wie die Erzählerinn in der tausend und Einen Nacht zu verfahren.“37
Die Gründe für den Boom der zyklisch-seriellen Rahmenerzählung, der relativ akkurat in die
Zeitspanne zwischen 1795 und 1846 eingegrenzt werden kann, sind komplexer Natur und finden
sich synchron in verschiedenen Bereichen angesiedelt. Auf der ästhetisch-formalen Ebene sieht
MIELKE die Attraktivität dieser Narrationsform „in ihren Möglichkeiten der literarischen Selbstreflexion“ und im „besonderen Spannungsverhältnis[ses] von Rahmen und Binnenerzählungen
34
Zur Grenzziehung zwischen Zyklizität und Serialität siehe MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 40–
49.
35
Der Erzählabbruch in der deutschen Übersetzung von ENNO LITTMANN lautet stets: „Da bemerkte Scheherezâd,
daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.“ Die Fortsetzung beginnt jeweils mit der Formel
„[d]och als die [x-te] Nacht anbrach, fuhr sie also fort: […]“ (Die Erzählungen aus den tausendundein Nächten. 6 Bde.
Übers. von ENNO LITTMANN, Frankfurt/M.: Insel Verlag 1988, Bd. 3, S. 229).
36
ANDREAS BECK: Geselliges Erzählen in Rahmenzyklen. Goethe – Tieck – E. T. A. Hoffmann, Heidelberg: Winter 2008, S.
15. BECK weist daraufhin, dass es sich bei Goethes Rahmenzyklus keineswegs um den ersten seiner Art in diesem
Zeitraum handelt (vgl. BECK: Geselliges Erzählen, S. 14, Anm. 9). Allerdings lässt sich mit dem beginnenden 19. Jahrhundert eine deutliche Popularitätszunahme von Rahmenzyklen nachweisen, die auf die Unterhaltungen zurückzuführen sind. Vgl. dazu MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 441: „Festgestellt werden konnte, dass mit
Goethes ‚Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten‘ die Initialzündung für eine vorher nicht vorhandene Rezeption
und literarische Weiterführung der zyklisch-seriellen Erzähltradition stattfand.“
37
Johann Wolfgang Goethe: Briefe, Tagebücher und Gespräche vom 24. Juni 1794 bis zum 31. Dezember 1799. In: Ders.:
Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände. Hrsg. von VOLKER C. DÖRR und NORBERT OELLERS,
Frankfurt/M.: Dt. Klassiker-Verl. 1998, Bd. II/4 (31), S. 46.
14
[…] und der Binnenerzählungen untereinander.“38 Die Form dieses ‚geselligen Erzählens‘ ist allerdings auch prädestiniert zur Darstellung von „in politischen, sozialen oder krankheitsbedingten
Krisenzeiten erzählenden Figuren“, die eine aktuelle und reale Krisensituation in der fiktiven
Gemeinschaft reflektieren.39 Entscheidend für die rasante Verbreitung und Popularisierung ist
zudem ein tiefgreifender medialer Wandel, welcher seinerseits in einer Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Veränderungen steht, die sich um die Jahrhundertwende anbahnen. Sehr vereinfacht dargestellt, begünstigen die vier Schlüsselphänomene „Bevölkerungsboom, soziale Stratifikation, technische Erfindungen und Industrialisierung“ die Ausbildung einer Massengesellschaft,
die ihrerseits eine Ausdifferenzierung der Medienkultur vorantreibt.40 Der Nachfrage nach Lesestoff für einen immer größer werdenden Leserkreis wird mit größeren Produktionszahlen Genüge getan, die wiederum durch technische Neuerungen erst möglich werden. Das bevorzugte Medium für die Rahmenerzählungen ist daher auch nicht mehr das Buch, sondern die Zeitschrift
oder das Heft, das sogenannte ‚Taschenbuch‘ und später die Zeitung – Druckmedien, die billiger
und in höheren Auflagen produziert werden und deswegen ein größeres Publikum als das klassische Buch erreichen können. Goethes Unterhaltungen beispielsweise werden in Schillers Zeitschrift
Die Horen abgedruckt. Die Einzelgeschichten von E. T. A. Hoffmanns Serapionsbrüder (1813–
1818) erscheinen in verschiedenen Zeitschriften und den Frauentaschenbüchern. Die Literaturproduktion und -rezeption steht mit dem beginnenden 19. Jahrhundert an einem ökonomischen wie
ästhetischen Wendepunkt: die technischen Möglichkeiten gestatten weitaus größere Auflagen,
was einen erweiterten Markt und eine breite Leserschaft zur Folge hat. Mit der erhöhten Leserzahl ändern sich aber auch die Ansprüche an Produktion und Rezeption. Während etwa Die Horen ein intellektuelles und literarisch gebildetes Bürgertum ansprechen, vertreten die etwas später
aufkommenden ‚Taschenbücher‘ „weniger literarischen Anspruch […], als vielmehr Unterhaltung
und Information“.41 Die Wahrnehmung des literarischen Kunstwerks als originäres Einzelstück
verdünnt sich zunehmend in einer Masse des beliebig reproduzierbaren Artefakts. Im ästhetischphilosophischen Diskurs zu jener Zeit wird diese Entwicklung hin zu mehr Unterhaltung und
Affekt äußerst kritisch beäugt und oftmals der Verlust des ästhetischen Wertes und eine Veroberflächlichung moniert. Für Friedrich Schiller etwa ist die Evokation von Affekten
38
MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 154.
MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 451. In Goethes Unterhaltungen bspw. fließt das damals in
Deutschland empfundene Bedrohungsgefühl durch die Nachwirkungen der Französischen Revolution ein.
40
WERNER FAULSTICH: Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter (1830–1900), Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 2004, S. 9.
41
MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 165f. Zu einem ähnlichen Schluss kommen UTE DETTMAR
und THOMAS KÜPPER: Kritik der Gefühlsdarstellung im ausgehenden 18. Jahrhundert. Historische Vorläufer der Kitschdiskussion.
In: Kitsch. Texte und Theorien. Hrsg. von DENS., Stuttgart: Reclam 2007, S. 56–60, hier S. 56: „Um 1800 steigt die Zahl
der Lesefähigen auf rund ein Viertel der Bevölkerung an; das neue Lesepublikum liest zunehmend nicht mehr zur
Erbauung und Belehrung – gefragt sind vielmehr vor allem Romane, die der Unterhaltung und dem Zeitvertrieb
dienen.“
39
15
unter der Würde tragischer Kunst. [...] Die schmelzenden Affekte, die bloß zärtlichen Rührungen, gehören zum
Gebiet des Angenehmen, mit dem die schöne Kunst nichts zu tun hat. Sie ergötzen bloß den Sinn durch Auflösung und Erschlaffung, und beziehen sich bloß auf den äußern, nicht auf den innern Zustand des Menschen.42
Schillers kulturkritische Argumentation ist ein erster Stoß ins Horn der ästhetischen Elite gegen
eine Kunst als Massenprodukt und soll der seriellen Narration in ihren folgenden Entwicklungsstadien, vom Feuilletonroman bis zur Fernsehserie der 1990er-Jahre, in Form einer steten Abwertung paradigmatisch anhaften.
1.2 Strukturelle Entwicklung und mediale Transfers: Feuilletonroman und Seifenoper
Periodika etablieren sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts als ideales Medium für
die zyklisch-serielle Narration. Sie sind mit ihrer hohen, billig herzustellenden Auflagenzahl und
ihrer zyklischen Erscheinungsweise prädestiniert, um immer neuen Unterhaltungsstoff für eine
größer werdende Lesergemeinschaft zu liefern. Der Übergang von der Buchform zur Zeitschrift/Zeitung ist dabei fließend. Mit dem Wechsel in ein neues Medium verändern sich aber
auch formale Aspekte der zyklisch-seriellen Erzählung. Nachdem in Deutschland seit Ende des
18. Jahrhunderts vermehrt Verbindungen von Periodika und Erzählprosa aufgetreten sind,43 findet sich um 1844 eine neue Form in deutschen Tageszeitungen ein, die kurz zuvor in Frankreich
einen steilen Aufstieg erlebt hat: der Feuilleton- oder Fortsetzungsroman.44 Der Feuilletonroman
kombiniert die Stofffülle des Romans mit den bewährten Mitteln der Spannungserzeugung aus
dem Rahmenzyklus: eine Vielzahl ineinander verwobener, fortgesetzter Handlungsstränge und
Cliffhanger, die am Ende einer Folge die Auflösung verzögern. Die kurze Erscheinungsfrequenz
der Tageszeitung liefert kontinuierliche und synchronisierte Unterhaltung: das heißt, die Wahr42
Friedrich Schiller: Theoretische Schriften. In: Ders.: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hrsg. von ROLF-PETER JANZ,
Frankfurt/M.: Dt. Klassiker-Verl. 1992, Bd. 8, S. 427. Der Auszug stammt aus der Schrift Über das Pathetische von
1801.
43
Vgl. BACHLEITNER: Feuilletonroman (wie Anm. 23), S. 35: „Das Vorbild für alle diese publizistischen Unternehmungen hatte Wielands Teutscher Merkur gegeben, in dem unter anderem von 1774 bis 1780 mit großen Unterbrechungen
Die Abderiten erschienen waren.“
44
BACHLEITNER: Feuilletonroman (wie Anm. 23), S. 35, führt an, dass „es letztlich eine Frage der Definition ist, wann
man die Geschichte des deutschen Feuilletonromans beginnen läßt.“ B. nennt den Abdruck der Übersetzung von
Eugène Sues Juif errant in der Leipziger Deutschen Allgemeinen Zeitung im Jahr 1844 als „den ‚ersten‘ nachgewiesenen
Feuilletonroman“ (S. 35f). Markanterweise setzt MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 153f., das Ende
der Boomperiode der zyklischen Rahmenerzählung im selben Zeitraum an: „Denn so abrupt mit Goethes ‚Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten‘ 1795 […] die ‚Renaissance‘ der zyklischen Rahmenerzählung einsetzt, so plötzlich ist sie […] mit Brentanos […] ‚Rheinmärchen‘ (1846) […] an ihr Ende gekommen.“ Zur Geschichte des Feuilletonromans in Frankreich siehe NEUSCHÄFER u. a.: Der französische Feuilletonroman (wie Anm. 27), LISE QUEFFÉLEC: Le
roman-feuilleton français au XIXe siècle, Paris: Presses Univ. de France 1989 und RENÉ GUISE: Le Roman-Feuilleton (1830–
1848). La naissance d’un genre, Nancy: Univ. Diss. 1975. Obwohl das Phänomen der massenhaften Publikation von
Frankreich aus seinen Lauf nahm, kamen wichtige Impulse für die serielle Form in Feuilletons aus England, wo bspw.
Defoes Robinson Crusoe von 1719–1720 in der Original London Post in Fortsetzungen erschien (vgl. BACHLEITNER:
Feuilletonroman [wie Anm. 23], S. 102).
16
scheinlichkeit, dass andere Leute denselben Fortsetzungsroman lesen, und man sich darüber unterhalten kann, ist vor allem bei Zeitungen mit großer Auflage relativ hoch. An diesem Punkt
geht die fiktive Rahmengesellschaft, die im klassischen Rahmenzyklus der Geschichte horcht, in
eine reale, massenmediale Rahmengesellschaft über, die aufgrund der zyklischen Erscheinungsweise simultan rezipieren und sich in Cafés und Salons über die gelesenen Geschichten austauschen kann. Der Verlust des Erzählrahmens ist unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass
aufgrund der gesteigerten Konsumationsgeschwindigkeit nicht mehr erwartet werden konnte,
dass sich die Leser komplizierte Rahmenkonstellationen dauerhaft einprägen. „Relevante Informationen müssen deshalb des Öfteren in den Erzählsegmenten wiederholt werden“ und die Unterschiedlichkeit der Binnenerzählungen im Rahmenzyklus wird „durch eine Bündelung der
Handlungen und Motive der Einzelerzählungen zu einem angereicherten Hauptstrang mit zahlreichen damit verwobenen Nebensträngen“ kompensiert.45 Wie später noch zu sehen sein wird,
sind dies formale Aspekte, die auch die Fernsehserie, besonders die sogenannte ‚Soap Opera‘, bis
Ende des 20. Jahrhunderts auszeichnen.
Der Popularitätsschub des Zeitungsromans ist vor allem seiner mit der ökonomischen Rentabilität für das Trägermedium Hand in Hand gehenden narrativen Struktur zu verdanken. Aufgrund der Segmentierung einer groß angelegten Erzählung in kleinere Einheiten und der Retardierung am Ende einer Folge, die mit Auflösung in der nächsten lockt, können Leser über längere Zeit an das Medium gebunden werden. Eugène Sues Le juif errant, der Folgeroman auf Les mystères de Paris, beschert dem Anfang 1844 noch völlig abgewirtschafteten Constitutionnel einen ungeheuren Anstieg der Abonnentenzahlen. Binnen Jahresfrist kann die Zeitung 19.000 neue regelmäßige Leser akquirieren.46 Die im Feuilleton eingegliederten Romane werden innert Kürze zum
eigentlichen Verkaufsargument für die Zeitungen. Sues Roman wird beispielsweise auch in
Deutschland als Werbemittel eingesetzt, als Ende 1844 die Erneuerung des Abonnements für die
Deutsche Allgemeine Zeitung ansteht:
Die Deutsche Allgemeine Zeitung erscheint auch im Jahre 1845 in bisheriger Weise. Als Feuilleton wird sie in besonderer Beilage die Fortsetzung von Eugène Sues mit immer steigendem Interesse gelesenen Roman Der ewige Jude
gleich nach dessen Erscheinen im Constitutionnel liefern.47
Der Feuilletonteil ist jener Abschnitt der Zeitung, der sich – ab einem gewissen Zeitpunkt zur
besseren Unterscheidung optisch durch einen Strich von der politischen Berichterstattung getrennt – mit den sogenannten ‚faits divers‘, dem ‚Dies und Das‘ des gesellschaftlichen Gesche45
MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 456.
Die Zahl der Abonnenten stieg von 3.000 auf 22.000, was einem Zuwachs von 633% Prozent entspricht. Vgl.
BACHLEITNER: Feuilletonroman (wie Anm. 23), S. 25.
47
Zitiert nach BACHLEITNER: Feuilletonroman (wie Anm. 23), S. 36. Der ‚Import‘ von im Ausland erfolgreichen Romanen verweist „auf die Wechselwirkungen zwischen den ‚nationalen‘ Traditionen des Feuilletonromans, der in
Wahrheit von Anfang an ein international ausgerichtetes Publikationsphänomen war“ (ebd., S. 102).
46
17
hens beschäftigt. Die Artikel im Feuilleton sind dementsprechend auch weniger im Duktus faktual-nüchterner Geschehnisberichte abgefasst, als viel mehr mit literarisch stilisiertem, unterhaltendem Anspruch versetzt.48 Der Feuilletonroman entspricht dieser Tradition. Er spielt sich zwar in
einer dezidiert fiktionalen Sphäre ab, aus der er durch freie Konstruktion seinen Unterhaltungswert schöpfen kann, zeichnet sich jedoch inhaltlich oft durch eine gewisse Nähe zum lokalen
Tagesgeschehen aus, indem, ähnlich wie bei den frühen Rahmenerzählungen, eine Auseinandersetzung mit aktuellen sozialen Problematiken und politischen Geschehnissen stattfindet. Die so
generierte fiktionale Welt bietet aufgrund ihres Aktualitätsbezuges ein umso größeres Identifikationspotential für die Leser.
Mit der Transposition in die Massenmedien beginnt auch die Abwertung der seriellen Narration in Form des Feuilletonromans durch den etablierten Kulturbetrieb zur ‚Massenware‘ geringen ästhetischen Wertes. Moniert wird dessen Tendenz zu gefühlsdominierten, handlungsverkürzten, stereotypen und melodramatischen Darstellungen, die auf eine einfache und offensichtliche Art die Identifikation des Rezipienten mit den Figuren und ihren Abenteuern erheischen
und so dessen ‚Mitleiden‘ antreiben wollen – einzig zum Zweck der pekuniär motivierten Leserbindung. Dem Erfolg des Feuilletonromans tut dies indes keinen Abbruch. Als am 1. Januar 1850
in Deutschland das staatliche Anzeigenmonopol fällt, verschärft sich die Konkurrenzsituation
zwischen den einzelnen Herausgebern von Zeitungen, und mehr denn je wird „als Garantie zur
Publikumsbindung vor allem auf den Fortsetzungsroman“ gesetzt.49 Während sich in den angelsächsischen und romanischen Ländern die Bedeutung des Zeitungsromans im Lauf der Jahrzehnte marginalisiert, hält sich diese Form der Literatur in Deutschland bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts.50 Mit dem Erfolg bleibt aber auch die Geringschätzung der seriellen Narration durch
Instanzen des ästhetisch-philosophischen Diskurses erhalten, die bis zum Ende des 20. Jahrhundert anhält. Das tiefe Misstrauen gegenüber der seriellen Form wirkt sich in Deutschland entscheidend auf die Entwicklung dieser Erzählstrategie hierzulande aus. Während sich in Nordamerika mehrstufige mediale Transfers vollziehen, verliert die serielle Narration in Deutschland mit
dem graduellen Niedergang des Feuilletonromans bis in die 1960er-Jahre an Relevanz, und wird
erst mit dem Import amerikanischer TV-Soap Operas ab den 1980er-Jahren restituiert.
48
Die Mischform einer stilisierten und unterhaltenden Berichtersterstattung spiegelt sich im damaligen wie heutigen
Sprachgebrauch am Begriff ‚Feuilletonstil‘. Vgl. Neues Konversations-Lexikon. Hrsg. von HERMANN JULIUS MEYER,
Hildburghausen: Bibliograph. Inst. 1867, S. 768, Sp. 2: „die leichte, anmuthige Schreibweise, welche mehr durch
leichte, gefällige Darstellung, als streng künstlerische Behandlung und Durchführung das Interesse des Lesers zu
fesseln sucht“ und Duden. Bd. 5: Das Fremdwörterbuch: Mannheim u. a.: Dudenverl. 2007, S. 321, Sp. 1: „unterhaltender,
geistreich-witziger Stil“.
49
MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 471.
50
Vgl. GERHARD ECKERT: Stiefkind der Literatur: Der Zeitungsroman. In: Der Journalist: Handbuch der Publizistik 3 (1957),
S. 171–178, hier S. 171: „Nicht weniger als 10 000 Romane im Jahr ist, bescheiden gerechnet, der Jahresbedarf der
Presse in der Bundesrepublik und Berlin. Vor zwanzig Jahren [1937, S. J.] rechnete man für das damalige Reichsgebiet sogar mit 29 000 Romanen […]. Ihre Leserschaft geht in die Millionen.“
18
„[D]ie amerikanische Populärkultur [hat] nach dem Fortsetzungsroman zwei in deutschen
Medien fast nicht existente Medientransfers der zyklisch-seriellen Narration aufzuweisen.“51 Es
handelt sich dabei erstens um die oft sehr actionreichen Kino-Serials, welche ab 1910 die Segmentierung der Erzählung in Folgen, die periodische Publikation und den abrupten Erzählabbruch des Fortsetzungsromans erstmals in die visuelle Darstellungsform transferieren und damit
einen wichtigen Entwicklungsschritt zwischen schriftlicher und audiovisueller Erzählung darstellen. Die Phase der Kino-Serials dauert indes nur relativ kurz an und wird ab den 1920er-Jahren
von dem neu aufkommenden und sich rasant verbreitenden Massenmedium des Hörfunks abgelöst, wo schon früh Fortsetzungshörspiele in der Tradition sogenannter ‚instalment novels‘ in
auditiver Form umgesetzt werden.52 Die amerikanischen Radiostationen sind zu diesem Zeitpunkt, im Gegensatz etwa zu Deutschland, wo der Hörfunk lange ausschließlich staatlich finanziert und inhaltlich gestaltet wird, in den Händen privater Geldgeber. Um ihr Geld gut investiert
zu wissen, müssen die Sponsoren sicher gehen können, dass die Werbung möglichst viele Hörer
für eine möglichst lange Zeitspanne erreicht. Die angeführten Fortsetzungshörspiele liefern dazu
eine grundsätzlich geeignete Form, die sich in den Printmedien bereits genügend bewährt hat. Ihr
‚Nachteil‘ ist einzig, dass sie absehbar an ein erzählerisches Ende führen, das Publikum also mit
viel Aufwand an eine neue Geschichte gewöhnt werden muss. Mit Ma Perkins kommt 1933 eine
von einem Seifen- und Waschmittelhersteller finanzierte Hörspielserie auf den Markt, die diesem
Problem Abhilfe schafft, indem sie potenziell auf Endlosigkeit ausgelegt ist. Sie berichtet episodisch abgeschlossen und hauptsächlich in Dialogform von den täglich zu lösenden Problemen
der allein erziehenden Mutter Ma Perkins. Dabei findet die Erzählstimme der zyklischen Rahmenerzählung wieder Aufnahme in das Format. Sie führt die Hörerinnen – die reale Rahmengesellschaft – in das alltägliche, häusliche Milieu von Ma Perkins ein, das dem Zielpublikum, der
amerikanischen Hausfrau, ein „hohes Identifikationspotential“ bietet und begleitet sie durch die
Erzählung, ohne natürlich punktuell auf die Implementation der Vorzüge des Seifenpulvers der
51
MIELKE: Zyklisch-serielle Narration (wie Anm. 12), S. 481. JENNIFER HAYWARD: Consuming Pleasures. Active Audiences
and Serial Fictions From Dickens to Soap Opera, Lexington, Ky.: Univ. Press of Kentucky 2009, S. 84f., sieht im Comic
Strip, der an der Wende zum 20. Jahrhundert entsteht, einen zusätzlichen Zwischenschritt in der transmedialen Entwicklung der seriellen Erzählung.
52
In einem stärkeren Maße als auf dem ‚alten Kontinent‘ hing in den USA die literarische Produktion und Rezeption
von Romanveröffentlichungen in Periodika als sog. ‚instalments‘ (Fortsetzungen) ab. Heutige Klassiker der amerikanischen Literatur wie Harriet Beecher Stowes Uncle Tom’s Cabin (1851), Herman Melvilles Bartleby the Scrivener (1853),
Mark Twains Huckleberry Finn (1885) oder Henry James’ Tragic Muse (1890) erschienen zuerst alle in monatlichen
Fortsetzungen. Obwohl auch hier die Kritik dieser Form eher abwertend gegenüberstand, kommt MICHAEL LUND:
America’s Continuing Story. An Introduction to Serial Fiction, 1850–1900, Detroit: Wayne State Univ. Press 1993, S. 21f.
zum Schluss: „The sheer number of significant authors and works first appearing in parts from 1850 to 1900 suggests that a central mode of the American literary tradition was the serial form, the continuing story.“ Es gibt Hinweise darauf, dass die serielle Form u. a. aus Europa ‚importiert‘ wurde. Etwa mit den französischsprachigen Fortsetzungsgeschichten im Le Courrier de la Loiusiane, der von Jérôme Bayon herausgegeben wurde (vgl. CLINT BRUCE:
Caught beween Continents. The Local and the Transatlantic in the French-Language Serial Fiction of New Orleans’ Le Courrier de la
Louisiane, 1843–45. In: Transnationalism and American Serial Fiction. Hrsg. von PATRICIA OKKER, New York u. a.:
Routledge 2012, S. 12–35).
19
sponsernden Firma zu verzichten.53 Das Genre der Soap Opera, der Seifenoper, ist geboren.
Die Produktion von Radio-Seifenopern steigt nach Ma Perkins rasant an. 1939 produziert derselbe Waschmittelkonzern (Proctor & Gamble) 22 Serien für den Rundfunk, ein Jahr später sind
es schon 64. Der Transfer in das neue Medium bringt wiederum formale, funktionale und produktionstechnische Veränderungen für die Form der Narration mit sich. Da es sich bei den Radio-Seifenopern primär um eine Werbesendung für ein bestimmtes Produkt in Gestalt einer zyklischen Rahmenerzählung handelt, wird auch die Konflikt- und Problemlösung innerhalb der
Diegese meist über das beworbene Produkt abgehandelt. Während im klassische Rahmenzyklus
die Binnengeschichten selten miteinander verbunden sind, ob thematisch oder auf der Figurenebene, tritt in jeder Episode der Seifenoper, ähnlich wie bei Feuilletonroman, stets dasselbe Figurenrepertoire im selben Milieu auf. Die Handlungsstränge sind allerdings, im Gegensatz zum
Feuilletonroman, noch sehr einfach konstruiert und in der Regel auf die einzelne Episode begrenzt. Die auftretenden Konflikt- und Problemsituationen variieren nur leicht und sind bei einer
„Überbetonung und Stilisierung menschlicher Gefühle“ oft mit melodramatischen Elementen
durchsetzt.54 Darüber hinaus führt die tägliche Sendefrequenz zu einem relativ hohen Produktionsaufwand. Zeichnen sich für die Erzeugung eines Rahmenzyklus’ oder Fortsetzungsromans in
der Zeitung üblicherweise einzelne Autoren verantwortlich, werden die Episoden von Seifenopern zwar von einem ‚head writer‘ supervisiert, hinter ihm versammelt sich indes eine große
Anzahl von Autoren, die arbeitsteilig Geschichten produzieren.55
Das Genre hält sich etwa zwei Jahrzehnte lang in seinem Medium, dem Hörfunk. Es kann
angesichts der Beschreibung von vorangegangenen Entwicklungen nicht mehr überraschen, dass
der kommerzielle Höhenflug der Radio-Soap abermals von einer technischen Innovation beendet
resp. von ihr einverleibt wird. Gegen Ende der 1940er-Jahre wird das Format vom inzwischen
für die breite Masse sendenden Fernsehen übernommen. 1952 steigt Proctor & Gamble mit The
Guiding Light (CBS, 1952–2009), einer bis dahin erfolgreichen Radiosoap, in die Seifenopernproduktion beim Fernsehen ein.56 Nach sukzessivem Rückgang der Sendezeiten ab diesem Zeitpunkt
weicht die Soap Opera aus dem Lautsprecher um 1960 gänzlich der Bildfläche des Fernsehers.57
53
HANNE LANDBECK: Generation Soap. Mit deutschen Seifenopern auf dem Weg zum Glück, Berlin: Aufbau Verl. 2002, S. 42.
HANS J. KLEINSTEUBER: Die Soap Opera in den USA. Ökonomie und Kultur eines populären Mediums. In: Amerikanische
Einstellung. Deutsches Fernsehen und US-amerikanische Produktionen. Hrsg. von IRMELA SCHNEIDER, Heidelberg: Carl
Winter 1992, S. 136–156, hier S. 138. Vgl. dazu auch LANDBECK: Generation Soap (wie Anm. 53), S. 46.
55
Dem ‚head writer‘ als der gesamtkünstlerischen Leitung einer Serienproduktion begegnet man in konzentrierter
Form im Creator der neueren amerikanischen TV-Serien wieder (siehe Kapt. 2.3).
56
Vgl. LANDBECK: Generation Soap (wie Anm. 53), S. 47. The Guiding Light ist wohl die am längsten produzierte, täglich erschienene Fernsehserie aller Zeiten. Nach weit über 15.000 Folgen wurde im September 2009 die letzte Episode ausgestrahlt. In Deutschland wurde die Serie als Die Springfield Story ab 1986 gesendet. Zugleich zeigt sich an diesem Beispiel, dass sich der Transfer vom Radio zum Fernsehen relativ einfach und linear vollzog.
57
Vgl. MADELEINE EDMONDSON und DAVID ROUNDS: The Soaps. Daytime Serials of Radio and TV, New York: Stein
and Day 1973, S. 119.
54
20
1.3 Formen seriellen Erzählens in amerikanischen TV-Serien von 1950–1990: ‚serials‘ und ‚series‘
Die zyklische, meist tägliche Erscheinungsfrequenz, die potentielle Endlosigkeit der Diegese, der
Fortsetzungscharakter und das oftmals familiäre Handlungsmilieu halten sich als Aspekte der
Seifenoper beim Transfer zum Fernsehen ebenso wie der Dialog als zentrales dramaturgisches
Mittel. Doch mit der Visualität des neuen Mediums wird die Erzählstimme nach einer kurzen
Renaissance im Radio obsolet. Ein ‚establishing shot‘ kann die einführenden Worte des Erzählers
ersetzen, eine ‚close-up‘-Einstellung die Reaktion einer Figur auf die Aussage einer anderen ohne
zusätzlichen Kommentar vermitteln. Darüber hinaus muss die Werbung auch nicht mehr als integraler Bestandteil der Erzählung platziert, sondern kann als gesonderte „kleine Erzählung“ am
Anfang, Ende oder auch während der Folge eingespielt werden.58 Die Abspaltung des Werbeinhaltes von der Diegese ist folgenreich für die weitere Entwicklung serieller Erzählungen im Fernsehen. Die Drehbuchschreiber haben fortan mehr Freiheiten in der inhaltlichen und formalen
Gestaltung, weil das nun indirekt beworbene Produkt nicht mehr als Baustein in die Narration
eingebunden werden muss. Die Folge davon ist eine freiere Entwicklung von Formen des seriellen Erzählens – am eminentesten in Gestalt von nicht mehr auf die Episode begrenzten, sondern
fortgesetzten Handlungsbögen – die sich sukzessive über die Jahrzehnte hinweg niederschlägt.
Obwohl das besprochene Format der Soap Opera als das Transferformat vom Hörfunk zum
Fernsehen gelten kann, ist sie vor allem in den Anfangsjahren des breitenwirksamen Fernsehens
in den USA, also Ende der 1940er und zu Beginn der 1950er-Jahre, eher eine Ausnahmeerscheinung. Als erfolgreicher zeichnen sich die sogenannten ‚live anthology dramas‘ aus, die ebenfalls
zuerst im Radio populär werden. Es handelt sich dabei um eine Art Livetheater, das jede Woche
eine abgeschlossene und eigenständige Geschichte vorführt und in Echtzeit im Fernsehen übertragen wird.59 Die Aufführungen sind weder inhaltlich noch strukturell miteinander verbunden,
zeigten also keinerlei fiktionsinterne Kontinuität auf, weswegen das serielle Moment einzig im
übergeordneten Format der Sendung an sich liegt, was sich schon in der Bezeichnung ‚Anthologie‘, also einer mehr oder weniger arbiträr zusammengestellten Sammlung, spiegelt. Die Anthology Shows erfreuen sich großer Beliebtheit und erweisen sich für die TV-Stationen als geeignete
Form, um die schnell anwachsenden Zuschauerzahlen in einem sich ebenso rasch entwickelnden
Konkurrenzfeld für sich zu gewinnen.60 Im Unterschied zu den Soap Operas, mit ihren kompli58
LANDBECK: Generation Soap (wie Anm. 53), S. 48.
Vgl. THOMPSON: Golden Age (wie Anm. 3), S. 21. Dass die Shows eng mit der Tradition des Theaters verbunden
waren, aber auch das Sponsoringmodell der Soap Opera übernahmen, lässt sich aus deren Namensgebungen ablesen:
bspw. Kraft Television Theater (1947–1958), The Ford Theater (1948–1957) oder Philco and Goodyear Playhouses (1948–1955).
Vgl. ANNA EVERETT: ‚Golden Age‘ of Television Drama. Onlineportal von The Museum of Broadcast Communications.
Webadresse: http://www.museum.tv/eotvsection.php?entrycode=goldenage, abgerufen am 12.3.2012.
60
Die Zeit, in der die Anthology Shows hohe Popularität genossen (etwa 1947–1960), wird aus heutiger Sicht oft als
59
21
zierteren und sich in der Regel über mehrere Folgen hinziehenden Handlungssträngen, gestattet
die episodische Erzählweise auch jenen Zuschauern die Immersion in die Geschichte, die sich
nur unregelmäßig zuschalten können.
Im selben Zeitraum tauchen die Serien auf, die der heutigen Vorstellung des Begriffes eher
entsprechen. I Love Lucy (CBS, 1951–1957), The Adventures of Rin Tin Tin (ABC, 1954–1959) oder
Lassie (CBS, 1954–1974) übernehmen beispielsweise die geschlossene Form der Narration in Episodenform, schaffen jedoch eine über die Einzelfolge hinausreichende diegetische Welt und arbeiten mit demselben Figurenensemble, das in jeder Folge ein neues Abenteuer, einen neuen
Kriminalfall oder eine neue Liebesaffäre zu bewältigen hat. Die Rezipienten können sich so mit
einer immer gleich bleibenden fiktiven Grundkonstellation anfreunden und sich leicht mit ihr
identifizieren. Gleichzeitig liefert jede Folge in ihrer „hochgradig formelhaften“ Handlungsstruktur neuen Nervenkitzel und wartet mit einer Konklusion am Ende auf.61 Diese sogenannten ‚series‘ – also episodisch abgeschlossene Geschichten mit gleichbleibender Figurenkonstellation –
bilden den einen Pol eines Spektrums, mit dem die Film- und Fernsehwissenschaften die grobe
narrative Bauweise von Serien beschreiben. Ihre episodische Abgeschlossenheit hat jedoch auch
zur Folge, dass kein ‚natürliches‘ zeitliches Erzählkontinuum entstehen kann. Auch wenn in jeder
Folge die gleichen Figuren in der gleichen narrativen Welt agieren, so haben sie doch „keine Erinnerung und keine Geschichte.“62 Jede Episode stellt einen beliebigen Ausschnitt einer Zeit dar,
der narrativ in keine temporale Sukzession eingegliedert ist, weswegen die Serie prinzipiell unendlich fortgeführt werden kann. So besitzen Series-Figuren selten kohärente Tiefe und entwickeln
sich in der Regel gar nicht, sondern stellen fixierte Charaktertypen dar. Formal ist die Series Episode von klassisch-aristotelischer Ausprägung: die innerhalb einer Folge erzählte Geschichte hat
‚Golden Age‘ der amerikanischen Fernsehgeschichte bezeichnet (THOMPSON: Golden Age [wie Anm. 3], S. 21: „It is
the anthology drama, however, that is perhaps most associated with the Golden Age of television“). Die Liveaufführung war damals eine Innovation, der es trotz der Fehler, die in Livesendungen unvermeidbar sind, nicht an Qualität
mangelte. Die Zuschauer fühlten sich durch die Aktualität des Geschehens und des Gefühls, dass jederzeit alles
passieren konnte, eingebunden (vgl. THOMPSON: Golden Age [wie Anm. 3], v. a. S. 11–13 u. 20–24). Die spätere Unterscheidung ‚Quality TV‘ vs. ‚regular TV‘ ist wesentlich auf die Anthology Shows zurückzuführen. Die Assoziation
mit der ‚höheren‘ Kunstform Theater, und somit der Anerkennung seitens ästhetischer Wertungsinstanzen, trug zu
einer Abgrenzung zu anderen TV-Shows bei (vgl. JANE FEUER: HBO and the Concept of Quality TV. In: Quality TV.
Contemporary American Television and Beyond. Hrsg. von JANET MCCABE und KIM AKASS, London u. a.: Tauris 2007, S.
145–157, hier S. 146).
61
SARAH KOZLOFF: Narrative Theory and Television. In: Channels of Discourse, Reassembled. Television and Contemporary
Criticism. Hrsg. von ROBERT C. ALLEN, London u. a.: Routledge 1993, S. 67–100, hier S. 72 [Übers. S. J.]. Der dramatische Bogen folgte oftmals dem klassischen Hollywoodparadigma von Gleichgewicht, gefolgt von einer Störung des
Gleichgewichts bspw. durch einen Konflikt, dann Restitution des Gleichgewichts und schließlich Wiedererlangung
des Status quo am Ende. Zum Hollywoodparadigma vgl. DAVID BORDWELL/JANET STAIGER und KRISTIN
THOMPSON: The Classical Hollywood Cinema. Film Style & Mode of Production to 1960, London: Routledge 1988, v. a. S.
174–193.
62
KOZLOFF: Narrative Theory (wie Anm. 61), S. 91 [Übers. S. J.]. In der Comicserie The Simpsons (FOX, 1989–) tritt
die Geschichtslosigkeit der Figuren im Umstand, dass sie seit 1989 kein bisschen gealtert sind, besonders augenfällig
in Erscheinung.
22
einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, und sie wird linear erzählt.63 In der Aneinanderreihung
von Series-Episoden lassen sich ihre zentralen narrativen Strukturaspekte identifizieren: Wiederholung und leichte Variation.64 Bei der ‚serial‘ hingegen – dem anderen Pol des erwähnten Spektrums – schreitet die Handlung in meist multiplen Bögen von Folge zu Folge fort. Auflösung im
Verlauf einer Episode ist kein Imperativ, die Figuren altern und entwickeln sich über die Zeit
hinweg, und Handlungen stehen meistens in kausalem Zusammenhang mit vergangenen Ereignissen, die dem Zuschauer mit narrativen Mitteln wie der Analepse (‚flashback‘), also nichtlinearem Erzählen, in Erinnerung gerufen werden. Redundanz und Wiederholung werden so zum
kennzeichnenden Stilmittel der Narration von Serials. Die Kontinuität der erzählten Geschichte
lässt auch den aus dem Feuilletonroman bekannten Cliffhanger für die Serial zum beliebten narrativen Baustein werden, der die Zuschauerbindung nach bekannten Mustern garantiert: am Ende
der Folge läuft ein Handlungsstrang einem Höhepunkt entgegen, um dann kurz zuvor abzubrechen und mit einem „Fortsetzung folgt“ auf die nächste Folge zu vertrösten.
Die Kategorisierung von Fernsehserien in Series und Serials wird in vielen Arbeiten, die sich
mit der Struktur von Serien beschäftigen, abgerufen und scheint auf den ersten Blick einleuchtend und klar – allerdings ist sie eine idealisierende Hilfskonstruktion, wie sie in Wirklichkeit nur
selten oder nie in Reinform auftritt.65 Der Serienklassiker Star Trek (NBC, 1966–1969) etwa
scheint eindeutig einer episodisch gebundenen Erzählstruktur zu folgen. Jede Episode erzählt ihr
eigenes Abenteuer – sei es ein Angriff der Klingonen, eine Verschwörung auf der Enterprise oder
der Besuch eines unbekannten Planeten –, das, der Zuschauer kann dies erwarten, im Verlauf der
50 Minuten Spielzeit gelöst wird. Gleichzeitig wird jedoch, unabhängig von der einzelnen Episode, ein meist unausgesprochen bleibendes, übergeordnetes Ziel angestrebt: die Rückkehr zur Er-
63
Aristoteles: Poetik. Übers. von Arbogast Schmitt. Hrsg. von HELLMUT FLASHAR. In: Aristoteles. Werke in deutscher
Übersetzung. 33 Bde. Hrsg. von HELLMUT FLASHAR und CHRISTOF RAPP, Berlin: Akademie Verl. 2008, Bd. 5, S. 12
[1450b28]: „Ein Ganzes aber ist, was Anfang, Mitte und Ende hat.“
64
In der narrativen Struktur der Krimiserie Columbo (NBC, 1971–2003) beispielsweise spiegelt sich der Wiederholungsaspekt deutlich im stets gleichen Aufbau der Episode. Zu Beginn wird der Mörder bei seiner Tat gezeigt, der Zuschauer weiß mehr als der Ermittler. Die Haupthandlung zeigt, wie Inspektor Columbo dem Mörder Schritt für
Schritt auf die Spur kommt. Entgegen dem Eindruck, der sein Äußeres vermittelt, ist Columbo ein kühl deduzierender Geist, der mit seiner demonstrativ zur Schau gestellten Schusseligkeit den Verbrecher in falscher Sicherheit wiegt,
um ihn so in eine Falle zu locken. Die Variation dieses Schemas kann etwa darin bestehen, dass der Zuschauer am
Anfang durch vermeintliche Indizien, die eine unschuldige Person als Täter suggerieren, auf eine falsche Fährte gelockt wird.
65
Die Kategorien Series und Serial werden von JOHN ELLIS: Visible Fictions. Cinema, Television, Video, London u. a.:
Routledge 1982, S. 145–159, erstmals aufgegriffen. KOZLOFF: Narrative Theory (wie Anm. 61), v. a. S. 89–94, beschreibt sie zum ersten Mal systematisch. Zahlreiche neuere Arbeiten übernehmen ihre Vorgabe. So etwa GABY
ALLRATH/MARION GYMNICH und CAROLA SURKAMP: Introduction: Towards a Narratology of TV Series. In: Narrative
Strategies in Television Series. Hrsg. von GABY ALLRATH und MARION GYMNICH, Basingstoke u. a.: Palgrave Macmillan
2005, S. 1–43, v. a. S. 5f.; MAZDON: Histories (wie Anm. 1), S. 8–10 und GLEN CREEBER: Serial Television. Big Drama on
the Small Screen, London: BFI Publ. 2004, S. 11. Die aufgeführten Untersuchungen weisen einstimmig darauf hin, dass
für eine aussagekräftige Analyse zeitgenössischer Serien die strikte Trennung der beiden Kategorien nicht mehr haltbar ist. So etwa MAZDON: Histories (wie Anm. 1), S. 9: „The contemporary series/serial […] is a hybrid form which
combines elements of both the series and the serial“.
23
de. Eine rein episodengebundene Form der Narration ist hier also nicht mehr gegeben. Obwohl
nur in leichtem Maße, so handelt es sich genau genommen um eine Misch- oder Hybridform,
wenngleich es zu beachten gilt, dass die Series-Form klar die prominentere ist. Auch wenn die
frühen amerikanischen Serien eher zur Series-Form tendieren, zeigen sie mehr oder minder ausgeprägt immer auch Aspekte serieller Narration im Sinne einer Serial auf. Im Verlauf der Zeit
kehren sich die Vorzeichen um, und ab Ende der 1970er-Jahre ist eine generelle Dominanz der
Serial-Form zu beobachten.66 Als vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung lässt sich sicherlich
die Familiensaga Dallas (CBS, 1978–1991) anführen, die Vorbild für weitere Serien von ähnlicher
Form war (bspw. Dynasty, ABC, 1981–1989 oder Falcon Crest, CBS 1981–1990). Inhaltlich und
dramaturgisch zwar an die Soap Opera angelehnt, entwickeln diese Erzählungen aufgrund ihrer
deutlich zwischen den langen Handlungsbögen hervortretenden episodischen Tendenzen schon
relativ komplexe Erzählstrukturen.67 Diese strukturell hybride Form wird fortan auch von anderen ‚prime time serial‘-Genres wie Polizei- (Hill Street Blues), Mystery- (The X Files, FOX 1993–
2002) oder Science-Fiction-Serien (Star Trek: The Next Generation, CBS 1987–1994) adaptiert und
weiter entwickelt und bildet sozusagen das Substrat, auf dem die späteren Serien des Quality Television gedeihen werden.68
Der historische Längsschnitt zeigt die serielle Narration als bewährten Expansionskatalysator für
neue mediale Formen, die sich während kulturellen, technologischen und kommerziellen Veränderungsschüben zu etablieren versuchen. Über die Zeit hinweg und durch verschiedene Medientransfers hindurch entwickeln und verfeinern sich ihre Erzählstrategien, die sich vor allem durch
ihre hohe Funktionalität für den kommerziellen Erfolg des Trägermediums auszeichnen. Neu
aufkommende Formate integrieren dabei vorhergehende, typisierte Erzählstrukturen, kumulieren
sie und wandeln sie um, damit sie den Anforderungen ihres Mediums entsprechen. Ab dem Zeitpunkt, wo serielle Erzählungen in Massenmedien erscheinen, ist eine starke Bindung der Erzählstruktur an das jeweilige Medium zu beobachten. Der Feuilletonroman wie auch die Seifenoper in
Hörfunk und Fernsehen operieren gleichermaßen mit Retardierungen am Ende einer Erzählsequenz, den Cliffhangern, um Leser für ein neues Abonnement zu motivieren resp. Zuhörer und
Zuschauer während Werbeeinspielungen am Apparat zu halten. Vor allem für die Fernsehserie,
66
OMAR CALABRESE: Neo-Baroque: A Sign of the Times. Übers. von Charles Lambert, New Jersey: Princeton Univ.
Press 1992, S. 27–46, beschreibt fünf narrative Prototypen von amerikanischen TV-Serien, die ausgehend von der
Series-Form um 1950 linear zur Serial-Form um 1980 [mit Dallas, S. J.] evolvieren, welche von diesem Zeitpunkt weg
die dominantere Serienform darstellt.
67
Vgl. ANGELA NDALIANIS: Television and the Neo-Baroque. In: The Contemporary Television Series. Hrsg. von MICHAEL
HAMMOND und LUCY MAZDON, Edinburgh: Edinburgh Univ. Press 2005, S. 83–101, hier S. 98. NDALIANIS konstatiert den Serien dieser Zeit eine „greater slippage between previously distinct systems: episode stories continue into
other episodes and across series“.
68
Vgl. MITTELL: Narrative Complexity (wie Anm. 6), S. 33, Sp. 1: „The programs of the 1990s and beyond build on
1980s innovations by expanding the role of story arcs across episodes and seasons.“
24
die eng in einen rigiden Programmkontext eingebunden ist, bedeutet dies, dass „[d]as Strukturprinzip des Programms […] zum Strukturprinzip der Produkte“ wird.69 Die daraus resultierende
antizipierbare, weil formelhafte Erzählweise mit oft fixierten Charaktertypologien ist neben der
arbeitsteiligen Massenproduktion und der inhaltlichen Neigung zu Melodramatik und Affektauslösung Grund für die abwertende Behandlung durch die Kunstkritik und den Nimbus des Trivialen, die der seriellen Erzählung seit dem Zeitalter der Massenmedien zum Teil bis heute anhaften.
2. Audiovisuelles serielles Erzählen im 21. Jahrhundert: Neue Formen der Produktion
und Rezeption
2.1 Neue Medien – Die DVD-Box im Bücherregal und eine bloggende ‚Rahmengesellschaft‘
Die historiographische Aufarbeitung der seriellen Erzählung im ersten Kapitel hat veranschaulichen können, dass technische Innovationen wie Buchdruck, Rundfunk und Fernsehen einen
direkten Einfluss auf narrative Strukturen und Rezeptionsgewohnheiten hatten. Die letzten fünfzehn Jahre sind in dieser Hinsicht mit der Entwicklung neuer Datenträger und dem Ausbau des
World Wide Web von grundlegenden Veränderungen der allgemeinen medialen Voraussetzungen
geprägt. Diese zwei Beispiele können den medialen Wandel in dieser Zeitspanne freilich nicht
erschöpfend erklären, doch spielen sie, so die Hypothese, die in diesem Unterkapitel erhärtet
werden soll, eine Schlüsselrolle in der Veränderung der Produktions- und Rezeptionsvoraussetzungen, die epische Serien ermöglichen.
Dass bewegte Bilder auf Datenträgern gespeichert werden können, ist an sich keine Neuheit.
Schon seit Mitte der 1970er-Jahre kann man mit der VHS-Videokassette und dem dazu passenden Aufnahme- und Abspielgerät zu Hause Fernsehprogramme aufzeichnen oder sich aus der
Videothek ausgeliehene Filme anschauen.70 Trotz des sperrigen Formats, der kurzen Lebensdauer,
der mit jedem Abspielen abnehmenden Ton- und Bildqualität und des begrenzten Speicherplatzes von ca. zwei Stunden Spieldauer wird die VHS-Kassette für längere Zeit zum kommerziell
erfolgreichen Speichermedium für Kinofilme; für Langformate wie komplette Serienstaffeln ist
sie hingegen gänzlich ungeeignet.71 Die Situation ändert sich mit der Entwicklung der Digital
Versatile Disc (DVD) Mitte der 1990er-Jahre. Mit einem Speichervolumen von rund 4,5 Giga69
KNUT HICKETHIER: Die Fernsehserie und das Serielle des Fernsehens, Lüneburg: Kultur-Medien-Kommunikation 1991,
S. 12.
70
DEREK KOMPARE: Publishing Flow: DVD Box Sets and the Reconception of Television. In: Television and New Media 7/4
(2006), S. 335–360, hier S. 344: „The […] VHS cassette has been around since 1976“.
71
KOMPARE: Publishing Flow (wie Anm. 70), S. 342 rechnet aus, dass die 202 Folgen der Serie The X-Files (FOX,
1993–2002) auf VHS-Kassetten gespeichert gute drei Meter Regal einnehmen würden.
25
byte und der Größe einer herkömmlichen Musik-CD kommt mit der DVD ein Speichermedium
auf den Markt, das in einem probaten Format potenzierte Möglichkeiten bietet. Als der amerikanische Network-Sender FOX im Jahr 2000 die erste Staffel von The X Files (FOX, 1993–2002)
als DVD Box-Set anbietet, wird eine neue Ära der Seriendistribution eingeläutet: „By late 2001, it
had become the standard method for releasing television series on DVD.“72
Auf der Rezeptionsseite bringt die Ablösung der Serie vom Medium Fernsehen nun veränderte Voraussetzungen für die Immersion in die erzählte Geschichte mit sich. Die Ausstrahlung über
das Fernsehen bindet den Zuschauer an eine gewisse Sendezeit, an den für gewöhnlich wöchentlichen Erzählrhythmus und an eine rigid ablaufende Erzählzeit, in die nicht eingegriffen werden
kann.73 Zudem ist die Serie im Fernsehen in einen inhaltlich disparaten Programmkontext wie
Werbeeinspielungen eingebunden, die den Erzählfluss hemmen und das Eintauchen in die narrative Welt zumindest stören. All diese Faktoren werden beim Serienkonsum über ein adäquates
Speichermedium wie die DVD, ähnlich wie bei einem Buch, der Kontrolle des Zuschauers überlassen.74 Er kann sich mit anderen Worten wo, wann und wie oft er will einen beliebig langen
Text zu Gemüte führen, kann die Erzählzeit nach seinem Gutdünken beeinflussen, kann sozusagen „in bewegten Bildern blättern“.75 Die veränderten Rezeptionseigenschaften des Mediums
kommen auf der anderen Seite einer anspruchsvolleren narrativen Konstruktion von Serien entgegen. Ältere serielle Erzählformate wie die Soap Opera arbeiten oftmals mit einem internen Referenzsystem, das vergangene Ereignisse, die für einen aktuellen Erzählvorgang von Wichtigkeit
werden bspw. in einem Dialog rezitiert (sog. ‚washups‘) und dadurch die Verständlichkeit auch
für jene Zuschauer sichert, die nur hin und wieder zuschalten. Diese Redundanz und Wiederholung fehlt den seriellen Erzählungen der 2000er-Jahre weitgehend; zudem wird durch die ‚Befrei72
KOMPARE: Publishing Flow (wie Anm. 70), S. 349.
Vgl. JASON MITTELL: Serial Boxes. DVD-Editionen und der kulturelle Wert amerikanischer Fernsehserien. Übers. von
Kristina Köhler. In: Serielle Formen. Von den frühen Film-Serials zu aktuellen Quality-TV- und Online-Serien. Hrsg. von
ROBERT BLANCHET/KRISTINA KÖHLER/TEREZA SMID u. a., Marburg: Schüren 2011, S. 133–152, hier S. 135 und
DIEDRICH DIEDERICHSEN: In bewegten Bildern blättern: Die Videothek von Babylon. In: Autorenserien. Die Neuerfindung des
Fernsehens. Hrsg. von CHRISTOPH DREHER, Stuttgart: Merz & Solitude 2010, S. 167–198, hier S. 175.
74
Die DVD ist dabei nur ein Beispiel eines Speichermediums, das dem Zuschauer mehr Freiheiten beim Konsum
einer Serie einräumt. In dieser Hinsicht beinahe ebenbürtig sind legales (sog. ‚on demand‘-Angebote von Sendern)
oder illegales Onlinestreaming, kumulierte Aufzeichnung auf bespielbaren Speichermedien wie etwa einer Festplatte
oder der direkte Download über meist illegale Anbieter im Internet. Die offizielle DVD einer Serienstaffel bietet
indes Zusatzmaterialien wie gestrichene Szenen, Kommentare von Regisseuren und Einblicke hinter die Kulissen,
was sie zusätzlich als Medium mit eigenständigen Qualitäten distinguiert.
75
Siehe Titel von DIEDERICHSEN: In bewegten Bildern blättern (wie Anm. 73). CHRISTOPH DREHER: Autorenserien. Die
Neuerfindung des Fernsehens. In: Autorenserien. Die Neuerfindung des Fernsehens. Hrsg. von DEMS., Stuttgart: Merz &
Solitude 2010, S. 23–61, hier S. 31, schildert seinen ersten Serienkonsum via DVD folgendermaßen: „Dabei handelt
es sich bei meinem Verhalten ja um eine bekannte, traditionelle Kulturtechnik: Es war so, wie man zuvor ein umfangreiches Buch gelesen hatte, einen Wälzer, […] für dessen Bewältigung man mehrere Tage oder Wochen brauchte.
Nur im audiovisuellen Bereich waren eine solche Werk-Dimension und das korrespondierende Rezeptionsverhalten
bisher unbekannt.“ Auch der Habitus des Serienschauens nähert sich seit der Einführung handlicher Laptops, spätestens aber von Tablett-Computern der des Buchlesens an: man sitzt aufrecht im Bett oder auf dem Sessel, das
Gerät in den auf dem Schoß liegenden Händen.
73
26
ung‘ von eingeschobener Werbung die interne Dramaturgie beruhigt und der künstlerische vor
den kommerziellen Imperativ gestellt.76 Gleichzeitig ermöglicht die neue Bewegungsfreiheit des
Rezipienten im Text eine höhere narrative Komplexität. Bei einer Serie wie The Wire, die rund 80
Figuren77 in ihrem Ensemble mitführt und ohne Exposition arbeitet, dabei aber eine hochkomplexe Narration entwickelt, ist ein Eintauchen und Durchdringen der Handlung mit der Sichtung
von einer Episode pro Woche kaum vorstellbar.78 Der Medientransfer vom Sendefluss des Fernsehens zur DVD markiert aber auch einen kulturellen Wandel in der Wahrnehmung von Serien.
Ähnlich wie der Roman sich erst im 19. Jahrhundert – nach dessen Popularisierung durch serielle
Formate wie dem Feuilletonroman in der Tageszeitung – im Buch als eigenes Medium etabliert,
wird die Serie mit der Veröffentlichung als DVD zum materialisierten, greifbaren Artefakt, das
man sich neben das Buch ins Regal stellen kann. Wie die Romane Dickens’, Dostojewskis und
Balzacs, erfährt die Fernsehserie erst nach der Ablösung von seinem kommerziellen Trägermedium kulturelle Akkreditierung, was sich im Anstieg der akademischen Auseinandersetzung mit
dem Format und der Thematisierung in Periodika (was beides erst nach der Einführung der
DVD ansetzt) spiegelt.
Neben seiner Funktion als Distributionskanal für Serien (vgl. Anm. 74) fungiert das Internet
seit längerer Zeit als Schnittstelle und Ort für die Interaktion von Rezipienten untereinander als
auch mit der Produktionsseite einer Serie. In eigens gegründeten Foren und Blogs besprechen
interessierte Fans das Staffelende und mögliche Entwicklungen in der Folgestaffel, Episoden
oder einzelne Handlungsstränge, die Entwicklung von Figuren oder überraschende Wendungen
im Gesamtbild einer Erzählung.79 In vielen Fällen geht das Interesse der Fans auch über die bloße Diskussion der vorgegebenen diegetischen Welt hinaus. Sogenannte ‚fanfiction‘ entwirft dabei
eigene Hypertexte im Sinne Gérard Genettes, die an die Handlung des Hypotextes (der Diegese
der Serie) anknüpfen und ihn nach eigenem Gutdünken erweitern oder abändern.80 Das Internet
76
Vgl. MITTELL: Serial Boxes (wie Anm. 73), S. 147.
Vgl. http://www.hbo.com/the-wire/index.html#/the-wire/cast-and-crew.html, abgerufen am 24.4.2012.
78
Dass der Konsum anspruchsvoll erzählter Serien im Wochentakt das Eintauchen in die Geschichte erschwert,
kann sich auf die Resonanz im Publikum auswirken. Als in Deutschland The Sopranos (HBO, 1999–2007) spätnachts
und im Wochenrhythmus ausgestrahlt wurde, hatte die Serie wenig Erfolg. Dieser stellte sich erst mit der Veröffentlichung der DVD-Edition ein (vgl. DREHER: Autorenserien [wie Anm. 75], S. 43).
79
Vgl. bspw. ALLRATH u. a.: Narratology of TV Series (wie Anm. 65), S. 10: „Yet another characteristic of the reception
of TV series is the intense and public response of the fan community. […] In recent years, a growing number of fans
have used the internet to join in a fan community. Not only do internet discussion groups analyze episodes in detail;
they also argue in favour of or against certain future developments or unite to support certain storyline developments or the reappearance of favourite characters.“ Neben privaten Blogsphären bietet jeder Sender nebst allgemeinen Informationsseiten inzwischen auch Blogs zur jeweiligen Serie an. Vgl. exemplarisch: http://blogs.amctv.com/;
http://www.hbo.com/#/name-der-serie/talk/index.html oder http://www.lostpedia.com (alle am 24.4.2012 abgerufen). Einige Sender wie etwa SyFy-Channel verlegen ihre Blogs auf Netzwerke wie Facebook und Twitter.
80
Vgl. Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Übers. von Wolfram Bayer und Dieter Hornig,
Frankfurt/M.: Suhrkamp 1993, v. a. S. 9–18. Auf Internetseiten wie bspw. http://www.fanfiction.net können Fanfiction-Texte kostenlos publiziert und eingesehen werden (abgerufen am 24.4.2012).
77
27
wird so zum expandierten sozialen Raum, in dem sich Individuen in einer realen Rahmengesellschaft (der jeweiligen Blog-‚community‘) zu einem bestimmten Text austauschen können. Die
passive Rolle, die dem Serienkonsumenten vor dem Fernseher lange zugeschoben wurde, wird
dadurch aufgebrochen. Eine aktive Partizipation am Gestaltungsprozess findet ihren Höhepunkt
dann, wenn die Rezeption in den Produktionsprozess des Hypotextes eingreifen kann. Gemessen
an Zuschauerzahlen geschieht das bei populären Serien eher selten, doch sind im Falle der Serien
Lost (ABC, 2004–2010) und Buffy the Vampire Slayer (FOX, 1997–2003) Beispiele bekannt, wo
Beiträge in den einschlägigen Blogs den narrativen Verlauf kommender Episoden tatsächlich
beeinflusst haben.81 Rezeptionsseitige Partizipation in Form von Austausch über die Diegese,
aber auch direkter oder indirekter Einfluss auf den Produktionsprozess und die Form einer Erzählung sind an sich kein neues Phänomen, sondern eher Signum eines Teilprozesses epischer
Verfahren, wie er in seinen Grundsätzen schon in früheren seriellen Erzählformaten begegnete.
Der Rhapsode trug seine Fabeln und Geschichten einem räumlich anwesenden Publikum vor
und war auf Tuchfühlung mit dessen Bedürfnissen und Vorlieben, konnte Reaktionen auf seinen
Vortrag unmittelbar erfahren und dementsprechend sein Repertoire dem Volksbefinden anpassen. Der Autor von Feuilletonromanen hatte es dabei schon schwieriger, doch immerhin hatte
auch er eine Rückmeldung von der Rezeptionsseite in Form von Leserbriefen, oder er konnte
sich in Kaffeehäuser setzen und darauf hoffen, einer Unterhaltung über die neueste Episode seines Zeitungromans beiwohnen zu können. Die Romanautoren der 1920er-Jahre hatten diesen
„Konnex mit einem Hörerkreis“ größtenteils verloren und saßen „alle auf dem Isolierschemel“.82
Ähnlich muss es den anonymen Heeren von Auftragsarbeitern ergangen sein, die sich über Jahrzehnte hinweg im Akkord Geschichten für episodische Serien oder Seifenopern für das Fernsehen ausdachten. Da niemand wusste, wer sie waren, konnten sie auch von niemandem angesprochen werden. Eine Kommunikationssituation war praktisch nicht mehr vorhanden. Die gegenwärtig praktizierte Offenlegung des gesamten Produktionsprozesses von neueren Qualitätsserien
auf Austauschplattformen im Internet restituiert den abhanden gekommenen „Konnex“ zu einer
realen Rahmengesellschaft mit den adäquaten Mitteln, die einer Massengesellschaft im Zeitalter
der Massenmedien zur Verfügung stehen. Die Tendenz neuerer Serien, vermehrt zu einem Autorenkonzept zurückzukehren (vgl. Kapt. 2.3), verstärkt und komplettiert diesen Kollektivitätseffekt zusätzlich. Die Idee der einen Entität, die in sich alle kreativen Kräfte bündelt und im epischen Werk einer Serie audiovisuell vergegenwärtigt, vereinfacht die Kommunikationssituation
zwischen einem Sender, der mit dem Autor nun benannt werden kann und dem Empfängerkollektiv, dem in Blogs und Foren geeignete Mittel und Wege zur Verfügung stehen, um sich auf
81
Für Lost vgl. PIEPIORKA: Lost in Narration (wie Anm. 3), S. 142; für Buffy the Vampire Slayer vgl. ALLRATH u. a.:
Narratology of TV Series (wie Anm. 65), S. 10.
82
Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 229.
28
individueller Ebene mit der Repräsentation der Produktionsseite in Verbindung zu setzen. Erst
aus diesem Austauschverhältnis gelingt es dem Epiker, die Grundlagen des Stoffes für sein Werk
zu schöpfen und auf diese Weise möglichst „dicht an die Realität zu dringen.“83
2.2 „Im Strom der lebenden Sprache“– Pay-TV und die narrativen Möglichkeiten jenseits der
Zensur
Als man sich beim Abonnentensender HBO in einer Krisenzeit Mitte der 1990er-Jahre dazu entschließt, eine eigene Serienproduktion zu lancieren, revolutioniert dieser Schritt Form und Gehalt
kommender Serien nachhaltig. HBOs neue Produktionen sind „in bisher ungekannter Weise
komplexe und profunde Werke, die zum ersten Mal in der Filmgeschichte so etwas wie ein Äquivalent zu großen epischen Romanen der Weltliteratur darstellen.“84 Das gelingt unter anderem
aus zwei Gründen. Erstens unterliegt HBO als Pay-TV-Sender nicht den Einschränkungen der
nationalen Zensurbehörde FCC (Federal Communications Commission) und kann somit in der
inhaltlichen Gestaltung viel freier agieren als die Konkurrenz der Network-Sender (d. h. frei über
Antenne empfangbare Sender).85 Zweitens hat die Platzierung einer Serie im Programm eines
Abonnentensenders wie HBO auch für ihre strukturelle Form maßgebliche Folgen, denn Network-Sender sind im Gegensatz zu diesen vor allem auf Einnahmen durch Werbeeinspielungen
angewiesen. Auf Sendern wie CBS, FOX oder NBC wird eine Serienfolge, nebst der Werbung
davor und danach, je nach Spieldauer gut und gerne zwei bis viermal für kommerzielle Einschübe
unterbrochen. Um die Zuschauer während der Unterbrechungswerbung am Bildschirm zu halten,
wird kurz vorher eine dramatische Steigerung positioniert, deren Höhepunkt oder Auflösung
natürlich erst nach der Werbung folgt. Die kreative Leitung der Serie wird so gezwungen, in bestimmten zeitlichen Abständen narrative Klimaxe zu setzen, was neben der im ersten Kapitel
erwähnten inhaltlichen Redundanzen verstärkt zu einer Formelhaftigkeit und Gewöhnung an den
erzählerischen Rhythmus führt. HBO-Produktionen sind von strukturellen Rahmenbedingungen
dieser Art weitgehend befreit, was nebst der eigentümlichen Sprach- und Bildgestaltung auch in
innovativen Erzähltechniken zum Ausdruck kommt, die an dieser Stelle indes nicht weiter unter-
83
Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 245.
CHRISTOPH DREHER: Das Privileg eines natürlichen Todes. Der amerikanische Pay-TV-Sender HBO revolutioniert Film und
Fernsehen. In: Spex 309 (2007), S. 122–126, hier S. 122.
85
Gründe und Folgen des von HBO eingeleiteten Aufstiegs von Abonnentensendern in der amerikanischen Fernsehlandschaft werden in der Forschungsliteratur unter dem Begriff der ‚post-network era‘ (vgl. AMANDA D. LOTZ:
The Television Will Be Revolutionized, New York u. a.: New York Univ. Press 2007) oder alternativ und in Anlehnung an
den langjährigen Slogan von HBO, „It’s not TV, it’s HBO“, als ‚post-television era‘ (vgl. It’s Not TV. Watching HBO
in the Post-Television Era. Hrsg. von MARC LEVERETTE/BRIAN L. OTT und CARA LOUISE BUCKLEY, New York u. a.:
Routledge 2008) besprochen.
84
29
sucht werden sollen.86 Das folgende Beispiel der Serie Deadwood (HBO, 2004–2006) soll anhand
der untersuchten Sprachverwendung exemplarisch die Möglichkeiten aufzeigen, die das zensurfreie Abonnentenfernsehen der epischen Durchdringung der Wirklichkeit „im Strom der lebenden Sprache“87 entgegenbringt.
Alfred Döblin fordert den Epiker unter anderem entschieden dazu auf „dramatisch“ zu sein
und die traditionell epische Berichtform des Imperfekts zu sprengen. Wie er selbst sagt, versteht
er darunter nicht ein „Gemengsel von Formen“, doch möchte er den Epiker dazu animieren,
„nicht der Form […] zu dienen, sondern sich ihrer zu bedienen.“88 Die Fernsehserie bedient sich,
wie auch das Drama, notgedrungen zu einem großen Teil der gesprochenen Sprache, sei es in
Form des Dialogs oder des Monologs, um die histoire zu entfalten. Die direkte Rede kann dabei
verschiedene Funktionen ausüben. Sie entwickelt die Handlung, beschreibt Figuren oder bietet
Einblick in deren Charaktere, löst Konflikte aus oder auf und vieles dergleichen mehr. Die verwendete Sprache kann aber auch auf einer anderen als der wörtlich-semantischen Ebene eine
Aussage vermitteln, etwa indem ihre Form die Entwicklungen in der histoire konterkarierend oder
verdoppelnd untermalt. Im Falle der Serie Deadwood wird dem Zuschauer diese letztere Funktion
förmlich sozusagen aufs Ohr gedrückt.89 In ihren Dialogen
werden neue Rekorde im Gebrauch von Kraftausdrücken gesetzt, wobei die Serie munter den Katalog der im
frei empfangbaren US-TV [= Network-Sender, S. J.] verbotenen Wörter plündert. Kaum eine Minute vergeht, in
der nicht in irgendeiner Variation „fuck“, „shit“, „cocksucker“, „pussy“ oder „cunt“ zu hören ist. Gleichzeitig ist
die Sprache aber ungemein kompliziert, voller komplexer invertierter Syntaxstrukturen und garniert mit altmodischen, übertrieben vornehm klingenden Begriffen […].90
86
Der Sprachverwendung als Untersuchungsgegenstand wird in dieser Arbeit der Vorzug gegeben, weil den narrativen Techniken von HBO-Serien, speziell von The Wire, in der Forschungsliteratur schon ausnehmend Beachtung
geschenkt wurde (vgl. exemplarisch MITTELL: Narrative Complexity [wie Anm. 6] oder TED NANNICELLI: It’s All
Connected: Televisual Narrative Complexity. In: The Wire. Urban Decay and American Television. Hrsg. von TIFFANY POTTER
und C. W. MARSHALL, New York u. a.: Continuum 2009, S. 190–202).
87
Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 245.
88
Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 227.
89
David Milch (Creat.): Deadwood. HBO, 2004–2006. Die Handlung von Deadwood dreht sich um die Entstehung und
das Leben im gleichnamigen Frontiercamp in den Jahren 1876–78. Das Camp liegt in einem noch nicht den USA
angegliederten, also rechtsfreien Territorium. Neben Siedlern, die sich eine neue Existenz aufbauen wollen, ist
Deadwood ein Sammelbecken für Glücksjäger und Goldschürfer, flüchtige Verbrecher, Zuhälter und Prostituierte.
Dementsprechend wild und brutal geht es im Alltagsleben der Bewohner auch zu und her. Es wird eingeschüchtert,
geprügelt und gemeuchelt was das Zeug hält, Intrigen werden gesponnen und Machtkämpfe ausgetragen. Auf der
anderen Seite zeigt sich das Bestreben, eine funktionierende Gemeinschaft zu bilden, mögen ihre einzelnen Komponenten in allen Belangen auch noch so disparat sein. Die Geschichte webt dabei auf Handlungs- und Figurenebene
den vielfarbigen Flickenteppich einer noch nicht stratifizierten Gesellschaft und bildet dabei den vielschichtigen
Prozess der Entstehung einer Gemeinschaft in mikroskopischer Genauigkeit ab. Viele Figuren und Ereignisse basieren auf historisch verbürgten Personen und Begebenheiten. Die Stadt Deadwood existiert noch heute und liegt im
US-Staat South Dakota. Zur faktualen Basis der Serie Deadwood siehe http://www.legendsofamerica.com/wedeadwoodhbo.html (abgerufen am 20.4.2012).
90
MARTIN HOLTZ: Amerika zwischen Wildnis und Zivilisation. Die Dekonstruktion eines Mythos’ in der Serie Deadwood. In:
Was bisher geschah. Serielles Erzählen im zeitgenössischen amerikanischen Fernsehen. Hrsg. von SASCHA SEILER, Köln: Schnitt
2008, S. 68–79, hier S. 77f.
30
Bestimmt werden die Einwohner des realen Deadwood zu jener Zeit sich ähnlich anstößig ausgedrückt haben und auch MARTIN HOLTZ’ Hinweis auf „komplexe invertierte Syntaxstrukturen“ und „altmodische Begriffe“ weist auf die Absicht des Schöpfers David Milch hin, historische Authentizität und ein möglichst getreues Abbild einer lebendigen Sprache zu entwickeln.
Doch die geballte Ladung an sprachlicher Derbheit hat zudem eine Signalwirkung, die auf einen
Subtext verweist. Die sehr profane
Sprache ist nämlich die Ebene, auf
der sich alle Einwohner Deadwoods
verständigen können. Das kommt
am besten zum Ausdruck, wenn Wu,
die Leitfigur des chinesischen ‚Viertels‘, und sein amerikanisches Pendant Al Swearengen, Saloon- und
Abb. 1: Al Swearengen und Mr. Wu verhandeln in Deadwood.
Bordellbetreiber, sich bei den Aus-
handlungen ihrer Geschäfte mit dem einzigen englischen Wort, das Wu beherrscht, verständigen.
„Cocksucker“, untermalt von rudimentären Zeichnungen und Gesten, ist die einzige gemeinsame
Artikulation, die nötig ist, damit sich die beiden verstehen und ihre Absichten austauschen können.91 Bedient sich jemand in diesem Milieu einer gehobenen, zivilisierten Sprache, gilt er schnell
als nicht mehr vertrauenswürdig und wird von der ‚Sprachgemeinschaft‘ gemieden und aus ihren
Machenschaften ausgegrenzt. Die skurrile Gestalt E. B. Farnums etwa, Hotelier und Laufbursche
von Al Swearengen, ist ein karnevalesker Charakter, der servilen Opportunismus und Speichelleckerei verkörpert und von niemandem im Camp für voll genommen wird.92 Er ist enorm anpassungsfähig und kann sich einer Situation so anschmiegen, dass er sie möglichst zu seinem Vorteil
nutzen kann. Seine zweifelhafte Vertrauenswürdigkeit nimmt in vielen Attributen, wie etwa seinen stets feuchten Händen, Gestalt an. Am opulentesten jedoch tritt diese charakterliche ‚Elastizität‘ in seiner eigenwilligen Sprachverwendung zutage. Farnum spricht eine Mischung aus der
Gossensprache des Camps und einer mehr schlecht als recht imitierten Hochsprache, die wie
karikierte Bühnensprache wirkt, wie die folgende Dialogsequenz zwischen George Hearst und
Farnum aus 3.03 True Colors veranschaulicht. Hier will Hearst Informationen über die Minenbe91
David Milch (Creat.): Deadwood, 1.10 Mister Wu, 6:12, und diverse weitere Szenen. „Cocksucker“ ist zugleich auch
Swearengens bevorzugtes Kraftwort. Indem Wu Swearengens Sprachduktus annimmt, ordnet er sich ihm gleichzeitig
unter. Zur Notation von Serienfolgen: die erste Ziffer bezeichnet die Staffelnummer, gefolgt von der Episodennummer innerhalb der Staffel nach dem Punkt und dem Titel der Episode. Bei Zitaten aus einer oder Verweisen auf
eine Serienepisode wird die Laufzeit (HH:MM:SS) bei Szenenbeginn angegeben. Das hier aufgeführte Beispiel mit
Wu und Swearengen ist HOLTZ: Wildnis und Zivilisation (wie Anm. 90), S. 78 geschuldet.
92
Der Bergbauunternehmer George Hearst, der am Ende die Macht im Camp übernehmen wird, beschreibt Farnum
einmal als „fellow [who] looks like he stepped out of the specimen box“ (David Milch [Creat.]: Deadwood, 2.12 TheBoy-the-Earth-Talks-To, 10:08).
31
sitzerin Alma Ellsworth bei Farnum einholen. Farnum nimmt jedoch an, dass Hearst kommt, um
ihn zu entlassen und durch seine schwarze Dienstmagd Aunt Lou zu ersetzen, denn kurz zuvor
hatte dieser Farnums Hotel gekauft:
Hearst: Farnum, have you a moment for us to talk?
Farnum: I do. I’d ask only that you be brief and forbear from false comradery. – Come, Hearst, I’ve seen
the Ethiope, who indeed could miss her? And even if she supplants Richardson [den Hotelgehilfen,
S. J.], what person, I wonder, of what depraved exotic origin have you engaged to take my place?
Hearst: I hadn’t thought of replacing you. You want me to?
Farnum: The world begins to dance before my eyes […] what a surprising and gratifying turn!
Hearst: […] I wonder now, if I might elicit the information I came for, which is in regard to Misses Ellsworth.
Farnum: I am abjectly at your disposal.
Hearst: […] I have sought to generate a connection to Misses Ellsworth –
Farnum: A hotly cunt, formerly weak for dope, most fundamentally a sexual peccant.93
Die Sequenz verdoppelt in Farnums alternierendem Sprachduktus seine auf der Ebene des Wortsinns schon offengelegte innere Befindlichkeit, die von einem Extrem ins andere springt. Die
distanzierte Förmlichkeit zu Beginn des Dialogs wechselt schnell in ein von Wut über die vermeintliche Entlassung untermaltes Lamento, das jedoch immer noch in einer formal höflichen
Sprache Haltung zu bewahren sucht.94 Bei der zischenden Betonung von „depraved“ blitzt sein
Rassismus allerdings kurz auf, und
man erahnt, dass sich Farnum nur
mit Mühe beherrschen kann. Als
Hearst ihm darauf entgegnet, er
hätte gar nicht an seine Entlassung
gedacht, schnurrt Farnum wieder
wie eine liebkoste Katze und windet
sich in grotesken Bücklingen hinter
Abb. 2: Farnum (r.) windet sich vor Hearst.
seinem Empfangstresen. In seiner
Entgegnung versteigt er sich in eine deplatziert wirkende Metapher („The world begins to dance
before my eyes“), mit der er seinen inneren Triumph auf überzogene Weise zum Ausdruck bringt,
um sich dann Hearst als ergebener und unterwürfiger Diener anzubieten. Farnums Wesen zeigt
sich erst unverschleiert, als Hearst ihn auf seine Absicht, mit Alma Ellsworth in Verbindung zu
treten, anspricht. Ellsworth hat den Wendehals in Farnum vom ersten Augenblick an erkannt
und ihn durch ihre abschätzige Nichtbeachtung spüren lassen, wie sehr sie seine Person verabscheut. Ungefragt sprudeln in derbster Sprache Verunglimpfungen in einem von Hass durchzogenen Stakkato aus Farnum heraus und legen seinen durch Ellsworths Verachtung zutiefst ver93
David Milch (Creat.): Deadwood, 3.03 True Colors, 13:14 [Transkription S. J].
Farnum nennt Aunt Lou „Ethiop“, während Afroamerikaner an anderer Stelle offen abwertend als „Nigger“ bezeichnet werden.
94
32
letzten Stolz offen. Im Sprachgebrauch der Figur Farnums manifestiert sich auf diese Weise der
Topos der gespaltenen Zunge, die je nach Lage der Situation ihre Sprache anpassen kann, deshalb profillos und ungreifbar bleibt und von ihrer Umgebung mit Argwohn und
Geringschätzung betrachtet wird.
An der Figur Calamity Jane Canary verdeutlicht sich, wie sehr die harte, vulgäre Sprache auch
als Schutzschild für das empfindsame Individuum in dieser zutiefst lebensfeindlichen Umgebung
fungiert. Jane stellt den Prototyp eines Wildwest-Rabauken dar; stets ungewaschen und betrunken flucht sie immerdar vor sich hin. Als Frau muss sie sich unter Deadwoods Rohbeinen doppelt behaupten. So redet sie nicht, sondern schreit die Leute im aggressiven Habitus an, damit
diese irritiert auf Distanz bleiben und die dünne, lebenserhaltende Schicht, die Jane verbal zwischen sich und der Campwelt aufbaut, nicht durchdringen. Diese uneigentliche Funktion von
Janes Sprache wird in jenen Szenen besonders deutlich, in denen die schützende Sphäre bricht.
Wenn Jane weinend und zitternd vor Doc Cochran sitzt und sich entschuldigt, weil sie eine sich
selbst auferlegte Aufgabe nicht erfüllen konnte,95 oder wenn sie sich gegenüber der Bordellbetreiberin Joanie Stubbs ein wenig öffnet, beweist sie den Instinkt, sich für das Zulassen solcher
‚Schwächen‘ die richtigen Personen auszusuchen.96
Es ließen sich noch viele weitere Beispiele der Sprachverwendung mit anderen Figuren aus
Deadwood analysieren, doch schon die drei betrachteten Ausformungen lassen eine typologische
Tendenz erkennen. Swearengen spricht in einer authentischen Sprache, die gleichzeitig die Campsprache konstituiert. Es ist die machtausübende Sprache, und nur diejenigen, die sie verwenden,
können – im doppelten Wortsinn – mitreden. E. B. Farnum versucht sich diese Sprache imitierend
anzueignen, scheitert jedoch dabei und kann nicht bis in den innersten Machtkreis vordringen. Er
wird zwar zum Bürgermeister ernannt, doch hat dieses Amt nur pro forma eine Funktion. Seine
Anpassungsfähigkeit spiegelt sich im Wechsel des verwendeten Sprachduktus. Während seine
Chamäleonhaftigkeit andere abstößt, ist sie für ihn die Überlebensstrategie schlechthin. Eine ähnliche Grundfunktion hat Calamity Janes laute Verwendung von Kraftausdrücken: sie sichert ihr
Überleben in Deadwood, indem sie sich damit von unliebsamen Personen abgrenzt. Anders als bei
Farnum ist ihre Ausdrucksweise jedoch integraler Bestandteil ihres Wesens, denn in abgeschwächter Form und geringerer Lautstärke spricht sie in Situationen, in denen sie die Fassade
der Rohheit aufgibt, im selben Duktus. In allen drei Beispielen wird der sprachliche Ausdruck
zum Signum individueller Improvisationsstrategien innerhalb der weitgehend rechtsfreien Gemeinschaft.97 Zudem wird verdeutlicht, dass die informationsvermittelnde Funktion der Sprache
95
Vgl. David Milch (Creat.): Deadwood, 1.02 Deep Water, 28:20.
Vgl. David Milch (Creat.): Deadwood, diverse Szenen ab Folge 2.08 Childish Things.
97
Vgl. HORACE NEWCOMB: Deadwood. In: The Essential HBO Reader. Hrsg. von GARY R. EDGERTON und JEFFREY P.
JONES, Lexington: Univ. Press of Kentucky 2008, S. 92–102, S. 99: „Many, if not most central characters in Deadwood
96
33
auf verschiedenen Ebenen stattfindet. Eine Ebene davon ist ihre Form, und im Falle von Deadwood ist diese eben sehr explizit. Es mag Produktionen geben, in denen die verbale Transgression
von kommerziellem Kalkül motiviert ist,98 doch gerade bei Deadwood erweitert die sprachliche
Vulgarität die Wahrnehmung der Serie als „synekdochisches Panorama der amerikanischen Pioniergesellschaft“ 99 und deren Funktionsweise in entscheidendem Maße und gestaltet so die Gesamtaussage der Erzählung auf der ästhetischen Ebene mit. Das kann nur gelingen, wenn der
Produktionsrahmen, wie es bei Pay-TV-Sendern der Fall ist, eine solche Gestaltungsfreiheit
überhaupt ermöglicht.
2.3 Die Rückkehr des Autors im ‚creator‘
Im Allgemeinen begreift man einen Film als Kunstwerk, setzt ihn in enge Beziehung zu seinem
Regisseur, und fasst ihn als dessen originäres Werk und Schöpfung auf. Wie selbstverständlich
spricht man davon, dass zurzeit Martin Scorseses, Lars von Triers oder Woody Allens neuer Film
im Kino zu sehen ist und erinnert sich unter Umständen gar nicht mehr an den Titel des Werks.
Filme solcher Regisseure, so wird impliziert, tragen eine unverwechselbare stilistische Signatur.
Ihr Name steht für solide künstlerische Qualität, die ein einheitliches Werk hervorbringt. In zugespitzter Form findet sich das Abhängigkeitsverhältnis von Werk und Schöpfer im europäischen
‚Autorenfilm‘ und im amerikanischen ‚Independent Film‘, wo mehrere gestalterische Funktionen,
im Extremfall die gesamtkünstlerische Leitung eines Projekts, in der Hand einer Person liegt.100
Am eminentesten dürfte das Autorkonzept jedoch aus der Literatur bekannt sein, wo spätestens
seit der Romantik das Werk stark mit der Person des Autors identifiziert wird. Auch seine postmoderne Totsagung hat nicht nachhaltig an der Auffassung rütteln können, dass der Autor – als
Person oder als ‚impliziter Autor‘ – mit der Schöpfung an sich korrespondiert.101 Die gängige
Vorstellung einer TV-Serie hingegen wird bis vor kurzer Zeit nur selten oder gar nicht mit einer
Autorfigur in Verbindung gebracht. Aufgrund ihrer eigenen Produktionsart mit einem großen
are seeking to improvise in the absence of law“.
98
RITZER: Wider die Tabus (wie Anm. 1), S. 83 konstatiert vielen Produktionen „ein Kokettieren mit dem Bruch von
Tabus […], das weder Selbstzweck ist noch emanzipatorische Anstrengung, sondern vor dem Horizont medialer
Konkurrenz stattfindet.“
99
HOLTZ: Wildnis und Zivilisation (wie Anm. 90), S. 70.
100
Prominente (und arbiträre) Beispiele sind die französischen ‚Nouvelle Vague‘-Regisseure François Truffaut und
Jean-Luc Godard. In der deutschen Entwicklung des Autorenfilms (dem ‚Neuen Deutschen Film‘) nehmen vor
allem Alexander Kluge und Rainer Werner Fassbinder entscheidende Positionen ein. Als amerikanische Independent-Filmer neuerer Zeit dürften etwa David Lynch, Robert Altman und Jim Jarmusch gelten.
101
Die Rede ist von Wayne C. Booths ‚implizitem Autor‘ – einer abstrakten Instanz, die vereinfacht ausgedrückt die
Summe der künstlerischen Entscheidungen des Verfassers repräsentiert, was auch die Auswahl und die Begegnung
mit dem Stoff einschließt (vgl. Wayne C. Booth: Die Rhetorik der Erzählkunst. Übers. von Alexander Polzin,
Heidelberg: Quelle & Meyer 1974, v. a. S. 77–84 und 162f.).
34
Team an Drehbuchschreibern und stets wechselnden Regisseuren, ist es schwierig,
eine individuelle Autorschaft zuzuweisen.102 Mit dem Einzug der amerikanischen Qualitätsserien
ändert sich diese Wahrnehmung nachhaltig, wie ein Zitat HORACE NEWCOMBS über David Milch,
den Schöpfer von Deadwood, illustriert:
It is perhaps indicative of the current state of television at large, and certainly indicative of television series produced for HBO, that Deadwood is most often referred to as ‚David Milch’s Deadwood.‘ Just as The Sopranos is often
linked directly to creator and executive producer David Chase, and The Wire to David Simon, Deadwood is all but
inseperable from the authorial, or auteur, status of Milch.103
Es ist einmal mehr der Sender HBO, der diesbezüglich die Beschreitung neuer Wege einleitet.104
Die Begegnung des Drehbuchautors Tom Fontana, der lange für den Networksender NBC gearbeitet hat, und Chris Albrecht, dem damaligen Programmchef für HBO, Mitte der 1990er-Jahre,
sollte für die zukünftige Serienproduktion neue Maßstäbe setzen. Albrecht sollte damals für
HBO die erste fiktionale Serie ins Programm holen und Fontana war auf der Suche nach einem
Sender, der seine Idee einer Gefängnisserie umsetzen wollte. Von NBC, CBS und ABC abgewiesen, konnte Fontana seine Idee bei HBO mit größtmöglichen kreativen Freiheiten verwirklichen.
1997 ging die Serie Oz (HBO, 1997–2003) auf Sendung und sollte für viele das Jahr Null in der
Zeitrechnung für neues Qualitätsfernsehen markieren. Das Beispiel machte bei HBO Schule;
Serien wie The Sopranos, The Wire und Deadwood folgten, die allesamt einen Creator (in der selben
Reihenfolge: David Chase, David Simon und David Milch) als Gesamtleiter des künstlerischen
Produktionsprozesses verzeichneten.
Ähnlich wie beim Autorenfilm übernimmt der Creator (manchmal auch als ‚showrunner‘ bezeichnet) die Leitung der meisten oder gar aller kreativen Funktionen einer Serienproduktion.105
Im Falle der Serie Oz heißt das, Fontana recherchierte zwei Jahre lang in Gefängnissen quer über
den nordamerikanischen Kontinent, sprach mit Insassen, Wärtern und Direktoren, schrieb die
meisten Drehbücher selbst, kreierte einen eigenen Gefängnis-Soziolekt und gab Anleitungen für
die Rekrutierung von Schauspielern.106 Noch weitreichender beschreibt Matthew Weiner, Creator
102
Vgl. ROBERT C. ALLEN: Introduction to the Second Edition: More Talk about TV. In: Channels of Discourse, Reassembled.
Television and Contemporary Criticism. Hrsg. von DEMS., London u. a.: Routledge 1992, S. 1–30, hier S. 9: „[B]ecause of
the technological complexity of the medium and as a result of the application to most commercial television production of the principles of modern industrial organization […], it is very difficult to locate the ‚author‘ of a television
program – if by that we mean the single individual who provides the unifying vision behind the program.“
103
NEWCOMB: Deadwood (wie Anm. 97), S. 92.
104
Die folgenden Schilderungen über die Entstehung von Oz (HBO, 1997–2003) sind einem Interview mit Creator
Tom Fontana entnommen (vgl. TOM FONTANA: Freiheit, Kollaboration und Unterstützung. Übers. von Kerstin Brandes.
In: Autorenserien. Die Neuerfindung des Fernsehens. Hrsg. von CHRISTOPH DREHER, Stuttgart: Merz & Solitude 2010, S.
113–129).
105
Aufgrund der oftmals mit dem Autorenfilm vergleichbaren organisatorischen Konstellation im Produktionsteam
von Qualitätsserien, bezeichnet CHRISTOPH DREHER: Vorwort. In: Autorenserien. Die Neuerfindung des Fernsehens. Hrsg.
von DEMS., Stuttgart: Merz & Solitude 2010, S. 9–21, hier S. 9, Serien, die von einem Creator geschaffen wurden als
„Autorenserien“.
106
Nach eigenen Angaben wollte Fontana bspw. für die sog. atmosphärischen Darsteller (Statisten, die neben den
35
von Mad Men (AMC, 2008–), seine Rolle als Showrunner im Schaffensprozess der Serie:
Ich überprüfe jedes einzelne Wort, das in die Serie kommt. Nichts wird ohne meine Beteiligung gedreht. Die
Drehbücher werden mehrmals überarbeitet, und ich arbeite mit den Autoren in jeder Phase. Ich bin sehr in den
Schreibprozess eingebunden. Ich nehme an jedem Casting teil. Selbst wenn die Figur nur ein Wort zu sprechen
hat, bin ich beim Vorsprechen dabei. Ich kümmere mich auch um Requisiten […]. Ich beteilige mich an der
Auswahl der Kostüme […]. Ich arbeite mit den Regisseuren zusammen. Wir treffen uns und ich erkläre ihnen
das Drehbuch Seite für Seite und Wort für Wort. […] Außerdem bin ich in die Post-Produktion involviert, beteilige mich intensiv am Schnitt, der Tonmischung und der Farbkorrektur. Ich habe eigentlich so etwa neun
Jobs.107
Eine Arbeitsweise, wie sie Weiner beschreibt, wäre unter den Bedingungen eines NetworkSenders, wo „über den zwölf Leuten, mit denen man sprechen muss[te], um ein Format gesendet
zu bekommen, noch zwölf andere Leute“ sitzen, undenkbar.108 Die Vorgaben für die Produktion
einer Network-Serie sind mit Marktforschungen abgeglichen und müssen zudem mit den Vorstellungen der Werbeinserenten, die vor, während und nach einer Episode ihre Werbung platzieren, vereinbar sein.109 Jeder von Weiner beschriebene Prozess unterliegt bei Network-Sendern
also gewissen Rahmenvorgaben, die bis weit in die effektive Gestaltung einer Serie reichen und
von vielen Leuten abhängen, die im Büro und nicht am Filmset arbeiten.110 Daraus entspringt die
vielzitierte ‚Formelhaftigkeit‘ – vom Figurenensemble über die Dialoge bis zu den Requisiten –,
die ‚herkömmlichen‘ und älteren Serien angelastet wird. Die Arbeitsfreiheit des Creators, die sich
aus einer ganz anderen Form von Hierarchie speist, muss sich unter diesen Umständen im Endprodukt, in dessen Dramaturgie, der Bild- und der Tonsprache, notwendigerweise zeigen. Hinter
dem gesamtästhetischen Werk einer Autorenserie ist merklich eine einheitliche Vision am Werk,
die in minutiöser Detailarbeit noch die disparatesten Elemente zu einer homogenen Ganzheit zu
vereinen weiß, was unter gewöhnlicher ‚Patchwork‘-Arbeitsteilung entstandenen Serien augenfällig abgeht. Mit dem Autor hat die Serie aber auch eine einheitsstiftende Entität, mit der das Werk
in einem hermeneutischen Deutungsversuch identifiziert werden kann, wie das bei vielen Filmen
sowie natürlich literarischen Werken der Fall ist. Der Autor oder Creator bildet die Welt in einer
wiedererkennbaren Ordnung anschaulich ab. Dabei muss allerdings betont werden, dass der Creator oder Autor nicht im vollen Umfang als Urheber des Gesamtkunstwerks im Sinne der Genieästhetik verstanden werden kann. Denn in Tat und Wahrheit hat der kreative Impetus beispielsweise des zitierten Matthew Weiner unbestritten einen maximalen Einfluss auf den gesamt-
Hauptdarstellern sozusagen den Raum füllen und ihm eine Atmosphäre verleihen) „echte Leute, […] FelliniGesichter“ (vgl. FONTANA: Freiheit [wie Anm. 104], S. 121) engagieren.
107
Zitiert nach DAVID LAVERY: The Imagination Will Be Televised. Die Rolle des Showrunners und die Wiederbelebung der
Autorschaft im amerikanischen Fernsehen des 21. Jahrhunderts. Übers. von Kerstin Brandes. In: Autorenserien. Die
Neuerfindung des Fernsehens. Hrsg. von CHRISTOPH DREHER, Stuttgart: Merz & Solitude 2010, S. 63–111, hier S. 79.
108
FONTANA: Freiheit (wie Anm. 104), S. 127.
109
Weitere Vorgaben und Einschränkungen zählt DREHER: Autorenserien (wie Anm. 75), S. 33f. auf.
110
Bspw. muss alle acht Minuten ein Cliffhanger für die Werbeeinspielung eingebaut werden (vgl. FONTANA: Freiheit
[wie Anm. 104], S. 119).
36
ästhetischen Auftritt von Mad Men, doch sind am Gesamtprozess viele andere Personen beteiligt,
die unabhängig von Weiner ihren Teil zur Genese des Werks beisteuern: etwa die Entscheidungsträger des Senders, die ihm seine Gestaltungsfreiheit111 erst ermöglichen oder Drehbuchautoren,
deren Ideen Weiner mit seinen eigenen verarbeitet. Vielmehr steht hinter Qualitätsserien, wie sie
hier aufgezählt wurden, ein ganzheitliches Autorenkonzept, dessen Exponent und Repräsentant die
Person des Creators ist. Diese Konstellation ist gänzlich neu in der Geschichte der TV-Serie.
Neben dem anders- und neuartig anmutenden Gesamtauftritt des Serienformats, der daraus resultiert, ist sie mitunter ein Grund für das akademischen Interesse, dessen sich diese Form der
seriellen Narration in jüngster Zeit erfreuen kann.
2.4 Eindringen in „die überreale Sphäre“ – Neue Realismuskonzepte
Die kreative Freiheit, die das Autorenkonzept dem Produktionsteam einer Serie einräumt und die
narrativen Möglichkeiten, die sich dem unzensierten Fernsehen bieten, tragen neben weiteren
Faktoren zu innovativen Konzepten der Realitätsdarstellung im Erzählformat Serie bei. Die Verfahren, eine Erzählung möglichst lebensnah zu gestalten, erstrecken sich dabei auf alle Darstellungsebenen. Angefangen bei der Figurenebene, ermöglicht das narrative Langformat der epischen Serie eine Entwicklung der Charaktere. Während vor allem in traditionellen episodischen
Serien wie Columbo, aber auch in neueren Produktionen wie der CSI-Reihe (CBS) oder Criminal
Minds (CBS, 2005–), der Handlungsfokus auf dem wie der Lösung eines Problems (hier: das Auffinden des Mörders) liegt,112 konzentrieren sich viele Qualitätsserien auf die innere Entwicklung
ihrer Hauptfiguren. Walter White etwa, der Protagonist von Vince Gilligans Breaking Bad (AMC,
2008–), verkörpert in dieser Hinsicht ein Idealbeispiel.113 Walter, eigentlich ein brillanter Chemiker von Nobelpreisformat, fristet ein unspektakuläres Dasein als netter und zurückhaltender
High-School-Lehrer und Familienvater in Albuquerque, New Mexico. Sein geringes Einkommen
111
Wie weit der Einfluss des Senders in den Gestaltungsprozess reichen kann, verdeutlicht MURIEL G. CANTOR: The
Hollywood TV Producer. His Work and His Audience, New York: Basic Books 1971, S. 9: „Even when a man owns,
creates, and produces his own show, the network retains the right to final approval of scripts, casts and other creative
and administrative matters.“ Von dieser letzten Barriere sind heutige Creators weitgehend befreit (vgl. FONTANA:
Freiheit [wie Anm. 104], S. 115: „Während der gesamten Laufzeit von Oz hat HBO uns unheimlich unterstützt. Ich
glaube, während der sechs Staffeln, die wir gemacht haben, gaben sie mir in der gesamten Zeit vielleicht drei Kommentare“).
112
Wie ROBERT BLANCHET: Quality-TV. Eine kurze Einführung in die Geschichte und Ästhetik neuer amerikanischer
Fernsehserien. In: Serielle Formen. Von den frühen Film-Serials zu aktuellen Quality-TV- und Online-Serien. Hrsg. von ROBERT
BLANCHET/KRISTINA KÖHLER/TEREZA SMID u. a., Marburg: Schüren 2011, S. 37–70, hier S. 57, anführt, stehen
bei „Polizei- und Anwaltsserien“ oftmals die „Arbeitsprozesse im Vordergrund“, weswegen solche Serien als ‚procedurals‘ bezeichnet werden.
113
Der Titel der Serie transportiert einerseits den gebrochenen Charakter des Helden und noch expliziter seine innere
Veränderung zu einem kriminellen Geist (breaking bad – dt.: auf die schiefe Bahn geraten).
37
als Lehrer zwingt ihn dazu, samstags in einer Autowaschstraße als Felgenputzer auszuhelfen, um
die Familie finanziell über Wasser halten zu können. Er verkörpert gewissermaßen den Prototyp
des Amerikaners der unteren Mittelschicht, dessen Leben, von Krediten und Hypotheken gegeißelt, von erdrückenden pekuniären Sachzwängen bestimmt wird. Als ihm sein Arzt die Diagnose
unheilbaren Lungenkrebses stellt,
heckt er den aus seiner Perspektive
einzig realisierbaren Plan aus, um
seine Familie für die nächsten Jahre
finanziell abgesichert zu wissen: er
beschließt,
synthetische
Drogen
herzustellen und zu verkaufen. Sein
ehemaliger Schüler, Jesse Pinkman,
Abb. 3: Walter Whites Metamorphose vom netten Chemielehrer …
hilft ihm dabei, mit dem regionalen
Drogenkartell in Kontakt zu treten. Breaking Bad zeichnet die Entwicklung Walters vom rechtschaffenen Bürger zum ‚kriminellen Element‘ in ihren einzelnen Stationen nach. Seine Metamorphose beginnt mit der unumgänglichen Beseitigung eines Widersachers, die durch einen Münzenwurf zwischen Walter und Jesse ihm zufällt.114 Walter, in kriminellen Handlungen, geschweige
denn in Mordsachen, gänzlich unerfahren, wendet die ihm bekannten, schulmäßigen Entscheidungs- und Rechtfertigungsverfahren an – er notiert sich eine Liste mit Pros und Contras –, um
das
Unausweichliche
schließlich
schwarz auf weiß zu sehen: er muss
den Mann umbringen.115 Als Walter
in einer erschütternden und verstörenden Szene diese Tat vollbringt,116
spielt in seinem Gesicht die Verzweiflung. Sein wiederholtes „I’m
sorry, I’m so sorry“ ist von den
Weinkrämpfen eines Menschen be-
Abb. 4: … zum eiskalten Killer in Breaking Bad.
gleitet, der eben eine unfassbare Tat jenseits seiner eigenen Vorstellungskraft begangen hat. In
3.12 Half Measures begegnet der Zuschauer hingegen einem ausgereiften, durch zahlreiche Rencontres mit einschlägigen Milieufiguren abgebrühten Kriminellen, der ohne Zögern und mit mar-
114
Vince Gilligan (Creat.): Breaking Bad. AMC 2008–, 1.02 The Cat’s in the Bag..., 22:26.
Vince Gilligan (Creat.): Breaking Bad, 1.03 …And the Bag’s in the River, 20:09.
116
Vince Gilligan (Creat.): Breaking Bad, 1.03 …And the Bag’s in the River, 39:00.
115
38
tialischer Miene den Abzug betätigt, wenn es die Situation erfordert.117 An dieser Entwicklung
Walters exemplifiziert, zeigt Breaking Bad die Genese eines Verbrechers, die einerseits aus seinen
prekären Lebensumständen motiviert, andrerseits aber durch seine individuellen Entscheidungen
erst konsolidiert wird.118 Walter ist ein gebrochener, moralisch höchst ambivalenter Held, der im
manichäischen Weltbild von Gut und Böse, das von vielen älteren Serien gepflegt wurde, nicht
mehr eindeutig positioniert werden kann und mit dem die Identifikation als Zuschauer eher
schwer fällt. Die Figur Walter erhält dadurch eine selten gesehene psychologische Tiefenschärfe,
bei gleichzeitigem Verlust eines steifen typologischen Charakters, wie er Serienfiguren nicht selten eingeschrieben wurde und immer noch wird.
Auch auf der Handlungsebene von Qualitätsserien spielen sich Vorgänge ab, die im traditionellen Serienfernsehen bis vor Kurzem noch als undenkbar galten. Früher konnte man sicher
sein, dass die Hauptfiguren, die einem ans Herz gewachsen waren, und an denen ein ganzes Stück
der Serienidentität hing, auch jedes noch so gefährliche Abenteuer überstehen würden. Dieses
ungeschriebene Gesetz jeder seriellen Fernseherzählung wurde nur gebrochen, wenn sich in Seifenopern Darsteller aus dem Vertrag lösen wollten oder die Produktionsseite von einer weiteren
Zusammenarbeit absah. In solchen Fällen wurde die Figur langsam aus der Erzählung verabschiedet, sie wurde entweder krank und starb oder zog ins Ausland. Das Diegese-Primat des
‚Überlebens der Hauptfiguren‘ hat den Nachteil, dass der Verlauf der Geschichte berechenbar
und im schlimmsten Fall langweilig wird. Einige neuere Serien räumen nun bewusst mit dieser
Vorhersehbarkeit auf, indem sie ihren Hauptfiguren das Unsterblichkeitsprivileg entziehen, und
sie tatsächlich und völlig unvermittelt sterben lassen – wie es im richtigen Leben eben geschehen kann.
Der auf den A Song of Ice and FireBüchern von George R. R. Martin
basierende Fantasy-Epos Game of
Thrones (HBO, 2011–) ist dafür ein
prominentes Beispiel. Auf dem fikAbb. 5: Eddard Stark, sympathische Hauptfigur in Game of Thrones …
tiven Kontinent Westeros werden
die sieben großen Clans der sieben Provinzen von einem König regiert. Als dieser stirbt, übernimmt sein kindlicher, zu Größenwahn neigender Sohn Geoffrey das Amt. Als Eddard Stark,
Clanführer, Regent der Provinz Winterfell und engster Ratgeber des verstorbenen Königs, entdeckt, dass der neue König Abkömmling eines inzestuösen Verhältnisses der Königin mit deren
117
118
Vince Gilligan (Creat.): Breaking Bad, 3.12 Half Measures, 46:25.
Walter White erinnert in dieser Hinsicht stark an Christian Wolf in Schillers Verbrecher aus Infamie.
39
Bruder ist, macht er bekannt, dass Geoffrey nicht der rechtmäßige Thronerbe ist. Stark wird daraufhin von Geoffrey gefangen
genommen. Der neue König handelt mit seiner Mutter aus, dass es
bei der Gefangenschaft Starks bleiben soll, entscheidet dann bei einem öffentlichen Tribunal jedoch,
aus einer spontanen Laune heraus,
dass Stark der Kopf abgeschlagen
werden soll.119 So kommt einer der
Abb. 6: … überlebt die erste Staffel nicht.
Hauptcharaktere und – aufgrund seines weisen, loyalen und zurückhaltenden Wesens – Sympathieträger der Serie noch vor der letzten Staffelepisode völlig überraschend120 ums Leben.
Andere Serien, wie aktuell Mad Men, entwickeln durch ihre detailverliebte, epochengetreue
Ausstattung eine optische Referenz an eine historische Vergangenheit.121 Die Serie erzählt die
Geschichte der fiktiven Werbeagentur Sterling Cooper und ihrer Mitarbeiter im New York der
frühen 1960er-Jahre. Doch neben
der offensichtlichen Funktion einer
realistischen
Repräsentation
der
dargestellten Epoche, 122 hat diese
Detailakribie
einen
signifikanten
Subtext: Mad Mens opulent zur
Schau getragene Visualität durchdringt die bloße HeraufbeschwöAbb. 7: Visuelle Reanimation der 1960er-Jahre in Mad Men.
rung
des
damaligen
Zeitgeistes
durch originalgetreue Requisiten und verweist auf die Praktiken heutiger Sinn- und Identitätsstiftung durch den Schein der Dinge. „Being has been transformed into having and having into appearing, so that the modern world is dominated by appearances“, paraphrasiert MARK TAYLOR
eine Quintessenz aus Guy Debords La société du spectacle und spricht damit die Identitätsauslage119
David Benioff und D. B. Weiss (Creats.): Game of Thrones. HBO, 2011–, 1.09 Baelor, 54:30.
Auf http://www.youtube.com sind einige konsternierte Zuschauerreaktionen auf Eddard Starks Tod einsehbar.
121
Vgl. MARK TAYLOR: The Past Isn’t What It Used to Be: The Troubled Homes of Mad Men. In: Jump Cut. Onlineausgabe
vom Frühling 2009, Webadresse: http://www.ejumpcut.org/archive/jc51.2009/mad-men/index.html, abgerufen am
2.5.2012: „visual style is the one detail that is most important in Mad Men, a program slavishly devoted to detail.
From skinny grey suit to torpedo bra, the hairstyles, dress, furniture, buildings, cars and homes of the early sixties are
meticulously rendered“.
122
Was zweifelsohne bestens gelingt. Vgl. JEREMY G. BUTLER: ‚Smoke Gets in Your Eyes‘: Historicizing Visual Style in
Mad Men. In: Mad Men. Dream Come True TV. Hrsg. von GARY R. EDGERTON, London u. a.: Tauris 2011, S. 55–71,
hier S. 56: „Mad Men’s visual design brilliantly implements historical signifiers. It speaks the visual language of the era,
drawing on […] deeply rootet cultural topoi.“
120
40
rung des modernen Menschen in die Objekte an, mit denen er sich umgibt.123 Vergegenwärtigt
etwa im heutigen Vintage- und Retrofetischismus,124 der sich im Überstülpen von Artefakten
vergangener, vermeintlich besserer und sinnhafterer Zeiten nach fehlenden Wurzeln ausstreckt.
Gemeint ist aber auch die Vorstellung, im möglichst realistischen Abbild den Geist und die Atmosphäre des Originalen einfangen zu können. In der selbstreferentiellen Geste des Zur-SchauStellens einer geradezu manischen Detailverliebtheit hinterfragt Mad Men die eigene Strategie der
Realitätsdarstellung, die Wesenhaftigkeit der dargestellten Zeit mittels einer vollständigen optischen Repräsentation bewerkstelligen zu können. Eine andere Strategie verfolgt Creator Tom
Fontana in seiner Serie Oz, für die er, wie weiter oben erwähnt, einen eigenen GefängnisSoziolekt entwickelte. Während Mad Men die Möglichkeit eines adäquaten Abbildungsmodells
reflektiert, lehnt Oz die direkte Realitätsrekonstruktion auf der Sprachebene explizit ab.125 Wie
Fontana erläutert, ging es ihm gerade nicht darum, einen authentischen Katalog an Ausdrücken
zu kompilieren, die während seiner Recherchen tatsächlich in amerikanischen Gefängnissen benutzt wurden.126 Vielmehr wollte er den Prozess der Genese spezieller Vokabeln rekonstruieren,
die nur im Kontext der Lebenssituation der Häftlinge entstehen konnten. Was dabei entstand, ist
eine zwar realistisch anmutende Gefängnissprache, die jedoch mit Wörtern operiert, die in diesem Zusammenhang noch nie in einem amerikanischen Gefängnis benutzt wurden. Fontanas
Sprache ist mit anderen Worten ein Konstrukt, das mit der Realität kokettiert, spielerisch ihre
Form aufnimmt, ohne sie allerdings inhaltlich nachzuahmen. Auf diese exemplarische aber nicht
imitatorische Darstellung der Wirklichkeit spricht DÖBLIN an, wenn er fordert, der Epiker soll
mit der „Realität […] spielen“ und in eine „überreale Sphäre“ vordringen – in „die Sphäre einer
neuen Wahrheit und einer ganz besonderen Realität.“127
Die Untersuchung ausgewählter intrinsischer und extrinsischer Aspekte neuerer Qualitätsserien
kann den oft konstatierten Paradigmenwechsel in der amerikanischen Serienlandschaft bestätigen.
Es sind wiederum technische Innovationsschübe und institutionelle Veränderungen, die in einer
Wechselwirkung mit neuen narrativen Verfahren und Produktionskonzepten die serielle Erzäh123
TAYLOR: Mad Men (wie Anm. 121).
Bspw. in der heutigen Prêt-à-porter Mode, die die Stile aller Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts durchbuchstabiert.
125
In Döblins Ausformulierung lehnt „das epische Werk […] die Wirklichkeit ab“ – Wirklichkeit im Sinne einer
akribischen Abbildung und Aneinanderreihung von Fakten, wie sie dem Naturalismus eigen ist (Döblin: Episches
Werk [wie Anm. 7], S. 221).
126
FONTANA: Freiheit (wie Anm. 104), S. 121f.: „[W]ährend der zwei Jahre, die ich für die Recherche brauchte, fiel
mir auf, dass die Wörter sich alle sechs Monate wieder änderten, wie das auf der Straße eben so ist. Also würde ein
Wort, das vor zwei Jahren aktuell war, sich nun schon ziemlich [altmodisch] anfühlen […]. Also beschloss ich, statt
der tatsächlichen Wörter, die ich in den Gefängnissen hörte, eine eigene Sprache für meine Figuren zu erfinden.“ Er
nennt als Beispiel das Wort ‚maytag‘: „wenn einer der Sexsklave von jemandem war, dann wurde er dessen ‚maytag‘ genannt, weil er auch die Wäsche für ihn machen musste [Maytag ist ein Waschmaschinenhersteller, S. J.]“.
127
Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 222f.
124
41
lung zu einer neuen Form heranreifen lassen, die wichtige epische Funktionen, wie sie Döblin
beschreibt, erfüllt. Die neuen Serien heben sich in ihrem nicht länger formelhaften Erzählen
deutlich von älteren Produktionen ab, doch ist festzuhalten, dass sich dieser Entwicklungsprozess
graduell und nicht schlagartig vollzogen hat, wie teilweise durch Nennung von bestimmten Jahreszahlen oder Zeitspannen suggeriert wird. So hat sich etwa die heute gängige Hybridform von
Series und Serial, wenngleich nur in wenigen Fällen, schon in den 1980er-Jahren etabliert, und die
epische Spannweite einiger heutiger Serien baut auf den narrativen Techniken des seriellen Langformats der Seifenoper auf. Genealogische, strukturelle und inhaltliche Parallelen zum Roman
sind nicht zu übersehen. Namentlich in der Popularisierung durch ein Massenmedium, der einsetzenden kulturellen Akkreditierung nach der Ablösung vom selbigen, dem Aufgreifen großer
gesellschaftlicher Stoffe und komplexer narrativer Verfahren, sind Roman und epische Serie im
21. Jahrhundert zu vergleichbaren Größen geworden. Darüber hinaus hat die heutige Serie im
Umfeld der globalen Massenkommunikationsgesellschaft mit dem World Wide Web einen adäquaten interaktiven Raum, der das im Roman verlustig gegangene, für das Epos aber konstitutive
Austauschverhältnis zwischen dem Epiker und dem Nährboden seiner Stoffe, dem Hörerkreis in
Form einer realen Rahmengesellschaft, restituiert.
3. Das audiovisuelle Epos im 21. Jahrhundert: Battlestar Galactica
An dieser Stelle soll nun am Beispiel des Weltraumepos Battlestar Galactica (Sci Fi Channel, 2003–
2009) eine Serie untersucht werden, die, wie nur wenige andere, als ein großes Epos unserer Zeit
gelten kann.128 Vor allem die bisher eher vernachlässigten Fragen des Stoffes, der Handlung und
der Figuren einer epischen Erzählung und die seiner formalen Gliederung durch spezifisch serielle Erzähltechniken sollen im Folgenden eingehend betrachtet werden. Wurde oben zur Bestimmung einiger epischer Grundaspekte Döblins Bau des epischen Werks als Argumentationsgrundlage
herangezogen, wird für die folgende Untersuchung hauptsächlich G. W. F. Hegels Ästhetik als
theoretischer Ausgangspunkt verwendet. Darin untersucht Hegel im Abschnitt Poesie den stofflichen Charakter des Epischen entlang der großen abendländischen Epen Ilias und Odyssee. Battlestar Galactica (nachfolgend BSG) eignet sich als Untersuchungsgegenstand für die Bestimmung
128
Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica. Sci Fi Channel (seit 2009 SyFy), 2003–2009. Moore wird in den
Credits der Serie nicht als Creator, sondern als ‚developer‘ (Entwickler) geführt. Hier wird ihm diese Bezeichnung
trotzdem zugestanden, weil er an allen 73 Folgen mindestens mitgeschrieben hat und als Executive Producer an allen
kreativen Prozessen der Serienproduktion teilhatte. Die unabhängige Online-Enzyklopädie zur Serie
http://www.en.battlestarwiki.com bezeichnet ihn als „creator and executive producer“ von Battlestar Galactica (Suchbegriff: Ronald D. Moore, abgerufen am 24.5.2012). Die grundlegende Idee und Disposition von Battlestar Galactica
stammt von Glen A. Larson, der die originale Serie gleichen Namens 1978 konzipierte. Larson wirkte in der Neuverfilmung als beratender Produzent mit.
42
des modernen Epos in besonderer Weise, weil hier nicht allein die Geschichte einer einzelnen
Person oder einer Gruppierung in einer bestimmten gesellschaftlichen Konstellation erzählt wird.
BSG berichtet alternierend einerseits panoramatisch über das Geschick der gesamten Menschheit
und andrerseits fokussierend auf das Schicksal einzelner Figuren und verwirklicht dadurch die
vom Epos geforderte „Totalität“ und Beispielhaftigkeit am „konkreten Dasein“.129
BSG handelt von einer hochentwickelten menschlichen Zivilisation, die 150.000 Jahre vor unserer Zeit in einem anderen Sonnensystem des Universums zwölf Planeten (die sog. Zwölf Kolonien) bevölkert. Fünfzig Jahre vor dem Einstieg in die eigentliche Handlung führten diese Menschen einen verheerenden Krieg gegen die von ihnen selbst geschaffene, rebellisch gewordene
Roboterspezies der ‚Zylonen‘. Nach dem Waffenstillstand zehn Jahre später verschwanden diese
Zylonen spurlos. Auch zu den ausgehandelten jährlichen diplomatischen Treffen der zwei Parteien erschienen die Roboter nicht ein einziges Mal, doch sind sie in der Zwischenzeit nicht untätig
gewesen. Die Zylonen sind zu humanoider Form evolviert und haben, wie später klar wird, die
menschliche Gesellschaft mit ihren Agenten infiltriert. In der erzählerischen Gegenwart erfolgt
dann völlig unvermittelt ein militärischer Schlag gigantischen Ausmaßes, der vor allem durch
Abb. 8: Die Überlebenden sammeln sich in einer Flotte unter dem Geleit der ‚Galactica‘ (Mitte) und suchen eine neue Heimat.
diese zylonischen Schläferagenten ermöglicht wurde. Die Städte der zwölf Planeten werden binnen kürzester Zeit in einem nuklearen Inferno zerstört. Es gelingt nur wenigen Raumschiffen, die
sich in den Orbits der Planeten befinden, vor dem Angriff zu flüchten. Unter ihnen befindet sich
der titelgebende Kampfstern ‚Galactica‘, ein ins Alter gekommenes Kriegsraumschiff, das eigentlich ausgedient hatte und nur noch als Museum für Relikte aus dem ersten Zylonenkrieg diente.
Unter dem Geleit und dem Schutz der Galactica sammeln sich die ca. 50.000 Überlebenden in
ihren Schiffen zu einer Flotte und machen sich unter der gemeinsamen Führung von Präsidentin
129
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik. 2 Bde., Berlin u. a.: 1976, S. 406.
43
Laura Roslin und Admiral William Adama auf die Flucht vor ihrem Feind und auf die Suche nach
einer neuen Heimat. Vor dieser Ausgangslage – Parallelen zu Homers Odyssee sind unverkennbar
– wird dabei der Entwicklung des Einzelschicksals soviel Gewicht beigemessen, wie jener der
gesamten Flottengesellschaft. Die alltäglichen Sorgen des einfachen Arbeiters werden mit derselben Sorgfalt durchleuchtet wie die weittragenden Entscheidungen der weltlichen, religiösen oder
militärischen Führungspersönlichkeiten. Politische, soziale, religiöse und ökonomische Entwicklungen dieser sich im denkbar extremsten Ausnahmezustand befindenden Gesellschaft werden
im Allgemeinen wie im Speziellen durchbuchstabiert und darüber hinaus substantielle Fragen
über die menschliche Existenz an sich aufgeworfen.
3.1 Die Totalität in der epischen Darstellung des „allgemeinen Weltzustandes“
Das apokalyptische Szenario, dem man in BSG zu Beginn begegnet, hinterlässt eine drastisch
reduzierte, nun heimatlose Menschheit, die im Krieg mit einem Gegner steht, gegen den rein
zahlenmäßig nicht anzukommen ist. Die Verteidigungschancen bei einem erneuten Angriff sind
mit dem einzigen Kampfschiff, das die Flotte von mehreren dutzend Zivilschiffen zählt, relativ
aussichtslos. Der Schock und die Trauer über die Beinahe-Auslöschung der gesamten Spezies
Mensch vermengt sich mit der Ungewissheit, was nun folgen soll. Die unendlichen Weiten des
Weltraumes drohen die Menschheit für immer zu verschlucken. Die Ausgangslage ist chaotisch
und sie birgt wenig Hoffnung. Doch bietet diese Situation, in der alles auf Null gestellt, jegliche
Ordnung ausgehebelt und kein greifbar Lebenssinn mehr ersichtlich ist – ein existentieller Stillstand also – den idealen Nährboden für das klassische Epos, das eine neue, frische Bewegung
impliziert:
Im allgemeinsten läßt sich der Konflikt des Kriegszustandes als die dem Epos gemäßeste Situation angeben. Denn
im Kriege ist es eben die ganze Nation, welche in Bewegung gesetzt wird und in ihren Gesamtzuständen eine
frische Regung und Tätigkeit erfährt.130
Im scheinbaren Ende aller Dinge liegt der Beginn des Neuen. Das Werden von etwas anderem,
eine neue Bewegung ist diesem Untergang eingeschrieben. Mag die Lage auch noch so hoffnungslos sein, der Überlebenswille siegt schließlich, als Admiral Adama auf das Anliegen von
130
Hegel: Ästhetik (wie Anm. 129), S. 420 [Hervorhebung im Original]. Auch die chaotische Lage, in der sich die
Flotte zu Beginn befindet, ist gemäß Hegel Teil der Repräsentation eines epischen allgemeinen Weltzustandes: „Einen schon zu organisierter Verfassung herausgebildeten Staatszustand mit ausgearbeiteten Gesetzen, durchgreifender
Gerichtsbarkeit, wohleingerichteter Administration […] haben wir als Boden einer echt epischen Handlung von der
Hand zu weisen“ (Hegel: Ästhetik [wie Anm. 129], S. 414).
44
Präsidentin Roslin einlenkt, dass „the survival of the human race“ zur zentralen Handlungsmotivation der Flotte erklärt werden müsse.131 Adama erkennt an diesem Punkt überdies, dass die
überlebenden Menschen eine Perspektive brauchen und ihre noch ziel- und sinnlose Reise durchs
All eine Richtung benötigt, soll die noch junge Schicksalsgemeinschaft einen Weg aus dieser Misere finden. Die neue Daseinsgrundlage baut er folgerichtig auf die einzige Ressource, die nach
der Apokalypse für die Menschen noch vorhanden ist. Er greift auf eine uralte, von vielen schon
längst vergessene Legende aus der metaphysischen Sphäre der eben zerstörten Welt zurück, die
neben den zwölf Planeten der Kolonie einen dreizehnten namens Erde anführt. Der intradiegetische Mythos berichtet, dass die
zwölf Kolonien nicht die Geburtsstätte der Menschheit seien, sondern
ein Planet Namens Kobol.132 Kobol
wurde vor zweitausend Jahren von
seinen Bewohnern verlassen. Während der größte Teil der Menschen
– zwölf Stämme – in den zwölf PlaAbb. 9: Adama verkündet die Suche nach der Erde als neues Ziel.
neten die Kolonie in spe fand, sepa-
rierte sich der sogenannte 13. Stamm und fand die sagenhafte Erde als Siedlungsstätte. Adama
verkündet also bei einer Ansprache über den Status Quo der Flotte nach dem zylonischen Angriff den Neuanfang und erklärt die Suche nach der Erde neben der Flucht vor und dem Kampf
gegen die Zylonen zum übergeordneten und primären Handlungszweck.133 Die Lähmung der
Flotte löst sich durch das neue Ziel in „Regung und Tätigkeit“ auf, der tote Punkt ist vorerst
überwunden.
Spricht Hegel in seiner Konturierung des Epos noch von einer „Bibel des Volkes“, die „jede
große und bedeutende Nation“ hat, wird diese nationalstaatliche Einklammerung vor dem Hintergrund der modernen globalisierten Gesellschaft obsolet.134 Die Konstellation, in welcher die
131
Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica, Pilot Battlestar Galactica, 2:49:00 [diese und folgende Transkriptionen:
S. J.]. Adama will eigentlich gegen die Zylonen in den Krieg ziehen, lehnt Roslins Vorschlag vorerst ab und besinnt
sich erst später eines Besseren.
132
Deswegen auch die Bezeichnung ‚Kolonien‘, oder ‚United Colonies of Kobol‘ für die Planetengemeinschaft. Die
zwölf Planeten der Kolonie sind (alphabetisch): Aerilon, Aquaria, Canceron, Caprica, Gemenon, Leonis, Libran,
Picon, Sagittaron, Scorpia, Tauron und Virgon. Sie lehnen sich deutlich an die englische Bezeichnung der zwölf
Tierkreiszeichen, wie wir sie kennen, an: Aries (Widder), Aquarius (Wassermann), Cancer (Krebs), Capricorn (Steinbock) etc. Offensichtlich ist auch die Referenz an die jüdische Mythologie in den ursprünglich dreizehn Stämmen, deren Auszug aus Kobol in der Serie stellenweise auch als Exodus bezeichnet wird.
133
Adamas Rede ist ein Paradebeispiel für politische Rhetorik, die Funktion und Effekt vor die persönliche Überzeugung des Redners stellt, denn er selbst glaubt nicht an den Mythos Erde, wie er Roslin anschließend gesteht: „It’s
all just a legend. […] It’s not enough to just live. You have to have something to live for. Let it be Earth“ (Ronald D.
Moore [Creat.]: Battlestar Galactica, Pilot Battlestar Galactica, 2:47:30).
134
Hegel: Ästhetik (wie Anm. 129), S. 407.
45
Menschen in der Exposition von BSG dargestellt werden, zeichnet den Mikrokosmos einer interplanetaren und pluralistischen Gesellschaft in Modellform nach. In der Flotte finden sich ehemalige Bewohner aller zwölf Planeten, denen jeweils ganz eigene Charakteristiken zugesprochen
werden, die auch postapokalyptisch die Flottengesellschaft maßgeblich prägen. Caprica etwa galt
als Zentrum der Kultur, Politik und Wissenschaft. Die meisten Piloten der Armee als auch Präsidentin Roslin und Admiral Adama stammen von diesem Planeten. Tauron und Virgon zählen
ebenfalls zu den wohlhabenden Planeten. Aerilon dagegen wird als hauptsächlich landwirtschaftlich geprägter und ärmlicher „food basket“ der Kolonien beschrieben.135 Die einstigen Bewohner
Gemenons gelten als fundamentalistisch religiös.136 Sie beten die zwölf Gottheiten der sogenannten ‚sacred scrolls‘ [heiligen Schriftrollen, S. J] an137 und sprechen sich, motiviert von ihrem
Glauben, beispielsweise strikt gegen Abtreibung aus.138 Die Sagittarier sind eine eingeschworene,
fast hermetische Gemeinschaft von Traditionalisten, die moderne Medizin und die Autorität des
Militärs ablehnen. Ihr ehemaliger Heimatplanet Sagittaron war die ärmste aller zwölf Kolonien.139
Obschon die Umstände der nach neuer Zielfindung beginnenden Stratifikation der Flottengesellschaft auf ‚importierten‘ Attributen alter Traditionen und sozialen Hierarchien der ehemaligen
Kolonien gründen, ergeben sich in der grundlegend veränderten Situation völlig neue Konfigurationen. Die Bildungsministerin und gelernte Lehrerin Laura Roslin wird als ranghöchste Überlebende des kolonialen Regierungskabinetts zu ihrem eigenen Erstaunen als Präsidentin vereidigt.
Adama, der zum Dienst auf die ausgemusterte Galactica mehr abgeschoben als befördert wurde,
findet sich plötzlich als militärischer Oberkommandierender wieder. Das zivil-militärische Tandem Roslin-Adama leitet fortan die Geschicke der ganzen Menschheit, die in diesem Fall auf eine
Flotte von überschaubarer Größe zu einer sich entwickelnden, mobilen Interimswelt zusammengeschrumpft ist.
Repräsentiert die Flotte die Welt der gefallenen Kolonien im Kleinformat, spielen sich in ihr
folgerichtig auch soziale, politische und ökonomische Prozesse größerer Ordnung ab.140 Eine der
spezifischen Leistungen von BSG ist es, solche überindividuellen Vorgänge transparent an handelnde Figuren und deren Entscheidungen zu knüpfen, die sie aufgrund äußerer Notwendigkeit,
aber auch aus Glauben an eine höhere lenkende Macht, Überzeugung oder schlicht Willkür und
berechnendem Eigeninteresse treffen. Die Figurenhandlungen sind in diesem Rahmen nie Selbst135
Gaius Baltar in: Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica, 3.16 Dirty Hands, 26:40.
Vgl. Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica, 2.01 Scattered und 3.16 Dirty Hands.
137
Vgl. Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica, 2.03 Fragged. Die angesprochenen Gottheiten sind der griechischen Mythologie entlehnt. Die heiligen Schriftrollen berichten in den sog. Prophezeiungen der Pythia auch über den in
BSG zentralen Mythos der Erde. Pythia ist in der griechischen Mythologie eine Priesterin des Orakels von Delphi.
138
Vgl. Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica, 2.17 The Captain’s Hand.
139
Vgl. Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica, 1.03 Bastille Day und 3.14 The Woman King.
140
Vgl. Anhang/A. Tabelle und Diagramme: Tab. 1 und Diagr. 1, v. a. Handlung A19 [Handlungssigle]. Nachfolgend wird in Klammern auf die Handlungssigle hingewiesen, wenn dies angezeigt erscheint.
136
46
zweck oder narrativer Zierrat, sondern sie werden stets aus dem „allgemeinen Weltzustand“, also
der spezifischen Gesamtsituation in der sich die Flotte im jeweiligen Moment befindet, motiviert.141 Die Handlung einzelner exponierter Figuren wirkt dabei ihrerseits wieder auf den übergeordneten Weltzustand zurück und verändert dessen Disposition.142 Diese enge und sich gegenseitig bedingende Wechselwirkung zwischen der Totalität der dargestellten Welt und dem Individuum formt ein „organisches Ganzes“143 und schildert „eine total in sich beschlossene und […]
selbständige Welt“.144 Gleichzeitig werden dabei die einzelnen Charaktere in ihrem Handeln plausibel profiliert, gewinnen an Lebendigkeit und psychologischer Plastizität. In 1.03 Bastille Day
beispielsweise gelingt es den Inhaftierten des Gefangenentransporters ‚Astral Queen‘ aus ihren
Zellen auszubrechen, nachdem Adama sie ungefragt zur Zwangsarbeit auf einem Planeten zur
dringend notwendigen Wassergewinnung einsetzen wollte. Der Initiator und Anführer des Aufstandes, Tom Zarek, ist ein charismatischer Populist, der von der Föderation der Kolonien aufgrund eines Bombenanschlags auf ein Regierungsgebäude des Planeten Sagittaron als Terrorist zu
lebenslanger Haft verurteilt wurde. Er setzt sich vordergründig für die Rechte benachteiligter
Minderheiten ein, die von der Ausbeutung des Systems bedroht werden, agiert, rhetorisch brillant,
aber gleichzeitig für sein eigenes Ziel, sich eine politische Machtposition in der Flotte zu verschaffen, was ihm im Verlauf der Geschichte auch mehrmals gelingt. BSG beobachtet die neben
Zarek involvierten Entscheidungsträger Roslin, Adama und Lee ‚Apollo‘ Adama145 objektiv im
Umgang mit der heiklen Situation des Gefangenenaufstandes, ohne dabei wertend der einen oder
anderen Position den moralischen Zuschlag zu geben. Roslin hält mit Adama den Kurs, keine
Verhandlungen mit Terroristen zu führen, sieht aber ein, dass Adamas Vorhaben der Zwangsarbeit atavistischen Gesellschaftszuständen (Sklaverei) gleichkommt und in der Flotte nicht toleriert
werden kann. Adama wiederum ordnet, strikt dem militärischen Protokoll folgend, die gezielte
Tötung Zareks an, um der Situation Herr zu werden. Eine Mittlerposition nimmt Apollo in der
Angelegenheit ein. Er lässt sich, weicher als sein Vater, einerseits wohl von Zareks Eloquenz beeindrucken, verfolgt andrerseits jedoch unbeirrt die Diskursivierung der vorliegenden Problema141
Hegel formuliert den allgemeinen Weltzustand im Epos als die „Darstellung [der] gesamten Wirklichkeit“, die
„für die Individuen bereits die Form vorhandener Wirklichkeit hat“ (Hegel: Ästhetik [wie Anm. 129], S. 413, Hervorhebung S. J.). Bei Battlestar Galactica ist das der Zustand unmittelbar nach dem zylonischen Großangriff auf die Kolonien – ein Zustand also, der für die Menschen aus äußeren Umständen motiviert, d. h. vorhanden im Sinne von gegeben
ist und aus dem heraus nun agiert wird. Aus den weiteren Ausführungen Hegels geht nicht hervor, ob mit dem „allgemeinen Weltzustand“ nur diese ursprüngliche Beschaffenheit gemeint ist, oder auch spätere Entwicklungsstadien
der Welt, die sehr wohl von menschlichen Handlungen mitgeformt werden. Im diesem Kapitel wird von Letzterem
ausgegangen.
142
Vgl. Hegel: Ästhetik (wie Anm. 129), S. 442: „denn im Epos stehen Charakter und Notwendigkeit des Äußerlichen
als gleich stark nebeneinander“.
143
Hegel: Ästhetik (wie Anm. 129), S. 407.
144
Hegel: Ästhetik (wie Anm. 129), S. 447.
145
Lee Adama ist Admiral Adamas Sohn. Wie alle Piloten der Galactica hat er einen Rufnamen, in seinem Fall ‚Apollo‘. Nachfolgend werden die Piloten nach der ersten Nennung mit vollständigem Namen bei ihrem Rufnamen genannt.
47
tik in der politischen Öffentlichkeit der Flotte und fordert die konsequente Einhaltung kolonialen
Rechts und der Menschenrechte, auch und gerade in diesem Ausnahmezustand. Sein Eingreifen
führt schließlich zum Konsens, dass die Inhaftierten sich in der Sache der Wassergewinnung einsetzen, allerdings unter dem Zugeständnis an Zarek, dass dessen Forderung nach freien Präsidentschaftswahlen nachgekommen wird. Obwohl mit actionreichen Szenen und Spannungsmomenten versetzt, liegen die Schwerpunkte dieser Folge, die darin exemplarisch für die ganze Serie
stehen kann, in der Entwicklung der Figuren und der damit verbundenen Totalität in der Darstellung der diegetischen Welt.146 Die episodische Handlung des Gefangenenaufstandes ist dabei
nicht Hauptzweck, sondern Katalysator für eine Veranschaulichung von sich gegenseitig bedingenden Entwicklungsprozessen auf der Mikro- (Figuren) als auch auf der Makroebene (Weltzustand). Der Aufstand initiiert oder nimmt weitläufige Erzählstränge wieder auf, die sich über große Teile von BSG hinweg fortentwickeln und mehrmals überschneiden. Im Beispiel von 1.03
Bastille Day sind das etwa die Beziehung Roslins zu Adama (A5), deren jeweilige Entfaltung als
primäre Entscheidungsträger in der Flotte (A1, A2) oder die zwischen Konflikt und Einklang
wechselnde Vater-Sohn-Konstellation der beiden Adamas (A6). Aber auch Tom Zareks Geschichte steht zu diesem Zeitpunkt erst an ihrem Anfang, sie wird sich noch mehrere Male mit
den genannten Hauptfiguren kreuzen, neue Begebenheiten auslösen und den Zustand der Flottenwelt nachhaltig verändern (A16).
Die wechselseitige Interaktion zwischen der Gesamtheit der diegetischen Welt und der einzelnen Figur verlangt hinsichtlich einer möglichst objektiven und realistischen Darstellung eine
gewisse Selbständigkeit in deren jeweiliger Entwicklung und Ausformung.147 Nicht jeder Vorfall
in der Welt hat eine Einwirkung auf den Fortgang der Haupthandlung oder die Aktionen ihrer
Figuren, und umgekehrt muss nicht jede Aktion einer Figur weltverändernde Konsequenzen haben. Dass die Figuren in BSG ihre eigene „Existenz geltend […] machen“ (siehe Anm. 147), zeigt
sich etwa daran, dass die Funktionen, die sie in der diegetischen Welt besetzen, von anderen Figuren nicht in derselben Qualität ausgefüllt werden können – der Handlungsverlauf also maßgeblich mit dem agierenden Figurencharakter verbunden ist. Ein Beispiel dazu findet sich in den
Folgen 2.03 Fragged und 2.04 Resistance. Die erste Staffel von BSG endet mit einem schmerzlichen
146
Die handlungsbestimmende Figurenentwicklung ist von der Darstellung marginaler und alltäglicher Begebenheiten begleitet. Auffallend oft begegnet man etwa Admiral Adama in informeller Kleidung bei der Morgentoilette in
seinem Quartier oder Kampfpiloten bei Kartenspiel und Trinkgelagen im Aufenthaltsraum. Die Schilderung solcher
Alltäglichkeiten sind bei Hegel: Ästhetik (wie Anm. 129), S. 406 fester Bestandteil der epischen Weltdarstellung: „Zu
dieser Totalität gehört […] andrerseits das konkrete Dasein, das politische und häusliche Leben, bis zu den Weisen,
Bedürfnissen und Befriedigungsmitteln der äußerlichen Existenz hinunter; und dies alles belebt das Epos durch
enges Verwachsensein mit Individuen, da für die Poesie das Allgemeine und Substantielle nur in lebendiger Gegenwart des Geistes vorhanden ist.“
147
Vgl. Hegel: Ästhetik (wie Anm. 129), S. 440: „[D]ie eigentlich epische Lebendigkeit aber liegt darin, daß beide
Hauptseiten, die besondere Handlung mit ihren Individuen und der allgemeine Weltzustand, zwar in steter Verbindung bleiben, doch in diesem wechselseitigen Verhältnis zugleich die nötige Selbständigkeit bewahren, um sich als
eine Existenz geltend zu machen, die auch für sich selbst Dasein gewinnt.“
48
Cliffhanger: Lieutenant Sharon ‚Boomer‘ Valerii hat eben letzte Gewissheit erlangt, eine zylonische Schläferin zu sein, als sie Admiral Adama völlig überraschend zweimal in die Brust
schießt.148 Adama liegt in 2.03 Fragged noch ohne Bewusstsein in der Krankenstation, sein Zustand ist kritisch, eine Notoperation steht bevor. Das militärische Flottenkommando ist an den
Ersten Offizier Colonel Saul Tigh übergegangen, einem langjährigen Freund und Weggefährten
Adamas mit latentem Alkoholproblem.149 Präsidentin Roslin sitzt in einer Zelle, nachdem sie sich
politisch von Adama entzweit und sich geweigert hat, auf dessen Forderung hin von ihrem Amt
zurückzutreten. Das ohnehin schon labile Gleichgewicht der Flotte gerät aus den Fugen. Tigh ist
mit der Situation schnell überfordert, lässt sich von seiner machtorientierten Frau Ellen in seinen
Entscheidungen manipulieren und verliert zusehends die Kontrolle über seine Alkoholsucht (B8,
A12). Am Ende der Folge setzt er die zivile Regierung ab, erklärt das Kriegsrecht und verwandelt
die Flottengemeinschaft de facto in
eine Militärdiktatur (C10). Zu Beginn von 2.04 Resistance bildet sich
vehementer Widerstand in der Bevölkerung der Flotte und dem Regierungskabinett 150 der inhaftierten
Roslin. Jene Schiffe, die Nahrungsmittel produzieren, boykottieren die
Abb. 10: Colonel Tigh setzt die Regierung ab und verkündet das Kriegsrecht.
Lieferungen an die Galactica, um
ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Tigh verliert angesichts der misslichen Lage zunehmend an
Halt. Während Ellen ihm mehr Härte in seinen Handlungen einflüstert („you handle this the way
you want“151), ist er sich bewusst, nicht für den Kommandoposten geeignet zu sein – er funktioniert in seiner Rolle nur im Zusammenspiel mit Adama. Die Situation eskaliert schließlich, als ein
von Tigh gesandter Soldatentrupp auf der ‚Gideon‘ in einem Massaker eine ganze Familie tötet.
In der Flotte droht daraufhin das Chaos auszubrechen, doch wacht Adama am Ende der Episode
auf und verspricht Tigh, dessen Fehlentscheidungen mit ihm zusammen wieder auszubügeln. Das
Happy End ist indes nur ein partielles – die Fronten zwischen Adama/Tigh und Roslin verhärten
sich in den folgenden Episoden so stark, dass die gesamte Flotte sich in zwei Lager teilt. Das
Beispiel illustriert die Abhängigkeit des Handlungsverlaufes, und damit des allgemeinen Weltzu148
Boomer ist eine verdiente Pilotin der Galactica, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht die geringste Ahnung von ihrem wahren Wesen hat. Als man sich nach verschiedenen Vorfällen sicher ist, dass die Zylonen inzwischen zu Maschinen in Menschengestalt evolviert sind, die äußerlich nicht vom ‚Original‘ zu unterscheiden sind,
entdeckt Boomer nach und nach mehr Hinweise, die sie als Zylonin ausweisen (A15, B1 und C7).
149
Im militärischen Jargon der Serie wird Tigh meist nur als ‚XO‘ (executive officer) bezeichnet.
150
1.11 Colonial Day beschäftigt sich unter anderem mit der Bildung von Roslins Regierungskabinett, dem sog. ‚Quorum der Zwölf‘, das aus jeweils einem Abgeordneten pro Planet der ehemaligen zwölf Kolonien besteht.
151
Ellen Tigh in: Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica, 2.04 Resistance, 13:19.
49
standes, von der Disposition der agierenden Figuren. Umgekehrt aber sind Tighs Entscheidungen nicht vordergründig aus einem größeren Zusammenhang heraus motiviert.152 Während Adama als auch Roslin in große Entscheidungen die Interessen und Ziele der Flotte und die allgemeine Lage meistens einfließen lassen, verliert Tigh diesen Überblick. Er lässt sich stark von rein
persönlichen Motiven leiten: seine drakonischen Maßnahmen während Adamas Abwesenheit gründen auf seinem mangelnden Selbstbewusstsein und der ‚amour fou‘ mit seiner Frau Ellen, die ihn
mit Liebesentzug oder körperlichen ‚Belohnungen‘ gezielt zu lenken weiß.153
Als richtiges Epos besitzt die Welt von BSG einen umfassenden metaphysischen Überbau,
der als Teil des allgemeinen Weltzustandes einen entscheidenden Anteil an der Handlungsführung auf allen Ebenen hat.154 Einerseits ist die äußere Einrichtung der Welt, die Einfluss auf den
Fortgang der Geschichte hat, oftmals dergestalt, dass sie weder auf Zufall noch auf menschliches
resp. zylonisches Zutun zurückgeführt werden kann, andrerseits werden Figuren in ihren Handlungen von einer nicht weiter ausgeführten höheren Macht gelenkt. In 3.11 The Eye of Jupiter und
3.12 Rapture treffen diese beiden Faktoren zusammen. Auf der Suche nach der Erde findet die
mit Nahrungsmitteln unterversorgte Flotte einen Planeten, dessen Algenkulturen zur Nahrungsproduktion verwendet werden können. Galen Tyrol, der Deckchief (Leiter des Reparaturdecks)
der Galactica, wird bei der Einrichtung des Algenabbaus auf dem Planeten auf mysteriöse Weise
von einer Felsformation angezogen. Er geht dieser Eingebung nach und entdeckt im Felsen einen Tempel, der gemäß Roslins Recherche in den Heiligen Schriftrollen das ‚Auge des Jupiter‘ beherbergt, welches wiederum eine wichtige Marke auf dem Weg zur Erde darstellen soll.
Gleichzeitig wird festgestellt, dass auch die Zylonen auf der Suche nach dem Auge des Jupiter
sind, und der Stern des Planetensystems kurz vor einer Supernova steht. Tyrol versucht die Inschriften im Tempel zu dechiffrieren, während die Lage aufgrund des instabilen Sterns und der
anrückenden Zylonen zunehmend kritischer wird. Eine vollständige Entzifferung gelingt ihm
jedoch nicht, und er muss den Tempel verlassen, bevor er herausfinden kann, was das Auge des
152
Ein Beispiel, bei dem sich der allgemeine Weltzustand ohne Zusammenhang mit Figurenhandlungen grundlegend
verändert, findet sich in 4.11 Sometimes A Great Notion. Die Erde, Ziel und einzige Hoffnung der Flotte wird aufgefunden. Doch stellt sich bei näherer Inspektion heraus, dass hier vor 2.000 Jahren ein nuklearer Krieg geführt wurde,
der den Planeten bis dato unbewohnbar macht (C37).
153
Ein ähnliches Beispiel liefert der Handlungsverlauf der Folgen 4.12 A Disquiet Follows My Soul, 4.13 The Oath und
4.14 Blood on the Scales. Hier putschen Felix Gaeta, ein Offizier der Galactica, und Tom Zarek, zu diesem Zeitpunkt
Vizepräsident der Flotte, gegen Adama. Der Vorgang hat verheerende Folgen und fordert zahlreiche Menschenleben,
seine Motivation indes ist wiederum rein persönlicher Natur: Zareks ehrgeizige Machtambitionen und Gaetas Verbitterung über die Amputation seines Unterschenkels (B31).
154
Vgl. Hegel: Ästhetik (wie Anm. 129), S. 432: „Die Art und Weise aber, in welcher diese Notwendigkeit der Begebnisse zur Darstellung gebracht wird, kann sehr verschieden sein. Das Nächste […] ist das bloße Hinstellen der Begebnisse, ohne […] Hinzufügung einer leitenden Götterwelt […], deren Notwendigkeit jedoch das dunkle Wirken
einer Macht bleibt“. BSG führt zwei theologische Systeme: den Glauben an die zwölf Götter Kobols (die nach den
olympischen Göttern der griechischen Mythologie benannt sind) der Kolonisten und den Glauben an den einen
wahren Gott, vor allem seitens der Zylonen. Die in der Folge beschriebene metaphysische Handlungslenkung wird
bis zum Ende konsequent keiner spezifischen Entität zugeschrieben, sondern bleibt unbestimmt „das dunkle Wirken
einer Macht.“
50
Jupiter ist und welchen Weg es weist.
Der Anblick der kurz vor dem Ausbruch stehenden Supernova erinnert
Tyrol an ein Mandala, das er an einer zentralen Stelle im Tempel gesehen hat. Schnell wird klar, dass die
Supernova selber das Auge des Jupiter ist, und dass aus ihr InformatioAbb. 11: Das Mandala im Tempel des Jupiter …
nen gezogen werden können, die
den Weg zur Erde weisen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen und Zylonen gleichzeitig und
unabhängig voneinander den Algenplaneten auffinden, und dabei auch noch ein naher Stern zur
Supernova wird, ist verschwindend klein.155 Die Orchestrierung durch eine höhere Macht ist dabei so naheliegend, wie die Lenkung von Tyrol zum Tempel offensichtlich ist.
Am opulentesten fällt die Figurenlenkung allerdings bei Lieutenant
Kara ‚Starbuck‘ Thrace aus.156 Sie ist
die beste Jägerpilotin auf der Galactica, eine entschlossene Kriegern
und rebellische Einzelgängerin von
so burschikoser und schroffer Art,
dass die Leute gleichermaßen von
ihr abgestoßen wie angezogen wer-
Abb. 12: … und die Supernova am Himmel vor dem Tempel.
den. Obwohl sie als notorisch befehlsverweigernd gilt, was ihrer Karriere bisweilen im Weg steht,
genießt sie Adamas vollstes Vertrauen und seine väterliche Zuneigung. Relativ früh in der Erzählung, in 1.08 Flesh and Bone, offenbart ihr der humanoide Zylon Leoben Conoy in einem Verhör
ihre Vorbestimmung, der Flotte den Weg zur Erde zu weisen (A23). Conoy spricht darüber hinaus davon, dass die Geschicke der Menschen und der Zylonen – ihre kriegerische Auseinandersetzung, die Zerstörung einer Welt und das Auffinden einer neuen – Teil einer großen, schicksalshaften zyklischen Bewegung seien, die sich ständig wiederhole. Die Sentenz „all of this happened before, and it will happen again“ wird zu einem zentralen Mantra der fatalistischen intradiegetischen Sinnauslegung, die BSG durch Äußerungen ihrer religiösen Exponenten seitens der
155
Vgl. Felix Gaeta zu Admiral Adama in: Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica, 3.11 The Eye of Jupiter, 26:34:
„Sir, I’m not one to look for religious signs, but I can’t get my head around these odds. That human and Cylon both
converge on this planet at this exact moment, just as the star is about to go supernova?“ Dass diese Aussage vom
wissenschaftlichen Offizier Gaeta kommt, unterstreicht ihre Glaubwürdigkeit zusätzlich.
156
Nomen est omen: ihr Nachname Thrace bedeutet im Deutschen Thraker. Der berühmteste Thraker ist Spartacus,
ein kriegerischer Held und renitenter Führer eines Sklavenaufstandes gegen die römische Obrigkeit um 73 v. Chr.
51
Zylonen als auch der Menschen ubiquitär durchzieht.157 Die metaphysische Komponente verweilt
jedoch nicht in der bloß mystifizierenden Anspielung, sondern wird in der Handlung eingelöst,
wie sich an Starbucks Schicksal zeigt. In 3.12 Rapture erinnert sie der Anblick der Supernova an
ein Bild, das sie seit ihrer Kindheit immer und immer wieder gemalt hat. Erst jetzt beginnt sie, an
ihre Sendung zu glauben, von der Conoy gesprochen hat. In 3.17 Maelstrom sichtet sie auf einem
Übungsflug über einem Planeten einen Zylonenjäger, der weder vom Radar noch vom neben ihr
fliegenden Apollo registriert wird. Starbuck fliegt, einer zwanghaften Eingebung folgend, dem
Jäger nach. Immer schneller werdend fliegt sie senkrecht auf den Planeten zu, bis ihre Maschine
vor den Augen des perplexen Apollo explodiert. Mit einer wahrhaft epischen Wendung, die an
einer göttlichen Intervention nun keine Zweifel mehr lässt, kehrt Starbuck dann aber zu Beginn
der vierten Staffel in derselben Manier zurück, in der sie zuvor verschwunden ist: aus dem Nichts
und überdies in einem fabrikneuen Kampfjäger, dessen Aufzeichnungsgeräte keinerlei Daten
über ihren Verbleib hergeben.158 Weder Zylonin noch Mensch,159 erfüllt sie ihre Bestimmung und
weist der Flotte den Weg zu deren endgültigen neuen Heimat, wo sie sich, am Ende der Geschichte und ihres Zwecks, vom einen auf den anderen Moment in Luft auflöst. Weder ihr Verschwinden, noch ihre Rückkehr oder die Motivation ihrer Sendung werden von BSG abschließend erklärt. Wer oder was sie nach ihrer ‚Wiedergeburt‘ ist, wird intradiegetisch nicht aufgelöst
und bleibt der individuellen Interpretation des Zuschauers überlassen.
Es bleibt noch ein letzter, allgemeiner Punkt zur umfassenden Weltdarstellung des Epos zu
erwähnen, den sowohl Hegel als auch Döblin, wenngleich unterschiedlich motiviert, im Hinblick
auf strukturelle epische Stilmittel anführen. Verbindet man die beiden nachfolgend behandelten
Aussagen, spiegelt sich darin der episodenhafte Fortsetzungscharakter, der im ersten Kapitel dieser Arbeit als die Hybridform zwischen den Serienformaten Series und Serial bereits begegnete –
157
Etwa Leoben Conoy (Two) in: Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica, 1.08 Flesh and Bone, 32:30; Six in 1.10
The The Hand of God, 39:23; Laura Roslin in 1.12 Kobol’s Last Gleaming I, 35:48: „If you believe in the gods, then you
believe in the cycle of time. That we are all playing our parts in a story that is told again, and again, and again
throughout eternity.“
Zur Namensgebung der humanoiden Zylonen: Es gibt insgesamt zwölf Modelle und von jedem Modell beliebig viele
Kopien. Stirbt eine Kopie, wird ihr Bewusstsein in einen neuen Körper auf dem sog. Wiedergeburtsschiff geladen.
Über weite Teile von BSG sind bloß sieben Modelle bekannt: One/John Cavil, Two/Leoben Conoy, Three/D’Anna
Biers, Four/Simon O’Neill, Five/Aaron Doral. Six wird oftmals bloß als Six angesprochen. Hauptsächlich in die
Handlung eingebunden ist eine Version, die Caprica Six genannt wird. Schließlich die Eight-Versionen Sharon
‚Boomer‘ Valerii und Sharon ‚Athena‘ Agathon. Erst in 4.03 The Ties That Bind, werden vier der sog. ‚Letzen
Fünf‘ enthüllt, in 4.15 No Exit, dann der letzte. Die Letzten Fünf wissen bis zu diesem Zeitpunkt nichts von ihrem
wahren Wesen und weilen unerkannt in der Flotte. Ihnen werden keine Modellnummern zugewiesen. Ebenfalls in
4.15 No Exit offenbart sich in einem Gespräch John Cavils mit einem der letzten fünf Zylonen, dass es ein Modell
Seven/Daniel – ursprünglich also 13 Modelle – gab, das von Cavil allerdings nachhaltig eliminiert wurde.
158
Vgl. Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 237: „Im Drama stirbt ein Mensch prompt nach zwei Stunden, der
Epiker ist gemütlicher, er läßt ihn heute sterben, aber morgen kann er wieder aufstehen.“
159
In Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica, 4.18 Islanded in a Stream of Stars, 32:34, sieht Gaius Baltar in ihr
aufgrund ihrer mysteriösen Rückkehr einen Engel: „I told you there were angels walking amongst you.“ Sie selbst ist
sich da nicht so sicher: „What am I? A daemon? A ghost?“ (Ronald D. Moore [Creat.]: Battlestar Galactica, 4.16 Deadlock, 22:49).
52
womit sich der Zirkel zur modernen audiovisuellen seriellen Erzählung an dieser Stelle wieder
schließt. Hegel legt in seinen Ausführungen dar, dass „in keiner anderen Gattung das Episodische
so sehr ein Recht [habe], als im Epos.“160 Für die Darstellung der Welt in ihrer gesamten Breite
und detailreichen Fülle ist die episodische Betrachtung des Besonderen die geeignetste Form,
doch darf das einzelne Ereignis, das in der Episode zur Anschauung gelangt, nicht völlig losgelöst
von der Gesamtdarstellung sein, sondern „selbst die Episoden müssen sich in betreff auf den
Fortgang der Begebenheit, sei es auch als Hemmnis und aufhaltendes Zwischenereignis, wirksam
erweisen.“161 Die narrative Formatierung BSGs arbeitet dementsprechend mit einer Mischform
aus Serial und Series, die unter anderem das Besondere darstellt und mit dem Allgemeinen verbindet. Wie aus den Diagrammen 2–5 im Anhang hervorgeht, werden in jeder Episode mehrere
Haupthandlungsstränge (A-Handlungen, blau) angerissen oder fortgesetzt, in der Regel eine oder
mehrere Nebenhandlungen (B-Handlungen, rot) geführt und in 65% aller Folgen werden auch
kleinere Begebenheiten (C-Handlungen, grün) abgehandelt, wovon rund 40% wiederum strikt auf
eine einzelne Episode begrenzte Ereignisse sind.162 Diese episodischen Kleinsterzählungen veranschaulichen oftmals das ‚Alltagsgeschäft‘ in der Flotte, etwa wie eine Invasion zylonischer Roboter auf der Galactica bewältigt wird (C8), oder sie begleiten eine Figur bei ihren Aufgaben (bspw.
C4). Sie dienen mit anderen Worten der narrativen Erschließung der Breite der diegetischen Welt.
In den meisten Fällen bilden die Handlungen solcher vermeintlich geschlossenen Erzähleinheiten
eine Untermenge der Haupthandlungen und sind infolgedessen nicht dramaturgischer Selbstzweck, etwa zur alleinigen Spannungserzeugung oder Figurenexposition, sondern entwickeln die
großen Handlungsbögen mit.163 Spricht Hegel mit dem episodischen Aspekt des Epos eine syntagmatische Verbindung des Einzelnen zu einem mannigfaltigen Nebeneinander an, sieht Döblin
im Fortsetzungscharakter – einer kontinuierlichen und paradigmatischen Variation des Ähnlichen
– ein Merkmal der Epik:
Ein Mann hörte heute auf zu erzählen, und morgen erzählt er weiter, die Leute wollen etwas Neues hören, aber
da man nicht viel Stoffe hat und das Interesse wächst, wenn man an Altes anknüpft, so macht man Serienarbeit,
Arbeit am laufenden Band, Fortsetzungen ohne Ende.164
Das Anknüpfen an bereits Vorgefallenes, das Weiterführen, Ausbauen und Überschneiden einzelner Geschichten über lange Strecken geben dem Epos in der Kumulation von Begebenheiten
ähnlicher Art – mit anderen Worten: in der über mehrere Folgen oder Staffeln fortgesetzten
160
Hegel: Ästhetik (wie Anm. 129), S. 441.
Hegel: Ästhetik (wie Anm. 129), S. 442.
162
C-Handlungen, die innerhalb einer Episode abgewickelt werden: C3, C4, C8, C11, C13, C15, C18, C25, C27, C29,
C30, C31, C32, C37, C38, C41 und C44.
163
Die jeweilige Verbindung zu einem oder mehreren anderen Handlungssträngen wird in Tab. 1 in eckigen Klammern angedeutet.
164
Döblin: Episches Werk (wie Anm. 7), S. 237.
161
53
Handlung – die Tiefenschärfe und Kontinuität, die es zur großen umfassenden Erzählung werden lassen. In der räumlich und zeitlich kohärent erzählten Welt können sich Figuren und Ereignisse richtig entfalten, Konflikte adäquat eingeführt und auserzählt werden. BSG vereinigt in seiner narrativen Struktur Hegels epische Breite mit Döblins epischer Tiefe. Jede Episode führt
simultan zwischen 5 und 22 Handlungsstränge, die bei über 60% aller Folgen aus einer Kombination aller Handlungstypen A, B und C bestehen (vgl. Anhang/A. Tabelle und Diagramme: Diagramme 2–5). Erzählstränge, die über die gesamte Dauer der Serie immer wieder aufgegriffen
und weiterentwickelt werden, stehen in einer Folge neben kleineren, episodenhaften Geschichten,
überschneiden und vermengen sich unter Umständen mit ihnen, lösen neue Handlungsbögen aus
und bilden auf diese Weise eine komplexe narrative Textur, die zwischen episodischer Auflösung
des Geschehens und fortgesetzter Retardierung der Enthüllung großer Änigmata oszilliert.165 Die
Hybridform der seriellen Narration, wie sie in BSG zur Realisation kommt, erweist sich als optimales Erzählgefäß für die Entwicklung epischer Funktionen.
3.2 Allegorische Reflektion der Gegenwartspolitik: Battlestar Galactica und die USA nach 9/11
Die in BSG umfassend dargestellte diegetische Welt, die sich irgendwo im Universum abspielt,
hat oberflächlich betrachtet wenig mit der Realität hier unten auf der Erde zu tun. Es ist eine
dystopische Science-Fiction-Geschichte, die dem Genre entsprechend eine betont fiktionale Welt
in einer unbestimmten Zeit ausmalt, welche technologisch und wissenschaftlich der unseren weit
voraus ist – was ihren fiktiven und unrealistischen Charakter zusätzlich unterstreicht. Das sind
die Implikationen, die Science-Fiction auf den ersten Blick mit sich bringt. Es ist jedoch gerade
das in seiner sich aufdrängenden Realitätsferne verfremdende Moment des Genres, in dem die
spezifische Möglichkeit liegt, auf kontroverse und tabuisierte Themen und Problematiken einer
Kultur einen unverstellten, weil allegorisierten Blick zu werfen.166 Befasst man sich eingehender mit
der Serie, drängen sich in BSG die allegorischen Verweise auf die amerikanische Politik und Ge-
165
Die Gesamtansicht in Diagr. 1 (Anhang/A. Tabelle und Diagramme) vermag die Metapher der ‚komplexen narrativen Textur‘ von BSGs Erzähltechnik bis zu einem bestimmten Grad zu visualisieren. Da sie mit binären Werten
arbeitet, also nur angibt, ob ein bestimmter Handlungsstrang in einer Episode vorkommt oder nicht, kann sie jedoch
bspw. die Gewichtung einer Handlung innerhalb der Episode (wie viele Einstellungen ihr etwa gewidmet werden)
nicht wiedergeben. Die tatsächliche narrative Struktur ist organischer und nuancierter, mit anderen Worten: noch
komplexer aufgebaut, als das Diagramm dies suggeriert.
166
Vgl. BRIAN L. OTT: (Re)Framing Fear: Equipment for Living in a Post-9/11 World. In: Cylons in America. Critical Studies
in Battlestar Galactica. Hrsg. von C. W. MARSHALL und TIFFANY POTTER, New York u. a.: Continuum 2008, S. 13–26,
hier S. 16: „All fiction takes us out of the world in which we live, but science fiction does so principally through
distortion – the mutation and metamorphosis of the world as we know it […]. Science fiction is inevitably about the
culture that produced it.“
54
sellschaft vor allem nach 9/11 geradezu auf.167 Die Serie ging mit dem Pilot im Dezember 2003 in
einem Amerika auf Sendung, das nach den Vorfällen des 11. September 2001 unter der Regierung George W. Bushs innen- wie außenpolitisch auf den Kurs des ‚War on Terrorism‘ mit all
seinen Implikationen eingelenkt hatte: Afghanistan wurde als ideologischer Ausgangspunkt der
Anschläge besetzt, später folgte der Sturz Saddam Husseins und die Okkupation Iraks. Die
Kriegsführung gegen die beiden Länder konnte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Bedrohung geographisch schwer zu lokalisieren war. Der Krieg der Amerikaner fand in der ‚Axis
of Evil‘ ein diffuses Feindbild, das mit Begriffen wie ‚Extremismus‘, ‚Fundamentalismus‘168 und
vor allem ‚radikaler Islamismus‘ dem volatilen Konterfei des Gegners zur Veranschaulichung
verhelfen sollte. Die politische Rhetorik von Bushs Regierung teilte die Welt in zwei Lager: „Either you are with us, or you are with the terrorists.“169 Vor diesem Hintergrund war es schwer bis
unmöglich, in der breiten Öffentlichkeit eine direkte und differenzierte Kritik am Vorgehen der
Bush-Administration – schlicht eine ganze Glaubensrichtung des Terrorverdachts zu bezichtigen
– auszuüben. Eine Diskursivierung der Problematik konnte also nur auf indirektem Weg angerissen werden, was BSG mit seinen allegorischen Bezügen auf eindrückliche Art und Weise umsetzen konnte.170
Im Pilotfilm Battlestar Galactica werden eindeutige Markierungen gesetzt, die ein allegorisches
Übersetzungsverhältnis der fiktiven Handlung mit den Vorfällen des 11. September 2001 nahelegen. So erfolgt der zylonische Angriff auf die Kolonien völlig überraschend und wird vor allem
durch das Wirken der infiltrierten Agentin Caprica Six ermöglicht, die unerkannt unter den Menschen lebte und sich durch ihre Beziehung zum brillanten Wissenschaftler Gaius Baltar Zugriff
auf das zentrale Verteidigungssystem verschaffen konnte. Darüber hinaus stehen die Menschen
mit den Zylonen einem selbst geschaffenen Feind gegenüber – wie SASCHA SEILER anführt, eine
„deutliche Anspielung auf die Bewaffnung des Nahen Ostens durch die USA“171 –, der sich in
einem radikal monotheistischen Glauben vom verwässerten Polytheismus der Kolonisten abgrenzt.172 Aus dieser Grundkonstellation heraus eröffnet BSG nun mehrere Diskurse, welche die
Selbstwahrnehmung der amerikanischen Gesellschaft im Umgang mit dem ‚Feind‘ kritisch hinter167
Ausführlich besprochen werden die allegorischen Bezüge BSGs im Sammelband Cylons in America. Critical Studies
in Battlestar Galactica. Hrsg. von C. W. MARSHALL und TIFFANY POTTER, New York u. a.: Continuum 2008.
168
Vgl. OTT: (Re)Framing Fear (wie Anm. 166), S. 17.
169
George W. Bush in seiner Rede vom 20. September 2001 vor dem amerikanischen Kongress. Zitiert nach OTT:
(Re)Framing Fear, S. 21.
170
Nach dem Rolling Stone-Journalisten GAVIN EDWARDS ist BSG „TV’s most vivid depiction of the post-9/11 world
and what happens to a society at war“ (zitiert nach OTT: (Re)Framing Fear [wie Anm. 166], S. 17).
171
SASCHA SEILER: ‚Battlestar 9/11‘ – Der 11. September 2001 als Zäsur in amerikanischen Fernsehserien. In: 9/11 als
kulturelle Zäsur. Repräsentationen des 11. September 2001 in kulturellen Diskursen, Literatur und visuellen Medien. Hrsg. von
SANDRA POPPE/THORSTEN SCHÜLLER und SASCHA SEILER, Bielefeld: transcript 2009, S. 239–257, hier S. 246.
172
Im Polytheismus der Kolonien spiegelt sich die Partikularisierung und Heterogenität der christlichen Glaubensgemeinschaft, während der zylonische Glaube an den einen Gott eine homogene Glaubensauffassung des Islams
suggeriert.
55
fragt. Zu Beginn scheint beispielsweise das Feindbild, das sich die Menschen von den Zylonen
machen, unproblematisch und nachvollziehbar zu sein. Schließlich handelt es sich um programmierte, gefühlslose Roboter und nicht um Menschen. Wird von Zylonen geredet, geschieht das
auffallend oft mit dem Zusatz „they’re machines“, und als Roslin nach der Festnahme von Leoben Conoy (Two) fordert: „I want him to be interrogated“, erwidert Adama: „It’s not a him. It’s
an it.“173 Die Zylonen verkörpern in dieser Rhetorik das als nicht menschlich identifizierte Andere und Fremde, das dementsprechend auch keinen Anspruch auf menschliche Behandlung hat.
Conoy wird daraufhin, in der Hoffnung er werde Pläne der Zylonen preisgeben, unter Folter von
Starbuck verhört. Spätestens hier wird das zu Beginn noch einfache Feindbild der bösen Roboter
gebrochen: Conoy ist erschöpft,
empfindet Schmerzen, blutet und
schwitzt wie ein Mensch, er redet
und sieht aus wie ein Mensch. Diese
menschlichen Züge werden in der
Szene
kontrapunktierend
neben
Starbucks entmenschlichende Bemerkungen gesetzt:
Abb. 13: Starbuck (r.) verhört den Zylonen Leoben Conoy.
174
„machines
shouldn’t feel pain, shouldn’t bleed,
shouldn’t sweat.“175 Die Situation wird durch die äquivalente Nebeneinanderstellung beider Perspektiven weitgehend objektiviert dargestellt und überlässt dem Zuschauer ein moralisches Urteil
über die Anwendung oder Rechtfertigung von Folter. Zu Beginn der dritten Staffel, in 3.01 Occupation und 3.02 Precipice, verändert sich die Konstellation dann grundlegend. Die Menschen haben
einen lebensfreundlichen Planeten gefunden und beschließen, New Caprica, wie das neue Zuhause genannt wird, zu besiedeln. Ein Jahr danach finden die Zylonen den Planeten und besetzen
ihn kurzerhand, während die Galactica und andere Schiffe der Flotte, die sich im Orbit befinden,
flüchten müssen. Um Colonel Tigh und Chief Tyrol bildet sich eine Widerstandsgruppe, die sich
mit Bombenanschlägen und in einem Fall sogar mit einem Selbstmordattentat gegen die Besatzer
und Kollaborateure aus den eigenen Reihen auflehnt. Mehrere Widerständische, unter ihnen Colonel Tigh, werden eingesperrt und gefoltert. Die Situation rekurriert unverkennbar auf die amerikanische Besatzung Iraks und Gefängnisse,176 in denen einheimische Widerstandskämpfer (Abu
173
Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica. 1.08 Flesh and Bone, 4:00.
Vgl. OTT: (Re)Framing Fear (wie Anm. 166), S. 18: „These humanizing traits are consistently juxtaposed with Starbuck’s dehumanizing language.“
175
Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica. 1.08 Flesh and Bone, 15:28
176
Vgl. OTT: (Re)Framing Fear (wie Anm. 166), S. 17 und ERIKA JOHNSON-LEWIS: Torture, Terrorism, and Other Aspects
of Human Nature. In: Cylons in America. Critical Studies in Battlestar Galactica. Hrsg. von C. W. MARSHALL und TIFFANY
POTTER, New York u. a.: Continuum 2008, S. 27–39, hier S. 35: „The Cylons invade, and as Season Three opens,
174
56
Ghraib) und generell des Terrorismus Verdächtigte (Guantánamo Bay) außerhalb des Wirkungsbereichs US-amerikanischer als auch internationaler Rechtsprechung gefangen gehalten und gefoltert wurden. Die Vorzeichen der Identifikationsperspektive, die von der Allegorie bis hierhin
gesetzt wurden, kehren sich nun jedoch um: während die Menschen der Flotte – die das Mitgefühl der Zuschauer naturgemäß eher erregen – vorher im allegorischen Übersetzungsverhältnis
dem Volk der USA in einer Kriegssituation entsprachen, repräsentieren sie nun die Menschen im
von den USA besetzten Irak, während die Zylonen die Rolle der Besatzungsmacht USA einnehmen. Diese geschickt gewählte Disposition drängt dem Zuschauer die Identifikation mit dem
irakischen Volk in der Besatzungssituation geradezu auf. BSG versucht indes nicht, durch die so
geleistete Offenlegung von Motivationen etwa für das Selbstmordattentat ein solches zu erklären
oder gar zu entschuldigen, sondern stimuliert alternative Denkpositionen durch eine nichtwertende, weitgehend differenzierte Darstellung der Beweggründe beider Lager. Der Widerstand auf
New Caprica wird nicht als gesichtsloses Kollektiv gezeigt, das einhellig einer radikal-religiösen
Doktrin folgt, sondern als eine Gruppe von Menschen, in der jeder auch nach individuellen Neigungen, Ängsten und Bedürfnissen auf die Besatzungssituation reagiert. Der Selbstmordattentäter Tucker Clellan etwa verliert seine Frau bei einem Zylonenangriff und ist psychisch höchst
instabil und beeinflussbar. Tigh, die treibende Kraft hinter dem Anschlag, nutzt diese Schwäche
gewissermaßen aus, um sich an den Zylonen für seine Folter zu rächen, und Tyrol, der zweite
Mann hinter Tigh, hegt starke Zweifel und will das Attentat verhindern, kommt schließlich jedoch zu spät. Auf der anderen Seite versteht sich die Besatzungsmacht der Zylonen „as benevolent parents, hoping to save humankind from itself by spreading God’s word“, was, wie BRIAN L.
OTT weiter ausführt, wiederum eine offensichtliche Anspielung auf die selbstgerechte Eigenwahrnehmung der amerikanischen Besatzungsmacht im Irak ist: „The story parallels the rhetoric
of a sanctimonious [frömmelnde, S. J.] Bush administration, which has justified the U. S. occupation of Iraq by claiming to spread freedom and democracy.“177
Die Darstellungen in BSG erschöpfen sich nicht in den Allegorien über die direkten Auswirkungen der US-amerikanischen Außenpolitik nach den Anschlägen in New York und Washington D. C.. Zahlreiche Episoden reflektieren ebenso sorgfältig wie objektiv innenpolitische Themen, die ihren gemeinsamen Nenner wohl in der Politik der Bush-Administration finden mögen,
jedoch nicht in direktem Zusammenhang mit den Ereignissen vom 11. September 2001 stehen
müssen. 1.12 Kobol’s Last Gleaming I greift zum Beispiel die problematische Verquickung von Kirche und Staat in der Person des Staatsoberhauptes auf, die in den USA nicht erst seit der Präsidentschaft George W. Bushs eine gewisse Tradition hat und in der amerikanischen Öffentlichkeit
they occupy New Caprica, evoking the American occupation of Iraq.“
177
OTT: (Re)Framing Fear (wie Anm. 166), S. 23.
57
immer wieder kontroverse Diskussionen auslöst.178 In der angesprochen Folge begegnet man
einer an Krebs leidenden Präsidentin Laura Roslin, die noch sechs Monate zu leben hat. Ausgelöst durch das fiktive schmerzlindernde und halluzinogene Heilkraut Chamalla, erfährt Roslin im
Schlaf und auch im Wachzustand seit kurzem Visionen, die sich mit den Prophezeiungen der
Pythia 179 decken. Die Priesterin Elosha bestärkt sie in ihrem Glauben,
die kranke Führerin aus Pythias
Schriften zu sein, gemäß derer sie
die Menschheit zur Erde führen, das
neue Land selber aber nie erblicken
werde.180 Roslins Rückhalt als religiöse und weltliche Führerin in der
Abb. 14: Roslins Vision von Schlangen auf dem Rednerpult.
Flottengesellschaft wird durch die-
sen Auserwählungsglauben zusätzlich gestärkt, und sie entscheidet sich, die Suche nach der Erde,
und damit das Schicksal der gesamten Flotte, ausschließlich auf die Aussagen der Heiligen
Schriftrollen zu stützen. Adama vertritt in dieser Sache eine pragmatische und profane Gegenposition, wenn er auf Roslins Pläne erwidert: „These stories about Kobol, gods and the arrow of
Apollo, they’re just stories, legends, myths. Don’t let it blind you to the reality that we face.“181 Im
Gegensatz zu Roslin ist er nicht bereit, das Schicksal der gesamten Menschheit einem mystischen
Glauben an Texte in die Hände zu legen, die 3.600 Jahre alt sind. In Frage gestellt wird Roslins
Standpunkt zusätzlich dadurch, dass sie ihre Visionen nicht spontan, sondern unter Drogeneinfluss hat. Mag man darin eine Anspielung an George W. Bushs frühere Alkoholsucht sehen oder
nicht, der besondere Fokus, den BSG hier legt, liegt bei der Problematisierung des persönlichen
Glaubens einer Person in höchster Führungsposition und den Einfluss, der dieser auf Entscheidungen von globaler Auswirkung hat – was während Bushs Präsidentschaft zu besonders kontroversen Diskussionen in der amerikanischen Öffentlichkeit führte.182 Wenn BSG hier zum ersten
178
GARY SCOTT SMITH: Faith and the Presidency. From George Washington to George W. Bush, New York: Oxford Univ.
Press 2006, S. 3: „Religion and politics have been deeply intertwined throughout American history, and there is a
long and rich tradition of both scholarly and popular analysis of American presidents.“
179
Vgl. auch Anm. 137.
180
Parallelen zu Moses als Führer des Auserwählten Volkes und dessen Suche nach dem Gelobten Land sind nicht
zu übersehen.
181
Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica. 1.12 Kobol’s Last Gleaming I, 28:38. Der Pfeil des Apollo (gemeint ist
die intradiegetische Gottheit und nicht etwa die Figur Lee ‚Apollo‘ Adama) ist laut den Schriften der Schlüssel zum
Grab der Athene auf Kobol, worin sich wichtige Hinweise für die Route zur Erde befinden sollen.
182
Vgl. SMITH: Faith and the Presidency (wie Anm. 178), S. 365f.: „Although George W. Bush is not more personally
devout than William McKinley, Woodrow Wilson, or Jimmy Carter, religious issues have played an even more important role in his presidency than for any of his predecessors. […] The nature of his personal faith, the many religious factors involved in his campaigns, and the influence of his religious convictions on his policies have provoked
an immense amount of discussion, debate, and disagreement.“
58
Mal einer Weltsicht den Vorrang zu geben scheint (nämlich der säkular-wissenschaftlichen Adamas), so wird diese vermeintliche Parteinahme im Verlauf der Erzählung wieder relativiert: Roslin
wird zwar, gegen Adamas Willen, nach Kobol gehen und die Flotte wird sich in zwei Lager trennen. Doch treten in der Folge die Prophezeiungen exakt so ein, wie es die Heiligen Schriften
vorhersagen. In derselben objektivierenden Manier eröffnet BSG noch etliche weitere Diskurse,
die umstrittene Themen der damals aktuellen amerikanischen Politik aufgreifen: SchwarzmarktÖkonomie in 2.14 Black Market, Abtreibungspolitik in 2.17 The Captains Hand, Wahlbetrug in 2.20
Lay Down Your Burdens I und die Rechte von Arbeitern und Gewerkschaften in 3.16 Dirty Hands,
um einige Beispiele zu nennen. Der hier (und vorgehend schon einige Male) erwähnte objektivierende oder differenzierende Stil der äquivalenten Darstellung mehrerer, meist antagonistischer
Perspektiven auf der narrativen Ebene intensiviert sich mit einer durchgehend schnell zoomenden und schwenkenden ‚Wackelkamera‘, die auf der visuellen Ebene den dokumentarischen Habitus einer journalistischen ad hoc Berichterstattung zitiert.
3.3 Identität und Alterität – oder: was ist der Mensch?
Die Serie BSG erzählt also nicht nur die phantastische und ‚hochauflösende‘ Geschichte einer
selbständigen, in sich geschlossenen Welt, sondern diskursiviert mit allegorischen Vermittlungstechniken politische und gesellschaftliche Problematiken der historischen Gegenwart zum Zeitpunkt ihrer Erstausstrahlung. Der Bezug zur Realität und die kritische Auseinandersetzung mit
tabuisierten Themen sind als besonderes Verdienst von BSG zu werten. Auf der anderen Seite ist
das Verständnis für eine Allegorie indes stets an den Kontext gebunden, auf den sie verweist.
Ohne die Kenntnis der historischen Ereignisse um das Jahr 2000 herum bleibt dem Betrachter
ein großer Teil der Erkenntnisleistung, die BSG erbringt, schlechterdings verschlossen. Um diesen Vorgang zu illustrieren, sei hier ein kleines Gedankenspiel in Science-Fiction-Manier erlaubt.
Man stelle sich vor: in einer fernen Zukunft fände eine kultivierte Zivilisation ähnlich der unseren
die komplette DVD-Box von Battlestar Galactica. Diese Zivilisation hätte nun kein Gedächtnis der
historischen Vergangenheit, aber die Mittel, um den Inhalt der aufgefundenen Datenträger zu
visualisieren und zu verstehen. Diese zukünftigen Zuschauer könnten die Zeichen, die bestimmte
Teile der Erzählung als Allegorie auf eine historische Wirklichkeit markieren, nicht entschlüsseln.
Sie wüssten nicht, dass George W. Bush der 43. Präsident des Staates USA war, und dass die Tatsache, dass Laura Roslin zu Beginn der Erzählung an 43. Position für den Präsidentenposten
steht, ein Scharnier der Diegese zur extradiegetischen Welt herstellt, und sich auf diese Weise
gewisse Handlungen der fiktiven Präsidentin Roslin auf Handlungen des realen Präsidenten Bush
59
beziehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach überdauernden Erkenntnissen, nach
der Darstellung von „Grundsituationen des menschlichen Daseins“, die BSG zu leisten vermag –
Erkenntnisse, die einem aufmerksamen zukünftigen Betrachter nicht verschlossen blieben, weil
sie als exemplarisch gelten können. Freilich ist diese Vorstellung sehr pointiert angesetzt. Viele
der allegorischen Darstellungen können zweifellos als wesenhafte Prinzipien einer menschlichen
Existenz ausgedeutet werden, in der sich auch ferne Generationen noch erkennen könnten. Eine
davon ist die Bestimmung der eigenen Identität durch die Abgrenzung zum Anderen, die subsequent die Frage nach sich zieht, was den Menschen eigentlich zum Menschen macht. Es ist dies
ein Vorgang, der in BSG konsequent zur Diskussion gestellt wird, wenn beispielsweise die Menschen in der synthetischen Bauart der Zylonen ein Merkmal der Abgrenzung zur eigenen organischen Beschaffenheit finden und daraus ableiten, dass Zylonen willenlose, determinierte (weil
programmierte) Wesen sind, die weder Gefühle wie Liebe oder Angst empfinden,183 noch so etwas wie ein Gewissen entwickeln können – dass sie, mit anderen Worten gesagt, aufgrund dieser
vermeintlich fehlenden Qualitäten keine Menschen, keine Personen sind.184 Auch wenn die Parallelen zur Konstruktion eines entmenschlichten Feindbildes, wie es in Bushs Rhetorik des ‚War on
Terrorism‘ gepflegt wurde, hier deutlich durchscheinen, verweist dieser Vorgang nicht allein auf
die spezifische Kriegssituation zwischen den USA und dem Irak, sondern illustriert mitunter einen elementaren Vorgang der Identitätsfindung des Menschen. BSG bleibt nun nicht bei dieser
an sich schon interessanten Feststellung. Die Serie lotet das epistemische Potential der Schöpfung
einer Roboterethnie, die dem Menschen über die Optik hinaus auch in seinen kognitiven Funktionen aufs Haar gleicht, voll aus. Die zu Beginn so klaren Demarkationslinien zwischen Mensch
und Maschine, die zuvorderst aus den pejorativen Beschreibungen der Zylonen durch die Menschen („toaster“, „skin jobs“, „software“, „machines“ etc.) gesetzt werden, verwischen im Verlauf der Erzählung zusehends. Schon relativ früh deutet sich an, dass das Bild der Zylonen als
einheitliches und willenloses Kollektiv nicht konsequent haltbar ist. Die sieben (vorerst bekannten) Zylonenmodelle unterscheiden sich nicht nur in ihrem Äußeren, sie sind auch von grundlegend verschiedener charakterlicher Disposition, die innerhalb einer Modellreihe dann jedoch relativ homogen vertreten wird. Beim Anblick der menschenleeren und zerstörten Stadt Caprica City
zeigt sich beispielsweise Caprica Six gegenüber Doral (Five) geradezu melancholisch, während
dieser dem Massenmord an den Menschen ohne Reue begegnet:
183
Vgl. Eight-Version Sharon ‚Athena‘ Valerii (später Agathon) und Karl ‚Helo‘ Agathon in: Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica. 1.13 Kobol’s Last Gleaming II, 12:15: „(Athena) I’m nervous. – (Helo) Like anything scares you.
– Things scare me, Helo. I have feelings. – You have software.“
184
Vgl. ROBERT W. MOORE: ‚To Be a Person‘: Sharon Agathon and the Social Expression of Individuality. In: Cylons in
America. Critical Studies in Battlestar Galactica. Hrsg. von C. W. MARSHALL und TIFFANY POTTER, New York u. a.:
Continuum 2008, S. 105–117, hier S. 105: „Most of the humans on Galactica unreflectively associate being a person
with being human and therefore instantly dismiss Cylons as persons. Being human or being a person is opposed to
being a machine.“
60
Caprica Six:
Doral:
Caprica Six:
Doral:
This all makes me so sad.
They would have destroyed themselves anyway. They deserve what they got.
We’re the children of humanity – in a sense.
True. But parents have to die. It’s the only way children come into their own.185
Caprica Six leitet später zusammen mit der wiedergeborenen Version Sharon ‚Boomer‘ Valeriis
erste Schritte einer Gegenbewegung unter den Zylonen ein, die ihre Untaten kritisch überdenkt
und Alternativen in einer Koexistenz mit den Menschen sucht (2.18 Downloaded), was später zu
einer Allianz dieser rebellischen Fraktion mit der Flotte führt (4.07 Guess What’s Coming to Dinner).
Doral hingegen bleibt seiner Linie und der zylonischen Idee treu und kämpft bis zum Schluss
gegen die Menschen. Darüber hinaus entwickeln einzelne Individuen unter den Zylonen – allen
voran jene Eight-Version Sharon ‚Athena‘ Agathon, die sich bewusst für ein Leben als Zylonin
unter den Menschen entscheidet – eine ganz eigene Wesensart, die völlig aus ihrer Modellreihe
ausschert. Ausgelöst durch „the individuating influence of being loved“,186 wählt Athena die Ehe
mit dem Galactica-Piloten Karl ‚Helo‘ Agathon, die Gründung einer Familie und später ihre Vereidigung als Pilotin der Galactica. Trotz starker Anfeindungen und dem latenten Misstrauen, das
die Menschen ihr entgegenbringen, bleibt sie ihren Entscheidungen treu und setzt – im bedingungslosen Kampf gegen ihre eigene Spezies – viele Male ihr Leben
für die Flotte ein. In der konsequenten Umsetzung ihrer Entscheidungen aber positioniert sich Athena als
souveräne und selbstbewusste Person, wie nur wenige Menschen der
Flotte das zu tun in der Lage sind.
Abb. 15: Mit einem Sprechakt setzt sich Athena als Person.
ROBERT W. MOORES Feststellung
(vgl. Anm. 184) zufolge schließt physisch „ein Mensch zu sein“ nicht notwendigerweise „eine
Person sein“ mit ein. Die Menschen der Flotte implizieren jedoch automatisch, dass man Mensch
sein muss, um eine Person sein zu können. Im Gespräch mit Adama straft Athena diese unreflektierte Annahme Lügen, indem sie sich von ihrer Modellreihe Eight mit dem aufklärerisch anmutenden Schritt einer Selbstsetzung emanzipiert: „I’m Sharon, but I’m a different Sharon. I know
who I am. I don’t have hidden protocols or programs lying in wait to be activated. I make my
own choices. I make my own decisions.“187 Athena dekonstruiert mit diesem Sprechakt die Sphä-
185
Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica. 1.03 Bastille Day, 11:13. In Dorals Rechtfertigung des begangenen
Genozids klingt der Aufstand der olympischen Götter gegen ihre Eltern, die Titanen, an.
186
ROBERT W. MOORE: To Be a Person (wie Anm. 184), S. 110.
187
Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica. 2.07 Home II, 30:43. Vgl. auch ROBERT W. MOORE: To Be a Person
(wie Anm. 184), S. 111, der einige weitere, ähnliche Aussagen Athenas anfügt, die ihn zum Schluss kommen lassen,
61
re des ‚Anderen‘, in die die Zylonen von den Menschen in BSG ausgegrenzt werden, weil sie die
zentrale Programmierung ihrer Modellreihe ihrem freien Willen unterwirft und damit im Sinne
von Kants Pflichtethik die wesenhafte Eigenschaft des vernunftbegabten Wesens – das Mensch,
aber auch Zylon sein kann – entwickelt, ihre Neigungen und Triebe (eben: ihre Programmierung)
mit dem freien Verstand zu kontrollieren.
Aus einer philosophischen Perspektive betrachtet, werden die Unterschiede zwischen Mensch
und Maschine also weitgehend aufgehoben, weil die Zylonen zumindest in ihrer Anlage Bestimmungsqualitäten zeitigen, die als einer Person wesenhaft gelten dürfen. Die Konfrontation mit
einer Entität aber, die dem menschlichen Wesen kognitiv ähnlich, wenn nicht gar gleich ist, erschüttert das Selbstverständnis der menschlichen Identität in BSG zutiefst. Da ein eminenter Teil
der Antwort auf die Frage „was ist der Mensch?“ ex negativo aus der Abgrenzung zur Alterität
der Zylonen geschöpft wird, verliert diese Strategie der Identitätsbestimmung natürlich ihre
Grundlage. Diese Problematik wird enggeführt dargestellt, wenn zylonische Schläfer ihr wahres
Wesen entdecken, von dem sie bis zu diesem Zeitpunkt selbst nicht das geringste Bewusstsein
haben. Sie leben, wie dies am Beispiel von Boomer schon angesprochen wurde, unter den Menschen als Ihresgleichen, besitzen die Erinnerung an ein vergangenes Leben zurück bis zu einer
Kindheit und sind respektierte Mitglieder und Funktionsträger der menschlichen Gesellschaft.
Nichts unterscheidet sie wahrnehmbar von ihren Mitmenschen. Ihr Erwachen ist ein dementsprechend starkes Schockerlebnis, nicht nur für die Selbstwahrnehmung der Betroffenen, sondern auch für jene, die glaubten, Mensch und Maschine problemlos auseinanderhalten zu können.
Boomer stürzt, mit der beginnenden Ahnung eine Zylonin zu sein, in einen bodenlosen Abgrund,
in dem sie, haltlos, zunehmend ihren Verstand und mit ihm ihre Integrität als Person verliert.
Eine Selbstsetzung wie im Falle Athenas gelingt ihr nicht, vielmehr pendelt sie ohne Kontrolle
zwischen ihrer alten und ihrer neuen Identität: sie schießt Adama kaltblütig nieder, und entbehrt
im nächsten Moment jeglichen Verständnisses für ihre Tat, die sie aus tiefstem Herzen zu bereuen scheint (1.13 Kobol’s Last Gleaming). In der Wahrnehmung der meisten Menschen aus ihrem
Umfeld transzendiert Boomer durch diesen Akt mit einem Schlag zum Feind, und die Tatsache,
dass eine aus ihrer Mitte sich als Maschine entpuppt, lässt viele an ihrer eigenen Identität zweifeln.
Das unreflektierte Selbstverständnis, eine Person zu sein, weil man ein Mensch ist, wird radikal in
Frage gestellt – denn in jeder und jedem kann ein Zylon stecken.
So stürzt BSG Menschen wie Zylonen durch das elaboriert konstruierte erzählerische Dispositiv zweier ähnlicher Spezies im Konflikt in eine existenzielle Krise, die neue Strategien der Identitätsfindung einfordert. Auch wenn BSG mit einem stimmigen, jedoch nicht alles auflösenden
dass „many of the things that have transpired in her [Athenas] life were the result not of chance but uncoerced [ungezwungener/freier, S. J.] choice.“
62
Ende eine Möglichkeit eines Auswegs aus diesem prinzipiellen Dilemma vorschlägt, so besteht
die spezifische Leistung der Serie nicht nur in der Darstellung dieses alternativen Weltentwurfes,
sondern auch im elaborierten Aufgreifen einer an sich lapidaren Frage, die die Menschheit jedoch
umtreiben wird, so lange sie existiert. Es ist die Frage, die Gaius Baltar in 3.10 The Passage, hier
eher als Feststellung, an die Zylonin D’Anna Biers (Three) richtet: „Cylons, humans – we just try
to discover who we are, aren’t we?“188
4. Schluss
4.1 Resümee und Konklusionen
Der Konflikt zwischen Menschen und Zylonen in Battlestar Galactica findet sein potentielles Ende
einerseits in der Aufhebung der Dichotomie Identität-Alterität – personifiziert im halb zylonischen, halb menschlichen Mädchen Hera, der Tochter von Sharon ‚Athena‘ und Karl ‚Helo‘ Agathon. Andrerseits ist es eine bewusste Entscheidung beider Ethnien, sich aus dem bisher fatalistisch hingenommenen Zyklus des „it happened before, and it will happen again“ zu befreien. In
gewisser Weise lässt sich im selbstbestimmten Ausbruch aus dieser Wiederholungsschleife eine
selbstreferentielle Notiz zur Serie des beginnenden 21. Jahrhunderts lesen, die mit neuen narrativen Verfahren und Produktionskonzepten das zur Formel erstarrte Erzählen älterer Serien aufbricht. Die ‚neuen‘ TV-Serien, so konnte nachgewiesen werden, arbeiten dezidiert mit erzählerischen, produktions- und rezeptionsästhetischen Strategien, die Hegels und Döblins Vorstellung
des Epos entsprechen. Ein großer Teil dieser Entwicklung fällt dabei auf die wiederholte Ablösung der seriellen Erzählung von ihrem Trägermedium ab, die gleichsam eine Befreiung von rigiden – weil etwa dem Erscheinungsmodus oder der Programmstruktur geschuldeten – Erzählkonventionen bedeutet. Ähnlich wie der Roman erst in Buchform seine volle ästhetische Wirkung entfalten konnte, generiert die Fernsehserie ihre maximale poetische Kraft erst dann, wenn
sie eigentlich nicht mehr im klassischen Sinne als solche bezeichnet werden kann, weil sie längst
nicht mehr nur am Fernsehgerät, sondern mit steigender Tendenz über Datenträger wie die
DVD oder über das Internet rezipiert wird. Die audiovisuelle Serie, wie sie daher vielleicht eher
zu bezeichnen wäre, ist so in den letzten Jahren zu einer ernst zu nehmenden medialen Konkurrenz des Romans geworden. Sie kann mit qualitativ äquivalenten Mitteln die Lebenswelt in einem
poetischen Übertragungsverhältnis zur Darstellung bringen, das weit über Abbildung und Mimesis, geschweige denn bloße Unterhaltung und Zerstreuung, hinausreicht. Aktuelle Serien reflektie188
Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica. 3.10 The Passage, 23:40.
63
ren mit selbstreferentiellen Gesten die Grenzen der audiovisuellen Darstellungsmöglichkeiten
(Mad Men), überraschen mit lebensnahen Wendungen im Plot (Game of Thrones), spielen mit den
verschiedenen Ausdrucksebenen der Sprache (Deadwood, Oz) oder studieren die Entwicklung ihrer Figuren mit einem bemerkenswerten psychologisch-analytischen Blick (Breaking Bad). Das
sind zwar Methoden, die in der audiovisuellen Darstellungsform nicht gänzlich neu und revolutionär sind – spezifische Kategorien wie der Autorenfilm sind für ihre Experimentierfreudigkeit in
diesen Bereichen bekannt –, erstaunlich, und ein Distinktionsmerkmal für neuere Produktionen,
ist hingegen, dass poetische Aspekte dieser Art Aufnahme in ein populärkulturelles Medium wie
die Serie gefunden haben. In Kombination mit ihrem epischen Langformat eröffnen sich für die
moderne audiovisuelle Serie Erzählmöglichkeiten, die lange nur dem Roman vorbehalten waren.
In Fällen, wie es am Beispiel von Battlestar Galactica gezeigt werden konnte, mündet das, verbunden mit den komplexen Erzähltechniken, die dem Serienformat zur Verfügung stehen, in eine
inhaltliche Breite und Tiefe, die im Anspruch an eine Totalität der Weltdarstellung den Vergleich
mit großen Gesellschaftsromanen und gar mit dem antiken Epos nicht mehr scheuen muss. Neben der immanenten Poetik und der umfassenden Darstellungsweise neuerer Serien werden aber
auch inhaltlich relevante Stoffe aufgegriffen, die sich aus einer Gegenwartsperspektive an die
großen Fragen der Menschheit wagen. Angesprochen wurden diesbezüglich die allegorische Lesart von BSG, die auf tabuisierte gesellschaftliche und politische Problematiken der USA nach
9/11 verweist, aber auch die Annäherung der Serie an grundsätzliche Fragen der menschlichen
Existenz. Darüber hinaus kommt in diesem Science-Fiction-Epos die Sehnsucht unserer Epoche
nach einer spätestens seit dem Anbrechen der Moderne abhanden gekommenen, ganzheitlichen
Wahrnehmung des Daseins zum Ausdruck: die Handlung der Serie wird über weite Strecken von
der schicksalshaften Orchestrierung einer höheren Macht bestimmt, die intradiegetische Mythenkonstruktion scheint den gesamten Lauf der Dinge zu regeln – der handelnde Mensch eine austauschbare Figur in einer determinierten Choreographie zu sein.189 BSG verweilt aber nicht in
einem nostalgisch verklärten Seufzer, der das vermeintlich idyllischere, weil unbeeinflussbar vorbestimmte Leben herbeisehnt, sondern setzt mit der menschlichen als auch zylonischen Fähigkeit
zur Selbstbestimmung einen zeitgemäßen ontologischen Kontrapunkt. Folgerichtig sind es am
Ende dann auch beide Daseinsauffassungen – Lenkung und Selbstbestimmung –, die in einer
dialektischen Synthese den neuen Weg weisen: einerseits durch die selbstbestimmte Entscheidung beider Ethnien, aus dem Karussell der Vorbestimmung auszutreten und auf einem gänzlich
unbekannten Planeten (der heutigen Erde) einen Neuanfang zu wagen, andrerseits wird ihnen die
189
Bspw. Leoben Conoy (Two) zu Starbuck in: Ronald D. Moore (Creat.): Battlestar Galactica. 1.08 Flesh and Bone,
32:30: „All this has happened before. And all of it will happen again. […] You ask for guidance, but you can’t see
that your destiny’s already been written. Each of us plays a role. Each time a different role. […] The players change,
the story remains the same.“
64
Position ebendieses Planeten durch einen vielleicht letzten Fingerzeig einer höheren Lenkung
zugespielt.
BSGs inhaltliche Thematisierung einer ursprünglichen und ganzheitlichen Sinnhaftigkeit, die
im Kontrast zur modernen fragmentarischen Lebenswelt steht, findet im Serienformat die denkbar beste Form der Repräsentation. Keine andere Erzählstrategie hat das Wechselspiel zwischen
dem Ganzen und dem Fragment so in seinen strukturellen modus operandi eingeschrieben, wie
die serielle Erzählung.190 Ihre wichtigste Erzähleinheit ist mit der Episode fragmentarisch. In der
hybriden Serial/Series-Matrix entfaltet sie erst vor der Gesamtheit der Erzählung ihre Sinnbezüge
in vollem Ausmaß. Umgekehrt ist die Episode jedoch ein Baustein, der die Sinnhaftigkeit des
Erzählganzen durch Kumulation und Wechselspiel mit anderen Episoden erst begründet. Die
inhärente Struktur des modernen seriellen Erzählens entspricht mit anderen Worten einem der
wichtigsten Modelle der interpretativen Sinnschöpfung: dem hermeneutischen Zirkel. Es wäre
angezeigt, diesen Gedanken weiter zu verfolgen und mit anderen spezifischen Aspekten in einer
modellhaften ‚Poetologie der seriellen Erzählung‘ zu verarbeiten. Eine solche noch fehlende theoretische Grundlage könnte vielleicht die eigenartige Anziehungskraft, die die serielle Erzählung
nun seit mehr als zweitausend Jahren ausübt, aus ihrem Innersten zu Tage fördern. An dieser
Stelle kann diese Idee nur Desiderat bleiben, doch die intensive akademische Beschäftigung mit
Formen des seriellen Erzählens in den letzten Jahren lässt vermuten, dass diese Leerstelle noch
gefüllt werden kann.
Die hier erarbeiteten Erkenntnisse bestätigen die Vermutung, dass die audiovisuelle Serie in
Bezug auf ihre poetischen, narrativen und poetologischen Strategien, aber auch in ihrer Themenwahl dem Roman an epischer Qualität in nichts mehr nachsteht. Angesichts des ubiquitär ansteigenden Interesses an der audiovisuellen Serie, was sich anhand von Einschaltquoten, DVDVerkaufszahlen und der Thematisierung im akademischen Diskurs, in populärwissenschaftlichen
Arbeiten und in der Tagespresse belegen lässt, kann davon ausgegangen werden, dass die audiovisuelle Serie den Roman als populärstes Medium der Erzählung inzwischen auch quantitativ
abgelöst hat.191 Dass dieser Wandel den Abgesang auf den Roman in Buchform oder als E-Book
190
SEAN O’SULLIVAN: Space Ships and Time Machines: Mad Men and the Serial Condition. In: Mad Men. Dream Come True
TV. Hrsg. von GARY R. EDGERTON, London u. a.: Tauris 2011, S. 115–130, hier S. 117, sieht einen spezifischen
Konflikt der ästhetischen Moderne „between fragmentation and unity, between art as pieces and art as a whole.
Serial television, by its very process, is a potential inheritor of that central conflict.“
191
Die HBO-Serie Game of Thrones bspw. wird allein in den USA durchschnittlich von 8,3 Millionen Zuschauern
gesehen (vgl. http://insidetv.ew.com/2011/06/21/game-of-thrones-finale-ratings/, abgerufen am 27.6.2012). Die
erste Staffel wurde in den USA in der ersten Woche 350.000 Mal als DVD-Box verkauft (vgl. http://www.serienload.de/blog/rekord-dvd-verkaufe-von-game-of-thrones-staffel-1-in-den-usa/, abgerufen am 27.6.2012). Zum Vergleich: Alle bisherigen Bände der Geschichte von George R. R. Martin, auf der das audiovisuelle Epos basiert, haben
sich weltweit insgesamt 15 Millionen Mal verkauft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Erfolg der Serie rückwirkend die Verkaufszahlen der Bücher antreibt (vgl. JOHN BARBER: George R. R. Martin: At the Top of His Game (of
Thrones).
In:
The
Globe
and
Mail.
Onlineausgabe
vom
11.7.2011,
Webadresse:
65
einstimmt, ist allerdings stark zu bezweifeln. Allein die disparate kognitive Verarbeitung der beiden Zeichensysteme (Schrift-)Sprache und Bild, die jedem Medium seine eigenen perzeptionsspezifischen Qualitäten zuweist, spricht dafür, dass der Buchroman sich als eigenständiges Medium halten wird. Zudem muss vor Augen geführt werden, dass nicht schlicht alle USamerikanischen Serienproduktionen der letzten fünfzehn Jahre automatisch mit denselben ästhetischen Ansprüchen umgesetzt wurden und werden, wie die Selektion der in dieser Arbeit behandelten Serien es vielleicht suggerieren könnte. Der Untersuchungsgegenstand ‚neuere amerikanische Serie‘ ist angesichts der vielen Produktionen gigantisch groß und unübersichtlich, die Anzahl
der Produktionen, die eine Literarizität oder Epizität wie etwa Battlestar Galactica entwickeln, hingegen überschaubar. Eine nachhaltige Verdrängung des Romans durch die audiovisuelle Serie zu
verkünden, wäre daher voreilig und ungerechtfertigt.
4.2 Ausblick
Obwohl schon verschiedentlich Stimmen vernehmbar wurden, die ein jähes Ende der Hochkonjunktur qualitativ hochwertiger Serien aus den USA befürchteten, hat sich dieses Szenario gegenwärtig noch nicht bestätigt. 192 Entgegen solcher Vermutungen werden weiterhin Serien wie
Boardwalk Empire, Game of Thrones und ganz aktuell The Newsroom (HBO, Sendestart Ende Juni
2012) produziert, die das Label ‚Quality TV‘ in jeder Hinsicht verdienen. Vielleicht, und darin
liegt SEILER (siehe Anm. 192) sicher nicht ganz falsch, ist die Zeit für höchst anspruchsvoll erzählende Serien wie The Wire momentan ungünstig, weil auch Abonnentensender wie HBO sich
aufgrund steigenden Konkurrenzdrucks auf finanziell sicherere Projekte verlegen müssen und
deshalb eine leicht „konservativere“ Schiene fahren. Diese Zurückhaltung an Experimentierfreudigkeit drückt sich in der thematischen Gestaltung aus, die in gegenwärtigen Produktionen eher
klassisch ausfällt: Boardwalk Empire beispielsweise erzählt historisierend über die mafiösen Machenschaften in Atlantic City zur Zeit der Prohibition, und Game of Thrones setzt als Fantasy-Epos
auf ein Genre, das seit der Verfilmung der Lord of the Rings-Trilogie einen andauernden Höhenflug
erlebt. Die beiden Beispiele widerlegen jedoch hinlänglich, dass anspruchsvolles serielles Erzählen innerhalb dieses Rahmens nicht möglich ist.
Interessant gestaltet sich der Umbruch in der Medienlandschaft, der gegenwärtig zu beobachhttp://www.theglobeandmail.com/arts/books-and-media/george-rr-martin-at-the-top-of-his-game-ofthrones/article4259412/, abgerufen am 27.6.2012).
192
Bspw. SASCHA SEILER: Abschied vom Monster der Woche. Ein Vorwort. In: Was bisher geschah. Serielles Erzählen im
zeitgenössischen amerikanischen Fernsehen. Hrsg. von DEMS., Köln: Schnitt 2008, S. 6–9, hier S. 9, für den es scheint, „als
ob der Weg der letzten zwei Jahre, wieder für einen konservativeren, konsumorientierten Markt zu produzieren,
weiter verfolgt wird und vielleicht schon das Ende der komplexen Narrative im US-Fernsehen einleiten könnte.“
66
ten ist. Wie die Arbeit darlegen konnte, sind die Tage des traditionellen Fernsehprogrammes gezählt. Sogenannte ‚on-demand‘-Angebote der klassischen Sender, die Filme und Serien auf
Wunsch und legal im Internet abrufbar machen, sind schon kommerzialisiert oder stehen kurz
davor. Es ist dies eine Reaktion der Sender auf Internetdienste wie Netflix, Hulu oder YouTV,
die für geringe Abonnementsgebühren den Abrufservice schon länger anbieten. Netflix ist zudem
der erste Dienst dieser Art, der noch dieses Jahr mit House of Cards, einer Neuauflage der britischen Miniserie von 1990, eine eigene Serienproduktion lanciert, deren Rechte anscheinend für
100 Millionen Dollar eingekauft wurden und für die pro Folge 6 Millionen Dollar veranschlagt
sind.193 Die Konkurrenz für angestammte Größen wie HBO durch Internetanbieter wird also
zunehmend größer. Es ist zu vermuten, dass das Beispiel von Netflix Schule machen wird und
aufwändige Produktionen nicht mehr nur den klassischen Sendeanstalten vorbehalten sein werden. Dass diese Verschiebung in den Vertriebskanälen an den gegenwärtigen Formen der seriellen Narration kurzfristig etwas ändern sollte, steht nicht in Aussicht, weil die relevanten Rahmenbedingungen dadurch nicht grundlegend verändert werden: die Serien können nach Belieben
einzeln oder zu mehreren am Stück rezipiert werden – ähnlich, wie das beim Konsum via DVD
der Fall ist; und weil die Internetdienste ebenfalls mit einem Abonnementmodell arbeiten, wird
wenig bis gar keine Werbung platziert, die den Erzählfluss entscheidend beeinträchtigen könnte.
Wie innovativ Produktionen von ‚Neulingen‘ im Metier der audiovisuellen Serie sein können,
hat HBO als Sendeanstalt vor nunmehr fünfzehn Jahren bewiesen. Gerade die Unerfahrenheit
und die Unvertrautheit mit ‚gängigen‘ Methoden im Business und etablierten Erzählstrategien
konstituieren das Potential für neue Entwürfe, die auf den Techniken von heute aufbauen, sie
aber nicht einfach imitieren, sondern weiterentwickeln.194 Insofern hat man guten Grund zu hoffen, dass die Produktionen der nahen Zukunft mit erzählerischen Kunststücken und interessant
verarbeiteten Themen aufwarten werden. Sollte sich diese Erwartung nicht bestätigen, bleibt immer noch der Griff zum guten Roman, der schon lange ungelesen im Regal steht.
193
Angaben aus KAROLINE META BEISEL: Ganz nach oben. In: Süddeutsche Zeitung. Onlineausgabe vom 18.1.2012,
Webadresse: www.sueddeutsche.de, abgerufen am 27.6.2012 und JÖRG HÄNTZSCHEL: Die Drama-Fabrik. In:
Süddeutsche Zeitung. Onlineausgabe vom 29.11.2011, Webadresse: www.sueddeutsche.de, abgerufen am 27.6.2012.
194
Es scheint manchmal, als würden bestimmte Erzähltechniken wie narrative Komplexität oder die Unvorhersehbarkeit von Ereignissen, die Qualitätsserien zugeschrieben werden, als erfolgsgarantierende erzähltechnische Module
aufgefasst. Jüngere Serien versuchen diesen vermeintlichen ‚Bauplan‘ inspirationslos zu kopieren. Die Umsetzung,
etwa am Beispiel von Ringer (CBS, 2011–), gelingt jedoch nicht immer, und die erzählerische Vielschichtigkeit verkommt zu einer inkohärenten oder unmotivierten Anhäufung von Handlungssträngen, das Unerwartbare wird paradoxerweise zur Erwartungshaltung – und die Erzählung damit formelhaft.
67
Anhang
A. Tabelle und Diagramme
Die Handlungsstränge von BSG sind unterteilt in A-Handlungen (blau): die Gesamterzählung tragende Haupthandlungen, die ab ihrer Einführung über die gesamte Serie immer wieder aufgegriffen werden und oft, aber nicht notwendigerweise eine oder mehrere Hauptfiguren führen; BHandlungen (rot): größere Nebenhandlungen, die ab ihrer Einführung über große Strecken der
Serie, mindestens aber über mehrere Episoden hinweg immer wieder aufgegriffen werden und
Haupt- und/oder Nebenfiguren führen; C-Handlungen (grün): kleinere Nebenhandlungen mit
Haupt- und/oder Nebenfiguren, die oft, aber nicht notwendigerweise auf eine Episode begrenzt
sind. Mikrohandlungen sind nicht berücksichtigt. Die Einteilung lehnt sich grob an MICHAEL Z.
NEWMAN an: „Major plots (‚A plots‘ in teleplay jargon) involving a main character have at least
six beats [Einstellungen, S. J.], often more. An episode usually has two or more A plots and several B or C plots with a smaller number of beats each.“195
Tabelle 1: Inhalt Handlungsstränge Battlestar Galactica (BSG).
Beschreibung und Auflistung der Handlungsstränge von BSG nach den oben ausgeführten Kriterien. Allfällige Querverbindungen zwischen einzelnen Handlungen sind in eckigen Klammern
aufgeführt. Die Abfolge der A-Handlungen gliedert sich erstens nach Figurenentwicklung (A1–
A16) und zweitens nach übergeordneten Entwicklungen (A17–A25). B- und C-Handlungen sind
nach der chronologischen Abfolge der Erzählung gegliedert.
A-Handlungen
B-Handlungen
C-Handlungen
1
Roslins Übernahme von Verantwortung als Mitglied des
Kabinetts, dann Übernahme der Präsidentschaft. Ihre
Entwicklung als primäre Entscheidungsträgerin.
1
Beziehung Tyrol-Sharon ‚Boomer‘ Valerii. [A15]
1
2
Adamas Entwicklung als Commander im Krieg und
primärer Entscheidungsträger.
2
Apollos Rolle im Kommandostab der Präsidentin.
[A4, A6]
2
3
Beziehung Dualla-Billy Keikeya .
3
4
Gaius Rolle als Verräter im Angriff der Zylonen.
Seine Verbindung zu den Zylonen (Six). [A8]
4
3
4
Starbucks Entwicklung persönlich und als
Entscheidungsträgerin.
Apollos Entwicklung persönlich und als
Entscheidungsträger.
Konflikt Tigh-Starbuck. [A3, A12]
Organisation der Suche nach Überlebenden,
Zusammenführung der verbliebenen Schiffe und
deren Führung. Gedenken an die Verstorbenen.
[A17]
Gefangenenaufstand auf der Astral Queen. [A4,
A16, A19]
Starbuck als Pilotenausbildnerin. [A3]
Starbucks Trip nach Caprica im Zylonenjäger.
[A22, B9, B10]
Notlandung Raptor 1 auf Kobol . Gruppe Gaius,
Tyrol, Cally, Crashdown auf Kobol.
5
Beziehung Adama-Roslin. Sachlich als auch persönlich.
5
Prokreation Menschen-Zylonen .
5
6
Beziehung Adama-Apollo. Vater-Sohn Beziehung sowie
militärisch: Vorgesetzter-Untergebener.
6
Nahrungs- & Energieversorgung der Flotte. [A19]
6
7
Adama als Opfer von Sharon ‚Boomer‘ Valeriis
Attentat. [A2, A15]
8
Zyloneninvasion auf der Galactica. [A17]
7
Beziehung Apollo -Starbuck.
7
Starbucks Notlandung auf einem Planeten. Ihre
Beziehung zum ‚lebendigen‘ Zylonenschiff und
dessen Untersuchung. [A3]
8
Gaius’ Beziehung zu Number Six. Seine Visionen und
seine Gespräche mit Six über Vorsehung, Religion und
Wissenschaft.
8
Tigh und seine Frau Ellen. [A12]
9
Gaius' Glaube an den einen Gott. Später als Verkünder der
9
monotheistischen Religion .
10
Gaius' politische Karriere, seine Präsidentschaft auf New
10
Caprica.
11 Beziehung Starbuck-Adama .
11
Tighs Entwicklung persönlich und als XO. Seine
12
Alkoholsucht.
12
13 Krankheit Roslins. [A1]
13
14
195
Sharon ‚Athena‘ Valerii (später Agathon) und Helo auf
Caprica. Ihre Beziehung. Anfeindungen gegen sie.
14
Roslins Visionen, die mit überlieferten
Prophezeiungen übereinstimmen. Entwicklung ihres
9 Rettungsaktion der auf Kobol Notgelandeten .
Glaubens an die Überlieferung. Roslin als religiöse
und weltliche Führerin. [A1, A5]
Politisches Zerwürfnis Roslin und Adama. Trennung
Erklärung des Kriegsrechts in der Flotte durch
10
der Flotte. [A1, A2, B9]
Tigh. [A12, A19]
Homestory über Galactica von D'Anna Biers.
Beziehung Tyrol-Cally. [B1]
11
[A19]
Widerständische Kolonisten auf Caprica .
Tyrols Eigenbau-Jägerschiff und die Missionen
12
Beziehung Starbuck-Anders . [A3]
damit.
Sharon ‚Athena‘ Agathon als zylonische
Kollaborateurin. Ihre Gespräche besonders mit
13 Zylonenvirus auf der Galactica. [A17]
Adama.
Begegnung mit der Pegasus. Cains Übernahme des
Flottenkommandos und der Zwist zwischen den Crew 14 Helo und Tyrols Verurteilung zum Tod. [A14, B1]
der beiden Kampfsterne. [A2, A19]
MICHAEL Z. NEWMAN: From Beats to Arcs: Toward a Poetics of Television Narrative. In: The Velvet Light Trap 58 (2006),
S. 16–28, hier S. 18.
68
15 Sharon ‚Boomer‘ Valerii als Zylonin.
15
Beziehung Apollo-Dualla . [A4]
16
Tom Zarek als Aufständischer und Konfliktauslöser
innerhalb der Flotte. Seine eigene politische Karriere.
16
Besiedlung New Capricas und die
Zylonenokkupation. [A10, A19, A21]
17
Angriff der Zylonen auf Kolonien, Angriffe auf die
Flotte, Kampf gegen und Flucht vor den Zylonen.
17
Trennung Galactica und Pegasus von Kolonie
New Caprica.
18
Verluste der Flotte und die drohende Gefahr der
Ausrottung der Menschheit.
18
19
Politische, soziale und ökonomische Entwicklungen
innerhalb der Flotte und auf New Caprica.
19
20
Suche nach humanoiden Zylonen in der Flotte, nachdem
20
entdeckt wurde, dass sie wie Menschen aussehen.
Zylonen. Beratungen bezügl. Vorgehen im Kampf gegen
21 und Reflexion der Beziehung zu den Menschen.
Konfliktsituationen unter den Zylonen.
Entwicklung des Mythos von Kobol, der Kolonien und
22 der Erde. Erde als Perspektive der Hoffnung. Suche nach
der Erde.
Starbucks Bestimmung den Weg zur Erde zu weisen. Ihr
23
vermeintlicher Tod und ihre Rückkehr. [A3]
Heras Entwicklung. Ihre Schlüsselrolle für die Zukunft der
24
Menschen als auch der Zylonen.
25 Allianz der Flotte mit den rebellischen Zylonen.
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
Widerstandsbewegung auf New Caprica. [A16,
A19]
Tighs Gefangenschaft. Ellens Liaison mit CavilZylonen, um Tigh am leben zu halten. Seine
Verbitterung über ihren Tod, den er selber
herbeigeführt hat. [A12, B8, B16]
Starbuck als Gefangene von Conoy. Ihre Beziehung
zu Conoy und ihrer vermeintlichen Tochter Kacey.
[A3]
D'Anna , die ihren eigenen Weg geht und die
Gesichter der fünf letzten Zylonen sehen will. Ihre
Affäre mit Gaius, der ihr dabei hilft. [A21]
Gaius bei den Zylonen. Seine Befürchtung, selber
einer zu sein. Seine Rolle in der Suche der Zylonen
nach der Erde. [A8, A22]
Athenas Mission, Hera zurückzuholen. Caprica
Six, die mit ihr an Bord der Galactica kommt. [A14]
Verhandlung gegen Gaius. Apollo , der bei seiner
Verteidigung hilft. [A4, A6, A10]
Tyrol, Tigh, Tory und Anders als vier der letzen
fünf Zylonen. [A22]
Roslin, Athena und Caprica Six haben die gleiche
Vision von Hera .
Apollo verlässt die Galactica und wird
Regierungsmitglied. [A4]
Krieg unter den Zylonen. [A21]
Cally entdeckt, wer die vier der letzen Fünf sind.
Ihre Ermordung durch Tory. [B11, B25]
Tighs Gespräche mit Caprica Six . Ihre
Schwangerschaft. Ihre Beziehung. [A12, A25]
Adamas und Cains Pläne sich gegenseitig
auszustechen. [A2]
Apollos Verwirrung nach seinem Unfall und
16
einsamen Driften im All. [A4, A7]
Untergrundorganisation Demand Peace, die
17 Frieden mit den Zylonen fordern – mit einer Six
(hier: Shelley Godfrey) an ihrer Spitze. [A19]
15
18 Schwarzmarkt in der Flotte. [A19]
Anschlag von Terroristen, die Sharon ‚Athena‘
19 Agathon wollen. Starbuck, die Apollo anschießt.
[ ⊆A7]
20 Apollo als Commander der Pegasus. [A4]
21
Tyrols Angriff auf Cally , weil er denkt, er sei ein
Zylon. [B11]
22
Bildung einer zylonenkontrollierten Polizeitruppe
die aus Menschen rekrutiert ist. [A19, B16]
Gaeta als geheimer Informant des Widerstandes.
[B18]
Rettung der Menschen auf New Caprica durch
24
Galactica und Pegasus (die dabei zerstört wird).
23
25 Tribunal für Kollaborateure. [A19, B16, B23]
Mit Virus infiziertes Zylonenschiff. Geplanter
Genozid an den Zylonen. [A17]
Ein von einem Menschen geflogener Zylonenjäger
27
trifft auf der Galactica ein. [A2]
28 Kampf um das Auge des Jupiters. [A22]
26
29 Tyrols Sendung, den Tempel zu finden. [A22]
30
Gaius zurück auf der Galactica. Informationsquelle
für Flotte über die Pläne der Zylonen. [A17]
Zarek und Gaeta putschen gegen Adama und Roslin.
Leute vom Planeten Sagittaron, sterben auf der
Ermordung des gesamten Quorums der Zwölf. [A16, 31
Galactica an einem harmlosen Virus. [A19]
A19]
Die Galactica zeigt schwere
Ermüdungserscheinungen. Reparaturen mit Technik 32 Streik in der Flotte. [A19]
der Zylonen. [A25]
Sharon ‚Boomer‘ Valerii flüchtet mit Ellen auf die
Conoy auf der Demetrius. Angebot für
Galactica. Ein Plan Cavils , um Hera zu entführen, 33
Waffenruhe. [A25]
wie sich später herausstellt. [A15, A17]
Roslin und Gaius auf dem Zylonenschiff, das aus
Rettungsmission für Hera.
34 der Flotte verschwindet. Präventative Suche nach
neuem Präsidentschaftskandidaten. [A5]
Apollo als Präsident und Tigh als Kommander der
Friedensschluss zwischen Menschen und Zylonen. 35 Galactica während der Abwesenheit Roslins und
Adamas. [A4, A5, A12]
Auffindung und Besiedlung eines neuen bewohnbaren
D'Annas Reaktivierung. Enthüllung von vier der
36
Planeten (‚neue‘, heutige Erde).
letzten Fünf Zylonen. [A22]
Auffindung der Erde. Verzweiflung der gesamten
37 Flotte angesichts deren Unbewohnbarkeit. [A22,
A23]
Suche nach einem bewohnbaren Planetensystemen
38
[ C37].
Roslins Rückzug aus dem Regierungsgeschäft und
39 der Flotten-Öffentlichkeit. Absetzung ihrer
Medikamente. [A1, A13]
Repräsentanten der Kolonien (Quorum) lehnen
40
sich gegen Roslin-Adama auf. [A19]
Ellen als die letzte der Fünf . Aus Anders‘
41 Erzählungen geht hervor, dass noch ein Modell Nr.
7 existiert hat, das abgeschaltet wurde. [B29, C36]
Bildung eines neuen Quorums mit
42
Zylonenbeteiligung. [A19]
43 Adama trinkt viel und verliert seinen Biss. [A2]
44 Ausräumung der maroden Galactica.
69
Diagramm 1: Gesamtübersicht Episoden und Verteilung der Handlungsstränge von BSG.
Das Diagramm visualisiert die Verteilung der Handlungsstränge auf alle Episoden von BSG. Die Kategorisierung in A-, B resp. C-Handlungen sowie die Nummerierung der Handlungen korrespondieren dabei mit Tab. 1. In der
horizontalen Ablesung gibt das Diagramm wieder, welche und wie viele Handlungsstränge von einer bestimmten Episode geführt werden. Beispiel: die Episode 2.09 Flight of the Phoenix greift die folgenden Handlungen (im Diagramm als graues Feld markiert) auf: A5, A13, A14, A17, B1, B13, C12 und C13. In der vertikalen Ablesung kann ermittelt werden, in welchen Episoden ein bestimmter Handlungsstrang vorkommt. Beispiel: der Handlungsstrang
B10 „Politisches Zerwürfnis Roslin und Adama. Trennung der Flotte“ (vgl. Tab. 1) wird in den Episoden 1.13 Kobol’s Last Gleaming II, 2.04 Resistance, 2.05 The Farm, 2.06 Home I und 2.07 Home II aufgegriffen.
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Gewichtung A-, B- und C-Handlungen innerhalb der einzelnen Episode. BSG, Staffel 3.
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72
B. Glossar
A plot
Haupthandlungsstrang.
B plot
Nebenhandlungsstrang.
beat
Szene, Einstellung.
C plot
Kleinerer Handlungsstrang.
close-up
Großaufnahme. Meist Gesicht und Teil der Schultern einer Figur.
creator
Kreativer Produktionsleiter einer Serie.
director
Regisseur.
establishing shot
Erste Einstellung einer Sequenz. Häufig in der Totalen. Dient der
räumlichen und zeitlichen Orientierung des Zuschauers.
flashback
Rückblende, Analepse.
flashforward
Vorausblende, Prolepse.
head writer
Leiter eines Teams von Drehbuchautoren, das an derselben Produktion arbeitet.
pilot
Pilotfilm. In die Handlung und Figurenkonstellation einführende
erste Episode, die meistens Spielfilmlänge hat.
plot
Handlung.
prime time serial
Serie, die aufgrund ihrer Popularität zur besten Sendezeit im Programm ist. In der Regel zwischen 20 und 23 Uhr.
procedural
Serie, bei der die Arbeitsprozesse und weniger die Figuren im
Vordergrund stehen (Kriminal- und Anwaltsserien).
producer
Gesamtverantwortlicher, der die Möglichkeiten einer Produktion
schafft (bspw. das finanzielle Budget).
serial
Serie mit episodenübergreifender Handlung.
series
Serie mit episodengebundener Handlung.
washup
Redundantes Erzählen. Sind Handlungen vergangener Episoden
für die aktuelle Folge relevant, werden sie intradiegetisch rekapituliert. Bspw. indem sich Figuren in einem Dialog erinnern.
writer
Drehbuchautor.
73
Quellenverzeichnis
A. Filmographie
Abrams, J. J./Lieber, Jeffrey und Lindelof, Damon (Creats.):
- Lost. ABC, 2004–2010.
Benioff, David und Weiss, D. B. (Creats.):
- Game of Thrones. HBO, 2011–.
Bochco Steven und Kozoll, Michael (Creats.):
- Hill Street Blues. NBC, 1981–1987.
Carter, Chris (Creat.):
- The X Files. FOX, 1993–2002.
Charmelo, Eric C. und Snyder, Nicole (Creats.):
- Ringer. CBS, 2011–.
Chase, David (Creat.):
- The Sopranos. HBO, 1999–2007.
Davis, Jeff (Creat.):
- Criminal Minds. CBS, 2005–.
Fontana, Tom (Creat.):
- Oz. HBO, 1997–2003.
Gilligan, Vince (Creat.):
- Breaking Bad. AMC, 2008–.
Groening, Matt (Creat.):
- The Simpsons. FOX, 1989–.
Jacobs, David (Creat.):
- Dallas. CBS, 1978–1991.
Hamner, Earl Jr. (Creat.):
- Falcon Crest. CBS, 1981–1990.
Hanson, Hart (Creat.):
- Bones. FOX, 2005–.
Larson, Glen A. (Creat.):
- Battlestar Galactica. ABC, 1978–1979.
- Knight Rider. NBC, 1982–1986.
Leonard, Herbert B. (Prod.):
- The Adventures of Rin Tin Tin. ABC, 1954–1959.
74
Levinson, Richard und Link, William (Creats.):
- Columbo. NBC, 1971–2003.
Milch, David (Creat.):
- Deadwood. HBO, 2004–2006.
Moore, Ronald D. (Creat.):
- Battlestar Galactica. Sci-Fi Channel (ab 2009 SyFy), 2003–2009.
Oppenheimer, Jess und Arnaz, Desi (Prod.):
- I Love Lucy. CBS, 1951–1957.
Roddenberry, Gene (Creat.):
- Star Trek. NBC, 1966–1969.
- Star Trek: The Next Generation. CBS 1987–1994.
Phillips, Irna (Creat.):
- The Guiding Light. CBS, 1952–2009.
Shapiro, Esther und Shapiro, Richard (Creats.):
- Dynasty. ABC, 1981–1989.
Simon, David (Creat.):
- The Wire. HBO, 2002–2008.
Weiner, Matthew (Creat.):
- Mad Men. AMC, 2007–.
Whedon, Joss (Creat.):
- Buffy the Vampire Slayer. FOX 1997–2003.
Winter, Terence (Creat.):
- Boardwalk Empire. HBO, 2010–.
Wrather, Jack (Prod.):
- Lassie. CBS, 1954–1974.
B. Primärliteratur
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- Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. 33 Bde. Hrsg. von Hellmut Flashar und Christof
Rapp, Berlin: Akademie Verl. 1958–2009.
Booth, Wayne C.:
- Die Rhetorik der Erzählkunst. Übers. von Alexander Polzin, Heidelberg: Quelle & Meyer 1974.
Döblin, Alfred:
- Der Bau des epischen Werks. In: Ders.: Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur. Hrsg. von Erich
Kleinschmidt, Olten u. a.: Walter 1989, S. 215–245.
75
Genette, Gérard:
- Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Übers. von Wolfram Bayer und Dieter Hornig,
Frankfurt/M.: Suhrkamp 1993.
Goethe, Johann Wolfgang:
- Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände. Hrsg. von Hendrik Birus u. a.,
Frankfurt/M.: Dt. Klassiker-Verl. 1987–1999.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich:
- Ästhetik. 2 Bde., Berlin u. a.: 1976.
Schiller, Friedrich:
- Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hrsg. von Otto Dann/Axel Gellhaus/Klaus Harro Hilzinger
u. a., Frankfurt/M.: Dt. Klassiker-Verl. 1992–2004.
Werfel, Franz:
- Das Lied von Bernadette, Frankfurt/M.: Fischer 1991.
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- Introduction to the Second Edition: More Talk about TV. In: Channels of Discourse, Reassembled.
Television and Contemporary Criticism. Hrsg. von Dems., London u. a.: Routledge 1992, S. 1–30.
Allrath, Gaby/Gymnich, Marion und Surkamp, Carola:
- Introduction: Towards a Narratology of TV Series. In: Narrative Strategies in Television Series. Hrsg.
von Gaby Allrath und Marion Gymnich, Basingstoke u. a.: Palgrave Macmillan 2005, S. 1–43.
Bachleitner, Norbert:
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http://www.museum.tv
http://www.serien-load.de
http://www.spiegel.de
http://www.theglobeandmail.com
http://www.youtube.com
E. Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
Screenshot Deadwood, 1.10 Mister Wu, 6:16. DVD. © Paramount Home Entertainment.
Abb. 2:
Screenshot Deadwood, 1.10 True Colors, 14:20. DVD. © Paramount Home Entertainment.
Abb. 3:
Screenshot Breaking Bad, 1.01 Pilot, 7:37. DVD. © Sony Pictures Home Entertainment.
Abb. 4:
Screenshot Breaking Bad, 3.12 Half Measures, 46:50. DVD. © Sony Pictures Home Entertainment.
Abb. 5:
Screenshot Game of Thrones, 1.02 The Kings Road, 23:30. DVD. © Warner Home Video.
82
Abb. 6:
Screenshot Game of Thrones, 1.09 Baelor, 54:56. DVD. © Warner Home Video.
Abb. 7:
Screenshot Mad Men, 1.01 Smoke Gets in Your Eyes, 33:08. DVD. © Lionsgate Home Entertainment.
Abb. 8:
Wallpaper Battlestar Galactica. © Martin Laine, Will Jaspers, Coxxon.
Abb. 9:
Screenshot Battlestar Galactica, Pilot Battlestar Galactica, 2:45:13. DVD. © Universal Pictures.
Abb. 10:
Screenshot Battlestar Galactica, 2.03 Fragged, 40:34. DVD. © Universal Pictures.
Abb. 11:
Screenshot Battlestar Galactica, 3.11 The Eye of Jupiter, 12:49. DVD. © Universal Pictures. Abb. 12:
Screenshot Battlestar Galactica, 3.12 Rapture, 29:37. DVD. © Universal Pictures. Abb. 13:
Screenshot Battlestar Galactica, 1.08 Flesh and Blood, 10:27. DVD. © Universal Pictures.
Abb. 14:
Screenshot Battlestar Galactica, 1.10 The Hand of God, 2:58. DVD. © Universal Pictures.
Abb. 15:
Screenshot Battlestar Galactica, 2.07 Home