Online Special Die Wirtschaftsseiten der neuen zenith

Transcription

Online Special Die Wirtschaftsseiten der neuen zenith
Online Special
Die Wirtschaftsseiten
der neuen zenith
zenith 02/2013 · editorial
Foto: Andy Spyra
zenith
1999 als Zeitschrift für den Orient gegründet, ist ein unabhängiges Magazin zum Nahen Osten, Afrika, Asien und der muslimischen Welt. zenith berichtet zweimonatlich über Politik, Wirtschaft und Kultur in
einer Welt, die vielen in Europa fremd ist,
aber immer näher rückt.
Das Wort »zenith« (auch »Zenit«) ist das
Ergebnis eines Orient-Imports: Es stammt
von »samt«, einem in der arabischen Astro­
nomie des Mittelalters geläufigen Begriff,
der die »Richtung des Kopfes« bezeichnet.
Wenn die Sonne im zenith steht, werden
Schatten kürzer und es fällt Licht dorthin,
wo es sonst eher dunkel ist – ein Leitmotiv
für die Berichterstattung dieses Magazins.
3
as für abscheuliche Gestalten sich
im Laufe der Jahrhunderte den
Chronisten anempfohlen haben!
Je brutaler, gerissener und macht­
hungriger ein Potentat im Nahen
Osten sich gerierte, desto wahr­
scheinlicher war es, dass man
seinen Namen nicht vergaß. Aber
wie steht es um jene, die den Staat und die islamische Zivilisation im Hinter­
grund gestalteten? Die abseits von Machtintrigen und Gewalt wirkten und
denen das Gemeinwesen tatsächlich am Herzen lag?
Der Islamwissenschaftler und zenith-Autor Klaus Hachmeier hat eine
solche stille Größe aufgespürt und ihr nach jahrelanger Arbeit erstmals öf­
fentliche Würdigung verschafft: dem Staatsmann, Autor und politischen
Denker Abu Ishaq al-Sabi. Die Historie hatte den Palast-Insider aus dem Bag­
dad des 10. Jahrhunderts fast vergessen, ebenso wie seine rätselhafte Religi­
onsgemeinschaft, die Sabier. Die von Hachmeier entdeckten Briefe al-Sabis
zeigen die Zustände im Kalifenreich – und enthüllen die Gründe für den Unter­
gang einer Dynastie. Al-Sabi selbst kam dabei nicht ungeschoren davon.
Seite 94
In Homs zeigte der Krieg in Syrien 2011 erstmals sein hässliches Gesicht.
Das Aufstandsviertel Baba Amr liegt in Sichtweite der großen Raffinerie der
Wirtschaftsmetropole. Und auch in der Küstenstadt Banias, wo Öl zu Benzin
verarbeitet und verladen wird, fielen schon sehr früh Schüsse. Die Regime­
truppen kämpfen verbissen um diese strategischen Objekte. Kann der Faktor
Öl den Kriegsverlauf beeinflussen? Nils Metzger und Benjamin Hiller berich­
ten von den Ölfeldern im Osten des Landes, die inzwischen in Rebellenhand
gefallen sind. Seite 50
Zurück nach Deutschland: Vor zwei Jahren riefen zenith und die Stiftung
Mercator erstmals gemeinsam zur Teilnahme am zenith-fotopreis »Islam in
Deutschland?« auf. Ziel war, abseits der großen Islam-Debatten die Vielfalt
muslimischen Lebens in Deutschland zu zeigen (eine Auswahl der Einsen­
dungen präsentierten wir in Heft 1/2012). 2013 geht der Fotopreis in eine neue
Runde: »Muslime in Deutschland« lautet das Rahmenthema. Weitere Infor­
mationen unter: www.zenithonline.de/deutsch/zenith-fotopreis
INHALT
MAI/
JUNI
2013
Titel: Klaus Hachmeier
Foto links: Alessio Schroder
Foto links unten: Klaus Hachmeier
Foto rechts: Philipp Spalek
Foto rechts unten: Andy Spyra
RUBRIKEN
Gestrandet am Rande der Stadt: Für viele Afrikaner in Israel wird
der Tel Aviver Stadtteil Neve Scha’anan zur neuen Heimat. Der
Staat geht indessen mit harten Bandagen gegen die Flüchtlinge vor.
16
POLITIK
16 Letzte Ausfahrt Tel Aviv
In dem Viertel Neve Scha‘anan im Süden Tel Avivs haben sich afrikanische
Flüchtlinge angesiedelt – ein fotografisches Stadtteilportrait
30 Eine Geschichte von zwei Kriegen
Briefing: Nach jahrelanger Eiszeit nähern der Irak und Kuwait sich
einander wieder an
34 Herrschaft der Plebejer
Die Geschichte Neda Soltanis zeigt, nach welchen Mechanismen die
Islamische Republik Iran funktioniert
38 Das Auge in der Pyramide
Gerade unter der säkularen, gebildeten Mittelschicht sind
Verschwörungstheorien am weitesten verbreitet
03 Editorial
06Unser Bild vom Orient
12 Profile
38Kommentare
40 Netzgeflüster
42 Bilanz
54 Almanach der Energien
64Der Sekretär
100 Basar
102Neue Bücher
108Neue Musik
112 Momentaufnahme
114Kalender / Ausblick / Impressum
94
Verstreut in aller Welt: In jahrelanger Arbeit trug ein deutscher Orientalist die Briefe eines Politikers aus dem Bagdad der Buyidenzeit
zusammen. Sie geben erstaunliche Einblicke in die Intrigen bei Hofe.
kultur
84 Fly Away
Wie eine Gruppe Jugendlicher im Gazastreifen Grenzen überwindet –
mit Parkour
94 Der Koch, der Emir, seine Frau & der Sabier
Die Briefe des Palastinsiders Abu Ishaq al-Sabi zeigen ein ungeschminktes Bild
der Zustände im Bagdad des zehnten Jahrhunderts
102Ein Bonbon aus Gift
Der israelische Autor David Grossmann hat ein ergreifendes Buch
geschrieben – mit tragischem Hintergrund
104»Mein Tagebuch war meine Zuflucht«
Der marokkanische Schriftsteller Abdellah Taïa erzählt im Interview,
wie seine Familie auf sein Outing reagierte
110 Die Koptin Mariya
Zahlreiche Überlieferungen berichten von der schönen Sklavin, die
dem Propheten Muhammad geschenkt worden sein soll. Ein Zufall?
Gespielt und gewonnen: Mit liberalen Glücksspielgesetzen will das
ehemalige sowjetische Urlauberparadies Batumi in Georgien auch
abseits der Ferienzeit Touristen anlocken.
56
Wirtschaft
44 Milliardenmarkt mit Milliardstelmetern
Der Physiker Adnane Abdelghani will Tunesien zum Standort
für Nanotechnologie machen
46 11 Stürmer sollt ihr sein
Türkische Fußballvereine setzen auf teure Stars aus dem Ausland –
und verschulden sich dabei kräftig
50 Erdöl in Rebellenhand
Im syrischen Bürgerkrieg kontrollieren die Aufständischen mittlerweile Teile
der Ölfelder. Europa verspricht prompt eine Lockerung der Sanktionen
56 Va banque am Kaukasus
Georgiens Glücksspielindustrie boomt. Vor allem die Region Adscharien
wird zum Zockerparadies
62 Baschir in Juba
Berlins riskante Strategie, Sudan und Südsudan durch wirtschaftliche
Kooperation zu befrieden, geht auf – ein Kommentar
66 Bildung & Beruf in der arabischen Welt
Ein Special in Zusammenarbeit mit der KUBRI-Karrieremesse
84
Ahmed macht blau: Lieber als zur Schule zu gehen, trifft
sich eine Gruppe junger Palästinenser im Gazastreifen zum
Parkour-Training auf einem alten Friedhof.
42
WIRTSCHAFT · Bilanz
U r a n - E x p o r t e a u s Ta n s a n i a
Tansania sieht in Rohstoffen weiter das
Zugpferd seiner Entwicklung – ist aber
auch mit Fallstricken konfrontiert. Zuletzt
berichtete zenith über den Aufschwung in
Ostafrikas Musterschülerland und die
kassensturz
Bailout für den Bürger
Eine gemeinsame Währung haben die Län­
der des Golfkooperationsrates (GCC) nicht
zu retten, dennoch liebäugelt man mit eu­
ropäischen Krisenrezepten. Kuwaits Par­
lament beschloss im März einen Schulden­
schnitt für alle nicht bedienten Privatkre­
dite seiner Bürger vor März 2008. Gut 2
Milliarden Euro gehen Kuwait zum Preis
der kurzfristigen Bankensanierung damit
verloren. Die Rating­agentur Fitch befürch­
tet, das Beispiel könnte Schule machen, und
warnte vor den »moralischen Gefahren« des
Schuldenerlasses: Trotz verschärfter Kre­
ditvergabekriterien steige so die Gefahr ei­
ner neuen Privatschuldenwelle – die Banken
durch »faule Kredite« auffangen müssten.
Wie lange es sich die GCC-Länder noch
leisten können, als staatlicher Bürge die Li­
quidität der Banken und das Konsumverhal­
ten ihrer Bürger zu stützen, steht in den
Sternen. Der Internationale Währungs­
fonds mahnte bereits, dass Kuwaits Ölrück­
lagen bis 2017 erschöpft seien, wenn die Re­
gierung an ihrer Ausgabenpolitik festhalte.
Und Fitch kündigte an, dass staatlich bezu­
schusste Liquidität den Banken künftig kei­
ne Top-Ratings mehr garantiere – sondern
sich im Gegenteil negativ auf die Kreditwür­
digkeit der Länder auswirken könne.
Die kuwaitische Opposition kritisierte
den Bankendeal als zu undifferenziert,
schließlich werde nicht danach unterschie­
den, ob die Schuldner ihre Kredite nicht
rechtzeitig oder überhaupt nicht bedienen
könnten. Zudem werde nicht nach dem
Grund der Verschuldung gefragt, exzessiver
Konsum oder ungesicherte Spekulationsge­
schäfte also nicht explizit geächtet. Fraglich
ist ebenso die wirkliche Umsetzung staatli­
cher Umschuldungsprogramme am Golf.
Nach der Immobilienkrise hatten auch die
Vereinigten Arabischen Emirate 2011 einen
Fonds zur Tilgung ausstehender Verbind­
lichkeiten über etwa 2 Milliarden Euro ein­
gerichtet. Auf die Auszahlung warten die
•
Gläubiger größtenteils noch immer.
Hoffnungen, die Gas- und Ölvorkommen
geweckt haben. Im April vergab die Regie­
rung nun die erste kommerzielle Lizenz für
einen der begehrtesten Rohstoffe des Kon­
tinents: Uran. In der versteigerten Mku­
ju-Mine allein werden 36.000 Tonnen des
Grundstoffes der Nu­k lear­i ndustrie ver­
mutet. 14.000 Tonnen sollen dort und an­
derswo ab 2015 jährlich gefördert werden
– damit würde sich Tansania auf Platz
zwei der globalen Produktion katapultie­
ren. Komplizierte Besitzverhältnisse ver­
BETRIEBSBERIC H T
Abflug mit Nachtritt
Pleite von Bahrain Air
8,5 MIO
PASSA G IERE AM AIR P ORT BA H RAIN 2 0 1 2
-9 %
PASSA G IERAUFKOMMEN IM VER G LEIC H D ER MONATE
FEBRUAR 2 0 1 3 / FEBRUAR 2 0 1 2
Ein teures Nachspiel droht der im
Februar 2013 geschlossenen Flug­
gesellschaft Bahrain Air. Der frühe­
re Logistikpartner Almoayed Wilhelmsen hat Klage eingereicht gegen
die freiwillige Liquidation der privaten
Fluglinie und besteht auf einem Insolven­
zverfahren. Insgesamt drohen dem frühe­
ren Management, laut der Zeitschrift Arabian Business, Schadensersatzforderungen
in Höhe von 8 Millionen Euro.
In den fünf Jahren seit der Gründung
2008 hatte Bahrain Air gegen die starke re­
gionale Konkurrenz von Emirates, Etihad
und Qatar Airways ebenso wenig Chancen
wie gegen die staatlich protegierte Gulf Air.
Diese schreibt zwar kontinuierlich rote
Zahlen, kann sich aber dank Finanzsprit­
zen der Herrscherfamilie Al Khalifa am Le­
ben erhalten – wenngleich dem Flaggschiff
Bahrains Ende 2012 ein rigider Sparkurs
verordnet und die Flugziele um zwei Drit­
tel eingedampft wurden.
Dennoch fühlte sich Bahrain Air ge­
genüber Gulf Air stets benachteiligt, etwa
wenn es um lukrative Destinationen, Flug­
zeiten und Landebahnen ging. Der
staatliche verordnete Flugstopp in
die Länder Libanon, Irak und Iran
während der Aufstände in dem
kleinen Königreich im Frühjahr
2011 traf denn auch vor allem den Privat­
anbieter Bahrain Air.
Zumindest eine Nische hatte die Flug­
linie aber bis zuletzt relativ erfolgreich be­
setzt: So steuerte Bahrain Air viele Desti­
nationen in Indien, Bangladesch und Nepal
an, den Hauptherkunftsländern der Gast­
arbeiter, die fast 40 Prozent der Gesamtbe­
völkerung Bahrains ausmachen. Bis zuletzt
hatte CEO Richard Nuttall seine Fluglinie
in diesem Segment im Aufwind gewähnt –
und sieht den Auflösungsbeschluss gegen
Bahrain Air denn auch als politisch gewoll­
ten Schritt der Regierung zum Schutz von
Gulf Air.
Besiegelt hatte das Ende des ersten und
vorläufig wohl auch letzten privaten Flug­
anbieters in Bahrain die Lizenzverweige­
rung durch den Verkehrsminister Kamal
bin Ahmed, der auch im Verwaltungsrat
von Gulf Air sitzt.
•
Bilanz · WIRTSCHAFT
zögerten jedoch die Verhandlungen mit
der russischen Firma AtomRedMetZoloto
(ARMZ) – und riefen das Finanzamt auf
den Plan. ARMZ gehört dem staatlichen
Atomkonzern Ros­atom, ist in Tansania
aber durch seine australische Tochterfir­
ma Mantra Resources vertreten. Die wiede­
rum entwickelt die Mine nun durch Uranium One – ihren kanadischen Arm. Der
tansanische Fiskus verlangt ob des obsku­
ren Firmengeflechts nachträglich 143 Mil­
lionen Euro Kapital­er­trag­steuer. Trotz der
43
unsicheren Rechtslage gab die Regierung
grünes Licht fürs Schürfen. Tansania ver­
spricht sich von dem Deal ausländische
Investitionen im Wert von 343 Millionen
Euro, 1.600 neue Jobs und Mehr­ein­nah­
men von 175 Millionen Euro jährlich. •
BILAN Z
»Die Währung schlüpft davon«
12.379,22
offizieller Wechselkurs des iranischen Rial zum US-Dollar
Der iranische Modedesigner
Nima Behnud hat sich in New
York mit kalligraphisch ver­
zierten Accessoires einen Na­
men gemacht – und bewirbt
seine neueste Schal-Kreation
in Form eines Tausend-Ri­
al-Scheins samt einer passen­
den Zustandsbeschreibung der
iranischen Währung. Seit 2011
hat der Rial etwa zwei Drittel
seines Wertes verloren, Sankti­
onen und eine verfehlte Wirt­
schaftspolitik befeuern die In­
flation und lassen Verbraucher­
preise in die Höhe schießen.
Ende April lag der offiziell fest­
geleg te Wechsel k urs z um
US-Dollar bei 1:12.600 – der re­
ale bei 1:35.000.
10.828,31
Foto: Mani Zarrin / Quelle: exchangerates.org.uk
9.277,39
7.726,48
6.175,56
MAI 2011
JANUAR 2012
september 2012
Mai 2013
s t r o m v o m s ta at
Den Schalter umlegen
369 Milliarden Euro gaben Regierungen im
Jahr 2011 weltweit für Energiesubventionen
aus – mit 182 Milliarden Euro liegt die Regi­
on Nah- und Mittelost hierbei weit vorne. In
20 vom Internationalen Währungsfonds
(IWF) untersuchten Ländern beanspruch­
ten Energiesubventionen durchschnittlich
8,5 Prozent des Bruttoinland­sprodukts und
22 Prozent der Staatsausgaben.
—
Redaktion: Robert Chatterjee
Der IWF, der die Zahlen im Frühjahr 2013
herausgab, kritisierte im dazugehörigen Re­
port, dass die staatliche Bezuschussung von
Öl, Gas, Benzin und Strom die Etats belas­
te, kapitalintensive Industrien künstlich
am Leben halte, natürliche Ressourcen ver­
schwende und Förderung und Ausbau von
Erneuerbaren Energien verhindere. Beson­
ders in Ägypten stößt die IWF-Kritik in
weiten Teilen der Bevölkerung auf Unver­
ständnis – und zieht die Verhandlungen
über einen Kredit in Höhe von 3,7 Milliar­
den Euro ergebnislos in die Länge. Nach
sprunghaften Preissteigerungen und Lie­
ferengpässen für Gas im Frühjahr wandte
sich Ägyptens Führung Richtung Golf und
verhandelt nun mit Katar über einen Kre­
dit von 2,3 Milliarden Euro.
•
WIRTSCHAFT · TUNESIEN · profil
Milliardenmarkt mit
Milliardstelmetern
Der Physiker Adnane Abdelghani will Anwendungen
aus der Biochip-Technologie profitabel – und
Tunesien damit zum Innovationsstandort machen
Von Robert Chatterjee
• Adnane Abdelghanis Arbeitsfläche ist
kaum zehn hoch minus neun Quadratmeter
groß – in Worten: ein Milliardstel Meter,
oder ein Nanometer. Das Präfix der Messein­
heit steht schon heute sinnbildlich für Zu­
kunft: Nanotechnologie, also Ingenieurswe­
sen auf mikroskopischer Ebene, gilt als der
Innovationsmotor für Wissenschaft und In­
dustrie – allerdings bislang fast ausschließ­
lich an den Forschungsstandorten in Euro­
pa, Asien und Nordamerika.
Die Nah- und Mittelostregion ist im
Hinblick auf eine der Schlüsseltechnologi­
en des 21. Jahrhunderts hingegen ein wei­
ßer Fleck – mit einem Lichtblick: »Von hier
aus könnte eine Revolution in Gang kom­
men«, glaubt Abdelghani und holt demons­
trativ seine beiden Doktorandinnen zu
sich, die gerade Gewebeproben unter dem
Rasterkraftmikroskop untersuchen. Der
Arbeitgeber des 52-jährigen Physikers, das
Institut National des Sciences Appliquées
et de Technologie (INSAT) gehörte seit sei­
ner Eröffnung 1992 zu den bildungspoliti­
schen Vorzeigeprojekten des Ben-Ali-Regi­
mes. Doch erst die politischen Freiheiten
nach der Revolution 2011 ermöglichen es
den Forschern in dem massiven Betonbau
in Tunis' Industriepark Charguia, im inter­
nationalen Innovationsbetrieb vorne mit­
zumischen.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Abdelghani, der selbst an der TU München
studiert hat, steht inmitten seines fenster­
losen, mit Backsteinen verkleideten Labors
und schwankt zwischen Stolz und ungedul­
digem Ärger: »2011 hat uns die Nato ein
Forschungsprojekt im Wert von 200.000
Euro bewilligt, aber wenn ich mit den zu­
ständigen Beamten im Hochschulministe­
rium über Forschungsförderung verhand­
»Wir haben nur eine
Chance, wenn wir
nicht nur forschen,
sondern auch
produzieren können«
le, wissen die nicht mal ansatzweise, wovon
ich eigentlich rede.«
Im Rahmen des »Science for Peace and
Security«-Programms der Nato hatten Ab­
delghani und sein Team vom Institut für
Optronik und Nanotechnologie ein Verfah­
ren ermittelt, mit dem Biosensoren mit An­
tikörpern bestückt werden, um im Schnell­
test Krankheitserreger im Trinkwasser zu
identifizieren. Die kommerziellen Rechte
sicherte sich die kanadische BioPhage
Pharma. »Wir haben nur eine Chance,
wenn wir nicht nur forschen, sondern auch
produzieren können«, fordert Abdelghani,
der durchaus Marktpotenzial für tunesi­
sche Start-Ups sieht.
»Nanotechnologie bietet spezifische
Lösungen für spezifische Probleme – eben
genau jene in Tunesien.« Insbesondere im
Gesundheitssektor bieten sich nanotech­
nologische Anwendungen an, etwa bei mi­
krogenetischen Therapien für seltene Erb­
krankheiten oder im Bereich Wasser- und
Lebensmittelqualität.
Abdelghani freut sich über die Sach­
mittelspenden für sein Labor, doch selbst
das 150.000 Euro teure Fourier-Transfor­
mations-Infrarotspektrometer der Alexan­
der--von-Humboldt-Stiftung ist eigentlich
nur eine gutgemeinte Ergänzung. »Ich
brauche ein Labor mit steriler Produkti­
onsumgebung. Dann können wir das hier
selbst herstellen«, sagt er und zeigt auf ei­
nen goldbeschichteten mikroelektroni­
schen Biochip – ebenfalls eine Sachspende
aus Spanien im Wert von 500.000 Euro. Die
Kosten für den Arbeitsraum veranschlagt
Abdelghani in gleicher Höhe – in deutschen
Physiklaboren liegen die günstigsten Un­
tersuchungsgeräte in dieser Preisklasse,
ganz zu schweigen von Megaprojekten wie
dem Genfer »Large Hadron Collider« im
Wert von 7,5 Milliarden Euro. Das Team
des Tunesiers nutzt auf Fachtagungen im
Ausland die Möglichkeit zum Austausch,
doch »es nützt meinen Doktoranden gar
nichts, wenn sie einfach für ein halbes Jahr
ins Ausland gehen«, findet Abdelghani. Viel
wichtiger wäre eine hochklassige For­
schungsumgebung vor Ort – Technologie­
transfer statt Sachspenden für das INSAT.
Solange noch keine kritische Gründer­
masse für tunesische Start-Ups erreicht ist,
sieht der Physiker hier insbesondere for­
schende Unternehmen aus Europa und
Nordamerika in der Pflicht. Investitionen
in Forschung und Entwicklung vor Ort
würden schließlich nicht nur Marktzu­
gang, sondern vor allem Marktpräsenz si­
chern: Ein paar Quadratmeter und ein paar
Milliardstel Meter könnten Tunesien zum
Hochtechnologiestandort befördern. Für
Adnane Abdelghani ist das mehr als nur ein
Traum, er appelliert: »Wir haben alle Vor­
aussetzungen. Jetzt liegt es an Politik und
•
Wirtschaft.«
Illustration: LeSprenger
44
The Corporate Gate to a
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46
WIRTSCHAFT · Türkei · fussball
Stürmer sollt ihr sein
Türkische Top-Vereine halten wenig von Sparpolitik und vom »Financial
Fair Play« der UEFA. Sie kaufen Fußballstars auf Pump – und hoffen nicht
zuletzt, dass das den Aktienwert hochtreibt
von Charlotte Joppien und Onur Keskin
723
fussball · türkei · WIRTSCHAFT
W
er dachte, dass sich der türkische Fußball
nach dem Skandal um verschobene Spiele
im Jahr 2011 und einer wahrhaftigen Pro­
zesslawine erst einmal durch Bescheiden­
heit das Vertrauen von Fans und Investoren
zurückverdienen würde, sah sich im spätes­
tens zu Jahresanfang 2013 getäuscht.
Tabellenführer Galatasaray aus Istanbul verkündete im Januar
die Verpflichtung des niederländischen Nationalspielers Wesley
Sneijder: 7,5 Millionen Euro überweist der türkische Rekordmeis­
ter dafür an Inter Mailand, für den Rest der Saison 2012/13 erhält
der 28-jährige WM-Finalist ein Salär von 2 Millionen Euro, in den
kommenden drei Jahren je 3,2 Millionen Euro sowie 25.000 Euro
Auflaufprämie. Mit knapp 4 Millionen Euro Handgeld bei Ver­
tragsunterzeichnung wurde dem Edelreservisten, der sein letztes
Spiel am 25. September 2012 absolviert hatte, der Wechsel von
Mailand nach Istanbul garniert. Sein bisheriger Arbeitgeber hat­
te ihn erst wieder aufstellen wollen, wenn er einer Gehaltskürzung
von ursprünglich 6 Millionen Euro auf weniger als die Hälfte zu­
stimmen würde. Inter Mailand, ebenso wie andere Klubs in Euro­
pa, versucht nach Einführung der »Financial Fair Play«-Vorgaben
der UEFA im Jahr 2009 allzu teure Spieler abzustoßen und die Fi­
nanzen zu ordnen.
Die öffentliche Hand half Galatasaray. Ein
­gutes ­Geschäft, das Neider auf den Plan ruft
Ganz anders die Lage in der Türkei: Wahrend Istanbul der Finanz­
krise in Europa mit unverminderter Bautätigkeit trotzt, über ei­
nen zweiten Bosporuskanal nachdenkt und den neuen Flughafen
am Schwarzen Meer zum größten seiner Art weltweit vorantreibt,
gehen die türkischen Klubs auf Einkaufstour. Mit dem jüngsten
Coup versucht Galatasaray, sich als Nummer eins gegen die Kon­
kurrenten Fenerbahçe und Beşiktaş durchzusetzen und auch auf
europäischer Ebene ganz oben anzugreifen.
Neben der Einkaufstour auf dem europäischen Spielermarkt
gönnt sich der Klub dafür auch eine neue Heimstätte – dank de­
zenter staatlicher Bezuschussung. Das Grundstück des bisherigen
Ali-Sami-Yen-Stadions im zentralen Stadtteil Mecidiyeköy gehört
der Republik – durch den Bauboom der vergangenen Jahre ist sein
Wert stark gestiegen. 2010 wurde es für 1,25 Milliarden Türkische
Lira, umgerechnet etwa 500 Millionen Euro, an eine türkische
Holding verkauft. Galatasaray bekam dafür von der Regierung ein
einzugsfertiges Stadium in einem Außenbezirk Istanbuls serviert
– die staatlich bezuschusste Wohnungsbaugesellschaft TOKI
stemmte den Neubau nach Plänen des Stuttgarter Architekturbü­
ros asp. Für etwa 7,5 Millionen Euro jährlich sicherte sich der
größte Kommunikationsdienstleister des Landes die Namens­
rechte für die »Türk Telekom Arena« mit 52.000 Sitzplätzen. Die
Fluglinie Pegasus und der Snackhersteller Ülker zahlten 4 bezie­
hungsweise 2 Millionen Euro für ihre Firmennamen in Nord- und
Osttribüne.
47
Millionen Euro betragen die Gesamtschulden der vier Top-Vereine Fenerbahce,
Besiktas, ­G alatasaray und Trabzonspor
Ein gutes Geschäft, das Neider auf den Plan ruft: Konkurrent Fe­
nerbahçe etwa erinnert daran, Umbau und Erneuerung seines Sta­
dions aus eigener Tasche gezahlt zu haben. Das Inonu-Stadium von
Beşiktaş, zentral zwischen der Einkaufs- und Amüsiermeile Is­
tiklal Caddesi und dem historischen Dolmabahce-Palast gelegen,
befindet sich in baufälligem Zustand. Für Renovierungen, so der
Sprecher des hoch verschuldeten Vereins im Gespräch mit zenith,
fehle bislang das Geld. Galatasarays neue Spielstätte, so Kritiker,
verschaffe dem Verein daher einen Wettbewerbsvorteil und ma­
che teure Ankäufe wie Wesley Sneijder überhaupt erst möglich.
Mit Gerüchten über den angeblichen Wechsel von Superstars
wie Robinho oder Cristiano Ronaldo, das wissen Blattmacher, las­
sen sich in einem fußballverrückten Land wie der Türkei die Auf­
lagen nach oben treiben. Tatsachlich kam am Ende dann meist die
preiswertere Version der Ballkünstler heraus.
Um den Wechsel attraktiv zu machen, zahlen
die Vereine sogar die Einkommenssteuer für
die Spieler. Verstößt das gegen die Regeln?
Bisher. Tut es die Türkei nun den chinesischen und arabischen
Vereinen gleich, bei denen Altstars nach dem Zenit der Karriere
noch eine lukrative Extrarunde drehen? So verdiente der Argen­
tinier Gabriel Batistuta bei Al-Arabi in Katar 8 Millionen Euro; der
Franzose Nicolas Anelka brachte es bei Shanghai Shenhua sogar
auf 10 Millionen Euro pro Jahr.
Selbst in den eigenen Reihen fragen sich viele, wie viel Promi­
nenz in sportlicher Hinsicht überhaupt nötig ist: Schließlich, so
heißt es in der Clubszene, habe Galatasaray mit Burak Yilmaz den
Torschützenkönig des letzten Jahres und einen Stürmer europäi­
schen Formats unter Vertrags.
Den Platz an der Sonne muss sich Yilmaz nun mit einem 35-jäh­
rigen Neuzugang von Shanghai Shenhua teilen: Kurz nach Sneijder
unterschrieb der ivorische Star Didier Drogba bei Galatasaray – aus­
gestattet mit einem Grundgehalt von 2 Millionen für die restliche
Saison 2012/2013; 4 Millionen gibt es für die kommende Spielzeit,
15.000 Euro Auflauf- und 4 Millionen Unterzeichnungsprämie.
Neben dem stattlichen Gehalt und den euphorischen Fans
winken noch zahlreiche Extras; so werden die Kosten für Boliden
und Benzin, Haus und Hauspersonal, Übersetzer und die Privat­
schulgebühren der Kinder der Stars übernommen. Die Vereine
werben zudem mit dem Image der Metropole Istanbul; von der
überproportionalen Dichte an Kultur, Unterhaltung und Nachtle­
ben profitieren auch die Spieler.
500
WIRTSCHAFT · Türkei · fussball
Millionen Euro kostete das alte Stadion­
grundstück von Galatasaray im Jahr 2010
So schön, so gut, nur: Wie lässt sich das alles finanzieren? Denn
neben dem Gehalt und diversen Handgeldern übernehmen die
türkischen Vereine auch gleich die Einkommenssteuer ihrer Spie­
ler, um den Wechsel in die Türkei attraktiver zu gestalten. Anders
als die arabischen oder russischen Klubs sitzen die Träger türki­
scher Vereine nicht auf großen Öl- oder Erdgasvorkommen. Auch
wenn der Wohlstand in der Türkei wächst: Milliardäre, die sich in
ihrer Freizeit ihren eigen Verein zusammenstellen, gibt es dort
bislang nicht. Galatasaray-Präsident Unal Aysal versicherte denn
auch pflichtschuldig: »Wesley Sneijder und Didier Drogba liegen
in unserem Budget.« So richtig abnehmen mochte man ihm das
nicht, steht der Verein doch mit 273 Millionen Euro in der Kreide.
Die Gesamtverschuldung der vier größten Vereine Fenerbahçe,
Beşiktaş, Galatasaray und Trabzonspor liegt zusammen bei un­
glaublichen 723 Millionen Euro. Damit sind ihre Schulden um ein
Fünffaches höher als ihre Einnahmen.
Wie der öffentliche befeuerte Bauboom fußt auch die Einkaufs­
wut der Vereine nicht unbedingt auf bodenständiger Haushalts­
planung, sondern in erster Linie auf einer Vision. Man stellt sich
nicht den Tatsachen, sondern schafft einfach selbst welche. Den
Istanbuler Traditionsverein Beşiktaş hat dieses Geschäftskon­
zept sogar an den Rand des Bankrotts gebracht. Unlängst bat die
Vereinsführung ihre Mitglieder, doch bitte die offiziell lizenzier­
ten Trikots – und keine gefälschte Ware von Straßenhändlern –
zu kaufen. Man sei für das finanzielle Überleben dringend auf die
Einnahmen angewiesen.
In der Saison 2010/11 hatte Beşiktaş den Spanier Guti Her­
nandez für ein Jahresgehalt von 3,5 Millionen Euro von Real
Madrid losgeeist. In derselben Spielzeit wurde zudem der Portu­
giese Ricardo Quaresma nach Istanbul geholt. »Q7«, so der Spitz­
name des Starstürmers, bekam 3,7 Millionen Euro pro Jahr zuge­
sichert, sein alter Verein Inter Mailand erhielt 7,5 Millionen Euro
Ablöse. Guti Hernandez wurde bereits nach einer Saison wegen
angeblicher Leistungsverweigerung und Alkoholmissbrauchs ge­
feuert. In der Saison 2012/13 schließlich nahmen die finanziellen
Probleme des Vereins ein solches Ausmaß an, dass alle Spieler
Gehaltskürzungen hinnehmen mussten. Einige blieben, einige
gingen, so wie Quaresma, der für ein Gehalt von 5 Millionen Euro
zu Al-Ahli in die Vereinigten Arabischen Emirate wechselte.
Fotos: Eren Yalcin
48
Der Fall Demirören zeigt: Einen Club zu
­ruinieren, ist kein Karrierehindernis
Zu verantworten hat die riskanten Einkäufe der ehemalige Ver­
einspräsident Yildirim Demirören, der inzwischen zum Präsiden­
ten des Türkischen Fußballverbands aufgestiegen ist. Einen Club
in den Ruin zu wirtschaften, scheint kein Karrierehindernis zu
sein. Und Beşiktaş steht mit dieser Mentalität nicht alleine dar.
Auch Fenerbahçe, oft als das türkische Pendant zu Bayern München beschrieben, wirft mit Geld um sich. Der 32-jährige Nieder­
länder Dirk Kuyt wurde 2012 mit einem Gehalt von 2,8 Millionen
Euro und 17.500 Euro Auflaufprämie ausgestattet. Bereits in der
Saison 2008/­09 hatte Fenerbahçe den damaligen Torschützenkö­
nig der Primera Division, Daniel Guiza, für 17,4 Millionen Euro
von Real Mallorca verpflichtet. Dem Spanier wurden 15 Millionen
Euro für die kommenden vier Spielzeiten versprochen. Zwei Jah­
re später gab Fenerbahçe Stürmer Guiza an den spanischen Ver­
ein FC Getafe ab – ablösefrei. Und auch den Vertrag mit dem bra­
silianischen Altstar Roberto Carlos über ursprünglich 5 Millio­
nen Euro für drei Spielzeiten beendete Fenerbahçe frühzeitig.
Angesichts solcher Haushalts- und Schuldenpolitik fragen
sich manche, ob Istanbuls Fußballclubs am Ende darauf spekulie­
ren, dass die Inflation bald wiederkehrt. Manche Ökonomen war­
nen bereits davor, dass diese Geißel, die man längst bezwungen
glaubte, die türkische Wirtschaft demnächst heimsuchen könnte.
Aber hinter der Transferhysterie scheint aber noch etwas
mehr als Geltungssucht zu stecken – auch ein Aktionismus des Ma­
nagements, das zeigen will, dass es noch handeln kann. Viele der
großen Vereine sind an der Börse notiert. Der Marktwert von Fe­
nerbahçe liegt bei etwa 427 Million Euro, jener von Galatasaray bei
239 Million Euro und Beşiktaş wird auf 91 Millionen Euro taxiert.
Läuft es sportlich mal nicht rund, wirkt sich das umgehend auf den
Aktienwert aus – und die Anleger verlangen Entscheidungen.
•
50
WIRTSCHAFT · Syrien · Ressourcen
Erdöl in
Rebellenhand
Vor dem Krieg wollte Syrien zum großen Exporteur werden – mit
Hilfe iranischer und russischer Investoren. Nun lockert der Westen
die Energiesanktionen zugunsten der Opposition. Kauft Europa
bald bei Freischärlern mit Beziehungen zu Al-Qaida?
Text: Nils Metzger ­· Fotos: Benjamin Hiller
Ressourcen · Syrien · WIRTSCHAFT
M
it kaum mehr als einem Tuch vor dem Gesicht stapfen sie
durch die dichten Rauchschwaden, steigen mit nackten
Füßen durch die Ölpfützen. Die Hitze ist unerträglich.
Obwohl hier, im Osten Syriens, der Großteil der Erdölre­
serven des Landes liegen, sind die Menschen seit jeher
arm, wurden nie am Reichtum der Wüste beteiligt. Über
Pipelines floss das Öl in die Küstenstädte, wurde in Bani­
as und Tartus auf Tanker verladen. Doch jetzt ist das
Land geteilt, die Rebellen kontrollieren die Ölfelder, das
Regime die Industrieanlagen zur Verarbeitung.
Aus der Not heraus haben in den Provinzen Deir alZur und Al-Hasaka viele Menschen begonnen, in ihren
Dörfern kleine Raffinerien zu errichten – nicht mehr als
in den Boden eingelassene Gräben und einige metallene
Bottiche. Es gibt kaum genug Benzin im Land, um Gene­
ratoren zu betreiben und Autos zu betanken; ausländi­
sche Hilfe reicht nicht aus. Wenige Meter von ihren kar­
gen Feldern entfernt verkochen die Menschen daher
schweres Rohöl zu kostbarem Benzin. Aus verbeulten
Fässern verkaufen sie es anschließend in den nahen Dör­
fern. Ganze Familien überleben nur, indem sie tagtäglich
die giftigen Dämpfe einatmen.
»Wir haben das ganze Öl, und doch sind die Menschen
arm«, beklagt sich Abu Dschihad, Oberst der Freien Syri­
schen Armee in der Ortschaft Al-Schedadeh, unweit der
irakischen Grenze. Er deutet in die Ferne, wo mehrere
Rauchsäulen brennender Ölquellen aufsteigen. »Assad hat
das Volk ausgeplündert, seine Familie auf Kosten des Lan­
des bereichert.« Vor der Revolution verdiente er als Leh­
rer kaum 150 US-Dollar im Monat; ein vom Staat bereit­
gestellter Hungerlohn, von dem doch Millionen Syrer Mo­
nat für Monat abhängig waren. Es waren kaum mehr als
Brotkrumen, verglichen mit dem Reichtum der Elite, be­
tont Abu Dschihad. »Es wird Jahre dauern, bis wir Syrien
wieder aufgebaut haben, aber es wird stärker sein als zu­
vor«, so der fromme Wunsch des Aufständischen.
Vier Milliarden US-Dollar im Jahr, rund ein Drittel
des jährlichen Etats, spülte das Ölgeschäft in die klam­
men Staatskassen. Shell, Total und PetroCanada waren
als westliche Unternehmen an Förderkonzessionen be­
teiligt, gleichberechtigter Partner war dabei stets die
staatliche Syrian Petroleum Company. Meist kamen die
Investoren jedoch aus Iran, den Golfstaaten oder Russ­
land. Auf drei Milliarden Fass werden die syrischen Ölre­
serven geschätzt, doch seit einem Jahrzehnt sinkt die
Fördermenge stetig. Syrien spielt auf dem Weltmarkt eine
Rund vier Milliarden Dollar im Jahr
spülte das Ölgeschäft in die leeren
Kassen – ein Drittel des jährlichen
Staatshaushalts Syriens
51
Die Rebellen dürften Öl nach
Europa liefern, verkündete
Guido Westerwelle – doch die
EU-Initiative gibt nur auf dem
Papier eine gute Figur ab
untergeordnete Rolle und ist zudem kein Mitglied des
Weltverbandes Opec. Auch wenn jüngste Offshore-Erd­
gasfunde des israelischen Nachbarn es wahrscheinlich
machen, dass das Mittelmeer auch vor der syrischen Küs­
te Rohstoffe birgt, wird eine zukünftige Regierung Jahre
benötigen, um internationale Partner zu finden und die
Infrastruktur zur Förderung aufzubauen.
Die letzten vorliegenden Zahlen der Syrian Petrole­
um Company weisen 17,4 Millionen geförderte Fass für
das erste Quartal 2011 aus. Die Internationale Energie­
agentur (IEA) schätzt, dass die Förderung von täglich
400.000 Fass Anfang 2011 auf aktuell rund 130.000 Fass
gefallen sei. Überprüfen lassen sich die Zahlen nicht. In­
zwischen sieht sich die syrische Regierung gezwungen,
Benzin aus dem Ausland zu importieren, da der Krieg die
nationalen Vorräte aufgezehrt hat. Um das Militär weiter­
hin versorgen zu können, habe die Regierung seit Aus­
bruch des Krieges 3,5 Milliarden Dollar für Benzinimpor­
te ausgegeben, so der damalige Ölminister Sufian Allaw
im Mai 2012 gegenüber der staatlichen Nachrichtenagen­
tur SANA. Hoffnung für den Wiederaufbau gibt lediglich,
dass sich das Ausmaß struktureller Schäden an den För­
deranlagen bislang in Grenzen hält. Die Fördergebiete des
Ostens liegen abseits der Ballungszentren, die Kämpfe
hier sind weniger heftig als in Aleppo oder Damaskus.
In Al-Schedadeh kontrolliert nun die dschihadisti­
sche Miliz Dschabhat al-Nusra die Gebäude des Staats­
konzerns, ein von Mauern umgebenes Areal, in dem einst
mehrere hundert Ölarbeiter Unterkunft fanden. Staatli­
che Medien beschuldigen die Rebellen, bei der Einnahme
neben rund hundert Soldaten auch mehr als ein Dutzend
Angestellte des Unternehmens hingerichtet zu haben.
Über den sandfarbenen Eingangstoren hissten die
Dschi­h adisten die schwarze »Schahada«-Flagge. »Sie
schützen die Quellen gegen Plünderer und verteilen das
Öl an die Bevölkerung«, betont Abu Dschihad, der den
Al-Qaida-nahen Kämpfern pragmatisch gegenübersteht:
Sie seien militärisch notwendig, um den Krieg gegen As­
sad zu gewinnen. Dass verschiedene Rebellengruppen
immer wieder aneinander geraten, der Vorwurf des Öl­
diebstahls auch vorgeschoben werde, um lokale Rivalitä­
ten auszutragen, mag Abu Dschihad nicht bestreiten.
Angesichts der um sich greifenden Anarchie versuchen
tribale Autoritäten im konservativen Osten, sich eine gu­
te Machtposition im neuen Syrien zu sichern, andauern­
de Gefechte zwischen Dschihadisten und irregulären Re­
gimemilizen verkomplizieren die Lage. Dass die Rebellen
inzwischen den Großteil der Ölquellen kontrollieren,­­
52
WIRTSCHAFT · Syrien · Ressourcen
eröffnet den aufständischen Landesteilen daher keine
wirtschaftliche Perspektive. »Das fördert den wirt­
schaftlichen Aufbau und ist ganz sicherlich auch eine
Stärkung der demokratischen Opposition«, so dennoch
die Begründung von Bundesaußenminister Guido Wes­
terwelle für die Lockerung der EU-Sanktionen gegen die
syrische Opposition am 22. April. Künftig solle die »Nati­
onale Koalition« Öl nach Europa exportieren dürfen,
gleichzeitig könnten EU-Staaten benötigte Ausrüstung
liefern. Noch 2011 führten europäische Staaten syrisches
Öl im Wert von 3,6 Milliarden Dollar ein – knapp 95 Pro­
zent der syrischen Ölexporte. Auch Deutschland gehörte
zu den Abnehmern, bis zu 30 Prozent der syrischen Aus­
fuhren flossen in die Bundesrepublik.
Die europäische Initiative gibt nur auf dem Papier ei­
ne gute Figur ab. Weder taugen radikalislamische Grup­
pierungen als Geschäftspartner für westliche Rohstof­
funternehmer, noch verfügt die Opposition über die für
Verarbeitung und Export nötigen Industrieanlagen. Über
Hunderte Kilometer löchriger Wüstenpisten muss geför­
dertes Öl derzeit transportiert werden, der Bedarf der ei­
genen Bevölkerung kann kaum gedeckt werden. Die Prei­
se für Benzin haben mit bis zu 180 Syrischen Pfund je Li­
ter ein Vielfaches des Vorkriegswertes erreicht.
Während die alawitisch bewohnte
Küste vom Krieg bislang weniger
­betroffen ist, wurden die Indus­trie­
anlagen von Homs schon mehrfach
Ziel von Anschlägen
In den Rebellengebieten verkochen die Menschen Rohöl zu Benzin
und verkaufen es anschließend. Abu Dschihad (Bild unten) sagt: »Es
wird Jahre dauern, bis wir Syrien wieder aufgebaut haben.«
Ressourcen · Syrien · WIRTSCHAFT
Politisches und wirtschaftliches Kapital:
Die Kontrolle über die Ölfelder soll die
kurdischen Autonomieansprüche für die
Zeit nach dem Krieg festigen
Syrien verfügt über zwei Raffineriekomplexe, in Baniyas
mit einer Kapazität von rund 133.000 Fass am Tag und in
Homs mit rund 107.000 Fass am Tag, die über ein Pipeli­
nenetzwerk direkt mit der Küste verbunden sind. Von dort
aus bedienen die dem Ölministerium unterstehenden Un­
ternehmen den Weltmarkt – von dem die Fördergebiete
des Ostens nun abgeschnitten sind.
Darüber hinaus liegt die historisch wichtige Kir­
kuk-Banias-Pipeline seit dem US-Einmarsch in den Irak
2003 still. Im letzten Jahrzehnt haben die Türkei und der
Nord­irak umfangreiche Ölabkommen geschlossen, Syri­
en blieb aber trotz der Entspannungspolitik Baschar
al-Assads außen vor. Während die mehrheitlich alawi­
tisch bewohnte Küste vom Krieg bislang weniger hart ge­
troffen wurde als das Inland, wurden die Indus­trieanlagen
von Homs bereits mehrfach Ziel von Anschlägen. Das tat­
sächliche Ausmaß der Zerstörung wird erst nach Ende des
Krieges begutachtet werden können.
Das Öl bedeutet politisches wie wirtschaftliches Ka­
pital: Um den eigenen Machtanspruch zu festigen, verleg­
ten die kurdischen YPG-Milizen, die sich den Oppositi­
onskräften als faktisch dritte Fraktion im Bürgerkrieg
nur zögerlich anschließen, im März mehrere hundert
Kämpfer in die Kleinstadt Rumaylan. Der in London an­
sässige Konzern Gulfsands unterhielt dort gemeinsam mit
dem syrischen Staat das Ölfeld »Block 26«, eines der größ­
ten des Landes, das nach Angaben des Betreibers unter
Idealbedingungen mehr als 100.000 Fass täglich liefere.
Kurdische Aktivisten, die sich im neuen Syrien umfang­
53
reiche Autonomie­rechte erstreiten möchten, wollen in
diesem »Great Game« nicht ins Hintertreffen geraten. Sie
schwenken bunte Fahnen und tragen Portraits ihres po­
litischen Vordenkers Abdullah Öcalan vor sich her. Die
Kurden von Rumaylan signalisieren, dass sie sich auch
von den Radikalislamisten von Dschabhat al-Nusra nicht
einschüchtern lassen. »Wir sind vorbereitet und fürchten
uns nicht vor den Salafisten«, bekräftigt eine YPG-Kom­
mandeurin in der nahen Grenzstadt Ras al-Ayn.
Die syrische Wirtschaft ist durch den Bürgerkrieg in
zwei Teile gespalten, von denen keiner auf sich gestellt
lebensfähig ist. Noch im Juli 2011, als der Aufstand be­
reits in einigen Teilen des Landes tobte, verplante die Re­
gierung in Damaskus gemeinsam mit dem Irak und Iran
Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Dollar für die
Vernetzung der Ölbranchen aller drei Länder. Im Zuge
dessen hatte die alte Verbindung Kirkuk–Banias reakti­
viert werden sollen – auch um Europa aus der Abhängig­
keit von russischem Öl zu befreien. Diese Pläne sind nun
in weite Ferne gerückt. Eine schnelle und wirksame Per­
spektive für die syrische Ölbranche eröffnet auch der
•
EU-Vorstoß nicht. Sie bleibt eine Notwirtschaft.
54
WIRTSCHAFT · Kolumne
Almanach der Energien
Strampeln, rollen, wippen
Eine oftmals vergessene Energie­
quelle führen wir alle ständig mit
uns: die Muskelkraft. Intelligente
Nutzungen sind einfach und effektiv
Illustration: Matthias Töpfer
von Achmed A.W. Khammas
• Eine Energiequelle, die wir unser ganzes Leben und
24 Stunden am Tag mit uns herumschleppen, ist die
Muskelkraft. Nicht nur, dass alle gewaltigen Bauwer­
ke der Vergangenheit – seien es die Pyramiden, die Chi­
nesische Mauer oder die gotischen Dome – ausschließ­
lich mit menschlicher und tierischer Muskelkraft er­
richtet worden sind. Auch heute noch liegt der Ge­
samtumsatz dieser Energiequelle global gesehen weit
über der Summe aller anderen Energieformen: Die in­
zwischen sieben Milliarden Menschen nutzen sie stän­
dig, genau wie Sie gerade – und sei es nur, um diese Sei­
te umzublättern.
Intelligente Umsetzungen sind inzwischen zuhauf
entwickelt worden. So vertreibt das südafrikanische
Unternehmen Roundabout Outdoors seit 1989 ein Spiel­
platz-Karussell, mit dem die Kinder pro Stunde knapp
1,5 Tonnen Wasser aus einer Tiefe von 40 Metern för­
dern können – ausschließlich dadurch, dass sie ihre
Pumpen spielend mit 16 Umdrehungen pro Minute am
Laufen halten. Dass man »Kinderarbeit« auch durch
eine einfachen Wippe nutzen kann, belegen Projekte
wie die stromerzeugende »Energee-Saw« der Coventry
University, deren erstes Modell im Sommer 2007 in
Kenia installiert wurde, um Klassenräume zu beleuch­
ten oder Handys, Radios und mp3-Player aufzuladen.
Der Entwickler Daniel Sheridan erhielt für die Ener­
giewippe 2008 den Entrepreneurial Spirit Award.
Auch der Transport von Trinkwasser ist in vielen Ent­
wicklungsländern nach wie vor ein essentielles Prob­
lem – jeder kennt die Bilder von Frauen, die schwere
Gefäße auf ihren Köpfen balancieren, oft kilometer­
lang. Die clevere Lösung, den Transport mittels einer
weitaus intelligenteren Form der Muskelkraft-Nut­
zung zu verwirklichen, nennt sich Hipporoller und
wurde von der Africa Foundation entwickelt: Eine ro­
buste Tonne mit 90 Litern Inhalt, die schon Kinder
spielerisch nach Hause rollen können. Mit dieser Me­
thode lässt sich bis zu fünf Mal mehr Wasser transpor­
tieren als herkömmlich. Nicht nur für Entwicklungsländer gedacht sind die
zahlreichen Umsetzungen pedalbetriebener Geräte,
die häufig aus umgebauten Fahrrädern bestehen und
zum Aufladen elektronischer Geräte, zum Pumpen,
Kühlen, Mahlen, Waschen und vielem mehr genutzt
werden. Ähnliche Einsätze finden Kurbeln, wobei der­
art betriebene Taschenlampen und Radios schon rela­
tiv weit verbreitet sind – weil sie so sinnvoll sind. Das Fahrrad selbst gilt als eine der nachhaltigsten
Innovationen der Menschheit, wenn man den Herstel­
lungsaufwand mit dem Energieeinsatz und der resultie­
renden Strecke korreliert. Gerade in den arabischen Län­
dern sollte diese tolle Erfindung den Ruch des »Unter­
schichtentransportmittels« verlieren. Auch reiche Städ­
ter kommen damit schneller von A nach B, strampeln
sich gesünder und schonen Umwelt und Ressourcen.
Nicht vergessen werden sollten der ausschließlich
mittels Muskelkraft erfolgte Überflug des Ärmelka­
nals im Sommer 1979 durch Paul McCready in seinem
»Gossamer Albatros« oder die muskelbetriebenen
Flugzeuge von Günter Rochelt aus den 1980er Jahren
mit ihren noch immer ungebrochenen Weltrekorden.
Ganz aktuell ist das internationale Wettrennen um den
mittlerweile auf 250.000 US-Dollar dotierten Sikorsky
Prize der American Helicopter Society, der für einen
einminütigen Muskelkraft-Hubschrauberflug mit dem
kurzzeitigen Erreichen einer Flughöhe von drei Me­
tern vergeben werden soll. Im Juni 2012 erreichte der
»Gamera II« der University of Maryland schon eine
Flugzeit von 49 Sekunden. Der gute Da Vinci hätte si­
cherlich einiges dafür gegeben, an diesem Wettbewerb
teilnehmen zu können.
•
zenith-Kolumnist Achmed A.W. Khammas ist Dolmetscher
und Science-Fiction-Autor. In seinem Internet-Archiv unter
buch-­der-synergie.de informiert er über Geschichte und
Gegenwart der Erneuerbaren Energien.
Beruf
Studium
Praktikum
Bildung
KUBRI
EuroArab Career
KOLUMNE · WIRTSCHAFT
Workshops
Präsentationen
Recruiting
55
& Education Fair
Die Karriere- und
Bildungsmesse
für die arabische Welt
10:30 - 18:00 Uhr
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24. - 25. Mai 2013
Besuch
TU München - Campus Garching
Fakultät für Maschinenwesen
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www.twitter.com/eace_kubri
Veranstalter
Mit freundlicher Unterstützung durch
Medienpartner
DAAD - Deutscher Akademischer Austausch Dienst
German Academic Exchange Service
EuroArab Centre
for Education
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Werbung Druck Verlag
84036 Landshut . Deutschland . www.hoffmann-werbung.de
EuroArab Centre for Education OHG . Regierungsplatz 539 . 84028 Landshut · Germany
56
WIRTSCHAFT · Georgien · Glücksspiel
Glücksspiel · Georgien · WIRTSCHAFT
»Wir nennen
es das Wunder
von Batumi«,
erklärt Nino Jintcharadze mit leuchtenden Augen. Sie kramt
aus den Regalen in ihrem Büro der adscharischen Tourismus­
behörde aufwendig gestaltete Bildbände hervor, welche die
Verwandlung der Stadt illustrieren. Alte Aufnahmen von bra­
chen Landschaften der 1990er Jahre kontrastieren mit einer
Skyline mit Hoteltürmen und moderner Architektur. Stolz er­
klärt sie, dass die Innenstadt zur Zeit einer Baustelle gleiche.
Über eine Million Quadratmeter Batumis befänden sich der­
zeit im Bauzustand. Es müsse mehr Platz her, um dem Touris­
tenansturm gerecht zu werden, meint Jintcharadze. 2012 ver­
zeichnete die Hafenstadt bereits 1,5 Millionen ausländische
Besucher. Deswegen soll das einstige sowjetische Urlaubspara­
dies in den nächsten zwei Jahren ein neues Antlitz bekommen.
Georgien lockt nicht nur mit wunderschönen Landschaf­
ten und Qualitätswein, sondern auch mit einem verführeri­
schen Freizeitangebot. Im März 2005 hat das georgische Par­
lament das Glücksspiel legalisiert. Umringt von Ländern wie
der Türkei oder Aserbaidschan, in denen das Spiel am Automa­
ten verboten ist, ziehen die hoteleigenen Casinos seitdem zu­
nehmend ausländische Spieler an. Einzig aus Armenien macht
sich derzeit noch Konkurrenz bemerkbar, da Zocken dort au­
ßerhalb der Hauptstadt weiterhin legal ist. Geopolitisch liegt
der Vorteil jedoch auf georgischer Seite: Durch die zentrale La­
ge ist es leicht erreichbar und historische Grabenkämpfe ma­
chen es türkischen oder aserbaidschanischen Spielern unmög­
lich, nach Armenien zu reisen. Mamuka Berdzenishvili aus der
Tourismusbehörde nennt als besonderes Merkmal Batumis die
57
Reklame für die Hotellerie: Das Sheraton Batumi hat als erstes Luxushotel
2010 eröffnet. Im darauffolgenden Jahr zogen andere Hotelketten wie das
Radisson Blu nach. 2013 soll der Trump Tower fertig werden.
einzigartige Verbindung von Strandurlaub und Unterhaltung.
»In einer Umfrage aus dem Sommer 2012 haben wir festge­
stellt, dass diese beiden Faktoren unsere Haupttouristenat­
traktionen geworden sind.«
Batumi im Herbst wirkt grau. Am Ende der Strandprome­
nade dreht sich einsam ein 40 Meter hohes Riesenrad. Werbe­
plakate versprechen Sonnenschein und glückliche Touristen.
Doch die sauber gefegte Promenade liegt menschenleer zwi­
schen dem Rohbau des Kempinski-Hotels und einem steinigen
Strand. Trotzdem ist die Glücksspielbranche zu einem belieb­
ten Spielfeld für Investoren geworden. Die halbautonome Re­
gion Adscharien nimmt im vom Separatismus geplagten Geor­
gien eine Sonderstellung ein. Unabhängig von der Regierung in
Tiflis, kann sie über die Casino-Lizenzgebühren und -Regulie­
rungen verfügen. Diese Sonderposition nutzt Adscharien, um
die Glücksspielinvestitionen an den Ausbau von touristischer
Infrastruktur zu knüpfen. Ein Hotelneubau mit mindestens
100 Zimmern erspart dem Bauherren die Casino-Lizenzge­
bühr für zehn Jahre. Neben dem finanziellen Anreiz für Spiel­
hallen- und Hotelbetreiber bedeutet dies gleichzeitig die Aus­
dehnung saisonunabhängiger Freizeitvergnügen.
Vom Badeparadies zur Spielhölle
Hans-Ulrich Trosien, deutscher Hotelexperte und Servicebe­
rater der adscharischen Tourismusbehörde, sieht die Verbin­
dung von Hotel und Casino als pragmatische Entscheidung.
Die Urlaubssaison in Batumi sei auf zwei bis drei Sommermo­
nate beschränkt. In den übrigen Monaten müssen aber trotz­
dem Touristen angezogen werden, dies gelinge durch Casinos.
Im Gegensatz zur Hauptstadt Tiflis, in der eine Casinoeröff­
nung 5 Millionen Lari (2,4 Millionen Euro) kostet, belaufen
sich die Kosten in Batumi lediglich auf 250.000 Lari (120.000
Euro). Daher wachsen hier die Hoteltürme in den Himmel.
Den Anfang machte 2010 das Sheraton Batumi. Kurz darauf zo­
gen andere etablierte Hotelketten nach – 2011 eröffnete das
Radisson Blue, 2013 sollen Kempinski und der Trump folgen.
58
WIRTSCHAFT · Georgien · Glücksspiel
Glücksspiel · Georgien · WIRTSCHAFT
Die Strandpromenade von Batumi liegt verlassen in der Morgensonne. Nur
im Sommer kommen viele Strandurlauber in die Stadt, in Herbst und Winter
wird vor allem mit der Glücksspielindustrie Geld gemacht.
Wie ein fehlplatzierter moderner Kastenbau wirkt das Adjarabet-Casino vor
den sowjetisch genormten Plattenbauten in der Innenstadt Batumis. Links:
Das Sheraton-Hotel prägt die Skyline der Stadt.
»Die Glücksspieler sind Ausländer«
Der Investitionsschub scheint nicht enden zu wollen. Seit der
Rosenrevolution 2003 hätten sich die Bedingungen maßgeb­
lich verbessert, erzählt Nino Jintcharadze. »Vorher war hier
nichts! Wir waren einer unter vielen postsowjetischen Staaten,
der mit seinen Schulden und der verbreiteten Korruption zu
kämpfen hatte.« Die neue Regierung unter Micheil Saakasch­
wili habe die Grundlage für die heute zu beobachtenden Ent­
wicklungen gelegt. Derzeit sind in den beiden bekanntesten
Glücksspielstädten Tiflis und Batumi insgesamt sieben Casi­
nos neu eröffnet worden. Landesweit belaufen sich die Casino­
einnahmen auf etwa 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
59
An der Promenade dreht sich einsam ein Riesenrad. Die Umgebung gleicht
einer Baustelle: Mehr als eine Million Quadratmeter Batumis sollen sich derzeit im Bau befinden. Wenn der Bauboom in Batumi anhält, könnten die nächsten
Jahre ein Einnahmenplus von 50 Prozent erbringen.
Um weitere Investoren nach Batumi zu locken, organisier­
te die Stadt den ersten internationalen »Casino Investment
Congress« (CIC) im September 2012. Er zog über 120 Teilneh­
mer aus 22 Ländern an, darunter Vertreter aus der Ukraine,
Bulgarien, den USA, Großbritannien, Ägypten und der Türkei.
Das Investitionsinteresse aus dem Ausland wundert Jintcha­
radze nicht. »Wir bekommen jedes Jahr unsere fünffache Ein­
wohnerzahl zu Besuch. Die überwiegende Zahl der Glücksspie­
ler sind Ausländer.« Zu den Hauptinvestoren im derzeitigen
Hotel- und Casinobau gehören Unternehmen aus der Türkei.
Laut Jintcharadze haben sie die größte Erfahrung im Glücks­
spielgeschäft. In den 1980er Jahren war es in der Türkei selbst
eine lukrative Einnahmequelle.
Nach dem dortigen Verbot sahen sich aber zahlreiche tür­
kische Unternehmer nach einem Ausweichmarkt um. Die
nachbarschaftliche Nähe war ein ausschlaggebender Faktor,
sodass sie schnell in Georgien Fuß fassten. Auch in der Haupt­
stadt Tiflis beobachtet Vedran Bajat, Manager des Adjara-Casinos, vorrangig Besucher aus der Türkei, Iran oder Aserbaid­
schan, aber der Großteil seiner Kunden komme aus Georgien.
Täglich zählt er etwa 1.000 einheimische Spieler. Einzelne Ca­
sinos in Batumi hingegen verzeichnen rund 2.000 türkische
Besucher allein an den Wochenenden. Die vereinfachten Kon­
trollen an der Grenze zur Türkei haben sich positiv auf Batu­
mis Reiseverkehr ausgewirkt. Denn bei der Einreise ist nur
noch der Personalausweis notwendig. »Das führt besonders in
den Grenzgebieten zu einer Ansammlung von Stripclubs und
kleinen Spielhallen«, meint Hans-Ulrich Trosien.
Ob das Glücksspiel weiterhin ein Touristenmagnet bleibt,
hängt von der zukünftigen Politik ab. »Der Besucheransturm
wird signifikant zunehmen, wenn die neue Regierung keine
nachteiligen Regulierungen für Casinobetreiber verabschie­
det«, erwartet Jintcharadze. Zur Zeit zirkulieren etwa 35 bis
40 Millionen Dollar in den Casinos der Adschara-Region. Das
unterstreicht die Bedeutung der Industrie.
60
WIRTSCHAFT · Georgien · Glücksspiel
Buntes Zockerparadies: Die nächtliche Skyline von Batumi.
Nino Jintcharadze zeigt in einem Bildband die rasante Entwicklung des eins­
tigen sowjetischen Urlaubsortes in den letzten 15 Jahren. Was früher Brachland oder renovierungsbedürftig war, erstrahlt nun in neuem Glanz. Im Oktober 2012 hat Georgien gewählt. Micheil Saakasch­w ilis
»Vereinte Nationale Bewegung« bekam an den Wahlurnen die
Rechnung für ihre investorenfreundliche, aber autokratische
Politik der letzten neun Jahre. Die Erwartungen an die neue
Regierungspartei »Georgischer Traum« sind hoch.
David Oponischwili, der Vorsitzende des Finanzausschus­
ses im georgischen Parlament, redet gern über die Versäumnis­
se der Saakasch­w ili-Regierung und über eine gerechtere Sozi­
alpolitik. Sichtliches Unbehagen bereiten ihm dagegen Fragen
zum Standpunkt seiner Partei hinsichtlich der zukünftigen
Investitionspolitik in der Glücksspielindustrie. Oponischwili
steckt in einem Dilemma, denn er will kein kaukasisches Las
Vegas in Georgien. Hinzu kommt, dass sein Parteivorsitzender
Bidsina Iwanischwili angeblich bemerkt haben soll, er werde
das Gewerbe stärker regulieren und eventuell sogar Spielorte
schließen lassen.
Während die Investitionsfreude in den letzten Jahren re­
lativ groß war, würden Investoren nun erst einmal die Schritte
der neuen Regierung beobachten, schätzt Nino Jintcharadze
die gegenwärtige Lage ein. Der Politiker Opo­nisch­w ili plädiert
dafür, keine übereiligen Schlüsse zu ziehen. Eine Abschaffung
des Glücksspiels habe nie zur Debatte gestanden, verteidigt er
sich. »Die Casinos sind ein bedeutender wirtschaftlicher Fak­
tor, aber wir müssen eine neue Regulierung diskutieren. In der
Innenstadt sind Spielhallen keine gern gesehenen Einrichtun­
gen. Spezielle Zonen sind natürlich eine Option, aber eine end­
gültige Entscheidung bleibt abzuwarten.«
Las Vegas am Schwarzen Meer?
Casinomanager Vedran Bajat steht solchen Plänen skeptisch ge­
genüber. Seiner Erfahrung nach ist die Branche ausreichend re­
guliert. Bedenklich hingegen seien die Verhältnisse der 1990er
Jahre gewesen, als etwa 100 Spielorte über die gesamte Stadt
verteilt waren und keiner Kontrolle unterlagen. Das habe sich
inzwischen geändert. Bajat preist das hohe Niveau der georgi­
schen Casinos und führt es auf die neu eingeführten Lizenzge­
bühren zurück.
Der Standard sei durchaus mit Russland vergleichbar, be­
vor die dortigen Spielhallen in Zonen verbannt und dem Verfall
preisgegeben wurden. Sollte es tatsächlich zu einer Neuregu­
lierung in speziellen Glücksspielzonen kommen, sieht er nega­
tive Auswirkungen auf das Gewerbe. »In einigen anderen Län­
dern ist dieses Vorhaben bereits gescheitert«, so Bajat. »Spiel­
hallen brauchen ein gewisses Umfeld, um erfolgreich operieren
zu können. Drängt man sie an den Stadtrand oder gar aus der
Stadt, wirkt sich das negativ auf die Besucherzahlen aus.« Das
beste Beispiel dafür sei Russland. Hier gebe es seit Einrichtung
der Zonen keinen einzigen funktionierenden Abschnitt. Dies
treibe die Spieler ins kaukasische Nachbarland.
Vor diesem Hintergrund prophezeit Bajat, dass Georgien
mit negativen Konsequenzen rechnen müsse, sollte es dem rus­
sischen Beispiel folgen. Hans-Ulrich Trosien befürchtet ferner
bei der Schließung oder Auslagerung von Casinos ernsthafte
Probleme für den Arbeitsmarkt. Der Verlust von Steuereinnah­
men aus der Glücksspielbranche sei verkraftbar, der Verlust von
Arbeitsplätzen hingegen wäre eine Katastrophe.
•
Grenzenlose Erfolge
Rödl & Partner ist an 91 eigenen Standorten
in 40 Ländern vertreten. Die integrierte
Beratungs- und Prüfungsgesellschaft für
Recht, Steuern, Unternehmensberatung
und Wirtschaftsprüfung verdankt ihren
dynamischen Erfolg 3.500 unternehmerisch
denkenden Mitarbeitern. Im engen Schulterschluss mit ihren Mandanten erarbeiten sie
Informationen für fundierte – häufig grenzüberschreitende – Entscheidungen aus den
Bereichen Wirtschaft, Steuern, Recht und IT
und setzen sie gemeinsam mit ihnen um.
Von Dubai aus steuern wir die Geschäfte
unserer Mandanten in der arabischen Welt.
Diese betreuen wir umfassend aus einer
Hand – ganz gleich, ob ein Markteintritt in
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Geschäftsmodell weiter ausgebaut werden
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Nahen Osten
Sabine Reindel
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[email protected]
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62
WIRTSCHAFT · SUDAN · Kommentar
Baschir in Juba,
deutsche Firmen in Khartum
Berlins Ansatz, wirtschaftliche Kooperation mit den
verfeindeten Staaten Nord- und Südsudan zu verbinden,
war umstritten und riskant. Aber er scheint zu fruchten
Ein Kommentar von Tobias Simon
• Ein historischer Tag: Am 12. April besuchte der su­
danesische Präsident Omar al-Baschir zum ersten Mal
den Südsudan und traf in Juba seinen Amtskollegen
Salva Kiir. Einen Monat zuvor hatten die beiden Län­
der, deren Verhältnis äußerst gespannt ist, in Addis
Abeba Abkommen zur Grenzsicherheit und Ölförde­
rung verabschiedet. Somit wurden innerhalb eines Mo­
nats Antworten auf existenzielle Frage gefunden. Die
Vermutung liegt nahe, dass Kiir den Konflikt mit dem
Sudan entschärfen wollte, um sich dem internen
Machtkampf mit seinem Vizepräsidenten Riek Mach­
ar widmen zu können.
Eine härtere Gangart gegenüber dem Sudan for­
dern indes vor allem westliche Kritiker. So postulierte
der französische Historiker Gérard Prunier in der New
York Times unter der drastischen Überschrift »Give
War a Chance«, Rebellen zu bewaffnen, um das Regi­
me in Khartum zu stürzen. Die letzten Wochen zeigen
jedoch deutlich: Nicht Waffen bringen Fortschritt, son­
dern Dialog, wenn auch in kleinen Schritten.
Ob man einen solchen Dialog führen kann, fragt
sich auch die deutsche Außenwirtschaftspolitik: Der
»Germany – Sudan and South Sudan Business Day«,
der bereits im Januar im Auswärtigen Amt stattfand,
war deshalb nicht ohne Risiko. Ist es wirklich sinnvoll,
mit zwei verfeindeten Staaten einen »Wirtschaftstag«
abzuhalten? Noch dazu, wenn gegen den Präsidenten
des Sudans ein Haftbefehl des Internationalen Straf­
gerichtshofs vorliegt? Im Vorfeld wurde die Bundesre­
gierung – vor allem von britischen und amerikanischen
Menschenrechtsorganisationen – dann auch heftig kri­
tisiert: Sie dürfe nicht mit einem »genozidalen« Regi­
me paktieren. Deutschland müsse sich auf Grund sei­
ner NS-Vergangenheit besonders den Menschenrech­
ten verpflichtet fühlen. Kritiker wie der Darfur-Aktivist
Mukesh Kapila oder der sudanesische Rebellenführer
Yasir Arman verglichen das Regime in Khartum mit
den Nationalsozialisten.
Formell war das Auswärtige Amt nicht Veranstalter,
aber faktisch wäre der Wirtschaftstag nicht ohne sei­
ne Unterstützung zustande gekommen. Immerhin
sieht sich Berlin mit seinem Ansatz nicht allein: Ende
2012 hatte in Wien eine ähnliche Tagung stattgefun­
den, auch Italien und Spanien denken über Konferen­
zen nach. Wegen der Ablehnung anderer EU-Staaten
ist die Union damit gespalten, was man bedauern mag.
Es heißt, das »Timing« sei schlecht. Wartet man jedoch
bei Sudan und Südsudan auf den »richtigen Zeitpunkt«,
so wird man diesen Tag wahrscheinlich nie erleben.
Das Argument gegen einen partnerschaftlichen
Dialog mit dem Sudan, die massiven Menschenrechts­
verletzungen, hinkt. Ja, es ist richtig: Im Sudan werden
die Menschenrechte heftig verletzt. Doch dies ge­
schieht ebenso im Südsudan, wenn auch weniger sys­
tematisch. Der Südsudan wird allerdings bei der Kri­
tik meist außen vor gelassen. Wer diese Inkonsequenz
anspricht, muss mit dem Vorwurf des »moralische Re­
lativismus« leben lernen.
Schwarz-Weiß-Malerei hilft jedoch niemandem.
Wer an Frieden interessiert ist, muss den Dialog för­
dern. Dieser bedarf aber zweier gleichberechtigter
Partner. Hierzu benötigen Sudan und Südsudan wirt­
schaftliche Stabilität. Denn nur wenn die eigene Exis­
tenz gesichert ist, können Sudanesen und Südsudane­
sen ihr Leben in selbstbestimmter Freiheit verwirkli­
chen – dafür benötigt man einerseits Investoren, an­
dererseits Handel. Erfreulicherweise brachte die
trilaterale Konferenz Ende Januar schon zwei Projek­
te hervor, die es im Auge zu behalten gilt: Ein deutsches
Unternehmen soll die Kanalisation in Khartum ver­
bessern; ein weiteres könnte demnächst eine Medika­
mentenproduktion im Südsudan aufbauen.
Früchte des Dialogs benötigen Zeit zum Reifen.
Aber am Ende werden wohl beide Staaten zu dem
Schluss kommen: Ihnen bleibt – trotz politischer Kon­
flikte – nichts anderes übrig, als zu kooperieren.
•
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WIRTSCHAFT · Sekretär
bericht an den vorstand
Siemens und die
schwarze Liste
Der Sekretär
Ihre Termine
Technologien und Methoden für eine
moderne Wasserinfrastruktur für Ägypten
9. bis 14. Juni 2013, München
»Bayern – Fit for partnership«: Unter diesem
Motto lädt das Wirtschaftsministerium des
Freistaates im Juni deutsche und ägyptische
Firmen nach München, um die Vorteile des lokalen Verteilungssystems zu demonstrieren
und neue Partnerschaften auszuloten. Pro Unternehmen darf sich allerdings nur ein Teilnehmer zur Delegationsreise anmelden. Familienmitglieder inklusive?
www.bayern-international.de
Beautyworld Middle East
28. bis 30. Mai, Dubai, VAE
Schöner neuer Orient: Über tausend Aussteller
zeigen bei der größten Kosmetik- und Wellness-Messe der Region Gesicht. Alles für Haut,
Haar(e), Nägel und Seele versammelt der Veranstalter, die Messe Frankfurt, im »Dubai International Convention and Exhibition Centre«. Der
deutsche Pavillon wirbt mit deutscher Wohlfühlkultur von Kneipp bis Kölnisch Wasser.
www.beautyworldme.com
Windenergie in Ägypten
11. Juni 2013, Berlin
Viel trauen Ökonomen und Unternehmer der
gegenwärtigen Regierung Morsi in Ägypten in
puncto Wirtschaftspolitik ja nicht zu. Aber wer
auch immer 2020 im Präsidentenpalast in Heliopolis residiert, wird sich an den hehren Zielen messen lassen müssen, die bis dahin erreicht werden wollen: etwa 20 Prozent Stromanteil aus erneuerbaren Energien. Welche
Rolle der Zweig-Campus der TU Berlin am Roten
Meer oder der Projekt-Windpark Zafarana
spielen können, loten Hersteller, Forscher und
Kreditgeber bei der Veranstaltung im Berliner
Haus der Deutschen Wirtschaft aus.
www.mena-projektpartner.de
16th Arab-German Business Forum
12. bis 14. Juni 2013, Berlin, Deutschland
Wahrlich, Bahrain hat es im Moment nicht
einfach, zur normalen Messe- und Tagungsordnung zurückzukehren. Als Partnerland
beim »Arab-German Business Forum« der
Ghorfa kann sich das Golfemirat wieder von
seiner besten (Wirtschafts-) Seite zeigen. Im
Berliner Ritz Carlton drehen sich Fachpanels
außerdem um Familienunternehmen oder
auch Frauen in Führungspositionen. Ob das
erste Panel auf dem Forum vom Partnerland
vorgeschlagen wurde? – IT-Sicherheit.
www.ghorfa.de
5. Deutsch-Angolanisches
Wirtschaftsforum 2013
4. bis 5. Juni 2013, Luanda, Angola
Angela Merkels Stippvisite in der ehemaligen
portugiesischen Kolonie sorgte 2011 für viel
Wirbel. Die Delegationsreise deutscher Wirtschaftsvertreter nach Angola lässt es etwas
ruhiger angehen. Statt Tauschgeschäften von
Patrouillenboten gegen Rohstoffe stehen Investitionen in Agrarwirtschaft und Baugewerbe im Mittelpunkt. Nach der Tagung in der
Hauptstadt Luanda steht dann eine Reise in
verschiedene Provinzen des Landes auf dem
Programm.
www.dawf.de
Schreiben Sie uns: [email protected]
Der deutsche Mittelstand im Irak ist leidge­
prüft. Warum sollte es Exportgiganten wie
Siemens anders gehen? Anfang April ging
folgende Nachricht durch die irakischen
Medien: Das Elektrizitätsministerium ha­
be seine Zusammenarbeit mit Siemens mit
sofortiger Wirkung ausgesetzt. Der Ton des
Ministeriumssprechers klang wenig konzi­
liant: Siemens halte Verträge nicht ein und
sei gewarnt gewesen. Das kommt einem
»Blacklisting« des Konzerns gleich. Woran
sich der Streit entzündete, bleibt vorerst un­
klar. Fest steht: Die Stromversorgung des
Irak ist schlecht. Kaum 55 Prozent des Be­
darfs sind gedeckt – verlassen kann man
sich in dem Land nur auf die »power cuts«.
Ob Minister Karim Al-Jumaili – auf­
grund der Situation nicht gerade der belieb­
teste Politiker im Land – nur einen Sünden­
bock suchte? Oder war Siemens aufgrund der
Sicherheitsbestimmungen wieder einmal
nicht in der Lage gewesen, hochrangige Ma­
nager zu entsenden, um Probleme rechtzei­
tig zu entschärfen? Eigentlich lief es ja gut:
Der türkische Arm von Siemens sollte ge­
meinsam mit Toyota Tsusho 24 neue Um­
spannwerke im Irak bauen. Im Herbst 2012
erging die Bestellung von vier Siemens-Gas­
turbinen und vier Generatoren für das Gas­
kraftwerk Khormala im Nordirak sowie für
Hilfs- und Nebensysteme. Volumen: rund
100 Millionen Euro. Anfang Mai korrigierte
Siemens die Gewinnerwartung für 2013
nach unten – auch das eher enttäuschende
Geschäft in Schwellenländern trägt dazu bei.
Kann Siemens von Bagdads schwarzer
Liste bald wieder verschwinden? »Ein sym­
bolisches Schuldeingeständnis genügt, da­
mit der Minister sein Gesicht behält«, raten
irakische Experten. Die Münchner Kon­
zernzentrale gibt sich indes eher mundfaul:
»Im Zusammenhang mit einigen wenigen
Projekten im Irak gibt es unterschiedliche
Auffassungen zwischen den Vertragspart­
nern. Wir befinden uns derzeit in Gesprä­
chen mit dem irakischen Elektrizitätsmi­
nisterium, um diese vertraglichen Themen
schnellstmöglich zu klären. Selbstver­
ständlich wird Siemens alle seine vertragli­
chen Verpflichtungen im Irak erfüllen«, so
die Antwort auf Anfrage von zenith.
dge
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WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF
Bildung & Beruf
in der arabischen Welt
In Zusammenarbeit mit der Europäisch-Arabischen Karriere- und
Bildungsmesse KUBRI präsentiert zenith ein Special zum Thema
Bildung und Beruf in der arabischen Welt.
Die KUBRI 2013 findet vom 24. bis 25. Mai 2013 an der TU München
(Campus Garching) statt. Weitere Informationen unter www.kubri.eu.
Inhalt
68 Der Blick geht nach Deutschland
Die Bildungslandschaft im Nahen Osten bietet große Chancen – für alle Seiten
70 Zwischen Luxusleben und moderner Sklaverei
Arbeiten in Dubai: Erwartungen und Erfahrungen deutscher Expats
72 Bündnisse für Arbeit
Ägypten benötigt mehr gut ausgebildete Facharbeiter
74 »Wir halten unseren Studenten im Ausland die Treue«
Bahrains Verkehrsminister Kamal Bin Ahmed über Bildungsinitiativen
76 Renaissance des Wissens?
Welche Probleme Tunesien und Ägypten bei der Modernisierung ihres Schulwesens überwinden müssen
80 Von Schnee wird man nicht blind
Eine deutsche Klinik bildet Tunesier zu Kranken- und Gesundheitspflegern aus
Impressum
Verantwortlich für diese Sektion: KUBRI, EuroArab Centre
for Education OHG, Regierungsplatz 539, 84028 Landshut;
Leitung: Norbert Hoffmann, Ulrich Mayer (V.i.S.d.P.)
Redaktion (zenith): Christian Meier, Mai-Britt Wulf
BILDUNG & BERUF · KUBRI-SPECIAL · WIRTSCHAFT
Auf Scheich Tahtawis Spuren
Anders als im 19. Jahrhundert funktioniert der Bildungsaustausch
zwischen Europa und der arabischen Welt heute in mehrere Richtungen.
Daraus ergeben sich zahlreiche Chancen
• Es gab schon einmal eine Zeit, in der europäisches Wis­
sen in den Ländern des Nahen Ostens äußerst gefragt
war. Mit den Studiendelegationen, die der ambitionierte
ägyptische Herrscher Muhammad Ali ab den 1820er Jah­
ren nach Europa schickte, setzte ein Prozess des Bil­
dungs- und Technologietransfers ein, der in den folgen­
den Jahrzehnten beträchtlich zur Umgestaltung und
Modernisierung der arabischen Welt beitrug.
Europa war für viele im Nahen Osten damals Vor­
bild; umso mehr, als sie ihre Schwäche im Vergleich zu
den reichen Nachbarn im Norden bemerkten. Die Reise­
berichte des ägyptischen Gelehrten Rifaat al-Tahtawi,
der die Jahre 1826 bis 1831 als Teilnehmer einer Studien­
gruppe in Paris verbrachte, legen bis heute beredtes
Zeugnis von dieser Neugierde ab, die jedoch immer mit
kulturellem Selbstbewusstsein gepaart war. So hielt der
junge Scheich nichts von der vielgerühmten Pariser Cui­
sine: Dem Essen der Franzosen »mangelt es an Würzig­
keit«, urteilte er. Und unter dem verfügbaren Obst ge­
stand er lediglich Pfirsichen zu, süß genug zu sein.
Nach seiner Rückkehr Ägypten gründete Tahtawi
1835 die erste moderne Sprachenschule des Landes und
übersetzte selbst zahlreiche wissenschaftliche und phi­
losophische Werke ins Arabische. Die Faszination seiner
Generation schlug wenige Jahrzehnte später jedoch teil­
weise in Abneigung um – einhergehend mit den immer
unverhohleneren und unverfroreneren Ansprüchen eu­
ropäischer Staaten auf politische und wirtschaftliche
Dominanz im Nahen Osten. Gleichzeitig war die Region
bereits tief mit westlichen Ideen und Konzepten impräg­
niert, war der Grundstein für eine Bildungselite nach eu­
ropäischem Modell gelegt. Gewiss beförderte dies den
Fortschritt in der seinerzeit zum großen Teil noch osma­
nisch beherrschten nahöstlichen Welt. Aber es führte
auch zu einer zunehmenden Zweiteilung der Gesell­
schaften und zu einem gespaltenen Verhältnis gegenüber
dem Westen.
Heute soll Bildungs- und Technologietransfer daher
nicht mehr nur die Eliten erreichen: Im Rahmen der Ent­
wicklungszusammenarbeit werden besonders praxisna­
he Ausbildungen gefördert, die an die Erfordernisse des
Arbeitsmarkts angepasst sind – nach dem Motto: Mecha­
niker statt Akademiker. Das duale deutsche Ausbildungs­
system wird dabei zunehmend zum Markenprodukt.
Aber auch immer mehr Universitäten in der arabischen
Welt orientieren sich – wieder – an westlichen Standards:
Da sind etwa die Franchise-Gründungen amerikani­
scher und britischer Elite-Unis in den Golfstaaten zu
nennen, aber auch Projekte wie die German University in
Cairo (GUC), die German-Jordanian University (GJU) in
Amman oder die im Oman beheimatete German Univer­
sity of Technology (GUTech). Wenige Jahre nach dem
Schock des »Arab Human Development Reports« – der
der Region bescheinigte, im Bildungsbereich glatt das
Klassenziel verfehlt zu haben – wird in den arabischen
Ländern so viel in Bildung investiert wie nie zuvor. Sau­
di-Arabien beispielsweise hat 2012 umgerechnet 45 Mil­
liarden US-Dollar für Bildungsmaßnahmen vorgesehen,
fast ein Viertel seines Gesamthaushalts. Das ist aber
auch notwendig angesichts der Bevölkerungsstrukturen
in den jungen arabischen Gesellschaften.
Dies alles eröffnet nicht zuletzt deutschen Bildungs­
anbietern neue Möglichkeiten: »Die deutsche Industrie
und deutsche Produkte haben in den arabischen Län­
dern einen ausgezeichneten Ruf«, sagt Silvia Niediek von
der Agentur iMOVE, die deutsche Bildungsanbieter in­
ternational vernetzt. Neben Ausbildung in technischen
Disziplinen seien auch Verkaufstrainings, Manage­
ment-Weiterbildungen und Event-Organisation sehr ge­
fragt. »Ein besonderer Fokus liegt im arabischen Raum
auf dem Sektor der Erneuerbaren Energien«, so Niediek.
Chancen ergeben sich aber nicht nur für Bildungsex­
porteure, sondern auch für die Importeure von Arbeits­
kraft: Auch deutsche Unternehmen werden in Zukunft
immer mehr Angestellte mit Migrationshintergrund ha­
ben. Während es umgekehrt zunehmend auch Deutsche
in den Nahen und Mittleren Osten zieht. Denn das ist ein
gewichtiger Unterschied zu Tahtawis Zeiten: Geld, exzel­
lente Arbeitsbedingungen und gute Karrierechancen für
junge Arbeitnehmer locken nicht mehr nur im Westen,
sondern gleichermaßen in den reichen Staaten der Golf­
region. Der Kulturschock, der den jungen Scheich Rifaat
angesichts der Sitten der Franzosen ereilte, dürfte bei so
manchem Expat in Dubai oder Abu Dhabi auch umge­
kehrt nicht ausbleiben. Mit einem gewichtigen Unter­
schied: Zu wenig gewürzt zu sein, wird man arabischem
Essen gewiss nicht vorwerfen können.
•
chm
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WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF
Der Blick geht nach
Deutschland
Die Bildungslandschaft im Nahen Osten bietet
große Chancen – sowohl für die junge
arabische Generation als auch für deutsche
Hochschulen
Von Renate Dieterich
• Nahezu die Hälfte der Bevölkerung in der arabischen Welt ist
jünger als 25 Jahre und damit im entscheidenden Alter für eine
akademische Ausbildung. Investitionen in die Bildungseinrich­
tungen von heute zahlen sich zukünftig mit hoher Rendite aus,
wenn qualifizierte Absolventen auf den Arbeitsmarkt strömen.
Die Hochschulsysteme der arabischen Welt können den Ansturm
jedoch alleine nicht bewältigen – zu groß sind die finanziellen wie
inhaltlichen Herausforderungen.
Deutschland ist nicht nur als Studienstandort begehrt, son­
dern auch als Partner für die akademische Zusammenarbeit. Vie­
le deutsche Hochschulen sind seit langem in der Region aktiv, mit
Kooperationsprojekten, gemeinsamen Studiengängen, Ausgrün­
dungen oder gar mit Großprojekten zum Auf- und Ausbau deut­
scher Hochschulen im Ausland. Der Deutsche Akademische Aus­
tauschdienst (DAAD) steht ihnen dabei mit passgenauen Pro­
grammen und als Ratgeber zur Seite.
Seit Jahrzehnten verfügt der DAAD über ein engmaschiges
Netzwerk in der arabischen Welt. Seine Außenstelle in Kairo in­
formiert, berät und vermittelt bereits seit 1960 deutsche wie
ägyptische Hochschulinteressenten. Neben Saudi-Arabien,
Oman und Kuwait haben auch die Vereinigten Arabischen Emira­
te inzwischen Vereinbarungen mit dem DAAD abgeschlossen, um
in Regierungsstipendienprogrammen Studierende nach Deutsch­
land zu schicken. Besonderes Interesse besteht an ingenieurwis­
senschaftlichen und medizinischen Studiengängen, aber auch
Deutsch als Fremdsprache wird nachgefragt.
Die Hochschulsysteme der arabischen Welt
werden den Ansturm der nächsten Jahre nicht
alleine bewältigen können – zu groß sind die
Herausforderungen
Das wachsende Interesse aus und an der arabischen Welt schlägt
sich in eindrucksvollem Budgetwachstum nieder: So haben sich
die Ausgaben des DAAD für die Region seit 2000 mehr als ver­
dreifacht, auf mittlerweile über 25 Millionen Euro. Die Deutsch-­
Arabische Transformationspartnerschaft des DAAD, durch die
seit 2012 jährlich zusätzlich 7,4 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt werden, bietet exzellente Chancen für den weiteren Aus­
bau der akademischen Beziehungen – und der Wunsch danach ist
bei den Partnern deutlich spürbar: In Tunesien etwa reicht, nach
dem Sturz des alten Regimes, der Blick vielfach über den traditio­
nellen Partner Frankreich hinaus hin zu anderen europäischen
Staaten. Deutschland gehört hier zu den begehrten Zielen.
Schon seit rund 30 Jahren betreut der DAAD ein Jungingeni­
eursprogramm für tunesische Abiturienten. Die Transformati­
onspartnerschaft hat das Förderspektrum erweitert: So koope­
rieren tunesische und deutsche Hochschulen beim Aufbau eines
kinderkardiologischen Masterstudiengangs oder bei der Förde­
rung unternehmerischer Qualifikationen von Absolventen im
IT-Bereich. Auch im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaf­
ten gibt es eine ambitionierte Zusammenarbeit, unter anderem
zum Aufbau einer Forschungsgruppe »Tunesien im Wandel« und
der Etablierung eines Forschungsprojekts »Verantwortung, Ge­
rechtigkeit, Erinnerungskultur«.
Für die Entwicklung in der Region wird
es e­ ntscheidend sein, ob den Menschen
ein ­berufliches und wirtschaftliches Fort­
kommen ­ermöglicht wird
Stets im Blick ist dabei die Frage der Beschäftigungsfähigkeit:
Absolventen sollen nicht nur Fachwissen erwerben, sondern auch
fit gemacht werden für die Herausforderungen eines globalisier­
ten Arbeitsmarktes. Ob für lokale oder internationale Firmen, ob
in Forschung, Lehre oder im Rahmen der Zivilgesellschaft –
überall ist aktuelles Wissen ebenso gefragt wie die Bereitschaft,
die eigenen Fähigkeiten lebenslang fortzuentwickeln.
Hohe Akademikerarbeitslosigkeit war ein wichtiger Aspekt
des Arabischen Frühlings. Für die Entwicklung in der Region
wird es eine entscheidende Rolle spielen, ob es gelingt, diese Be­
völkerungsgruppen zum einen strukturell in Entscheidungspro­
zesse einzubinden, ihnen zum anderen aber auch berufliches und
wirtschaftliches Fortkommen zu ermöglichen. Die Signale dazu
sind gemischt: Während sich neue Akteure stärker als bislang in
öffentliche Debatten einbringen können, scheuen die nationalen
Führungen oft zurück, wenn es um klare Positionierungen in ge­
sellschaftlichen Konflikten geht, und überlassen die Akteure
weitgehend sich selbst. Dies trifft vor allem auf das Ringen zwi­
schen islamistischen und nichtreligiös agierenden Gruppen zu.
Eine sich zuspitzende ökonomische Krise verschärft diese
heikle Situation weiter. Der Hochschulbereich profitiert in dieser
Situation besonders stark von einer vertrauensvollen Zusammen­
arbeit mit externen Partnern. Dazu braucht es eine kritische Be­
gleitung und offene Diskussion, vor allem aber Kontinuität und
Stabilität der Beziehungen. Nur so kann die arabische Welt interna­
tional den akademischen und wirtschaftlichen Anschluss finden. •
Dr. Renate Dieterich studierte Islamwissenschaft und promovierte über die jordanische Demokratisierungspolitik der 1990er Jahre. Beim DAAD leitet sie das
Referat »Deutsch-Arabische Transformationspartnerschaften – Kulturdialog«.
THEMA · LANDISTAN · POLITIK
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WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF
Zwischen Luxusleben
und moderner Sklaverei
Erwartungen und Erfahrungen deutscher Expats.
Zwei Beispiele aus der Hotelbranche in Dubai
Interviews: MBW
»Dubai ist
eine Chance«
ationen. In irgendein Fettnäpfchen tritt man immer. Ein gesun­
des Bauchgefühl hilft am besten. Und ich habe 18 Passfotos im Ge­
päck.
Wofür brauchen Sie so viele Passfotos? Das Visum wird nor­
malerweise vom Arbeitgeber bezahlt. Aber zunächst wird nur ein
vorläufiges Visum ausgestellt. Bei der Einreise in die Emirate
braucht man die vielen Passfotos für die weitere Bearbeitung des
Visums, außerdem muss man sich einem Gesundheitscheck un­
terziehen.
Welche Erwartungen haben Sie? Ich verspreche mir einen sehr
internationalen Markt, auf dem ich viele Erfahrungen sammeln
werde. Aber ich mache mir keine Illusionen: Ich weiß, dass ich für
den Erfolg viel arbeiten muss. Trotzdem sind die schnellen Auf­
stiegschancen verlockend. Zudem kann ich mir ein gutes Netz­
werk aufbauen. Dubai ist ein Dreh- und Angelpunkt für viele Bran­
chen.
»Einmal im Jahr steht
eine Beförderung an«
Wie bereiten Sie sich vor? Ich denke, man kann sich nicht auf
Dubai vorbereiten. Bei den zahlreichen verschiedenen Kulturen,
die dort aufeinander treffen, entstehen halt unkalkulierbare Situ­
Wie stellen Sie sich Ihre Freizeit in Dubai vor? Dubai ist eine
künstliche Welt und alles spielt sich drinnen ab. Ich bin sicher, dass
ich nach einiger Zeit frustriert und gelangweilt sein werde. Ein
kulturelles Angebot, wie wir es aus Deutschland kennen, also Mu­
seen und Theater, befindet sich erst im Aufbau. Mir bleiben also
nur Einkaufszentren, Kinos und Indoor-Skihallen.
Caroline Laatz hat in Bad Honnef Internationales Hotelmanagement studiert und
bereits während des Studiums ein Praktikum in Dubai absolviert. Im Frühsommer
tritt sie dort eine neue Stelle an.
Foto: privat
zenith: Was zieht Sie nach Dubai? Caroline Laatz: Ich sehe Du­
bai als eine Chance, die sich mir bietet. Das Emirat hat Wachs­
tumsraten von 30 Prozent in der Hotellerie – und der Markt ist
noch lange nicht gesättigt. Außerdem braucht man in Deutschland
deutlich länger, um gewisse Positionen zu erreichen. In Dubai
kann man nach einem halben bis einem Jahr bereits befördert wer­
den, eine Beförderung einmal im Jahr wird regelrecht erwartet.
Wer Hotelmanagement studiert hat, will sich im gehobenen Seg­
ment bewegen, also in den Fünfsternehotels. In Dubai hat man die
Wahl, denn alle großen Ketten sind vertreten.
Ihr Arbeitsvertrag ist zunächst auf zwei Jahre begrenzt. Was
kommt danach? Möchten Sie länger in Dubai bleiben? Die
Branche ist schnelllebig, es kann sich alles ergeben. Langfristig
steht für mich aber fest, dass ich zurück nach Europa möchte. Aber
erst wenn ich eine gewisse Position erreicht habe.
BILDUNG & BERUF · KUBRI-SPECIAL · WIRTSCHAFT
71
und ich haben zwei Jahre lang am Golf gelebt, aber wir hatten kei­
ne Zeit zu reisen. Wir mussten immer für die Firma verfügbar sein.
»Es gibt keinen
globa­leren Ort
auf der Welt«
Was ist Ihnen in guter Erinnerung geblieben? Wir haben das
erste Dubaier Oktoberfest veranstaltet. Dazu engagierten wir ei­
ne Band aus dem Hackerzelt und servierten Bier und Brezeln. Die
Stimmung war genau wie in München, obwohl wir mitten in der
Wüste waren.
Wie unterschied sich Ihr Alltag dort vom Alltag in Europa?
Das Expat-Leben spielt sich in den Hotels ab. Die Angestellten
wohnen in eigenen Hotel-Dörfern, mit Supermarkt, Swimming­
pool und Restaurants. Einerseits ist das positiv, weil Wohnraum
in Dubai sehr teuer ist. Andererseits war ich nie allein, weil wir al­
le auf einem Gelände gewohnt haben. Im Waschsalon stand plötz­
lich mein Kellner oder am Pool lag mein Chef. Möglichkeiten zur
Freizeitbeschäftigung sind sehr eingeschränkt. Auch die glitzern­
den Einkaufszentren sind irgendwann langweilig. An meinem frei­
en Tag war ich meist erschöpft und wollte nur am Pool liegen.
Auf welche Probleme stießen Sie bei der Arbeit? Die Tischver­
gabe ist eine heikle Angelegenheit in Dubai. Ich habe schnell ge­
lernt, dass man zwei indische Reservierungen nie in die gleiche
Sektion des Restaurants setzen sollte. Entweder verstehen sie sich
super und es wird laut, oder sie streiten sich und es wird laut. Bei
den Russen macht man es andersherrum: Man setzt sie nahe bei­
einander. Wenn man Glück hat, dann entsteht ein Show-Off und
die Russen wollen zeigen, wer mehr Geld im Restaurant liegen
lässt. Das steigert den Umsatz.
zenith: Warum sind Sie nach Dubai gegangen? Timo Hayen:
Dubai ist ein Sprungbrett in der Hotellerie. Alle großen Führungs­
kräfte meines damaligen Arbeitgebers haben mal dort gearbeitet.
Mir wurde gesagt, wenn ich eine Karriere mit der Firma plane,
dann muss ich nach Dubai.
Was ist denn das Besondere an dem Standort? Es gibt keinen
globaleren Ort auf der Welt. In unserem Hotel haben 120 bis 130
verschiedene Nationalitäten gearbeitet. Innerhalb kürzester Zeit
habe ich verstanden, was ein Begriff wie interkulturelle Kompe­
tenz in der Praxis wirklich bedeutet. Außerdem versuchen die Ho­
tels in Dubai ständig, sich gegenseitig zu übertrumpfen; so ist ein
interessanter, dynamischer Markt entstanden. Und die Emirate
haben westliche Verhältnisse. Je weiter man nach Osten geht, des­
to krasser wird der Kulturschock.
Foto: privat
Trotz Wüste und Scheichs hatten Sie keinen Kulturschock?
Nein. Ich habe mich einfach angepasst. Die Einkaufsmeilen, Ho­
tels oder Straßen, das ist nichts Neues für einen Europäer. Ich
musste weder auf guten Wein noch auf Schweinefleisch oder
Schwarzbrot verzichten. Aber alles hat seinen Preis.
Welche Schattenseiten hat das Leben in Dubai? In Dubai herr­
schen andere Vorstellungen vom Berufsleben, die ich manchmal
als moderne Versklavung bezeichnete. Ich arbeitete sechs Tage
die Woche mindestens zwölf Stunden am Tag – oft war es mehr.
Und anfangs verdiente ich 500 US-Dollar im Monat. Um ein Haar
hätte man mir fast keine Flitterwochen genehmigt. Meine Frau
»In Europa hätte ich niemals
solche Chancen bekommen«
Haben sie beruflich von Ihrer Zeit dort profitiert? Ja. Die
Fachkenntnisse über Essen, Personalwesen und Führungsstil, das
lässt sich in Europa in so kurzer Zeit nicht lernen. Ich habe gelernt,
in anderen Dimensionen zu denken – beruflich wie menschlich.
Zum Beispiel hat Trinkgeld eine ganz andere Bedeutung in Dubai.
Einer meiner liebsten Mitarbeiter kam von den Philippinen. Er
schickte jeden Monat sein gesamtes Gehalt nach Hause. Einzig das
Trinkgeld behielt er für sich, denn davon hat er gelebt. Hier in Zü­
rich arbeitet keiner meiner Mitarbeiter, um seine Familie zu er­
nähren.
Was war Ihre größte Herausforderung? Neben der Organisa­
tion des Oktoberfests bekam ich den Auftrag, eine Bar neu zu er­
öffnen. Es war meine Aufgabe, den Laden zum Laufen zu bringen.
Innerhalb kürzester Zeit musste ich zum Marketingexperten wer­
den, meine Mitarbeiter trainieren und ein Konzept entwickeln.
Solche Chancen und Verantwortung hätte ich in Europa nicht be­
kommen. Aber obwohl ich viel von meiner Zeit in Dubai profitiert
habe, habe ich es gehasst.
Timo Hayen arbeitete zwei Jahre in Dubai als Restaurantleiter in einer großen
Hotel­kette. Im Sommer 2012 verließ er das Emirat und ist seitdem als Bankettleiter in einem Züricher Hotel tätig.
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WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF
Bündnisse für Arbeit
Die Berufsausbildung zu stärken, ist ein
Schwerpunkt der deutschen Entwicklungs­
zusammenarbeit in Ägypten. Denn noch
zu selten passen Qualifikationen und Anforde­
rungen auf dem Arbeitsmarkt zusammen
Von Christian Meier
land engagiert sich aber nach wie vor und mit einer Vielzahl von
Programmen in der Berufsausbildung in dem Land. Denn die ho­
he Zahl von Arbeitssuchenden ist nur eine Seite der Medaille:
Landauf, landab klagen Firmen über das schlechte Ausbildungs­
niveau von Berufsschulabgängern.
Auch in der aktuellen »Marktstudie Ägypten« der deutschen
Agentur iMOVE heißt es: »Reformen müssen in vielen Bereichen
ansetzen: bei veralteten Einrichtungen und Lehrmethoden, dem
niedrigen Qualifikationsniveau der Lehrkräfte, fehlender Weiter­
bildung der Ausbilderinnen und Ausbilder, einem Lehrplan, der
dem aktuellen Entwicklungsstand und den Ansprüchen der In­
dustrie hinterherhinkt, und mangelnder Kooperation mit dem
Privatsektor, für den eigentlich ausgebildet werden soll.« Dem­
entsprechend haben die Berufsschulen einen sehr schlechten Ruf
– dabei sind gerade gut ausgebildete Facharbeiter zentral für eine
Volkswirtschaft wie diejenige Ägyptens.
Der Jobmangel in Ägypten ist nur eine Seite
der Medaille: Firmen beklagen das schlechte
Ausbildungsniveau der Berufsschulen
• Auf den Schildern in der Kairoer Metro ist er ausgekratzt – der
Name der Station »Mubarak«; dort steht nun handschriftlich
»Märtyrer«. Anderswo ist der 2011 gestürzte Präsident dagegen
nach wie vor präsent, und das auch noch gemeinsam mit einem
Deutschen, dessen Regierungszeit gefühlt ebenfalls Jahrzehnte
zurückliegt: Von der »Mubarak-Kohl-Initiative« (MKI) spricht
man in Ägypten bis heute, obwohl das Programm selbst mittler­
weile einen anderen, recht bürokratischen Namen trägt.
Das liegt vermutlich nicht nur an dem guten Ruf, den alles
Deutsche am Nil genießt, sondern auch an dem Erfolg des Pro­
gramms. Die MKI – heute heißt sie »National Technical & Vocati­
onal Education and Training Program« (NTVET) – versucht, das
deutsche duale Ausbildungssystem in Ägypten zu verankern. Un­
ter Federführung der heutigen Deutschen Gesellschaft für Inter­
nationale Zusammenarbeit (GIZ) werden seit 1994 junge Ägypter
zwei Tage pro Woche an Berufsschulen und zugleich vier Tage pro
Woche in Betrieben praktisch ausgebildet. Im Vergleich zu »nor­
malen« Absolventen der technischen Berufsschulen haben die
Absolventen zumeist bessere Jobaussichten – ein wichtiger Vor­
teil auf Ägyptens Arbeitsmarkt, wo die Unter-30-Jährigen inzwi­
schen knapp 90 Prozent der Arbeitslosen ausmachen –, und ihr
Verdienst liegt um 20 bis 30 Prozent höher.
2008 übernahm der ägyptische Staat die MKI, die bis dato
mehrere zehntausend Absolventen hervorgebracht hat. Deutsch­
Die Bedürfnisse von Arbeitgebern stärker mit der beruflichen
Ausbildung zur Deckung zu bringen, bleibt daher auch ein
Schwerpunkt der deutschen Aktivitäten. Allen voran der GIZ. Die
hat beispielsweise einen »National Employment Pact« aufgelegt,
der wie ein großes Arbeitsvermittlungszentrum funktioniert und
dabei auch die Privatwirtschaft stärker in die Pflicht nehmen
will. Ob der »Beschäftigungspakt« trägt, muss sich aber erst noch
erweisen – vorherigen Versuchen der GIZ, Arbeitssuchende in of­
fenen Stellen unterzubringen, war jedenfalls ähnlich viel Erfolg
beschieden wie seinerzeit Helmut Kohls »Bündnis für Arbeit«.
Neben den staatlichen Entwicklungshelfern sind weitere
deutsche Akteure auf dem Feld der Berufsbildung in Ägypten prä­
sent. Insbesondere seit das Auswärtige Amt im Rahmen der
Transformationspartnerschaft 100 Millionen Euro zur Verfü­
gung gestellt hat, von denen ein Großteil für den Bildungsbereich
bestimmt ist, sind Zahl und Volumen der Projekte gestiegen. Die
deutsche NGO Global Project Partners (GPP) etwa widmet sich
vier zentralen Bereichen der Berufsausbildung: Baubranche,
Kfz-Mechatronik, Tourismus und Möbelherstellung. »Unsere
Programme sind genau an die Gegebenheiten in Ägypten ange­
passt«, sagt Fatima Giuliano, die als Projektmanagerin für den
Verein arbeitet. Beispielsweise in der Automobilbranche: »In
Ägypten gibt es enorm viele Kfz-Mechaniker, die gut herum­
schrauben können, aber überhaupt nicht mit den neuen Techno­
logien klarkommen, die heute in Autos stecken.«
Daher gründet GPP nun ein Ausbildungszentrum für Kfz-­
Mechatroniker – ein Beruf, den es in Ägypten bislang nicht gab.
Natürlich wiederum nach dem deutschen Modell: eine dreijährige
Ausbildung, die Theorie und Praxis verbindet. Der ägyptische
Daimler-Ableger Mercedes Benz Egypt beteiligt sich als privat­
wirtschaftlicher Partner. 20 bis 25 junge Fachkräfte sollen so
bald jedes Jahr ausgebildet werden. Nicht alle von ihnen wird der
Luxuskarossenbauer selbst einstellen. Dass die übrigen lange be­
schäftigungslos bleiben werden, ist angesichts der Straßenver­
hältnisse in Ägypten allerdings unwahrscheinlich.
•
THEMA · LANDISTAN · POLITIK
73
Hier wächst was.
Der Erfolg von internationalen Kooperationen ist in hohem Maße von dem Verständnis der Interessen, des Potenzials und des kulturellen Kontextes der jeweiligen Partner abhängig. Auch in der deutsch-arabischen Entwicklungszusammenarbeit haben
sich in den letzten Jahren die Inhalte zunehmend von der fachlich-technischen Ebene hin zu übergreifenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fragestellungen
• „Integrated Water Resources Management (IWRM)“, an der Fachhochschule Köln
und der University of Jordan, Jordanien
www.iwrm-master.info
erweitert.
Lebanese American University Beirut, Libanon
www.uni-marburg.de/fb02/emea
• „Economics of the Middle East (EMEA)“ an der Universität Marburg und der
Deshalb unterstützen GIZ und der DAAD den Aufbau von bikulturellen Masterprogrammen mit arabischen Ländern. Deutsche und arabische Studierende erwerben
• „Renewable Energy and Energy Efficiency for the MENA Region
hier nicht nur aktuelles Fachwissen, sondern auch regionales Wissen und interkulturelle Kommunikationsfähigkeit.
(REMENA)“, an der Universität Kassel und der Cairo University, Ägypten
www.uni-kassel.de/remena
Folgende bikulturelle Masterstudiengänge werden im Rahmen dieses Programms
bisher gefördert:
• „International Education Management (INEMA)“, an der Pädagogischen
Hochschule Ludwigsburg und der Helwan University, Ägypten
www.inema-master.com
74
WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF
»Wir halten unseren
Studenten im Ausland
die Treue«
Der bahrainische Verkehrsminister Kamal
Bin Ahmed über Bildungsinitiativen und
Frauenförderung in dem Königreich
Kritiker werfen Bahrain vor, seinen Studenten den Zugang
zu Bildung als Strafmaßnahme zu verwehren, wenn sie sich
an Protesten gegen das Könighaus beteiligen. Im März 2011
wurden etwa zehn Prozent der Studenten, die im Ausland
studieren, die Stipendien gekürzt. Ihnen wurde vorgeworfen, an Demonstrationen gegen die Herrscherfamilie teilgenommen zu haben. Bahrain hält seinen Studenten, die im Aus­
land studieren, die Treue und unterstützt sie weiterhin. Was Sie
hier ansprechen, waren außergewöhnliche Umstände, auf die mit
kurzzeitigen Maßnahmen reagiert wurde. Alle Studenten, denen
ein Stipendium gewährt wurde, werden weiterhin von der Regie­
rung finanziell unterstützt, bis sie ihr Studium beenden. Das Kö­
nigreich gewährt jedes Jahr Hunderten von Studenten eine För­
derung.
»Bahrain will den kulturellen Austausch
mit dem Ausland fördern«
zenith: Bahrain hat das älteste öffentliche Bildungssystem
am Golf, das es beständig ausbaut. Welche Bildungsinitiativen hat das Land in den letzten Jahren gestartet? Kamal Bin
Ahmed: Nahezu elf Prozent aller staatlichen Ausgaben fließen in
den Bildungsbereich. Aktuell wurden Programme zur Lehreraus­
bildung, eine Fachhochschule, Verbesserungen der weiterführen­
den Ausbildung und eine Institution zur Qualitätskontrolle ein­
geführt, um den Bildungsstandard weiter zu heben. Außerdem ar­
beiten wir daran, die Fähigkeiten unserer Fachkräfte zu verbes­
sern, wobei wir mit der deutschen GIZ kooperieren. Immerhin
werden in den nächsten zehn Jahren rund 100.000 Bahrainis neu
auf den Arbeitsmarkt kommen.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit Deutschland aus? Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt operieren mehr als 50 deutsche Firmen
und Einrichtungen im Königreich. 2011 schufen das Economic Development Board und unsere Entwicklungsorganisation Tamkeen
gemeinsam ein Programm zur Arbeitsvermittlung. Deutsche Fir­
men wie Hochtief oder BASF nehmen an dem Programm teil. Wir
wollen so den kulturellen Austausch fördern und es Universitäts­
absolventen ermöglichen, praktische Arbeitserfahrung mit wich­
tigen Handelspartnern im Ausland zu sammeln und eine neue
Sprache zu lernen. Das Ziel dieses Programms ist es, Kandidaten
mit der notwendigen Expertise und Fähigkeiten auszubilden, so
dass sie nach ihrer Rückkehr bedeutende Positionen in Firmen
übernehmen können.
Interview: mbw
Kamal Bin Ahmed ist Geschäftsführer des Bahrain Economic Development Board,
der zentralen wirtschaftlichen Planungsbehörde des Königreichs. Seit Februar
2012 ist er zudem Verkehrsminister.
Foto: Bahrain Economic Development Board
Etwa 70 Prozent der Studenten an Bahrains Universitäten
sind Frauen. Mit welchen Strategien unterstützt Bahrain die
Absolventinnen beim Eintritt in den Arbeitsmarkt? Laut ei­
ner Studie des Economist erreichte Bahrain Platz zwei im Nahen
Osten, was den Zugang von Frauen zu Bildung und Ausbildung an­
geht. 37 Prozent der Beschäftigten im lokalen Finanzsektor sind
beispielsweise weiblich. Die Bemühungen, Frauen weiter zu för­
dern, stellen einen wichtigen Bestandteil vieler staatlicher Pro­
gramme dar. Bis heute wurden mehr als 14.000 Frauen durch ver­
schiedene staatliche Programme unterstützt. Die Förderung be­
läuft sich auf eine Summe von 25 Millionen Bahrainischen Dinar
– etwa 50 Millionen Euro.
THEMA · LANDISTAN · POLITIK
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75
Bildung exportieren
– Wirtschaft stärken
Fachkräftesicherung mit dem dualen
Ausbildungssystem
Sie sind interessiert an einer
Kooperation? Dann besuchen
Sie uns auf der Messe KUBRI.
24.-25. Mai 2013
Technische Universität München
Das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft hat sich dazu verpflichtet, Unternehmen bei der Fachkräftesicherung und
bei der Personalentwicklung zu unterstützen – in Bayern und weltweit. Eines
der neuesten Projekte ist der „Beschäftigungspakt Tunesien“: Seit 2012 engagiert
sich das bbw dafür, das deutsche Ausbildungssystem nach Ansätzen der dualen
Ausbildung nach Tunesien zu exportieren,
um dort dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Hintergrund: Viele deutsche Unternehmen führen Niederlassungen in Tunesien,
das aufgrund seiner geografischen Nähe
und der Freihandelszone einer der wichtigsten Wirtschaftsstandorte in Nordafrika
ist. Doch die dortige Berufsausbildung ist
nicht am Bedarf der Wirtschaft ausgerichtet und bringt dementsprechend wenig ausreichend qualifizierte Facharbeiter
hervor.
Idee: Tunesische Ausbilder und Berufsschullehrer besuchen gemeinsam
Schulungen in Deutschland und Tunesien. Während der Fortbildung stärken sie
ihre persönlichen, didaktischen, methodischen und technischen Kompetenzen.
In den tunesischen Niederlassungen von
bayerischen Betrieben wird schrittweise
ein duales Ausbildungssystem nach deutschem Vorbild eingeführt, zudem werden
die tunesischen Berufsschulen neu ausgestattet, um den technischen Anforderungen zu entsprechen.
Ziel: Die geschulten tunesischen Lehrkräfte fungieren als Multiplikatoren. Sie
vermitteln an Schulen und Betrieben eine
fachliche duale Ausbildung, qualifizieren
neue Fachkräfte und sorgen damit für
eine kontinuierliche, nachhaltige Umstellung des Ausbildungssystems.
Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw) gGmbH, Infanteriestraße 8, 80797 München,
Ansprechpartnerin Carina Simon, Telefon 089 44108-417, E-Mail: [email protected]
Aktuell bietet das bbw Schulungen im Bereich Metall, Elektro und Textil an. Das Projekt „Beschäftigungspakt Tunesien“ wird
von der Entwicklungsorganisation sequa
koordiniert, vom Auswärtigen Amt finanziert und von tunesischen Behörden sowie
Arbeitgeberverbänden beider Länder unterstützt.
Persönliche Beratung unter
Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft
Carina Simon
Telefon: 089 44108-417
E-Mail: [email protected]
Seit 1969 führt das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft erfolgreich Qualifizierungsmaßnahmen für Unternehmen im In- und Ausland
durch. Als Dienstleister der Wirtschaft entwickelt
es individuelle Angebote, die sich am Bedarf der
Unternehmen und an den wachsenden Anforderungen der Wirtschaft orientieren.
Dazu gehören die Bereiche Führungskräfte-,
Personal- und Organisationsentwicklung, Training, Beratung und Coaching, Prozessbegleitung,
Kompetenzmanagement,
Inhouse-Seminare,
berufsbegleitende Weiterbildung und Lehrgänge,
Seminare für Ausbilder und Auszubildende und
Fort- und Weiterbildung für Betriebsräte.
WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF
Renaissance des Wissens?
Ägypten und Tunesien haben Bildungs­­in­itiativen
ausgerufen. Dem stehen allerdings Probleme wie
mangelnde Schulausstattung und veraltete Lehr­
methoden entgegen. Das Goethe-Institut kann
hier helfen
Von Heike Thee
Transformation des Bildungswesens: Auf Einladung des Goethe-Instituts wurden
im Dezember 2012 Mitarbeiter der Nationalen Ägyptischen Lehrerakademie für
Schulleiterqualifikationen geschult.
Foto: Goethe Institut
76
BILDUNG & BERUF · KUBRI-SPECIAL · WIRTSCHAFT
• Die Revolutionen in Ägypten und Tunesien im Winter
2010/­2011 wurden hauptsächlich von den unter 30-Jäh­
rigen getragen, die in Ägypten mehr als 60 Prozent und
in Tunesien knapp 55 Prozent der Bevölkerung ausma­
chen. Unter dieser jungen Bevölkerungsgruppe herrscht
eine besonders hohe Arbeitslosenquote – in Ägypten ha­
ben 90 Prozent und in Tunesien 72 Prozent von ihnen
keinen Job. Und das, obwohl jeder zweite einen höheren
Bildungsabschluss besitzt.
Während es diesen jungen Menschen vor den Revo­
lutionen nicht möglich war, auf ihre problematische Situ­
ation aufmerksam zu machen, haben sie durch den Ara­
bischen Frühling eine Stimme bekommen, die nicht mehr
überhört werden kann. So haben sich beispielsweise zahl­
reiche politische Gruppierungen und sozialgesellschaft­
liche Verbände gebildet. Doch um auf die Gesellschafts­
strukturen nachhaltig einwirken zu können, müssen die­
se sich liberalisieren – denn sie legen den Handlungsspiel­
raum für solche Initiativen fest.
Bildung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Denn
schon lange geht es bei Schulbildung nicht nur um den Er­
werb von Wissen. Vielmehr sind Schulen die Orte, in de­
nen über die Lehrkräfte Werte vermittelt und Meinungen
geprägt werden.
Schulen sind Orte, in denen Werte ver­
mittelt und Meinungen geprägt werden
Die ägyptische Regierung unter dem Präsidenten Moha­
med Morsi hat eine »nahda« der ägyptischen Bildung an­
gekündigt. Auch die derzeit stärkste Partei in Tunesien,
die islamistische »Ennahda«, trägt diesen Begriff nicht
nur in ihrem Parteinamen, sondern auch als Programm
vor sich her. Das arabische Wort »nahda« kann auf zwei
verschiedene Arten interpretiert werden: Es kann ent­
weder einfach als »Entwicklung und Fortschritt« ver­
standen werden – oder aber als »islamische Renaissan­
ce«, also als Entwicklungsstrategie, die stärker durch
Religion bestimmt ist. Wie dem auch sei: Bislang gibt es
keine Anzeichen dafür, dass eine nachhaltige »nahda« –
egal in welcher Spielart – in Tunesien oder in Ägypten
entwickelt oder gar umgesetzt worden wäre.
Der Hauptgrund dafür sind die vielseitigen Probleme,
die sich einer nachhaltigen Reform des Bildungssystems
entgegenstellen. Im Falle Ägyptens etwa gibt es in den
Ballungsräumen, aber auch in ländlichen Gebieten nicht
ausreichend Bildungsinstitutionen. Lange Schulwege,
überfüllte Klassen und häufiges Fehlen sind direkte Kon­ »
77
78
WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF
»
sequenzen. Außerdem sind – in Ägypten genauso wie in zess zu überdenken und neue Methoden zu erlernen.
Ein Fokus dieser Programme sind Lehrkräfte des Fa­
Tunesien – bestehende Schulen oft unzureichend ausge­
stattet. Dies bezieht sich auf die Grundausstattung von ches Deutsch. Gerade junge Lehrer, die frisch von der Uni­
Klassenräumen wie auch auf die technischen Hilfsmittel, versität kommen, werden im Unterrichtsalltag mit zahl­
die gerade für den Fremdsprachenunterricht wichtig sind. reichen Herausforderungen konfrontiert. Das Goethe-In­
Davon abgesehen sind
stitut versucht diese Lehrer
auch die verwendeten Unter­
in kommunikativen Unter­
richtsformen längst nicht
richtsmethoden zu schulen.
mehr zeitgemäß. Auswendig­
Auch in anderen Fachberei­
lernen, Rezitieren und die
chen besteht Bedarf an Fort­
Nichteinbindung der Schüler
bildungen. So engagiert sich
in das Unterrichtsgeschehen
das Goethe-Institut Kairo
So viele Studenten in Ägypten glauben, dass ihre
nun auch im Fachbereich Ge­
sind ein weiterer Grund für
häufiges Fehlen, hohe Schulab­
schichte, zeigt auf, wie in
Ausbildung sie für den Arbeitsmarkt qualifiziert.
brecherraten und die unzurei­
Deutschland Geschichte di­
chende Vorbereitung auf den
daktisiert wird, und erläu­
weiteren Bildungsweg. Schüler
tert, wie Schulbücher nach
und Lehrer sind angesichts
einer Transformation umge­
staltet wurden. Auch Fortbil­
dieser Lage unzufrieden und
machen ihrem Frust durch Demonstrationen Luft: Wäh­ dungen für Schulleiter wurden seit 2012 in Deutschland
rend Sekundarschüler sich teilweise den Demonstratio­ und vor Ort organisiert.
nen gegen die neuen Regierungen anschließen, demonst­
Ein anderes Projekt umfasst alle vorher genannten
rieren die Lehrer hauptsächlich, um versprochene Ge­ Zielgruppen, also Lehrer und Schüler, zudem Lehramts­
studenten, Inspektoren und andere Entscheidungsträger
haltserhöhungen ausgezahlt zu bekommen.
Außerdem wird ein Großteil des Unterrichts nicht in des Bildungssektors. Dabei übernimmt ein lokaler Part­
den Schulen selbst, sondern in Form von Privatunter­ ner die Durchführung von Fortbildungen für Lehramts­
richt abgehalten, wo Lehrer die Bezahlung bestimmen studenten und andere Bildungsvermittler, während das
können und die Schüler auf zielgerichtete Art und Weise Goethe-Institut – unter Einbindung von einigen Lehrern
auf ihre Prüfungen vorbereitet werden. Natürlich steht – Programme zur Förderung von Schülerpartizipation
diese Option nicht allen zur Verfügung; die Behauptung, anbietet. In einer Pilotphase in Kairo sollen verschiede­
in Ägypten und Tunesien sei Bildung kostenlos, ist in je­ ne Aktivitäten, die sich im Transformationsprozess an­
dem Fall schon seit langem ein Mythos.
derer Länder bewährt haben, mit Schülern verschiede­
ner Sekundarschulen durchgeführt werden. Dabei wird
auf den Aufbau demokratischer Schulstrukturen, eine
Auswendiglernen und Rezitieren sind
kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen gesell­
ein Grund für häufiges Fehlen und hohe
schaftlichen Themen und die Verbreitung dieser Leis­
tungen – zum Beispiel in Form von digitalen Schülerzei­
Schulabbrecherraten
tungen – gesetzt. Diese vielversprechenden Projekte stecken
noch in den Kinderschuhen.
Die Goethe-Institute in Ägyp­
Ihr Fortgang und dauerhafte
Implementierung sind bisher
ten und Tunesien sind dank
ungewiss. Mit Sicherheit
ihrer langjährigen Arbeit vor
kann jedoch gesagt werden,
Ort zu wichtigen ausländi­
schen Akteuren auf dem Ge­
dass die Demokratisierung
biet von Bildung und Kultur
der ägyptischen und tunesi­
schen Bildung ein entschei­
geworden. Im Rahmen der
So hoch ist die Arbeitslosenrate unter jungen
dender Faktor für den Aus­
Deutsch-Arabischen Trans­
formationspartnerschaft wid­
Ägypterinnen, verglichen mit der unter jungen
gang der derzeitigen Trans­
men sie sich noch stärker als
Ägyptern (31,7 Prozent gegenüber 12,5 Prozent).
formationsphase darstellt.
zuvor ihrem bildungspoliti­
Wann und wie diese abge­
schlossen wird, bleibt jedoch
schen Auftrag: Während sie
als ausländische Institutionen
die Entscheidung der Ägyp­
nicht in die Strukturen der
ter und Tunesier.
•
Bildungssysteme eingreifen
können, deren Ausformung Sache der neuen Regierun­ Heike Thee studierte Islamwissenschaft und Romanistik in Freiburg
gen ist, haben sie die Möglichkeit, Fortbildungen anzu­ und Vergleichende Politikwissenschaft in Paris. Als »Bildungsscout«
bieten. Dadurch ermöglichen sie es Lehrern, Direktoren, beobachtet sie seit Juni 2012 für das Goethe-Institut Kairo die BildungsInspektoren und Schülern, ihre Rollen im Bildungspro­ landschaft Ägyptens und Tunesiens.
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Fax: +49 (0) 30 – 20 64 88 89
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80
WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF
Von Schnee wird
man nicht blind
Eine deutsche Klinik importiert hoch
qualifizierte Tunesier, um sie zu
Kranken- und Gesundheitspflegern
auszubilden. Ein Gewinn für alle
Beteiligten?
Text: Mai-Britt Wulf · Fotos: Ulla Deventer
• »Krankenpflegerin war nie mein Traumberuf«, sagt Ibtissam
Hermi geradeheraus. Sie trägt ein langes, schwarzes Kleid, unter
dem Turnschuhe hervorblitzen, um ihren Hals baumelt eine Ket­
te mit der schützenden Hand Fatimas. Die zierliche 23-Jährige
kommt aus Jendouba, einer Stadt im Nordwesten Tunesiens. Dort
arbeitete sie als Physiotherapeutin in einer Privatpraxis. Auf den
ersten Blick wirkt sie schüchtern, aber der Eindruck täuscht. Her­
mi blickt ihrem Gesprächspartner unverwandt in die Augen und
gestikuliert anmutig mit den Händen, wenn sie spricht. Sie ist mu­
tig. Denn sie hat sich entschlossen, die nächsten achteinhalb Jah­
re in Deutschland zu leben – weit entfernt von ihren Eltern, Ge­
schwistern und ihrem Heimatland, um hier Krankenpflegerin zu
werden.
Von einer Freundin hörte sie von dem Projekt TAPiG und be­
warb sich auf die Ausschreibung des tunesischen Gesundheitsmi­
nisteriums, ohne jemals in Europa gewesen zu sein. Nun gehört
sie zu 150 jungen, hoch qualifizierten Tunesiern, die an dem Pilot­
projekt der Asklepios Kliniken Hamburg teilnehmen, das im Au­
gust 2012 begann. Im Rahmen der nach der tunesischen Revoluti­
on ausgerufenen »Transformationspartnerschaft« zwischen
Deutschland und Tunesien unterstützt die Bundesrepublik den
Demokratieprozess in dem nordafrikanischen Land mit über 50
Millionen Euro und etwa 100 Projekten. Fast die Hälfte der Gel­
der fließt in den Bildungs- und Wissenschaftsbereich.
Mindestens achteinhalb Jahre werden
die Tunesier in Deutschland bleiben
Ibtissam Hermi hat es aus Tunesiens Provinz an die Elbe gezogen.
Eines dieser Projekte ist TAPiG – »Transformationspartnerschaft
im Gesundheitswesen« –, das die Asklepios Kliniken Hamburg
GmbH durchführt, der größte Klinikbetreiber der Hansestadt.
Asklepios bildet die Tunesier zu Kranken- und Gesundheitspfle­
gern aus. Nach einem sechsmonatigen Sprachkurs beginnen sie
gemeinsam mit den deutschen Auszubildenden die Lehre. Dadurch
werden sie gleich in den Klinikalltag integriert und können ihre
Deutschkenntnisse weiter verbessern. Im Anschluss an die drei­
jährige Ausbildung in einem der sechs Asklepios-Krankenhäuser
BILDUNG & BERUF · KUBRI-SPECIAL · WIRTSCHAFT
in Hamburg, dazu haben sich alle Projektteilnehmer verpflichtet,
werden sie weitere fünf Jahre für das Unternehmen arbeiten.
»TAPiG ist ein Hoffnungsträger«, erklärt Projekttutorin So­
phie von der Recke den Ansturm auf die Projektplätze. Bei den
Auswahlgesprächen in Tunis konnten sich die Verantwortlichen
aus 180 Bewerbern pro Tag die crème de la crème aussuchen. 95
Prozent der Teilnehmer haben bereits eine Ausbildung im medi­
zinischen Bereich absolviert und sprechen mindestens zwei Spra­
chen fließend. Ibtissam Hermi spricht Arabisch, Französisch und
bereits etwas Deutsch. »Im Gegensatz zu deutschen Auszubilden­
den, die meist mitten in der Pubertät stecken, wenn sie ihre Be­
rufslaufbahn beginnen, sind die Tunesier verantwortungsbewuss­
ter und erfahrener. Sie haben keine Berührungsängste mit den Pa­
tienten«, meint von der Recke. Die Bewerber werden nach den glei­
chen Kriterien ausgewählt wie die deutschen Auszubildenden.
Aber die Tunesier haben im Vergleich zu ihren europäischen Kol­
legen einen entscheidenden Vorteil – ihre Motivation.
Omar Taher ist stolz darauf, dass er sich so schnell einleben kann.
»In Tunesien setzt uns das Ministerium auf eine Warteliste, wenn
wir mit unserer Ausbildung fertig sind. Wir müssen dann jahre­
lang darauf hoffen, dass wir einen Arbeitsplatz in einer staatlichen
Einrichtung zugeteilt bekommen. Die privaten Praxen zahlen sehr
schlecht, und auch da sind Stellen knapp«, schildert der Projekt­
teilnehmer Omar Taher die Situation.
Die Jugendarbeitslosigkeit in Tunesien gilt als eine der aus­
schlaggebenden Ursachen für die »Jasmin-Revolution« Anfang
81
2011. Trotz des Regimewechsels hat sich die Lage auf dem Arbeits­
markt noch nicht gebessert. TAPiG ist ein Ausweg – selbst wenn
die sonnenverwöhnten Tunesier dafür ins kalte Nordeuropa müs­
sen. Die Aussicht, ein deutsches Gehalt zu verdienen, in Europa zu
leben und sich beruflich weiterzuqualifizieren, sind gute Argu­
mente, den Schritt zu wagen.
In Deutschland wiederum werden sie dringend gebraucht.
Denn es herrscht Pflegenotstand. 2,5 Millionen Menschen galten
Ende 2011 als pflegebedürftig – so viele wie noch nie zuvor. Und
das Statistische Bundesamt rechnet damit, dass die Zahl der Pfle­
gebedürftigen bis zum Jahr 2030 weiter steigen wird, auf dann
über 3,2 Millionen. Doch es mangelt an Pflegekräften. Laut einer
Studie der Bertelsmann Stiftung könnten Deutschland im Jahr
2030 eine halbe Million Vollzeitkräfte in der Pflege fehlen. Kör­
perlich und seelisch belastende Arbeit, schlechte Arbeitszeiten
und eine unangemessene Bezahlung – der Beruf des Krankenpfle­
gers ist in Deutschland unbeliebt. Insbesondere Männer sind un­
terrepräsentiert, obwohl gerade sie aufgrund ihrer Muskelkraft
wichtig in dem Berufsfeld sind: Neun von zehn Pflegekräften in
deutschen Krankenhäusern sind Frauen. Deshalb sucht Deutsch­
land im Ausland nach Fachkräften. Ein Modellprojekt wurde be­
reits in China gestartet; mit den Philippinen wurde ein Abkom­
men getroffen, das es philippinischen Pflegekräften ermöglicht, in
Deutschland zu arbeiten. Projektleiter Jan Stephan Hillebrand be­
tont, dass die Tunesier niemand den Ausbildungsplatz wegneh­
men, denn für sie wurden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Sie
seien vielmehr eine Bereicherung für die Kliniken: »Durch die in­
terkulturelle Erfahrung und den Austausch zwischen deutschen
und ausländischen Auszubildenden entsteht ein hoher integrie­
render Mehrwert für unsere Gesellschaft und die beteiligten Un­
ternehmen.«
Die Asklepios GmbH schlägt mit ihrem Projekt so zwei Flie­
gen mit einer Klappe. Die Klinik bekämpft effektiv den Fachkräf­
temangel und kann sich – auch noch finanziell unterstützt vom
Staat – in Tunesien die idealen Krankenpfleger herauspicken:
mehrsprachig und motiviert. Zudem erhöht der Klinikbetreiber
die Männerquote, denn die Hälfte der Teilnehmer im Kurs sind
männlich. Und was hat Tunesien davon?
»Das Projekt ist ein Signal für die Zuversicht in internationa­
le Kooperationsprojekte zwischen Deutschland und Tunesien.
Durch die Rückkehr der qualifizierten Fachkräfte nach einigen
Jahren soll die weitere strukturelle Entwicklung der tunesischen
Gesundheitswirtschaft mit qualifiziertem Personal gefördert wer­
den,« erläutert Hillebrand den Nutzen des Programms für das
nordafrikanische Land. Auch der energiegeladene Omar Taher hat
die Chance ergriffen. Daheim in Monastir, einer als Ferienziel be­
liebten Küstenstadt, arbeitete er als Zahntechniker. Der 23-Jäh­
rige wollte noch eine zweite Ausbildung absolvieren, also machte
er sich Mitte Februar 2013 auf nach Hamburg. Der Abschied in Tu­
nis war tränenreich. »Ich weiß nicht mehr, wie viele Mütter wei­
nend in meinen Armen lagen und mich baten, auf ihre Kinder auf­
zupassen«, erzählt Janne Christ. Die Islamwissenschaftlerin reis­
te nach Tunis, um die jungen Kandidaten vor Ort abzuholen. Als
die Gruppe in Hamburg landete, waren sie gewappnet. In dicken
Jacken, mit mehreren Schals und Mützen vermummt, betraten die
meisten zum ersten Mal europäischen Boden. »Wir mussten erst
mal einige Missverständnisse aus dem Weg räumen und unter an­
derem erklären, dass man von Schnee nicht blind wird«, erinnert
82
WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF
sich Christ, die zusammen mit ihren Kollegen 50 Teilnehmer in
Hamburg betreut.
Das Wetter ist einer der wenigen Kritikpunkte der Tunesier
an Deutschland – und das Essen. »Einmal habe ich mit viel Liebe
eine Kürbissuppe für unseren Kurs gekocht. Keiner hat die Suppe
angerührt, weil sie gelb war«, berichtet Sophie von der Recke la­
chend. Warum die Teilnehmer so »krüsch«, wie der Hamburger
sagt, mit dem Essen sind, haben die Betreuer noch nicht durch­
schaut. Aber die angehenden Krankenpfleger sind sehr selbststän­
dig und so wissen sie mittlerweile, wo sie Lebensmittel aus der Hei­
mat bekommen – etwa auf dem Steindamm, gleich beim Haupt­
bahnhof.
Noch wohnen alle zusammen in einem Wohnheim mit Klas­
senfahrtsatmosphäre im Herzen Hamburgs, in St. Georg. Nach dem
Sprachkurs werden sie sich mit Unterstützung der Tutoren eine ei­
gene Wohnung suchen müssen.
Omar Taher erzählt, dass er im Wohnheim gern mit den ande­
In der Fremde zuhause: die TAPiG-Teilnehmer in Hamburg-St. Georg
ren Fußball guckt oder ins Fitnessstudio geht. Mit breitem Lächeln
schwärmt er von Deutschland – die Bürokratie und die Ernsthaf­
tigkeit der Deutschen faszinierten ihn. Ohne ein Wort Deutsch zu
sprechen, zog Taher in den ersten Tagen in Hamburg los, um ein
Fahrrad zu kaufen. Auf dem Flohmarkt handelte er den Verkäufer
auf dreißig Euro runter und kurvt seitdem durch St. Georgs Stra­
ßen. Ein wenig Stolz schwingt in seiner Stimme mit, wenn er da­
von berichtet.
»Sie sind wie ein Schwamm und saugen alle Informationen auf«,
sagt Sophie von der Recke liebevoll. »Man merkt sofort, dass sie
hier sein wollen.« Wenn die Tutoren von ihren Schützlingen spre­
chen, dann klingt das sehr familiär. »Ich bin eine Mischung aus
Mutti und großer Schwester«, beschreibt die Betreuerin ihre Rol­
le. Die Tutoren kümmern sich um alles – sie helfen bei Hausaufga­
ben, begleiten zu Arztbesuchen oder trösten bei Heimweh. Um das
zu bekämpfen, hat Ibtissam Hermi eigene Methoden: »Ich skype
jeden Tag stundenlang mit meiner Familie.«
Geübt werden Pünktlichkeit und
das Stehenbleiben an roten Ampeln
»Noch sind wir für alle Sorgen da und bei Notfällen immer erreich­
bar, aber ab Ausbildungsbeginn müssen sie alleine zurecht kom­
men«, erklärt Janne Christ. »Trotzdem dürfen sie bei größeren Pro­
blemen immer zu uns kommen.« Eine He­
rausforderung ist die Pünktlichkeit. »›Ich
war nur dreißig Minuten zu spät‹ – solche
Entschuldigungen hören wir hier oft«, sagt
Sophie von der Recke und blickt streng.
»Aber das üben wir zusammen, genauso
wie das Stehenbleiben an roten Ampeln.«
Auf andere Herausforderungen kön­
nen sich die Teilnehmer weniger gut vor­
bereiten. In Tunesien ist das Berufsbild
der Kranken- und Gesundheitspfleger ein
anderes als in Deutschland. Die körperlich
schwere Arbeit und das Waschen der Män­
ner übernehmen Krankenpflegehelfer. In
Hamburg hingegen, das wissen die Teil­
nehmer, werden auch sie diese Arbeiten
verrichten. »Wenn ich sehe, dass es dem
Kranken besser geht, dann mache ich das
gerne«, wischt Hermi die Zweifel hinweg.
Die intensive Begleitung der Teilneh­
mer und gemeinsame Ausbildung mit den
deutschen Lehrlingen ermöglichen es den
Tunesiern, sich schnell in Hamburg ein­
zuleben. Durch den neuen EU-Aufent­
haltstitel »Blaue Karte«, der es den in
Deutschland ausgebildeten Krankenpfle­
gern erlaubt, sich später dauerhaft in der
Bundesrepublik niederzulassen, steht es
den Tunesiern offen, ob sie nach Beendi­
gung des Programms in Deutschland blei­
ben möchten oder ob sie zurückkehren.
Taher weiß jetzt schon, dass er nach den
acht Jahren in Deutschland bleiben und
arbeiten will. Hermi hingegen möchte sich weiter spezialisieren
und dann nach Tunesien zurückkehren.
Für die Deutschen scheint das Projekt ein voller Erfolg zu sein.
Die private Unternehmensgruppe Pflege und Wohnen Hamburg,
der größte stationäre Pflegeanbieter der Hansestadt, hat Interes­
se an der Ausdehnung des TAPiG-Projekts auf die Altenpflege be­
kundet. Eine offizielle Delegation des tunesischen Gesundheits­
ministeriums war bereits zu ersten Gesprächen in Hamburg. •
THEMA · LANDISTAN · POLITIK
83
special kubri-karrieremesse
bildung und beruf
mai / juni 2013
Fussball-Clubs in der türkei
wie die erste liga zockt
öl-exporte in syrien
wer kauft bei den rebellen?
www.zenithonline.de
ORION
02 / 2013 Das VERMÄCHTNIS des SABIERS InsiderBriefe aus dem Palast von Bagdad
Das
VERMÄCHTNIS
des
SABIERS
InsiderBriefe aus dem Palast von Bagdad
enthüllen MordIntrigen, Korruption
und die wahren Gründe für den Absturz
einer Dynastie
Neu ab Mai: Orion 38 grau. Grau wie der Himmel über Glashütte, grau wie die Finanzbuchhaltung? Von wegen: Grau ist „leicht erregbar zu herrlichen Tönen“, sagte einst der Maler
Johannes Itten. Grau ist glaubwürdig, die Farbe des Wissens. Ist eleganter als Weiß, lichter als
Schwarz. Und jetzt die Farbe einer neuen großen Uhr – aus Glashütter NOMOS-Manufaktur.
Orion-Modelle gibt es ab 1280 Euro etwa bei: Augsburg: Bauer & Bauer; Berlin: Christ KaDeWe, Leicht, Lorenz; Bielefeld: Böckelmann; Bonn: Kersting; Bremen: Meyer;
Darmstadt: Techel; Dortmund: Rüschenbeck; Dresden: Leicht; Düsseldorf: Blome; Erfurt: Jasper; Frankfurt am Main: Rüschenbeck; Hamburg: Becker, Bucherer; Koblenz:
Hofacker; Köln: Berghoff, Kaufhold; Ludwigsburg: Hunke; Lübeck: Mahlberg; München: Bucherer, Fridrich; Münster: Freisfeld, Oeding-Erdel; Nürnberg: Bucherer; Stuttgart:
Niessing; Ulm: Scheuble. Und überall bei Wempe. www.nomos-store.com und www.nomos-glashuette.com
DEUTSCHLAND EURO 8,20 | ÖSTERREICH EURO 8,90 | BENELUX EURO 8,90 | SCHWEIZ SFR 13,50
ISSN 1439 9660