Online Special Die Wirtschaftsseiten der neuen zenith
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Online Special Die Wirtschaftsseiten der neuen zenith zenith 02/2013 · editorial Foto: Andy Spyra zenith 1999 als Zeitschrift für den Orient gegründet, ist ein unabhängiges Magazin zum Nahen Osten, Afrika, Asien und der muslimischen Welt. zenith berichtet zweimonatlich über Politik, Wirtschaft und Kultur in einer Welt, die vielen in Europa fremd ist, aber immer näher rückt. Das Wort »zenith« (auch »Zenit«) ist das Ergebnis eines Orient-Imports: Es stammt von »samt«, einem in der arabischen Astro nomie des Mittelalters geläufigen Begriff, der die »Richtung des Kopfes« bezeichnet. Wenn die Sonne im zenith steht, werden Schatten kürzer und es fällt Licht dorthin, wo es sonst eher dunkel ist – ein Leitmotiv für die Berichterstattung dieses Magazins. 3 as für abscheuliche Gestalten sich im Laufe der Jahrhunderte den Chronisten anempfohlen haben! Je brutaler, gerissener und macht hungriger ein Potentat im Nahen Osten sich gerierte, desto wahr scheinlicher war es, dass man seinen Namen nicht vergaß. Aber wie steht es um jene, die den Staat und die islamische Zivilisation im Hinter grund gestalteten? Die abseits von Machtintrigen und Gewalt wirkten und denen das Gemeinwesen tatsächlich am Herzen lag? Der Islamwissenschaftler und zenith-Autor Klaus Hachmeier hat eine solche stille Größe aufgespürt und ihr nach jahrelanger Arbeit erstmals öf fentliche Würdigung verschafft: dem Staatsmann, Autor und politischen Denker Abu Ishaq al-Sabi. Die Historie hatte den Palast-Insider aus dem Bag dad des 10. Jahrhunderts fast vergessen, ebenso wie seine rätselhafte Religi onsgemeinschaft, die Sabier. Die von Hachmeier entdeckten Briefe al-Sabis zeigen die Zustände im Kalifenreich – und enthüllen die Gründe für den Unter gang einer Dynastie. Al-Sabi selbst kam dabei nicht ungeschoren davon. Seite 94 In Homs zeigte der Krieg in Syrien 2011 erstmals sein hässliches Gesicht. Das Aufstandsviertel Baba Amr liegt in Sichtweite der großen Raffinerie der Wirtschaftsmetropole. Und auch in der Küstenstadt Banias, wo Öl zu Benzin verarbeitet und verladen wird, fielen schon sehr früh Schüsse. Die Regime truppen kämpfen verbissen um diese strategischen Objekte. Kann der Faktor Öl den Kriegsverlauf beeinflussen? Nils Metzger und Benjamin Hiller berich ten von den Ölfeldern im Osten des Landes, die inzwischen in Rebellenhand gefallen sind. Seite 50 Zurück nach Deutschland: Vor zwei Jahren riefen zenith und die Stiftung Mercator erstmals gemeinsam zur Teilnahme am zenith-fotopreis »Islam in Deutschland?« auf. Ziel war, abseits der großen Islam-Debatten die Vielfalt muslimischen Lebens in Deutschland zu zeigen (eine Auswahl der Einsen dungen präsentierten wir in Heft 1/2012). 2013 geht der Fotopreis in eine neue Runde: »Muslime in Deutschland« lautet das Rahmenthema. Weitere Infor mationen unter: www.zenithonline.de/deutsch/zenith-fotopreis INHALT MAI/ JUNI 2013 Titel: Klaus Hachmeier Foto links: Alessio Schroder Foto links unten: Klaus Hachmeier Foto rechts: Philipp Spalek Foto rechts unten: Andy Spyra RUBRIKEN Gestrandet am Rande der Stadt: Für viele Afrikaner in Israel wird der Tel Aviver Stadtteil Neve Scha’anan zur neuen Heimat. Der Staat geht indessen mit harten Bandagen gegen die Flüchtlinge vor. 16 POLITIK 16 Letzte Ausfahrt Tel Aviv In dem Viertel Neve Scha‘anan im Süden Tel Avivs haben sich afrikanische Flüchtlinge angesiedelt – ein fotografisches Stadtteilportrait 30 Eine Geschichte von zwei Kriegen Briefing: Nach jahrelanger Eiszeit nähern der Irak und Kuwait sich einander wieder an 34 Herrschaft der Plebejer Die Geschichte Neda Soltanis zeigt, nach welchen Mechanismen die Islamische Republik Iran funktioniert 38 Das Auge in der Pyramide Gerade unter der säkularen, gebildeten Mittelschicht sind Verschwörungstheorien am weitesten verbreitet 03 Editorial 06Unser Bild vom Orient 12 Profile 38Kommentare 40 Netzgeflüster 42 Bilanz 54 Almanach der Energien 64Der Sekretär 100 Basar 102Neue Bücher 108Neue Musik 112 Momentaufnahme 114Kalender / Ausblick / Impressum 94 Verstreut in aller Welt: In jahrelanger Arbeit trug ein deutscher Orientalist die Briefe eines Politikers aus dem Bagdad der Buyidenzeit zusammen. Sie geben erstaunliche Einblicke in die Intrigen bei Hofe. kultur 84 Fly Away Wie eine Gruppe Jugendlicher im Gazastreifen Grenzen überwindet – mit Parkour 94 Der Koch, der Emir, seine Frau & der Sabier Die Briefe des Palastinsiders Abu Ishaq al-Sabi zeigen ein ungeschminktes Bild der Zustände im Bagdad des zehnten Jahrhunderts 102Ein Bonbon aus Gift Der israelische Autor David Grossmann hat ein ergreifendes Buch geschrieben – mit tragischem Hintergrund 104»Mein Tagebuch war meine Zuflucht« Der marokkanische Schriftsteller Abdellah Taïa erzählt im Interview, wie seine Familie auf sein Outing reagierte 110 Die Koptin Mariya Zahlreiche Überlieferungen berichten von der schönen Sklavin, die dem Propheten Muhammad geschenkt worden sein soll. Ein Zufall? Gespielt und gewonnen: Mit liberalen Glücksspielgesetzen will das ehemalige sowjetische Urlauberparadies Batumi in Georgien auch abseits der Ferienzeit Touristen anlocken. 56 Wirtschaft 44 Milliardenmarkt mit Milliardstelmetern Der Physiker Adnane Abdelghani will Tunesien zum Standort für Nanotechnologie machen 46 11 Stürmer sollt ihr sein Türkische Fußballvereine setzen auf teure Stars aus dem Ausland – und verschulden sich dabei kräftig 50 Erdöl in Rebellenhand Im syrischen Bürgerkrieg kontrollieren die Aufständischen mittlerweile Teile der Ölfelder. Europa verspricht prompt eine Lockerung der Sanktionen 56 Va banque am Kaukasus Georgiens Glücksspielindustrie boomt. Vor allem die Region Adscharien wird zum Zockerparadies 62 Baschir in Juba Berlins riskante Strategie, Sudan und Südsudan durch wirtschaftliche Kooperation zu befrieden, geht auf – ein Kommentar 66 Bildung & Beruf in der arabischen Welt Ein Special in Zusammenarbeit mit der KUBRI-Karrieremesse 84 Ahmed macht blau: Lieber als zur Schule zu gehen, trifft sich eine Gruppe junger Palästinenser im Gazastreifen zum Parkour-Training auf einem alten Friedhof. 42 WIRTSCHAFT · Bilanz U r a n - E x p o r t e a u s Ta n s a n i a Tansania sieht in Rohstoffen weiter das Zugpferd seiner Entwicklung – ist aber auch mit Fallstricken konfrontiert. Zuletzt berichtete zenith über den Aufschwung in Ostafrikas Musterschülerland und die kassensturz Bailout für den Bürger Eine gemeinsame Währung haben die Län der des Golfkooperationsrates (GCC) nicht zu retten, dennoch liebäugelt man mit eu ropäischen Krisenrezepten. Kuwaits Par lament beschloss im März einen Schulden schnitt für alle nicht bedienten Privatkre dite seiner Bürger vor März 2008. Gut 2 Milliarden Euro gehen Kuwait zum Preis der kurzfristigen Bankensanierung damit verloren. Die Ratingagentur Fitch befürch tet, das Beispiel könnte Schule machen, und warnte vor den »moralischen Gefahren« des Schuldenerlasses: Trotz verschärfter Kre ditvergabekriterien steige so die Gefahr ei ner neuen Privatschuldenwelle – die Banken durch »faule Kredite« auffangen müssten. Wie lange es sich die GCC-Länder noch leisten können, als staatlicher Bürge die Li quidität der Banken und das Konsumverhal ten ihrer Bürger zu stützen, steht in den Sternen. Der Internationale Währungs fonds mahnte bereits, dass Kuwaits Ölrück lagen bis 2017 erschöpft seien, wenn die Re gierung an ihrer Ausgabenpolitik festhalte. Und Fitch kündigte an, dass staatlich bezu schusste Liquidität den Banken künftig kei ne Top-Ratings mehr garantiere – sondern sich im Gegenteil negativ auf die Kreditwür digkeit der Länder auswirken könne. Die kuwaitische Opposition kritisierte den Bankendeal als zu undifferenziert, schließlich werde nicht danach unterschie den, ob die Schuldner ihre Kredite nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht bedienen könnten. Zudem werde nicht nach dem Grund der Verschuldung gefragt, exzessiver Konsum oder ungesicherte Spekulationsge schäfte also nicht explizit geächtet. Fraglich ist ebenso die wirkliche Umsetzung staatli cher Umschuldungsprogramme am Golf. Nach der Immobilienkrise hatten auch die Vereinigten Arabischen Emirate 2011 einen Fonds zur Tilgung ausstehender Verbind lichkeiten über etwa 2 Milliarden Euro ein gerichtet. Auf die Auszahlung warten die • Gläubiger größtenteils noch immer. Hoffnungen, die Gas- und Ölvorkommen geweckt haben. Im April vergab die Regie rung nun die erste kommerzielle Lizenz für einen der begehrtesten Rohstoffe des Kon tinents: Uran. In der versteigerten Mku ju-Mine allein werden 36.000 Tonnen des Grundstoffes der Nuk leari ndustrie ver mutet. 14.000 Tonnen sollen dort und an derswo ab 2015 jährlich gefördert werden – damit würde sich Tansania auf Platz zwei der globalen Produktion katapultie ren. Komplizierte Besitzverhältnisse ver BETRIEBSBERIC H T Abflug mit Nachtritt Pleite von Bahrain Air 8,5 MIO PASSA G IERE AM AIR P ORT BA H RAIN 2 0 1 2 -9 % PASSA G IERAUFKOMMEN IM VER G LEIC H D ER MONATE FEBRUAR 2 0 1 3 / FEBRUAR 2 0 1 2 Ein teures Nachspiel droht der im Februar 2013 geschlossenen Flug gesellschaft Bahrain Air. Der frühe re Logistikpartner Almoayed Wilhelmsen hat Klage eingereicht gegen die freiwillige Liquidation der privaten Fluglinie und besteht auf einem Insolven zverfahren. Insgesamt drohen dem frühe ren Management, laut der Zeitschrift Arabian Business, Schadensersatzforderungen in Höhe von 8 Millionen Euro. In den fünf Jahren seit der Gründung 2008 hatte Bahrain Air gegen die starke re gionale Konkurrenz von Emirates, Etihad und Qatar Airways ebenso wenig Chancen wie gegen die staatlich protegierte Gulf Air. Diese schreibt zwar kontinuierlich rote Zahlen, kann sich aber dank Finanzsprit zen der Herrscherfamilie Al Khalifa am Le ben erhalten – wenngleich dem Flaggschiff Bahrains Ende 2012 ein rigider Sparkurs verordnet und die Flugziele um zwei Drit tel eingedampft wurden. Dennoch fühlte sich Bahrain Air ge genüber Gulf Air stets benachteiligt, etwa wenn es um lukrative Destinationen, Flug zeiten und Landebahnen ging. Der staatliche verordnete Flugstopp in die Länder Libanon, Irak und Iran während der Aufstände in dem kleinen Königreich im Frühjahr 2011 traf denn auch vor allem den Privat anbieter Bahrain Air. Zumindest eine Nische hatte die Flug linie aber bis zuletzt relativ erfolgreich be setzt: So steuerte Bahrain Air viele Desti nationen in Indien, Bangladesch und Nepal an, den Hauptherkunftsländern der Gast arbeiter, die fast 40 Prozent der Gesamtbe völkerung Bahrains ausmachen. Bis zuletzt hatte CEO Richard Nuttall seine Fluglinie in diesem Segment im Aufwind gewähnt – und sieht den Auflösungsbeschluss gegen Bahrain Air denn auch als politisch gewoll ten Schritt der Regierung zum Schutz von Gulf Air. Besiegelt hatte das Ende des ersten und vorläufig wohl auch letzten privaten Flug anbieters in Bahrain die Lizenzverweige rung durch den Verkehrsminister Kamal bin Ahmed, der auch im Verwaltungsrat von Gulf Air sitzt. • Bilanz · WIRTSCHAFT zögerten jedoch die Verhandlungen mit der russischen Firma AtomRedMetZoloto (ARMZ) – und riefen das Finanzamt auf den Plan. ARMZ gehört dem staatlichen Atomkonzern Rosatom, ist in Tansania aber durch seine australische Tochterfir ma Mantra Resources vertreten. Die wiede rum entwickelt die Mine nun durch Uranium One – ihren kanadischen Arm. Der tansanische Fiskus verlangt ob des obsku ren Firmengeflechts nachträglich 143 Mil lionen Euro Kapitalertragsteuer. Trotz der 43 unsicheren Rechtslage gab die Regierung grünes Licht fürs Schürfen. Tansania ver spricht sich von dem Deal ausländische Investitionen im Wert von 343 Millionen Euro, 1.600 neue Jobs und Mehreinnah men von 175 Millionen Euro jährlich. • BILAN Z »Die Währung schlüpft davon« 12.379,22 offizieller Wechselkurs des iranischen Rial zum US-Dollar Der iranische Modedesigner Nima Behnud hat sich in New York mit kalligraphisch ver zierten Accessoires einen Na men gemacht – und bewirbt seine neueste Schal-Kreation in Form eines Tausend-Ri al-Scheins samt einer passen den Zustandsbeschreibung der iranischen Währung. Seit 2011 hat der Rial etwa zwei Drittel seines Wertes verloren, Sankti onen und eine verfehlte Wirt schaftspolitik befeuern die In flation und lassen Verbraucher preise in die Höhe schießen. Ende April lag der offiziell fest geleg te Wechsel k urs z um US-Dollar bei 1:12.600 – der re ale bei 1:35.000. 10.828,31 Foto: Mani Zarrin / Quelle: exchangerates.org.uk 9.277,39 7.726,48 6.175,56 MAI 2011 JANUAR 2012 september 2012 Mai 2013 s t r o m v o m s ta at Den Schalter umlegen 369 Milliarden Euro gaben Regierungen im Jahr 2011 weltweit für Energiesubventionen aus – mit 182 Milliarden Euro liegt die Regi on Nah- und Mittelost hierbei weit vorne. In 20 vom Internationalen Währungsfonds (IWF) untersuchten Ländern beanspruch ten Energiesubventionen durchschnittlich 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und 22 Prozent der Staatsausgaben. — Redaktion: Robert Chatterjee Der IWF, der die Zahlen im Frühjahr 2013 herausgab, kritisierte im dazugehörigen Re port, dass die staatliche Bezuschussung von Öl, Gas, Benzin und Strom die Etats belas te, kapitalintensive Industrien künstlich am Leben halte, natürliche Ressourcen ver schwende und Förderung und Ausbau von Erneuerbaren Energien verhindere. Beson ders in Ägypten stößt die IWF-Kritik in weiten Teilen der Bevölkerung auf Unver ständnis – und zieht die Verhandlungen über einen Kredit in Höhe von 3,7 Milliar den Euro ergebnislos in die Länge. Nach sprunghaften Preissteigerungen und Lie ferengpässen für Gas im Frühjahr wandte sich Ägyptens Führung Richtung Golf und verhandelt nun mit Katar über einen Kre dit von 2,3 Milliarden Euro. • WIRTSCHAFT · TUNESIEN · profil Milliardenmarkt mit Milliardstelmetern Der Physiker Adnane Abdelghani will Anwendungen aus der Biochip-Technologie profitabel – und Tunesien damit zum Innovationsstandort machen Von Robert Chatterjee • Adnane Abdelghanis Arbeitsfläche ist kaum zehn hoch minus neun Quadratmeter groß – in Worten: ein Milliardstel Meter, oder ein Nanometer. Das Präfix der Messein heit steht schon heute sinnbildlich für Zu kunft: Nanotechnologie, also Ingenieurswe sen auf mikroskopischer Ebene, gilt als der Innovationsmotor für Wissenschaft und In dustrie – allerdings bislang fast ausschließ lich an den Forschungsstandorten in Euro pa, Asien und Nordamerika. Die Nah- und Mittelostregion ist im Hinblick auf eine der Schlüsseltechnologi en des 21. Jahrhunderts hingegen ein wei ßer Fleck – mit einem Lichtblick: »Von hier aus könnte eine Revolution in Gang kom men«, glaubt Abdelghani und holt demons trativ seine beiden Doktorandinnen zu sich, die gerade Gewebeproben unter dem Rasterkraftmikroskop untersuchen. Der Arbeitgeber des 52-jährigen Physikers, das Institut National des Sciences Appliquées et de Technologie (INSAT) gehörte seit sei ner Eröffnung 1992 zu den bildungspoliti schen Vorzeigeprojekten des Ben-Ali-Regi mes. Doch erst die politischen Freiheiten nach der Revolution 2011 ermöglichen es den Forschern in dem massiven Betonbau in Tunis' Industriepark Charguia, im inter nationalen Innovationsbetrieb vorne mit zumischen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Abdelghani, der selbst an der TU München studiert hat, steht inmitten seines fenster losen, mit Backsteinen verkleideten Labors und schwankt zwischen Stolz und ungedul digem Ärger: »2011 hat uns die Nato ein Forschungsprojekt im Wert von 200.000 Euro bewilligt, aber wenn ich mit den zu ständigen Beamten im Hochschulministe rium über Forschungsförderung verhand »Wir haben nur eine Chance, wenn wir nicht nur forschen, sondern auch produzieren können« le, wissen die nicht mal ansatzweise, wovon ich eigentlich rede.« Im Rahmen des »Science for Peace and Security«-Programms der Nato hatten Ab delghani und sein Team vom Institut für Optronik und Nanotechnologie ein Verfah ren ermittelt, mit dem Biosensoren mit An tikörpern bestückt werden, um im Schnell test Krankheitserreger im Trinkwasser zu identifizieren. Die kommerziellen Rechte sicherte sich die kanadische BioPhage Pharma. »Wir haben nur eine Chance, wenn wir nicht nur forschen, sondern auch produzieren können«, fordert Abdelghani, der durchaus Marktpotenzial für tunesi sche Start-Ups sieht. »Nanotechnologie bietet spezifische Lösungen für spezifische Probleme – eben genau jene in Tunesien.« Insbesondere im Gesundheitssektor bieten sich nanotech nologische Anwendungen an, etwa bei mi krogenetischen Therapien für seltene Erb krankheiten oder im Bereich Wasser- und Lebensmittelqualität. Abdelghani freut sich über die Sach mittelspenden für sein Labor, doch selbst das 150.000 Euro teure Fourier-Transfor mations-Infrarotspektrometer der Alexan der--von-Humboldt-Stiftung ist eigentlich nur eine gutgemeinte Ergänzung. »Ich brauche ein Labor mit steriler Produkti onsumgebung. Dann können wir das hier selbst herstellen«, sagt er und zeigt auf ei nen goldbeschichteten mikroelektroni schen Biochip – ebenfalls eine Sachspende aus Spanien im Wert von 500.000 Euro. Die Kosten für den Arbeitsraum veranschlagt Abdelghani in gleicher Höhe – in deutschen Physiklaboren liegen die günstigsten Un tersuchungsgeräte in dieser Preisklasse, ganz zu schweigen von Megaprojekten wie dem Genfer »Large Hadron Collider« im Wert von 7,5 Milliarden Euro. Das Team des Tunesiers nutzt auf Fachtagungen im Ausland die Möglichkeit zum Austausch, doch »es nützt meinen Doktoranden gar nichts, wenn sie einfach für ein halbes Jahr ins Ausland gehen«, findet Abdelghani. Viel wichtiger wäre eine hochklassige For schungsumgebung vor Ort – Technologie transfer statt Sachspenden für das INSAT. Solange noch keine kritische Gründer masse für tunesische Start-Ups erreicht ist, sieht der Physiker hier insbesondere for schende Unternehmen aus Europa und Nordamerika in der Pflicht. Investitionen in Forschung und Entwicklung vor Ort würden schließlich nicht nur Marktzu gang, sondern vor allem Marktpräsenz si chern: Ein paar Quadratmeter und ein paar Milliardstel Meter könnten Tunesien zum Hochtechnologiestandort befördern. Für Adnane Abdelghani ist das mehr als nur ein Traum, er appelliert: »Wir haben alle Vor aussetzungen. Jetzt liegt es an Politik und • Wirtschaft.« Illustration: LeSprenger 44 The Corporate Gate to a World of Logistics EL FADEL The worldwide specialists for: AIR FREIGHT SEA FREIGHT LAND TRANSPORT WA R E H O U S I N G COMBI - SOLUTIONS S U P P LY C H A I N S O L U T I O N S CUSTOMS I T- S O L U T I O N S BOOKFREIGHT CHEMICALS G R E E N - L O G I ST I C - S O L U T I O N S NEW! There is no quicker way to calculate logistics: Your tool of voice to organize all information you need to make a good price quotation. Online 24 hours / 7 days all over the world. Register for free! 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Tabellenführer Galatasaray aus Istanbul verkündete im Januar die Verpflichtung des niederländischen Nationalspielers Wesley Sneijder: 7,5 Millionen Euro überweist der türkische Rekordmeis ter dafür an Inter Mailand, für den Rest der Saison 2012/13 erhält der 28-jährige WM-Finalist ein Salär von 2 Millionen Euro, in den kommenden drei Jahren je 3,2 Millionen Euro sowie 25.000 Euro Auflaufprämie. Mit knapp 4 Millionen Euro Handgeld bei Ver tragsunterzeichnung wurde dem Edelreservisten, der sein letztes Spiel am 25. September 2012 absolviert hatte, der Wechsel von Mailand nach Istanbul garniert. Sein bisheriger Arbeitgeber hat te ihn erst wieder aufstellen wollen, wenn er einer Gehaltskürzung von ursprünglich 6 Millionen Euro auf weniger als die Hälfte zu stimmen würde. Inter Mailand, ebenso wie andere Klubs in Euro pa, versucht nach Einführung der »Financial Fair Play«-Vorgaben der UEFA im Jahr 2009 allzu teure Spieler abzustoßen und die Fi nanzen zu ordnen. Die öffentliche Hand half Galatasaray. Ein gutes Geschäft, das Neider auf den Plan ruft Ganz anders die Lage in der Türkei: Wahrend Istanbul der Finanz krise in Europa mit unverminderter Bautätigkeit trotzt, über ei nen zweiten Bosporuskanal nachdenkt und den neuen Flughafen am Schwarzen Meer zum größten seiner Art weltweit vorantreibt, gehen die türkischen Klubs auf Einkaufstour. Mit dem jüngsten Coup versucht Galatasaray, sich als Nummer eins gegen die Kon kurrenten Fenerbahçe und Beşiktaş durchzusetzen und auch auf europäischer Ebene ganz oben anzugreifen. Neben der Einkaufstour auf dem europäischen Spielermarkt gönnt sich der Klub dafür auch eine neue Heimstätte – dank de zenter staatlicher Bezuschussung. Das Grundstück des bisherigen Ali-Sami-Yen-Stadions im zentralen Stadtteil Mecidiyeköy gehört der Republik – durch den Bauboom der vergangenen Jahre ist sein Wert stark gestiegen. 2010 wurde es für 1,25 Milliarden Türkische Lira, umgerechnet etwa 500 Millionen Euro, an eine türkische Holding verkauft. Galatasaray bekam dafür von der Regierung ein einzugsfertiges Stadium in einem Außenbezirk Istanbuls serviert – die staatlich bezuschusste Wohnungsbaugesellschaft TOKI stemmte den Neubau nach Plänen des Stuttgarter Architekturbü ros asp. Für etwa 7,5 Millionen Euro jährlich sicherte sich der größte Kommunikationsdienstleister des Landes die Namens rechte für die »Türk Telekom Arena« mit 52.000 Sitzplätzen. Die Fluglinie Pegasus und der Snackhersteller Ülker zahlten 4 bezie hungsweise 2 Millionen Euro für ihre Firmennamen in Nord- und Osttribüne. 47 Millionen Euro betragen die Gesamtschulden der vier Top-Vereine Fenerbahce, Besiktas, G alatasaray und Trabzonspor Ein gutes Geschäft, das Neider auf den Plan ruft: Konkurrent Fe nerbahçe etwa erinnert daran, Umbau und Erneuerung seines Sta dions aus eigener Tasche gezahlt zu haben. Das Inonu-Stadium von Beşiktaş, zentral zwischen der Einkaufs- und Amüsiermeile Is tiklal Caddesi und dem historischen Dolmabahce-Palast gelegen, befindet sich in baufälligem Zustand. Für Renovierungen, so der Sprecher des hoch verschuldeten Vereins im Gespräch mit zenith, fehle bislang das Geld. Galatasarays neue Spielstätte, so Kritiker, verschaffe dem Verein daher einen Wettbewerbsvorteil und ma che teure Ankäufe wie Wesley Sneijder überhaupt erst möglich. Mit Gerüchten über den angeblichen Wechsel von Superstars wie Robinho oder Cristiano Ronaldo, das wissen Blattmacher, las sen sich in einem fußballverrückten Land wie der Türkei die Auf lagen nach oben treiben. Tatsachlich kam am Ende dann meist die preiswertere Version der Ballkünstler heraus. Um den Wechsel attraktiv zu machen, zahlen die Vereine sogar die Einkommenssteuer für die Spieler. Verstößt das gegen die Regeln? Bisher. Tut es die Türkei nun den chinesischen und arabischen Vereinen gleich, bei denen Altstars nach dem Zenit der Karriere noch eine lukrative Extrarunde drehen? So verdiente der Argen tinier Gabriel Batistuta bei Al-Arabi in Katar 8 Millionen Euro; der Franzose Nicolas Anelka brachte es bei Shanghai Shenhua sogar auf 10 Millionen Euro pro Jahr. Selbst in den eigenen Reihen fragen sich viele, wie viel Promi nenz in sportlicher Hinsicht überhaupt nötig ist: Schließlich, so heißt es in der Clubszene, habe Galatasaray mit Burak Yilmaz den Torschützenkönig des letzten Jahres und einen Stürmer europäi schen Formats unter Vertrags. Den Platz an der Sonne muss sich Yilmaz nun mit einem 35-jäh rigen Neuzugang von Shanghai Shenhua teilen: Kurz nach Sneijder unterschrieb der ivorische Star Didier Drogba bei Galatasaray – aus gestattet mit einem Grundgehalt von 2 Millionen für die restliche Saison 2012/2013; 4 Millionen gibt es für die kommende Spielzeit, 15.000 Euro Auflauf- und 4 Millionen Unterzeichnungsprämie. Neben dem stattlichen Gehalt und den euphorischen Fans winken noch zahlreiche Extras; so werden die Kosten für Boliden und Benzin, Haus und Hauspersonal, Übersetzer und die Privat schulgebühren der Kinder der Stars übernommen. Die Vereine werben zudem mit dem Image der Metropole Istanbul; von der überproportionalen Dichte an Kultur, Unterhaltung und Nachtle ben profitieren auch die Spieler. 500 WIRTSCHAFT · Türkei · fussball Millionen Euro kostete das alte Stadion grundstück von Galatasaray im Jahr 2010 So schön, so gut, nur: Wie lässt sich das alles finanzieren? Denn neben dem Gehalt und diversen Handgeldern übernehmen die türkischen Vereine auch gleich die Einkommenssteuer ihrer Spie ler, um den Wechsel in die Türkei attraktiver zu gestalten. Anders als die arabischen oder russischen Klubs sitzen die Träger türki scher Vereine nicht auf großen Öl- oder Erdgasvorkommen. Auch wenn der Wohlstand in der Türkei wächst: Milliardäre, die sich in ihrer Freizeit ihren eigen Verein zusammenstellen, gibt es dort bislang nicht. Galatasaray-Präsident Unal Aysal versicherte denn auch pflichtschuldig: »Wesley Sneijder und Didier Drogba liegen in unserem Budget.« So richtig abnehmen mochte man ihm das nicht, steht der Verein doch mit 273 Millionen Euro in der Kreide. Die Gesamtverschuldung der vier größten Vereine Fenerbahçe, Beşiktaş, Galatasaray und Trabzonspor liegt zusammen bei un glaublichen 723 Millionen Euro. Damit sind ihre Schulden um ein Fünffaches höher als ihre Einnahmen. Wie der öffentliche befeuerte Bauboom fußt auch die Einkaufs wut der Vereine nicht unbedingt auf bodenständiger Haushalts planung, sondern in erster Linie auf einer Vision. Man stellt sich nicht den Tatsachen, sondern schafft einfach selbst welche. Den Istanbuler Traditionsverein Beşiktaş hat dieses Geschäftskon zept sogar an den Rand des Bankrotts gebracht. Unlängst bat die Vereinsführung ihre Mitglieder, doch bitte die offiziell lizenzier ten Trikots – und keine gefälschte Ware von Straßenhändlern – zu kaufen. Man sei für das finanzielle Überleben dringend auf die Einnahmen angewiesen. In der Saison 2010/11 hatte Beşiktaş den Spanier Guti Her nandez für ein Jahresgehalt von 3,5 Millionen Euro von Real Madrid losgeeist. In derselben Spielzeit wurde zudem der Portu giese Ricardo Quaresma nach Istanbul geholt. »Q7«, so der Spitz name des Starstürmers, bekam 3,7 Millionen Euro pro Jahr zuge sichert, sein alter Verein Inter Mailand erhielt 7,5 Millionen Euro Ablöse. Guti Hernandez wurde bereits nach einer Saison wegen angeblicher Leistungsverweigerung und Alkoholmissbrauchs ge feuert. In der Saison 2012/13 schließlich nahmen die finanziellen Probleme des Vereins ein solches Ausmaß an, dass alle Spieler Gehaltskürzungen hinnehmen mussten. Einige blieben, einige gingen, so wie Quaresma, der für ein Gehalt von 5 Millionen Euro zu Al-Ahli in die Vereinigten Arabischen Emirate wechselte. Fotos: Eren Yalcin 48 Der Fall Demirören zeigt: Einen Club zu ruinieren, ist kein Karrierehindernis Zu verantworten hat die riskanten Einkäufe der ehemalige Ver einspräsident Yildirim Demirören, der inzwischen zum Präsiden ten des Türkischen Fußballverbands aufgestiegen ist. Einen Club in den Ruin zu wirtschaften, scheint kein Karrierehindernis zu sein. Und Beşiktaş steht mit dieser Mentalität nicht alleine dar. Auch Fenerbahçe, oft als das türkische Pendant zu Bayern München beschrieben, wirft mit Geld um sich. Der 32-jährige Nieder länder Dirk Kuyt wurde 2012 mit einem Gehalt von 2,8 Millionen Euro und 17.500 Euro Auflaufprämie ausgestattet. Bereits in der Saison 2008/09 hatte Fenerbahçe den damaligen Torschützenkö nig der Primera Division, Daniel Guiza, für 17,4 Millionen Euro von Real Mallorca verpflichtet. Dem Spanier wurden 15 Millionen Euro für die kommenden vier Spielzeiten versprochen. Zwei Jah re später gab Fenerbahçe Stürmer Guiza an den spanischen Ver ein FC Getafe ab – ablösefrei. Und auch den Vertrag mit dem bra silianischen Altstar Roberto Carlos über ursprünglich 5 Millio nen Euro für drei Spielzeiten beendete Fenerbahçe frühzeitig. Angesichts solcher Haushalts- und Schuldenpolitik fragen sich manche, ob Istanbuls Fußballclubs am Ende darauf spekulie ren, dass die Inflation bald wiederkehrt. Manche Ökonomen war nen bereits davor, dass diese Geißel, die man längst bezwungen glaubte, die türkische Wirtschaft demnächst heimsuchen könnte. Aber hinter der Transferhysterie scheint aber noch etwas mehr als Geltungssucht zu stecken – auch ein Aktionismus des Ma nagements, das zeigen will, dass es noch handeln kann. Viele der großen Vereine sind an der Börse notiert. Der Marktwert von Fe nerbahçe liegt bei etwa 427 Million Euro, jener von Galatasaray bei 239 Million Euro und Beşiktaş wird auf 91 Millionen Euro taxiert. Läuft es sportlich mal nicht rund, wirkt sich das umgehend auf den Aktienwert aus – und die Anleger verlangen Entscheidungen. • 50 WIRTSCHAFT · Syrien · Ressourcen Erdöl in Rebellenhand Vor dem Krieg wollte Syrien zum großen Exporteur werden – mit Hilfe iranischer und russischer Investoren. Nun lockert der Westen die Energiesanktionen zugunsten der Opposition. Kauft Europa bald bei Freischärlern mit Beziehungen zu Al-Qaida? Text: Nils Metzger · Fotos: Benjamin Hiller Ressourcen · Syrien · WIRTSCHAFT M it kaum mehr als einem Tuch vor dem Gesicht stapfen sie durch die dichten Rauchschwaden, steigen mit nackten Füßen durch die Ölpfützen. Die Hitze ist unerträglich. Obwohl hier, im Osten Syriens, der Großteil der Erdölre serven des Landes liegen, sind die Menschen seit jeher arm, wurden nie am Reichtum der Wüste beteiligt. Über Pipelines floss das Öl in die Küstenstädte, wurde in Bani as und Tartus auf Tanker verladen. Doch jetzt ist das Land geteilt, die Rebellen kontrollieren die Ölfelder, das Regime die Industrieanlagen zur Verarbeitung. Aus der Not heraus haben in den Provinzen Deir alZur und Al-Hasaka viele Menschen begonnen, in ihren Dörfern kleine Raffinerien zu errichten – nicht mehr als in den Boden eingelassene Gräben und einige metallene Bottiche. Es gibt kaum genug Benzin im Land, um Gene ratoren zu betreiben und Autos zu betanken; ausländi sche Hilfe reicht nicht aus. Wenige Meter von ihren kar gen Feldern entfernt verkochen die Menschen daher schweres Rohöl zu kostbarem Benzin. Aus verbeulten Fässern verkaufen sie es anschließend in den nahen Dör fern. Ganze Familien überleben nur, indem sie tagtäglich die giftigen Dämpfe einatmen. »Wir haben das ganze Öl, und doch sind die Menschen arm«, beklagt sich Abu Dschihad, Oberst der Freien Syri schen Armee in der Ortschaft Al-Schedadeh, unweit der irakischen Grenze. Er deutet in die Ferne, wo mehrere Rauchsäulen brennender Ölquellen aufsteigen. »Assad hat das Volk ausgeplündert, seine Familie auf Kosten des Lan des bereichert.« Vor der Revolution verdiente er als Leh rer kaum 150 US-Dollar im Monat; ein vom Staat bereit gestellter Hungerlohn, von dem doch Millionen Syrer Mo nat für Monat abhängig waren. Es waren kaum mehr als Brotkrumen, verglichen mit dem Reichtum der Elite, be tont Abu Dschihad. »Es wird Jahre dauern, bis wir Syrien wieder aufgebaut haben, aber es wird stärker sein als zu vor«, so der fromme Wunsch des Aufständischen. Vier Milliarden US-Dollar im Jahr, rund ein Drittel des jährlichen Etats, spülte das Ölgeschäft in die klam men Staatskassen. Shell, Total und PetroCanada waren als westliche Unternehmen an Förderkonzessionen be teiligt, gleichberechtigter Partner war dabei stets die staatliche Syrian Petroleum Company. Meist kamen die Investoren jedoch aus Iran, den Golfstaaten oder Russ land. Auf drei Milliarden Fass werden die syrischen Ölre serven geschätzt, doch seit einem Jahrzehnt sinkt die Fördermenge stetig. Syrien spielt auf dem Weltmarkt eine Rund vier Milliarden Dollar im Jahr spülte das Ölgeschäft in die leeren Kassen – ein Drittel des jährlichen Staatshaushalts Syriens 51 Die Rebellen dürften Öl nach Europa liefern, verkündete Guido Westerwelle – doch die EU-Initiative gibt nur auf dem Papier eine gute Figur ab untergeordnete Rolle und ist zudem kein Mitglied des Weltverbandes Opec. Auch wenn jüngste Offshore-Erd gasfunde des israelischen Nachbarn es wahrscheinlich machen, dass das Mittelmeer auch vor der syrischen Küs te Rohstoffe birgt, wird eine zukünftige Regierung Jahre benötigen, um internationale Partner zu finden und die Infrastruktur zur Förderung aufzubauen. Die letzten vorliegenden Zahlen der Syrian Petrole um Company weisen 17,4 Millionen geförderte Fass für das erste Quartal 2011 aus. Die Internationale Energie agentur (IEA) schätzt, dass die Förderung von täglich 400.000 Fass Anfang 2011 auf aktuell rund 130.000 Fass gefallen sei. Überprüfen lassen sich die Zahlen nicht. In zwischen sieht sich die syrische Regierung gezwungen, Benzin aus dem Ausland zu importieren, da der Krieg die nationalen Vorräte aufgezehrt hat. Um das Militär weiter hin versorgen zu können, habe die Regierung seit Aus bruch des Krieges 3,5 Milliarden Dollar für Benzinimpor te ausgegeben, so der damalige Ölminister Sufian Allaw im Mai 2012 gegenüber der staatlichen Nachrichtenagen tur SANA. Hoffnung für den Wiederaufbau gibt lediglich, dass sich das Ausmaß struktureller Schäden an den För deranlagen bislang in Grenzen hält. Die Fördergebiete des Ostens liegen abseits der Ballungszentren, die Kämpfe hier sind weniger heftig als in Aleppo oder Damaskus. In Al-Schedadeh kontrolliert nun die dschihadisti sche Miliz Dschabhat al-Nusra die Gebäude des Staats konzerns, ein von Mauern umgebenes Areal, in dem einst mehrere hundert Ölarbeiter Unterkunft fanden. Staatli che Medien beschuldigen die Rebellen, bei der Einnahme neben rund hundert Soldaten auch mehr als ein Dutzend Angestellte des Unternehmens hingerichtet zu haben. Über den sandfarbenen Eingangstoren hissten die Dschih adisten die schwarze »Schahada«-Flagge. »Sie schützen die Quellen gegen Plünderer und verteilen das Öl an die Bevölkerung«, betont Abu Dschihad, der den Al-Qaida-nahen Kämpfern pragmatisch gegenübersteht: Sie seien militärisch notwendig, um den Krieg gegen As sad zu gewinnen. Dass verschiedene Rebellengruppen immer wieder aneinander geraten, der Vorwurf des Öl diebstahls auch vorgeschoben werde, um lokale Rivalitä ten auszutragen, mag Abu Dschihad nicht bestreiten. Angesichts der um sich greifenden Anarchie versuchen tribale Autoritäten im konservativen Osten, sich eine gu te Machtposition im neuen Syrien zu sichern, andauern de Gefechte zwischen Dschihadisten und irregulären Re gimemilizen verkomplizieren die Lage. Dass die Rebellen inzwischen den Großteil der Ölquellen kontrollieren, 52 WIRTSCHAFT · Syrien · Ressourcen eröffnet den aufständischen Landesteilen daher keine wirtschaftliche Perspektive. »Das fördert den wirt schaftlichen Aufbau und ist ganz sicherlich auch eine Stärkung der demokratischen Opposition«, so dennoch die Begründung von Bundesaußenminister Guido Wes terwelle für die Lockerung der EU-Sanktionen gegen die syrische Opposition am 22. April. Künftig solle die »Nati onale Koalition« Öl nach Europa exportieren dürfen, gleichzeitig könnten EU-Staaten benötigte Ausrüstung liefern. Noch 2011 führten europäische Staaten syrisches Öl im Wert von 3,6 Milliarden Dollar ein – knapp 95 Pro zent der syrischen Ölexporte. Auch Deutschland gehörte zu den Abnehmern, bis zu 30 Prozent der syrischen Aus fuhren flossen in die Bundesrepublik. Die europäische Initiative gibt nur auf dem Papier ei ne gute Figur ab. Weder taugen radikalislamische Grup pierungen als Geschäftspartner für westliche Rohstof funternehmer, noch verfügt die Opposition über die für Verarbeitung und Export nötigen Industrieanlagen. Über Hunderte Kilometer löchriger Wüstenpisten muss geför dertes Öl derzeit transportiert werden, der Bedarf der ei genen Bevölkerung kann kaum gedeckt werden. Die Prei se für Benzin haben mit bis zu 180 Syrischen Pfund je Li ter ein Vielfaches des Vorkriegswertes erreicht. Während die alawitisch bewohnte Küste vom Krieg bislang weniger betroffen ist, wurden die Industrie anlagen von Homs schon mehrfach Ziel von Anschlägen In den Rebellengebieten verkochen die Menschen Rohöl zu Benzin und verkaufen es anschließend. Abu Dschihad (Bild unten) sagt: »Es wird Jahre dauern, bis wir Syrien wieder aufgebaut haben.« Ressourcen · Syrien · WIRTSCHAFT Politisches und wirtschaftliches Kapital: Die Kontrolle über die Ölfelder soll die kurdischen Autonomieansprüche für die Zeit nach dem Krieg festigen Syrien verfügt über zwei Raffineriekomplexe, in Baniyas mit einer Kapazität von rund 133.000 Fass am Tag und in Homs mit rund 107.000 Fass am Tag, die über ein Pipeli nenetzwerk direkt mit der Küste verbunden sind. Von dort aus bedienen die dem Ölministerium unterstehenden Un ternehmen den Weltmarkt – von dem die Fördergebiete des Ostens nun abgeschnitten sind. Darüber hinaus liegt die historisch wichtige Kir kuk-Banias-Pipeline seit dem US-Einmarsch in den Irak 2003 still. Im letzten Jahrzehnt haben die Türkei und der Nordirak umfangreiche Ölabkommen geschlossen, Syri en blieb aber trotz der Entspannungspolitik Baschar al-Assads außen vor. Während die mehrheitlich alawi tisch bewohnte Küste vom Krieg bislang weniger hart ge troffen wurde als das Inland, wurden die Industrieanlagen von Homs bereits mehrfach Ziel von Anschlägen. Das tat sächliche Ausmaß der Zerstörung wird erst nach Ende des Krieges begutachtet werden können. Das Öl bedeutet politisches wie wirtschaftliches Ka pital: Um den eigenen Machtanspruch zu festigen, verleg ten die kurdischen YPG-Milizen, die sich den Oppositi onskräften als faktisch dritte Fraktion im Bürgerkrieg nur zögerlich anschließen, im März mehrere hundert Kämpfer in die Kleinstadt Rumaylan. Der in London an sässige Konzern Gulfsands unterhielt dort gemeinsam mit dem syrischen Staat das Ölfeld »Block 26«, eines der größ ten des Landes, das nach Angaben des Betreibers unter Idealbedingungen mehr als 100.000 Fass täglich liefere. Kurdische Aktivisten, die sich im neuen Syrien umfang 53 reiche Autonomierechte erstreiten möchten, wollen in diesem »Great Game« nicht ins Hintertreffen geraten. Sie schwenken bunte Fahnen und tragen Portraits ihres po litischen Vordenkers Abdullah Öcalan vor sich her. Die Kurden von Rumaylan signalisieren, dass sie sich auch von den Radikalislamisten von Dschabhat al-Nusra nicht einschüchtern lassen. »Wir sind vorbereitet und fürchten uns nicht vor den Salafisten«, bekräftigt eine YPG-Kom mandeurin in der nahen Grenzstadt Ras al-Ayn. Die syrische Wirtschaft ist durch den Bürgerkrieg in zwei Teile gespalten, von denen keiner auf sich gestellt lebensfähig ist. Noch im Juli 2011, als der Aufstand be reits in einigen Teilen des Landes tobte, verplante die Re gierung in Damaskus gemeinsam mit dem Irak und Iran Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Dollar für die Vernetzung der Ölbranchen aller drei Länder. Im Zuge dessen hatte die alte Verbindung Kirkuk–Banias reakti viert werden sollen – auch um Europa aus der Abhängig keit von russischem Öl zu befreien. Diese Pläne sind nun in weite Ferne gerückt. Eine schnelle und wirksame Per spektive für die syrische Ölbranche eröffnet auch der • EU-Vorstoß nicht. Sie bleibt eine Notwirtschaft. 54 WIRTSCHAFT · Kolumne Almanach der Energien Strampeln, rollen, wippen Eine oftmals vergessene Energie quelle führen wir alle ständig mit uns: die Muskelkraft. Intelligente Nutzungen sind einfach und effektiv Illustration: Matthias Töpfer von Achmed A.W. Khammas • Eine Energiequelle, die wir unser ganzes Leben und 24 Stunden am Tag mit uns herumschleppen, ist die Muskelkraft. Nicht nur, dass alle gewaltigen Bauwer ke der Vergangenheit – seien es die Pyramiden, die Chi nesische Mauer oder die gotischen Dome – ausschließ lich mit menschlicher und tierischer Muskelkraft er richtet worden sind. Auch heute noch liegt der Ge samtumsatz dieser Energiequelle global gesehen weit über der Summe aller anderen Energieformen: Die in zwischen sieben Milliarden Menschen nutzen sie stän dig, genau wie Sie gerade – und sei es nur, um diese Sei te umzublättern. Intelligente Umsetzungen sind inzwischen zuhauf entwickelt worden. So vertreibt das südafrikanische Unternehmen Roundabout Outdoors seit 1989 ein Spiel platz-Karussell, mit dem die Kinder pro Stunde knapp 1,5 Tonnen Wasser aus einer Tiefe von 40 Metern för dern können – ausschließlich dadurch, dass sie ihre Pumpen spielend mit 16 Umdrehungen pro Minute am Laufen halten. Dass man »Kinderarbeit« auch durch eine einfachen Wippe nutzen kann, belegen Projekte wie die stromerzeugende »Energee-Saw« der Coventry University, deren erstes Modell im Sommer 2007 in Kenia installiert wurde, um Klassenräume zu beleuch ten oder Handys, Radios und mp3-Player aufzuladen. Der Entwickler Daniel Sheridan erhielt für die Ener giewippe 2008 den Entrepreneurial Spirit Award. Auch der Transport von Trinkwasser ist in vielen Ent wicklungsländern nach wie vor ein essentielles Prob lem – jeder kennt die Bilder von Frauen, die schwere Gefäße auf ihren Köpfen balancieren, oft kilometer lang. Die clevere Lösung, den Transport mittels einer weitaus intelligenteren Form der Muskelkraft-Nut zung zu verwirklichen, nennt sich Hipporoller und wurde von der Africa Foundation entwickelt: Eine ro buste Tonne mit 90 Litern Inhalt, die schon Kinder spielerisch nach Hause rollen können. Mit dieser Me thode lässt sich bis zu fünf Mal mehr Wasser transpor tieren als herkömmlich. Nicht nur für Entwicklungsländer gedacht sind die zahlreichen Umsetzungen pedalbetriebener Geräte, die häufig aus umgebauten Fahrrädern bestehen und zum Aufladen elektronischer Geräte, zum Pumpen, Kühlen, Mahlen, Waschen und vielem mehr genutzt werden. Ähnliche Einsätze finden Kurbeln, wobei der art betriebene Taschenlampen und Radios schon rela tiv weit verbreitet sind – weil sie so sinnvoll sind. Das Fahrrad selbst gilt als eine der nachhaltigsten Innovationen der Menschheit, wenn man den Herstel lungsaufwand mit dem Energieeinsatz und der resultie renden Strecke korreliert. Gerade in den arabischen Län dern sollte diese tolle Erfindung den Ruch des »Unter schichtentransportmittels« verlieren. Auch reiche Städ ter kommen damit schneller von A nach B, strampeln sich gesünder und schonen Umwelt und Ressourcen. Nicht vergessen werden sollten der ausschließlich mittels Muskelkraft erfolgte Überflug des Ärmelka nals im Sommer 1979 durch Paul McCready in seinem »Gossamer Albatros« oder die muskelbetriebenen Flugzeuge von Günter Rochelt aus den 1980er Jahren mit ihren noch immer ungebrochenen Weltrekorden. Ganz aktuell ist das internationale Wettrennen um den mittlerweile auf 250.000 US-Dollar dotierten Sikorsky Prize der American Helicopter Society, der für einen einminütigen Muskelkraft-Hubschrauberflug mit dem kurzzeitigen Erreichen einer Flughöhe von drei Me tern vergeben werden soll. Im Juni 2012 erreichte der »Gamera II« der University of Maryland schon eine Flugzeit von 49 Sekunden. Der gute Da Vinci hätte si cherlich einiges dafür gegeben, an diesem Wettbewerb teilnehmen zu können. • zenith-Kolumnist Achmed A.W. Khammas ist Dolmetscher und Science-Fiction-Autor. In seinem Internet-Archiv unter buch-der-synergie.de informiert er über Geschichte und Gegenwart der Erneuerbaren Energien. Beruf Studium Praktikum Bildung KUBRI EuroArab Career KOLUMNE · WIRTSCHAFT Workshops Präsentationen Recruiting 55 & Education Fair Die Karriere- und Bildungsmesse für die arabische Welt 10:30 - 18:00 Uhr rogram ri.e t trit n i E rei f u e rp m 24. - 25. Mai 2013 Besuch TU München - Campus Garching Fakultät für Maschinenwesen w w .k u b w www.facebook.com/kubri www.twitter.com/eace_kubri Veranstalter Mit freundlicher Unterstützung durch Medienpartner DAAD - Deutscher Akademischer Austausch Dienst German Academic Exchange Service EuroArab Centre for Education www.kubri.eu Werbung Druck Verlag 84036 Landshut . Deutschland . www.hoffmann-werbung.de EuroArab Centre for Education OHG . Regierungsplatz 539 . 84028 Landshut · Germany 56 WIRTSCHAFT · Georgien · Glücksspiel Glücksspiel · Georgien · WIRTSCHAFT »Wir nennen es das Wunder von Batumi«, erklärt Nino Jintcharadze mit leuchtenden Augen. Sie kramt aus den Regalen in ihrem Büro der adscharischen Tourismus behörde aufwendig gestaltete Bildbände hervor, welche die Verwandlung der Stadt illustrieren. Alte Aufnahmen von bra chen Landschaften der 1990er Jahre kontrastieren mit einer Skyline mit Hoteltürmen und moderner Architektur. Stolz er klärt sie, dass die Innenstadt zur Zeit einer Baustelle gleiche. Über eine Million Quadratmeter Batumis befänden sich der zeit im Bauzustand. Es müsse mehr Platz her, um dem Touris tenansturm gerecht zu werden, meint Jintcharadze. 2012 ver zeichnete die Hafenstadt bereits 1,5 Millionen ausländische Besucher. Deswegen soll das einstige sowjetische Urlaubspara dies in den nächsten zwei Jahren ein neues Antlitz bekommen. Georgien lockt nicht nur mit wunderschönen Landschaf ten und Qualitätswein, sondern auch mit einem verführeri schen Freizeitangebot. Im März 2005 hat das georgische Par lament das Glücksspiel legalisiert. Umringt von Ländern wie der Türkei oder Aserbaidschan, in denen das Spiel am Automa ten verboten ist, ziehen die hoteleigenen Casinos seitdem zu nehmend ausländische Spieler an. Einzig aus Armenien macht sich derzeit noch Konkurrenz bemerkbar, da Zocken dort au ßerhalb der Hauptstadt weiterhin legal ist. Geopolitisch liegt der Vorteil jedoch auf georgischer Seite: Durch die zentrale La ge ist es leicht erreichbar und historische Grabenkämpfe ma chen es türkischen oder aserbaidschanischen Spielern unmög lich, nach Armenien zu reisen. Mamuka Berdzenishvili aus der Tourismusbehörde nennt als besonderes Merkmal Batumis die 57 Reklame für die Hotellerie: Das Sheraton Batumi hat als erstes Luxushotel 2010 eröffnet. Im darauffolgenden Jahr zogen andere Hotelketten wie das Radisson Blu nach. 2013 soll der Trump Tower fertig werden. einzigartige Verbindung von Strandurlaub und Unterhaltung. »In einer Umfrage aus dem Sommer 2012 haben wir festge stellt, dass diese beiden Faktoren unsere Haupttouristenat traktionen geworden sind.« Batumi im Herbst wirkt grau. Am Ende der Strandprome nade dreht sich einsam ein 40 Meter hohes Riesenrad. Werbe plakate versprechen Sonnenschein und glückliche Touristen. Doch die sauber gefegte Promenade liegt menschenleer zwi schen dem Rohbau des Kempinski-Hotels und einem steinigen Strand. Trotzdem ist die Glücksspielbranche zu einem belieb ten Spielfeld für Investoren geworden. Die halbautonome Re gion Adscharien nimmt im vom Separatismus geplagten Geor gien eine Sonderstellung ein. Unabhängig von der Regierung in Tiflis, kann sie über die Casino-Lizenzgebühren und -Regulie rungen verfügen. Diese Sonderposition nutzt Adscharien, um die Glücksspielinvestitionen an den Ausbau von touristischer Infrastruktur zu knüpfen. Ein Hotelneubau mit mindestens 100 Zimmern erspart dem Bauherren die Casino-Lizenzge bühr für zehn Jahre. Neben dem finanziellen Anreiz für Spiel hallen- und Hotelbetreiber bedeutet dies gleichzeitig die Aus dehnung saisonunabhängiger Freizeitvergnügen. Vom Badeparadies zur Spielhölle Hans-Ulrich Trosien, deutscher Hotelexperte und Servicebe rater der adscharischen Tourismusbehörde, sieht die Verbin dung von Hotel und Casino als pragmatische Entscheidung. Die Urlaubssaison in Batumi sei auf zwei bis drei Sommermo nate beschränkt. In den übrigen Monaten müssen aber trotz dem Touristen angezogen werden, dies gelinge durch Casinos. Im Gegensatz zur Hauptstadt Tiflis, in der eine Casinoeröff nung 5 Millionen Lari (2,4 Millionen Euro) kostet, belaufen sich die Kosten in Batumi lediglich auf 250.000 Lari (120.000 Euro). Daher wachsen hier die Hoteltürme in den Himmel. Den Anfang machte 2010 das Sheraton Batumi. Kurz darauf zo gen andere etablierte Hotelketten nach – 2011 eröffnete das Radisson Blue, 2013 sollen Kempinski und der Trump folgen. 58 WIRTSCHAFT · Georgien · Glücksspiel Glücksspiel · Georgien · WIRTSCHAFT Die Strandpromenade von Batumi liegt verlassen in der Morgensonne. Nur im Sommer kommen viele Strandurlauber in die Stadt, in Herbst und Winter wird vor allem mit der Glücksspielindustrie Geld gemacht. Wie ein fehlplatzierter moderner Kastenbau wirkt das Adjarabet-Casino vor den sowjetisch genormten Plattenbauten in der Innenstadt Batumis. Links: Das Sheraton-Hotel prägt die Skyline der Stadt. »Die Glücksspieler sind Ausländer« Der Investitionsschub scheint nicht enden zu wollen. Seit der Rosenrevolution 2003 hätten sich die Bedingungen maßgeb lich verbessert, erzählt Nino Jintcharadze. »Vorher war hier nichts! Wir waren einer unter vielen postsowjetischen Staaten, der mit seinen Schulden und der verbreiteten Korruption zu kämpfen hatte.« Die neue Regierung unter Micheil Saakasch wili habe die Grundlage für die heute zu beobachtenden Ent wicklungen gelegt. Derzeit sind in den beiden bekanntesten Glücksspielstädten Tiflis und Batumi insgesamt sieben Casi nos neu eröffnet worden. Landesweit belaufen sich die Casino einnahmen auf etwa 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 59 An der Promenade dreht sich einsam ein Riesenrad. Die Umgebung gleicht einer Baustelle: Mehr als eine Million Quadratmeter Batumis sollen sich derzeit im Bau befinden. Wenn der Bauboom in Batumi anhält, könnten die nächsten Jahre ein Einnahmenplus von 50 Prozent erbringen. Um weitere Investoren nach Batumi zu locken, organisier te die Stadt den ersten internationalen »Casino Investment Congress« (CIC) im September 2012. Er zog über 120 Teilneh mer aus 22 Ländern an, darunter Vertreter aus der Ukraine, Bulgarien, den USA, Großbritannien, Ägypten und der Türkei. Das Investitionsinteresse aus dem Ausland wundert Jintcha radze nicht. »Wir bekommen jedes Jahr unsere fünffache Ein wohnerzahl zu Besuch. Die überwiegende Zahl der Glücksspie ler sind Ausländer.« Zu den Hauptinvestoren im derzeitigen Hotel- und Casinobau gehören Unternehmen aus der Türkei. Laut Jintcharadze haben sie die größte Erfahrung im Glücks spielgeschäft. In den 1980er Jahren war es in der Türkei selbst eine lukrative Einnahmequelle. Nach dem dortigen Verbot sahen sich aber zahlreiche tür kische Unternehmer nach einem Ausweichmarkt um. Die nachbarschaftliche Nähe war ein ausschlaggebender Faktor, sodass sie schnell in Georgien Fuß fassten. Auch in der Haupt stadt Tiflis beobachtet Vedran Bajat, Manager des Adjara-Casinos, vorrangig Besucher aus der Türkei, Iran oder Aserbaid schan, aber der Großteil seiner Kunden komme aus Georgien. Täglich zählt er etwa 1.000 einheimische Spieler. Einzelne Ca sinos in Batumi hingegen verzeichnen rund 2.000 türkische Besucher allein an den Wochenenden. Die vereinfachten Kon trollen an der Grenze zur Türkei haben sich positiv auf Batu mis Reiseverkehr ausgewirkt. Denn bei der Einreise ist nur noch der Personalausweis notwendig. »Das führt besonders in den Grenzgebieten zu einer Ansammlung von Stripclubs und kleinen Spielhallen«, meint Hans-Ulrich Trosien. Ob das Glücksspiel weiterhin ein Touristenmagnet bleibt, hängt von der zukünftigen Politik ab. »Der Besucheransturm wird signifikant zunehmen, wenn die neue Regierung keine nachteiligen Regulierungen für Casinobetreiber verabschie det«, erwartet Jintcharadze. Zur Zeit zirkulieren etwa 35 bis 40 Millionen Dollar in den Casinos der Adschara-Region. Das unterstreicht die Bedeutung der Industrie. 60 WIRTSCHAFT · Georgien · Glücksspiel Buntes Zockerparadies: Die nächtliche Skyline von Batumi. Nino Jintcharadze zeigt in einem Bildband die rasante Entwicklung des eins tigen sowjetischen Urlaubsortes in den letzten 15 Jahren. Was früher Brachland oder renovierungsbedürftig war, erstrahlt nun in neuem Glanz. Im Oktober 2012 hat Georgien gewählt. Micheil Saakaschw ilis »Vereinte Nationale Bewegung« bekam an den Wahlurnen die Rechnung für ihre investorenfreundliche, aber autokratische Politik der letzten neun Jahre. Die Erwartungen an die neue Regierungspartei »Georgischer Traum« sind hoch. David Oponischwili, der Vorsitzende des Finanzausschus ses im georgischen Parlament, redet gern über die Versäumnis se der Saakaschw ili-Regierung und über eine gerechtere Sozi alpolitik. Sichtliches Unbehagen bereiten ihm dagegen Fragen zum Standpunkt seiner Partei hinsichtlich der zukünftigen Investitionspolitik in der Glücksspielindustrie. Oponischwili steckt in einem Dilemma, denn er will kein kaukasisches Las Vegas in Georgien. Hinzu kommt, dass sein Parteivorsitzender Bidsina Iwanischwili angeblich bemerkt haben soll, er werde das Gewerbe stärker regulieren und eventuell sogar Spielorte schließen lassen. Während die Investitionsfreude in den letzten Jahren re lativ groß war, würden Investoren nun erst einmal die Schritte der neuen Regierung beobachten, schätzt Nino Jintcharadze die gegenwärtige Lage ein. Der Politiker Oponischw ili plädiert dafür, keine übereiligen Schlüsse zu ziehen. Eine Abschaffung des Glücksspiels habe nie zur Debatte gestanden, verteidigt er sich. »Die Casinos sind ein bedeutender wirtschaftlicher Fak tor, aber wir müssen eine neue Regulierung diskutieren. In der Innenstadt sind Spielhallen keine gern gesehenen Einrichtun gen. Spezielle Zonen sind natürlich eine Option, aber eine end gültige Entscheidung bleibt abzuwarten.« Las Vegas am Schwarzen Meer? Casinomanager Vedran Bajat steht solchen Plänen skeptisch ge genüber. Seiner Erfahrung nach ist die Branche ausreichend re guliert. Bedenklich hingegen seien die Verhältnisse der 1990er Jahre gewesen, als etwa 100 Spielorte über die gesamte Stadt verteilt waren und keiner Kontrolle unterlagen. Das habe sich inzwischen geändert. Bajat preist das hohe Niveau der georgi schen Casinos und führt es auf die neu eingeführten Lizenzge bühren zurück. Der Standard sei durchaus mit Russland vergleichbar, be vor die dortigen Spielhallen in Zonen verbannt und dem Verfall preisgegeben wurden. Sollte es tatsächlich zu einer Neuregu lierung in speziellen Glücksspielzonen kommen, sieht er nega tive Auswirkungen auf das Gewerbe. »In einigen anderen Län dern ist dieses Vorhaben bereits gescheitert«, so Bajat. »Spiel hallen brauchen ein gewisses Umfeld, um erfolgreich operieren zu können. Drängt man sie an den Stadtrand oder gar aus der Stadt, wirkt sich das negativ auf die Besucherzahlen aus.« Das beste Beispiel dafür sei Russland. Hier gebe es seit Einrichtung der Zonen keinen einzigen funktionierenden Abschnitt. Dies treibe die Spieler ins kaukasische Nachbarland. Vor diesem Hintergrund prophezeit Bajat, dass Georgien mit negativen Konsequenzen rechnen müsse, sollte es dem rus sischen Beispiel folgen. Hans-Ulrich Trosien befürchtet ferner bei der Schließung oder Auslagerung von Casinos ernsthafte Probleme für den Arbeitsmarkt. Der Verlust von Steuereinnah men aus der Glücksspielbranche sei verkraftbar, der Verlust von Arbeitsplätzen hingegen wäre eine Katastrophe. • Grenzenlose Erfolge Rödl & Partner ist an 91 eigenen Standorten in 40 Ländern vertreten. Die integrierte Beratungs- und Prüfungsgesellschaft für Recht, Steuern, Unternehmensberatung und Wirtschaftsprüfung verdankt ihren dynamischen Erfolg 3.500 unternehmerisch denkenden Mitarbeitern. Im engen Schulterschluss mit ihren Mandanten erarbeiten sie Informationen für fundierte – häufig grenzüberschreitende – Entscheidungen aus den Bereichen Wirtschaft, Steuern, Recht und IT und setzen sie gemeinsam mit ihnen um. Von Dubai aus steuern wir die Geschäfte unserer Mandanten in der arabischen Welt. Diese betreuen wir umfassend aus einer Hand – ganz gleich, ob ein Markteintritt in der Region vorbereitet oder ein bestehendes Geschäftsmodell weiter ausgebaut werden soll. Ihre Ansprechpartner für den Nahen Osten Sabine Reindel Tel.: + 971 (56) 115 65 44 [email protected] Dr. Marcus Felsner Tel.: + 49 (30) 81 07 95 – 51 [email protected] www.roedl.de 62 WIRTSCHAFT · SUDAN · Kommentar Baschir in Juba, deutsche Firmen in Khartum Berlins Ansatz, wirtschaftliche Kooperation mit den verfeindeten Staaten Nord- und Südsudan zu verbinden, war umstritten und riskant. Aber er scheint zu fruchten Ein Kommentar von Tobias Simon • Ein historischer Tag: Am 12. April besuchte der su danesische Präsident Omar al-Baschir zum ersten Mal den Südsudan und traf in Juba seinen Amtskollegen Salva Kiir. Einen Monat zuvor hatten die beiden Län der, deren Verhältnis äußerst gespannt ist, in Addis Abeba Abkommen zur Grenzsicherheit und Ölförde rung verabschiedet. Somit wurden innerhalb eines Mo nats Antworten auf existenzielle Frage gefunden. Die Vermutung liegt nahe, dass Kiir den Konflikt mit dem Sudan entschärfen wollte, um sich dem internen Machtkampf mit seinem Vizepräsidenten Riek Mach ar widmen zu können. Eine härtere Gangart gegenüber dem Sudan for dern indes vor allem westliche Kritiker. So postulierte der französische Historiker Gérard Prunier in der New York Times unter der drastischen Überschrift »Give War a Chance«, Rebellen zu bewaffnen, um das Regi me in Khartum zu stürzen. Die letzten Wochen zeigen jedoch deutlich: Nicht Waffen bringen Fortschritt, son dern Dialog, wenn auch in kleinen Schritten. Ob man einen solchen Dialog führen kann, fragt sich auch die deutsche Außenwirtschaftspolitik: Der »Germany – Sudan and South Sudan Business Day«, der bereits im Januar im Auswärtigen Amt stattfand, war deshalb nicht ohne Risiko. Ist es wirklich sinnvoll, mit zwei verfeindeten Staaten einen »Wirtschaftstag« abzuhalten? Noch dazu, wenn gegen den Präsidenten des Sudans ein Haftbefehl des Internationalen Straf gerichtshofs vorliegt? Im Vorfeld wurde die Bundesre gierung – vor allem von britischen und amerikanischen Menschenrechtsorganisationen – dann auch heftig kri tisiert: Sie dürfe nicht mit einem »genozidalen« Regi me paktieren. Deutschland müsse sich auf Grund sei ner NS-Vergangenheit besonders den Menschenrech ten verpflichtet fühlen. Kritiker wie der Darfur-Aktivist Mukesh Kapila oder der sudanesische Rebellenführer Yasir Arman verglichen das Regime in Khartum mit den Nationalsozialisten. Formell war das Auswärtige Amt nicht Veranstalter, aber faktisch wäre der Wirtschaftstag nicht ohne sei ne Unterstützung zustande gekommen. Immerhin sieht sich Berlin mit seinem Ansatz nicht allein: Ende 2012 hatte in Wien eine ähnliche Tagung stattgefun den, auch Italien und Spanien denken über Konferen zen nach. Wegen der Ablehnung anderer EU-Staaten ist die Union damit gespalten, was man bedauern mag. Es heißt, das »Timing« sei schlecht. Wartet man jedoch bei Sudan und Südsudan auf den »richtigen Zeitpunkt«, so wird man diesen Tag wahrscheinlich nie erleben. Das Argument gegen einen partnerschaftlichen Dialog mit dem Sudan, die massiven Menschenrechts verletzungen, hinkt. Ja, es ist richtig: Im Sudan werden die Menschenrechte heftig verletzt. Doch dies ge schieht ebenso im Südsudan, wenn auch weniger sys tematisch. Der Südsudan wird allerdings bei der Kri tik meist außen vor gelassen. Wer diese Inkonsequenz anspricht, muss mit dem Vorwurf des »moralische Re lativismus« leben lernen. Schwarz-Weiß-Malerei hilft jedoch niemandem. Wer an Frieden interessiert ist, muss den Dialog för dern. Dieser bedarf aber zweier gleichberechtigter Partner. Hierzu benötigen Sudan und Südsudan wirt schaftliche Stabilität. Denn nur wenn die eigene Exis tenz gesichert ist, können Sudanesen und Südsudane sen ihr Leben in selbstbestimmter Freiheit verwirkli chen – dafür benötigt man einerseits Investoren, an dererseits Handel. Erfreulicherweise brachte die trilaterale Konferenz Ende Januar schon zwei Projek te hervor, die es im Auge zu behalten gilt: Ein deutsches Unternehmen soll die Kanalisation in Khartum ver bessern; ein weiteres könnte demnächst eine Medika mentenproduktion im Südsudan aufbauen. Früchte des Dialogs benötigen Zeit zum Reifen. Aber am Ende werden wohl beide Staaten zu dem Schluss kommen: Ihnen bleibt – trotz politischer Kon flikte – nichts anderes übrig, als zu kooperieren. • 63 64 WIRTSCHAFT · Sekretär bericht an den vorstand Siemens und die schwarze Liste Der Sekretär Ihre Termine Technologien und Methoden für eine moderne Wasserinfrastruktur für Ägypten 9. bis 14. Juni 2013, München »Bayern – Fit for partnership«: Unter diesem Motto lädt das Wirtschaftsministerium des Freistaates im Juni deutsche und ägyptische Firmen nach München, um die Vorteile des lokalen Verteilungssystems zu demonstrieren und neue Partnerschaften auszuloten. Pro Unternehmen darf sich allerdings nur ein Teilnehmer zur Delegationsreise anmelden. Familienmitglieder inklusive? www.bayern-international.de Beautyworld Middle East 28. bis 30. Mai, Dubai, VAE Schöner neuer Orient: Über tausend Aussteller zeigen bei der größten Kosmetik- und Wellness-Messe der Region Gesicht. Alles für Haut, Haar(e), Nägel und Seele versammelt der Veranstalter, die Messe Frankfurt, im »Dubai International Convention and Exhibition Centre«. Der deutsche Pavillon wirbt mit deutscher Wohlfühlkultur von Kneipp bis Kölnisch Wasser. www.beautyworldme.com Windenergie in Ägypten 11. Juni 2013, Berlin Viel trauen Ökonomen und Unternehmer der gegenwärtigen Regierung Morsi in Ägypten in puncto Wirtschaftspolitik ja nicht zu. Aber wer auch immer 2020 im Präsidentenpalast in Heliopolis residiert, wird sich an den hehren Zielen messen lassen müssen, die bis dahin erreicht werden wollen: etwa 20 Prozent Stromanteil aus erneuerbaren Energien. Welche Rolle der Zweig-Campus der TU Berlin am Roten Meer oder der Projekt-Windpark Zafarana spielen können, loten Hersteller, Forscher und Kreditgeber bei der Veranstaltung im Berliner Haus der Deutschen Wirtschaft aus. www.mena-projektpartner.de 16th Arab-German Business Forum 12. bis 14. Juni 2013, Berlin, Deutschland Wahrlich, Bahrain hat es im Moment nicht einfach, zur normalen Messe- und Tagungsordnung zurückzukehren. Als Partnerland beim »Arab-German Business Forum« der Ghorfa kann sich das Golfemirat wieder von seiner besten (Wirtschafts-) Seite zeigen. Im Berliner Ritz Carlton drehen sich Fachpanels außerdem um Familienunternehmen oder auch Frauen in Führungspositionen. Ob das erste Panel auf dem Forum vom Partnerland vorgeschlagen wurde? – IT-Sicherheit. www.ghorfa.de 5. Deutsch-Angolanisches Wirtschaftsforum 2013 4. bis 5. Juni 2013, Luanda, Angola Angela Merkels Stippvisite in der ehemaligen portugiesischen Kolonie sorgte 2011 für viel Wirbel. Die Delegationsreise deutscher Wirtschaftsvertreter nach Angola lässt es etwas ruhiger angehen. Statt Tauschgeschäften von Patrouillenboten gegen Rohstoffe stehen Investitionen in Agrarwirtschaft und Baugewerbe im Mittelpunkt. Nach der Tagung in der Hauptstadt Luanda steht dann eine Reise in verschiedene Provinzen des Landes auf dem Programm. www.dawf.de Schreiben Sie uns: [email protected] Der deutsche Mittelstand im Irak ist leidge prüft. Warum sollte es Exportgiganten wie Siemens anders gehen? Anfang April ging folgende Nachricht durch die irakischen Medien: Das Elektrizitätsministerium ha be seine Zusammenarbeit mit Siemens mit sofortiger Wirkung ausgesetzt. Der Ton des Ministeriumssprechers klang wenig konzi liant: Siemens halte Verträge nicht ein und sei gewarnt gewesen. Das kommt einem »Blacklisting« des Konzerns gleich. Woran sich der Streit entzündete, bleibt vorerst un klar. Fest steht: Die Stromversorgung des Irak ist schlecht. Kaum 55 Prozent des Be darfs sind gedeckt – verlassen kann man sich in dem Land nur auf die »power cuts«. Ob Minister Karim Al-Jumaili – auf grund der Situation nicht gerade der belieb teste Politiker im Land – nur einen Sünden bock suchte? Oder war Siemens aufgrund der Sicherheitsbestimmungen wieder einmal nicht in der Lage gewesen, hochrangige Ma nager zu entsenden, um Probleme rechtzei tig zu entschärfen? Eigentlich lief es ja gut: Der türkische Arm von Siemens sollte ge meinsam mit Toyota Tsusho 24 neue Um spannwerke im Irak bauen. Im Herbst 2012 erging die Bestellung von vier Siemens-Gas turbinen und vier Generatoren für das Gas kraftwerk Khormala im Nordirak sowie für Hilfs- und Nebensysteme. Volumen: rund 100 Millionen Euro. Anfang Mai korrigierte Siemens die Gewinnerwartung für 2013 nach unten – auch das eher enttäuschende Geschäft in Schwellenländern trägt dazu bei. Kann Siemens von Bagdads schwarzer Liste bald wieder verschwinden? »Ein sym bolisches Schuldeingeständnis genügt, da mit der Minister sein Gesicht behält«, raten irakische Experten. Die Münchner Kon zernzentrale gibt sich indes eher mundfaul: »Im Zusammenhang mit einigen wenigen Projekten im Irak gibt es unterschiedliche Auffassungen zwischen den Vertragspart nern. Wir befinden uns derzeit in Gesprä chen mit dem irakischen Elektrizitätsmi nisterium, um diese vertraglichen Themen schnellstmöglich zu klären. Selbstver ständlich wird Siemens alle seine vertragli chen Verpflichtungen im Irak erfüllen«, so die Antwort auf Anfrage von zenith. dge 66 WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF Bildung & Beruf in der arabischen Welt In Zusammenarbeit mit der Europäisch-Arabischen Karriere- und Bildungsmesse KUBRI präsentiert zenith ein Special zum Thema Bildung und Beruf in der arabischen Welt. Die KUBRI 2013 findet vom 24. bis 25. Mai 2013 an der TU München (Campus Garching) statt. Weitere Informationen unter www.kubri.eu. Inhalt 68 Der Blick geht nach Deutschland Die Bildungslandschaft im Nahen Osten bietet große Chancen – für alle Seiten 70 Zwischen Luxusleben und moderner Sklaverei Arbeiten in Dubai: Erwartungen und Erfahrungen deutscher Expats 72 Bündnisse für Arbeit Ägypten benötigt mehr gut ausgebildete Facharbeiter 74 »Wir halten unseren Studenten im Ausland die Treue« Bahrains Verkehrsminister Kamal Bin Ahmed über Bildungsinitiativen 76 Renaissance des Wissens? Welche Probleme Tunesien und Ägypten bei der Modernisierung ihres Schulwesens überwinden müssen 80 Von Schnee wird man nicht blind Eine deutsche Klinik bildet Tunesier zu Kranken- und Gesundheitspflegern aus Impressum Verantwortlich für diese Sektion: KUBRI, EuroArab Centre for Education OHG, Regierungsplatz 539, 84028 Landshut; Leitung: Norbert Hoffmann, Ulrich Mayer (V.i.S.d.P.) Redaktion (zenith): Christian Meier, Mai-Britt Wulf BILDUNG & BERUF · KUBRI-SPECIAL · WIRTSCHAFT Auf Scheich Tahtawis Spuren Anders als im 19. Jahrhundert funktioniert der Bildungsaustausch zwischen Europa und der arabischen Welt heute in mehrere Richtungen. Daraus ergeben sich zahlreiche Chancen • Es gab schon einmal eine Zeit, in der europäisches Wis sen in den Ländern des Nahen Ostens äußerst gefragt war. Mit den Studiendelegationen, die der ambitionierte ägyptische Herrscher Muhammad Ali ab den 1820er Jah ren nach Europa schickte, setzte ein Prozess des Bil dungs- und Technologietransfers ein, der in den folgen den Jahrzehnten beträchtlich zur Umgestaltung und Modernisierung der arabischen Welt beitrug. Europa war für viele im Nahen Osten damals Vor bild; umso mehr, als sie ihre Schwäche im Vergleich zu den reichen Nachbarn im Norden bemerkten. Die Reise berichte des ägyptischen Gelehrten Rifaat al-Tahtawi, der die Jahre 1826 bis 1831 als Teilnehmer einer Studien gruppe in Paris verbrachte, legen bis heute beredtes Zeugnis von dieser Neugierde ab, die jedoch immer mit kulturellem Selbstbewusstsein gepaart war. So hielt der junge Scheich nichts von der vielgerühmten Pariser Cui sine: Dem Essen der Franzosen »mangelt es an Würzig keit«, urteilte er. Und unter dem verfügbaren Obst ge stand er lediglich Pfirsichen zu, süß genug zu sein. Nach seiner Rückkehr Ägypten gründete Tahtawi 1835 die erste moderne Sprachenschule des Landes und übersetzte selbst zahlreiche wissenschaftliche und phi losophische Werke ins Arabische. Die Faszination seiner Generation schlug wenige Jahrzehnte später jedoch teil weise in Abneigung um – einhergehend mit den immer unverhohleneren und unverfroreneren Ansprüchen eu ropäischer Staaten auf politische und wirtschaftliche Dominanz im Nahen Osten. Gleichzeitig war die Region bereits tief mit westlichen Ideen und Konzepten impräg niert, war der Grundstein für eine Bildungselite nach eu ropäischem Modell gelegt. Gewiss beförderte dies den Fortschritt in der seinerzeit zum großen Teil noch osma nisch beherrschten nahöstlichen Welt. Aber es führte auch zu einer zunehmenden Zweiteilung der Gesell schaften und zu einem gespaltenen Verhältnis gegenüber dem Westen. Heute soll Bildungs- und Technologietransfer daher nicht mehr nur die Eliten erreichen: Im Rahmen der Ent wicklungszusammenarbeit werden besonders praxisna he Ausbildungen gefördert, die an die Erfordernisse des Arbeitsmarkts angepasst sind – nach dem Motto: Mecha niker statt Akademiker. Das duale deutsche Ausbildungs system wird dabei zunehmend zum Markenprodukt. Aber auch immer mehr Universitäten in der arabischen Welt orientieren sich – wieder – an westlichen Standards: Da sind etwa die Franchise-Gründungen amerikani scher und britischer Elite-Unis in den Golfstaaten zu nennen, aber auch Projekte wie die German University in Cairo (GUC), die German-Jordanian University (GJU) in Amman oder die im Oman beheimatete German Univer sity of Technology (GUTech). Wenige Jahre nach dem Schock des »Arab Human Development Reports« – der der Region bescheinigte, im Bildungsbereich glatt das Klassenziel verfehlt zu haben – wird in den arabischen Ländern so viel in Bildung investiert wie nie zuvor. Sau di-Arabien beispielsweise hat 2012 umgerechnet 45 Mil liarden US-Dollar für Bildungsmaßnahmen vorgesehen, fast ein Viertel seines Gesamthaushalts. Das ist aber auch notwendig angesichts der Bevölkerungsstrukturen in den jungen arabischen Gesellschaften. Dies alles eröffnet nicht zuletzt deutschen Bildungs anbietern neue Möglichkeiten: »Die deutsche Industrie und deutsche Produkte haben in den arabischen Län dern einen ausgezeichneten Ruf«, sagt Silvia Niediek von der Agentur iMOVE, die deutsche Bildungsanbieter in ternational vernetzt. Neben Ausbildung in technischen Disziplinen seien auch Verkaufstrainings, Manage ment-Weiterbildungen und Event-Organisation sehr ge fragt. »Ein besonderer Fokus liegt im arabischen Raum auf dem Sektor der Erneuerbaren Energien«, so Niediek. Chancen ergeben sich aber nicht nur für Bildungsex porteure, sondern auch für die Importeure von Arbeits kraft: Auch deutsche Unternehmen werden in Zukunft immer mehr Angestellte mit Migrationshintergrund ha ben. Während es umgekehrt zunehmend auch Deutsche in den Nahen und Mittleren Osten zieht. Denn das ist ein gewichtiger Unterschied zu Tahtawis Zeiten: Geld, exzel lente Arbeitsbedingungen und gute Karrierechancen für junge Arbeitnehmer locken nicht mehr nur im Westen, sondern gleichermaßen in den reichen Staaten der Golf region. Der Kulturschock, der den jungen Scheich Rifaat angesichts der Sitten der Franzosen ereilte, dürfte bei so manchem Expat in Dubai oder Abu Dhabi auch umge kehrt nicht ausbleiben. Mit einem gewichtigen Unter schied: Zu wenig gewürzt zu sein, wird man arabischem Essen gewiss nicht vorwerfen können. • chm 67 68 WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF Der Blick geht nach Deutschland Die Bildungslandschaft im Nahen Osten bietet große Chancen – sowohl für die junge arabische Generation als auch für deutsche Hochschulen Von Renate Dieterich • Nahezu die Hälfte der Bevölkerung in der arabischen Welt ist jünger als 25 Jahre und damit im entscheidenden Alter für eine akademische Ausbildung. Investitionen in die Bildungseinrich tungen von heute zahlen sich zukünftig mit hoher Rendite aus, wenn qualifizierte Absolventen auf den Arbeitsmarkt strömen. Die Hochschulsysteme der arabischen Welt können den Ansturm jedoch alleine nicht bewältigen – zu groß sind die finanziellen wie inhaltlichen Herausforderungen. Deutschland ist nicht nur als Studienstandort begehrt, son dern auch als Partner für die akademische Zusammenarbeit. Vie le deutsche Hochschulen sind seit langem in der Region aktiv, mit Kooperationsprojekten, gemeinsamen Studiengängen, Ausgrün dungen oder gar mit Großprojekten zum Auf- und Ausbau deut scher Hochschulen im Ausland. Der Deutsche Akademische Aus tauschdienst (DAAD) steht ihnen dabei mit passgenauen Pro grammen und als Ratgeber zur Seite. Seit Jahrzehnten verfügt der DAAD über ein engmaschiges Netzwerk in der arabischen Welt. Seine Außenstelle in Kairo in formiert, berät und vermittelt bereits seit 1960 deutsche wie ägyptische Hochschulinteressenten. Neben Saudi-Arabien, Oman und Kuwait haben auch die Vereinigten Arabischen Emira te inzwischen Vereinbarungen mit dem DAAD abgeschlossen, um in Regierungsstipendienprogrammen Studierende nach Deutsch land zu schicken. Besonderes Interesse besteht an ingenieurwis senschaftlichen und medizinischen Studiengängen, aber auch Deutsch als Fremdsprache wird nachgefragt. Die Hochschulsysteme der arabischen Welt werden den Ansturm der nächsten Jahre nicht alleine bewältigen können – zu groß sind die Herausforderungen Das wachsende Interesse aus und an der arabischen Welt schlägt sich in eindrucksvollem Budgetwachstum nieder: So haben sich die Ausgaben des DAAD für die Region seit 2000 mehr als ver dreifacht, auf mittlerweile über 25 Millionen Euro. Die Deutsch- Arabische Transformationspartnerschaft des DAAD, durch die seit 2012 jährlich zusätzlich 7,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, bietet exzellente Chancen für den weiteren Aus bau der akademischen Beziehungen – und der Wunsch danach ist bei den Partnern deutlich spürbar: In Tunesien etwa reicht, nach dem Sturz des alten Regimes, der Blick vielfach über den traditio nellen Partner Frankreich hinaus hin zu anderen europäischen Staaten. Deutschland gehört hier zu den begehrten Zielen. Schon seit rund 30 Jahren betreut der DAAD ein Jungingeni eursprogramm für tunesische Abiturienten. Die Transformati onspartnerschaft hat das Förderspektrum erweitert: So koope rieren tunesische und deutsche Hochschulen beim Aufbau eines kinderkardiologischen Masterstudiengangs oder bei der Förde rung unternehmerischer Qualifikationen von Absolventen im IT-Bereich. Auch im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaf ten gibt es eine ambitionierte Zusammenarbeit, unter anderem zum Aufbau einer Forschungsgruppe »Tunesien im Wandel« und der Etablierung eines Forschungsprojekts »Verantwortung, Ge rechtigkeit, Erinnerungskultur«. Für die Entwicklung in der Region wird es e ntscheidend sein, ob den Menschen ein berufliches und wirtschaftliches Fort kommen ermöglicht wird Stets im Blick ist dabei die Frage der Beschäftigungsfähigkeit: Absolventen sollen nicht nur Fachwissen erwerben, sondern auch fit gemacht werden für die Herausforderungen eines globalisier ten Arbeitsmarktes. Ob für lokale oder internationale Firmen, ob in Forschung, Lehre oder im Rahmen der Zivilgesellschaft – überall ist aktuelles Wissen ebenso gefragt wie die Bereitschaft, die eigenen Fähigkeiten lebenslang fortzuentwickeln. Hohe Akademikerarbeitslosigkeit war ein wichtiger Aspekt des Arabischen Frühlings. Für die Entwicklung in der Region wird es eine entscheidende Rolle spielen, ob es gelingt, diese Be völkerungsgruppen zum einen strukturell in Entscheidungspro zesse einzubinden, ihnen zum anderen aber auch berufliches und wirtschaftliches Fortkommen zu ermöglichen. Die Signale dazu sind gemischt: Während sich neue Akteure stärker als bislang in öffentliche Debatten einbringen können, scheuen die nationalen Führungen oft zurück, wenn es um klare Positionierungen in ge sellschaftlichen Konflikten geht, und überlassen die Akteure weitgehend sich selbst. Dies trifft vor allem auf das Ringen zwi schen islamistischen und nichtreligiös agierenden Gruppen zu. Eine sich zuspitzende ökonomische Krise verschärft diese heikle Situation weiter. Der Hochschulbereich profitiert in dieser Situation besonders stark von einer vertrauensvollen Zusammen arbeit mit externen Partnern. Dazu braucht es eine kritische Be gleitung und offene Diskussion, vor allem aber Kontinuität und Stabilität der Beziehungen. Nur so kann die arabische Welt interna tional den akademischen und wirtschaftlichen Anschluss finden. • Dr. Renate Dieterich studierte Islamwissenschaft und promovierte über die jordanische Demokratisierungspolitik der 1990er Jahre. Beim DAAD leitet sie das Referat »Deutsch-Arabische Transformationspartnerschaften – Kulturdialog«. THEMA · LANDISTAN · POLITIK 69 70 WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF Zwischen Luxusleben und moderner Sklaverei Erwartungen und Erfahrungen deutscher Expats. Zwei Beispiele aus der Hotelbranche in Dubai Interviews: MBW »Dubai ist eine Chance« ationen. In irgendein Fettnäpfchen tritt man immer. Ein gesun des Bauchgefühl hilft am besten. Und ich habe 18 Passfotos im Ge päck. Wofür brauchen Sie so viele Passfotos? Das Visum wird nor malerweise vom Arbeitgeber bezahlt. Aber zunächst wird nur ein vorläufiges Visum ausgestellt. Bei der Einreise in die Emirate braucht man die vielen Passfotos für die weitere Bearbeitung des Visums, außerdem muss man sich einem Gesundheitscheck un terziehen. Welche Erwartungen haben Sie? Ich verspreche mir einen sehr internationalen Markt, auf dem ich viele Erfahrungen sammeln werde. Aber ich mache mir keine Illusionen: Ich weiß, dass ich für den Erfolg viel arbeiten muss. Trotzdem sind die schnellen Auf stiegschancen verlockend. Zudem kann ich mir ein gutes Netz werk aufbauen. Dubai ist ein Dreh- und Angelpunkt für viele Bran chen. »Einmal im Jahr steht eine Beförderung an« Wie bereiten Sie sich vor? Ich denke, man kann sich nicht auf Dubai vorbereiten. Bei den zahlreichen verschiedenen Kulturen, die dort aufeinander treffen, entstehen halt unkalkulierbare Situ Wie stellen Sie sich Ihre Freizeit in Dubai vor? Dubai ist eine künstliche Welt und alles spielt sich drinnen ab. Ich bin sicher, dass ich nach einiger Zeit frustriert und gelangweilt sein werde. Ein kulturelles Angebot, wie wir es aus Deutschland kennen, also Mu seen und Theater, befindet sich erst im Aufbau. Mir bleiben also nur Einkaufszentren, Kinos und Indoor-Skihallen. Caroline Laatz hat in Bad Honnef Internationales Hotelmanagement studiert und bereits während des Studiums ein Praktikum in Dubai absolviert. Im Frühsommer tritt sie dort eine neue Stelle an. Foto: privat zenith: Was zieht Sie nach Dubai? Caroline Laatz: Ich sehe Du bai als eine Chance, die sich mir bietet. Das Emirat hat Wachs tumsraten von 30 Prozent in der Hotellerie – und der Markt ist noch lange nicht gesättigt. Außerdem braucht man in Deutschland deutlich länger, um gewisse Positionen zu erreichen. In Dubai kann man nach einem halben bis einem Jahr bereits befördert wer den, eine Beförderung einmal im Jahr wird regelrecht erwartet. Wer Hotelmanagement studiert hat, will sich im gehobenen Seg ment bewegen, also in den Fünfsternehotels. In Dubai hat man die Wahl, denn alle großen Ketten sind vertreten. Ihr Arbeitsvertrag ist zunächst auf zwei Jahre begrenzt. Was kommt danach? Möchten Sie länger in Dubai bleiben? Die Branche ist schnelllebig, es kann sich alles ergeben. Langfristig steht für mich aber fest, dass ich zurück nach Europa möchte. Aber erst wenn ich eine gewisse Position erreicht habe. BILDUNG & BERUF · KUBRI-SPECIAL · WIRTSCHAFT 71 und ich haben zwei Jahre lang am Golf gelebt, aber wir hatten kei ne Zeit zu reisen. Wir mussten immer für die Firma verfügbar sein. »Es gibt keinen globaleren Ort auf der Welt« Was ist Ihnen in guter Erinnerung geblieben? Wir haben das erste Dubaier Oktoberfest veranstaltet. Dazu engagierten wir ei ne Band aus dem Hackerzelt und servierten Bier und Brezeln. Die Stimmung war genau wie in München, obwohl wir mitten in der Wüste waren. Wie unterschied sich Ihr Alltag dort vom Alltag in Europa? Das Expat-Leben spielt sich in den Hotels ab. Die Angestellten wohnen in eigenen Hotel-Dörfern, mit Supermarkt, Swimming pool und Restaurants. Einerseits ist das positiv, weil Wohnraum in Dubai sehr teuer ist. Andererseits war ich nie allein, weil wir al le auf einem Gelände gewohnt haben. Im Waschsalon stand plötz lich mein Kellner oder am Pool lag mein Chef. Möglichkeiten zur Freizeitbeschäftigung sind sehr eingeschränkt. Auch die glitzern den Einkaufszentren sind irgendwann langweilig. An meinem frei en Tag war ich meist erschöpft und wollte nur am Pool liegen. Auf welche Probleme stießen Sie bei der Arbeit? Die Tischver gabe ist eine heikle Angelegenheit in Dubai. Ich habe schnell ge lernt, dass man zwei indische Reservierungen nie in die gleiche Sektion des Restaurants setzen sollte. Entweder verstehen sie sich super und es wird laut, oder sie streiten sich und es wird laut. Bei den Russen macht man es andersherrum: Man setzt sie nahe bei einander. Wenn man Glück hat, dann entsteht ein Show-Off und die Russen wollen zeigen, wer mehr Geld im Restaurant liegen lässt. Das steigert den Umsatz. zenith: Warum sind Sie nach Dubai gegangen? Timo Hayen: Dubai ist ein Sprungbrett in der Hotellerie. Alle großen Führungs kräfte meines damaligen Arbeitgebers haben mal dort gearbeitet. Mir wurde gesagt, wenn ich eine Karriere mit der Firma plane, dann muss ich nach Dubai. Was ist denn das Besondere an dem Standort? Es gibt keinen globaleren Ort auf der Welt. In unserem Hotel haben 120 bis 130 verschiedene Nationalitäten gearbeitet. Innerhalb kürzester Zeit habe ich verstanden, was ein Begriff wie interkulturelle Kompe tenz in der Praxis wirklich bedeutet. Außerdem versuchen die Ho tels in Dubai ständig, sich gegenseitig zu übertrumpfen; so ist ein interessanter, dynamischer Markt entstanden. Und die Emirate haben westliche Verhältnisse. Je weiter man nach Osten geht, des to krasser wird der Kulturschock. Foto: privat Trotz Wüste und Scheichs hatten Sie keinen Kulturschock? Nein. Ich habe mich einfach angepasst. Die Einkaufsmeilen, Ho tels oder Straßen, das ist nichts Neues für einen Europäer. Ich musste weder auf guten Wein noch auf Schweinefleisch oder Schwarzbrot verzichten. Aber alles hat seinen Preis. Welche Schattenseiten hat das Leben in Dubai? In Dubai herr schen andere Vorstellungen vom Berufsleben, die ich manchmal als moderne Versklavung bezeichnete. Ich arbeitete sechs Tage die Woche mindestens zwölf Stunden am Tag – oft war es mehr. Und anfangs verdiente ich 500 US-Dollar im Monat. Um ein Haar hätte man mir fast keine Flitterwochen genehmigt. Meine Frau »In Europa hätte ich niemals solche Chancen bekommen« Haben sie beruflich von Ihrer Zeit dort profitiert? Ja. Die Fachkenntnisse über Essen, Personalwesen und Führungsstil, das lässt sich in Europa in so kurzer Zeit nicht lernen. Ich habe gelernt, in anderen Dimensionen zu denken – beruflich wie menschlich. Zum Beispiel hat Trinkgeld eine ganz andere Bedeutung in Dubai. Einer meiner liebsten Mitarbeiter kam von den Philippinen. Er schickte jeden Monat sein gesamtes Gehalt nach Hause. Einzig das Trinkgeld behielt er für sich, denn davon hat er gelebt. Hier in Zü rich arbeitet keiner meiner Mitarbeiter, um seine Familie zu er nähren. Was war Ihre größte Herausforderung? Neben der Organisa tion des Oktoberfests bekam ich den Auftrag, eine Bar neu zu er öffnen. Es war meine Aufgabe, den Laden zum Laufen zu bringen. Innerhalb kürzester Zeit musste ich zum Marketingexperten wer den, meine Mitarbeiter trainieren und ein Konzept entwickeln. Solche Chancen und Verantwortung hätte ich in Europa nicht be kommen. Aber obwohl ich viel von meiner Zeit in Dubai profitiert habe, habe ich es gehasst. Timo Hayen arbeitete zwei Jahre in Dubai als Restaurantleiter in einer großen Hotelkette. Im Sommer 2012 verließ er das Emirat und ist seitdem als Bankettleiter in einem Züricher Hotel tätig. 72 WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF Bündnisse für Arbeit Die Berufsausbildung zu stärken, ist ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungs zusammenarbeit in Ägypten. Denn noch zu selten passen Qualifikationen und Anforde rungen auf dem Arbeitsmarkt zusammen Von Christian Meier land engagiert sich aber nach wie vor und mit einer Vielzahl von Programmen in der Berufsausbildung in dem Land. Denn die ho he Zahl von Arbeitssuchenden ist nur eine Seite der Medaille: Landauf, landab klagen Firmen über das schlechte Ausbildungs niveau von Berufsschulabgängern. Auch in der aktuellen »Marktstudie Ägypten« der deutschen Agentur iMOVE heißt es: »Reformen müssen in vielen Bereichen ansetzen: bei veralteten Einrichtungen und Lehrmethoden, dem niedrigen Qualifikationsniveau der Lehrkräfte, fehlender Weiter bildung der Ausbilderinnen und Ausbilder, einem Lehrplan, der dem aktuellen Entwicklungsstand und den Ansprüchen der In dustrie hinterherhinkt, und mangelnder Kooperation mit dem Privatsektor, für den eigentlich ausgebildet werden soll.« Dem entsprechend haben die Berufsschulen einen sehr schlechten Ruf – dabei sind gerade gut ausgebildete Facharbeiter zentral für eine Volkswirtschaft wie diejenige Ägyptens. Der Jobmangel in Ägypten ist nur eine Seite der Medaille: Firmen beklagen das schlechte Ausbildungsniveau der Berufsschulen • Auf den Schildern in der Kairoer Metro ist er ausgekratzt – der Name der Station »Mubarak«; dort steht nun handschriftlich »Märtyrer«. Anderswo ist der 2011 gestürzte Präsident dagegen nach wie vor präsent, und das auch noch gemeinsam mit einem Deutschen, dessen Regierungszeit gefühlt ebenfalls Jahrzehnte zurückliegt: Von der »Mubarak-Kohl-Initiative« (MKI) spricht man in Ägypten bis heute, obwohl das Programm selbst mittler weile einen anderen, recht bürokratischen Namen trägt. Das liegt vermutlich nicht nur an dem guten Ruf, den alles Deutsche am Nil genießt, sondern auch an dem Erfolg des Pro gramms. Die MKI – heute heißt sie »National Technical & Vocati onal Education and Training Program« (NTVET) – versucht, das deutsche duale Ausbildungssystem in Ägypten zu verankern. Un ter Federführung der heutigen Deutschen Gesellschaft für Inter nationale Zusammenarbeit (GIZ) werden seit 1994 junge Ägypter zwei Tage pro Woche an Berufsschulen und zugleich vier Tage pro Woche in Betrieben praktisch ausgebildet. Im Vergleich zu »nor malen« Absolventen der technischen Berufsschulen haben die Absolventen zumeist bessere Jobaussichten – ein wichtiger Vor teil auf Ägyptens Arbeitsmarkt, wo die Unter-30-Jährigen inzwi schen knapp 90 Prozent der Arbeitslosen ausmachen –, und ihr Verdienst liegt um 20 bis 30 Prozent höher. 2008 übernahm der ägyptische Staat die MKI, die bis dato mehrere zehntausend Absolventen hervorgebracht hat. Deutsch Die Bedürfnisse von Arbeitgebern stärker mit der beruflichen Ausbildung zur Deckung zu bringen, bleibt daher auch ein Schwerpunkt der deutschen Aktivitäten. Allen voran der GIZ. Die hat beispielsweise einen »National Employment Pact« aufgelegt, der wie ein großes Arbeitsvermittlungszentrum funktioniert und dabei auch die Privatwirtschaft stärker in die Pflicht nehmen will. Ob der »Beschäftigungspakt« trägt, muss sich aber erst noch erweisen – vorherigen Versuchen der GIZ, Arbeitssuchende in of fenen Stellen unterzubringen, war jedenfalls ähnlich viel Erfolg beschieden wie seinerzeit Helmut Kohls »Bündnis für Arbeit«. Neben den staatlichen Entwicklungshelfern sind weitere deutsche Akteure auf dem Feld der Berufsbildung in Ägypten prä sent. Insbesondere seit das Auswärtige Amt im Rahmen der Transformationspartnerschaft 100 Millionen Euro zur Verfü gung gestellt hat, von denen ein Großteil für den Bildungsbereich bestimmt ist, sind Zahl und Volumen der Projekte gestiegen. Die deutsche NGO Global Project Partners (GPP) etwa widmet sich vier zentralen Bereichen der Berufsausbildung: Baubranche, Kfz-Mechatronik, Tourismus und Möbelherstellung. »Unsere Programme sind genau an die Gegebenheiten in Ägypten ange passt«, sagt Fatima Giuliano, die als Projektmanagerin für den Verein arbeitet. Beispielsweise in der Automobilbranche: »In Ägypten gibt es enorm viele Kfz-Mechaniker, die gut herum schrauben können, aber überhaupt nicht mit den neuen Techno logien klarkommen, die heute in Autos stecken.« Daher gründet GPP nun ein Ausbildungszentrum für Kfz- Mechatroniker – ein Beruf, den es in Ägypten bislang nicht gab. Natürlich wiederum nach dem deutschen Modell: eine dreijährige Ausbildung, die Theorie und Praxis verbindet. Der ägyptische Daimler-Ableger Mercedes Benz Egypt beteiligt sich als privat wirtschaftlicher Partner. 20 bis 25 junge Fachkräfte sollen so bald jedes Jahr ausgebildet werden. Nicht alle von ihnen wird der Luxuskarossenbauer selbst einstellen. Dass die übrigen lange be schäftigungslos bleiben werden, ist angesichts der Straßenver hältnisse in Ägypten allerdings unwahrscheinlich. • THEMA · LANDISTAN · POLITIK 73 Hier wächst was. Der Erfolg von internationalen Kooperationen ist in hohem Maße von dem Verständnis der Interessen, des Potenzials und des kulturellen Kontextes der jeweiligen Partner abhängig. Auch in der deutsch-arabischen Entwicklungszusammenarbeit haben sich in den letzten Jahren die Inhalte zunehmend von der fachlich-technischen Ebene hin zu übergreifenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fragestellungen • „Integrated Water Resources Management (IWRM)“, an der Fachhochschule Köln und der University of Jordan, Jordanien www.iwrm-master.info erweitert. Lebanese American University Beirut, Libanon www.uni-marburg.de/fb02/emea • „Economics of the Middle East (EMEA)“ an der Universität Marburg und der Deshalb unterstützen GIZ und der DAAD den Aufbau von bikulturellen Masterprogrammen mit arabischen Ländern. Deutsche und arabische Studierende erwerben • „Renewable Energy and Energy Efficiency for the MENA Region hier nicht nur aktuelles Fachwissen, sondern auch regionales Wissen und interkulturelle Kommunikationsfähigkeit. (REMENA)“, an der Universität Kassel und der Cairo University, Ägypten www.uni-kassel.de/remena Folgende bikulturelle Masterstudiengänge werden im Rahmen dieses Programms bisher gefördert: • „International Education Management (INEMA)“, an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und der Helwan University, Ägypten www.inema-master.com 74 WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF »Wir halten unseren Studenten im Ausland die Treue« Der bahrainische Verkehrsminister Kamal Bin Ahmed über Bildungsinitiativen und Frauenförderung in dem Königreich Kritiker werfen Bahrain vor, seinen Studenten den Zugang zu Bildung als Strafmaßnahme zu verwehren, wenn sie sich an Protesten gegen das Könighaus beteiligen. Im März 2011 wurden etwa zehn Prozent der Studenten, die im Ausland studieren, die Stipendien gekürzt. Ihnen wurde vorgeworfen, an Demonstrationen gegen die Herrscherfamilie teilgenommen zu haben. Bahrain hält seinen Studenten, die im Aus land studieren, die Treue und unterstützt sie weiterhin. Was Sie hier ansprechen, waren außergewöhnliche Umstände, auf die mit kurzzeitigen Maßnahmen reagiert wurde. Alle Studenten, denen ein Stipendium gewährt wurde, werden weiterhin von der Regie rung finanziell unterstützt, bis sie ihr Studium beenden. Das Kö nigreich gewährt jedes Jahr Hunderten von Studenten eine För derung. »Bahrain will den kulturellen Austausch mit dem Ausland fördern« zenith: Bahrain hat das älteste öffentliche Bildungssystem am Golf, das es beständig ausbaut. Welche Bildungsinitiativen hat das Land in den letzten Jahren gestartet? Kamal Bin Ahmed: Nahezu elf Prozent aller staatlichen Ausgaben fließen in den Bildungsbereich. Aktuell wurden Programme zur Lehreraus bildung, eine Fachhochschule, Verbesserungen der weiterführen den Ausbildung und eine Institution zur Qualitätskontrolle ein geführt, um den Bildungsstandard weiter zu heben. Außerdem ar beiten wir daran, die Fähigkeiten unserer Fachkräfte zu verbes sern, wobei wir mit der deutschen GIZ kooperieren. Immerhin werden in den nächsten zehn Jahren rund 100.000 Bahrainis neu auf den Arbeitsmarkt kommen. Wie sieht die Zusammenarbeit mit Deutschland aus? Zum gegenwärtigen Zeitpunkt operieren mehr als 50 deutsche Firmen und Einrichtungen im Königreich. 2011 schufen das Economic Development Board und unsere Entwicklungsorganisation Tamkeen gemeinsam ein Programm zur Arbeitsvermittlung. Deutsche Fir men wie Hochtief oder BASF nehmen an dem Programm teil. Wir wollen so den kulturellen Austausch fördern und es Universitäts absolventen ermöglichen, praktische Arbeitserfahrung mit wich tigen Handelspartnern im Ausland zu sammeln und eine neue Sprache zu lernen. Das Ziel dieses Programms ist es, Kandidaten mit der notwendigen Expertise und Fähigkeiten auszubilden, so dass sie nach ihrer Rückkehr bedeutende Positionen in Firmen übernehmen können. Interview: mbw Kamal Bin Ahmed ist Geschäftsführer des Bahrain Economic Development Board, der zentralen wirtschaftlichen Planungsbehörde des Königreichs. Seit Februar 2012 ist er zudem Verkehrsminister. Foto: Bahrain Economic Development Board Etwa 70 Prozent der Studenten an Bahrains Universitäten sind Frauen. Mit welchen Strategien unterstützt Bahrain die Absolventinnen beim Eintritt in den Arbeitsmarkt? Laut ei ner Studie des Economist erreichte Bahrain Platz zwei im Nahen Osten, was den Zugang von Frauen zu Bildung und Ausbildung an geht. 37 Prozent der Beschäftigten im lokalen Finanzsektor sind beispielsweise weiblich. Die Bemühungen, Frauen weiter zu för dern, stellen einen wichtigen Bestandteil vieler staatlicher Pro gramme dar. Bis heute wurden mehr als 14.000 Frauen durch ver schiedene staatliche Programme unterstützt. Die Förderung be läuft sich auf eine Summe von 25 Millionen Bahrainischen Dinar – etwa 50 Millionen Euro. THEMA · LANDISTAN · POLITIK Anzeige 75 Bildung exportieren – Wirtschaft stärken Fachkräftesicherung mit dem dualen Ausbildungssystem Sie sind interessiert an einer Kooperation? Dann besuchen Sie uns auf der Messe KUBRI. 24.-25. Mai 2013 Technische Universität München Das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft hat sich dazu verpflichtet, Unternehmen bei der Fachkräftesicherung und bei der Personalentwicklung zu unterstützen – in Bayern und weltweit. Eines der neuesten Projekte ist der „Beschäftigungspakt Tunesien“: Seit 2012 engagiert sich das bbw dafür, das deutsche Ausbildungssystem nach Ansätzen der dualen Ausbildung nach Tunesien zu exportieren, um dort dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Hintergrund: Viele deutsche Unternehmen führen Niederlassungen in Tunesien, das aufgrund seiner geografischen Nähe und der Freihandelszone einer der wichtigsten Wirtschaftsstandorte in Nordafrika ist. Doch die dortige Berufsausbildung ist nicht am Bedarf der Wirtschaft ausgerichtet und bringt dementsprechend wenig ausreichend qualifizierte Facharbeiter hervor. Idee: Tunesische Ausbilder und Berufsschullehrer besuchen gemeinsam Schulungen in Deutschland und Tunesien. Während der Fortbildung stärken sie ihre persönlichen, didaktischen, methodischen und technischen Kompetenzen. In den tunesischen Niederlassungen von bayerischen Betrieben wird schrittweise ein duales Ausbildungssystem nach deutschem Vorbild eingeführt, zudem werden die tunesischen Berufsschulen neu ausgestattet, um den technischen Anforderungen zu entsprechen. Ziel: Die geschulten tunesischen Lehrkräfte fungieren als Multiplikatoren. Sie vermitteln an Schulen und Betrieben eine fachliche duale Ausbildung, qualifizieren neue Fachkräfte und sorgen damit für eine kontinuierliche, nachhaltige Umstellung des Ausbildungssystems. Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw) gGmbH, Infanteriestraße 8, 80797 München, Ansprechpartnerin Carina Simon, Telefon 089 44108-417, E-Mail: [email protected] Aktuell bietet das bbw Schulungen im Bereich Metall, Elektro und Textil an. Das Projekt „Beschäftigungspakt Tunesien“ wird von der Entwicklungsorganisation sequa koordiniert, vom Auswärtigen Amt finanziert und von tunesischen Behörden sowie Arbeitgeberverbänden beider Länder unterstützt. Persönliche Beratung unter Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft Carina Simon Telefon: 089 44108-417 E-Mail: [email protected] Seit 1969 führt das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft erfolgreich Qualifizierungsmaßnahmen für Unternehmen im In- und Ausland durch. Als Dienstleister der Wirtschaft entwickelt es individuelle Angebote, die sich am Bedarf der Unternehmen und an den wachsenden Anforderungen der Wirtschaft orientieren. Dazu gehören die Bereiche Führungskräfte-, Personal- und Organisationsentwicklung, Training, Beratung und Coaching, Prozessbegleitung, Kompetenzmanagement, Inhouse-Seminare, berufsbegleitende Weiterbildung und Lehrgänge, Seminare für Ausbilder und Auszubildende und Fort- und Weiterbildung für Betriebsräte. WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF Renaissance des Wissens? Ägypten und Tunesien haben Bildungsinitiativen ausgerufen. Dem stehen allerdings Probleme wie mangelnde Schulausstattung und veraltete Lehr methoden entgegen. Das Goethe-Institut kann hier helfen Von Heike Thee Transformation des Bildungswesens: Auf Einladung des Goethe-Instituts wurden im Dezember 2012 Mitarbeiter der Nationalen Ägyptischen Lehrerakademie für Schulleiterqualifikationen geschult. Foto: Goethe Institut 76 BILDUNG & BERUF · KUBRI-SPECIAL · WIRTSCHAFT • Die Revolutionen in Ägypten und Tunesien im Winter 2010/2011 wurden hauptsächlich von den unter 30-Jäh rigen getragen, die in Ägypten mehr als 60 Prozent und in Tunesien knapp 55 Prozent der Bevölkerung ausma chen. Unter dieser jungen Bevölkerungsgruppe herrscht eine besonders hohe Arbeitslosenquote – in Ägypten ha ben 90 Prozent und in Tunesien 72 Prozent von ihnen keinen Job. Und das, obwohl jeder zweite einen höheren Bildungsabschluss besitzt. Während es diesen jungen Menschen vor den Revo lutionen nicht möglich war, auf ihre problematische Situ ation aufmerksam zu machen, haben sie durch den Ara bischen Frühling eine Stimme bekommen, die nicht mehr überhört werden kann. So haben sich beispielsweise zahl reiche politische Gruppierungen und sozialgesellschaft liche Verbände gebildet. Doch um auf die Gesellschafts strukturen nachhaltig einwirken zu können, müssen die se sich liberalisieren – denn sie legen den Handlungsspiel raum für solche Initiativen fest. Bildung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Denn schon lange geht es bei Schulbildung nicht nur um den Er werb von Wissen. Vielmehr sind Schulen die Orte, in de nen über die Lehrkräfte Werte vermittelt und Meinungen geprägt werden. Schulen sind Orte, in denen Werte ver mittelt und Meinungen geprägt werden Die ägyptische Regierung unter dem Präsidenten Moha med Morsi hat eine »nahda« der ägyptischen Bildung an gekündigt. Auch die derzeit stärkste Partei in Tunesien, die islamistische »Ennahda«, trägt diesen Begriff nicht nur in ihrem Parteinamen, sondern auch als Programm vor sich her. Das arabische Wort »nahda« kann auf zwei verschiedene Arten interpretiert werden: Es kann ent weder einfach als »Entwicklung und Fortschritt« ver standen werden – oder aber als »islamische Renaissan ce«, also als Entwicklungsstrategie, die stärker durch Religion bestimmt ist. Wie dem auch sei: Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass eine nachhaltige »nahda« – egal in welcher Spielart – in Tunesien oder in Ägypten entwickelt oder gar umgesetzt worden wäre. Der Hauptgrund dafür sind die vielseitigen Probleme, die sich einer nachhaltigen Reform des Bildungssystems entgegenstellen. Im Falle Ägyptens etwa gibt es in den Ballungsräumen, aber auch in ländlichen Gebieten nicht ausreichend Bildungsinstitutionen. Lange Schulwege, überfüllte Klassen und häufiges Fehlen sind direkte Kon » 77 78 WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF » sequenzen. Außerdem sind – in Ägypten genauso wie in zess zu überdenken und neue Methoden zu erlernen. Ein Fokus dieser Programme sind Lehrkräfte des Fa Tunesien – bestehende Schulen oft unzureichend ausge stattet. Dies bezieht sich auf die Grundausstattung von ches Deutsch. Gerade junge Lehrer, die frisch von der Uni Klassenräumen wie auch auf die technischen Hilfsmittel, versität kommen, werden im Unterrichtsalltag mit zahl die gerade für den Fremdsprachenunterricht wichtig sind. reichen Herausforderungen konfrontiert. Das Goethe-In Davon abgesehen sind stitut versucht diese Lehrer auch die verwendeten Unter in kommunikativen Unter richtsformen längst nicht richtsmethoden zu schulen. mehr zeitgemäß. Auswendig Auch in anderen Fachberei lernen, Rezitieren und die chen besteht Bedarf an Fort Nichteinbindung der Schüler bildungen. So engagiert sich in das Unterrichtsgeschehen das Goethe-Institut Kairo So viele Studenten in Ägypten glauben, dass ihre nun auch im Fachbereich Ge sind ein weiterer Grund für häufiges Fehlen, hohe Schulab schichte, zeigt auf, wie in Ausbildung sie für den Arbeitsmarkt qualifiziert. brecherraten und die unzurei Deutschland Geschichte di chende Vorbereitung auf den daktisiert wird, und erläu weiteren Bildungsweg. Schüler tert, wie Schulbücher nach und Lehrer sind angesichts einer Transformation umge staltet wurden. Auch Fortbil dieser Lage unzufrieden und machen ihrem Frust durch Demonstrationen Luft: Wäh dungen für Schulleiter wurden seit 2012 in Deutschland rend Sekundarschüler sich teilweise den Demonstratio und vor Ort organisiert. nen gegen die neuen Regierungen anschließen, demonst Ein anderes Projekt umfasst alle vorher genannten rieren die Lehrer hauptsächlich, um versprochene Ge Zielgruppen, also Lehrer und Schüler, zudem Lehramts studenten, Inspektoren und andere Entscheidungsträger haltserhöhungen ausgezahlt zu bekommen. Außerdem wird ein Großteil des Unterrichts nicht in des Bildungssektors. Dabei übernimmt ein lokaler Part den Schulen selbst, sondern in Form von Privatunter ner die Durchführung von Fortbildungen für Lehramts richt abgehalten, wo Lehrer die Bezahlung bestimmen studenten und andere Bildungsvermittler, während das können und die Schüler auf zielgerichtete Art und Weise Goethe-Institut – unter Einbindung von einigen Lehrern auf ihre Prüfungen vorbereitet werden. Natürlich steht – Programme zur Förderung von Schülerpartizipation diese Option nicht allen zur Verfügung; die Behauptung, anbietet. In einer Pilotphase in Kairo sollen verschiede in Ägypten und Tunesien sei Bildung kostenlos, ist in je ne Aktivitäten, die sich im Transformationsprozess an dem Fall schon seit langem ein Mythos. derer Länder bewährt haben, mit Schülern verschiede ner Sekundarschulen durchgeführt werden. Dabei wird auf den Aufbau demokratischer Schulstrukturen, eine Auswendiglernen und Rezitieren sind kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen gesell ein Grund für häufiges Fehlen und hohe schaftlichen Themen und die Verbreitung dieser Leis tungen – zum Beispiel in Form von digitalen Schülerzei Schulabbrecherraten tungen – gesetzt. Diese vielversprechenden Projekte stecken noch in den Kinderschuhen. Die Goethe-Institute in Ägyp Ihr Fortgang und dauerhafte Implementierung sind bisher ten und Tunesien sind dank ungewiss. Mit Sicherheit ihrer langjährigen Arbeit vor kann jedoch gesagt werden, Ort zu wichtigen ausländi schen Akteuren auf dem Ge dass die Demokratisierung biet von Bildung und Kultur der ägyptischen und tunesi schen Bildung ein entschei geworden. Im Rahmen der So hoch ist die Arbeitslosenrate unter jungen dender Faktor für den Aus Deutsch-Arabischen Trans formationspartnerschaft wid Ägypterinnen, verglichen mit der unter jungen gang der derzeitigen Trans men sie sich noch stärker als Ägyptern (31,7 Prozent gegenüber 12,5 Prozent). formationsphase darstellt. zuvor ihrem bildungspoliti Wann und wie diese abge schlossen wird, bleibt jedoch schen Auftrag: Während sie als ausländische Institutionen die Entscheidung der Ägyp nicht in die Strukturen der ter und Tunesier. • Bildungssysteme eingreifen können, deren Ausformung Sache der neuen Regierun Heike Thee studierte Islamwissenschaft und Romanistik in Freiburg gen ist, haben sie die Möglichkeit, Fortbildungen anzu und Vergleichende Politikwissenschaft in Paris. Als »Bildungsscout« bieten. Dadurch ermöglichen sie es Lehrern, Direktoren, beobachtet sie seit Juni 2012 für das Goethe-Institut Kairo die BildungsInspektoren und Schülern, ihre Rollen im Bildungspro landschaft Ägyptens und Tunesiens. 50 % 2,5 Mal Neue Perspektiven Politik Wirtschaft Kultur und Bildung Medien Sie sind herzlich eingeladen, sich als Mitglied in der DAFG e.V. zu engagieren! Besuchen Sie unsere Webseite: www.dafg.eu Ió`` ` jó`` `L º``«` gÉ`` `Ø` e á``°SÉ`` «` °S OÉ``°ü``à` bEG Ωƒ`` `∏` `Yh áaÉ`` `≤` K ΩÓ`` YEG á«fÉŸ’G á«Hô©dG ábGó°üdG á«©ªL ‘ ∫É©a ƒ°†©c ácQÉ°ûª∏d Ö«MôJ πµH ¿hƒYóe ºàfCG :âfÎf’G ≈∏Y Éæ©bƒe GhQhR www.dafg.eu DAFG – Deutsch-Arabische Freundschaftsgesellschaft e.V. Friedrichstr. 185 (Kontorhaus) 10117 Berlin Germany Tel.: +49 (0) 30 – 20 64 88 88 Fax: +49 (0) 30 – 20 64 88 89 E-Mail: [email protected] 80 WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF Von Schnee wird man nicht blind Eine deutsche Klinik importiert hoch qualifizierte Tunesier, um sie zu Kranken- und Gesundheitspflegern auszubilden. Ein Gewinn für alle Beteiligten? Text: Mai-Britt Wulf · Fotos: Ulla Deventer • »Krankenpflegerin war nie mein Traumberuf«, sagt Ibtissam Hermi geradeheraus. Sie trägt ein langes, schwarzes Kleid, unter dem Turnschuhe hervorblitzen, um ihren Hals baumelt eine Ket te mit der schützenden Hand Fatimas. Die zierliche 23-Jährige kommt aus Jendouba, einer Stadt im Nordwesten Tunesiens. Dort arbeitete sie als Physiotherapeutin in einer Privatpraxis. Auf den ersten Blick wirkt sie schüchtern, aber der Eindruck täuscht. Her mi blickt ihrem Gesprächspartner unverwandt in die Augen und gestikuliert anmutig mit den Händen, wenn sie spricht. Sie ist mu tig. Denn sie hat sich entschlossen, die nächsten achteinhalb Jah re in Deutschland zu leben – weit entfernt von ihren Eltern, Ge schwistern und ihrem Heimatland, um hier Krankenpflegerin zu werden. Von einer Freundin hörte sie von dem Projekt TAPiG und be warb sich auf die Ausschreibung des tunesischen Gesundheitsmi nisteriums, ohne jemals in Europa gewesen zu sein. Nun gehört sie zu 150 jungen, hoch qualifizierten Tunesiern, die an dem Pilot projekt der Asklepios Kliniken Hamburg teilnehmen, das im Au gust 2012 begann. Im Rahmen der nach der tunesischen Revoluti on ausgerufenen »Transformationspartnerschaft« zwischen Deutschland und Tunesien unterstützt die Bundesrepublik den Demokratieprozess in dem nordafrikanischen Land mit über 50 Millionen Euro und etwa 100 Projekten. Fast die Hälfte der Gel der fließt in den Bildungs- und Wissenschaftsbereich. Mindestens achteinhalb Jahre werden die Tunesier in Deutschland bleiben Ibtissam Hermi hat es aus Tunesiens Provinz an die Elbe gezogen. Eines dieser Projekte ist TAPiG – »Transformationspartnerschaft im Gesundheitswesen« –, das die Asklepios Kliniken Hamburg GmbH durchführt, der größte Klinikbetreiber der Hansestadt. Asklepios bildet die Tunesier zu Kranken- und Gesundheitspfle gern aus. Nach einem sechsmonatigen Sprachkurs beginnen sie gemeinsam mit den deutschen Auszubildenden die Lehre. Dadurch werden sie gleich in den Klinikalltag integriert und können ihre Deutschkenntnisse weiter verbessern. Im Anschluss an die drei jährige Ausbildung in einem der sechs Asklepios-Krankenhäuser BILDUNG & BERUF · KUBRI-SPECIAL · WIRTSCHAFT in Hamburg, dazu haben sich alle Projektteilnehmer verpflichtet, werden sie weitere fünf Jahre für das Unternehmen arbeiten. »TAPiG ist ein Hoffnungsträger«, erklärt Projekttutorin So phie von der Recke den Ansturm auf die Projektplätze. Bei den Auswahlgesprächen in Tunis konnten sich die Verantwortlichen aus 180 Bewerbern pro Tag die crème de la crème aussuchen. 95 Prozent der Teilnehmer haben bereits eine Ausbildung im medi zinischen Bereich absolviert und sprechen mindestens zwei Spra chen fließend. Ibtissam Hermi spricht Arabisch, Französisch und bereits etwas Deutsch. »Im Gegensatz zu deutschen Auszubilden den, die meist mitten in der Pubertät stecken, wenn sie ihre Be rufslaufbahn beginnen, sind die Tunesier verantwortungsbewuss ter und erfahrener. Sie haben keine Berührungsängste mit den Pa tienten«, meint von der Recke. Die Bewerber werden nach den glei chen Kriterien ausgewählt wie die deutschen Auszubildenden. Aber die Tunesier haben im Vergleich zu ihren europäischen Kol legen einen entscheidenden Vorteil – ihre Motivation. Omar Taher ist stolz darauf, dass er sich so schnell einleben kann. »In Tunesien setzt uns das Ministerium auf eine Warteliste, wenn wir mit unserer Ausbildung fertig sind. Wir müssen dann jahre lang darauf hoffen, dass wir einen Arbeitsplatz in einer staatlichen Einrichtung zugeteilt bekommen. Die privaten Praxen zahlen sehr schlecht, und auch da sind Stellen knapp«, schildert der Projekt teilnehmer Omar Taher die Situation. Die Jugendarbeitslosigkeit in Tunesien gilt als eine der aus schlaggebenden Ursachen für die »Jasmin-Revolution« Anfang 81 2011. Trotz des Regimewechsels hat sich die Lage auf dem Arbeits markt noch nicht gebessert. TAPiG ist ein Ausweg – selbst wenn die sonnenverwöhnten Tunesier dafür ins kalte Nordeuropa müs sen. Die Aussicht, ein deutsches Gehalt zu verdienen, in Europa zu leben und sich beruflich weiterzuqualifizieren, sind gute Argu mente, den Schritt zu wagen. In Deutschland wiederum werden sie dringend gebraucht. Denn es herrscht Pflegenotstand. 2,5 Millionen Menschen galten Ende 2011 als pflegebedürftig – so viele wie noch nie zuvor. Und das Statistische Bundesamt rechnet damit, dass die Zahl der Pfle gebedürftigen bis zum Jahr 2030 weiter steigen wird, auf dann über 3,2 Millionen. Doch es mangelt an Pflegekräften. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung könnten Deutschland im Jahr 2030 eine halbe Million Vollzeitkräfte in der Pflege fehlen. Kör perlich und seelisch belastende Arbeit, schlechte Arbeitszeiten und eine unangemessene Bezahlung – der Beruf des Krankenpfle gers ist in Deutschland unbeliebt. Insbesondere Männer sind un terrepräsentiert, obwohl gerade sie aufgrund ihrer Muskelkraft wichtig in dem Berufsfeld sind: Neun von zehn Pflegekräften in deutschen Krankenhäusern sind Frauen. Deshalb sucht Deutsch land im Ausland nach Fachkräften. Ein Modellprojekt wurde be reits in China gestartet; mit den Philippinen wurde ein Abkom men getroffen, das es philippinischen Pflegekräften ermöglicht, in Deutschland zu arbeiten. Projektleiter Jan Stephan Hillebrand be tont, dass die Tunesier niemand den Ausbildungsplatz wegneh men, denn für sie wurden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Sie seien vielmehr eine Bereicherung für die Kliniken: »Durch die in terkulturelle Erfahrung und den Austausch zwischen deutschen und ausländischen Auszubildenden entsteht ein hoher integrie render Mehrwert für unsere Gesellschaft und die beteiligten Un ternehmen.« Die Asklepios GmbH schlägt mit ihrem Projekt so zwei Flie gen mit einer Klappe. Die Klinik bekämpft effektiv den Fachkräf temangel und kann sich – auch noch finanziell unterstützt vom Staat – in Tunesien die idealen Krankenpfleger herauspicken: mehrsprachig und motiviert. Zudem erhöht der Klinikbetreiber die Männerquote, denn die Hälfte der Teilnehmer im Kurs sind männlich. Und was hat Tunesien davon? »Das Projekt ist ein Signal für die Zuversicht in internationa le Kooperationsprojekte zwischen Deutschland und Tunesien. Durch die Rückkehr der qualifizierten Fachkräfte nach einigen Jahren soll die weitere strukturelle Entwicklung der tunesischen Gesundheitswirtschaft mit qualifiziertem Personal gefördert wer den,« erläutert Hillebrand den Nutzen des Programms für das nordafrikanische Land. Auch der energiegeladene Omar Taher hat die Chance ergriffen. Daheim in Monastir, einer als Ferienziel be liebten Küstenstadt, arbeitete er als Zahntechniker. Der 23-Jäh rige wollte noch eine zweite Ausbildung absolvieren, also machte er sich Mitte Februar 2013 auf nach Hamburg. Der Abschied in Tu nis war tränenreich. »Ich weiß nicht mehr, wie viele Mütter wei nend in meinen Armen lagen und mich baten, auf ihre Kinder auf zupassen«, erzählt Janne Christ. Die Islamwissenschaftlerin reis te nach Tunis, um die jungen Kandidaten vor Ort abzuholen. Als die Gruppe in Hamburg landete, waren sie gewappnet. In dicken Jacken, mit mehreren Schals und Mützen vermummt, betraten die meisten zum ersten Mal europäischen Boden. »Wir mussten erst mal einige Missverständnisse aus dem Weg räumen und unter an derem erklären, dass man von Schnee nicht blind wird«, erinnert 82 WIRTSCHAFT · KUBRI-SPECIAL · BILDUNG & BERUF sich Christ, die zusammen mit ihren Kollegen 50 Teilnehmer in Hamburg betreut. Das Wetter ist einer der wenigen Kritikpunkte der Tunesier an Deutschland – und das Essen. »Einmal habe ich mit viel Liebe eine Kürbissuppe für unseren Kurs gekocht. Keiner hat die Suppe angerührt, weil sie gelb war«, berichtet Sophie von der Recke la chend. Warum die Teilnehmer so »krüsch«, wie der Hamburger sagt, mit dem Essen sind, haben die Betreuer noch nicht durch schaut. Aber die angehenden Krankenpfleger sind sehr selbststän dig und so wissen sie mittlerweile, wo sie Lebensmittel aus der Hei mat bekommen – etwa auf dem Steindamm, gleich beim Haupt bahnhof. Noch wohnen alle zusammen in einem Wohnheim mit Klas senfahrtsatmosphäre im Herzen Hamburgs, in St. Georg. Nach dem Sprachkurs werden sie sich mit Unterstützung der Tutoren eine ei gene Wohnung suchen müssen. Omar Taher erzählt, dass er im Wohnheim gern mit den ande In der Fremde zuhause: die TAPiG-Teilnehmer in Hamburg-St. Georg ren Fußball guckt oder ins Fitnessstudio geht. Mit breitem Lächeln schwärmt er von Deutschland – die Bürokratie und die Ernsthaf tigkeit der Deutschen faszinierten ihn. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, zog Taher in den ersten Tagen in Hamburg los, um ein Fahrrad zu kaufen. Auf dem Flohmarkt handelte er den Verkäufer auf dreißig Euro runter und kurvt seitdem durch St. Georgs Stra ßen. Ein wenig Stolz schwingt in seiner Stimme mit, wenn er da von berichtet. »Sie sind wie ein Schwamm und saugen alle Informationen auf«, sagt Sophie von der Recke liebevoll. »Man merkt sofort, dass sie hier sein wollen.« Wenn die Tutoren von ihren Schützlingen spre chen, dann klingt das sehr familiär. »Ich bin eine Mischung aus Mutti und großer Schwester«, beschreibt die Betreuerin ihre Rol le. Die Tutoren kümmern sich um alles – sie helfen bei Hausaufga ben, begleiten zu Arztbesuchen oder trösten bei Heimweh. Um das zu bekämpfen, hat Ibtissam Hermi eigene Methoden: »Ich skype jeden Tag stundenlang mit meiner Familie.« Geübt werden Pünktlichkeit und das Stehenbleiben an roten Ampeln »Noch sind wir für alle Sorgen da und bei Notfällen immer erreich bar, aber ab Ausbildungsbeginn müssen sie alleine zurecht kom men«, erklärt Janne Christ. »Trotzdem dürfen sie bei größeren Pro blemen immer zu uns kommen.« Eine He rausforderung ist die Pünktlichkeit. »›Ich war nur dreißig Minuten zu spät‹ – solche Entschuldigungen hören wir hier oft«, sagt Sophie von der Recke und blickt streng. »Aber das üben wir zusammen, genauso wie das Stehenbleiben an roten Ampeln.« Auf andere Herausforderungen kön nen sich die Teilnehmer weniger gut vor bereiten. In Tunesien ist das Berufsbild der Kranken- und Gesundheitspfleger ein anderes als in Deutschland. Die körperlich schwere Arbeit und das Waschen der Män ner übernehmen Krankenpflegehelfer. In Hamburg hingegen, das wissen die Teil nehmer, werden auch sie diese Arbeiten verrichten. »Wenn ich sehe, dass es dem Kranken besser geht, dann mache ich das gerne«, wischt Hermi die Zweifel hinweg. Die intensive Begleitung der Teilneh mer und gemeinsame Ausbildung mit den deutschen Lehrlingen ermöglichen es den Tunesiern, sich schnell in Hamburg ein zuleben. Durch den neuen EU-Aufent haltstitel »Blaue Karte«, der es den in Deutschland ausgebildeten Krankenpfle gern erlaubt, sich später dauerhaft in der Bundesrepublik niederzulassen, steht es den Tunesiern offen, ob sie nach Beendi gung des Programms in Deutschland blei ben möchten oder ob sie zurückkehren. Taher weiß jetzt schon, dass er nach den acht Jahren in Deutschland bleiben und arbeiten will. Hermi hingegen möchte sich weiter spezialisieren und dann nach Tunesien zurückkehren. Für die Deutschen scheint das Projekt ein voller Erfolg zu sein. Die private Unternehmensgruppe Pflege und Wohnen Hamburg, der größte stationäre Pflegeanbieter der Hansestadt, hat Interes se an der Ausdehnung des TAPiG-Projekts auf die Altenpflege be kundet. Eine offizielle Delegation des tunesischen Gesundheits ministeriums war bereits zu ersten Gesprächen in Hamburg. • THEMA · LANDISTAN · POLITIK 83 special kubri-karrieremesse bildung und beruf mai / juni 2013 Fussball-Clubs in der türkei wie die erste liga zockt öl-exporte in syrien wer kauft bei den rebellen? www.zenithonline.de ORION 02 / 2013 Das VERMÄCHTNIS des SABIERS InsiderBriefe aus dem Palast von Bagdad Das VERMÄCHTNIS des SABIERS InsiderBriefe aus dem Palast von Bagdad enthüllen MordIntrigen, Korruption und die wahren Gründe für den Absturz einer Dynastie Neu ab Mai: Orion 38 grau. Grau wie der Himmel über Glashütte, grau wie die Finanzbuchhaltung? Von wegen: Grau ist „leicht erregbar zu herrlichen Tönen“, sagte einst der Maler Johannes Itten. Grau ist glaubwürdig, die Farbe des Wissens. Ist eleganter als Weiß, lichter als Schwarz. Und jetzt die Farbe einer neuen großen Uhr – aus Glashütter NOMOS-Manufaktur. Orion-Modelle gibt es ab 1280 Euro etwa bei: Augsburg: Bauer & Bauer; Berlin: Christ KaDeWe, Leicht, Lorenz; Bielefeld: Böckelmann; Bonn: Kersting; Bremen: Meyer; Darmstadt: Techel; Dortmund: Rüschenbeck; Dresden: Leicht; Düsseldorf: Blome; Erfurt: Jasper; Frankfurt am Main: Rüschenbeck; Hamburg: Becker, Bucherer; Koblenz: Hofacker; Köln: Berghoff, Kaufhold; Ludwigsburg: Hunke; Lübeck: Mahlberg; München: Bucherer, Fridrich; Münster: Freisfeld, Oeding-Erdel; Nürnberg: Bucherer; Stuttgart: Niessing; Ulm: Scheuble. Und überall bei Wempe. www.nomos-store.com und www.nomos-glashuette.com DEUTSCHLAND EURO 8,20 | ÖSTERREICH EURO 8,90 | BENELUX EURO 8,90 | SCHWEIZ SFR 13,50 ISSN 1439 9660