weiterlesen - Josef Duben KG

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TECHNIK Verlagssonderveröffentlichung
Vom Atomtraktor
zum Methanantrieb
Was 1966 bei Ford mit der atombetriebenen Traktorenstudie Typhoon II begann,
setzt sich seit einigen Jahren bei New Holland mit wasserstoff- und
methanbetriebenen Traktorprototypen fort. Eine spannende Geschicht – mit Zukunft!
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K
Von Matthias Mumme
ein zweiter Landmaschinenhersteller hat sich in den vergangenen
Jahren so intensiv mit alternativen
Antrieben auseinandergesetzt wie
New Holland. Öffentlichkeitswirksamer Höhepunkt dieser Bemühungen war die Teilnahme an der Expo 2015 in Mailand, die unter
dem Motto „Feeding the Planet, Energy for
Life“ stand. In einem eigenen, 1.638 m2 großen Pavillon zeigte der Hersteller gemeinsam
mit der Konzernmutter Fiat, welchen Beitrag
die Landtechnik zum Thema Nachhaltigkeit
leisten kann.
New Hollands Affinität für Zukunftsthemen ist nicht neu. Ganz im Gegenteil: Bereits
vor genau 50 Jahren begann man sich, damals
noch in der Entwicklung bei Ford im US-amerikanischen Dearborn, damit auseinanderzusetzen, wie Landwirtschaft und Landtechnik
auf wachsenden Wohlstand und eine stetig
wachsende Weltbevölkerung bei gleichzeitig
begrenzten Ressourcen reagieren müssten.
SCHRITT 1: TYPHOON II
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1 Der Traktor der Zukunft im Jahr 1966:
Atomantrieb, Magnetgerätekupplung, Satellitensteuerung, Kabine mit
Kaffeemaschine und
Kühlschrank. Einiges
wurde später Realität!
Die Farm der Zukunft
im Jahr 1966: arrondiert,
mit Satellitenanschluss
und Beregnung verschiedener Kulturen.
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FOTOS: ARCHIV MUMME (3), WERKBILDER
Ein Ergebnis war der 1966 vorgestellte Typhoon II, eine im Maßstab 1:8 angefertigte
Studie des Traktors der Zukunft. Typisch für
die Aufbruchstimmung des atomaren Zeitalters in den 1960er-Jahren, verpassten die Ingenieure dem Schlepper einen Atomreaktor
als Antrieb – zumindest fiktiv. Damit wäre ein
jahrelanger Einsatz ohne „Auftanken“ möglich
gewesen und das Ganze hätte noch nicht einmal Abgase verursacht. Über die Lagerung der
gebrauchten Brennstäbe machte sich damals
kaum jemand Gedanken.
Weitere Features waren eine klimatisierte
Kabine mit Rundumverglasung, Kühlschrank
und Kaffeemaschine, ein hydrostatischer Fahrantrieb und eine elektromagnetische Anhängekupplung, die
unter anderem für das Ziehen von
Ultraschallpflügen gedacht war. Realität wurden einige Jahrzehnte später
die satellitengeführte Lenkung und
ein Arbeitsbildschirm in der Kabine,
an die man auch schon vor 50 Jahren
dachte. Die Fernsteuerung des Traktors mittels Radiowellen wird heute,
wenn auch technisch etwas anders gelöst, gerade von einigen Herstellern in
Form autonomer und teilautonomer
Landmaschinen umgesetzt.
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1 Die erste Generation des NH2
wurde 2009 der Öffentlichkeit vorgestellt. Er war der weltweit erste
Traktor mit reinem Wasserstoffantrieb.
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2 Das Konzept wurde auf der
SIMA desselben Jahres mit einer
Goldmedaille für Innovation
ausgezeichnet. Inzwischen ist
das Projekt zugunsten des Methantraktors eingestellt.
3 Seit 2010 fungiert das Landgut
La Bellotta bei Turin als erster
energieautarker Pilotbetrieb.
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4 New Holland profitiert bei der Motorentechnologie stark von seiner Konzernschwester Fiat Powertrain (FPT). Motoren
und Abgastechnologien wurden bereits
umfassend im Lkw-Bereich getestet, bevor
sie in Landmaschinen verbaut werden.
Dabei setzt der Hersteller seit Jahren
konsequent auf eine SCR-only-Strategie,
nutzt also weder eine gekühlte Abgasrückführung noch einen Partikelfilter. Die
nächste Abgasstufe steht aber bereits vor
der Tür – sie soll ab 2019 eingeführt werden.
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Die Farmen der Zukunft sollten nach Ansicht der Ford-Visionäre von 1966 energieautark sein, wobei man das größte Potenzial zu
dieser Zeit in der Sonnenenergie sah. Viele Arbeitsprozesse sollten vollautomatisch ablaufen
und sich Wettervorhersagen und der aktuellen
Wetterlage anpassen. Neben verschiedenen
Getreide- und Gemüsesorten sollten auch Algen kultiviert werden – mithilfe von Nährstofflösungen als Dünger.
Interessant: Wissenschaftler prognostizierten in den 1960er-Jahren eine Verdoppelung
der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2000. Und
genau so kam es auch.
NEUE HERAUSFORDERUNGEN
Im 21. Jahrhundert kommt niemand mehr auf
die Idee, Zukunftsvisionen unter Einbeziehung
einer atomaren Energiequelle auszutüfteln.
Heute wird in Kreisläufen gedacht, häufig mit
regenerativen Energien. Zwischenzeitlich hat
sich viel getan: Die Landmaschinensparte von
Ford übernahm 1986 New Holland von der
Sperry Corporation. Und Ford verkaufte nur vier Jahre später das gesamte
Landmaschinengeschäft an Fiat, wo
es unter der Marke New Holland
und nach dem Kauf von Case International als Case New Holland, kurz
CNH, weitergeführt wurde.
Im Rahmen der verschärften Abgasrichtlinien standen auch die Landmaschinenhersteller nach dem Jahrtausendwechsel vor
der Herausforderung, die Stickoxid- und Rußpartikelemissionen ihrer Fahrzeuge drastisch
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zu senken. New Holland profitierte hier von
seiner Konzernschwester Fiat Powertrain, kurz
FPT. Denn als Motorenbauer, der unter anderem aus der Motorensparte von Iveco hervorging, besaß man nicht nur ein gewaltiges
Know-how im Bereich Dieselmotoren.
Weil Lkws die Abgasgrenzen Jahre vor
der zum Segment „Off Highway“ gehörenden
Landmaschinenindustrie erfüllen mussten, war
zusätzlich ein enormer Erfahrungsschatz vorhanden – und die Motorentechnik bereits zigtausendfach in der Praxis erprobt, bevor auch
nur ein Motor in einem Traktor, Mähdrescher
oder Feldhäcksler verbaut wurde. FPT setzte
dabei konsequent auf eine SCR-only-Stategie
und verzichtete auf eine gekühlte Abgasrückführung und einen Partikelfilter. Dennoch erfüllen
die Motoren heute sogar die vorerst schärfste
Abgasrichtlinie Tier 4 final. Dabei muss man
sich verdeutlichen, dass die Abgasemissionen im Rahmen der Abgasrichtlinien von der
Tier-1-Norm bis zur Tier-4-final-Norm um den
6 2013 stellte New Holland den T6.140
Methane Power vor. Er arbeitet mit einem
konventionellen Vierzylinder-Dieselmotor
mit 3,0 l Hubraum und maximal 135 PS.
7 Der Bio-Methanantrieb senkt den CO2Ausstoß um etwa 20 Prozent, den der
restlichen Schadstoffe um etwa 80 Prozent
– bei extrem günstigen Betriebskosten.
Faktor 100 gesenkt wurden! 2019 werden vor
allem die Rußpartikelgrenzwerte noch einmal
drastisch reduziert. Dann wird wohl auch FPT
auf einen Partikelfilter zurückgreifen müssen.
Dennoch arbeitet man weiterhin daran,
den thermischen Wirkungsgrad zu verbessern.
Intelligente Nebenaggregate und integriertes
Energiemanagement heißen die Zauberworte.
Laut Dr. Dirk Bergmann, ehem. Chef der Motorenforschung bei FPT, strebt man damit einen
thermischen Wirkungsgrad von 55 Prozent an
– heute liegt er bei 45 Prozent. Was einfach
klingt, wird weitere gewaltige Entwicklungsressourcen vereinnahmen.
SCHRITT 2:
WASSERSTOFF
Futuristisch: Design spielt auch bei
Zukunftsprojekten von New Holland
eine tragende Rolle. Hier gilt
nicht nur „form follows function“!
Neben der Optimierung konventioneller Antriebe haben sich die
New-Holland-Vordenker
auch
mit alternativen Antriebskonzepten beschäftigt. Als erste wegweisende Entwicklung wurde auf der
SIMA 2009 in Paris der NH2 vorgestellt. Dabei
handelt es sich um einen T6000-Traktor mit
Brennstoffzellenantrieb. In Tanks mitgeführter
Wasserstoff reagierte darin mit Luftsauerstoff
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Highlight: Auf der
Expo 2015 in Mailand
imponierte New Holland mit
einem 1.638 m2 großen Pavillon.
zu Wasser, wobei elektrische Energie freigesetzt
wird. Der Wasserstoff wurde mithilfe erneuerbarer Energien wie Sonnenenergie, Windenergie und Energie aus Biomasse erzeugt. Diese
drei Energiequellen haben ein Problem: Wie
soll man sie speichern? Technische Lösungsansätze gibt es zahlreiche. Bei New Holland
entschied man sich dafür, per Elektrolyse Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten,
und den Wasserstoff in Hochdrucktanks als
„Kraftstoff“ zu verwenden.
New Holland erprobte auf einer energie­
autarken Farm in Norditalien mehrere Prototypen – aus technischer Sicht erfolgreich. Ausschlaggebend für die Abkehr vom Wasserstoffantrieb waren letztlich die zu hohen Preise für
entsprechend leistungsfähige Brennstoffzellen,
die heute im sechsstelligen Bereich liegen.
(Abbildung S. 98 unten) und bei niedrigerer
Drehzahl mehr Leistung (132 kW bei 1.800 U/
min) und Drehmoment (740 Nm bei 1.500 U/
min)abgibt. Das Methangas wird in der Biogasanlage des Pilotbetriebs La Bellotta bei Turin
erzeugt und in Druckbehältern mit zusammen
gut 50 kg Fassungsvermögen gespeichert – das
reicht für etwa 8 bis 10 Stunden Arbeitszeit.
Der Motor erfüllt ausschließlich mit einem
3-Wege-Katalysator die Abgasnorm Tier 4 final,
und erzeugt rund 10 Prozent weniger Kohlenstoffemissionen als Diesel. Die CO2-Bilanz soll
dank des regenerativen Treibstoffs gen Null
tendieren. Und laut New Holland liegen die
Betriebskosten dank des günstigen Kraftstoffs
um 25 bis 40 Prozent unter denen eines vergleichbaren mit Diesel betriebenen Traktors.
SCHRITT 3: METHAN
New Holland schmückt sich heute mit dem
selbst verliehenen Titel „Clean Energy Leader“.
Was nach einem reinen Marketinggag klingt,
basiert auf einer klaren Strategie, die wiederum
auf vier Säulen ruht: Energieerzeugung, produktive Effizienz, nachhaltige Landwirtschaft
und engagiertes Unternehmen.
Energieerzeugung steht für die Unterstützung von Anbau, Pflege und Ernte von Bio-
Ab2013 stellte New Holland den T6.140 Methane Power vor, der mit einem 3,0 l großen Vierzylinder-Zweistoffmotor von FPT ausgestattet
war und als Treibstoff Methan und zeitweise
Diesel verwendete. Auf der SIMA 2015 folgte
dann der T6.180 mit konventionellem 6,75-lSechszylinder (NEF) von FPT, der als Zündstrahlmotor rein mit Methan betrieben wird
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STRATEGIE: VIER SÄULEN
masse durch New-Holland-Technologien. Das
betrifft die Ernte von Mais oder Gras für die
Biogaserzeugung, aber auch die Beerntung
von Kurzumtriebsplantagen, die Rapsernte für
die Biodieselproduktion und das Pressen von
Strohballen für Verbrennungsanlagen.
Neben eigenen Projekten wie der energieautarken Farm La Bellotta unterstützt New
Holland auch externe Projekte, ist zum Beispiel
Hauptlieferant für die nordamerikanische Unternehmensgruppe Growth Energy (Ethanolproduktion) oder unterstützt das brasilianische
Centro de Tecnologia Canavieira (Technologiezentrum für Zuckerrohr).
Unter dem Begriff effiziente Produktivität
will New Holland die Produktivität der pflanzlichen Erzeugung in Industrie- und Schwellenländern steigern. Dazu gehören verbrauchsorientierte Fahrstrategien in Landmaschinen.
Daran knüpft das Schlagwort nachhaltige
Landwirtschaft an, unter dem Lösungen für
Controlled Traffic Farming und allgemein den
Aspekt Bodenschonung zu finden sind. Und
letztlich trägt New Holland sein Umweltbewusstsein auch nach innen – durch Energiemanagementsysteme und Emissioneminderung in
den eigenen Produktionsstätten und Recycling
gebrauchter Teile.
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