weiterlesen - Josef Duben KG
Transcription
weiterlesen - Josef Duben KG
TECHNIK Verlagssonderveröffentlichung Vom Atomtraktor zum Methanantrieb Was 1966 bei Ford mit der atombetriebenen Traktorenstudie Typhoon II begann, setzt sich seit einigen Jahren bei New Holland mit wasserstoff- und methanbetriebenen Traktorprototypen fort. Eine spannende Geschicht – mit Zukunft! 98 traction März / April 2016 www.traction-magazin.de 1 K Von Matthias Mumme ein zweiter Landmaschinenhersteller hat sich in den vergangenen Jahren so intensiv mit alternativen Antrieben auseinandergesetzt wie New Holland. Öffentlichkeitswirksamer Höhepunkt dieser Bemühungen war die Teilnahme an der Expo 2015 in Mailand, die unter dem Motto „Feeding the Planet, Energy for Life“ stand. In einem eigenen, 1.638 m2 großen Pavillon zeigte der Hersteller gemeinsam mit der Konzernmutter Fiat, welchen Beitrag die Landtechnik zum Thema Nachhaltigkeit leisten kann. New Hollands Affinität für Zukunftsthemen ist nicht neu. Ganz im Gegenteil: Bereits vor genau 50 Jahren begann man sich, damals noch in der Entwicklung bei Ford im US-amerikanischen Dearborn, damit auseinanderzusetzen, wie Landwirtschaft und Landtechnik auf wachsenden Wohlstand und eine stetig wachsende Weltbevölkerung bei gleichzeitig begrenzten Ressourcen reagieren müssten. SCHRITT 1: TYPHOON II www.traction-magazin.de 2 1 Der Traktor der Zukunft im Jahr 1966: Atomantrieb, Magnetgerätekupplung, Satellitensteuerung, Kabine mit Kaffeemaschine und Kühlschrank. Einiges wurde später Realität! Die Farm der Zukunft im Jahr 1966: arrondiert, mit Satellitenanschluss und Beregnung verschiedener Kulturen. 2 März / April 2016 traction 99 FOTOS: ARCHIV MUMME (3), WERKBILDER Ein Ergebnis war der 1966 vorgestellte Typhoon II, eine im Maßstab 1:8 angefertigte Studie des Traktors der Zukunft. Typisch für die Aufbruchstimmung des atomaren Zeitalters in den 1960er-Jahren, verpassten die Ingenieure dem Schlepper einen Atomreaktor als Antrieb – zumindest fiktiv. Damit wäre ein jahrelanger Einsatz ohne „Auftanken“ möglich gewesen und das Ganze hätte noch nicht einmal Abgase verursacht. Über die Lagerung der gebrauchten Brennstäbe machte sich damals kaum jemand Gedanken. Weitere Features waren eine klimatisierte Kabine mit Rundumverglasung, Kühlschrank und Kaffeemaschine, ein hydrostatischer Fahrantrieb und eine elektromagnetische Anhängekupplung, die unter anderem für das Ziehen von Ultraschallpflügen gedacht war. Realität wurden einige Jahrzehnte später die satellitengeführte Lenkung und ein Arbeitsbildschirm in der Kabine, an die man auch schon vor 50 Jahren dachte. Die Fernsteuerung des Traktors mittels Radiowellen wird heute, wenn auch technisch etwas anders gelöst, gerade von einigen Herstellern in Form autonomer und teilautonomer Landmaschinen umgesetzt. TECHNIK Verlagssonderveröffentlichung 1 Die erste Generation des NH2 wurde 2009 der Öffentlichkeit vorgestellt. Er war der weltweit erste Traktor mit reinem Wasserstoffantrieb. 2 2 Das Konzept wurde auf der SIMA desselben Jahres mit einer Goldmedaille für Innovation ausgezeichnet. Inzwischen ist das Projekt zugunsten des Methantraktors eingestellt. 3 Seit 2010 fungiert das Landgut La Bellotta bei Turin als erster energieautarker Pilotbetrieb. 1 3 4 New Holland profitiert bei der Motorentechnologie stark von seiner Konzernschwester Fiat Powertrain (FPT). Motoren und Abgastechnologien wurden bereits umfassend im Lkw-Bereich getestet, bevor sie in Landmaschinen verbaut werden. Dabei setzt der Hersteller seit Jahren konsequent auf eine SCR-only-Strategie, nutzt also weder eine gekühlte Abgasrückführung noch einen Partikelfilter. Die nächste Abgasstufe steht aber bereits vor der Tür – sie soll ab 2019 eingeführt werden. 5 4 5 100 traction März / April 2016 6 Die Farmen der Zukunft sollten nach Ansicht der Ford-Visionäre von 1966 energieautark sein, wobei man das größte Potenzial zu dieser Zeit in der Sonnenenergie sah. Viele Arbeitsprozesse sollten vollautomatisch ablaufen und sich Wettervorhersagen und der aktuellen Wetterlage anpassen. Neben verschiedenen Getreide- und Gemüsesorten sollten auch Algen kultiviert werden – mithilfe von Nährstofflösungen als Dünger. Interessant: Wissenschaftler prognostizierten in den 1960er-Jahren eine Verdoppelung der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2000. Und genau so kam es auch. NEUE HERAUSFORDERUNGEN Im 21. Jahrhundert kommt niemand mehr auf die Idee, Zukunftsvisionen unter Einbeziehung einer atomaren Energiequelle auszutüfteln. Heute wird in Kreisläufen gedacht, häufig mit regenerativen Energien. Zwischenzeitlich hat sich viel getan: Die Landmaschinensparte von Ford übernahm 1986 New Holland von der Sperry Corporation. Und Ford verkaufte nur vier Jahre später das gesamte Landmaschinengeschäft an Fiat, wo es unter der Marke New Holland und nach dem Kauf von Case International als Case New Holland, kurz CNH, weitergeführt wurde. Im Rahmen der verschärften Abgasrichtlinien standen auch die Landmaschinenhersteller nach dem Jahrtausendwechsel vor der Herausforderung, die Stickoxid- und Rußpartikelemissionen ihrer Fahrzeuge drastisch www.traction-magazin.de 7 zu senken. New Holland profitierte hier von seiner Konzernschwester Fiat Powertrain, kurz FPT. Denn als Motorenbauer, der unter anderem aus der Motorensparte von Iveco hervorging, besaß man nicht nur ein gewaltiges Know-how im Bereich Dieselmotoren. Weil Lkws die Abgasgrenzen Jahre vor der zum Segment „Off Highway“ gehörenden Landmaschinenindustrie erfüllen mussten, war zusätzlich ein enormer Erfahrungsschatz vorhanden – und die Motorentechnik bereits zigtausendfach in der Praxis erprobt, bevor auch nur ein Motor in einem Traktor, Mähdrescher oder Feldhäcksler verbaut wurde. FPT setzte dabei konsequent auf eine SCR-only-Stategie und verzichtete auf eine gekühlte Abgasrückführung und einen Partikelfilter. Dennoch erfüllen die Motoren heute sogar die vorerst schärfste Abgasrichtlinie Tier 4 final. Dabei muss man sich verdeutlichen, dass die Abgasemissionen im Rahmen der Abgasrichtlinien von der Tier-1-Norm bis zur Tier-4-final-Norm um den 6 2013 stellte New Holland den T6.140 Methane Power vor. Er arbeitet mit einem konventionellen Vierzylinder-Dieselmotor mit 3,0 l Hubraum und maximal 135 PS. 7 Der Bio-Methanantrieb senkt den CO2Ausstoß um etwa 20 Prozent, den der restlichen Schadstoffe um etwa 80 Prozent – bei extrem günstigen Betriebskosten. Faktor 100 gesenkt wurden! 2019 werden vor allem die Rußpartikelgrenzwerte noch einmal drastisch reduziert. Dann wird wohl auch FPT auf einen Partikelfilter zurückgreifen müssen. Dennoch arbeitet man weiterhin daran, den thermischen Wirkungsgrad zu verbessern. Intelligente Nebenaggregate und integriertes Energiemanagement heißen die Zauberworte. Laut Dr. Dirk Bergmann, ehem. Chef der Motorenforschung bei FPT, strebt man damit einen thermischen Wirkungsgrad von 55 Prozent an – heute liegt er bei 45 Prozent. Was einfach klingt, wird weitere gewaltige Entwicklungsressourcen vereinnahmen. SCHRITT 2: WASSERSTOFF Futuristisch: Design spielt auch bei Zukunftsprojekten von New Holland eine tragende Rolle. Hier gilt nicht nur „form follows function“! Neben der Optimierung konventioneller Antriebe haben sich die New-Holland-Vordenker auch mit alternativen Antriebskonzepten beschäftigt. Als erste wegweisende Entwicklung wurde auf der SIMA 2009 in Paris der NH2 vorgestellt. Dabei handelt es sich um einen T6000-Traktor mit Brennstoffzellenantrieb. In Tanks mitgeführter Wasserstoff reagierte darin mit Luftsauerstoff März / April 2016 traction 101 TECHNIK Verlagssonderveröffentlichung Highlight: Auf der Expo 2015 in Mailand imponierte New Holland mit einem 1.638 m2 großen Pavillon. zu Wasser, wobei elektrische Energie freigesetzt wird. Der Wasserstoff wurde mithilfe erneuerbarer Energien wie Sonnenenergie, Windenergie und Energie aus Biomasse erzeugt. Diese drei Energiequellen haben ein Problem: Wie soll man sie speichern? Technische Lösungsansätze gibt es zahlreiche. Bei New Holland entschied man sich dafür, per Elektrolyse Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten, und den Wasserstoff in Hochdrucktanks als „Kraftstoff“ zu verwenden. New Holland erprobte auf einer energie autarken Farm in Norditalien mehrere Prototypen – aus technischer Sicht erfolgreich. Ausschlaggebend für die Abkehr vom Wasserstoffantrieb waren letztlich die zu hohen Preise für entsprechend leistungsfähige Brennstoffzellen, die heute im sechsstelligen Bereich liegen. (Abbildung S. 98 unten) und bei niedrigerer Drehzahl mehr Leistung (132 kW bei 1.800 U/ min) und Drehmoment (740 Nm bei 1.500 U/ min)abgibt. Das Methangas wird in der Biogasanlage des Pilotbetriebs La Bellotta bei Turin erzeugt und in Druckbehältern mit zusammen gut 50 kg Fassungsvermögen gespeichert – das reicht für etwa 8 bis 10 Stunden Arbeitszeit. Der Motor erfüllt ausschließlich mit einem 3-Wege-Katalysator die Abgasnorm Tier 4 final, und erzeugt rund 10 Prozent weniger Kohlenstoffemissionen als Diesel. Die CO2-Bilanz soll dank des regenerativen Treibstoffs gen Null tendieren. Und laut New Holland liegen die Betriebskosten dank des günstigen Kraftstoffs um 25 bis 40 Prozent unter denen eines vergleichbaren mit Diesel betriebenen Traktors. SCHRITT 3: METHAN New Holland schmückt sich heute mit dem selbst verliehenen Titel „Clean Energy Leader“. Was nach einem reinen Marketinggag klingt, basiert auf einer klaren Strategie, die wiederum auf vier Säulen ruht: Energieerzeugung, produktive Effizienz, nachhaltige Landwirtschaft und engagiertes Unternehmen. Energieerzeugung steht für die Unterstützung von Anbau, Pflege und Ernte von Bio- Ab2013 stellte New Holland den T6.140 Methane Power vor, der mit einem 3,0 l großen Vierzylinder-Zweistoffmotor von FPT ausgestattet war und als Treibstoff Methan und zeitweise Diesel verwendete. Auf der SIMA 2015 folgte dann der T6.180 mit konventionellem 6,75-lSechszylinder (NEF) von FPT, der als Zündstrahlmotor rein mit Methan betrieben wird 102 traction März / April 2016 STRATEGIE: VIER SÄULEN masse durch New-Holland-Technologien. Das betrifft die Ernte von Mais oder Gras für die Biogaserzeugung, aber auch die Beerntung von Kurzumtriebsplantagen, die Rapsernte für die Biodieselproduktion und das Pressen von Strohballen für Verbrennungsanlagen. Neben eigenen Projekten wie der energieautarken Farm La Bellotta unterstützt New Holland auch externe Projekte, ist zum Beispiel Hauptlieferant für die nordamerikanische Unternehmensgruppe Growth Energy (Ethanolproduktion) oder unterstützt das brasilianische Centro de Tecnologia Canavieira (Technologiezentrum für Zuckerrohr). Unter dem Begriff effiziente Produktivität will New Holland die Produktivität der pflanzlichen Erzeugung in Industrie- und Schwellenländern steigern. Dazu gehören verbrauchsorientierte Fahrstrategien in Landmaschinen. Daran knüpft das Schlagwort nachhaltige Landwirtschaft an, unter dem Lösungen für Controlled Traffic Farming und allgemein den Aspekt Bodenschonung zu finden sind. Und letztlich trägt New Holland sein Umweltbewusstsein auch nach innen – durch Energiemanagementsysteme und Emissioneminderung in den eigenen Produktionsstätten und Recycling gebrauchter Teile. www.traction-magazin.de