Diabetes und Niere - Was ist Nephrologie?

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Diabetes und Niere - Was ist Nephrologie?
P.b.b. GZ 02Z031654 M, Benachrichtigungspostamt 1070 Wien Interdisziplinäre Fortbildungsreihe der
Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie
ISSN 1605-881X
Falls unzustellbar, bitte retour an: MEDMEDIA Verlag, Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien
Script
ÖGN
16. JAHRGANG/NR. 1/2013
Diabetes & Niere
1
NEPHRO Script
EDITORIAL
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
V
ier Jahre nach dem Erscheinen der letzten Ausgabe von
NEPHRO Script zum Thema „diabetische Nephropathie 2009“ habe ich gerne die Möglichkeit der Koordination der aktuellen Ausgabe übernommen. Ziel war es,
ein Update zum Thema unter verschiedenen Gesichtspunkten zu verfassen. Diabetologie und Nephrologie haben gemeinsam zu den Fortschritten in der Betreuung und Prognose unserer Patienten mit dieser schweren Komplikation
des Diabetes beigetragen.
In der rezenten Vergangenheit haben sich zahlreiche neue
Leitlinien mit diabetischer Nephropathie beschäftigt oder
sind neu überarbeitet worden. Ich darf hier sowohl an
KDIGO zum Themenkomplex CKD und Hypertonie 2013
verweisen, als auch auf die neu überarbeiteten gemeinsamen
Guidelines von ÖDG und ÖGN zur diabetischen Nephropathie 2012.
Dr. Roland Edlinger bearbeitet in seinem Artikel kritisch
Prävention, Progression und Zielwerte zu Blutdruck und
Blutzuckereinstellung in den verschiedenen Stadien renaler
Insuffizienz. Hier wurde das Prinzip „je niedriger, umso
besser“ durch klare Vorgaben mit individueller Ausrichtung
präzisiert.
Prof. Dr. Renate Klauser-Braun hat dankenswerterweise die
Aufgabe übernommen, die Diabeteseinstellung bei Patienten
mit Niereninsuffizienz in bewährter Weise zu beschreiben
und die wichtigsten Gesichtspunkte herauszuarbeiten. In
den vergangenen vier Jahren haben neue Substanzen zur
Diabetestherapie breite Anwendung gefunden, ich darf hier
an DPP-4-Hemmer und Inkretinhemmer erinnern. Sie werden zukünftig die bei pathologischen Nierenwerten teilweise
kontraindizierten Sulfonylharnstoffe weiter vom Markt zurückdrängen. Sie sind, teilweise dosisadaptiert, auch vom
Nephrologen in allen Stadien diabetischer Nephropathie
anwendbar.
Prof. Dr. Robert Öllinger beschreibt in seinem Artikel die
Entwicklung der 1979 unter Prof. Dr. Margreiter erstmalig
in Innsbruck durchgeführten Pankreastransplantation anhand von mehr als 500 Transplantationen. Sie finden in
seinem Beitrag Details zu einem der bis dato weltweit größten Transplantationsprogramme. 5-Jahres-Funktionsraten
des Pankreastransplantates von 81 % haben die kombinierte
Nieren-Pankreas-Transplantation als anzustrebende The-
OA Dr. Martin Auinger
rapieform für den niereninsuffizienten Typ-1- und fallweise
auch für den Typ-2-Diabetiker etabliert.
Prof. Dr. Walter Ulrich geht in seinem Beitrag auf verschiedene Gesichtspunkte der Pathologie der diabetischen Nephropathie ein. Hier ergeben sich neue Optionen in der
Klassifizierung der verschiedenen Stadien und damit vielleicht auch der Prognose. Bei der heutzutage zunehmend
öfter gestellten Indikation zur Biopsie für die Differenzialdiagnose diabetischer Nephropathie aus nephrologischer
Sicht gewinnen diese Erkenntnisse auch Bedeutung für den
Kliniker.
Der Artikel von Prof. Dr. Rudolf Prager setzt sich mit der
Entwicklung von Diabetologie und Nephrologie in den vergangenen Jahren auseinander. Hier sehen wir in vielen Studien einen Rückgang der mikro- und makrovaskulären Langzeitfolgen dieser Erkrankung, jedoch nimmt Diabetes als
„globale Epidemie“ weiter zu, und viele Entwicklungen sind
aus ihrem historischen Kontext besser zu verstehen.
Auch anhand von Daten aus dem österreichischen Register
gibt Doz. Dr. Friedrich Prischl ein Update zur diabetischen
Nephropathie, insbesondere auch unter epidemiologischen
Gesichtspunkten, und fasst nochmals eine Vielzahl von Aspekten zu Diabetes und Niere zusammen.
Doz. Dr. Peter Kotanko hat in den letzten Jahren an seinem
derzeitigen Forschungsstandort New York mehrere Studien
zum Wasserhaushalt in der Hämodialyse durchgeführt, es
lag daher nahe, ihn um einen „State of the art“-Artikel über
die Bedeutung der Bioimpedanz zu ersuchen. Nicht nur
beim diabetischen Dialysepatienten sind bessere Aussagen
zum Flüssigkeitshaushalt und Ernährungszustand von klinischer Bedeutung für die Entscheidungsfindung.
Ich darf Ihnen viel Vergnügen mit der Lektüre der aktuellen
Ausgabe von NEPHRO Script wünschen und hoffe, es sind
viele Fragen aus Ihrem medizinischen Alltag beantwortet.
OA Dr. Martin Auinger
3. Medizinische Abteilung, Krankenhaus Hietzing
1130 Wien
3
FOCUS
NEPHRO Script
INHALT
05Editorial
06 Seiten der Gesellschaft
FOCUS
24 Diabetische Nephropathie im Wandel der Zeit
Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Prager,
Dr. Slobodan Peric
28 Update diabetische Nephropathie 2013
Univ.-Doz. Dr. Friedrich Prischl
08
Diabetische Nephropathie – Prävention,
­Progression, Zielwerte
OA Dr. Roland Edlinger, OA Dr. Martin Auinger
14 Diabetestherapie bei Niereninsuffizienz
Univ.-Prof. Dr. Renate Klauser-Braun
16 32 Jahre Pankreastransplantation in Innsbruck
Ao. Univ.-Prof. Dr. Robert Öllinger, FA Dr. Christian
Margreiter, Univ.-Prof. Dr. Johann Pratschke
21 Klassifikation der diabetischen Nephropathie
Univ.-Prof. Dr. Walter Ulrich
31 Messung von Flüssigkeitsvolumina bei
­ ämodialysepatienten: Stand der Technik und
H
­aktuelle Fortschritte
Dr. Jochen G. Raimann, Univ.-Doz. Dr. Peter
Kotanko
ERRATUM
In NEPHRO Script 4/2012 haben wir Ass.-Dr. Hildegard
­Hafner-Gießauf irrtümlich als Priv.-Doz. angeführt.
Wir möchten uns für diesen Fehler entschuldigen.
IMPRESSUM
Verlag: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H. Herausgeber: Österreichische Gesellschaft für Nephrologie, Prim. Univ.-Prof. Dr. Erich Pohanka,
­Abteilung für Innere Medizin 2, Allgemeines Krankenhaus Linz, und ao. Univ.-Prof. Dr. Sabine Schmaldienst, Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse,
Universitätsklinik für Innere Medizin III, AKH Wien. Chefredakteur: OA Dr. Martin Auinger, 3. Medizinische Abteilung für Stoffwechselerkrankungen und Nephrologie, Krankenhaus Hietzing. Anzeigen/Organisation: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H., Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien, Tel.: 01/407 31
11. Projekt­leitung/Produktion: Friederike Maierhofer. Redaktion: Dr. Claudia Uhlir. Layout/DTP: Patrick Kloepfer. Cover­illustration: Science Photo Library/
picturedesk.com. Lektorat: [email protected]. Druck: Donau Forum Druck. Druckauflage: 7.567 Stück im 2. Halbjahr 2012, geprüft von der Österreichischen
Auflagenkontrolle. Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift ist zum Einzelpreis von 9,50 Euro plus MwSt. zu be­ziehen. Grundsätze und Ziele von NEPHRO Script: Information für nephrologisch interessierte Krankenhaus- und niedergelassene Ärzte. Angaben über Dosierungen, A
­ pplikationsformen und Indikationen von pharmazeutischen
Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Herausgeber und Medieninhaber übernehmen dafür keine Gewähr. ­Literatur zu
den Fachbeiträgen bei den jeweiligen Autoren. Allgemeine Hinweise: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die persönliche und/oder wissenschaftliche Meinung
des jeweiligen Autors wieder und fallen somit in den persönlichen Verantwortungs­bereich des Verfassers. Mit „Freies Thema“ gekennzeichnete Beiträge sind entgeltliche
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Ausgewählte Artikel dieser Ausgabe finden Sie auch unter www.medmedia.at zum Download. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder
ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt,
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Verlag: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH, Seidengasse 9/1.1, 1070 Wien. Geschäftsführer: Mag. Wolfgang Maierhofer. Inhaber:
50 % P&V Holding AG, 45 % Wolfgang Maierhofer Privatstiftung, 5% Mag. Gabriele Jerlich. Gegenstand des Unternehmens: Herstellung
und Vertrieb von Medien aller Art. Medieninhaber: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH. Redaktion: Seidengasse 9/1.1, 1070 Wien.
Hersteller: Donau Forum Druck Ges.m.b.H., Wien
5
ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR NEPHROLOGIE
Ausschreibung des Förderungspreises
der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie 2013
Ao. Univ.-Prof. Dr.
Sabine Schmaldienst
Sekretärin der ÖGN
c/o Universitätsklinik
für Innere Medizin III
A-1090 Wien,
Währinger Gürtel 18–20
Tel.: +43/1/404 00
E-Mail: [email protected]
VORSITZENDER:
E. Pohanka
STELLVERTRETER:
W. H. Hörl
BEIRAT:
R. Klauser-Braun
K. Lhotta
A. Rosenkranz
SEKRETÄRIN:
S. Schmaldienst
SCHATZMEISTER:
R. Oberbauer
KOOPTIERTER
VORSTAND:
C. Aufricht
M. Auinger
P. Balcke
K. Eller
D. Geissler
P. Günther
S. Horn
J. Kovarik
R. Kramar
G. Mayer
H. Regele
A. Sadjak
M. Säemann
O. Traindl
A. Vychytil
I. Waller
B. Watschinger
Förderungspreis der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie
in der Höhe von 4.500,– Euro
Gemäß den Satzungen der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie sind folgende Teilnahmebedingungen zu erfüllen:
1.) Der Bewerber muss österreichischer Staatsbürger sein oder seinen ordentlichen
Wohnsitz in Österreich haben. Bei Gemeinschaftsarbeiten gilt diese Bedingung
für mindestens einen der Autoren.
2.) Der Bewerber darf nur eine Arbeit einreichen.
3.) Es können nur Arbeiten mit klinischer Relevanz auf dem Gebiet der Nephrologie
eingereicht werden, die noch nicht – oder nicht länger als ein Jahr vor dem Datum
der Ausschreibung – im Druck erschienen sind. Der (die) Name (Namen) des (der)
Autors* (Autoren) soll (sollen) nicht erkennbar sein. Habilitationsarbeiten sind
von der Teilnahme ausgeschlossen.
4.)Die Arbeit muss als PDF-Datei per E-Mail ([email protected]) eingereicht
werden. Die Institutionen und Namen der Autoren dürfen nicht erkennbar sein. In
der E-Mail führen Sie bitte jedoch den Titel der Arbeit, die Namen der Autoren und
die Institutionen sowie eine Kontaktadresse (postalisch und E-Mail) an.
5.) Die Zuerkennung des Preises erfolgt unter Ausschluss des Rechtsweges.
6.) Die Einreichung der Arbeit hat an das Sekretariat der Österreichischen
Gesellschaft für Nephrologie und Dialyse zu erfolgen (siehe Punkt 4).
Ausschreibung des Hans-Krister-Stummvoll-Preises
der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie 2013
Hans-Krister-Stummvoll-Preis der Österreichischen Gesellschaft für
Nephrologie in der Höhe von 3.000,– Euro
Erstautoren, deren Arbeiten für den Förderungspreis der Österreichischen Gesellschaft
für Nephrologie für das Jahr 2013 eingereicht, aber nicht mit dem Preis bedacht wurden, werden eingeladen, ihre Arbeit im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen
Gesellschaft für Nephrologie als Kurzreferat zu präsentieren.
Vom Publikum vor Ort wird mittels geheimer Abstimmung der Preisträger gewählt. Falls
Sie Ihre Arbeit auch für den Hans-Krister-Stummvoll-Preis einreichen wollen, dann bestätigen Sie dies in der E-Mail, mit der Sie die Arbeit einreichen. Es wird darauf hingewiesen, dass die Präsentation der Arbeit für den Hans-Krister-Stummvoll-Preis durch
den Erstautor der Arbeit erfolgen muss.
Der Endtermin für die Einreichung ist der 15. Juni 2013.
Ao. Univ.-Prof. Dr. Sabine Schmaldienst
(Sekretärin)
* Bezeichnungen erfolgen geschlechtsneutral
SEITE DER GESELLSCHAFT
NEPHRO Script
Univ.-Prof. Dr. Erich
Pohanka
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
D
as Wintermeeting der ÖGN hat vom 14.–16. März
2013 traditionell wieder in Fuschl bei Hof in Salzburg
stattgefunden. Das Konzept eines jährlichen Updates
relevanter nephrologischer Themen durch bestimmte Referenten wurde auch diesmal fortgesetzt. Mein Danke gilt
deshalb all jenen, die diese Aufgabe bereits seit einigen Jahren in vorbildlicher Weise erfüllen. Als Neuerung hat heuer
erstmals ein Basiskurs für Peritonealdialyse stattgefunden,
den Prof. Dr. Andreas Vychytil organisiert und abgehalten
hat. Zwar ist die eigentliche Zielgruppe der jungen Nephrologen in der Minderheit geblieben, doch beweist die hohe
Zahl an Anmeldungen, dass ein echter Bedarf für das Symposium bestanden hat. Es freut mich deshalb besonders,
dass sich Prof. Dr. Gert Mayer im Vorstand bereit erklärt
hat, das Wintermeeting auch weiterhin zu organisieren. Mein
Dank gilt aber auch der Industrie, ohne deren jahrelange
Unterstützung diese Veranstaltung nicht möglich gewesen
wäre.
Der Weltnierentag findet jedes Jahr am 2. Donnerstag im
März statt. Es ist eigentlich ein netter Zufall, dass der Weltnierentag 2013 gerade auf den ersten Tag des Wintermeetings gefallen ist. Dieser ist bekanntlich eine Initiative der
Internationalen Gesellschaft für Nephrologie (ISN) und der
Internationalen Gemeinschaft der Nierenstiftungen (IFKF).
In vielen Ländern nehmen die nationalen Gesellschaften
für Nephrologie den Weltnierentag zum Anlass, über die
Bedeutung der Nieren und die Risiken von Nierenerkrankungen zu informieren.
Auch die ÖGN hat diese Gelegenheit benützt, das öffentliche Bewusstsein für die Bedeutung der Nieren und unserer
allgemeinen Gesundheit zu schärfen. Schon bisher haben
an diesem Tag Veranstaltungen von und mit Nephrologen
an verschiedenen Zentren stattgefunden. Diesmal haben
wir über die ÖGN bewusst eine gemeinsame Aktion gestartet, die bundesweit durchgeführt, aber durch die Unterstützung von Vertretern aus allen Bundesländern auf die unterschiedlichen Regionen zugeschnitten wurde. So sind in einer
ausführlichen Presseaussendung über die APA-OTS, die
APA-Gesundheit und die APA-Science wichtige Informa-
tionen über Nierenerkrankungen, über die Probleme der
Früherkennung und über die Folgen für unbehandelte Patienten an alle relevanten Medien im Lande vermittelt worden. Dabei wurden die wichtigen Themen systematisch
aufbereitet und durch Statements der verschiedenen Experten untermauert.
Auch den Radio-Redaktionen wurden im Vorfeld aufgezeichnete Expertenstatements und O-Töne als Bausteine
für redaktionelle Berichterstattung rund um den Weltnierentag 2013 zur Verfügung gestellt. Die Statements sind in
eine kurze Anmoderation auf das Thema eingebaut worden.
Obwohl noch keine endgültige Auswertung vorliegt, kann
schon jetzt gesagt werden, dass das Angebot genützt wurde.
Berichte erfolgten – soweit bis jetzt bekannt – im Fernsehen
(ORF „heute konkret“), in 4 Radiosendern, in 3 Printmedien und in 7 Online-Medien. Zusätzlich hat auf dem Gesundheitsportal „vielgesundheit.at“ ein MedChat stattgefunden. Ich möchte auf diesem Weg allen Beteiligten, welche diese und andere Aktivitäten unterstützt haben, meinen
herzlichen Dank aussprechen.
Unser Ziel muss sein, nicht nur Patienten mit Nierenversagen zu behandeln, sondern auch zur Prävention und zur
Früherkennung beizutragen. Nephrolgen dürfen nicht nur
als Dialyseärzte wahrgenommen werden. Überhaupt wird
die öffentliche Wahrnehmung unseres Faches und unserer
Tätigkeit Voraussetzung sein, um notwendige gesundheitspolitische Anliegen thematisieren zu können. Dies wird uns
nicht durch einmalige Aktionen an einem bestimmten Tag
im Jahr gelingen, sondern es wird eine regelmäßige mediale
Präsenz und nachhaltige Strategien erfordern, wofür die kreative Unterstützung aller österreichischen Nephrologen nötig
ist.
Mit freundlichen Grüßen
Erich Pohanka
Vorsitzender der ÖGN
7
FOCUS
NEPHRO Script
uu
Durch
Senkung des HbA1c auf Werte < 7,0 % kann das Neuauftreten einer Mikroalbuminurie und die Progression zur Makroproteinurie bei Typ-1- und Typ-2-Diabetikern effektiv reduziert werden.
uu
Der renoprotektive Effekt einer optimierten Blutzuckereinstellung ist fraglich. Hypoglykämien müssen wegen des assoziierten kardiovaskulären Risikos strikt vermieden werden.
uu
Mit zunehmender Niereninsuffizienz sinkt das nephroprotektive Potenzial der Blutzuckereinstellung.
uu
Bei Patienten mit Niereninsuffizienz gilt ein systolischer Blutdruckzielwert von 120–140
mmHg (ab dem Stadium der Mikroalbuminurie: 120–130 mmHg).
uu
Bei Hypertonie bzw. ab dem Stadium der Mikroalbuminurie sollten auch bei Normotension
ACE-Hemmer oder AT1-Blocker zum Einsatz kommen (keine duale RAAS-Blockade).
Diabetische Nephropathie –
Prävention, Progression, Zielwerte
D
ie diabetische Nephropathie stellt die häufigste Ursache
einer terminalen Niereninsuffizienz dar und gehört somit
zusammen mit der hypertensiven Nephropathie zu den
häufigsten Nierenerkrankungen. Über fünfzig Prozent aller
Neuzugänge zur Nierenersatztherapie werden laut nationalen und internationalen Registerdaten durch die beiden
genannten Nierenerkrankungen verursacht. Obwohl in den
letzten Jahren tendenziell ein leichter Rückgang der inzidenten Diabetespatienten an der Nierenersatztherapie feststellbar ist, bleibt die Bedeutung therapeutischer Strategien
zur Prävention und Progressionsverlangsamung der diabetischen Nephropathie voll und ganz bestehen.
In Ermangelung des Erfolges neuerer medikamentöser präventiver Maßnahmen (z. B. Sulodexid, Bardoxolon-Methyl)
soll im Folgenden insbesondere auf die Bedeutung der Blutzucker- und Blutdruckeinstellung in den verschiedenen Stadien der diabetischen Nephropathie sowie auf die entsprechenden therapeutischen Ziele und Strategien eingegangen
werden.
Blutzuckereinstellung
Bei Typ-1-Diabetikern konnte erst kürzlich in der Nachbeobachtungsphase der DCCT-Studie (EDIC) eindrucksvoll
gezeigt werden, dass eine initial gute glykämische Kontrolle
(HbA1c: 7,3 vs. 9,1 %) über 6,5 Jahre auch nach 22 Jahren
8
OA Dr. Roland Edlinger
OA Dr. Martin Auinger
3. Medizinische Abteilung für Stoffwechselerkrankungen und Nephrologie,
Krankenhaus Hietzing
trotz Annäherung der HbA1c-Werte nicht nur das Neuauftreten einer Makroproteinurie um 66 %, sondern auch das
Auftreten einer renalen Insuffizienz (definiert als eGFR <
60 ml/min) um 50 % zu reduzieren vermag.1
In ähnlicher Weise konnte dieser Effekt des „glycemic memory“ auch bei Typ-2-Diabetikern (HbA1c: 7,0 vs. 7,9 %)
in der Nachbeobachtungsphase der UKPD-Studie gezeigt
werden. Die dabei festzustellende Reduktion des kombinierten mikrovaskulären Endpunktes von 25 % blieb trotz
Angleichung der HbA1c-Werte bereits ein Jahr nach Studienende über weitere 10 Jahre erhalten. Zusätzlich zeigte sich
auch eine ursprünglich nicht signifikante Reduktion des
Myokardinfarktes und des diabetesassoziierten Todes
˘
um 15 bzw. 17 %.2
FOCUS
NEPHRO Script
Unter Miteinbeziehung weiterer großer Diabetesstudien mit
Patienten mit bereits langjähriger Diabetesanamnese und
oft zusätzlichen makrovaskulären Komorbiditäten konnte
in einer rezenten Metaanalyse von 7 Studien mit ca. 28.000
Typ-2-Diabetikern über einen Beobachtungszeitraum von
2–15 Jahren die Bedeutung der glykämischen Kontrolle im
Hinblick auf die Reduktion des Neuauftretens einer Mikroalbuminurie von 14 % und einer Makroproteinurie von
26 % unterstrichen werden. Enttäuschend war allerdings
die fehlende Reduktion härterer klinischer Endpunkte wie
Nierenfunktionsverschlechterung, Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie oder Tod aus renaler Ursache.3
In einer weiteren Metaanalyse von 13 Studien mit ca. 34.500
Typ-2-Diabetikern wurde von den Autoren insbesondere
darauf hingewiesen, dass zwar die renalen Surrogatparameter einer neu auftretenden oder zunehmenden Albuminurie
(eigentlich nur für den Typ-1-Diabetiker gesichert!) signifikant um 10 % verringert werden konnten, daraus aber
keine Reduktion harter renaler Endpunkte resultierte; der
Benefit hinsichtlich der kardiovaskulären und Gesamtmortalität ist inkonklusiv, zumal es unter stringenter Blutzuckereinstellung zu einer drastischen Erhöhung der Hypoglykämierate kam (HR 2,33!; Abb. 1).4
In einer rezenten Kohortenstudie mit ca. 23.000 Typ-2-Diabetikern mit einer eGFR < 60 ml/min und einem medianen
Follow-up von 46 Monaten wurden verschiedene makroNew or worsening microalbuminuria
UGDP22, 23
15/187
UGDP24
22/384
UKPDS27
305/2538
Kumamoto25
5/55
PROactive28
555/2218
ACCORD7
399/3204
ADVANCE6
1318/5571
Home30
15/196
VADT8
30/728
Total (99% Cl)
2664/15081
15/191
9/186
152/1048
10/55
563/2225
494/3232
1434/5569
14/194
48/731
2739/13431
vaskuläre und renale Outcome-Parameter untersucht.5 Im
Vergleich zu einem HbA1c < 7 % zeigte sich ein signifikant
erhöhtes Risiko einer terminalen Niereninsuffizienz bzw.
einer Verdoppelung des Serumkreatinins erst bei HbA1cWerten > 9 %. Dieser Effekt war bei Patienten im CKDStadium 3 (HR 2,52 bzw. 1,77) deutlich stärker ausgeprägt
als im CKD-Stadium 4, wobei hier lediglich die Verdoppelung des Kreatininwertes mit einer HR von 1,4 signifikant
erhöht war, nicht jedoch das ESRD-Risiko. Diese Beobachtung legt nahe, dass das nephroprotektive Potenzial einer
strikten Blutzuckereinstellung mit Abnahme der exkretorischen Nierenfunktion an Bedeutung verliert. Hinsichtlich
der Gesamtmortalität zeigte sich das geringste Risiko bei
HbA1c-Werten zwischen 6,5 und 8 %.
Eine patientenorientierte Festlegung des HbA1c-Zielbereiches
wurde auch ganz rezent in einem Positionspapier von ADA
und EASD unter Mitberücksichtigung der Diabetesdauer,
der Komorbiditäten, des Hypoglykämierisikos und der Lebenserwartung empfohlen. Das empfohlene HbA1c-Ziel variiert dabei von < 6,5 % bis < 8 % – je nach Risikoprofil.6
Unter dem Aspekt der Sicherheit einer guten glykämischen
Kontrolle im Hinblick auf das Hypoglykämierisiko lässt
sich auch hinsichtlich der Lebenserwartung von Patienten
an der Hämodialyse anhand rezenter Survival-Analysen von
Registerdaten und retrospektiver Auswertungen prospektiver Studiendaten ein HbA1c-Zielbereich von 7–8 % emp-
0.5
0.4
7.7
0.4
20.1
17.6
51.2
0.5
1.7
100.0
1.02 (0.41 to 2.52)
1.18 (0.44 to 3.20)
0.83 (0.65 to 1.05)
0.50 (0.13 to 1.88)
0.99 (0.87 to 1.13)
0.81 (0.69 to 0.96)
0.92 (0.84 to 1.00)
1.06 (0.42 to 2.66)
0.63 (0.35 to 1.13)
0.90 (0.85 to 0.96)
1.2
0.6
0.5
92.9
2.2
2.8
100.00
0.93 (0.51 to 1.68)
1.21 (0.53 to 2.79)
0.74 (0.26 to 2.11)
1.03 (0.98 to 1.08)
1.10 (0.70 to 1.73)
1.00 (0.98 to 1.49)
1.03 (0.98 to 1.08)
Test for heterogeneity: χ2 = 11.64, df = 8, P = 0.17, I2 = 31%
Test for overall effect: z = 4.18, P<0.001
Renal failure or doubling of serum creatinine level
UGDP22, 23
48/374
25/181
UGDP24
19/187
16/191
UKPDS27
18/3071
9/1138
ACCORD7
2701/5035
2627/5034
ADVANCE6
67/5571
61/5569
VADT8
78/882
78/884
Total (99% Cl)
2931/15120
2816/12997
Test for heterogeneity: χ2 = 1.27, df = 5, P = 0.94, I2 = 0%
Test for overall effect: z = 1.44, P = 0.15
Favours
intensive
treatment
Favours
standard
treatment
Abb. 1: Reduktion renaler Endpunkte durch intensivierte Blutzuckersenkung in Endpunktstudien (Metaanalyse aus 13 Studien mit 34.500 Patienten mit Typ-2-Diabetes)4
10
FOCUS
NEPHRO Script
Der Effekt einer noch tieferen Senkung des
Blutdrucks bei multimorbiden Typ-2-Dia154
160
143
betikern wurde im Blutdruckarm der
40
140
138
137
133
34
34
ACCORD-Studie untersucht.13 Der primäre
132
31
150
128
119
Endpunkt, bestehend aus kardiovaskulärem
30
Tod, nichttödlichem Schlaganfall und nicht140
25
tödlichem Herzinfarkt sowie die Gesamt20
130
mortalität waren nach 4,7 Jahren Beobachtungszeit in beiden Blutdruckgruppen
10
8
120
(119,3 vs. 133,5 mmHg systolisch) nicht
153
145
144
145
139
134
unterschiedlich. Lediglich das Auftreten von
110
0
ABCD
ABRD
S.EUR
Shep
UK
Hot
HOPE
ADV
ABCD
Schlaganfällen konnte isoliert betrachtet um
NT
DM
DM
PDS
DM
HT
41 % reduziert werden, während schwere
■ Standard ■ intensiviert
■ Kardiovaskuläre Ereignisse
Nebenwirkungen im intensivierten Blutdruckarm mit 3,3 % vs. 1,3 % deutlich häuAbb. 2: Einfluss der Reduktion systolischer Blutdruckwerte auf die kardiovaskuläre
­Ereignisrate bei Typ-2-Diabetikern in Abhängigkeit von den Ausgangswerten und den er- figer waren. Insbesondere traten Hypotenreichten Blutdruckwerten in verschiedenen Interventionsstudien36
sion, Hyperkaliämie und ein Anstieg des
Serumkreatinins signifikant häufiger auf.
fehlen, wobei jeweils für tiefere als auch für höhere Werte
Auch eine Reanalyse der INVEST-Studie sowie die ONTARGET-Studie wiesen bei Typ-2-Diabetikern mit koroein Anstieg der Mortalität festzustellen ist.7, 8
narer Herzkrankheit auf ein erhöhtes Myokardinfarkt- und
Mortalitätsrisiko bei Blutdruckwerten < 120/70 mmHg
Blutdruckeinstellung – Zielblutdruck
hin.14, 15
Bei der Mehrzahl der Patienten mit Typ-2-Diabetes liegt
Ein Anstieg der Mortalität konnte auch in der IDNT-Stueine arterielle Hypertonie vor. Diese vervielfacht das Risiko
die bei Patienten mit diabetischer Nephropathie und auskardiovaskulärer Komplikationen und stellt somit den wichgeprägter Proteinurie sowie bereits eingeschränkter Nierentigsten modifizierbaren Risikofaktor dar, dessen Stellenwert
funktion bei systolischen Blutdruckwerten < 120 mmHg
jenen der Blutzuckereinstellung übertrifft. Dies konnte zubeobachtet werden, während hinsichtlich der Progression
letzt auch in einer retrospektiven Analyse der Daten von
des GFR-Verlustes kein unterer Blutdruckschwellenwert
1.145 Teilnehmern der Framingham-Studie mit neu diafestzustellen war.16
9
gnostiziertem Typ-2-Diabetes gezeigt werden.
Zusammenfassend wurde auch in einer rezenten MetaanaEine Reihe von Interventionsstudien mit Diabetikern mit
lyse von 13 Studien mit insgesamt knapp 38.000 Typ-2-DiHypertonie konnte sehr eindrucksvoll das Neuauftreten einer
abetikern durch ein Absenken des systolischen Blutdruckes
Mikroalbuminurie, die Progression zur Makroalbuminurie
< 130 vs. < 135 mmHg kein Benefit hinsichtlich des Risikos
sowie auch eine Verlangsamung des GFR-Verlustes mit Refür Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, kardiovaskuläre Morduktion eines terminalen Nierenversagens zeigen. Zusätzlich
talität und Gesamtmortalität gefunden. Lediglich in Bezug
kann durch eine adäquate Blutdruckeinstellung auch die
auf das Risiko für Schlaganfall und Nephropathie ergab sich
kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität reduziert werden
ein Vorteil der strengeren Blutdruckeinstellung. Durch die
(Abb. 2).
tiefere Blutdrucksenkung wurden jedoch nur die SurrogatIn der UKPD-Studie konnte bei neu diagnostizierten Typparameter einer neu auftretenden Mikroalbuminurie und
2-Diabetikern über 8 Jahre durch eine strengere Einstellung
Makroproteinurie beeinflusst, nicht jedoch der GFR-Verlust
des Blutdruckes (im Mittel 154/87 vs. 144/82 mmHg) eine
und das terminale Nierenversagen.17
Reduktion des mikrovaskulären Endpunktes um 37 % und
In Ermangelung harter wissenschaftlicher Daten bezüglich
in der ADVANCE-Studie mit bereits langjährigen Typdes Benefits und der fragwürdigen kardiovaskulären Sicher2-Diabetikern mit makrovaskulären Komorbiditäten bei ca.
heit einer allzu strikten Blutdruckeinstellung wurde in den
einem Drittel der Patienten über 4 Jahre eine Reduktion
erst kürzlich publizierten KDIGO-Guidelines bei Diabetikern
des Neuauftretens einer Mikroalbuminurie um 21 % und
ein genereller Zielblutdruck ≤ 140/90 mmHg und ab dem
des kardiovaskulären Todes um 18 % gezeigt werden, wobei
Stadium der Mikroalbuminurie ein Zielwert ≤ 130/80 mmHg
der mittlere Blutdruck bei 140/76 bzw. 135/74 mmHg
empfohlen.18 Im Vergleich zu früheren Empfehlungen wur10, 11
lag.
In der ADVANCE-Studie war hinsichtlich der Neden diese Werte etwas nach oben revidiert, wobei allerdings
phroprotektion bis zu systolischen Blutdruckwerten
nicht ganz verständlicherweise immer noch Blutdruckwerte
< 110 mmHg kein unterer Schwellenwert feststellbar.12
„kleiner als“ anstatt vielleicht besser „von – bis“ im Sinne ˘
Systolischer Blutdruck (mmHG)
162
155
148
40
Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse (%)
50
170
11
FOCUS
NEPHRO Script
eines Blutdruckzielbereichs vorgegeben werden. Ursache hierfür ist möglicherweise die erwähnte Dissoziation zwischen
der Reduktion renaler Surrogatparameter und der steigenden
kardiovaskulären Ereignisrate bei systolischen Blutdruckwerten
< 110–120 mmHg.
Blutdruckeinstellung –
Wahl des Antihypertensivums
In den bereits erwähnten KDIGO-Guidelines werden ab
dem Auftreten einer Mikroalbuminurie (Albumin/KreatininRatio im Spontanharn > 30 mg/g) als First-Line-Therapie
ACE-Hemmer und AT1-Blocker als gleichwertig empfohlen.
Während weder für Typ-1- noch für Typ-2-Diabetiker mit
normotensivem Blutdruck und Normoalbuminurie eine
RAAS-Blockade das Neuauftreten einer Mikroalbuminurie
verhindern konnte,19, 20 zeigten die BENEDICT- und die
ROADMAP-Studie eine effektive Primärprävention einer
De-novo-Mikroalbuminurie bei Typ-2-Diabetikern mit
Hypertonie. Das unterstreicht die Bedeutung der RAASBlockade in der Prävention der diabetischen Nephropathie.21, 22
Die Progression der Mikroalbuminurie zur Makroproteinurie konnte sowohl bei Typ-1-Diabetikern als auch bei Typ2-Diabetikern in der IRMA-2-Studie verzögert werden.23, 24
Ebenso konnte auch bei Typ-1-Diabetikern unter einer
ACE-Hemmer-Therapie und bei Typ-2-Diabetikern unter
einer AT1-Blocker-Therapie bei Patienten mit Makroproteinurie und bereits eingeschränkter Nierenfunktion der
GFR-Verlust verlangsamt werden (IDNT-Studie); in der
RENAAL-Studie wurde darüber hinaus das Risiko einer
terminalen Niereninsuffizienz um 28 % signifikant reduziert.25–27 Die IDNT-Studie erbrachte hinsichtlich des renalen Endpunktes einen Vorteil der RAAS-Blockade gegenüber Amlodipin, der bei schlechterer Kontrolle des arteriellen Blutdrucks besonders ausgeprägt war.16
Aus kardiovaskulärer Sicht bringt, wie die MICRO-HOPEund die ONTARGET-Studie überzeugend nachwiesen, eine
RAAS-Blockade einen kardiovaskulären Benefit, wobei ACEHemmer und AT1-Blocker gleichwertig sind.28, 29
In der erwähnten RENAAL-Studie bei bereits fortgeschrittenerer Nephropathie wurde allerdings der kombinierte
Endpunkt aus kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität
nicht reduziert, lediglich die Hospitalisierungsrate wegen
Herzinsuffizienz war geringer.27
Da in der klinischen Praxis zum Erreichen der oben genannten Blutdruckzielwerte meist zwei bis drei verschiedene antihypertensive Substanzklassen erforderlich sind, sind Kombinationstherapien von größter Bedeutung.
Eine duale RAAS-Blockade kann aufgrund des fehlenden
12
Benefits und eines sehr ungünstigen Nebenwirkungsprofils
(Hypotension, Hyperkaliämie, akutes Nierenversagen, rascherer GFR-Verlust) nicht empfohlen werden. Evidenz
hierfür besteht sowohl für die kombinierte ACE-Hemmerund AT1-Blocker-Therapie aus der ONTARGET-Studie
als auch für die Kombination eines ACE-Hemmers oder
eines AT1-Blockers mit dem direkten Reninhemmer Aliskiren aus der ALTITUDE-Studie.30, 31
Für eine duale antihypertensive Therapie bei Patienten mit
hohem kardiovaskulärem Risiko liegen aus kardiovaskulärer
und nephroprotektiver Sicht aus der ACCOMPLISH-Studie (60 % Diabetiker) die besten Daten für eine Kombination aus einer RAAS-Blockade mit einem Kalziumantagonisten vor. Die primäre Kombination von Benazepril mit
Amlodipin zeigte im Vergleich zu Hydrochlorothiazid eine
20%ige Reduktion eines kombinierten kardiovaskulären
Endpunktes sowie eine 41%ige Reduktion des Risikos für
eine Verdoppelung des Serumkreatinins.32, 33 Aus kardiovaskulärer Sicht kommt dieser Vorteil vor allem bei einem BMI
≤ 30 zum Tragen.34
Zusammenfassend haben die erwähnten Überlegungen bezüglich der Blutzucker- und Blutdruckkontrolle zur Prävention und Progressionsverlangsamung der diabetischen
Nephropathie auch Eingang in die aktualisierten Guidelines
der ÖDG und ÖGN gefunden.35
■
1
2
3
4
5
6
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8
9
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28
29
30
31
32
33
34
35
36
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NEPHRO Script
FOCUS
uu
Bei
eingeschränkter Nierenfunktion ist der HbA1c-Wert meist falsch niedrig oder
falsch hoch.
uu
Die zunehmende Nierenfunktionseinschränkung erhöht das Hypoglykämierisiko.
uu
Nur diese Antidiabetika können in unveränderter Dosis bis zur dialysepflichtigen Nieren­
insuffizienz verwendet werden: das Insulinsekretagogum Repaglinid, der Sulfonylharnstoff
Gliquidon, der Insulinsensitizer Pioglitazon, der Alpha-Glukosidasehemmer Acarbose und der
DPP-4-Hemmer Linagliptin.
Erfreulicherweise zeigen die Daten des Österreibamylierung des Hämoglobins, Eisenmangel oder
Azidose. Die Blutzuckerprofilmessung, beispielschischen Dialyse- und Transplantationsregisters
(www.nephro.at) in den vergangenen Jahren einen
weise mit vorgegebenen Nüchternmessungen und
Rückgang der Inzidenz des diabetesbedingten ter2-stündlichen postprandialen Messungen, ist ausminalen Nierenversagens. Dies ist vor allem auf
sagekräftiger, aber aufwändig in der Durchführung.
Glukosesensoren könnten dabei hilfreich sein.
verbesserte präventive und therapeutische MaßTabelle 1 zeigt, welche Faktoren bei zunehmender
nahmen in der Behandlung des Typ-2-Diabetes
zurückzuführen (Blutdruck- und Stoffwechsel- Univ.-Prof. Dr. Renate Nierenfunktionsverschlechterung die BlutzuckereinKlauser-Braun
kontrolle, Risikofaktorenreduktion etc.). Bei distellung verbessern bzw. verschlechtern. Insgesamt
3. Med. Abteilung, SMZ
abetischen Patienten mit eingeschränkter Nieren- Ost-Donauspital, Wien überwiegen die Faktoren, die zu niedrigeren Blutfunktion sollte besonderes Augenmerk auf die
zuckerwerten und somit zu einer erhöhten HypoBehandlung des Diabetes gelegt werden – und
glykämiegefahr führen. Somit ist der ältere Patient,
dies unabhängig von der Ursache des Nierenversagens.
der per se schon ein höheres Hypoglykämierisiko hat, bei gleichzeitig bestehender Niereninsuffizienz zusätzlich gefährdet. Ein
weiterer Risikofaktor ist das potenzielle akute Nierenversagens
Stoffwechseleinstellung, Nierenfunktion und
bei Exsikkose, einer häufigen Folge fieberhafter bzw. gastroinBlutzucker
testinaler Infekte. Nicht zuletzt durch detaillierte Auswertungen
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich nicht nur in der
von großen rezenten Studien zur intensiven Blutzuckersenkung
internationalen Studienliteratur, sondern auch in den ent(ACCORD, ADVANCE, VADT) ist das Bewusstsein um die
kardiovaskuläre Gefahr gewachsen, die von hypoglykämischen
sprechenden Guidelines der Diabetesgesellschaften als Maß
Episoden ausgeht. Da bei zunehmender Nierenfunktionseinbzw. als Ziel einer guten Blutzuckereinstellung der HbA1cschränkung auch das Hypoglykämierisiko zunimmt, ist hier
Wert als Langzeitparameter etabliert. Es werden heute indibesondere Vorsicht geboten.
viduelle Ziele definiert, die bei älteren multimorbiden Diabetikeren durchaus um 7,5 % liegen können. Dabei ist aber
zu beachten, dass der HbA1c-Wert bei eingeschränkter NieOrale Antidiabetika bei Niereninsuffizienz
renfunktion meist falsch niedrig oder falsch hoch ist. Ein
falsch niedriger HbA1c-Wert kann unter anderem bedingt
Abbildung 1 macht ersichtlich, dass nur wenige Antidiabesein durch die Verkürzung der Erythrozytenlebensdauer,
tika in unveränderter Dosis bis zur dialysepflichtigen NieTransfusionen oder eine Erythropoitintherapie. Ursachen
reninsuffizienz verwendet werden können: Repaglinid als
für einen falsch hohen HbA1c sind beispielsweise eine Carkurzwirksames Insulinsekretagogum, Gliquidon als Sulfonylharnstoff ohne renale Ausscheidung, Pioglitazon als Insulinsensitizer (cave: Herzinsuffizienz, Hämaturie, Frakturen),
Tab. 1: Niereninsuffizienz und Stoffwechsel
Acarbose als Alphaglucosidasehemmer (kaum verwendet, da
Blutzucker ”
Blutzucker “
gastrointestinal schlecht verträglich) und Linagliptin als DPPVeminderte Clearance von
Vermehrte Insulinresistenz
4-Hemmer, der nicht renal ausgeschieden wird. Bei fort­Insulin
schreitender Niereninsuffizienz muss auch die Insulindosis
Reduziert Glukogenese
Verminderte Insulinproduktion
reduziert werden, da Insulin (unabhängig ob endogen sezerMalnutrition
niert oder exogen zugeführt) renal ausgeschieden wird.
14
Foto: R. Obermayer
Diabetestherapie bei Niereninsuffizienz
FOCUS
NEPHRO Script
Insulin
Liraglutid
Exenatid
Linagliptin
Tab. 2: Kombinationspräparate mit Metformin
Partner
Handelsname
Dosierung
Piogliatzon
Competact
15 850
Sitagliptin
Janumet, Velmetia
50 850–1.000
Vildagliptin
Eureas
50 850–1.000
Saxagliptin
Komboglyze
2,5 850–1.000
Linagliptin
Jentadueto
2,5 850–1.000
Saxagliptin
Dosisanpassung auf 2,5 mg/Tag
Sitagliptin
Dosisanpassung auf 50 mg/Tag
Vildagliptin
Dosisanpassung auf 50 mg/Tag
*
Pioglitazin
Acarbose
Miglitol
Repaglinid
Glimepirid/Gliclazid
Metformin
Bei Sulfonylharnstoffen (außer bei Gliquidon) ist eine Dosisanpassung bei Nierenfunktionseinschränkung notwendig.
Man muss sich auch dessen bewusst sein, dass die Hypoglykämiegefahr gerade beim älteren Patienten, der zunehmend niereninsuffizient wird, durch die verminderte renale
Insulinausscheidung und auch durch verminderte Clearence
des Medikaments gefährlich steigen kann. Bei Glimepirid
ist in Hinblick darauf besondere Vorsicht geboten, da im
Gegensatz zu Gliclazid metabolisch aktive Metaboliten anfallen, die zu protrahierten – auch lebensbedrohenden –
Hypoglykämien führen können. Eine sehr gefährliche Situation ist das akute Nierenversagen bei gastrointestinalem
Infekt beim älteren Patienten.
Die Gruppe der DPP-4-Hemmer, die in den vergangenen
Jahren das therapeutische Spektrum erfreulicherweise erweitert und aufgrund guter Verträglichkeit, geringer Hypoglykämiegefahr und Gewichtsneutralität an Beliebtheit deutlich gewonnen haben, müssen bei Niereninsuffizienz in ihrer
Dosis angepasst werden. Ausnahme ist hier Linagliptin. Besondere Aufmerksamkeit gilt bei Fixkombinationspräparate
mit Metformin, die leider aufgrund der Namensgebung nicht
immer leicht erkennbar sind. Da die Metformindosis in den
Kombinationstherapeutika bei 850 mg oder 1000 mg liegt,
sind diese Medikamente bei GFR < 50 ml/min kontraindiziert (Tab. 2).
Aufgrund der aktuellen Datenlage sind GLP-1-Agonisten
(Exenatid, Liraglutid, Lixisenatid) bei einer Kreatininclearence von < 50 ml/min nicht oder nur eingeschränkt dosisreduziert anwendbar. Leider sind die Zulassungsgrenzen
je nach Studienlage nicht einheitlich 50 bzw. 60 ml/min
sondern individuell festgesetzt.
Metformin als First-line-Therapeutikum in allen Guidelines
mit hervorragendem kardiovaskulärem und malignomsenkendem Profil, gewichtsneutral und ohne Hypogefahr, obwohl
rezente Metaanalysen die Benefit/Risiko-Ratio etwas relativieren, ist laut Arzneimittelinformation bei einer Kreatininclearence < 50ml/min kontraindiziert. Viele nephrologische und
diabetologische Fachgesellschaften sowie Fachkommentare
versuchen, diese strikte Grenze aufzuweichen und ein fraktioniertes Vorgehen mit reduzierter Dosis bei einer eGFR von
30–50 ml/min und eine komplette Kontraindikation erst ab
einer höhergradigen Niereninsuffizienz (eGFR < 30 ml/min)
zu empfehlen. In einer umfassenden Metaanalyse von 347
Dosisanpassung
SmPC
NICE
Review Use
Australisch
Vorsichtige Verwendung
Kanadisch
Vorsichtige Verwendung
Lipska et al.
**
25
< 30
ESRD Dialyse
* Dosisanpassung auf 25 mg/Tag, ** Review und vorsichtige Dosireduzierung
> 60
60
55
50
45
40
eGFR, ml/min 1,73 m2
35
30
Avogaro A, Schernthaner G, Acta Diabetologica 2013
Abb. 1: Diabetestherapie bei Niereninsuffizienz
Studien mit mehr als 70.000 Patientenjahren unter MetforminTherapie fand sich keine Evidenz für ein erhöhtes Risiko einer
Laktatazidose (Salpeter SR, Cochrane Database Syst Rev 2010;
4). Allerdings sollte dem behandelnden Arzt klar sein, dass im
Falle eines akuten Nierenversagens (nicht selten beim älteren
Patienten mit fieberhaftem gastrointestinalem Infekt und laufender Therapie mit Metformin und eventuell auch RAASBlockade oder unter NSAR-Therapie etc.) eine lebensbedrohende (Laktat-)Azidose mit Hyperkaliämie auftreten kann. Der
ältere Patienten sollte darauf hingewiesen werden, bei Verdacht
auf akutes Nierenversagen rechtzeitig medizinische Hilfe in
Anspruch zu nehmen und im Zweifelsfall Metformin und auch
RAAS-Hemmer zu pausieren.
Neue medikamentöse Möglichkeiten
Eine neue Medikamentengruppe, die SGLT2-Hemmer (Dapagliflozin seit 1. 3. 2013 in Österreich zugelassen), unterdrückt die Reabsorption von Glukose aus dem Harn und führt
somit zu einer kontinuierlichen Glukosurie. Eine Anwendung
ist nur für eine Nierenfunktion > 60 ml/min vorgesehen. Die
Blutzuckersenkung ist dabei mit einer Gewichtsabnahme und
keiner erhöhten Hypoglykämiegefahr verbunden. Abgesehen
von etwas häufigeren Infekten im Urogenitalbereich (eher bei
Frauen als bei Männern) ist dieser therapeutische Ansatz durchaus interessant und zukünftige Langzeitdaten werden über
den Stellenwert dieser Substanzgruppe in der oralen Therapie
des Diabetes Aufschluss geben.
Somit ist in den letzten Jahren das Armamentarium der
antidiabetischen Therapie durchaus gewachsen und auch
vom pathophysiologischen Therapieansatz her weiterentwickelt worden. Diese neuen Möglichkeiten und die daraus
entwickelten Kombinationspräparate erfordern aber auch
eine regelmäßige Weiterbildung des behandelnden Arztes,
um auf individuelle Bedürfnisse der Patienten und deren
Komorbiditäten Rücksicht nehmen zu können.
■
15
FOCUS
NEPHRO Script
uu
Seit
der ersten Pankreastransplantation in Innsbruck im Dezember 1979 haben sich
die Therapieergebnisse dramatisch verbessert, inzwischen liegen von mehr als 500
Transplantationen Langzeitergebnisse vor.
uu
Zu den wichtigsten Faktoren für das Patientenüberleben und das Organüberleben zählen die
sorgfältige kardiologische Evaluation der potenziellen Organempfänger und eine intensivierte Infektionsprophylaxe, was zu einer weiteren Verbesserung führt.
uu
Die kombinierte Pankreas-Nieren-Transplantation ist Therapie der Wahl beim niereninsuffizienten Typ-1-Diabetiker.
32 Jahre Pankreastransplantation in Innsbruck
D
ie kombinierte Pankreas-Nieren-Transplantation (SPK)
ist in den letzten Jahrzehnten zu einem Standardverfahren
geworden und derzeit die Therapie der Wahl für Patienten
mit Typ-1-Diabetes und terminaler Niereninsuffizienz. Die
Indikation zur Single-Pankreas-Transplantation (PTA) besteht
beim Typ-1-Diabetiker mit rezidivierenden, lebensbedrohlichen Hypoglykämien, jene zur SPK auch bei ausgewählten
Patienten mit Typ-2-Diabetes. An der Abteilung für Visceral-,
Transplantations- und Thoraxchirurgie der Medizinischen
Universität Innsbruck wurde die erste Pankreastransplantation
im Dezember 1979 durchgeführt. Die ersten Pankreastransplantationen zeigten einen begrenzten Erfolg. Allerdings machten Verbesserungen in der chirurgischen Technik und der
Immunsuppression sowie die wachsende Erfahrung im periund postoperativen Management die Pankreastransplantation
in den 1990er-Jahren zu einem Routineverfahren. In den vergangenen 10 Jahren konnte ein 5-Jahres-Pankreastransplantatüberleben von mehr als 80 % erreicht werden.
Nur wenige Zentren haben bisher Erfahrungen veröffentlicht, die die gesamte Ära der klinischen Pankreastransplantation umfassen. Wir beschreiben hier die Entwicklung der
Pankreastransplantation von 1979 bis heute mit dem Fokus
auf technische Verbesserungen, Patientenselektion bzw.
-vorbereitung, immunsuppressive Strategien und Infektprävention in Hinblick auf Patienten, Pankreas- und Nierentransplantatüberleben.
Methoden
Datenerhebung: Alle konsekutiven Pankreastransplanta­
tionen zwischen Dezember 1979 und Dezember 2011 wurden in einer elektronischen Datenbank erfasst. Erfasst wurden: Spenderalter, Geschlecht, Blutgruppe, Body-Mass-Index (BMI), Todesursache, HLA-Phänotyp, Datum der
Transplantation, kalte Ischämiezeit (CIT), Anastomosenzeit,
16
Ao. Univ.-Prof. Dr.
Robert Öllinger
FA Dr. Christian
Margreiter
Univ.-Prof. Dr. Johann
Pratschke
Visceral-, Transplantations- und Thoraxchirurgie,
Medizinische Universität Innsbruck
Art der Transplantation – SPK, PTA oder Pankreas nach
Nierentransplantation (PAK) –, venöse Drainage, exokrine
Drainage, initiale immunsuppressive Therapie, Antibiose,
Empfängeralter, Geschlecht, Blutgruppe, Wartezeit, BodyMass-Index (BMI), HLA-Phänotyp, panel-reaktive Antikörper (PRA) zum Zeitpunkt der Transplantation, Todesursache und Ursache für den Transplantatverlust wurden
erhoben. Patienten mit positivem C-Peptid wurden als Typ2-Diabetiker klassifiziert. Patienten, die in einem Zeitraum
von 365 Tage nicht gesehen wurden, wurden als „lost to
follow-up“ gewertet. Als Pankreastransplantatverlust wurde
der Bedarf an exogenem Insulin, als Nierentransplantatverlust die Rückkehr zur Dialyse definiert.
Organspender: Ausschlusskriterien für ein Spenderpankreas
waren Alter > 55 oder < 5 Jahre, BMI > 30, > 7 Tage auf
der Intensivstation, akute oder chronische Pankreatitis,
Bauchtrauma, intraabdominelle Infektionen und schwere
Pankreaslipomatose (Ultraschall- oder CT-Diagnose).
Empfänger: Patienten mit Typ-1-Diabetes mit terminaler
Niereninsuffizienz (Kreatininclearance < 30 ml/min oder
Hämodialyse) oder mit lebensbedrohlichen Hypoglykämien
und Typ-2-Diabetiker mit terminaler Niereninsuffizienz.
NEPHRO Script
100
100
80
80
Überleben (%)
Überleben (%)
FOCUS
60
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■ 2004–2011
■ 1997–2003
■ 1989–1996
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■ 2004–2011
■ 1997–2003
■ 1989–1996
■ 1979–1988
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3
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2
Jahre
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5
Abb. 1a: 5-Jahres-Patientenüberleben in den 4 Epochen
Abb. 1b: 5-Jahres-Pankreastransplantatüberleben in den 4 Epochen
Bei Patienten mit ≥ 2 Risikofaktoren wie einem abnormen
myokardialen Scan, Bluthochdruck oder Raucheranamnese
erfolgte ab dem Jahr 1988 eine Koronarangiographie. Wenn
indiziert, wurden Angioplastie und Stent oder ein aortokoronarer Bypass durchgeführt.
125 mg am Tag 2) gefolgt von Prednisolon 100 mg/Tag,
mit einer Reduktion um 10–20 mg/Tag, dann weiter reduziert um 2,5 mg alle zwei Wochen bis zu einer Erhaltungsdosis von 7,5 mg/Tag. Wann immer möglich, wurden Steroide am Ende des ersten Jahres vollständig abgesetzt.
OP-Technik, Spender: Alle Transplantate, ob segmental
oder „full-size“, wurden in einer „No touch“-Technik nach
Perfusion mit EuroCollins, University of Wisconsin (UW),
oder Histidin-Tryptophan-Ketoglutarat(HTK)-Lösung entnommen.
Ergebnisse
OP-Technik, Empfänger: Die exokrine Sekretion von segmentalen Bauchspeicheldrüsen wurde anfänglich durch Okklusion des Ductus pancreaticus mit einer Prolaminlösung
(Ethibloc) versorgt, später durch Rekonstruktion mit einer
Roux-en-Y-Jejunumschlinge, gefolgt von einer verzögerten
Okklusion nach Extraperitonealisierung der Schnittfläche der
Bauchspeicheldrüse oder durch Blasendrainage. Nach dem
Einführen der „Whole organ“-Transplantation im Jahr 1997
wurde die Duodenojejunostomie zur Standardtechnik. Während für die Gefäßrekonstruktion der segmentalen Transplantate die Arteria lienalis und die Pfortader verwendet wurden, wurden bei der „Full-size“-Transplantation die Spendergefäße (A. lienalis, A. mesenterica superior) mit einem Y-Graft
(Iliakalgabel) verlängert. Die Venen der segmentalen Transplantate wurden an die V. iliaca communis oder externa anastomosiert, die Venen der „Full-size“-Organe entweder an
die V. cava inferior oder an die V. mesenterica superior.
Immunsuppression: Die Induktionstherapie wurde im Jahr
1998 eingeführt und bestand aus Antithymozytenglobulin
(ATG), Basiliximab/Daclizumab oder Alemtuzumab. Zyklosporin A (CyA) wurde ab 1982 und Tacrolimus ab 1997
als Eckpfeiler der Immunsuppression eingesetzt. Alle Patienten erhielten von Anfang an Azathioprin (AZA) und ab
dem Jahr 1996 MMF. Steroide wurden bei allen Patienten
verwendet. Unser aktuelles Standardprotokoll besteht aus
ATG (2,5 mg/kg, „single-shot“), Tacrolimus (0,1 mg/kg/
Tag, angestrebte Talspiegel in den ersten 4 Wochen:
10–14 ng/dl), Mykophenolat Mofetil (MMF; 2 g/d) und
Methylprednison (500 mg am Tag 0, 250 mg am Tag 1,
Insgesamt wurden an unserem Zentrum zwischen 1979 und
2011 509 Pankreastransplantationen (442 SPK, 20 PTA,
47 PAK) durchgeführt. Die mittlere Nachbeobachtungszeit
betrug 8,3 (0,1–27,9) Jahre. 26 Patienten (5,1 %) wurden
als „lost to follow-up“ deklariert. Insgesamt erfolgten 58
Retransplantationen (11,4 %).
Indikationen: In der Mehrzahl der Fälle war Typ-1-Diabetes die Grunderkrankung (n = 491), in einigen Fällen
Typ-2-Diabetes (n = 18). 471 Typ-1-Diabetiker (427 SPK,
44 PAK) und alle Typ-2-Diabetiker (15 SPK, 3 PAK) waren
terminal niereninsuffizient. Eine PTA wurde bei 20 Typ1-Diabetikern durchgeführt.
Langzeitüberleben (Abb. 1a und b): Die 1-, 5-, 10- und
20-Jahres-Überlebensraten betrugen 94,9 %, 87,6 %, 77,0 %
und 51,4 %. Das 1-, 5-, 10- und 20-Jahres-Pankreastransplantatüberleben lag bei 78,1 %, 65,0 %, 50,9 % und 28,6 %.
Frühphase (1979–1988): Zwischen 1979 und 1988 wurden 59 Pankreastransplantationen durchgeführt. Das 1-,
5-, 10- und 20-Jahres-Patientenüberleben in dieser Kohorte
betrug 79,3 %, 73,9 %, 61,3 % und 38,7 %. Das 1-, 5-,
10- und 20-Jahres-Pankreastransplantatüberleben war
42,3 %, 29,7 %, 25,5 % und 12,4 %. Häufigste Todesursachen waren kardiale Ereignisse, gefolgt von infektiösen
Komplikationen. Die Transplantate wurden hauptsächlich
durch akute und chronische Abstoßungsreaktionen gefolgt
vom Tod des Patienten verloren. Abgesehen von den ersten
beiden Patienten, die AZA und Steroide erhielten, wurde
allen Patienten Zyklosporin A (CyA) in Kombination mit
Steroiden verabreicht. Zwei Drittel der Patienten erhielten
zusätzlich AZA (66,1 %). Die Transplantate wurden ˘
17
FOCUS
NEPHRO Script
100
Überleben (%)
80
60
40
■ Patientenüberleben
■ Nierentransplantatüberleben
■ Pankreastransplantatüberleben
20
0
0
2
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Jahre
6
8
10
Abb. 2a: 10-Jahres-Patienten-, -Pankreastransplantat- und -Nierentransplantatüberleben (1979–2011) nach SPK
100
Überleben (%)
90
80
70
■ Patientenüberleben
■ Nierentransplantatüberleben
■ Pankreastransplantatüberleben
60
50
0
1
2
Jahre
3
4
5
Abb. 2b: 5-Jahres-Patienten-, -Pankreastransplantat und -Nierentransplantatüberleben (2004–2011) nach SPK mit unserem derzeitigen Protokoll (enterische Drainage, ATG, Tacrolimus, MMF,
Steroide, Piperacillin-Tazobactam, Ciprofloxacin, Fluconazol)
venös an die Vena iliaca externa oder communis anastomosiert. Der Pankreasgang der ersten fünf Transplantate wurde
zum Zeitpunkt der Transplantation okkludiert, gefolgt durch
die Pankreatikojejunostomie (n = 13), verzögerte Pankreasgangokklusion (n = 17) und Pankreatikozystostomie (n =
24). Zwei Transplantate wurden unmittelbar nach Reperfusion aufgrund der schlechten Organqualität entfernt. Zwei
Transplantate dieser Kohorte funktionieren heute noch.
1989–1996: Zwischen 1989 und 1996 wurden 75 Pankreastransplantationen durchgeführt. Das 1-, 5-, 10- und
20-Jahres-Patientenüberleben war 97,3 %, 85,0 %, 72,1 %
und 46,4 %, das der Pankreastransplantate betrug 59,6 %,
42,2 %, 33,3 % und 19,6 %. Häufigste Todesursachen
waren kardiale Ereignisse gefolgt von Infektionen und zerebrovaskulären Ereignissen. Die meisten Transplantatverluste waren Folgen thrombotischer Komplikationen oder
chronischer Abstoßungsreaktionen. Alle Patienten erhielten
eine dreifach immunsuppressive Therapie, bestehend aus
CyA, Steroiden und AZA (90,7 %) oder MMF (9,7 %), bei
zwei Patienten wurde eine Induktion mit ATG durchgeführt. Die Transplantate wurden an die Vena iliaca anastomosiert und die exokrine Sekretion in allen Fällen in die
Blase abgeleitet.
18
1997–2003: Zwischen 1997 und 2003 wurden 195 Pankreastransplantationen durchgeführt. Das 1-, 5-, und 10-Jahres-Patientenüberleben war 95,9 %, 88,0 % und 79,8 %.
Das 1-, 5- und 10-Jahres-Pankreastransplantatüberleben
betrug 86,2 %, 73,4 % und 60,3 %. Häufigste Todesursachen waren Infektionen gefolgt von kardialen Ereignissen.
Die meisten Transplantatverluste waren Folgen einer chronischen Abstoßung oder durch den Tod des Patienten bedingt. Alle Patienten erhielten Steroide, Kalzineurininhibitoren (CNI; Tacrolimus 89,2 %) oder CyA (10,8 %), MMF
(93,8 %) oder Sirolimus (6,2 %). Bei der Mehrheit der
Patienten wurde eine Induktionstherapie entweder mit ATG
(73,8 %) oder Anti-Interleukin-1-Rezeptor (IL-1R-Antikörper; 3,1 %) durchgeführt. Die Pfortader wurde an die
untere Hohlvene (88,2 %) oder an die Vena iliaca (11,3 %)
und in einem Fall (0,5 %) an die Vena mesenterica superior
anastomosiert. Die exokrine Sekretion wurde mittels Pankreatikojejunostomie (94,4 %) oder Pankreatikozystostomie
(5,1 %) versorgt. Ein Transplantat musste kurz nach Reperfusion aufgrund einer schweren ischämischen Schädigung
entfernt werden.
2004–2011: Zwischen 2004 und 2011 wurden 180 Pankreastransplantationen durchgeführt. Das 1- und 5-JahresPatientenüberleben betrug 98,2 % und 93,9 %, das der
Bauchspeicheldrüse 88,2 % und 76,7 %. Häufigste Todesursachen waren Infektionen und kardiale Ereignisse, die
meisten Transplantatverluste waren bedingt durch eine chronische Abstoßung oder thrombotische Ereignisse. Alle Patienten erhielten Steroide, Tacrolimus und eine Induktionstherapie (ATG 83,3 %, Alemtuzumab 16,7 %); darüber
hinaus erhielten 85,0 % MMF und 4,4 % Sirolimus. Die
Pfortader wurde an die Hohlvene (79,4 %), die V. iliaca
(8,9 %) oder an die Vena mesenterica superior (11,7 %)
anastomosiert. Mit Ausnahme von 4 Fällen (2 Pankreatikozystostomien, 2 Transplantate intraoperativ entfernt)
wurde immer eine Duodenojejunostomie durchgeführt.
SPK: Insgesamt wurden 442 SPK durchgeführt. Das 5- und
(10-)Jahres-Überleben von Patienten, Pankreas und Niere
war 88,3 % (77,5 %), 68,8 % (55,2 %) sowie 82,8 %
(63,5 %; Abb. 2a). Betrachtet man nur die Patienten aus
der letzten Kohorte, die nach unserem derzeitigen Protokoll
mit Induktionstherapie, Tacrolimus, MMF, Steroiden und
portosystemischer bzw. enterischer Drainage (n = 111) behandelt wurden, so liegen das 5-Jahres-Patienten-, Pankreastransplantat- und Nierentransplantatüberleben bei 94,3 %,
81,5 % und 89,4 % (Abb. 2b).
Retransplantationen: Insgesamt wurden 58 Pankreasretransplantationen durchgeführt. Sechzehn waren SPK, 37
PAK nach Verlust der Bauchspeicheldrüse bei erhaltener
Nierentransplantatfunktion und fünf waren PTA. Die ˘
FOCUS
NEPHRO Script
100
Überleben (%)
80
4,7 % (n = 7) in der systemisch drainierten Gruppe. Das
5-Jahres-Transplantatüberleben war mit 77,2 % in der portal drainierten und mit 74,3 % in der systemisch drainierten
Gruppe vergleichbar (Abb. 3a).
60
40
■ systemisch
■ portal
20
0
0
1
2
Jahre
3
4
5
Abb. 3a: 5-Jahres-Pankreastransplantatüberleben: portale vs. systemische Drainage
100
Überleben (%)
80
60
40
■ < 45 a
■ > 45 a
20
0
0
2
4
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6
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10
Abb. 3b: 5-Jahres-Pankreastransplantatüberleben: Spenderalter
> 45 a vs. < 45 a
100
Überleben (%)
80
60
40
■ < 14 h
■ > 14 h
20
0
0
2
4
Jahre
6
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10
Abb. 3c: 5-Jahres-Pankreastransplantatüberleben: CIT < 14 h
vs. > 14 h
1-, 5- und 10-Jahres-Patientenüberlebensraten betrugen
94,6 %, 78,4 % und 71,8 %, das 1-, 5- und 10-JahresPankreastransplantatüberleben betrug 63,5 %, 44,0 % und
26,4 %.
Venöse Drainage: Bei 34 Patienten wurde eine venöse Drainage über die Vena mesenterica superior durchgeführt. Die
Rate der Transplantatverluste durch eine Thrombose lag
bei 9,3 % (n = 3) in der portal drainierten Gruppe und bei
20
Univariate Analyse: In der univariaten Analyse zeigten BMI,
Geschlecht, Todesursache, Anastomosenzeit und die Anzahl
der HLA-Mismatches der Spender sowie Alter, BMI, Geschlecht, aktuelle PRA und Wartezeit der Empfänger keinen
signifikanten Einfluss auf das Langzeitüberleben. Im Gegensatz dazu zeigte ein Spenderalter über 45 Jahre ein deutlich schlechteres 10-Jahres-Überleben (43,8 %) im Gegensatz zu einem Spenderalter unter 45 Jahren (63,8 %, p =
0,03; Abb. 3b). Weiters führte eine kalte Ischämiezeit von
mehr als 14 Stunden zu einem deutlich schlechteren 10-Jahres-Überleben (44,0 %) im Gegensatz zu einer CIT < 14
Stunden (65,4 %, p = 0,04; Abb. 3c).
Multivariate Analyse: In der Cox-Proportional-HazardsRegressionsanalyse zeigten sich statistisch signifikante Unterschiede für das Datum der Transplantation (p = 0,000),
die Anzahl der Transplantationen (p = 0,002), die Art der
Transplantation (p = 0,000) und das Spenderalter (p =
0,032), nicht aber für die kalte Ischämiezeit (p = 0,564).
Diskussion
Im Dezember 1979 wurde in Innsbruck die erste Pankreastransplantation durchgeführt. Seitdem konnten durch verbesserte Empfängerevaluation, Optimierungen in der chirurgischen Technik, der Immunsuppression und der Infektprophylaxe unsere Ergebnisse dramatisch verbessert werden.
Unsere Studie konzentriert sich auf die Veränderungen in
Technik und Patientenmanagement sowie auf die langfris­
tigen Ergebnisse in vier verschiedenen Epochen. Nur 26
Patienten wurden während des gesamten 32-Jahres-Zeitraums als „lost to follow-up“ deklariert. Der wichtigste Faktor zur Verbesserung der Ergebnisse war die Umsetzung
einer sorgfältigen kardiologischen Evaluation der potenziellen
Organempfänger. Dazu gehörte eine entsprechende Revaskularisierung bei KHK. In der Folge wurden tödliche kardiale Ereignisse seltener, während die Zahl der Patienten,
die an einer Infektion starben, anstieg. Dies beruhte vor
allem darauf, dass die ersten Pankreastransplantate oft durch
Abstoßungsreaktionen verloren gingen und so eine Intensivierung der Immunsuppression notwendig war. Folglich
wurde die Infektionsprophylaxe intensiviert, was zu einer
weiteren Verbesserung des Patientenüberlebens und des Organüberlebens führte. Insbesondere die Ergebnisse der SPK
in der letzten Kohorte bestätigen die internationale Auffassung, dass die kombinierte Nieren-Pankreas-Transplantation
Therapie der Wahl beim niereninsuffizienten Typ-1-Diabetiker ist.
■
FOCUS
NEPHRO Script
uu
Zur
Standardisierung der Terminologie schlägt die Renal Pathology Society eine
Klassifikation der diabetischen Nephropathie auf Basis der glomerulären Läsio­
nen vor.
uu
Anzuwenden ist die Klassifikation auf Nierenstanzzylinder mit ≥ 10 Glomerula bei klinischer
Diagnose eines Diabetes mellitus.
uu
Die Endotheldysfunktion begünstigt die abnorme Akkumulation von extrazellulären Matrixproteinen in der glomerulären Basalmembran und im Mesangium und damit die Entwicklung
der diabetischen Nephropathie.
Klassifikation der diabetischen Nephropathie
D
nischen Verlauf relevante Kategorien. Die pathologischen Veränderungen des tubulointerstitiellen Kompartments (Ausmaß der interstitiellen
Fibrose und Tubulusatrophie) sowie jene der
arteriellen Gefäße (Hyalinose und Arteriosklerose) unterliegen einem separaten Scoring und
sollten in der Diagnose einer diabetischen NeUniv.-Prof.
phropathie enthalten sein. Sie fungieren als präDr. Walter Ulrich
diktive und prognostische Indikatoren bezüglich
Jakob-Erdheim-Institut
der Entwicklung einer chronischen Niereninsuffür Pathologie und
­Klinische Bakteriologie
fizienz bzw. einer terminalen Nierenerkrankung
des Krankenhauses
(„end stage renal disease“, ESRD) und können
Hietzing mit Neuro­
nach neueren Erkenntnissen aus einer europälogischem Zentrum
ischen Multicenterstudie mit Endothelinantago­Rosenhügel
nisten therapeutisch positiv beeinflusst werden.
Tab.: Klassifikation glomerulärer Läsionen bei
Voraussetzungen für die Anwendung der Klassifikation sind
diabetischer Nephropathie
1. eine Mindestgröße des Biopsats (Nierenstanzzylinder mit
≥ 10 Glomerula) und
Klasse I
keine oder unspezifische Dicke der GBM ≥ 395 nm
Veränderungen in der
bei Frauen, ≥ 430 nm bei
2. die klinische Diagnose eines Diabetes mellitus.
LM, BM-Verdickung in
Männern, keine VeränDie Koexistenz anderer nichtdiabetischer Erkrankungen
der EM
derungen von II, III oder
(z. B. membranöse Glomerulonephritis) ist im histologischen
IV
Befund als Zusatzdiagnose anzugeben.
milde mesangiale Verkeine Veränderungen
Foto: Wilke/Mediendienst.com
ie diabetische Nephropathie ist eine der
Haupt­ursachen einer chronischen Niereninsuffizienz und gewinnt angesichts der steigenden Inzidenz des Diabetes mellitus zunehmend
an Bedeutung. Zur Verbesserung der interdisziplinären Kommunikation und in Hinblick auf
die erforderliche Standardisierung wurde vom
Forschungskomitee der Renal Pathology Society
eine Konsensusklassifikation der diabetischen Nephropathie vorgeschlagen1, die sowohl die Nephropathie im Rahmen des Typ-1- als auch des
Typ-2-Diabetes umfasst.
Die Klassifikation beruht primär auf den glomerulären Läsionen und beinhaltet vier für den kli-
Klasse IIa
breiterung
von III oder IV
Klasse IIb
stark ausgeprägte
mesangiale Verbreiterung
keine Veränderungen
von III oder IV
Klasse III
noduläre Sklerose (Kimmelstiel-Wilson-Läsion)
keine Veränderungen
von IV
Klasse IV
fortgeschrittene diabetische Glomerulosklerose
globale Glomerulosklerose in > 50 % der Glomerula
LM = Lichtmikroskopie, BM = Basalmembran, EM = Elektronenmikroskopie,
GBM = glomeruläre Basalmembran
Nach: Tervaert TW et al., J Am Soc Nephrol 2010; 21(4):556–63
Kategorien der glomerulären Läsionen (Tab.)
Klasse I ist durch eine nur elektronenmikroskopisch erkennbare Basalmembranverdickung (Abb. 1) der glomerulären Kapillarschlingen bei weitgehend unauffälliger lichtmikroskopischer Morphologie definiert. Die Basalmembrandicke beträgt bei Direktmessung ≥ 430 nm bei Männern
(> 9 Jahre) und ≥ 395 nm bei Frauen. Die aus einer Akkumulation von extrazellulären Matrixproteinen resultierende
Basalmembranverdickung wurde auch als „prädiabe- ˘
21
NEPHRO Script
FOCUS
tische Läsion“ bezeichnet, da sie als Frühveränderung vor
der klinischen Manifestation eines Diabetes auftreten kann.
Klasse II ist gekennzeichnet durch mesangiale Verbreiterung (früher als „diffuse diabetische Glomerulosklerose“
bezeichnet). Eine milde mesangiale Verbreiterung ist gegeben, wenn das Ausmaß der Mesangiumfelder die Fläche von
zwei Mesangiumzellkernen in mindestens zwei Schlingensegmenten überschreitet (Abb. 2a). Eine hochgradige mesangiale Verbreiterung liegt vor, wenn die Mesangiumfläche
größer als die durchschnittliche Fläche der Kapillarlumina
ist (Abb. 2b). Sind mehr als 25 % des Gesamtmesangiums
innerhalb des Biopsiezylinders betroffen, entspricht die Veränderung der Klasse IIb. Eine inverse Korrelation besteht
zwischen mesangialem Volumen und GFR.
Abb. 1: Glomeruläre Basalmembranverdickung bei Diabetes mellitus
(Originalvergrößerung: x 2700)
Abb. 2a: Milde mesangiale Verbreiterung bei diabetischer Nephropathie (entsprechend Klasse IIa, Originalvergrößerung: x 200)
22
Klasse III – noduläre Glomerulosklerose (KimmelstielWilson-Läsion): Für die Klassifikation genügt eine einzige
charakteristische Läsion in einem Glomerulum, die dem
Typ der nodulären Sklerose entspricht (Abb. 3a und 3b).
Sie reicht für die Einordnung in die Kategorie 3 aus, sofern
nicht über 50 % verschwielte Glomerula vorliegen. Eine
mikrovaskuläre Schädigung mit lytischen Mesangiumveränderungen und Endothelzellablösung gehen dieser 1936
von P. Kimmelstiel und C. Wilson beschriebenen Sklerose
voraus, die auch signifikant häufig mit diabetischer Retinopathie assoziiert ist.
Abb. 2b: Stark ausgeprägte mesangiale Verbreiterung bei diabetischer Nephropathie (entsprechend Klasse IIb, Originalvergrößerung: x 200)
FOCUS
Abb. 3a: Kleine noduläre Mesangiumverbreiterung entsprechend
einer nodulären Sklerose (Kimmelstiel-Wilson-Läsion) und Hyalinose
des vaskulären Glomerulumpoles bei diabetischer Nephropathie
(entsprechend Klasse III, Originalvergrößerung: x 200)
Klasse IV entspricht der fortgeschrittenen diabetischen Glomerulosklerose und ist durch eine globale Verschwielung
von über 50 % der Glomerula charakterisiert (Abb. 4). Sie
stellt die Endstrecke eines multifaktoriellen Mechanismus
mit einer übermäßigen Akkumulation von extrazellulärer
Matrixsubstanz dar. Eine Glomerulosklerose ohne andere
Hinweise auf das Vorliegen eines DM sollte nicht als Kategorie IV deklariert werden.
NEPHRO Script
Abb. 3b: Ausgeprägte noduläre Glomerulosklerose (Kimmelstiel-Wilson-Läsion, Originalvergrößerung: x 200)
nantagonisten zur Eindämmung der progredienten Niereninsuffizienz wurde bereits erwähnt.
■
1
Tervaert TW et al., J Am Soc Nephrol 2010; 21(4):556–63
Pathogenese und neue Therapieoptionen
Aus pathogenetischer Sicht spielt nach derzeitigem Wissensstand die Endotheldysfunktion eine ganz entscheidende
Rolle in der Entwicklung der diabetischen Nephropathie.
Sie führt zusammen mit anderen pathogenetischen Faktoren
zu einer abnormen Akkumulation von extrazellulären Matrixproteinen in den glomerulären Basalmembranen und
im Mesangium.
Rezente Studien demonstrieren die Schlüsselfunktion der
endothelialen NO-Synthase im pathophysiologischen Prozess der mikro- und makrovaskulären Veränderungen bei
Diabetes mellitus. Einen vielversprechenden Therapieansatz
zeigen auch neue experimentelle Studien mit aktiviertem
Protein C (aPC) am Mausmodell. Rezente Publikationen
schreiben auch dem „connective tissue growth factor“
CCN-2 eine entscheidende Bedeutung als Marker und Mediator der DN zu. Der potenzielle Einsatz von Endotheli-
Abb. 4: Fortgeschrittene globale Glomerulosklerose bei diabetischer
Nephropathie (Verödung von mehr als 50 % der Glomerula, entsprechend Klasse IV; Originalvergrößerung: x 100)
23
FOCUS
NEPHRO Script
uu
Die
Inzidenz der diabetischen Nephropathie ist in den vergangenen Jahrzehnten
drastisch gesunken.
uu
Dazu haben vor allem die verbesserte Blutzuckereinstellung, der weit verbreitete
Einsatz von ACE-Hemmern bzw. AT2-Blockern, eine verbesserte Lipideinstellung und die
geringere Zahl der Raucher unter den Diabetespatienten beigetragen.
Diabetische Nephropathie im Wandel der Zeit
In den vergangenen Jahrzehnten kam es weltweit zu einem
dramatischen Anstieg der Zahl der Patienten mit Diabetes
mellitus. Bedingt durch eine höhere Lebenserwartung und
eine drastische Zunahme der Adipositas waren Zuwachsraten in der Größenordnung von 30 % innerhalb von 10
Jahren in den hoch entwickelten westlichen Industrienationen zu beobachten. In den so genannten „Schwellenländern“ ist eine Zunahme der Diabetesinzidenz von 50 %
innerhalb der nächsten 10 Jahre prognostiziert. An der Spitze
der gefährdeten Länder stehen China und Indien. So gibt
es derzeit in Indien 40 Millionen, in China sogar 50 Millionen Patienten mit Diabetes mellitus. Aufgrund der weltweit zu verzeichnenden Entwicklung treten Komplikationen
des Diabetes mellitus in den Mittelpunkt des Interesses. Im
Jahr 2005 verstarben 1,1 Millionen Menschen weltweit an
diabetischen Komplikationen.
Diabetische Nephropathie beeinflusst die
­Prognose
Eine gravierende und beeinträchtigende diabetische Spätfolge ist die diabetische Nephropathie. Sie beeinflusst auch
die Prognose von Diabetikern entscheidend. In den USA
bestand im Jahr 2006 etwa bei 40 % der inzidenten Patienten an der Dialyse ein Diabetes mellitus als Ursache für
das chronische Nierenversagen. Auch in Österreich ist der
Diabetes mellitus die Hauptursache für eine Nierenersatztherapie. Statistische Daten aus den Jahren 2005 bis 2008
zeigten, dass 32,1 % aller Patienten mit chronischer Nierenersatztherapie Patienten mit Diabetes mellitus waren.
Mikrovaskuläre Komplikationen im Bereich der Niere führen zu einer drastischen Steigerung der Morbidität und Mortalität vor allem bei Typ-1-Diabetikern. So konnte gezeigt
werden, dass die kardiovaskuläre Mortalität von Patienten
mit Typ-1-Diabetes und Proteinurie 37-fach größer ist als
24
Prim. Univ.-Prof. Dr.
Rudolf Prager
Dr. Slobodan Peric
3. Medizinische Abteilung mit Stoffwechselerkrankungen und Nephrologie,
Krankenhaus Wien-Hietzing
in der Gesamtpopulation. Zusätzlich haben Patienten mit
Typ-1-Diabetes ein ca. 6-fach höheres Risiko, eine proliferative Retinopathie und daraus resultierend eine deutlichere
Einschränkung des Sehvermögens oder eine Erblindung zu
erleiden. Lag die kumulative Inzidenz der Nephropathie bei
Typ-1-Diabetikern bis in die 1950er-Jahre noch bei 40 %,
hat sich diese bis zu den 1980er-Jahren bei 25–30 % aller
Patienten stabilisiert. Erst danach war ein deutlicher Rückgang der diabetischen Nephropathie zu beobachten.
Sinkendes Risiko für mikrovaskuläre
­Komplikationen
Wie die Gruppe um Johnny Ludvigsson im Jahr 1994 zeigte,
sank die Prävalenz der Makroalbuminurie nach 25-jähriger
Diabetesdauer drastisch von 30 % bei Typ-1-Diabetikern
mit Krankheitsmanifestation zwischen 1961 und 1965 auf
9 % bei Patienten, die zwischen 1966 und 1970 einen Diabetes entwickelten.
Auch in den USA konnte das Risiko für mikrovaskuläre
Komplikationen deutlich gesenkt werden, obwohl die Zahl
der Diabetiker von 1988 bis 2008 dramatisch von 5,4 ˘
FOCUS
NEPHRO Script
auf 17 Millionen anwuchs. Neben einem drastischen Rückgang der proliferativen Retinopathie, vor allem bei Patienten
mit einer guten Diabeteseinstellung und einem HbA1c < 7 %,
wurde auch ein Rückgang der terminalen Niereninsuffizienz
beobachtet. So konnten die Centers for Disease Control
and Prevention im Zeitraum von 1996 bis 2007 eine Abnahme der altersadjustierten Rate von Diabetespatienten
mit terminaler Niereninsuffizienz von 344 auf 199 Patienten
beobachten. Dies entspricht einem Rückgang von 35 %.
Ähnliche Daten wurden auch für die skandinavischen Länder beobachtet. So konnte 20 Jahre nach Erstdiagnose die
kumulative Inzidenz einer diabetischen Nephropathie von
31,1 % auf 13,7 % gesenkt werden.
Zunehmend weniger Diabetiker an der Dialyse
Das Österreichische Dialyse- und Transplantregister
(ÖDTR) weist auf eine ähnliche Entwicklung hin. Die absolute Zahl von Patienten mit einer Nierenersatztherapie
auf Basis eines Diabetes mellitus hat kontinuierlich von
1.200 auf 1.023 abgenommen. Der prozentuelle Anteil der
Diabetespatienten an der Gesamtzahl der Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz reduzierte sich von 30 auf 26 %.
In Österreich wurde dieser Rückgang ebenfalls vor dem
Hintergrund einer steigenden Gesamtprävalenz des Typ2-Diabetes beobachtet. Zusätzlich erhöhte sich das Alter
der diabetischen Dialysepatienten drastisch. So stieg der
Altersmedian von Diabetikern mit terminaler Niereninsuffizienz von 45,7 Jahre im Jahre 1980 auf 64,2 Jahre im Jahre
2010.
Schlechte Stoffwechseleinstellung als
­Hauptrisikofaktor
Als Risikofaktoren für die diabetische Nephropathie wurden neben genetischen und familiären Faktoren vor allem
eine schlechte Blutzuckereinstellung, lange Diabetesdauer,
Bluthochdruck, Lipidstoffwechselstörungen und Nikotinabusus identifiziert. Der drastische Rückgang der diabetischen Nephropathie beim Diabetes mellitus ist daher sicherlich multifaktorell. Den wesentlichen Einfluss der Blutzuckereinstellung auf die Entwicklung einer diabetischen
Nephropathie konnten wir in einer eigenen 29-jährigen
Follow-up-Untersuchung von 641 Typ-1-Diabetikern bestätigen. In dieser Untersuchung war die schlechte Langzeitkontrolle (HbA1c > 8,3 %) mit einer deutlich erhöhten
26
Mortalität und einer deutlich gesteigerten Rate an terminalen Nierenversagen verbunden. Vor allem beim Typ1-Diabetes dürfte die verbesserte Diabeteseinstellung durch
Einführung von Blutzuckerselbstkontrolle, Schulungsprogrammen und verbesserter Insulintherapie (funktionelle
Insulintherapie – Insulinpumpen) für den Rückgang hauptverantwortlich sein. Eine signifikante Abnahme der Albuminurie durch eine verbesserte Blutzuckereinstellung wurde
ja bereits in der DCCT-Studie nachgewiesen. Bei der intensiviert behandelten Gruppe von Typ-1-Diabetikern
konnte die Albuminurie um 40 % gegenüber der Kontrollgruppe gesenkt werden. In einer großen kanadischen Studie bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz wurde
ebenfalls der Wert einer guten Diabeteseinstellung dokumentiert. Bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz
und unzureichender Diabeteseinstellung war in dieser Untersuchung das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und
Herzinsuffizienz deutlich erhöht. Die wichtige Rolle einer
guten Blutzuckereinstellung wurde auch in einer rezenten
US-Studie bestätigt, für die Patienten an der Hämodialyse
über drei Jahre nachverfolgt wurden. Es zeigte sich, dass
eine schlechte Diabeteseinstellung mit einer erhöhten Gesamtmortalität und auch mit einer erhöhten kardiovaskulären Mortalität assoziiert war. Neben den Blutzuckereffekten haben wahrscheinlich vor allem die verbesserte Blutdruckeinstellung und der weit verbreitete Einsatz von
ACE-Hemmern bzw. AT2-Blockern zu diesem drastischen
Rückgang der diabetischen Nephropathie beigetragen.
Ebenso dürfte eine verbesserte Lipideinstellung nach Einführung der Statine für den eindrucksvollen Rückgang der
diabetischen Nephropathie verantwortlich sein. Zusätzlich
spielt sicherlich auch der sinkende Anteil der Raucher unter
den Diabetespatienten eine Rolle.
Zusammenfassung
Die diabetische Nephropathie stellt nach wie vor eine gefürchtete Langzeitkomplikation des Diabetes mellitus dar
und ist nach wie vor die Hauptursache für ein terminales
Nierenversagen. Durch Verbesserung der Blutzuckereinstellung, eine verbesserte Blutdrucktherapie, vor allem mit
Hemmern des Renin-Angiotensin-Systems, einer verbesserten Lipidtherapie und einer Abnahme des Nikotinab­usus
konnte diese Spätkomplikation vor allem bei Typ-1-Diabetikern in den letzten Jahrzehnten deutlich reduziert werden. ■
FOCUS
NEPHRO Script
uu
Die
Inzidenz von Typ-2-Diabetikern an der Nierenersatztherapie sinkt.
uu
Mehrere DPP-4-Hemmer können, je nach Substanz mit oder ohne Dosisanpassung,
bei Patienten mit Niereninsuffizienz eingesetzt werden.
uu
Die Kontraindikation für Metformin bei höhergradiger Niereninsuffizienz ist zu hinterfragen.
uu
Für jüngere, neu diagnostizierte Diabetiker gilt ein Blutdruckzielwert < 130/80 mmHg, bei fortgeschrittener Erkrankung, höherem Alter und vermehrter Komorbidität ein Zielbereich von
130–135 mmHg systolisch.
Update diabetische Nephropathie 2013
Z
u den bedeutenden Komplikationen eines
Das aktuell publizierte Positionspapier der Amelangjährigen Diabetes gehört die diabetische
rican Diabetes Association (ADA) widmet der
Nephropathie mit der Konsequenz der NieThematik knapp zwei von mehr als insgesamt
renersatztherapie. Letztere wirkt sich sehr ein100 Seiten.3 Auch wenn es wenig Neues gibt, fasst
die Publikation die gültigen Empfehlungen konschneidend auf die Lebensqualität aus, ist von
zise und für das klinische Management nützlich
hoher Komorbidität begleitet und belastet die
zusammen. Das gemeinsame Positionspapier der
Gesundheitsbudgets selbst reicher Staaten wie
Univ.-Doz.
Österreich beträchtlich.
Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG)
Dr. Friedrich Prischl
Die diabetische Nephropathie ist definiert
und der Österreichischen Gesellschaft für NephroBereich Nephrologie,
logie (ÖGN), zuletzt rezent aktualisiert 2012, bedurch eine Albumin/Kreatinin-Ratio von
4. Interne Abteilung,
≥ 30 mg/g und/oder eine geschätzte glomeschreibt die Thematik ausführlicher.4
Klinikum Wels-Gries­
kirchen GmbH, Wels
ruläre Filtrationsrate (eGFR; berechnet nach
der MDRD-Formel) ≤ 60 ml/min/1,73 m²
Diagnose Diabetes
Körperoberfläche.1
In der UKPD-Studie entwickelten 24,9 % der Patienten 10
Seit 2010 empfiehlt die ADA die HbA1c-Bestimmung zur
Jahre nach Diagnosestellung Typ-2-Diabetes eine diabeDiagnose des Typ-2-Diabetes, wobei ein HbA1c ≥ 6,5 % als
tische Nephropathie Stadium 2a (Mikroalbuminurie), 5,3 %
diagnostischer Cut-off-Wert festgelegt wurde. Der Vorteil
eine diabetische Nephropathie Stadium ≥ 3 (Proteinurie)
ist, dass die Bestimmung jederzeit unabhängig vom Nüchternstatus erfolgen kann. Bei Unklarheit können weitere
und 0,8 % erreichten das Stadium 5D mit Notwendigkeit
Tests erforderlich werden.
einer Nierenersatztherapie.2
400
■ Typ-2-Diabetes
■ Typ-1-Diabetes
350
300
Inzidenz
250
200
150
100
50
2010
2005
2000
1995
1990
1985
1980
1975
0
Modifiziert nach: R Kramar. Österreichisches Dialyse- und Transplantations Register – Jahresbericht 2011
Abb.: Jährliche Inzidenz von Diabetikern 1975–2011 zur chronischen Nierenersatztherapie
28
FOCUS
NEPHRO Script
Tab.: Entwicklung prävalenter Patienten an HD + PD – 2002–20115
2002
Typ-1-DM
Typ-2-DM
NET (HD + PD) gesamt
2011
Absolut
n = (pmp)
%
aller NET
Absolut
n = (pmp)
%
aller NET
%-Änderung
2002 ’ 2011
(pmp)
126 (15,6)
3,9
112 (13,3)
2,64
–11,1 (–16,6)
736 (91,1)
23,1
1.062 (126,1)
25,06
+44,3 (+38,5)
3.191 (394,8)
100
4.238 (503,3)
100
+32,8 (+27,5)
Epidemiologie des Stadiums 5D der diabetischen
Nephropathie
Der Jahresbericht des Österreichischen Dialyse- und Transplantationsregisters 2011 bestätigt erneut den Trend, der
sich seit 2007 abzeichnet.5 Wie Abbildung 1 zeigt, hat sich
im Jahr 2006 eine Trendumkehr mit kontinuierlicher Abnahme der neu an die Nierenersatztherapie (NET) kommenden Typ-2-Diabetiker entwickelt. Waren es im Jahr
2006 am Höhepunkt 398 Typ-2-Diabetiker, fiel seither die
jährliche Inzidenz auf 297 im Jahr 2011, was einer Abnahme
in 5 Jahren um 25,4 % entspricht. Bei Typ-1-Diabetikern
war die höchste jährliche Inzidenz mit 85 Patienten schon
Typ-1-DM = Typ-1-Diabetes
Typ-2-DM = Typ-2-Diabetes
NET = Nierenersatztherapie
HD = Hämodialyse
PD = Peritonealdialyse
pmp = Pro Million Einwohner
Nach: R Kramar, Österreichisches Dialyse- und Transplantationsregister – Jahresbericht 2011
1991 erreicht. Hier ist der Trend weniger augenfällig, entwickelt sich aber ebenfalls in eine positive Richtung.
Dem steht entgegen, dass die Prävalenz des Typ-2-Diabetes weiter im Steigen begriffen ist. Valide Daten aus der
österreichischen Gesamtbevölkerung liegen leider nicht vor.
Aus einer Erhebung von 2007 über chronische Erkrankungen in Österreich lässt sich aber eine Zahl von etwa
390.000 Diabetikern oder 5,9 % der Bevölkerung in Österreich annehmen.6 Im Jahr 2011 befanden sich insgesamt
1.062 Typ-2-Diabetiker an der NET, was einen Anstieg
innerhalb der vorangegangenen 10 Jahre um 44,3 % bedeutet (Tab.). Die Prävalenz aller Hämodialyse- und Peritonealdialysepatienten stieg im gleichen Zeitraum ˘
29
FOCUS
NEPHRO Script
„nur“ um 32,8 %, oder – bezogen auf die (wachsende)
Gesamtbevölkerung – um 27,5 %.
Über die Ursachen des Inzidenzrückganges lässt sich nur
spekulieren. Rechnet man vom Jahr 2006 ca. 15–20 Jahre
zurück, die vom Beginn des Diabetes bis zum Erreichen der
dialysepflichtigen Niereninsuffizienz durchschnittlich vergehen, dann gelangt man in den Beginn der 1990er-Jahre,
als lang wirksame ACE-Hemmer in die Therapie eingeführt
wurden. Auch heute ist die kardiovaskuläre Mortalität bei
Diabetikern nahezu dreifach höher als jene von Nichtdiabetikern.2 Eine Analyse der Framingham Heart Study zeigt
aber einen deutlichen Rückgang der kardiovaskulären Mortalität von 24,1/1.000 Personenjahre zwischen den Jahren
1950 und 1975 auf 6,8/1.000 Personenjahre in den Jahren
1976 bis 2001.7 Der Inzidenzrückgang kann also nicht auf
eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität zurückgeführt werden. Auf eine ähnliche Entwicklung verweisen die Daten
des katalanischen Registers, dem zufolge die Inzidenz von
Diabetikern zur NET von 645,3 Patienten im Jahr 2002
auf 600 Patienten im Jahr 2010 zurückging.8 Insgesamt ist
die Entwicklung als positiv zu sehen, die multimodalen Therapieansätze scheinen zu wirken.4
Antidiabetische Therapie
Rezent wurden mehrere Vertreter aus der Gruppe der DPP4-Hemmer speziell für Niereninsuffizienz zugelassen. Bei
einigen DPP-4-Hemmern ist bei diesen Patienten eine Dosisanpassung notwendig, bei anderen DPP-4-Hemmern ist
die Dosierung aufgrund des hepatischen Abbaus unabhängig von der Nierenfunktion. Neu hinzu kommt Dapagliflozin, ein SGLT-2-Hemmer, der den Glukoserücktransport
im Tubulussystem hemmt und eine Glukosurie induziert.
Die Therapie wird an anderer Stelle in diesem Heft ausführlich erläutert.
Zu hinterfragen ist die Kontraindikation für Metformin
bei höhergradiger Niereninsuffizienz.9 Immer neue Untersuchungen zeigen Vorteile für das Biguanid im Sinne
„pleiotroper Effekte“. Es ist nicht nachvollziehbar, warum
die bei anderen Substanzen angewendete Dosisanpassung
an die Nierenfunktion nicht auch bei Metformin erfolgen
kann. Das Gegenargument des Laktatazidoserisikos unter
Metformin ist gemäß einem Cochrane-Review nicht stichhaltig.10
das verwendete Antihypertensivum. ACE-Hemmer oder
Angiotensin-II-Rezeptorblocker (ARB) bleiben erste Wahl.
Häufig sind Kombinationen mit Thiaziden, Kalziumantagonisten oder Beta-Blockern u. a. erforderlich.
Auf Allgemeinmaßnahmen wie die Reduktion des Übergewichtes und regelmäßige körperliche Bewegung, Beendigung
des Rauchens oder Beschränkung der Kochsalzzufuhr auf
etwa 5 g pro Tag soll natürlich auch nicht vergessen werden.
Für jüngere, neu diagnostizierte Diabetiker gilt ein Blutdruckzielwert < 130/80 mmHg. Bei fortgeschrittener Erkrankung, höherem Alter und vermehrter Komorbidität ist
unter Abwägung des kardiovaskulären Benefits und der Nebenwirkungen vermutlich ein Zielbereich von 130–
135 mmHg systolisch ausreichend und sinnvoll.11
Ein (wieder aktueller) Aspekt ist der Zeitpunkt der Verabreichung der Antihypertensiva. Rezente Studien von Hermida mit 448 Typ-2-Diabetikern mit Hypertonie12 ergaben,
dass bei Einnahme von wenigstens einem Antihypertensivum
abends gegenüber der Einnahme aller Antihypertensiva morgens eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse (kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, ischämischer und hämorrhagischer Insult) von 17,55 Ereignissen/1.000 Patientenjahre auf 5,16 Ereignissen/1.000 Patientenjahre (p < 0,001)
erreicht wird. Auch bei 661 Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, darunter ein Drittel Diabetiker, zeigten sich
vergleichbare Ergebnisse. Die Hazard Ratio für multiple
schwere kardiovaskuläre Ereignisse lag bei Patienten mit ≥ 1
Antihypertensivum vor dem Zubettgehen gegenüber einer
ausschließlich morgendlicher Einnahme bei 0,31 (95%-KI
0,21–0,46).13 Parallel dazu wurde mit 56 % der Patienten
signifikant häufiger eine Blutdruckkontrolle erreicht. Mit
jeder Abnahme des nächtlichen systolischen Blutdrucks reduziert sich das kardiovaskuläre Risiko um 14 %.
Zusammenfassung
Wie im Österreichischen Positionspapier4 ausgeführt kommt
der multimodalen Therapie, allen voran der antiglykämischen und antihypertensiven Therapie, große Bedeutung
zu. Wie die Entwicklung der Inzidenz von Patienten mit
diabetischer Nephropathie zur NET in den letzten fünf
Jahren zeigt, dürfte damit die schwere Komplikation der
Dialysepflichtigkeit günstig beeinflusst werden.
■
1
Hypertonietherapie bei diabetischer Nephropathie
Bei Patienten mit diabetischer Nephropathie gerieten zuletzt
die Blutdruckzielwerte in Diskussion. Unter Berücksichtigung neuerer Studien ist das Blutdruckziel abhängig von
der Dauer der Erkrankung, Komorbidität und Proteinurie.4
Der Autor einer lesenswerten Übersicht11 kommt zum
Schluss, dass die erzielte Blutdrucksenkung wichtiger ist als
30
2
3
4
5
6
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8
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FOCUS
NEPHRO Script
uu
Eine
deutliche Expansion des Extrazellulärvolumens ist bei Hämodialysepatienten
mit einer signifikant erhöhten Mortalität assoziiert.
uu
Bioimpedanzverfahren ermöglichen die Bestimmung von Flüssigkeitsstatus, Fettund Muskelmasse und des „Trockengewichts“ von Dialysepatienten.
uu
Indikatormethoden als Goldstandard sind in der Praxis nur bedingt anwendbar.
uu
Sonographische Methoden und andere indirekte Verfahren lassen höchstens semiquantitative Rückschlüsse zu.
Messung von Flüssigkeitsvolumina bei Hämodialysepatienten: Stand der Technik und aktuelle Fortschritte
N
ach dem Intrazellulärraum ist das Extrazellulärvolumen
(EZV) das zweitgrößte Flüssigkeitskompartiment. Die
Verteilung von Wasser zwischen diesen beiden Räumen
wird in erster Linie durch osmotische Gradienten bestimmt.1
Aufgrund der hohen hydraulischen Leitfähigkeit von Zellmembranen kann sich Wasser nahezu ungehindert zwischen
Intrazellulärvolumen (IZV) und EZV verteilen, wobei Osmose die treibende Kraft darstellt. Es ist wichtig anzumerken,
dass Zellmembranen für die meisten klinischen Überlegungen
als weitgehend impermeabel für Natrium angesehen werden
können.2 Wenn sich jedoch Natriumkonzentrationen im
EZV ändern, wie zum Beispiel bei der Infusion einer hypertonen Kochsalzlösung oder während der Hämodialyse,
kommt es zu einer Änderung der Osmolalität im EZV und
zu einer Volumenverschiebung zwischen IZV und EZV. Ein
Anstieg der Osmolalität im EZV resultiert in Durst. Aus
diesem Grund führt bei Dialysepatienten eine Kochsalzaufnahme in der Nahrung oder eine Kochsalzzufuhr aus dem
Dialysat zu Durst, Trinken und einer letztendlich isotonen
Expansion des EZV.3
Während in erster Annäherung das IZV funktionell ein
Kompartiment darstellt, wird das EZV weiter in interstitielles Volumen und Plasmavolumen unterteilt. Der Beitrag
von so genannten „dritten Räumen“ wird hier nicht weiter
betrachtet. Die Flüssigkeitsverteilung zwischen Plasmaraum
und interstitiellem Raum wird wesentlich durch die Eiweißkonzentration im Plasma und hydrostatische Druckgradienten beeinflusst.3–5 Bei einer Expansion des EZV kommt
es zu einer proportional größeren Zunahme des interstitiellen Raumes.6
Wie erwähnt, ist die Volumsexpansion bei Dialysepatienten
in erster Linie eine Zunahme des EZV, und zwar sowohl
Dr. Jochen G. Raimann
Univ.-Doz.
Dr. Peter Kotanko
Renal Research Institute, New York, mit editorieller Mitarbeit von
Dr. Ulrike Kotanko
des Plasmavolumens als auch des interstitiellen Raumes.
Aus diesem Grund kommt einer Messung des EZV klinisch
große Bedeutung bei. Im Folgenden soll der aktuelle Stand
von Methoden zur Bestimmung von Flüssigkeitsräumen
beschrieben werden.
Dabei unterscheiden wir zwischen Methoden, die geeignet
sind, Volumina absolut zu bestimmen, und solchen, die
Änderungen von Volumina bestimmen (Tab. 1).
Verfahren zur Bestimmung absoluter Volumina
von Flüssigkeitsräumen
Bis dato wurden verschiedenste Methoden zur Schätzung von
Flüssigkeitsräumen entwickelt und in Hinsicht auf Genauigkeit und Präzision im Detail untersucht. Nach dem
Fick’schen Prinzip arbeitende Indikatorverdünnungsmethoden werden vielfach als so genannter „Goldstandard“ angesehen. Indikatoren (falls radioaktiv, werden diese auch als
Tracer bezeichnet), welche sich im gesamten Körperwas- ˘
31
FOCUS
NEPHRO Script
Tab. 1: Methoden zur Quantifizierung von absoluten und relativen Körpervolumina
(modifiziert nach Dou et al.2).
Volumenänderung
Absolutes Volumen
Ganzkörperwasser
Ganzkörperwasser
EZV
Methode
IFV
IZV
PV
Ery
H2O
K
Multifrequenz-BIS
IVF
PV
Ery
extra-vaskulär
X
X
40
50-kHz-Einzelfrequenz-BIA
extravaskulär
IZV
X
2
NaBr
EZV
X
X
X
X
X (nur indirekt)
X
X
X (nur indirekt)
X
X
X
VCI-Sonographie
X
Biomarker
X
X
X
X
X
EZV = Extrazellulärvolumen, IZV = Intrazellulärvolumen, IFV = interstitielles Flüssigkeitsvolumen, PV = Plasmavolumen, Ery = Erythrozyten, BIA = Bioimpedanzanalyse, ­
BIS = Bioimpedanzspektroskopie, RBV = relatives Blutvolumen, VCI = Vena cava inferior
ser verteilen, erlauben die Messung des Ganzkörperwassers.
Beispiele hierfür sind Deuterium (2H2O) und Tritium (3H2O).
Indikatoren, welche nicht oder nur gering zellwandgängig
sind, werden zur Messung des EZV herangezogen. Beispiele
sind Bromid, Inulin, Ferrozyanide, Chlorid und Sukrose.2
Das Konzept dieser Verdünnungsmethoden ist einfach:
einem Volumen unbekannter Größe wird eine definierte
Menge eines Indikators beigesetzt. Nach einer von Indikator zu Indikator verschiedenen Wartezeit wird die Konzentration des Indikators bestimmt. Die Wartezeit ist erforderlich, da eine gleichmäßige Verteilung des Indikators im
Flüssigkeitsraum erforderlich ist. Dieses Prinzip sei an einem
einfachen Beispiel demonstriert:
Einem unbekannten Volumen werden 10 g eines Indikators
beigegeben. Nach einer Wartezeit (Äquilibrationszeit) wird
die Konzentration des Indikators mit – beispielsweise – 0,5 g/L
bestimmt. Das Verteilungsvolumen errechnet sich aus
Volumen = Indikatormenge/Indikatorkonzentration
Somit ergibt sich in unserem Beispiel Volumen (in L) =
10 g/0,5 g/L = 20 L.
Obwohl vom Prinzip her einfach, sind jedoch leider manche
dieser Methoden mit theoretischen und praktischen Problemen behaftet. Zum Beisiel wird nach oraler Verabreichung von NaBr nach rund 2 Stunden die Konzentration
von Bromid im Plasma gemessen. Da sich jedoch Bromid,
aufgrund des Donnan-Effektes nicht gleichmäßig zwischen
Plasma und Interstitium verteilt, muss eine entsprechende
Korrektur vorgenommen werden.7 Problematisch ist auch
32
der Umstand, dass Bromid sich in geringem Umfang auch
in das IZV verteilt, was weitere Korrekturen erforderlich
macht.7 Eine direkte, technisch allerdings sehr aufwändige,
Bestimmung des IZV kann mittels Messung von Kalium-40
erfolgen.8 Der Stellenwert der Indikatormethoden ist in der
klinischen Forschung unbestritten, deren klinische Anwendbarkeit und Verfügbarkeit jedoch limitiert.
In den letzten Jahren fanden auch vermehrt Methoden zur
Bestimmung von Flüssigkeitsräumen Einzug in den klinischen Alltag, die auf von Indikatormethoden fundamental verschiedenen Prinzipien beruhen. Die Rede ist von Bio­
impedanzverfahren. Impedanz beschreibt den Widerstand
den ein Leiter Wechselstrom entgegensetzt. Die Impedanzen
biologischer Leiter setzen sich sowohl aus ohmschen als auch
kapazitativen Widerständen zusammen. Letztere sind insbesondere in Zellmembranen lokalisiert. Der kapazitative
Widerstand, ist nun gegenüber Wechselströmen mit niedriger Frequenz sehr hoch. Daher durchdringt Wechselstrom
mit niedriger Frequenz (unter 10 kHz) Zellwände nicht
und durchwandert ausschließlich das EZV. Demgegenüber
kann Wechselstrom höherer Frequenz Zellwände passieren
und somit auch in das IZV eindringen.9 Zwischen der gemessenen Impedanz und dem Volumen eines Leiters besteht
folgender allgemeiner physikalischer Zusammenhang.
Volumen = spezifischer Widerstand x Länge des Leiters/
Impedanz
Wird nun nicht nur eine Wechselstromfrequenz, sondern
ein Spektrum an Frequenzen appliziert (Bioimpedanz-Spek-
FOCUS
NEPHRO Script
Tab. 2: Beispiel einer segmentalen Bioimpedanzspektroskopie
(BIS)
mentes. Es sei angemerkt dass auch eine Adjustierung für die nicht gemessenen Körperteile (Hände, Füße, Kopf und Nacken) vorSegment ρE [Ω*cm] ρI [Ω*cm] Länge [cm] RE [Ω] RI [Ω] EZV [L] IZV [L]
genommen werden kann.15
Arm
67 ± 8
194 ± 29
59
240
510
0,97
1,32
Obwohl segmentale Bioimpedanzverfahren
Rumpf
159 ± 24
250 ± 38
43
32
45
9,19
10,27
derzeit die wohl genaueste Bestimmung von
Bein
98 ± 13
281 ± 43
87
275
507
2,70
4,20
Flüssigkeitsräumen ermöglichen, sind sie
Messung an einem 45-jährigen männlichen Dialysepatienten (Größe: 170 cm, Gewicht: 70 kg). Die Addition der
leider für die klinische Praxis noch zu aufjeweiligen geschätzten Segmente ergibt ein EZV von 16,5 Liter und ein IZV von 21,3 Liter. Segmentspezifische
wändig.
Widerstände ρE und ρI entnommen von Zhu F et al.
R = extrazellulärer Widerstand, R = intrazellulärer Widerstand
Wie bereits kurz erwähnt, sind Bioimpedanzverfahren mittlerweile in klinisch
10, 11
troskopie; BIS), können mittels mathematischer Modelle
breitem Einsatz bei Dialysepatienten. Neben einer objeksowohl EZV als auch IZV ermittelt werden.9 Die entspretiven Beurteilung des Flüssigkeitstatus erlauben sie Aussagen
chenden Kalkulationen sind in kommerziell erhältlichen
zur Fett- und Muskelmasse, beides wichtige Indikatoren zur
BIS-Geräten bereits integriert. Der Body Composition MoBeurteilung des Ernährungszustandes.2 Die BIA erlaubt eine
nitor (BCM; Fresenius, Bad Homburg, Deutschland) ist
Aussage zum „Trockengewicht“ von Dialysepatienten. So
ein im Dialysebereich weit verbreitetes BIS-Gerät, welches
konnte z. B. mittels BCM gezeigt werden, dass 22 % von
269 europäischen Hämodialysepatienten eine Expansion
IZV und EZV ermitteln kann.12, 13 BIA-Geräte welche nur
mit einer Frequenz arbeiten (z. B. 50 kHz), erlauben primär
des EZV > 2,5 Liter aufwiesen, was mit einer signifikant
nur eine Abschätzung des Ganzkörperwassers. Der Vollerhöhten Mortalität assoziiert war.16 Einen Meilenstein stellt
ständigkeit halber sei erwähnt, dass diese Methode auch
eine 2013 veröffentlichte randomisierte kontrollierte Studie
eine Schätzung des IZV erlaubt. Es sei angemerkt, dass diese
von 156 Dialysepatienten dar, in der gezeigt werden konnte,
Schätzung die Anwendung von zwei Regresssionsmodellen
dass eine Anpassung des postdialytischen Zielgewichtes
erfordert, welche die Schätzung der Ganzkörperzellmasse
(„Trockengewicht“) mittels BCM zu einer Abnahme der
erlauben.
linksventrikulären Masse, des systolischen und diastolischen
Eine Grundannahme bei der Verwendung von BioimpeBlutdrucks und der Pulswellengeschwindigkeit führt.17 Weidanzverfahren ist, dass das untersuchte Volumen geometrisch
tere ähnlich ambitionierte Studien sind in Planung, z. B.
2
einer Zylinderform nahekommt. Diese Voraussetzung ist
am First Hospital in Peking, China.18
bei Ganzkörperverfahren nicht erfüllt und bedingt daher
Fehler, deren Ausgleich durch verschiedene mathematische
Indirekte Methoden zur Bestimmung des EZV
Verfahren unter Zuhilfenahme von anthropometrischen
Daten versucht wird.14 Um diese Limitation zu umgehen,
Von mehreren Autoren wurde eine sonographische Messung
wurden in den letzten Jahren auch segmentale BIS-Methodes Durchmessers der Vena cava inferior vorgeschlagen.
den entwickelt.15 Diese führen BIS in Extremitäten und
Diese sonographische Methode hängt jedoch von der ErRumpf getrennt durch und berechnen Flüssigkeitsräume
fahrung des Untersuchers und den Schallbedingungen ab.
15
aus der Summe der jeweiligen Segmente. Tabelle 2 zeigt
Aufgrund des von Patient zu Patient unterschiedlichen Verdie Resultate einer simulierten Volumsbestimmung eines
hältnisses zwischen EZV und Blutvolumen erlaubt diese
Dialysepatienten.
Methode im besten Fall nur semi-quantitative Rückschlüsse
Das intra- und extrazelluläre Volumen des i-ten Segmentes
auf das EZV.2, 19 Letztere Limitation trifft auch auf die Beberechnet sich wie folgt:15
stimmung des relativen Blutvolumens während der Dialyse
zu. Die Konzentrationen von biochemischen Markern (z. B.
L2
atriales und brain natriuretisches Peptid [ANP, BNP]) spieECVi = 1/1000 * (ρE,i *
)
RE,i
geln in erster Linie kardiale Wandspannungen wider und
2
erlauben nur semi-quantitative Aussagen zum EZV, auch
L
ICVi = 1/1000 * (ρl,i *
)
Rl,i
wenn jüngste Studien einen engeren Zusammenhang sehen.20
15
E
I
ρI und ρE sind die segmentspezischen Widerstände des extra
und intrazellulären Raumes (Tabelle 2), RE und RI der
extra- und intrazelluläre Widerstand, welche aus gemessener
Impedanz und Reaktanz anhand des Cole-Cole-Modells10
errechnet werden, und L die Länge des untersuchten Seg-
Zusammenfassung
In den letzten Jahren haben sich Bioimpedanzverfahren zur
Bestimmung von Flüssigkeitsvolumina bei Dialysepatienten
in der klinischen Praxis durchzusetzen begonnen. Man- ˘
33
FOCUS
NEPHRO Script
che dieser Methoden erlauben auch Aussagen zum Fett- und
Muskelanteil und sind daher zur Erfassung des Ernährungszustandes nützlich. Indirekte Methoden (Ultraschall, bio1
2
3
4
5
6
7
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9
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