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31
REPORT
HORIZONT 36/2014
4. September 2014
www.horizont.net/report
DIGITAL-MARKETING
DMEXCO
FOTO: DEMEXCO
GOOGLE UND CO
Deutsche Vermarkter geraten
durch US-Konzerne unter Druck
SEITE 34
REAL-TIME-AD
Einheimische Onlinevermarkter
nähern sich dem Hype vorsichtig
SEITE 40
N AT I V E - V I D E O
Neue Metriken und Kreativität
entscheiden über den Erfolg
SEITE 42
Was online
zählt
MOBILE WERBUNG
Vermarkter können sich noch
einiges von US-Riesen abschauen
SEITE 44
DMEXCO ZEIGT DIE TRENDS
I M D I G I TA L- B U S I N E S S
SEITE 32
Anzeige
32 REPORT DIGITAL-MARKETING
ZUM THEMA
Place to be
Wenn es eine Veranstaltung gibt, die das enorme Wachstum der digitalen Wirtschaft real
vor Augen führt, dann ist es die Dmexco, die
internationale Leitmesse für digitales Marketing in Köln. Mit rund 60000 Quadratmetern
Ausstellungsfläche, über 800 nationalen und
internationalen Ausstellern und 30000 erwarteten Besuchern wird die Dmexco die Rekordlatte wieder um einiges nach oben legen. Gegenüber dem Jahr 2010 bedeuten die Werte
eine satte Verdoppelung. Im Verbund mit
dem auf 470 Speaker in 200 Stunden ausgeweiteten Konferenzprogramm werden die
zwei Tage in den ausgebuchten Messehallen 6
bis 8 der Koelnmesse für die Fachbesucher
sicherlich kein Erholungsparcours und
manch einer wird angesichts des Overloads an
Themen und Programmpunkten den Wald
vor lauter Bäumen nicht mehr erkennen.
Dennoch
ist
die
Dmexco
der
Place to be, um sich auf den Quivive der aktuelle Trends im digitalen Marketing zu bringen. Und dies nicht nur aus nationaler Perspektive. Mehr als jeder vierte Aussteller
kommt inzwischen aus dem Ausland, vor fünf
Jahren war es jeder zehnte. Und laut Veranstalter lockt die Dmexco Besucher aus 100
Ländern. Das mag daran liegen, dass
Deutschland gerade im Digital Business ein
attraktiver Markt für international ausgerichtete Player ist – vom Großkonzern zum Startup. Aber dass die Dmexco für viele als Schaubühne gewählt wird, ist sicherlich ein Verdienst der Dmexco-Macher Frank Schneider
und Christian Muche von der Koelnmesse. Sie
haben sich nicht nur auf den Rückenwind des
Onlinebooms verlassen und das geografische
und thematische Feld über das Kernspektrum
des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (als
Inhaber der Marke Dmexco) erweitert. 2015
dürfte die nächste Rekordmarke fällig sein.
HORIZONT 36/2014
„Man muss die
US-Unternehmen und
ihren Expansionsdrang
sehr ernst nehmen.
Wir haben jedoch in
Deutschland einen
Werbemarkt, der sehr
hohe Ansprüche an
Qualität und
Transparenz stellt.“
Jochen Zimmer
Ressortleitung Specials
Dmexco: Live-Diskussionen mit Top-Branchenvertretern
Die dfv Mediengruppe ist als nationaler Medienpartner der Dmexco mit den
Fachtiteln „Lebensmittel Zeitung“, „TextilWirtschaft“ und „HORIZONT“ mit
einem eigenen Stand vertreten (Halle 7, Stand A051/B050). Besucher
können dort Live-Diskussionen mit führenden Branchenvertretern über
Trends im Digitalmarketing mitverfolgen:
● Tina Beuchler, Digital & Media Director bei Nestlé Deutschland, spricht
am 10.September um 12.30 Uhr mit der „Lebensmittel Zeitung“ über anspruchsvolle Herausforderungen im Marketing.
● Paul Mudter, Geschäftsleiter IP Interactive, diskutiert um 13.30 Uhr mit
„HORIZONT“ die Stärken, Schwächen und Trends von Digitalwerbung.
● Um 14.30 Uhr ist Florian Jodl, President Menswear bei Zalando, im
Gespräch mit der „TextilWirtschaft“ zum Thema „Wie gewinnt man Modemuffel als Onlinekunden?“
● Am 11.September debattiert „HORIZONT“ um 12.30 Uhr mit dem Sprecher der Plan.Net-Gruppe Manfred Klaus darüber, welche Rolle Agenturen
im Zeitalter der Marketing-Automatisierung noch haben.
● Chancen und Fallstricke von Native Advertising analysiert „HORIZONT“
zum Abschluss um 13.30 Uhr mit Steffen Hopf, Managing Director & Country
Commercial Director bei Yahoo Deutschland.
FOTO: STEFAN GREGOROWIUS
Paul Mudter,
Geschäftsleiter
Interactive IP Deutschland
und OVK-Vorsitzender 34
4. September 2014
INHALT
Werbemarkt: US-Giganten Google und Co
üben Druck auf deutsche Vermarkter aus. 34
Clickbait: Wie deutsche Onlinemedien
ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. 36
Content Marketing: Der BVDW bringt
sich in die Definitionsdebatte ein.
38
Studie: Konsumenten erwarten deutliche
Kennzeichnung von Native Advertising. 39
Real Time Advertising: Warum deutsche
Onlinevermarkter noch zögern.
40
Umfrage: HORIZONT befragt Onlinevermarkter zum Stellenwert von RTA.
41
Native Video Ads: Neue Metriken und viel
Kreativität entscheiden über Erfolg.
42
Mobile: Was sich deutsche Vermarkter von
US-Unternehmen abschauen können. 44
Interview: BVDW-Vize Himmelreich über
Werbung im Internet der Dinge.
45
Start-ups: HORIZONT stellt eine Auswahl
vor, die sich auf der Dmexco zeigen.
46
HORIZONTREPORT
ist ein Sonderteil von HORIZONT,
Zeitung für Marketing, Werbung und Medien
Chefredaktion: Dr. Uwe Vorkötter (V.i.S.d.P.),
Volker Schütz, Jürgen Scharrer
Ressortleitung: Dr. Jochen Zimmer
Telefon 069/7595-2695
E-Mail: [email protected]
Redaktion: Bettina Sonnenschein, Klaus Janke,
Giuseppe Rondinella, Natascha Gross
34 REPORT DIGITAL-MARKETING
HORIZONT 36/2014
4. September 2014
FOTO: _B. WYLEZICH / FOTOLIA
RauerWind ausWesten
Deutsche Vermarkter
geraten durch Google
und Co verstärkt unter
Druck. Bewegtbild und
Native Advertising als
neue Umsatzbringer
A
Von Klaus Janke
mazon wolle nun im Werbemarkt richtig Gas geben, meldete „The Wall Street Journal“
Ende August. Der E-Commerce-Gigant plane eine eigene Plattform,
um die Anzeigen auf seinen Seiten zu vermarkten – bislang läuft das über Google.
Auch in das Geschäft mit externer Werbung wolle Amazon einsteigen.
Derlei Meldungen häufen sich zuletzt:
Die US-Internetgiganten Google, Facebook und Amazon haben in puncto Werbung noch viel vor – und sie werden ihre
Systeme international ausrollen. Längst
hat es sich im deutschen Markt herumgesprochen, dass es für die hiesigen Vermarkter sehr ungemütlich werden kann.
Schon lange beschränkt sich Google nicht
mehr auf Search-Vermarktung, womit
man den Konzern lange Zeit ausreichend
beschäftigt vermutete. Nein, immer stärker bedrängt er die deutschen Vermarkter
auch in ihrem Kerngeschäft. „Der Druck
ist da“, so Martin Lütgenau, Geschäftsführer Tomorrow Focus Media.
Angriff im Displaymarkt
Auch Uli Kramer, Geschäftsführer der
Mediaagentur Pilot, glaubt: „Die großen
amerikanischen Unternehmen können
die deutschen Vermarkter tatsächlich
auch im Display-Markt empfindlich in
Bedrängnis bringen. Sie können auf Datenpools zugreifen, die gigantisch sind.“
Er warnt davor, sich ausschließlich an
eine Premium-Philosophie zu klammern: „Die deutschen Vermarkter sind
gut beraten, wenn sie sich nicht allein auf
die inhaltliche Qualität ihrer Umfelder
verlassen. Die Qualität eines Werbekontakts hängt nicht zwangsläufig von einem
bestimmten Umfeld ab.“
Die Unsicherheit ist umso größer, als
es im Kerngeschäft zurzeit ohnehin nicht
so gut läuft. „In der Display-Vermarktung leidet zurzeit vor allem die Mitte, das
Standardinventar“, beobachtet Kramer.
Zufriedenstellende Wachstumsraten sind
dagegen nur im Bereich Mobile – wenn
auch auf niedrigem Niveau – und natürlich Bewegtbild zu verzeichnen. Aber
auch hier kann Google mit Youtube künftig sehr ungemütlich werden. Für den gesamten Display-Bereich hat der OnlineVermarkterkreis im BVDW (OVK) für
2014 ein Umsatzplus von 8,4 Prozent auf
1,43 Milliarden Euro prognostiziert. Gut
möglich, dass die Prognose im Rahmen
der Dmexco nach unten korrigiert wird.
Nach oben zeigt die Kurve allerdings weiterhin: „Insgesamt stimmt uns die aktuelle Entwicklung recht zuversichtlich für
das Gesamtjahr, und wir gehen weiterhin
von einem Wachstum aus“, sagt Rasmus
Giese, CEO United Internet Media.
Beispielhaft für die gegenwärtige Situation steht Tomorrow Focus Media. Im
1. Quartal 2014 gab das Publishing-Segment, in das die Umsätze für Websites wie
Focus Online fallen, um 8 Prozent zum
Vorjahr nach. Der Grund: das schwache
Display-Geschäft sowie Preisverfall vor
allem beim mobilen Inventar. Doch dann
ging’s wieder bergauf: Im 2. Quartal lagen
die Werbeumsätze um 8,7 Prozent über
Vorjahr, sodass das gesamte 1. Halbjahr
mit einem Plus von 1,4 Prozent abgeschlossen wurde. Das hat Tomorrow Focus Media in erster Linie der boomenden
Videowerbung zu verdanken. Um dringend benötigtes Inventar zu schaffen,
wurde vor allem bei Focus Online massiv
in Bewegtbild-Inhalte investiert.
Wachstumspotenzial sieht Lütgenau
zudem im Bereich Native Advertising.
„Wir werden auf der Dmexco Lösungen
vorstellen, mit denen wir individuelle redaktionelle Beratung sowie ein hohes
Maß an Skalierbarkeit und Reporting
bieten“, kündigt er an. „Vermarktet werden sie im Paket mit Display-Inventar.“
Interessant sei das Thema vor allem, weil
man neue Kundengruppen erreichen
könne. „In diesem Bereich ist viel frisches
Geld im Spiel, unter anderem von PRAgenturen“, so Lütgenau. United-Internet-Chef Giese erwartet dagegen einen
„deutlichen Schub von Multi-Screen-Advertising, der auch Mobile zugute
kommt. Zudem ist Real Time Advertising
(RTA) auf dem Vormarsch und wird, gerade in Verbindung mit Mobile, wachstumsprägend sein.“
Mit Datenschutz punkten
Aber trotz aller Hoffnung auf bestimmte
Werbeformen: Die Vermarkter müssen
die gesamte Displaywerbung im Auge behalten und vor allem endlich die Zweifel
an der Werbewirkung, die sich zäh halten,
zerstreuen. Vor diesem Hintergrund ist es
zwar bedauerlich, dass OVK und Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung (Agof)
die Entwicklung des O-Werts, der die
Wahrnehmungschance eines Werbemittels beziffern soll, erst einmal auf Eis gelegt haben. Umso wichtiger ist es aber,
dass der OVK das Thema Viewability, eigentlich ein Teil des komplexen O-Werts,
nun schon einmal separat angeht und
eine 50/1-Regel vorschlägt (HORIZONT
35/2014). Dies definiert als Mindeststandard für die Vergleichbarkeit von Onlinewerbung, wenn 50 Prozent des Werbemittels länger als eine Sekunde im sichtbaren Bereich sind.
Transparenz, Vergleichbarkeit, Qualitätsgarantien, Brand Safety, Datenschutz
– all das sind Faktoren, mit denen die
Vermarkter bei Werbungtreibenden und
Agenturen punkten können. Und nicht
nur das: Genau hier können sie sich auch
gegenüber der amerikanischen Konkurrenz profilieren. Wird sich eine neue
„Made in Germany“-Philosophie als Verkaufsargument etablieren? Beim schwierigen Thema RTA hört man häufig, dass
es besonders datenschutzbewusste Werbekunden begrüßen, wenn sie es ausschließlich mit einem Ökosystem deutscher oder zumindest europäischer
Dienstleister zu tun haben. Das gilt vor
allem für Finanzdienstleister. „Das Thema Datenschutz in Kombination mit
avancierter Technik kann zu einem Markenzeichen deutscher Vermarkter werden“, schätzt Oliver Wolde, Mitglied der
Geschäftsführung bei Interactive Media.
Leidige Adblocker
Ein weiteres, leidiges Thema steht auf der
Agenda der Onlinevermarkter: Adblocker. Der OVK schätzt, dass rund ein Viertel
der Display-Werbung mittlerweile geblockt wird. Gerne teilen Journalisten das
gesamte Displaywerbevolumen einfach
durch 4 und errechnen so einen Schaden,
der in dreistelliger Millionenhöhe liegt.
Ganz so schlimm wird es nicht sein, wie
die bisherigen Erfahrungen bei Tomorrow Focus Media zeigen: „Adblocker vermindern das Inventar und verringern das
Umsatzpotenzial deutlich, aber noch
können wir die meisten Kampagnen nach
den Vorgaben der Kunden und Agenturen ausliefern“, berichtet Lütgenau.
„Doch je spezieller die Buchung und höher die Auslastung auf Portalen, desto
häufiger kann es Engpässe geben.“
Der OVK arbeitet an einem Tool, das
die Adblock-Nutzer identifizieren kann,
viele Publisher entwickeln schon eigene
Lösungen. Damit kann man Nutzer endgültig vor die Alternative stellen: Werbung akzeptieren oder es gibt keine Inhalte mehr. Noch schreckt man vor diesem
Schritt zurück. „Die Publisher und Vermarkter müssten sich hier viel stärker engagieren“, findet Pilot-Chef Kramer.
„Aber es passiert nur sehr wenig.“
Paul Mudter,
Geschäftsleiter Interactive
IP Deutschland und
OVK-Vorsitzender
„Nicht so stark
wie erwartet“
OVK-Chef Paul Mudter über das
Werbejahr und die US-Konkurrenz
Man hört zurzeit von Vermarktern, dass das Display-Geschäft
Sorgen macht. Wird der OVK seine Wachstumsprognose von 8,4
Prozent nach unten korrigieren?
Wir werden die aktualisierte Prognose bei der Dmexco bekannt geben, da will ich nicht vorgreifen.
Nur so viel: Ja, das Jahr ist vielleicht
nicht ganz so stark verlaufen, wie
wir es erwartet haben. Das Wachstum ist aber auf jeden Fall ordentlich. Und die Bereiche, die wir als
Treiber identifiziert haben – insbesondere Bewegtbild und Mobile –
haben uns nicht enttäuscht.
Es wird verstärkt spekuliert, dass
Google und Co die deutschen Vermarktern auch im Display-Bereich an den Rand drücken. Wie
beunruhigt sind Sie?
Man muss die US-Unternehmen
und ihren Expansionsdrang sehr
ernst nehmen. Wir haben jedoch in
Deutschland einen Werbemarkt,
der sehr hohe Ansprüche an Qualität und Transparenz stellt. Darauf
sind die qualitätsorientierten Vermarkter sehr gut eingestellt.
Bislang verweigern die US-Player
eine Kooperation bei Themen wie
Währung und Transparenz. Ist
das überhaupt schlecht für die
deutschen Vermarkter?
Eine Zusammenarbeit aller Anbieter wäre besser für uns, weil man
dann nicht mehr Äpfel mit Birnen
vergleichen müsste. Und wir würden im direkten Vergleich nicht
schlecht aussehen.
KJ
36 REPORT DIGITAL-MARKETING
HORIZONT 36/2014
4. September 2014
ILLUSTRATION: THOMAS DAHMEN / HORIZONT
Von Sara Weber
N
ein, die Schlagzeilen oben
stammen nicht von irgendwelchen Spam-Klitschen. Sie
waren so in diesen Tagen bei
großen deutschen Nachrichtenportalen
zu lesen: Bei Bild.de und Focus Online,
bei Stern.de und Huffington Post. Böse
Zungen würden jetzt behaupten, diese
Überschriften seien nichts weiter als Köder, die nur ausgelegt werden, um die
Nutzer zum Klicken zu bewegen. Jeder
Klick entspricht einer Page Impression,
also einem Seitenaufruf. Und jeder Sei-
Es hat
geklickt
Wer online mit seiner Glaubwürdigkeit
spielt, kann Werbekunden verlieren
tenaufruf ermöglicht eine Ad Impression,
also einen Sichtkontakt mit einer Anzeige. Kein Wunder also, dass es vielen Verlagshäusern im Netz darum geht, möglichst viele Klicks zu erreichen. Dabei helfen soziale Medien, allen voran Facebook.
Wer dort mit emotionalen und unglaublichen Überschriften Artikel anpreist,
wird oft geklickt.
Und dort funktionieren nun mal Themen besonders gut, die für Ohs und Ahs
sorgen – von Ice Bucket Challenge bis hin
zu Katzenbabys. So passieren im Netz
Dinge, die in Print undenkbar wären. Am
geringsten ist die Diskrepanz bei Bild.de:
Auch gedruckt macht „Bild“ Boulevard,
mit einer Prise Sex, Promis und Tierfotos
– lauter Dinge, die auch im Netz funktionieren. Etwas anders sieht die KlickDebatte bei den Medien aus, die weithin
als seriös gelten. Wenn die drei großen
Nachrichtenmagazine „Spiegel“, „Stern“
und „Focus“ etwa online völlig andere
Qualitätsmaßstäbe anlegen als für Print,
kann das der Marke schaden.
Wie Medien online agieren, beobachten die Autoren von Bildblog.de. Mats
Schönauer ist einer von ihnen. Ihm hat es
vor allem Focus Online angetan: „Ich
kann mich auf der Seite maximal zehn
Minuten aufhalten“, sagt er. Eigentlich
würde er bei Focus Online halbwegs vernünftigen Journalismus erwarten – so wie
im gedruckten Magazin. „Der ‚Focus‘
hatte für mich immer einen ganz ordentlichen Ruf“, sagt Schönauer. Dann schaue
er in Focus Online und schlage die Hände
über dem Kopf zusammen. „Für mich hat
die Marke Focus dadurch gelitten.“
Seine Kritik: Focus Online übernehme
zu viele Agenturmeldungen und kündige
sie wie eigene Artikel an. Allein zum Tod
von Robin Williams habe es über 70 Meldungen gegeben, so Schönauer, die meisten ohne inhaltlichen Mehrwert. Auch
über den Liveticker zum Unfall Michael
Schumachers, der jede vermeintliche
Neuigkeit auflistete (und auch heute noch
aktualisiert wird), regt sich Schönauer
auf: „Einfach alles zu veröffentlichen, das
kann doch kein journalistischer Anspruch sein.“
Daniel Steil ist Chefredakteur von Focus Online und möchte sich zu der Bildblog-Kritik nicht äußern. „Wir richten
unsere Arbeit an unseren Usern aus“, sagt
Steil. Dabei sei Nutzwert „der klassische
Markenkern von Focus Online“, wie
beim gedruckten Heft auch. Er beschreibt
Focus Online als das „schnellste Nachrichtenportal Deutschlands“ mit deutlichem Schwerpunkt auf Nutzwert: Hausbau, Rente, Preisvergleiche – das wollen
Steils Leser haben. Schaut man auf die
Zahlen, scheint dieser Ansatz aufzugehen: Focus Online ist laut Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung (Agof) das zweitgrößte Nachrichtenportal Deutschlands,
hinter Bild.de, vor Spiegel Online,
Welt.de, Süddeutsche.de und Stern.de.
Dass Facebook vor wenigen Tagen verkündet hat, Clickbait (siehe rechts) künftig aus den Newsfeeds der Nutzer herauszufiltern, macht ihm keine Angst:
Schlecht sei das nur für Websites mit einer
hohen Bounce-Rate, wo die Nutzer auf
die Seite kommen und sofort wieder gehen. „Wir haben eine Click-through-Rate
auf Artikel von teilweise bis zu 70 Prozent“, sagt Steil, das heißt, die meisten
Nutzer gehen auch wirklich in den Artikel
hinein.
Auch der Journalistik-Professor Michael Haller setzt sich mit dem Thema
auseinander. „Klassische Medien müssen
darauf achten, dass sie nicht in die Glaubwürdigkeitsfalle tappen“, sagt er. Trotzdem betont Haller, dass Online und Print
völlig verschiedene Gattungen sind, die
unterschiedlich funktionieren. Eine Regel
gelte aber für beide: „Journalistische Medien haben eine Informationsleistung zu
liefern, die an handwerkliche Minimalanforderungen gebunden ist.“ Hohe Klickzahlen bedeuteten nicht zwingend, dass
die Nutzer mehr von der Sorte wollen.
„Wenn die Erwartungen an ein Angebot
enttäuscht werden, ist das riskant, weil
Nutzer so schnell vergrault werden
können.“
D
ass die Klicks und damit die
Zahl der Nutzer beeinflussen,
wie viel Werbegeld fließt, ist ein
Geburtsfehler des Internets, der langsam
behoben wird. Mittlerweile schauen
Werbekunden und Mediaagenturen
nicht mehr nur auf den Klick. Zwar ist
das Geschäftsmodell von Nachrichtenseiten weiter an der qualitativen Größe
Page Impressions ausgerichtet. „Trotzdem ist man schlecht damit beraten, nur
Klicks zu sammeln“, sagt Uli Kramer,
Geschäftsführer der Mediaagentur Pilot.
Werbekunden hätten kein Interesse an
hochgejazzten Klickzahlen, wie sie durch
Clickbait entstehen, sagt Kramer, im Gegenteil: „Der Markt orientiert sich gerade
um. Qualität wird immer wichtiger.“
Weil heute auch Verweildauer, Nutzerengagement und Werbewirkung gemessen werden, kann überprüft werden, welche Inhalte die Nutzer gut finden – und
wo es sich lohnt, Werbung zu schalten.
„Ein Teil der Branche hat in den letzten
Jahren stumpf auf Masse produziert“,
sagt Kramer. Doch das könnte bald vorbei
sein, glaubt der Pilot-Geschäftsführer:
„Wer allerdings rumtrickst und zu wenig
Qualität liefert, wird mit Hilfe der heute
verfügbaren Tracking-Technologien ertappt.“ Und dann könnten die Werbekunden in Zukunft wegbleiben – ein Desaster in einem Markt, der sich (noch)
komplett aus Werbegeldern finanziert.
Was ist Clickbait?
Der neue Höhepunkt des
Klick-Fanatismus wird Clickbait (Klickköder) genannt. In
den USA gehören Upworthy
und Buzzfeed zu den Medien,
die mit Listen und emotionalen Überschriften besonders viele Nutzer auf ihre
Seiten locken. In Deutschland
haben die Macher von Heftig.co das Clickbait-Phänomen
perfektioniert. Über eine
Million Fans hat die Site auf
Facebook, Artikel mit Überschriften wie „Unter einem
Auto entdeckte ein Mann
etwas Schreckliches. Was er
dann tat, ist unfassbar“
werden 13000 Mal gelikt und
4000 Mal geteilt.
38 REPORT DIGITAL-MARKETING
HORIZONT 36/2014
4. September 2014
Stefan Fischer, Lab
Content Marketing
„An die Grenzen
des Pull-Prinzips“
Alles,
FOTO: HE2 / FOTOLIA
Stefan Fischer, Gründungsmitglied
des neuen Lab Content Marketing
(CM) im BVDW, über die CMDefinition des Verbands
was reingeht
Laut BVDW braucht
Content Marketing zur
Konsumentenstimulanz
auch Paid Media
So sieht der BVDW
Content Marketing*
Definition
Ziel des Content Marketing (CM) ist die Positionierung einer Firma oder Marke als Experte in ihrem
Fachgebiet durch Bereitstellung von relevanten
Informationen. In der operativen Umsetzung umfasst CM Planung und Erschaffung zielgruppenrelevanter Inhalte sowie deren strukturierte Verbreitung über verschiedene Kanäle.
Distributionskanäle
Native Advertising (NA): NA ist eine Form der
bezahlten Onlinewerbung, die sich optisch und
funktionalandieInhaltederAusspielseiteanpasst.
(´Paid Media, auch Sponsored Posts in Social Media**)
Inbound Marketing (IM): IM stellt den Nutzer
und seinen Inhaltebedarf in den Mittelpunkt. Hier
spielen Kanäle der Contentsuche und -beschaffung eine elementare Rolle. (Earned und Owned
Media**)
*Kommentierter Auszug der vorläufigen Definition. Am finalen
Wording arbeitet der BVDW aktuell noch.
** Erklärende Anmerkung durch HORIZONT.
Quelle: BVDW
S
Von Anja Sturm
eit Felix Baumgartner am 14. Oktober 2012 für Red Bull so überaus
medienwirksam vom Himmel fiel,
reden alle von Content Marketing.
Das Problem: Keiner weiß genau, was damit gemeint ist. Jede Kommunikationsdisziplin fordert die Deutungs- und Honorarhoheit für sich. Allerdings: Weitgehend Konsens bestand zuletzt zumindest
darüber, dass Content Marketing nur mit
relevanten Inhalten funktioniert und dass
sich die Inhalte nach dem Pull-Prinzip
ohne Mediaspendings über Owned- und
Earned-Media-Kanäle der Werbungtreibenden verbreiten. Lukas Kircher etwa,
Geschäftsführer der Content-MarketingAgentur Kircher Burkhardt, spricht von
„Demand-driven Content, den die Leute
freiwillig nutzen“, und Felix Schröder,
Chef der Frankfurter Digitalagentur Syzygy, meint: „Bei Content Marketing geht
es um das Publizieren von Inhalten statt
um das Belegen von bezahlten Werbeplätzen. Aufmerksamkeit und Reichweite
müssen sich über Relevanz ,verdient‘ statt
,erkauft‘ werden.“
Schluss, aus, vorbei. Jedenfalls wenn
man dem Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) glaubt. Denn pünktlich
zur Dmexco kapert nun auch der BVDW
das Thema Content Marketing (CM).
Ende Juni hat der Verband ein eigenes
Content-Marketing-Lab gegründet. Jetzt
präsentiert er erstmals eine CM-Definition, die explizit Paid Media als Distributionskanäle einbezieht (siehe Kasten). Die
Hochzeit der Phase, in der sich relevanter
Content quasi kostenlos über Earnedund Owned-Kanäle der Werbungtreibenden verbreite, sei vorbei. „Die Kunst
wird künftig sein, nicht nur relevanten
Content zu erstellen, sondern diesen auch
bestmöglich zu verbreiten“, so Stefan Fischer, Business Development Manager
bei Define Media und Gründungsmitglied im CM-Lab des BVDW.
Aus Sicht des Düsseldorfer Verbands
macht das neue Modell natürlich Sinn. Es
bezieht sich ausschließlich auf Digital,
lenkt den Blick von den Inhalten stärker
auf die Kanäle – und pusht damit unter
dem Stichwort „Native Advertising“ vor
allem die Vermarktung neuer digitaler
Werbeformate. Dazu passt gut, dass auf
dem „Content Summit“ der Dmexco
kommende Woche neben Vice-MediaChef Andrew Creighton und HuffPoCEO Jimmy Maymann auch Stan Sugarman, Chief Digital Officer G+J Deutschland und Chief Sales Officer G+J Media
Sales EMS, reden wird.
Sugarman macht sich seit Jahren für
Native Advertising stark und hält es für
einen zentralen Baustein des Content
Marketing (siehe aktuelle Studie nächste
Seite). Er sagt: „Das Erfolgsgeheimnis von
gut gemachtem Content Marketing liegt
darin, dass es passend zur jeweiligen Marke und deren Zielgruppe individuell entwickelt wird. Dazu gilt es, die passenden
Bausteine auszuwählen.“ Und diese Bausteine könnten „mal vorwiegend Native
Ads sein, mal eine groß angelegte Wordof-Mouth-Marketingkampagne,
mal
spezifische Content-Produkte wie ein
Kundenmagazin oder eine App“.
S
o weit, so nachvollziehbar. Ob aber
das neue BVDW-Modell in seiner
Breite nach dem Motto „keinem
Verbandsmitglied wehtun“ auch hilft, für
die Werbungtreibenden mehr Klarheit in
die CM-Debatte zu bringen, darf zumindest infrage gestellt werden. Schließlich
subsummiert der BVDW unter seinem
Modell im Grunde alles, was moderne
digitale Kommunikation heute so her-
gibt. Selbst Mitautor Fischer räumt ein:
„Wir befinden uns in einem sehr komplexen Prozess. Das jetzt vorliegende Modell ist ein wichtiger Schritt nach vorn,
weil es für uns eine sehr gute Grundlage
ist, um das Thema künftig noch weiter in
die Tiefe durchzudeklinieren.“
C
hristoph Bornschein, Gründer
der Berliner Agentur Torben, Lucie und die gelbe Gefahr (TLGG),
dürfte diese theoretische Debatte ziemlich wurscht sein. Er betrachtet die Diskussion um Paid, Owned, Earned „wenig
dogmatisch“. Bornschein: „Meiner Meinung nach sehen wir eine Parallelität beider Situationen. Mechaniken von Push
und Pull werden schlicht gleichzeitig
existieren.“ Letztlich komme es nicht
mehr darauf an, ob Content auf eigenen
Kanälen der Marke lebt oder über Native
Advertisement zusätzlich sichtbarer gemacht wird. „Im Kern geht es um die
Entwicklung von gutem und relevantem
Content in verschiedenen Formen. Alle
anderen Begrifflichkeiten im Raum beziehen sich dann nur auf die Leistung seiner Distribution“, so der TLGG-Chef.
Für Werbungtreibende hingegen dürfte die Frage, in welchem Maß sie künftig
ihre teuer erstellten Inhalte durch zusätzliche Mediaspendings an den Konsumenten bringen müssen, durchaus von Interesse sein. Und an welcher Stelle sie die
dafür benötigten Etats künftig abziehen.
Denn dass dank Mediaspendings künftig
an der Qualität des Contents gespart werden kann, ist unwahrscheinlich. Bornschein: „Reine organische Reichweite und
Sichtbarkeit ist zunehmend begrenzt. Bezahlte Mechaniken werden vor allem genutzt, um weiteren Usern Content als Angebot zu unterbreiten. Ob diese sich dann
auch wirklich dafür interessieren, hängt
wieder von der Relevanz der Inhalte ab.“
Der BVDW definiert Content
Marketing als „Positionierung
durch relevanten Content“. Das
klingt ziemlich banal. Damit sind
wir doch wieder bei null aller
Kommunikationsspielarten angekommen.
Man darf diese Definition nicht
ohne Blick auf die Distributionskanäle bewerten. Es geht darum,
dass digital immer neue Verbreitungsformen für relevanten Inhalt
entstehen. Diese abzubilden und
sinnvoll zu unterscheiden, ist
unsere Intention. Die Entwicklung neuer Kommunikationsplattformen und -kanäle ermöglicht gerade für den Bereich Content Marketing eine ganze Reihe
neuer Möglichkeiten, die es so früher noch nicht gab.
Dass der BVDW nur von Digital
spricht, überrascht nicht. Nichtsdestotrotz spielt Content Marketing auch in Print eine große Rolle.
Im Prinzip passt unsere grundsätzliche Definition von Content
Marketing auch auf die klassischen Kanäle. Letztlich müsste
man nur ein weiteres Distributionssegment hinzufügen.
Auffallend ist, dass der BVDW
unter dem Stichwort „Native Advertising“ auch Paid Media bis
hin zu bezahlten Social-MediaMaßnahmen einbezieht. Sind die
Zeiten schon wieder vorbei, in denen relevanter Content auch ohne
Mediaspendings seine Zielgruppen fand?
In unserem Modell gibt es auch
künftig erfolgreiche InboundMarketing-Kanäle, in denen die
Distribution ohne klassische Mediaspendings auskommt. Aber die
Hochzeit dieser Phase ist vorbei.
Die Entwicklung geht auch bei
Content Marketing klar in Richtung Paid. Die Kunst wird in Zukunft sein, nicht nur relevanten
Content zu erstellen, sondern diesen auch bestmöglich zu verbreiten.
Mit dem hübschen Nebeneffekt,
dass auch Digitalvermarkter wie
Ihr Unternehmen und zahlreiche
BVDW-Mitglieder künftig bei
Content Marketing stärker am
Paid-Kuchen beteiligt sind.
Das stimmt, aber darum geht es
nicht. Die Überfüllung mit Content im Netz führt zwangsläufig
dazu, dass viele Unternehmen
und Themen an die Grenzen des
Pull-Prinzips stoßen. Somit liefern die Anbieter von Paid-Distribution lediglich eine mögliche Lösung für dieses Problem, das ja real
AS
besteht.
HORIZONT 36/2014
REPORT DIGITAL-MARKETING 39
4. September 2014
E
s liest sich schon ein bisschen dubios. Der Content Summit auf
der Dmexco kommende Woche
wird sich unter anderem mit Native Advertising beschäftigen. Jener digitalen Werbeform, die sich in Optik und
Sprache möglichst an die Träger-Website
anpassen und den User dadurch weniger
stören und ihm die Werbebotschaften
leichtfüßiger vermitteln soll. Das allein ist
nichts Anrüchiges. Früher sagte man dazu meist Advertorial oder auch schon mal
Schleichwerbung. Merkwürdig allerdings
liest sich im Content-Summit-Programm
folgender Satz: „Native Ads und Branded
Content sollen aus Sicht mancher Marketer die Lücke schließen zwischen Werbung und redaktionellem Content.“
Wobei aus redaktioneller Mediensicht
die Frage erlaubt sei, ob diese Lücke tatsächlich geschlossen werden muss beziehungsweise geschlossen werden sollte.
Mit anderen Worten: Wo steht künftig
Wankt die
Brandmauer?
Studie von G+J EMS zeigt: Native Advertising
muss klar gekennzeichnet sein
Werbeerinnerung verdoppelt
Sympathiewerte steigen
Abverkauf nimmt zu
Ad Awareness
Markennähe / Sympathie
(Uplift gegenüber Nullmessung)
Kauf- und Nutzungsbereitschaft
Angaben in Prozent
22
24
66
59
52
22
16
13
Erwartungen an das Werbeformat
Angaben in Prozent
… glaubwürdig sein
85
… aktuell sein
84
80
… informativ sein
Kontakt zu
Displayflight
Kontakt zur
Integration
(Native
Advertising)
Quelle: G+J Native Advertising Grundlagenbefragung
HORIZONT 36/2014
Kein Kontakt
zur Kampagne
77
… einen klaren Nutzen haben
0
Kein Kontakt
zur Kampagne
Native Advertising muss glaubwürdig sein
Kooperationen zwischen Marken und Websites müssen…
20
10
noch die Brandmauer? Eine Debatte, die
sicher noch lange Zeit intensiv geführt
werden muss – und zu der nun einige
User klar ihre Meinung gesagt haben.
Denn laut einer aktuellen Studie von G+J
Media Sales EMS erwarten 86 Prozent der
befragten Konsumenten, dass Native Advertising deutlich als solches gekennzeichnet ist. Stan Sugarman, Chief Digital
Officer G+J Deutschland und Chief Sales
Officer G+J Media Sales EMS, betont deshalb: „Für uns als Medienhaus gilt unverändert das Prinzip der Trennung von
werblichen und redaktionellen Inhalten.
Wir sind davon überzeugt, dass sich User
nicht von Native Ads oder Branded Content getäuscht fühlen dürfen. Deshalb ist
eine klare Kennzeichnung unerlässlich.“
Dass sich der Manager derart für Native Advertising stark macht, ist verständlich. Für viele Digitalvermarkter gilt die
Werbeform als ein Hoffnungsträger.
Glaubt man der aktuellen G+J-EMS-Studie, wirkt sie durchaus beim Verbraucher,
und ergo auch bei den Werbungtreibenden.
Angaben in Prozent
Angaben in Prozent
22
Von Anja Sturm
Kontakt zu
Displayflight
Kontakt zur
Integration
(Native
Advertising)
Quelle: G+J Native Advertising Grundlagenbefragung
HORIZONT 36/2014
Kein Kontakt
zur Kampagne
Kontakt zu
Displayflight
Kontakt zur
Integration
(Native
Advertising)
Quelle: G+J Native Advertising Grundlagenbefragung
HORIZONT 36/2014
71
… hochwertig sein
64
… kurz und knackig gehalten sein
… Bilder enthalten
Quelle: G+J Native Advertising Grundlagenbefragung
58
HORIZONT 36/2014
Anzeige
40 REPORT DIGITAL-MARKETING
HORIZONT 36/2014
4. September 2014
Keine Eile
Real Time Advertising ist auf dem Vormarsch. Die deutschen Onlinevermarkter
nähern sich dem Thema aber mit Vorsicht
D
ie ganz große Euphorie, die
das RTA-Lager noch Anfang
des Jahres versprühte, ist verflogen: „Real Time Advertising entwickelt sich in Deutschland nicht
so schnell, wie wir erwartet hatten“, sagt
Nigel Gilbert, Verkaufschef für Europa
bei Appnexus, einem Anbieter von RTATechnologie. „Es wird viel getestet, aber
viele Vermarkter zögern noch, RTA wirklich ins Tagesgeschäft zu überführen.“
Dennoch sei er „äußerst optimistisch“,
was das weitere Wachstum angehe. Bestätigt fühlt er sich unter anderem durch
eine Studie, die Appnexus gemeinsam
mit dem Verband IAB Europe und dem
Institut Warc durchgeführt hat. Danach
liegt der Anteil der deutschen Werbungtreibenden, die sich bereits mit automatisiertem Echtzeithandel beschäftigen, bei
50 Prozent. Die Etats dafür sind aber noch
Nicht jeder beherrscht das Thema
Hindernisse auf dem Weg zum Programmatic Advertising
Angaben in Prozent
29
Mangelndes Know-how
26
Kein Budget vorhanden
Mangelnde Transparenz
13
Widerstand beim Werbekunden
13
12
Vorgegebene Geschäftspolitik
Furcht vorm Ungewissen
12
11
Innerer Widerstand
6
Skepsis gegenüber Programmatic Ad.
Widerstand von Agenturen
4
Basis: 197 im April und Mai 2014 befragte europäische Werbeexperten
Quelle: Appnexus, IAB Europe, WARC
HORIZONT 36/2014
Targeting steht im Mittelpunkt
Was Programmatic Advertising bringen soll
Angaben in Prozent
54
Verbessertes Targeting
50
Reagieren in Echtzeit
35
Weniger Streuverluste
33
Personalisierte Werbung
Schnellere Kampagnenumsetzung
30
Bessere Erfolgskontrolle
30
24
Preisgünstigere Werbung
22
Hochwertigere Impressions
Kreativere Werbung
16
Basis: 454 im April und Mai 2014 befragte europäische Werbeexperten
Quelle: Appnexus, IAB Europe, WARC
HORIZONT 36/2014
begrenzt: Der RTA-Anteil am Onlinewerbeumsatz dürfte höchstens knapp zweistellig sein.
Doch wenn es auch nicht ganz so
schnell geht: Dass automatisierter Werbeeinkauf wichtiger wird, bezweifelt
kaum jemand. „Die Bedeutung von RTA
wächst bei uns mit rasantem Tempo“, erklärt Oliver Wolde, Mitglied der Geschäftsführung und Senior Vice President
Sales & Publisher bei Interactive Media.
„Der Umsatzanteil ist noch nicht ganz
zweistellig, wird es aber 2015 sein.“ Wolde
betont, dass RTA auf mehreren Ebenen
vorteilhaft sei: „Die Automatisierung bedeutet nicht nur für den Kunden, sondern auch für uns große Effizienzgewinne.“ Interactive Media gehört zu den Vermarktern, die das Thema vorantreiben.
Im April begann die Telekom-Tochter damit, auch großflächige Qualitätswerbeformate über die hauseigene Premium
Publisher Platform (PPP) für den Echtzeithandel zur Verfügung zu stellen.
K
onkurrent Axel Springer Media
Impact (Asmi) befindet sich in
puncto RTA „noch in der Testphase“, wie Holm Münstermann, General Manager New Media Business, erklärt.
„Die bisherigen Erfahrungen sind jedoch
wichtig.“ Asmi hatte Ende vergangenen
Jahres einigen Staub aufgewirbelt, als bekannt gegeben wurde, dass der Vermarkter Inventar über Googles Ad Exchange
verkauft – und damit für viele Marktbeobachter einen problematischen Pakt
mit dem mächtigen Gegner der deutschen Medienhäuser einging. Münstermann kann die Aufregung darüber nicht
nachvollziehen: „So gut wie alle Publisher
haben Google AdSense direkt in ihrem
Content eingebaut, fast alle Vermarkter
außer ASMI nutzen den Google AdServer, und das Long-Tail-Inventar der meisten deutschen Publisher ist über die
Google AdExchange buchbar.“ Asmi kooperiere nicht viel enger mit Google als
andere auch.
Münstermann erklärt, wie das Geschäft über Google läuft: „Bei der Ad Exchange arbeiten wir mit Open Auctions,
Private Auctions und Floor Prices. Dabei
lassen wir die darüber reinkommenden
Gebote gegen unsere direkt verkauften
Kampagnen im nicht garantierten Bereich laufen. Das heißt ein Bieter in der
Ad Exchange bekommt den Zuschlag,
wenn für die Impression kein höherer
Preis aus direkt verkauften Kampagnen
vorliegt.“ Beim Inventar handelt es sich
fast ausschließlich um Restplätze: „Wir
sind sehr vorsichtig darin, unser Premiuminventar per RTA anzubieten“, sagt
Münstermann – eine Haltung, die bislang
die Strategien der meisten Vermarkter
aus dem Lager der Medienhäuser prägt:
Man will Werbeplätze in hochwertigen
Umfeldern auf keinen Fall in die Auktions- und Targeting-Maschinerie einspeisen und damit das klassische Vermarktungsgeschäft und seine gelernten Mechanismen gefährden. Lediglich die prozessuale Automatisierung des klassischen
Geschäfts nach gleichen Bedingungen ist
für die meisten vorstellbar, aber bitte kein
offenes Bidding.
Bei der Vermarktung des Restinventars, das über hauseigene oder auch externe Plattformen gehandelt wird, schwört
man wie Asmi auf „Private Auctions“,
also geschlossene Systeme von Angebot
und Nachfrage, in denen nur bestimmte
Geschäftspartner zugelassen sind. So vermeidet man, dass Inventar an dubiose
Zweit- und Drittvermarkter geht. Man
hält sich zudem die Möglichkeit offen,
bestimmte Kunden bevorzugt zu bedienen. In welchem Umfang die großen Vermarkter Restplätze auch auf offenen
Longtail-Marktplätzen anbieten, ist
schwer zu schätzen.
Neben der Vorsicht der Vermarkter
sorgt ein weiterer Faktor dafür, dass RTA
nicht schneller abhebt: die mangelnde
Transparenz und damit verbunden Zweifel an der Qualität. Wo läuft meine Werbung genau? Wie lange ist sie sichtbar?
Wie steht’s mit der Brand Safety? Im Mai
machte die Nachricht von einer Programmatic-Buying-Kampagne die Runde, die
Mercedes-Benz in den USA gebucht hatte. Über die Hälfte der ausgelieferten Ad
Impressions wurden offenbar nicht von
menschlichen Nutzern, sondern von automatisierten Programmen „gesehen“.
Der Dienstleister Rocket Fuel hatte die
Werbung versehentlich auf zahlreichen
betrügerischen Websites platzieren lassen
(HORIZONT 23/2014). Geschichten wie
diese sorgen dafür, dass das Vertrauen der
Werbungtreibenden in RTA nicht gerade
größer wird.
Nicht umsonst versuchen deutsche
Vermarkter und Mediaagenturen, mit besonderen Qualitätsversprechen zu punkten. Pilot hat kürzlich das eigens entwi
ckelte Produkt RTA Gold vorgestellt. Mit
dem Produkt können Kunden bei RTAKampagnen gegen Aufpreis ein komplettes Qualitätspaket buchen – mit garantierter Sichtbarkeit, Transparenz in der
Auslieferung, Brand Safety und Präsenz
N
eben besserer Qualität werden
auch Mobile und Bewegtbild als
Wachstumstreiber für RTA betrachtet. Mehr Mobile scheint fast mit logischer Konsequenz anzustehen – die Internetnutzung verlagert sich dramatisch
schnell auf mobile Endgeräte. Dort werden große Massen von Impressions erzeugt, die nicht einfach zu vermarkten
sind – eigentlich genau das Richtige für
RTA. „Bei Mobile sehen wir ein starkes
Wachstum und erhoffen uns viel davon
für 2014 und 2015“, erklärte Eric Hall,
Country Manager DACH beim RTAPlattformanbieter Pubmatic kürzlich
(HORIZONT 24/2014). Allerdings gibt es
noch Hindernisse: Zum einen ist die
technische Abwicklung von Mobile RTA
noch kompliziert, es werden viele unterschiedliche Technologien genutzt. Zum
anderen sind gute Tracking-Daten für
Mobile, vor allem für RTA-prädestinierte
Retargeting-Kampagnen, noch nicht verfügbar. Ein Frequency Capping etwa über
stationäre und mobile Plattformen hinweg ist nur für Anbieter von Login-basierten Portalen möglich – weshalb United Internet Media mit Marken wie
Web.de und GMX.de zuversichtlich ins
mobile RTA eingestiegen ist (HORIZONT
35/2014). „Der Tipping Point für Mobile
wird erreicht sein, wenn plattformübergreifendes Tracking möglich ist“, schätzt
Appnexus-Manager Gilbert.
Und was ist mit Bewegtbild, dem anderen großen Hypethema? Auch hier hat
Gilbert Zweifel: „Für Videowerbung wird
RTA zunächst keine große Rolle spielen.“
Die Vermarkter haben seiner Meinung
nach keine Veranlassung, sich nach alternativen Vertriebskanälen umzusehen:
„Die Nachfrage übersteigt das Angebot
bei weitem, sodass das Inventar meist
langfristig ausgebucht ist. RTA löst hier
kein Problem.“
FOTO: SUMKINN / SUMKINN
Von Klaus Janke
auf Premium-Inventar. Einzeln ist das
alles nichts Besonderes, aber ein Komplettpaket mit dem griffigen Namen RTA
Gold – das ist schon cleveres Marketing.
Allerdings muss Pilot nun auch liefern
und Partner finden. „Wir reden mit allen
großen Agof-Vermarktern“, erklärt Thomas Koch, Geschäftsführer Pilot Media.
„Aber nicht jeder kann und nicht jeder
will die erforderlichen Garantien geben –
das ist auch eine Frage des jeweiligen Geschäftsmodells.“ Als Vermarktungspartner sind bislang Ströer Digital, G+J EMS
und Tomorrow Focus Media mit von der
Partie.
Thorsten Mandel, ebenfalls Pilot-Geschäftsführer, betont, dass eine Initiative
wie RTA Gold die Qualitätsprobleme des
automatisierten Einkaufs nicht lösen
kann: „Eine Herausforderung liegt noch
in der unzureichenden Skalierbarkeit von
Angeboten mit Qualitätsgarantie.“
Sprich: Viel Inventar ist darüber nicht zu
bekommen. „Wer schnell eine hohe
Reichweite erzielen will, kommt bislang
am Longtail kaum vorbei“, so Mandel.
HORIZONT 36/2014
4. September 2014
REPORT DIGITAL-MARKETING 41
Nach eigenem Modus
Die Onlinevermarkter setzen
RTA mit sehr
verschiedenen
Schwerpunkten
ein
W
ie entwickelt sich
der Stellenwert
von RTA in Ihrer
Online-Vermarktung?
Stellen Sie zunehmend auch
Premium-Inventar darüber
zur Verfügung?
Rasmus Giese, CEO United Internet Media
Matthias Wahl, Geschäftsführer OMS
Paul Mudter, Geschäftsleiter IP Interactive Deutschland
R
D
D
TA ist ein Bestandteil unserer Vermarkungsaktivitäten – vorrangig, um unsere Medialogistik
effizienter zu gestalten. Wir nutzen die Auslieferungsintelligenz von Kooperationspartnern wie AppNexus über einen privaten Marktplatz und optimieren
die Inventarallokation für Großkunden und Agenturen.
Darüber hinaus stellen wir seit kurzem auch Mobile
Inventar ein und ermöglichen unseren Kunden und
Agenturen, die Werbeschaltung auch für den Small
Screen noch effektiver und zielgerichteter zu gestalten.
RTA ist sicher auf dem Vormarsch. Den aktuellen Hype
halte ich allerdings für übertrieben, denn in der Praxis
spielt RTA gerade auf dem deutschen Werbemarkt noch
eine untergeordnete Rolle. Wir vermarkten derzeit über
RTA einen einstelligen Prozentsatz unseres Inventars.
ie Nachfrage auf Kundenseite nach RTA hat
sich in letzter Zeit spürbar erhöht. Wir sind
hier sehr gut vorbereitet, da wir uns bereits
früh mit dem Thema beschäftigt haben und können
entsprechend die Möglichkeiten, die RTA bietet, gezielt
anbieten und einsetzen. Diese zunehmende Technisierung unserer Branche bedeutet aber keineswegs automatisch, dass die OMS als Premiumvermarkter für den
Werbeerfolg so wichtige Qualitäts-Aspekte wie Zielgruppe, Umfeld, Marke, Positionierung und hochwertigen Content zu vergünstigten Konditionen anbietet. Premium-Inventar und Qualitätszielgruppen haben
ihren Preis – und das ist auch richtig so!
ie ökonomischen Vorteile des programmatischen Verkaufs sind nicht von der Hand zu
weisen und spielen auch bei IP Deutschland
eine zunehmend wichtige Rolle. Allerdings weniger bei
Video. Video ist definitiv ein Premiumprodukt und in
unserem Haus ein knappes Gut. Die Werbenachfrage
übersteigt hier durchaus das Angebot. Wir prüfen aber
intensiv, wann und mit welchen Ausbaustufen eine Integration der programmatischen Möglichkeiten von
SpotXchange, der Neuakquisition der RTL Group, umgesetzt und intelligenter eingesetzt werden kann als die
bisherigen Ansätze, die bei vielen anderen Vermarktern
umgesetzt wurden. Wir sind uns sicher, dass wir unsere
programmatische Kompetenz mit der Technologie von
SpotXchange weiter ausbauen.
Anzeige
Martin Lütgenau, Geschäftsführer Tomorrow Focus Media
Stefan Schumacher, Executive Director Digital G+J EMS
Thomas Port, Geschäftsführer Seven One Media
R
G
R
TA nimmt bei der Auslieferung und Abwicklung
von performance-orientierten Kampagnen
deutlich zu. Über den RTA-Distributionskanal
steigt die Effektivität der Kampagnen und der TKP steigt
stetig in kleinen Schritten. Premium-Inventar stellen wir
heute bereits in Private Auctions (bilateral) zur Verfügung. Wir müssen aber feststellen, dass es sich bei
einer Vielzahl von Kunden um keine „frischen“ Budgets
handelt, sondern mit RTA lediglich ein alternativer Distributionskanal gewählt wird. Im Premium-Geschäft erwarten Kunden durch die RTA-Automatisierung niedrigere Preise, bei zeitgleich hohen technischen Kosten.
Der Effizienzbeweis von RTA gegenüber Direct Sales ist
folglich im Premium-Geschäft noch nicht erbracht.
enerell stehen wir dem Thema RTA aufgeschlossen gegenüber und machen deshalb
kontinuierlich immer größere Teile unseres
Inventars darüber zugänglich – allerdings differenzieren
wir bei Formaten sowie Inventarklassen und erwarten
eine Preisbereitschaft, welche die Qualität unseres
Inventars entsprechend berücksichtigt. Wenn die Preisbereitschaft der Nachfrager steigt, können wir uns
zukünftig auch ein noch größeres Engagement als heute
vorstellen. Derzeit macht der Umsatz durch RTA einen
niedrigen zweistelligen Prozentsatz am gesamten Online-Umsatz der G+J Vermarktung aus, Tendenz steigend. Im Mobile-Bereich bewegen wir uns noch im
einstelligen Prozentbereich, gehen aber in den kommenden Monaten von einem stark wachsenden RTAAnteil im Bereich Mobile aus.
TA ist für uns ein wichtiges Zukunftsthema. In
Bezug auf unsere hochwertigen Umfelder gilt
beim Einsatz von automatisierten Abläufen:
RTA für Premiuminventar in klar definierten Umfeldern mit ausgewählten Partnern und zu entsprechend marktgerechten Preisen. Der Hype, der um RTA
gemacht wird, birgt aus unserer Sicht aber große Missbrauchsrisiken. Anstatt schnell und kopflos auf diesen
Trend aufzuspringen, sollten gerade die Premiumanbieter darauf achten, RTA kontrolliert und gezielt einzusetzen, um Effizienz, aber auch Transparenz im Einkaufsprozess zu erhöhen. Für uns heißt das: Sicherlich
werden wir die Vorteile von RTA sorgsam nutzen, um
unsere Abläufe zu optimieren, die Kontrolle über unsere Inventare werden wir dabei aber nicht aus den Händen geben.
42 REPORT DIGITAL-MARKETING
HORIZONT 36/2014
4. September 2014
Vorsicht, Ironie!
Wachstumsmarkt Native Video Ads: Neue Metriken und Kreativität im Umgang mit der Marke entscheiden über den Erfolg
Dabei sind aufwendige, nach Drehbuch produzierte Native-Video-Advertising-Kampagnen oder gar mehrteilige
Webshows nur ein Segment des Marktes.
Die meisten um die Ecke gedachten, subtilen oder ironisch gebrochenen Botschaften sind viel kürzer und simpler.
Zum Beispiel bei der Kurznachrichtenund Unterhaltungsplattform Nowthis,
deren Videos in der Regel nicht länger als
15 Sekunden dauern und zum Verbreiten
bei Facebook und Twitter optimiert sind.
Nowthis veröffentlicht rund 50 neue
Clips pro Tag. Darunter sind immer mehr
Beiträge, die zwar im Auftrag von Unternehmen produziert werden, sich aber
nahtlos ins Programm fügen. Paypal, Ben
& Jerry's Eiscreme, der Süßwarenhersteller Mondelez und die Versicherungsorganisation Blue Cross Blue Shield werben
dort „nativ“.
Z
Satire auf die Food-Industrie:
die Comedyserie „Farmed
and Dangerous“
E
Volumen wächst
Laut einer Prognose des
Marktforschungsunternehmens BIA/Kelsey wird das
in den USA investierte Gesamtvolumen für Native
Advertising über alle Kanäle
und Formate von 1,6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012
auf 4,6 Milliarden im Jahr
2017 steigen. Bis zum Entthronen des Quasi-Standards
Pre-Roll Ad ist es allerdings
noch ein weiter Weg. Der
Markt dafür soll in den USA
laut eMarketer bis 2017
nämlich auf über 11 Milliarden
Dollar steigen.
Von Ulrike Langer
ine der bemerkenswerteren Comedyserien des Jahres heißt
„Farmed and Dangerous“ und
steht beim Videoportal Hulu
zum Abruf. Es geht um Ausbeutung von
Bauern und Landarbeitern in der Dritten
Welt, Antibiotika und künstliche Hormone im übermäßigen Einsatz, bis zur Unkenntlichkeit verarbeitete Zutaten und
weitere Unappetitlichkeiten. Die Satire
auf die Food-Industrie wurde von der
hippen amerikanischen Fast-Food-Kette
Chipotle finanziert. Die Handlung ist keine Kulisse für Schauspieler, die unablässig
in Tacos und Burritos beißen. Ein Sponsoring-Hinweis fehlt, stattdessen laufen
nur Pre-Roll-Werbespots von Dritten.
Und der Name Chipotle wird in den vier
22-minütigen Folgen der Webshow nur
ein einziges Mal erwähnt. Dafür hat das
Restaurant-Imperium mit den mexikanischen Gerichten aus nachhaltigem Anbau mehr als eine Million Dollar bezahlt.
„Das war definitiv eine unserer riskanteren Aktionen“, bekennt Chipotles
Marketingchef Mark Crumpacker in
einem Interview mit dem Fachblatt „Variety“. Doch das Wagnis hat sich laut
Crumpacker gelohnt. Für den Erfolg
sprechen auch die Reaktionen im sozialen Netz. Fast alle Kommentatoren mögen nicht nur die Webserie an sich, sondern äußern sich auch positiv darüber,
dass Chipotle dahintersteckt. Die Kampagne verstärkt im Bewusstsein der Konsumenten das ohnehin positive Image
eines gesellschaftlich engagierten Unternehmens und gilt als Idealfall von gelungenem Native Video Advertising.
Auch andere Unternehmen machen
die Erfahrung, dass es sich lohnen kann,
in Werbevideos zu investieren, die auf
den ersten Blick gängige Markenbotschaften konterkarieren, auf den zweiten
Blick aber umso mehr auf die Marke einzahlen. Statt wie lästige Pre-Roll Ads die
Nutzer von dem abzuhalten, was sie in
diesem Moment eigentlich wollen – unterhaltsame Videos anschauen – bieten
Native Video Ads Content, der sich dem
Niveau und Duktus der jeweiligen Plattform perfekt anpasst und für die jeweilige
Zielgruppe genauso attraktiv ist wie redaktionelle Clips.
So produzierten unter anderem
Southwest Airlines, Amazon und das
Kosmetikunternehmen Maybelline Videoclips ihre eigenen satirischen Nachrichtenbeiträge in Kooperation mit Onion Labs, der Marketingabteilung des Satirenetzwerks The Onion. Darin geht es
um ein Loyalitätsprogramm, bei dem sich
Fluggäste endlich auch mal gegenüber
Southwest dankbar zeigen sollen, nach
allem, was die Fluglinie für sie getan hat.
Amazon schaltete einen Beitrag über
einen imaginären neuen E-Reader mit
der Bezeichnung „Amazon Flare“, der per
Lautsprecher verkündet, welches intellektuelle Buch man gerade liest, weil man
mit seiner Lektüre auf digitalen Lesegeräten niemanden beeindrucken kann. Und
Maybelline erfand eine schönheitskonforme Gesichtsmaske, die jegliche Individualität erstickt, aber auch zeitraubende
Kosmetik überflüssig macht. Nur dezente
kurze Einblendungen weisen jeweils darauf hin, dass die veräppelten Unternehmen diese Videos selbst in Auftrag gegeben haben.
Native schlägt Pre-Roll
L
aut einer Case Study von Nielsen
Online Brand Effect und dem auf
die Verbreitung von nativem Videocontent spezialisierten Dienstleister
Sharethrough schneidet Native Video
Advertising in vielen Punkten erheblich
besser ab als Pre-Roll Ads. Für die Studie
spielten Nielsen und Sharethrough für
fünf Marken jeweils die gleiche Botschaft
als 15- bis 30-sekündiges Pre-Roll Ad im
Autoplay-Modus sowie im nativen Videoformat aus. In der Studie war Native
gegenüber Pre-Roll bei allen fünf Marken
in allen gemessenen Parametern überlegen, unabhängig von der jeweiligen
Marketingbotschaft. Bei der Kampagne
für den Softdrink Jarritos ging es um den
Wiedererkennungswert der Marke. Native Ads steigerten die Markenwahrnehmung um 82 Prozent, Pre-Roll-Spots dagegen nur um 2,1 Prozent. In einem weiteren Beispiel einer nicht namentlich genannten FMCG-Marke wurde die
Kaufbereitschaft gemessen. Laut Nielsen/
Sharethrough sagten mehr als 42 Prozent
der Befragten nach dem Anschauen des
nativen Videos, dass sie das Produkt nun
wahrscheinlicher kaufen würden. Dagegen sank die Kaufbereitschaft der PreRoll-Zuschauer sogar um fast 19 Prozent
gegenüber Testpersonen, die keines der
Werbemittel gesehen hatten.
u den legendären Native Video
Ads bei Vine, Twitters Sechs-Sekunden-Videoplattform, gehört
eines von Dunkin’ Donuts, in dem Kaffeebecher ein Footballmatch austragen.
Seit Mitte August bietet Twitter testweise
ausgewählten Werbekunden zusätzlich
an, Videos direkt in den Nachrichtenfeeds der Nutzer, die ihnen folgen, abzuspielen. Anders als bei Facebook, dessen automatisch abspielende „Premium
Video Ads“ in den Nachrichtenfeeds zwar
hohe Aufmerksamkeit, aber auch viel Ablehnung erzeugen, will Twitter seine Werbekunden dazu anhalten, kurze Videos zu
produzieren, die Nutzer freiwillig anschauen. Sie sollen per Cost-per-View abgerechnet werden. Wie schnell sich neue
Metriken etablieren, mit denen der Erfolg
nativer Werbeformate messbarer und
vergleichbarer wird, ist laut Chris Schreiber, Marketingchef von Sharethrough,
ein wesentlicher Faktor dafür, wie schnell
sich Native Video Ads durchsetzen werden. „Die Clickthrough Rate als Messgröße für den Erfolg von herkömmlichen
Video Ads reicht für native Kampagnen
nicht aus“, betont Schreiber. Metriken
wie Sharing, Nutzungsdauer und weiteres Nutzerverhalten seien ebenso wichtig.
Native Video Advertising ist allerdings
auch ohne Standardisierung schon eines
der am schnellsten wachsenden Segmente
nativer Werbung. Denn der Markt wächst
von beiden Seiten. Einem immer größeren Angebot an Webvideo-Umfeldern
stehen immer größere Budgets für native
Kampagnen
gegenüber
(siehe
Randnotiz).
Neben neuen Metriken dürfte auch
die Freude an kreativer Spielerei mitentscheiden, wie schnell sich Native Video
Ads durchsetzen werden. Weil man für
ein ultrakurzes mit einem kostenlosen
Tool erstelltes Werbevideo nur eine zündende Idee im richtigen Moment und
keinen großen Etat braucht, verwundert
es kaum, dass schon einen Tag, nachdem
Facebooks Fotoplattform Instagram Ende August ihre neue Zeitraffer-App „Hyperlapse“ vorstellte, die ersten Marken
damit experimentierten. Budweiser führte vor, wie schnell sich eine Kühlbox mit
Bud Light Dosen bei einem Picknick
leert. Burton lud zu einer Skateboardfahrt im Zeitraffer ein. Und die Saftmarke
Naked Juice stellte ein angedeutetes
Nacktmodell auf einen belebten Platz.
Einziger Grundsatz bei allen Beispielen:
Je freizügiger die Marke mit sich spielt,
desto mehr Klicks, Likes und Shares. Und
das gilt für einen Quickie bei Instagram
ebenso wie für teure Hochglanzvideos
wie „Farmed and Dangerous“.
44 REPORT DIGITAL-MARKETING
HORIZONT 36/2014
Große Fußstapfen
Mobile Advertising: Was sich deutsche Vermarkter von US-Unternehmen abschauen können
I
Von Sara Weber
n der U-Bahn, an der Kasse, in der
Pause: Das Smartphone begleitet
Millionen von Deutschen durch den
Tag. Oft auf den Bildschirmen zu sehen: Google-Weiß und Facebook-Blau.
Auch wenn es darum geht, die Nutzung
in Geld umzuwandeln, können sich deutsche Unternehmen noch das ein oder andere von den Amerikanern abschauen.
Laut Martin Ott, Facebooks Managing
Director Northern Europe, ist Facebook
in Deutschland „die meistgenutzte Kommunikationsplattform“ sowie „der reichweitenstärkste Marketingkanal neben
TV“ (siehe Kasten). Heute sei Facebook
eine „Mobilefirst Company“, bei der alle
Teams zuerst für mobile Endgeräte entwickeln. Ähnliches ist von Google zu hören: „Wir haben den Kunden früh die
Möglichkeit gegeben, Werbung auf mobilen Geräten zu schalten“, sagt Cagri
Merdan, Produktspezialist für den Mobile-Bereich von Google Deutschland. Werbung vom Desktop auf mobile Geräte zu
verlängern, ist sowohl von der Buchung
als auch von der Steuerung her mittlerweile sehr einfach geworden.
Natürlich hilft, dass Google und Facebook bei der Nutzung „um Lichtjahre
vorne liegen“, wie Jens Nagel-Palomino
formuliert. Der CEO der Zenith-Optimedia-Tochter Newcast beobachtet, dass die
meisten Nutzer durch die Google- oder
die Facebook-Tür laufen, wenn sie mobiles Internet nutzen. „Von da aus springen
sie dann weiter, wenn ihnen gute Alternativen geboten werden“, so NagelPalomino.
Viele dieser Alternativen werden in
Deutschland von nationalen Playern betrieben. G+J EMS, Interactive Media und
Axel Springer Media Impact (Asmi) gehören zu den erfolgreichsten im MobileBereich. Natürlich wissen auch sie um die
übermächtige Konkurrenz. „Das Wachstum im deutschen Mobile-AdvertisingMarkt wird heute stärker von Global
Playern als lokalen Vermarktern getrieben und ist das Resultat ihrer konsequenten und nachhaltigen Entwicklungs- und
Investitionsstrategie in Technologie und
smarte Produkte“, sagt Oliver Wolde,
Mitglied der Geschäftsführung von Interactive Media.
Einschüchtern lassen sie sich davon jedoch nicht. „So stark globale Player auch
sind, so sehr brauchen sie auf dem deutschen Markt die Unterstützung nationaler Marktteilnehmer, die ihnen etwa Inhalte liefern“, sagt Marco Barei, General
Manager Digital Sales bei Asmi. Gäbe es
dort nur nutzergenerierten Content,
würde das nicht der von Advertisern benötigten Werbewirkung gerecht. „Wenn
die eigenen Produkte stark sind, muss
man keine Angst vor Wettbewerbern haben“, so Barei. Die eigenen Angebote seien gut positioniert und böten den Nutzern uniquen Content.
Noch einen Schritt weiter geht Stefan
Schumacher, Executive Director Digital
bei G+J EMS: „Als Premium-Vermarkter
im Mobile-Segment haben wir eine ganz
andere Orientierung und Vermarktungsstrategie als Google oder Facebook“, sagt
er. Bei Google und Facebook stünden
schneller Reichweitenaufbau im Vordergrund, wegen des User-Generated-Content in sozialen Netzwerken gebe es zudem eine gewisse Unsicherheit bezüglich
der Umfeldqualität. „Werbungtreibende,
die die Risiken von Blind-Networks oder
Social-Media-Umfeldern vermeiden wollen und gleichzeitig Wert auf eine Ansprache von Premium-Zielgruppen in
hochwertigen Umfeldern legen, werden
weiterhin auf Qualitätsvermarkter wie
G+J EMS setzen“, glaubt Schumacher.
W
as also können deutsche Kunden und Vermarkter von
Google und Facebook lernen?
Etwa, dass gute Werbung Geld und Zeit
kostet. Wer als Kunde erfolgreich bei
Facebook werben will, sollte bereit sein,
sich damit auseinanderzusetzen: „Den
Newsfeed relativ stark mit Werbung zuzudröhnen, kann nicht das probate Mittel
sein. Stattdessen müssten Kreativagenturen Kampagnen ganz anders angehen“,
sagt Nagel-Palomino. Dafür wollen die
Kunden aber oft nicht extra zahlen, weshalb Facebook-Advertising für die meisten Agenturen noch immer ein Zuschussgeschäft ist.
Lernen kann man auch von der Art,
wie Werbung präsentiert wird: Als Teil
des Newsfeeds oder der Suchergebnisse.
„Facebook-Werbung funktioniert ein
bisschen wie Werbung in Zeitschriften:
Was einen nicht interessiert, kann man
überblättern“, sagt Media-Experte NagelPalomino. „Solche Werbeformen wären
auch auf allen anderen Plattformen möglich.“ Content Advertising, also Werbung, die als Text daherkommt, könnte
auch in die mobilen Websites deutscher
Anbieter integriert werden.
Google entwickelt zudem speziell auf
Mobile ausgerichtete Werbeformen. „Die
Herausforderung für mobile Werbung ist
groß“, sagt Mobile-Spezialist Merdan.
„Wir haben daher neue Conversion-Formen entwickelt, wie Click to Call oder
App-Download.“ Neue Werbemittel –
jenseits von dem, was man vom Desktop
kennt klingen erfolgversprechend. „Mobil können Daten wie der Standort genutzt werden, um die Relevanz von Werbung zu erhöhen“, sagt Merdan. „Wenn
Werbung so zielgerichteter ist, weniger
nervt und häufiger geklickt wird, kommt
das am Ende Nutzern und Werbekunden
zugute.“ Das sieht Mediaexperte NagelPalomino ähnlich: „Mobile Banner sind
so attraktiv wie Pop-ups im Desktop-Bereich“, sagt er. „Der Schlüssel zum Erfolg
sind Werbeformen, die zum Gerät passen.“ Solange diese gut gemacht und relevant seien, hätten die Leute kein Problem
damit.
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Facebook und Google dominieren deutsche Smartphones
Google und Facebook in Deutschland haben deutsche Mobilgeräte erobert: Laut einer Auswertung von Comscore MobilensderDurchschnittswertefürdas2. Quartal2014ist Google
die Nummer 1 unter den Apps mit knapp 30 Prozent Marktanteil, gefolgt von Whatsapp (25,4 Prozent) und Facebook
(25,2 Prozent).
In Deutschland nutzen 15 Millionen Menschen Facebook
täglich mobil, monatlich sind es 20 Millionen. Das entspricht
77ProzentderDeutschen,dieaufFacebookangemeldetsind.
Weltweit hat Facebook im 2. Quartal 2014 mehr als 62
Prozent der Anzeigenumsätze über mobile Werbung gemacht, ein Wachstum von 151 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Zur Einordnung: Die Anzeigenumsätze von Facebook
lagen im 2. Quartal bei 2,68 Milliarden US-Dollar, das entspricht etwa 2,03 Milliarden Euro. 62 Prozent davon entsprechen etwa 1,2 Milliarden Euro.
Google hat nach eigenen Angaben im 2. Quartal 2014 mit
Werbung14,36 Milliarden US-Dollar eingenommen – wie viel
davon über mobile Werbung kommt, ist nicht ausgewiesen.
Laut einer Prognose von E-Marketer soll 2014 etwa ein Viertel
der gesamten Werbeerlöse von Google aus Werbung aus
mobilenSuchanfragenstammen,weitere6Prozentausmobilen Display-Anzeigen.
IndenRankingsderAgofMobileFacts2014-ItauchenGoogle
und Facebook nicht auf – beide Unternehmen sind keine
Mitglieder der Agof. Stattdessen führen hier die Vermarkter
G+J EMS, Interactive Media und Axel Springer Media Impact
(Asmi) das Ranking an. Reichweitenstärkste Apps sind Wetter.com (Reichweite 8,1 Prozent), TV Spielfilm (8,0 Prozent)
und Web.de (7,5 Prozent). Die mobilen Websites mit den
meisten Nutzern sind Gute Frage (20,9 Prozent), Bild.de (15
Prozent) und T-Online (12,1 Prozent).
4. September 2014
HORIZONT 36/2014
4. September 2014
REPORT DIGITAL-MARKETING 45
„Alles und
noch mehr“
BVDW-Vizepräsident
Achim Himmelreich über neue
Kommunikationsmöglichkeiten
im Internet der Dinge
Intelligente Kopfhörer, die auf winzigstem Raum Platz für über 1000 Songtitel
bieten, komplett ohne Kabel auskommen und zudem mithilfe hochempfindlicher Sensoren Bio-Daten sammeln und auswerten – klingt nach Zukunftsmusik, ist es aber nicht mehr. Das Münchener Unternehmen Bragi hat in
diesem Jahr seine futuristisch erscheinenden Headphones namens „The Dash“
auf den Markt gebracht, nachdem in einer Kickstarter-Kampagne fast 3,4
Millionen US-Dollar von Investoren gesammelt wurden. „The Dash“ ist ausgestattet mit einem Beschleunigungssensor, Thermometer und optischen
Sensoren, um so etwa Schrittfrequenz, Körpertemperatur und Geschwindigkeit
zu messen. Die Werte werden dem Sportler in Echtzeit direkt ins Ohr gesprochen. Zudem dienen die intelligenten Kopfhörer auch als Kommunikationstool, mit dem etwa Headset-Gespräche möglich sind.
Von Giuseppe Rondinella
D
er Diplom-Kaufmann Achim
Himmelreich ist Partner
beim Beratungsunternehmen Mücke, Sturm & Company und seit 2013 Vizepräsident des
Bundesverbands Digitale Wirtschaft
(BVDW). Er ist sich sicher, dass das Internet der Dinge ein relevanter Kanal für
Werbung und E-Commerce sein kann.
Den Begriff „Werbung“ müsse man dann
aber neu definieren.
Autos, Lampen, Kühlschränke – viele
Alltags-Gegenstände sind mittlerweile
mit dem Internet verbunden. Was ist
für Sie derzeit konkret das heißeste Thema in puncto Internet der Dinge?
Das heißeste Thema ist derzeit sicherlich
das Auto, wo das Internet der Dinge ja
den ganzen Markt verändert, indem es
ganz neue Player und Wertschöpfungsketten schafft. Aber Auto wird bald vom
Thema Gesundheit, genauer personalisierte Medizin, überholt. Intelligente Fitnessarmbänder sind ja schon lange auf
dem Markt – jetzt gibt es bereits Spezialanwendungen für Diabetiker, die den
Blutzucker messen, und die dazugehörige
App, die gegebenenfalls Alarm auslöst
oder Hinweise gibt, wie und wann gespritzt werden muss. Wenn die ganzen
persönlichen Gesundheitsdaten zentral
gespeichert und durch Wearables kontrolliert werden, ergeben sich völlig neue
Kommunikationsmöglichkeiten, sei es
der schnellste Weg zum nächsten Arzt,
zur nächsten Apotheke oder Informationen zur Medikation. Im Bereich der personalisierten Medizin, glaube ich, wird in
der nächsten Zeit, allein wegen des Kostendrucks, viel passieren.
Bleiben wir bei den erwähnten Fitnessarmbändern, mit denen etwa passgenaue Gesundheitstipps in Echtzeit möglich sind. Welche weiteren Dialogmöglichkeiten zwischen Unternehmen und
Kunden sind im Internet der Dinge vorstellbar?
Das „Fuel“-Armband von Nike ist ein gutes Beispiel. Durch solche Gegenstände
wird nicht zwangsläufig häufiger kommuniziert zwischen Unternehmen und
Kunden – der Kunde ist mit Interaktionen ohnehin schon übersättigt. Das alte
Marketingmodell ist ja folgendes: Das
Unternehmen analysiert die Zielgruppe
und streut die Kommunikation über verschiedene Kanäle aus, in der Hoffnung,
dass man den Konsumenten irgendwie
erreicht. Der Kunde will aber relevante
Kommunikation, also solche, die im Hier
und Jetzt für ihn wichtig ist – und das
kann das Internet der Dinge schaffen.
Wie könnte das konkret aussehen?
Konkret kann das so aussehen: Das Nike-
Fitnessarmband wertet aus, welche Trainingsfehler ich beim Joggen mache und
gibt mir Ratschläge, wie ich den Halbmarathon erfolgreich absolvieren kann.
Wenn Nike dann noch mein Körpergewicht kennt und weiß, welche Schuhe ich
trage, kann man mir etwa spezielle Einlagen empfehlen. Das ist nur möglich
durch meine persönlichen Daten.
Das bringt uns zum Thema E-Commerce. Welchen Einfluss hat das Internet
der Dinge auf diesen Bereich?
Einen großen. Es ist sehr viel glaubwürdiger, wenn ein Unternehmen mir ein
Kaufangebot macht, das auf meine persönlichen Performance-Daten zurückzuführen ist. E-Commerce-Anwendungen
in der Breite gibt es derzeit jedoch noch
nicht. Ich weiß, dass Nike und Co daran
basteln und auf kleineren Pilot-Märkten
Tests durchführen, sodass ich davon ausgehe, dass wir spätestens im ersten Halbjahr 2015 erste E-Commerce-Anwendungen sehen werden. Zuerst in den USA
und dann über England und Skandinavien nach Deutschland.
Aber wird das die Nutzerschaft denn
annehmen?
Da wird sich wieder die Spreu vom Weizen trennen. Einige Unternehmen werden sicherlich diesen neuen Kanal zum
Konsumenten nutzen, um Push-Botschaften zu senden, die den Konsumenten nerven – „annoying“, wie die Amerikaner gern sagen. Und dann werden die
Konsumenten die App einfach ausschalten und nicht mehr nutzen. Einige Unternehmen werden aber Relevanz produzieren können, was natürlich sehr viel aufwendiger ist, Stichwort Big Data. Personen- oder Bewegungsdaten – die muss
man natürlich beherrschen und auch auf
smarte Weise auswerten können.
Nun bieten sich gerade bei Wearables
durch die Lokalisierungsfunktion und
die Daten aus dem Quantified-selfTrend neue Marketingmöglichkeiten
wie etwa Bio-Targeting. Andererseits
liegt auch Datenschutz derzeit im
Trend. Ein Widerspruch?
Den Widerspruch halten wir schon lange
aus. Auf der einen Seite landen Geschich-
ten über gestohlene Kreditkartendaten
sofort auf Seite 1 der „Bild“-Zeitung und
lösen eine Datenschutzdebatte aus. Auf
der anderen Seite posten Millionen Leute
auf Facebook Dinge, die man nicht unbedingt preisgeben sollte. Das ist grundsätzlich keine neue Diskussion, sie wird aber
durch das Internet der Dinge um eine
weitere Facette bereichert werden. Mit
Wearables wird es ein paar neue Anekdoten in puncto Datenschutz geben, die
weiter in den persönlichen Bereich gehen,
das ist zu erwarten. Aber es ist keine
grundsätzlich neue Diskussion.
Kann das Internet der Dinge in Zukunft
ein Werbekanal für Drittanbieter sein?
Wie muss Werbung dann konkret aussehen?
Werbung ist genau der Begriff, den man
dann neu definieren muss. Werbung in
der alten Welt heißt Push-Werbung,
sprich, ich mache einen intelligenten Spot
oder eine kreative Anzeige. Im Internet
der Dinge hat Werbung jedoch eine andere Grundlage, nämlich personalisierte
Daten. Und das ist eine neue Form von
Werbung und vielleicht braucht man
dann auch einen anderen Begriff dafür.
Sicher ist: Werbung wird im Internet der
Dinge intelligenter, zurückhaltender, relevanter, datenbasierter und weniger
bunt.
Aber minimiert das meist kleine Display gerade bei Wearables nicht den
kreativen Spielraum für Werbebotschaften? Oder schafft es womöglich
neue Inszenierungsansätze?
Alles und noch mehr. Die ganze mobile
Werbung hat ja daran gekrankt, dass man
mit dem Display räumlich etwas beschränkt ist. Aber die Not machte damals
erfinderisch und man fing an, mit anderen Formaten zu experimentieren. Ich
glaube, dass Mobile zukünftig nicht nur
Mobile solo bleiben wird, sondern, dass
die Kanäle miteinander vernetzt werden.
Das mobile Gerät sammelt zwar alle Daten, aber wenn ich am Notebook, Tablet
oder am TV sitze, werden die Informationen, die mobil gespeichert worden sind,
auch auf den anderen Displays verwertet
werden. Dann wird es keine Restriktionen mehr geben.
„Durchstrecken bitte!“ Für Dauersitzer mit Rückenproblemen hat ein Team aus
den USA den Hightech-Gürtel „Lumoback“ entwickelt, der den Träger via Vibrationen ermahnt, gerade zu sitzen. Das Gerät, das um die Taille getragen wird,
erfasst in Echtzeit, ob der Rücken ungünstig belastet wird – egal ob im Stehen,
Sitzen oder Liegen – und gibt über eine dazugehörige App gar visuelles Feedback. In der App werden die Haltungsschwächen aufgelistet und in einem
Kalender abgespeichert.
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46 REPORT DIGITAL-MARKETING
HORIZONT 36/2014
4. September 2014
Dorf der digitalen Ideen
Im ersten Dmexco-Start-up-Village präsentieren sich 18 Gründer – HORIZONT stellt eine Auswahl vor
E
Von Anja Sturm
s tut sich was in der deutschen
Start-up-Szene – wenn auch im
internationalen Vergleich nach
wie vor auf eher niedrigem Niveau: Rund 868000 Neugründer (davon
562000 Nebenerwerb) gab es laut aktuellem KfW-Gründungsmonitor 2013 in
Deutschland. Das sind 93000 mehr als im
Jahr zuvor. Auch die Quote externer Finanzierung ist gestiegen: Von den knapp
10 Milliarden Euro, die laut KfW 2013
eingesetzt wurden, stammen 52 Prozent
von externen Investoren, 2012 lag die
Quote nur bei 31 Prozent.
Dennoch bleibe die Finanzierung
„weiter die entscheidende Hürde für
deutsche Start-ups“, warnt Peter Lennartz, Partner der Unternehmensberatung
Ernst & Young, die im April das Start-upBarometer 2014 vorgelegt hat. „Wenn sich
die Finanzierungsbedingungen für Startups nicht massiv verbessern, dürften
durchgreifende Markterfolge deutscher
Bruker for Friends (B4Friends)
www.b4friends.com
Gründung: 2011
Management: Ute Bruker, CEO & Inhaberin
B4Friends ist eine Spezialagentur für Crowd Gaming & Audience
Participation. Über eine skalierbare und universell einsetzbare
digitale Interaktions-Plattform greifen Menschen mit ihren Körperbewegungen, Geräuschen und eigenen Mobile Devices live in das
Geschehen ein. Zuschauer steuern Games und andere Anwendungen auf Großdisplays wie Kinoleinwänden und Videowalls und
werden so zum kabellosen, mobilen Joystick. B4Friends spricht von
„vielfältigen Einsatzmöglichkeiten“ im Branded Entertainment und
Info/Edutainment-Bereich. Laut dem Start-up mit Sitz in Freiburg
liegt der Fokus auf Marketing- und PR-Events mit großem Publikum
wie Festivals, Roadshows oder Kino. „Wir setzen auf ein einzigartiges, multimodales Interaktionskonzept mit beliebiger Kombinationsmöglichkeit der Bewegungs-, Geräusch- und MobileSteuerungsmodule“, so Gründerin Ute Bruker.
Insgesamt war die Interaktions-Plattform bereits für 14 Brands mit
Publikumsgrößen von sechs bis 60000 Personen in sechs Ländern im
Einsatz.
Reach Ad
www.reachad.de
Gründung: 2013
Management: CEO Karl Ott, CFO Daniel Ott
Reach Ad ist eine Onlinemarketing-Agentur mit Sitz in München, die
spezialisiert ist auf Display Advertising, E-Mail-Marketing und Mobile
Marketing. Reach Ad versteht sich als Fullservice-Agentur und hat
laut eigenen Angaben „Zugriff auf ein konkurrenzlos großes Netzwerk mit 100 Prozent geprüften Permission-Werbekontakten“.
Danach greift das Start-up im Bereich Ad-Network auf 3,2 Milliarden
Ad Impressions pro Monat zu; im Bereich E-Mail sollen es 25 Millionen Page Impressions in Deutschland sowie weltweit über 250
Millionen Kontakte sein. Das Performance-Network soll mehr als
10000 Publisher umfassen. Das dritte Netzwerk ist das MobileNetwork. Hier will Reach Ad allein in Deutschland auf 30 Millionen
Unique User und mehr als 582 Millionen Ad Impressions pro Monat
kommen. Projektweise gearbeitet hat Reach Ad bereits unter anderem für Vodafone, Senseo, Playstation 4 und Cisco. Die Agentur
wächst, Ende September soll neben München ein zweiter Standort in
Frankfurt eröffnet werden.
Start-ups – gerade im Vergleich zu den
USA – weiter die Ausnahme bleiben“, so
Lennartz.
Software dominiert
Da macht es Sinn, dass sich der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) des
Themas gezielt annimmt. Zumal ein beträchtlicher Teil der Start-up-Szene im
Digitalen zuhause ist: Von den 151 von
Ernst & Young befragten deutschen Startups gehören 25 Prozent zur Software-
Clip Villa
Branche, 24 Prozent zum E-Commerce
und 12 Prozent zu Advertising & Marketing. Um diese Szene zu unterstützen, hat
der BVDW nach einem ersten Start-upForum auf der Dmexco 2013 jetzt gemeinsam mit der Messe eine Start-upInitiative gegründet, die mehrere Bausteine umfasst.
Unter anderem will der Verband den
Wissens- und Erfahrungsaustausch der
Start-ups untereinander und mit etablierten Größen der Digitalbranche fördern, er will den jungen Unternehmen
Video-Commerce
www.clipvilla.com
Gründung: 2012
Management: Jens Neumann und Jens Eckhoff,
beide Geschäftsführer und Gesellschafter
Clip Villa bietet nach eigener Auskunft „kreative, moderne und
einzigartige Online-Videolösungen mit eigener Video-Technologie“.
Das Bremer Start-up sieht sich als Spezialist für den Videoeinsatz im
Internet. Mithilfe der Clip-Villa-Technologie soll nicht nur die zeitnahe
und kostengünstige Produktion von Videos mit dem Clip-Villa-VideoWebeditor möglich sein. Die Technologie lasse sich zudem per API an
jegliche CMS, Shopsysteme und Webportale ankoppeln. So könnten
Videos automatisiert und in großen Mengen erstellt werden. Zur
Dmexco 2014 zeigt Clip Villa eine neue Video Extension für das
Shopsystem Magento, das von mehr als 200000 Shops weltweit
genutzt werden kann. Seit März 2013 sind mehr als 15000 Videos auf
Clipvilla.com erstellt worden, darunter für Henkel, TÜV Süd, Milka
und Flyline. Gründer Jens Neumann: „Einer unserer USPs ist die
Beratung für den richtigen Einsatz von Video und die Planung. Wenn
es keine Idee oder keinen Sinn ergibt, für ein Unternehmen eine
Videokampagne mit Clip Villa zu erstellen, dann kommunizieren wir
dies offen und ehrlich gegenüber dem Kunden.“
Pay with a Tweet
www.paywithatweet.com
Gründung: Idee 2010; ausgegründet als SaaSUnternehmen 2014
Management: CEO Anna Abraham, COO Caspar
Fischer-Zernin
Pay with a Tweet wurde 2010 von Leif Abraham und Christian Behrendt in New York gegründet. 2014 startete die Firma in Hamburg als
SaaS-Unternehmen (Software as a Service). Pay with a Tweet ist ein
sozialer Bezahldienst, bei dem Publisher Reichweite für ihren digitalen Content generieren können. Der Dienst fungiert als virale Paywall
zwischen Usern und Content-Angeboten. Die Philosophie des Hamburger Start-ups: „Don’t give your content away for free – Give it
away for a social post and create your own viral reach!“ Das Social
Payment Tool ist weltweit in neun Sprachen und für die sechs größten Social Networks verfügbar. Dank neuer Features können Publisher, Agenturen und Unternehmen das Design ihrer viralen Kampagnen personalisieren und im Look ihrer Marke gestalten. Ein
Statistiktool soll zudem eine präzise Erfolgsmessung ermöglichen.
Kampagnen mit Pay with a Tweet bereits umgesetzt haben unter
anderem Yahoo TV, Kerrang Magazine und Gameforge. CEO Anna
Abraham hat Großes vor: „Als Erfinder der Social Paywall wollen wir
in den nächsten Jahren der globale Anbieter von Social Currency
Marketing sein.“
der Branche eine politische Lobby bieten
– und er gibt ihnen auch 2014 wieder eine
Bühne auf der Dmexco. Am Tag vor der
Kongressmesse wird es erneut ein separates Start-up-Forum geben, auf der Veranstaltung selbst feiert das Start-up-Village Premiere. Hier präsentieren sich insgesamt 18 Gründer: Adsquare, Autograph, Bruker for Friends, Cleoo, Clip
Villa, Conversion Boosting, Cooler Cash,
D+S360°Webservice, Datorama, Future
Candy, HQ Labs, Pad Cloud, PaywithaTweet, Pixalate, Reach Ad und TV Smiles.
TV Smiles
www.tvsmiles.de
Gründung: 2013
Management: CEO Frederic Westerberg,
CSO Christian Heins, CTO Gaylord Zach
TV Smiles ist ein Bonusprogramm, das TV-Zuschauer über eine Mobile
App fürs Werbung-Schauen belohnt. Das Berliner Start-up, Gewinner
beim Dmexco Start-up-Wettbewerb 2014, will Werbungtreibenden
Dialogmarketing und Zuschauer-Interaktion direkt aus dem TV-Spot
ermöglichen und so die Lücke schließen zwischen TV-Werbung,
digitalem Marketing und Point-of-Sale. Mit TV Smiles können Zuschauern weiterführende Produktinformationen, Gewinnspiele,
Produktproben oder eine direkte Kaufmöglichkeit angeboten werden.
Seit 2013 kam die Mobile App bereits auf über 1,3 Millionen Downloads, 350000 Unique User im Monat und bis zu 130000 User täglich.
Beim Gründerszene-Award 2014 gewann TV Smiles den 1. Platz beim
Publikumspreis und den 2. Platz beim Jurypreis. Und die Berliner
wollen wachsen: Im 4. Quartal 2014 ist die Expansion nach Österreich
geplant, ab 2015 sollen englischsprachige internationale Märkte
angegangen werden.
HQ Labs
www.hqlabs.de
Gründung: 2012
Management: Nils Czernig, Tobias Hagenau,
Lucas Bauche
Mit HQ Simplified Business bietet das Hamburger Start-up HQ Labs
eine modulare Unternehmenssoftware im SaaS-Modell (Software as
a Service). Zu den Funktionen zählen Projekt- und Portfoliomanagement, Planung und Controlling, CRM und Mitarbeiterverwaltung.
Laut HQ Lab „meistert die Software den Spagat zwischen vollständiger Geschäftstauglichkeit und der Einfachheit einer App“. Die
Software ist individualisierbar, verfügt über Schnittstellen zu bestehenden Systemen, die Daten werden in deutschen Rechenzentren
verarbeitet und die Anwender durch einen umfangreichen und
persönlichen Support unterstützt. Im Fokus stehen mittelständische
Industriebetriebe, Agenturen und Beratungen sowie weitere Unternehmen und Abteilungen mit projektartiger Arbeit. HQ Labs hat
nach eigenen Angaben mehr als 20 Mitarbeiter und 55 Kunden,
darunter Thjnk und LBBW. Anfang 2014 hat HQ Labs den 2. Platz des
Innovationspreises IT der Initiative Mittelstand in der Kategorie
On-Demand gewonnen.