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31 REPORT HORIZONT 36/2014 4. September 2014 www.horizont.net/report DIGITAL-MARKETING DMEXCO FOTO: DEMEXCO GOOGLE UND CO Deutsche Vermarkter geraten durch US-Konzerne unter Druck SEITE 34 REAL-TIME-AD Einheimische Onlinevermarkter nähern sich dem Hype vorsichtig SEITE 40 N AT I V E - V I D E O Neue Metriken und Kreativität entscheiden über den Erfolg SEITE 42 Was online zählt MOBILE WERBUNG Vermarkter können sich noch einiges von US-Riesen abschauen SEITE 44 DMEXCO ZEIGT DIE TRENDS I M D I G I TA L- B U S I N E S S SEITE 32 Anzeige 32 REPORT DIGITAL-MARKETING ZUM THEMA Place to be Wenn es eine Veranstaltung gibt, die das enorme Wachstum der digitalen Wirtschaft real vor Augen führt, dann ist es die Dmexco, die internationale Leitmesse für digitales Marketing in Köln. Mit rund 60000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, über 800 nationalen und internationalen Ausstellern und 30000 erwarteten Besuchern wird die Dmexco die Rekordlatte wieder um einiges nach oben legen. Gegenüber dem Jahr 2010 bedeuten die Werte eine satte Verdoppelung. Im Verbund mit dem auf 470 Speaker in 200 Stunden ausgeweiteten Konferenzprogramm werden die zwei Tage in den ausgebuchten Messehallen 6 bis 8 der Koelnmesse für die Fachbesucher sicherlich kein Erholungsparcours und manch einer wird angesichts des Overloads an Themen und Programmpunkten den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr erkennen. Dennoch ist die Dmexco der Place to be, um sich auf den Quivive der aktuelle Trends im digitalen Marketing zu bringen. Und dies nicht nur aus nationaler Perspektive. Mehr als jeder vierte Aussteller kommt inzwischen aus dem Ausland, vor fünf Jahren war es jeder zehnte. Und laut Veranstalter lockt die Dmexco Besucher aus 100 Ländern. Das mag daran liegen, dass Deutschland gerade im Digital Business ein attraktiver Markt für international ausgerichtete Player ist – vom Großkonzern zum Startup. Aber dass die Dmexco für viele als Schaubühne gewählt wird, ist sicherlich ein Verdienst der Dmexco-Macher Frank Schneider und Christian Muche von der Koelnmesse. Sie haben sich nicht nur auf den Rückenwind des Onlinebooms verlassen und das geografische und thematische Feld über das Kernspektrum des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (als Inhaber der Marke Dmexco) erweitert. 2015 dürfte die nächste Rekordmarke fällig sein. HORIZONT 36/2014 „Man muss die US-Unternehmen und ihren Expansionsdrang sehr ernst nehmen. Wir haben jedoch in Deutschland einen Werbemarkt, der sehr hohe Ansprüche an Qualität und Transparenz stellt.“ Jochen Zimmer Ressortleitung Specials Dmexco: Live-Diskussionen mit Top-Branchenvertretern Die dfv Mediengruppe ist als nationaler Medienpartner der Dmexco mit den Fachtiteln „Lebensmittel Zeitung“, „TextilWirtschaft“ und „HORIZONT“ mit einem eigenen Stand vertreten (Halle 7, Stand A051/B050). Besucher können dort Live-Diskussionen mit führenden Branchenvertretern über Trends im Digitalmarketing mitverfolgen: ● Tina Beuchler, Digital & Media Director bei Nestlé Deutschland, spricht am 10.September um 12.30 Uhr mit der „Lebensmittel Zeitung“ über anspruchsvolle Herausforderungen im Marketing. ● Paul Mudter, Geschäftsleiter IP Interactive, diskutiert um 13.30 Uhr mit „HORIZONT“ die Stärken, Schwächen und Trends von Digitalwerbung. ● Um 14.30 Uhr ist Florian Jodl, President Menswear bei Zalando, im Gespräch mit der „TextilWirtschaft“ zum Thema „Wie gewinnt man Modemuffel als Onlinekunden?“ ● Am 11.September debattiert „HORIZONT“ um 12.30 Uhr mit dem Sprecher der Plan.Net-Gruppe Manfred Klaus darüber, welche Rolle Agenturen im Zeitalter der Marketing-Automatisierung noch haben. ● Chancen und Fallstricke von Native Advertising analysiert „HORIZONT“ zum Abschluss um 13.30 Uhr mit Steffen Hopf, Managing Director & Country Commercial Director bei Yahoo Deutschland. FOTO: STEFAN GREGOROWIUS Paul Mudter, Geschäftsleiter Interactive IP Deutschland und OVK-Vorsitzender 34 4. September 2014 INHALT Werbemarkt: US-Giganten Google und Co üben Druck auf deutsche Vermarkter aus. 34 Clickbait: Wie deutsche Onlinemedien ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. 36 Content Marketing: Der BVDW bringt sich in die Definitionsdebatte ein. 38 Studie: Konsumenten erwarten deutliche Kennzeichnung von Native Advertising. 39 Real Time Advertising: Warum deutsche Onlinevermarkter noch zögern. 40 Umfrage: HORIZONT befragt Onlinevermarkter zum Stellenwert von RTA. 41 Native Video Ads: Neue Metriken und viel Kreativität entscheiden über Erfolg. 42 Mobile: Was sich deutsche Vermarkter von US-Unternehmen abschauen können. 44 Interview: BVDW-Vize Himmelreich über Werbung im Internet der Dinge. 45 Start-ups: HORIZONT stellt eine Auswahl vor, die sich auf der Dmexco zeigen. 46 HORIZONTREPORT ist ein Sonderteil von HORIZONT, Zeitung für Marketing, Werbung und Medien Chefredaktion: Dr. Uwe Vorkötter (V.i.S.d.P.), Volker Schütz, Jürgen Scharrer Ressortleitung: Dr. Jochen Zimmer Telefon 069/7595-2695 E-Mail: [email protected] Redaktion: Bettina Sonnenschein, Klaus Janke, Giuseppe Rondinella, Natascha Gross 34 REPORT DIGITAL-MARKETING HORIZONT 36/2014 4. September 2014 FOTO: _B. WYLEZICH / FOTOLIA RauerWind ausWesten Deutsche Vermarkter geraten durch Google und Co verstärkt unter Druck. Bewegtbild und Native Advertising als neue Umsatzbringer A Von Klaus Janke mazon wolle nun im Werbemarkt richtig Gas geben, meldete „The Wall Street Journal“ Ende August. Der E-Commerce-Gigant plane eine eigene Plattform, um die Anzeigen auf seinen Seiten zu vermarkten – bislang läuft das über Google. Auch in das Geschäft mit externer Werbung wolle Amazon einsteigen. Derlei Meldungen häufen sich zuletzt: Die US-Internetgiganten Google, Facebook und Amazon haben in puncto Werbung noch viel vor – und sie werden ihre Systeme international ausrollen. Längst hat es sich im deutschen Markt herumgesprochen, dass es für die hiesigen Vermarkter sehr ungemütlich werden kann. Schon lange beschränkt sich Google nicht mehr auf Search-Vermarktung, womit man den Konzern lange Zeit ausreichend beschäftigt vermutete. Nein, immer stärker bedrängt er die deutschen Vermarkter auch in ihrem Kerngeschäft. „Der Druck ist da“, so Martin Lütgenau, Geschäftsführer Tomorrow Focus Media. Angriff im Displaymarkt Auch Uli Kramer, Geschäftsführer der Mediaagentur Pilot, glaubt: „Die großen amerikanischen Unternehmen können die deutschen Vermarkter tatsächlich auch im Display-Markt empfindlich in Bedrängnis bringen. Sie können auf Datenpools zugreifen, die gigantisch sind.“ Er warnt davor, sich ausschließlich an eine Premium-Philosophie zu klammern: „Die deutschen Vermarkter sind gut beraten, wenn sie sich nicht allein auf die inhaltliche Qualität ihrer Umfelder verlassen. Die Qualität eines Werbekontakts hängt nicht zwangsläufig von einem bestimmten Umfeld ab.“ Die Unsicherheit ist umso größer, als es im Kerngeschäft zurzeit ohnehin nicht so gut läuft. „In der Display-Vermarktung leidet zurzeit vor allem die Mitte, das Standardinventar“, beobachtet Kramer. Zufriedenstellende Wachstumsraten sind dagegen nur im Bereich Mobile – wenn auch auf niedrigem Niveau – und natürlich Bewegtbild zu verzeichnen. Aber auch hier kann Google mit Youtube künftig sehr ungemütlich werden. Für den gesamten Display-Bereich hat der OnlineVermarkterkreis im BVDW (OVK) für 2014 ein Umsatzplus von 8,4 Prozent auf 1,43 Milliarden Euro prognostiziert. Gut möglich, dass die Prognose im Rahmen der Dmexco nach unten korrigiert wird. Nach oben zeigt die Kurve allerdings weiterhin: „Insgesamt stimmt uns die aktuelle Entwicklung recht zuversichtlich für das Gesamtjahr, und wir gehen weiterhin von einem Wachstum aus“, sagt Rasmus Giese, CEO United Internet Media. Beispielhaft für die gegenwärtige Situation steht Tomorrow Focus Media. Im 1. Quartal 2014 gab das Publishing-Segment, in das die Umsätze für Websites wie Focus Online fallen, um 8 Prozent zum Vorjahr nach. Der Grund: das schwache Display-Geschäft sowie Preisverfall vor allem beim mobilen Inventar. Doch dann ging’s wieder bergauf: Im 2. Quartal lagen die Werbeumsätze um 8,7 Prozent über Vorjahr, sodass das gesamte 1. Halbjahr mit einem Plus von 1,4 Prozent abgeschlossen wurde. Das hat Tomorrow Focus Media in erster Linie der boomenden Videowerbung zu verdanken. Um dringend benötigtes Inventar zu schaffen, wurde vor allem bei Focus Online massiv in Bewegtbild-Inhalte investiert. Wachstumspotenzial sieht Lütgenau zudem im Bereich Native Advertising. „Wir werden auf der Dmexco Lösungen vorstellen, mit denen wir individuelle redaktionelle Beratung sowie ein hohes Maß an Skalierbarkeit und Reporting bieten“, kündigt er an. „Vermarktet werden sie im Paket mit Display-Inventar.“ Interessant sei das Thema vor allem, weil man neue Kundengruppen erreichen könne. „In diesem Bereich ist viel frisches Geld im Spiel, unter anderem von PRAgenturen“, so Lütgenau. United-Internet-Chef Giese erwartet dagegen einen „deutlichen Schub von Multi-Screen-Advertising, der auch Mobile zugute kommt. Zudem ist Real Time Advertising (RTA) auf dem Vormarsch und wird, gerade in Verbindung mit Mobile, wachstumsprägend sein.“ Mit Datenschutz punkten Aber trotz aller Hoffnung auf bestimmte Werbeformen: Die Vermarkter müssen die gesamte Displaywerbung im Auge behalten und vor allem endlich die Zweifel an der Werbewirkung, die sich zäh halten, zerstreuen. Vor diesem Hintergrund ist es zwar bedauerlich, dass OVK und Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung (Agof) die Entwicklung des O-Werts, der die Wahrnehmungschance eines Werbemittels beziffern soll, erst einmal auf Eis gelegt haben. Umso wichtiger ist es aber, dass der OVK das Thema Viewability, eigentlich ein Teil des komplexen O-Werts, nun schon einmal separat angeht und eine 50/1-Regel vorschlägt (HORIZONT 35/2014). Dies definiert als Mindeststandard für die Vergleichbarkeit von Onlinewerbung, wenn 50 Prozent des Werbemittels länger als eine Sekunde im sichtbaren Bereich sind. Transparenz, Vergleichbarkeit, Qualitätsgarantien, Brand Safety, Datenschutz – all das sind Faktoren, mit denen die Vermarkter bei Werbungtreibenden und Agenturen punkten können. Und nicht nur das: Genau hier können sie sich auch gegenüber der amerikanischen Konkurrenz profilieren. Wird sich eine neue „Made in Germany“-Philosophie als Verkaufsargument etablieren? Beim schwierigen Thema RTA hört man häufig, dass es besonders datenschutzbewusste Werbekunden begrüßen, wenn sie es ausschließlich mit einem Ökosystem deutscher oder zumindest europäischer Dienstleister zu tun haben. Das gilt vor allem für Finanzdienstleister. „Das Thema Datenschutz in Kombination mit avancierter Technik kann zu einem Markenzeichen deutscher Vermarkter werden“, schätzt Oliver Wolde, Mitglied der Geschäftsführung bei Interactive Media. Leidige Adblocker Ein weiteres, leidiges Thema steht auf der Agenda der Onlinevermarkter: Adblocker. Der OVK schätzt, dass rund ein Viertel der Display-Werbung mittlerweile geblockt wird. Gerne teilen Journalisten das gesamte Displaywerbevolumen einfach durch 4 und errechnen so einen Schaden, der in dreistelliger Millionenhöhe liegt. Ganz so schlimm wird es nicht sein, wie die bisherigen Erfahrungen bei Tomorrow Focus Media zeigen: „Adblocker vermindern das Inventar und verringern das Umsatzpotenzial deutlich, aber noch können wir die meisten Kampagnen nach den Vorgaben der Kunden und Agenturen ausliefern“, berichtet Lütgenau. „Doch je spezieller die Buchung und höher die Auslastung auf Portalen, desto häufiger kann es Engpässe geben.“ Der OVK arbeitet an einem Tool, das die Adblock-Nutzer identifizieren kann, viele Publisher entwickeln schon eigene Lösungen. Damit kann man Nutzer endgültig vor die Alternative stellen: Werbung akzeptieren oder es gibt keine Inhalte mehr. Noch schreckt man vor diesem Schritt zurück. „Die Publisher und Vermarkter müssten sich hier viel stärker engagieren“, findet Pilot-Chef Kramer. „Aber es passiert nur sehr wenig.“ Paul Mudter, Geschäftsleiter Interactive IP Deutschland und OVK-Vorsitzender „Nicht so stark wie erwartet“ OVK-Chef Paul Mudter über das Werbejahr und die US-Konkurrenz Man hört zurzeit von Vermarktern, dass das Display-Geschäft Sorgen macht. Wird der OVK seine Wachstumsprognose von 8,4 Prozent nach unten korrigieren? Wir werden die aktualisierte Prognose bei der Dmexco bekannt geben, da will ich nicht vorgreifen. Nur so viel: Ja, das Jahr ist vielleicht nicht ganz so stark verlaufen, wie wir es erwartet haben. Das Wachstum ist aber auf jeden Fall ordentlich. Und die Bereiche, die wir als Treiber identifiziert haben – insbesondere Bewegtbild und Mobile – haben uns nicht enttäuscht. Es wird verstärkt spekuliert, dass Google und Co die deutschen Vermarktern auch im Display-Bereich an den Rand drücken. Wie beunruhigt sind Sie? Man muss die US-Unternehmen und ihren Expansionsdrang sehr ernst nehmen. Wir haben jedoch in Deutschland einen Werbemarkt, der sehr hohe Ansprüche an Qualität und Transparenz stellt. Darauf sind die qualitätsorientierten Vermarkter sehr gut eingestellt. Bislang verweigern die US-Player eine Kooperation bei Themen wie Währung und Transparenz. Ist das überhaupt schlecht für die deutschen Vermarkter? Eine Zusammenarbeit aller Anbieter wäre besser für uns, weil man dann nicht mehr Äpfel mit Birnen vergleichen müsste. Und wir würden im direkten Vergleich nicht schlecht aussehen. KJ 36 REPORT DIGITAL-MARKETING HORIZONT 36/2014 4. September 2014 ILLUSTRATION: THOMAS DAHMEN / HORIZONT Von Sara Weber N ein, die Schlagzeilen oben stammen nicht von irgendwelchen Spam-Klitschen. Sie waren so in diesen Tagen bei großen deutschen Nachrichtenportalen zu lesen: Bei Bild.de und Focus Online, bei Stern.de und Huffington Post. Böse Zungen würden jetzt behaupten, diese Überschriften seien nichts weiter als Köder, die nur ausgelegt werden, um die Nutzer zum Klicken zu bewegen. Jeder Klick entspricht einer Page Impression, also einem Seitenaufruf. Und jeder Sei- Es hat geklickt Wer online mit seiner Glaubwürdigkeit spielt, kann Werbekunden verlieren tenaufruf ermöglicht eine Ad Impression, also einen Sichtkontakt mit einer Anzeige. Kein Wunder also, dass es vielen Verlagshäusern im Netz darum geht, möglichst viele Klicks zu erreichen. Dabei helfen soziale Medien, allen voran Facebook. Wer dort mit emotionalen und unglaublichen Überschriften Artikel anpreist, wird oft geklickt. Und dort funktionieren nun mal Themen besonders gut, die für Ohs und Ahs sorgen – von Ice Bucket Challenge bis hin zu Katzenbabys. So passieren im Netz Dinge, die in Print undenkbar wären. Am geringsten ist die Diskrepanz bei Bild.de: Auch gedruckt macht „Bild“ Boulevard, mit einer Prise Sex, Promis und Tierfotos – lauter Dinge, die auch im Netz funktionieren. Etwas anders sieht die KlickDebatte bei den Medien aus, die weithin als seriös gelten. Wenn die drei großen Nachrichtenmagazine „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ etwa online völlig andere Qualitätsmaßstäbe anlegen als für Print, kann das der Marke schaden. Wie Medien online agieren, beobachten die Autoren von Bildblog.de. Mats Schönauer ist einer von ihnen. Ihm hat es vor allem Focus Online angetan: „Ich kann mich auf der Seite maximal zehn Minuten aufhalten“, sagt er. Eigentlich würde er bei Focus Online halbwegs vernünftigen Journalismus erwarten – so wie im gedruckten Magazin. „Der ‚Focus‘ hatte für mich immer einen ganz ordentlichen Ruf“, sagt Schönauer. Dann schaue er in Focus Online und schlage die Hände über dem Kopf zusammen. „Für mich hat die Marke Focus dadurch gelitten.“ Seine Kritik: Focus Online übernehme zu viele Agenturmeldungen und kündige sie wie eigene Artikel an. Allein zum Tod von Robin Williams habe es über 70 Meldungen gegeben, so Schönauer, die meisten ohne inhaltlichen Mehrwert. Auch über den Liveticker zum Unfall Michael Schumachers, der jede vermeintliche Neuigkeit auflistete (und auch heute noch aktualisiert wird), regt sich Schönauer auf: „Einfach alles zu veröffentlichen, das kann doch kein journalistischer Anspruch sein.“ Daniel Steil ist Chefredakteur von Focus Online und möchte sich zu der Bildblog-Kritik nicht äußern. „Wir richten unsere Arbeit an unseren Usern aus“, sagt Steil. Dabei sei Nutzwert „der klassische Markenkern von Focus Online“, wie beim gedruckten Heft auch. Er beschreibt Focus Online als das „schnellste Nachrichtenportal Deutschlands“ mit deutlichem Schwerpunkt auf Nutzwert: Hausbau, Rente, Preisvergleiche – das wollen Steils Leser haben. Schaut man auf die Zahlen, scheint dieser Ansatz aufzugehen: Focus Online ist laut Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung (Agof) das zweitgrößte Nachrichtenportal Deutschlands, hinter Bild.de, vor Spiegel Online, Welt.de, Süddeutsche.de und Stern.de. Dass Facebook vor wenigen Tagen verkündet hat, Clickbait (siehe rechts) künftig aus den Newsfeeds der Nutzer herauszufiltern, macht ihm keine Angst: Schlecht sei das nur für Websites mit einer hohen Bounce-Rate, wo die Nutzer auf die Seite kommen und sofort wieder gehen. „Wir haben eine Click-through-Rate auf Artikel von teilweise bis zu 70 Prozent“, sagt Steil, das heißt, die meisten Nutzer gehen auch wirklich in den Artikel hinein. Auch der Journalistik-Professor Michael Haller setzt sich mit dem Thema auseinander. „Klassische Medien müssen darauf achten, dass sie nicht in die Glaubwürdigkeitsfalle tappen“, sagt er. Trotzdem betont Haller, dass Online und Print völlig verschiedene Gattungen sind, die unterschiedlich funktionieren. Eine Regel gelte aber für beide: „Journalistische Medien haben eine Informationsleistung zu liefern, die an handwerkliche Minimalanforderungen gebunden ist.“ Hohe Klickzahlen bedeuteten nicht zwingend, dass die Nutzer mehr von der Sorte wollen. „Wenn die Erwartungen an ein Angebot enttäuscht werden, ist das riskant, weil Nutzer so schnell vergrault werden können.“ D ass die Klicks und damit die Zahl der Nutzer beeinflussen, wie viel Werbegeld fließt, ist ein Geburtsfehler des Internets, der langsam behoben wird. Mittlerweile schauen Werbekunden und Mediaagenturen nicht mehr nur auf den Klick. Zwar ist das Geschäftsmodell von Nachrichtenseiten weiter an der qualitativen Größe Page Impressions ausgerichtet. „Trotzdem ist man schlecht damit beraten, nur Klicks zu sammeln“, sagt Uli Kramer, Geschäftsführer der Mediaagentur Pilot. Werbekunden hätten kein Interesse an hochgejazzten Klickzahlen, wie sie durch Clickbait entstehen, sagt Kramer, im Gegenteil: „Der Markt orientiert sich gerade um. Qualität wird immer wichtiger.“ Weil heute auch Verweildauer, Nutzerengagement und Werbewirkung gemessen werden, kann überprüft werden, welche Inhalte die Nutzer gut finden – und wo es sich lohnt, Werbung zu schalten. „Ein Teil der Branche hat in den letzten Jahren stumpf auf Masse produziert“, sagt Kramer. Doch das könnte bald vorbei sein, glaubt der Pilot-Geschäftsführer: „Wer allerdings rumtrickst und zu wenig Qualität liefert, wird mit Hilfe der heute verfügbaren Tracking-Technologien ertappt.“ Und dann könnten die Werbekunden in Zukunft wegbleiben – ein Desaster in einem Markt, der sich (noch) komplett aus Werbegeldern finanziert. Was ist Clickbait? Der neue Höhepunkt des Klick-Fanatismus wird Clickbait (Klickköder) genannt. In den USA gehören Upworthy und Buzzfeed zu den Medien, die mit Listen und emotionalen Überschriften besonders viele Nutzer auf ihre Seiten locken. In Deutschland haben die Macher von Heftig.co das Clickbait-Phänomen perfektioniert. Über eine Million Fans hat die Site auf Facebook, Artikel mit Überschriften wie „Unter einem Auto entdeckte ein Mann etwas Schreckliches. Was er dann tat, ist unfassbar“ werden 13000 Mal gelikt und 4000 Mal geteilt. 38 REPORT DIGITAL-MARKETING HORIZONT 36/2014 4. September 2014 Stefan Fischer, Lab Content Marketing „An die Grenzen des Pull-Prinzips“ Alles, FOTO: HE2 / FOTOLIA Stefan Fischer, Gründungsmitglied des neuen Lab Content Marketing (CM) im BVDW, über die CMDefinition des Verbands was reingeht Laut BVDW braucht Content Marketing zur Konsumentenstimulanz auch Paid Media So sieht der BVDW Content Marketing* Definition Ziel des Content Marketing (CM) ist die Positionierung einer Firma oder Marke als Experte in ihrem Fachgebiet durch Bereitstellung von relevanten Informationen. In der operativen Umsetzung umfasst CM Planung und Erschaffung zielgruppenrelevanter Inhalte sowie deren strukturierte Verbreitung über verschiedene Kanäle. Distributionskanäle Native Advertising (NA): NA ist eine Form der bezahlten Onlinewerbung, die sich optisch und funktionalandieInhaltederAusspielseiteanpasst. (´Paid Media, auch Sponsored Posts in Social Media**) Inbound Marketing (IM): IM stellt den Nutzer und seinen Inhaltebedarf in den Mittelpunkt. Hier spielen Kanäle der Contentsuche und -beschaffung eine elementare Rolle. (Earned und Owned Media**) *Kommentierter Auszug der vorläufigen Definition. Am finalen Wording arbeitet der BVDW aktuell noch. ** Erklärende Anmerkung durch HORIZONT. Quelle: BVDW S Von Anja Sturm eit Felix Baumgartner am 14. Oktober 2012 für Red Bull so überaus medienwirksam vom Himmel fiel, reden alle von Content Marketing. Das Problem: Keiner weiß genau, was damit gemeint ist. Jede Kommunikationsdisziplin fordert die Deutungs- und Honorarhoheit für sich. Allerdings: Weitgehend Konsens bestand zuletzt zumindest darüber, dass Content Marketing nur mit relevanten Inhalten funktioniert und dass sich die Inhalte nach dem Pull-Prinzip ohne Mediaspendings über Owned- und Earned-Media-Kanäle der Werbungtreibenden verbreiten. Lukas Kircher etwa, Geschäftsführer der Content-MarketingAgentur Kircher Burkhardt, spricht von „Demand-driven Content, den die Leute freiwillig nutzen“, und Felix Schröder, Chef der Frankfurter Digitalagentur Syzygy, meint: „Bei Content Marketing geht es um das Publizieren von Inhalten statt um das Belegen von bezahlten Werbeplätzen. Aufmerksamkeit und Reichweite müssen sich über Relevanz ,verdient‘ statt ,erkauft‘ werden.“ Schluss, aus, vorbei. Jedenfalls wenn man dem Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) glaubt. Denn pünktlich zur Dmexco kapert nun auch der BVDW das Thema Content Marketing (CM). Ende Juni hat der Verband ein eigenes Content-Marketing-Lab gegründet. Jetzt präsentiert er erstmals eine CM-Definition, die explizit Paid Media als Distributionskanäle einbezieht (siehe Kasten). Die Hochzeit der Phase, in der sich relevanter Content quasi kostenlos über Earnedund Owned-Kanäle der Werbungtreibenden verbreite, sei vorbei. „Die Kunst wird künftig sein, nicht nur relevanten Content zu erstellen, sondern diesen auch bestmöglich zu verbreiten“, so Stefan Fischer, Business Development Manager bei Define Media und Gründungsmitglied im CM-Lab des BVDW. Aus Sicht des Düsseldorfer Verbands macht das neue Modell natürlich Sinn. Es bezieht sich ausschließlich auf Digital, lenkt den Blick von den Inhalten stärker auf die Kanäle – und pusht damit unter dem Stichwort „Native Advertising“ vor allem die Vermarktung neuer digitaler Werbeformate. Dazu passt gut, dass auf dem „Content Summit“ der Dmexco kommende Woche neben Vice-MediaChef Andrew Creighton und HuffPoCEO Jimmy Maymann auch Stan Sugarman, Chief Digital Officer G+J Deutschland und Chief Sales Officer G+J Media Sales EMS, reden wird. Sugarman macht sich seit Jahren für Native Advertising stark und hält es für einen zentralen Baustein des Content Marketing (siehe aktuelle Studie nächste Seite). Er sagt: „Das Erfolgsgeheimnis von gut gemachtem Content Marketing liegt darin, dass es passend zur jeweiligen Marke und deren Zielgruppe individuell entwickelt wird. Dazu gilt es, die passenden Bausteine auszuwählen.“ Und diese Bausteine könnten „mal vorwiegend Native Ads sein, mal eine groß angelegte Wordof-Mouth-Marketingkampagne, mal spezifische Content-Produkte wie ein Kundenmagazin oder eine App“. S o weit, so nachvollziehbar. Ob aber das neue BVDW-Modell in seiner Breite nach dem Motto „keinem Verbandsmitglied wehtun“ auch hilft, für die Werbungtreibenden mehr Klarheit in die CM-Debatte zu bringen, darf zumindest infrage gestellt werden. Schließlich subsummiert der BVDW unter seinem Modell im Grunde alles, was moderne digitale Kommunikation heute so her- gibt. Selbst Mitautor Fischer räumt ein: „Wir befinden uns in einem sehr komplexen Prozess. Das jetzt vorliegende Modell ist ein wichtiger Schritt nach vorn, weil es für uns eine sehr gute Grundlage ist, um das Thema künftig noch weiter in die Tiefe durchzudeklinieren.“ C hristoph Bornschein, Gründer der Berliner Agentur Torben, Lucie und die gelbe Gefahr (TLGG), dürfte diese theoretische Debatte ziemlich wurscht sein. Er betrachtet die Diskussion um Paid, Owned, Earned „wenig dogmatisch“. Bornschein: „Meiner Meinung nach sehen wir eine Parallelität beider Situationen. Mechaniken von Push und Pull werden schlicht gleichzeitig existieren.“ Letztlich komme es nicht mehr darauf an, ob Content auf eigenen Kanälen der Marke lebt oder über Native Advertisement zusätzlich sichtbarer gemacht wird. „Im Kern geht es um die Entwicklung von gutem und relevantem Content in verschiedenen Formen. Alle anderen Begrifflichkeiten im Raum beziehen sich dann nur auf die Leistung seiner Distribution“, so der TLGG-Chef. Für Werbungtreibende hingegen dürfte die Frage, in welchem Maß sie künftig ihre teuer erstellten Inhalte durch zusätzliche Mediaspendings an den Konsumenten bringen müssen, durchaus von Interesse sein. Und an welcher Stelle sie die dafür benötigten Etats künftig abziehen. Denn dass dank Mediaspendings künftig an der Qualität des Contents gespart werden kann, ist unwahrscheinlich. Bornschein: „Reine organische Reichweite und Sichtbarkeit ist zunehmend begrenzt. Bezahlte Mechaniken werden vor allem genutzt, um weiteren Usern Content als Angebot zu unterbreiten. Ob diese sich dann auch wirklich dafür interessieren, hängt wieder von der Relevanz der Inhalte ab.“ Der BVDW definiert Content Marketing als „Positionierung durch relevanten Content“. Das klingt ziemlich banal. Damit sind wir doch wieder bei null aller Kommunikationsspielarten angekommen. Man darf diese Definition nicht ohne Blick auf die Distributionskanäle bewerten. Es geht darum, dass digital immer neue Verbreitungsformen für relevanten Inhalt entstehen. Diese abzubilden und sinnvoll zu unterscheiden, ist unsere Intention. Die Entwicklung neuer Kommunikationsplattformen und -kanäle ermöglicht gerade für den Bereich Content Marketing eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten, die es so früher noch nicht gab. Dass der BVDW nur von Digital spricht, überrascht nicht. Nichtsdestotrotz spielt Content Marketing auch in Print eine große Rolle. Im Prinzip passt unsere grundsätzliche Definition von Content Marketing auch auf die klassischen Kanäle. Letztlich müsste man nur ein weiteres Distributionssegment hinzufügen. Auffallend ist, dass der BVDW unter dem Stichwort „Native Advertising“ auch Paid Media bis hin zu bezahlten Social-MediaMaßnahmen einbezieht. Sind die Zeiten schon wieder vorbei, in denen relevanter Content auch ohne Mediaspendings seine Zielgruppen fand? In unserem Modell gibt es auch künftig erfolgreiche InboundMarketing-Kanäle, in denen die Distribution ohne klassische Mediaspendings auskommt. Aber die Hochzeit dieser Phase ist vorbei. Die Entwicklung geht auch bei Content Marketing klar in Richtung Paid. Die Kunst wird in Zukunft sein, nicht nur relevanten Content zu erstellen, sondern diesen auch bestmöglich zu verbreiten. Mit dem hübschen Nebeneffekt, dass auch Digitalvermarkter wie Ihr Unternehmen und zahlreiche BVDW-Mitglieder künftig bei Content Marketing stärker am Paid-Kuchen beteiligt sind. Das stimmt, aber darum geht es nicht. Die Überfüllung mit Content im Netz führt zwangsläufig dazu, dass viele Unternehmen und Themen an die Grenzen des Pull-Prinzips stoßen. Somit liefern die Anbieter von Paid-Distribution lediglich eine mögliche Lösung für dieses Problem, das ja real AS besteht. HORIZONT 36/2014 REPORT DIGITAL-MARKETING 39 4. September 2014 E s liest sich schon ein bisschen dubios. Der Content Summit auf der Dmexco kommende Woche wird sich unter anderem mit Native Advertising beschäftigen. Jener digitalen Werbeform, die sich in Optik und Sprache möglichst an die Träger-Website anpassen und den User dadurch weniger stören und ihm die Werbebotschaften leichtfüßiger vermitteln soll. Das allein ist nichts Anrüchiges. Früher sagte man dazu meist Advertorial oder auch schon mal Schleichwerbung. Merkwürdig allerdings liest sich im Content-Summit-Programm folgender Satz: „Native Ads und Branded Content sollen aus Sicht mancher Marketer die Lücke schließen zwischen Werbung und redaktionellem Content.“ Wobei aus redaktioneller Mediensicht die Frage erlaubt sei, ob diese Lücke tatsächlich geschlossen werden muss beziehungsweise geschlossen werden sollte. Mit anderen Worten: Wo steht künftig Wankt die Brandmauer? Studie von G+J EMS zeigt: Native Advertising muss klar gekennzeichnet sein Werbeerinnerung verdoppelt Sympathiewerte steigen Abverkauf nimmt zu Ad Awareness Markennähe / Sympathie (Uplift gegenüber Nullmessung) Kauf- und Nutzungsbereitschaft Angaben in Prozent 22 24 66 59 52 22 16 13 Erwartungen an das Werbeformat Angaben in Prozent … glaubwürdig sein 85 … aktuell sein 84 80 … informativ sein Kontakt zu Displayflight Kontakt zur Integration (Native Advertising) Quelle: G+J Native Advertising Grundlagenbefragung HORIZONT 36/2014 Kein Kontakt zur Kampagne 77 … einen klaren Nutzen haben 0 Kein Kontakt zur Kampagne Native Advertising muss glaubwürdig sein Kooperationen zwischen Marken und Websites müssen… 20 10 noch die Brandmauer? Eine Debatte, die sicher noch lange Zeit intensiv geführt werden muss – und zu der nun einige User klar ihre Meinung gesagt haben. Denn laut einer aktuellen Studie von G+J Media Sales EMS erwarten 86 Prozent der befragten Konsumenten, dass Native Advertising deutlich als solches gekennzeichnet ist. Stan Sugarman, Chief Digital Officer G+J Deutschland und Chief Sales Officer G+J Media Sales EMS, betont deshalb: „Für uns als Medienhaus gilt unverändert das Prinzip der Trennung von werblichen und redaktionellen Inhalten. Wir sind davon überzeugt, dass sich User nicht von Native Ads oder Branded Content getäuscht fühlen dürfen. Deshalb ist eine klare Kennzeichnung unerlässlich.“ Dass sich der Manager derart für Native Advertising stark macht, ist verständlich. Für viele Digitalvermarkter gilt die Werbeform als ein Hoffnungsträger. Glaubt man der aktuellen G+J-EMS-Studie, wirkt sie durchaus beim Verbraucher, und ergo auch bei den Werbungtreibenden. Angaben in Prozent Angaben in Prozent 22 Von Anja Sturm Kontakt zu Displayflight Kontakt zur Integration (Native Advertising) Quelle: G+J Native Advertising Grundlagenbefragung HORIZONT 36/2014 Kein Kontakt zur Kampagne Kontakt zu Displayflight Kontakt zur Integration (Native Advertising) Quelle: G+J Native Advertising Grundlagenbefragung HORIZONT 36/2014 71 … hochwertig sein 64 … kurz und knackig gehalten sein … Bilder enthalten Quelle: G+J Native Advertising Grundlagenbefragung 58 HORIZONT 36/2014 Anzeige 40 REPORT DIGITAL-MARKETING HORIZONT 36/2014 4. September 2014 Keine Eile Real Time Advertising ist auf dem Vormarsch. Die deutschen Onlinevermarkter nähern sich dem Thema aber mit Vorsicht D ie ganz große Euphorie, die das RTA-Lager noch Anfang des Jahres versprühte, ist verflogen: „Real Time Advertising entwickelt sich in Deutschland nicht so schnell, wie wir erwartet hatten“, sagt Nigel Gilbert, Verkaufschef für Europa bei Appnexus, einem Anbieter von RTATechnologie. „Es wird viel getestet, aber viele Vermarkter zögern noch, RTA wirklich ins Tagesgeschäft zu überführen.“ Dennoch sei er „äußerst optimistisch“, was das weitere Wachstum angehe. Bestätigt fühlt er sich unter anderem durch eine Studie, die Appnexus gemeinsam mit dem Verband IAB Europe und dem Institut Warc durchgeführt hat. Danach liegt der Anteil der deutschen Werbungtreibenden, die sich bereits mit automatisiertem Echtzeithandel beschäftigen, bei 50 Prozent. Die Etats dafür sind aber noch Nicht jeder beherrscht das Thema Hindernisse auf dem Weg zum Programmatic Advertising Angaben in Prozent 29 Mangelndes Know-how 26 Kein Budget vorhanden Mangelnde Transparenz 13 Widerstand beim Werbekunden 13 12 Vorgegebene Geschäftspolitik Furcht vorm Ungewissen 12 11 Innerer Widerstand 6 Skepsis gegenüber Programmatic Ad. Widerstand von Agenturen 4 Basis: 197 im April und Mai 2014 befragte europäische Werbeexperten Quelle: Appnexus, IAB Europe, WARC HORIZONT 36/2014 Targeting steht im Mittelpunkt Was Programmatic Advertising bringen soll Angaben in Prozent 54 Verbessertes Targeting 50 Reagieren in Echtzeit 35 Weniger Streuverluste 33 Personalisierte Werbung Schnellere Kampagnenumsetzung 30 Bessere Erfolgskontrolle 30 24 Preisgünstigere Werbung 22 Hochwertigere Impressions Kreativere Werbung 16 Basis: 454 im April und Mai 2014 befragte europäische Werbeexperten Quelle: Appnexus, IAB Europe, WARC HORIZONT 36/2014 begrenzt: Der RTA-Anteil am Onlinewerbeumsatz dürfte höchstens knapp zweistellig sein. Doch wenn es auch nicht ganz so schnell geht: Dass automatisierter Werbeeinkauf wichtiger wird, bezweifelt kaum jemand. „Die Bedeutung von RTA wächst bei uns mit rasantem Tempo“, erklärt Oliver Wolde, Mitglied der Geschäftsführung und Senior Vice President Sales & Publisher bei Interactive Media. „Der Umsatzanteil ist noch nicht ganz zweistellig, wird es aber 2015 sein.“ Wolde betont, dass RTA auf mehreren Ebenen vorteilhaft sei: „Die Automatisierung bedeutet nicht nur für den Kunden, sondern auch für uns große Effizienzgewinne.“ Interactive Media gehört zu den Vermarktern, die das Thema vorantreiben. Im April begann die Telekom-Tochter damit, auch großflächige Qualitätswerbeformate über die hauseigene Premium Publisher Platform (PPP) für den Echtzeithandel zur Verfügung zu stellen. K onkurrent Axel Springer Media Impact (Asmi) befindet sich in puncto RTA „noch in der Testphase“, wie Holm Münstermann, General Manager New Media Business, erklärt. „Die bisherigen Erfahrungen sind jedoch wichtig.“ Asmi hatte Ende vergangenen Jahres einigen Staub aufgewirbelt, als bekannt gegeben wurde, dass der Vermarkter Inventar über Googles Ad Exchange verkauft – und damit für viele Marktbeobachter einen problematischen Pakt mit dem mächtigen Gegner der deutschen Medienhäuser einging. Münstermann kann die Aufregung darüber nicht nachvollziehen: „So gut wie alle Publisher haben Google AdSense direkt in ihrem Content eingebaut, fast alle Vermarkter außer ASMI nutzen den Google AdServer, und das Long-Tail-Inventar der meisten deutschen Publisher ist über die Google AdExchange buchbar.“ Asmi kooperiere nicht viel enger mit Google als andere auch. Münstermann erklärt, wie das Geschäft über Google läuft: „Bei der Ad Exchange arbeiten wir mit Open Auctions, Private Auctions und Floor Prices. Dabei lassen wir die darüber reinkommenden Gebote gegen unsere direkt verkauften Kampagnen im nicht garantierten Bereich laufen. Das heißt ein Bieter in der Ad Exchange bekommt den Zuschlag, wenn für die Impression kein höherer Preis aus direkt verkauften Kampagnen vorliegt.“ Beim Inventar handelt es sich fast ausschließlich um Restplätze: „Wir sind sehr vorsichtig darin, unser Premiuminventar per RTA anzubieten“, sagt Münstermann – eine Haltung, die bislang die Strategien der meisten Vermarkter aus dem Lager der Medienhäuser prägt: Man will Werbeplätze in hochwertigen Umfeldern auf keinen Fall in die Auktions- und Targeting-Maschinerie einspeisen und damit das klassische Vermarktungsgeschäft und seine gelernten Mechanismen gefährden. Lediglich die prozessuale Automatisierung des klassischen Geschäfts nach gleichen Bedingungen ist für die meisten vorstellbar, aber bitte kein offenes Bidding. Bei der Vermarktung des Restinventars, das über hauseigene oder auch externe Plattformen gehandelt wird, schwört man wie Asmi auf „Private Auctions“, also geschlossene Systeme von Angebot und Nachfrage, in denen nur bestimmte Geschäftspartner zugelassen sind. So vermeidet man, dass Inventar an dubiose Zweit- und Drittvermarkter geht. Man hält sich zudem die Möglichkeit offen, bestimmte Kunden bevorzugt zu bedienen. In welchem Umfang die großen Vermarkter Restplätze auch auf offenen Longtail-Marktplätzen anbieten, ist schwer zu schätzen. Neben der Vorsicht der Vermarkter sorgt ein weiterer Faktor dafür, dass RTA nicht schneller abhebt: die mangelnde Transparenz und damit verbunden Zweifel an der Qualität. Wo läuft meine Werbung genau? Wie lange ist sie sichtbar? Wie steht’s mit der Brand Safety? Im Mai machte die Nachricht von einer Programmatic-Buying-Kampagne die Runde, die Mercedes-Benz in den USA gebucht hatte. Über die Hälfte der ausgelieferten Ad Impressions wurden offenbar nicht von menschlichen Nutzern, sondern von automatisierten Programmen „gesehen“. Der Dienstleister Rocket Fuel hatte die Werbung versehentlich auf zahlreichen betrügerischen Websites platzieren lassen (HORIZONT 23/2014). Geschichten wie diese sorgen dafür, dass das Vertrauen der Werbungtreibenden in RTA nicht gerade größer wird. Nicht umsonst versuchen deutsche Vermarkter und Mediaagenturen, mit besonderen Qualitätsversprechen zu punkten. Pilot hat kürzlich das eigens entwi ckelte Produkt RTA Gold vorgestellt. Mit dem Produkt können Kunden bei RTAKampagnen gegen Aufpreis ein komplettes Qualitätspaket buchen – mit garantierter Sichtbarkeit, Transparenz in der Auslieferung, Brand Safety und Präsenz N eben besserer Qualität werden auch Mobile und Bewegtbild als Wachstumstreiber für RTA betrachtet. Mehr Mobile scheint fast mit logischer Konsequenz anzustehen – die Internetnutzung verlagert sich dramatisch schnell auf mobile Endgeräte. Dort werden große Massen von Impressions erzeugt, die nicht einfach zu vermarkten sind – eigentlich genau das Richtige für RTA. „Bei Mobile sehen wir ein starkes Wachstum und erhoffen uns viel davon für 2014 und 2015“, erklärte Eric Hall, Country Manager DACH beim RTAPlattformanbieter Pubmatic kürzlich (HORIZONT 24/2014). Allerdings gibt es noch Hindernisse: Zum einen ist die technische Abwicklung von Mobile RTA noch kompliziert, es werden viele unterschiedliche Technologien genutzt. Zum anderen sind gute Tracking-Daten für Mobile, vor allem für RTA-prädestinierte Retargeting-Kampagnen, noch nicht verfügbar. Ein Frequency Capping etwa über stationäre und mobile Plattformen hinweg ist nur für Anbieter von Login-basierten Portalen möglich – weshalb United Internet Media mit Marken wie Web.de und GMX.de zuversichtlich ins mobile RTA eingestiegen ist (HORIZONT 35/2014). „Der Tipping Point für Mobile wird erreicht sein, wenn plattformübergreifendes Tracking möglich ist“, schätzt Appnexus-Manager Gilbert. Und was ist mit Bewegtbild, dem anderen großen Hypethema? Auch hier hat Gilbert Zweifel: „Für Videowerbung wird RTA zunächst keine große Rolle spielen.“ Die Vermarkter haben seiner Meinung nach keine Veranlassung, sich nach alternativen Vertriebskanälen umzusehen: „Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem, sodass das Inventar meist langfristig ausgebucht ist. RTA löst hier kein Problem.“ FOTO: SUMKINN / SUMKINN Von Klaus Janke auf Premium-Inventar. Einzeln ist das alles nichts Besonderes, aber ein Komplettpaket mit dem griffigen Namen RTA Gold – das ist schon cleveres Marketing. Allerdings muss Pilot nun auch liefern und Partner finden. „Wir reden mit allen großen Agof-Vermarktern“, erklärt Thomas Koch, Geschäftsführer Pilot Media. „Aber nicht jeder kann und nicht jeder will die erforderlichen Garantien geben – das ist auch eine Frage des jeweiligen Geschäftsmodells.“ Als Vermarktungspartner sind bislang Ströer Digital, G+J EMS und Tomorrow Focus Media mit von der Partie. Thorsten Mandel, ebenfalls Pilot-Geschäftsführer, betont, dass eine Initiative wie RTA Gold die Qualitätsprobleme des automatisierten Einkaufs nicht lösen kann: „Eine Herausforderung liegt noch in der unzureichenden Skalierbarkeit von Angeboten mit Qualitätsgarantie.“ Sprich: Viel Inventar ist darüber nicht zu bekommen. „Wer schnell eine hohe Reichweite erzielen will, kommt bislang am Longtail kaum vorbei“, so Mandel. HORIZONT 36/2014 4. September 2014 REPORT DIGITAL-MARKETING 41 Nach eigenem Modus Die Onlinevermarkter setzen RTA mit sehr verschiedenen Schwerpunkten ein W ie entwickelt sich der Stellenwert von RTA in Ihrer Online-Vermarktung? Stellen Sie zunehmend auch Premium-Inventar darüber zur Verfügung? Rasmus Giese, CEO United Internet Media Matthias Wahl, Geschäftsführer OMS Paul Mudter, Geschäftsleiter IP Interactive Deutschland R D D TA ist ein Bestandteil unserer Vermarkungsaktivitäten – vorrangig, um unsere Medialogistik effizienter zu gestalten. Wir nutzen die Auslieferungsintelligenz von Kooperationspartnern wie AppNexus über einen privaten Marktplatz und optimieren die Inventarallokation für Großkunden und Agenturen. Darüber hinaus stellen wir seit kurzem auch Mobile Inventar ein und ermöglichen unseren Kunden und Agenturen, die Werbeschaltung auch für den Small Screen noch effektiver und zielgerichteter zu gestalten. RTA ist sicher auf dem Vormarsch. Den aktuellen Hype halte ich allerdings für übertrieben, denn in der Praxis spielt RTA gerade auf dem deutschen Werbemarkt noch eine untergeordnete Rolle. Wir vermarkten derzeit über RTA einen einstelligen Prozentsatz unseres Inventars. ie Nachfrage auf Kundenseite nach RTA hat sich in letzter Zeit spürbar erhöht. Wir sind hier sehr gut vorbereitet, da wir uns bereits früh mit dem Thema beschäftigt haben und können entsprechend die Möglichkeiten, die RTA bietet, gezielt anbieten und einsetzen. Diese zunehmende Technisierung unserer Branche bedeutet aber keineswegs automatisch, dass die OMS als Premiumvermarkter für den Werbeerfolg so wichtige Qualitäts-Aspekte wie Zielgruppe, Umfeld, Marke, Positionierung und hochwertigen Content zu vergünstigten Konditionen anbietet. Premium-Inventar und Qualitätszielgruppen haben ihren Preis – und das ist auch richtig so! ie ökonomischen Vorteile des programmatischen Verkaufs sind nicht von der Hand zu weisen und spielen auch bei IP Deutschland eine zunehmend wichtige Rolle. Allerdings weniger bei Video. Video ist definitiv ein Premiumprodukt und in unserem Haus ein knappes Gut. Die Werbenachfrage übersteigt hier durchaus das Angebot. Wir prüfen aber intensiv, wann und mit welchen Ausbaustufen eine Integration der programmatischen Möglichkeiten von SpotXchange, der Neuakquisition der RTL Group, umgesetzt und intelligenter eingesetzt werden kann als die bisherigen Ansätze, die bei vielen anderen Vermarktern umgesetzt wurden. Wir sind uns sicher, dass wir unsere programmatische Kompetenz mit der Technologie von SpotXchange weiter ausbauen. Anzeige Martin Lütgenau, Geschäftsführer Tomorrow Focus Media Stefan Schumacher, Executive Director Digital G+J EMS Thomas Port, Geschäftsführer Seven One Media R G R TA nimmt bei der Auslieferung und Abwicklung von performance-orientierten Kampagnen deutlich zu. Über den RTA-Distributionskanal steigt die Effektivität der Kampagnen und der TKP steigt stetig in kleinen Schritten. Premium-Inventar stellen wir heute bereits in Private Auctions (bilateral) zur Verfügung. Wir müssen aber feststellen, dass es sich bei einer Vielzahl von Kunden um keine „frischen“ Budgets handelt, sondern mit RTA lediglich ein alternativer Distributionskanal gewählt wird. Im Premium-Geschäft erwarten Kunden durch die RTA-Automatisierung niedrigere Preise, bei zeitgleich hohen technischen Kosten. Der Effizienzbeweis von RTA gegenüber Direct Sales ist folglich im Premium-Geschäft noch nicht erbracht. enerell stehen wir dem Thema RTA aufgeschlossen gegenüber und machen deshalb kontinuierlich immer größere Teile unseres Inventars darüber zugänglich – allerdings differenzieren wir bei Formaten sowie Inventarklassen und erwarten eine Preisbereitschaft, welche die Qualität unseres Inventars entsprechend berücksichtigt. Wenn die Preisbereitschaft der Nachfrager steigt, können wir uns zukünftig auch ein noch größeres Engagement als heute vorstellen. Derzeit macht der Umsatz durch RTA einen niedrigen zweistelligen Prozentsatz am gesamten Online-Umsatz der G+J Vermarktung aus, Tendenz steigend. Im Mobile-Bereich bewegen wir uns noch im einstelligen Prozentbereich, gehen aber in den kommenden Monaten von einem stark wachsenden RTAAnteil im Bereich Mobile aus. TA ist für uns ein wichtiges Zukunftsthema. In Bezug auf unsere hochwertigen Umfelder gilt beim Einsatz von automatisierten Abläufen: RTA für Premiuminventar in klar definierten Umfeldern mit ausgewählten Partnern und zu entsprechend marktgerechten Preisen. Der Hype, der um RTA gemacht wird, birgt aus unserer Sicht aber große Missbrauchsrisiken. Anstatt schnell und kopflos auf diesen Trend aufzuspringen, sollten gerade die Premiumanbieter darauf achten, RTA kontrolliert und gezielt einzusetzen, um Effizienz, aber auch Transparenz im Einkaufsprozess zu erhöhen. Für uns heißt das: Sicherlich werden wir die Vorteile von RTA sorgsam nutzen, um unsere Abläufe zu optimieren, die Kontrolle über unsere Inventare werden wir dabei aber nicht aus den Händen geben. 42 REPORT DIGITAL-MARKETING HORIZONT 36/2014 4. September 2014 Vorsicht, Ironie! Wachstumsmarkt Native Video Ads: Neue Metriken und Kreativität im Umgang mit der Marke entscheiden über den Erfolg Dabei sind aufwendige, nach Drehbuch produzierte Native-Video-Advertising-Kampagnen oder gar mehrteilige Webshows nur ein Segment des Marktes. Die meisten um die Ecke gedachten, subtilen oder ironisch gebrochenen Botschaften sind viel kürzer und simpler. Zum Beispiel bei der Kurznachrichtenund Unterhaltungsplattform Nowthis, deren Videos in der Regel nicht länger als 15 Sekunden dauern und zum Verbreiten bei Facebook und Twitter optimiert sind. Nowthis veröffentlicht rund 50 neue Clips pro Tag. Darunter sind immer mehr Beiträge, die zwar im Auftrag von Unternehmen produziert werden, sich aber nahtlos ins Programm fügen. Paypal, Ben & Jerry's Eiscreme, der Süßwarenhersteller Mondelez und die Versicherungsorganisation Blue Cross Blue Shield werben dort „nativ“. Z Satire auf die Food-Industrie: die Comedyserie „Farmed and Dangerous“ E Volumen wächst Laut einer Prognose des Marktforschungsunternehmens BIA/Kelsey wird das in den USA investierte Gesamtvolumen für Native Advertising über alle Kanäle und Formate von 1,6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012 auf 4,6 Milliarden im Jahr 2017 steigen. Bis zum Entthronen des Quasi-Standards Pre-Roll Ad ist es allerdings noch ein weiter Weg. Der Markt dafür soll in den USA laut eMarketer bis 2017 nämlich auf über 11 Milliarden Dollar steigen. Von Ulrike Langer ine der bemerkenswerteren Comedyserien des Jahres heißt „Farmed and Dangerous“ und steht beim Videoportal Hulu zum Abruf. Es geht um Ausbeutung von Bauern und Landarbeitern in der Dritten Welt, Antibiotika und künstliche Hormone im übermäßigen Einsatz, bis zur Unkenntlichkeit verarbeitete Zutaten und weitere Unappetitlichkeiten. Die Satire auf die Food-Industrie wurde von der hippen amerikanischen Fast-Food-Kette Chipotle finanziert. Die Handlung ist keine Kulisse für Schauspieler, die unablässig in Tacos und Burritos beißen. Ein Sponsoring-Hinweis fehlt, stattdessen laufen nur Pre-Roll-Werbespots von Dritten. Und der Name Chipotle wird in den vier 22-minütigen Folgen der Webshow nur ein einziges Mal erwähnt. Dafür hat das Restaurant-Imperium mit den mexikanischen Gerichten aus nachhaltigem Anbau mehr als eine Million Dollar bezahlt. „Das war definitiv eine unserer riskanteren Aktionen“, bekennt Chipotles Marketingchef Mark Crumpacker in einem Interview mit dem Fachblatt „Variety“. Doch das Wagnis hat sich laut Crumpacker gelohnt. Für den Erfolg sprechen auch die Reaktionen im sozialen Netz. Fast alle Kommentatoren mögen nicht nur die Webserie an sich, sondern äußern sich auch positiv darüber, dass Chipotle dahintersteckt. Die Kampagne verstärkt im Bewusstsein der Konsumenten das ohnehin positive Image eines gesellschaftlich engagierten Unternehmens und gilt als Idealfall von gelungenem Native Video Advertising. Auch andere Unternehmen machen die Erfahrung, dass es sich lohnen kann, in Werbevideos zu investieren, die auf den ersten Blick gängige Markenbotschaften konterkarieren, auf den zweiten Blick aber umso mehr auf die Marke einzahlen. Statt wie lästige Pre-Roll Ads die Nutzer von dem abzuhalten, was sie in diesem Moment eigentlich wollen – unterhaltsame Videos anschauen – bieten Native Video Ads Content, der sich dem Niveau und Duktus der jeweiligen Plattform perfekt anpasst und für die jeweilige Zielgruppe genauso attraktiv ist wie redaktionelle Clips. So produzierten unter anderem Southwest Airlines, Amazon und das Kosmetikunternehmen Maybelline Videoclips ihre eigenen satirischen Nachrichtenbeiträge in Kooperation mit Onion Labs, der Marketingabteilung des Satirenetzwerks The Onion. Darin geht es um ein Loyalitätsprogramm, bei dem sich Fluggäste endlich auch mal gegenüber Southwest dankbar zeigen sollen, nach allem, was die Fluglinie für sie getan hat. Amazon schaltete einen Beitrag über einen imaginären neuen E-Reader mit der Bezeichnung „Amazon Flare“, der per Lautsprecher verkündet, welches intellektuelle Buch man gerade liest, weil man mit seiner Lektüre auf digitalen Lesegeräten niemanden beeindrucken kann. Und Maybelline erfand eine schönheitskonforme Gesichtsmaske, die jegliche Individualität erstickt, aber auch zeitraubende Kosmetik überflüssig macht. Nur dezente kurze Einblendungen weisen jeweils darauf hin, dass die veräppelten Unternehmen diese Videos selbst in Auftrag gegeben haben. Native schlägt Pre-Roll L aut einer Case Study von Nielsen Online Brand Effect und dem auf die Verbreitung von nativem Videocontent spezialisierten Dienstleister Sharethrough schneidet Native Video Advertising in vielen Punkten erheblich besser ab als Pre-Roll Ads. Für die Studie spielten Nielsen und Sharethrough für fünf Marken jeweils die gleiche Botschaft als 15- bis 30-sekündiges Pre-Roll Ad im Autoplay-Modus sowie im nativen Videoformat aus. In der Studie war Native gegenüber Pre-Roll bei allen fünf Marken in allen gemessenen Parametern überlegen, unabhängig von der jeweiligen Marketingbotschaft. Bei der Kampagne für den Softdrink Jarritos ging es um den Wiedererkennungswert der Marke. Native Ads steigerten die Markenwahrnehmung um 82 Prozent, Pre-Roll-Spots dagegen nur um 2,1 Prozent. In einem weiteren Beispiel einer nicht namentlich genannten FMCG-Marke wurde die Kaufbereitschaft gemessen. Laut Nielsen/ Sharethrough sagten mehr als 42 Prozent der Befragten nach dem Anschauen des nativen Videos, dass sie das Produkt nun wahrscheinlicher kaufen würden. Dagegen sank die Kaufbereitschaft der PreRoll-Zuschauer sogar um fast 19 Prozent gegenüber Testpersonen, die keines der Werbemittel gesehen hatten. u den legendären Native Video Ads bei Vine, Twitters Sechs-Sekunden-Videoplattform, gehört eines von Dunkin’ Donuts, in dem Kaffeebecher ein Footballmatch austragen. Seit Mitte August bietet Twitter testweise ausgewählten Werbekunden zusätzlich an, Videos direkt in den Nachrichtenfeeds der Nutzer, die ihnen folgen, abzuspielen. Anders als bei Facebook, dessen automatisch abspielende „Premium Video Ads“ in den Nachrichtenfeeds zwar hohe Aufmerksamkeit, aber auch viel Ablehnung erzeugen, will Twitter seine Werbekunden dazu anhalten, kurze Videos zu produzieren, die Nutzer freiwillig anschauen. Sie sollen per Cost-per-View abgerechnet werden. Wie schnell sich neue Metriken etablieren, mit denen der Erfolg nativer Werbeformate messbarer und vergleichbarer wird, ist laut Chris Schreiber, Marketingchef von Sharethrough, ein wesentlicher Faktor dafür, wie schnell sich Native Video Ads durchsetzen werden. „Die Clickthrough Rate als Messgröße für den Erfolg von herkömmlichen Video Ads reicht für native Kampagnen nicht aus“, betont Schreiber. Metriken wie Sharing, Nutzungsdauer und weiteres Nutzerverhalten seien ebenso wichtig. Native Video Advertising ist allerdings auch ohne Standardisierung schon eines der am schnellsten wachsenden Segmente nativer Werbung. Denn der Markt wächst von beiden Seiten. Einem immer größeren Angebot an Webvideo-Umfeldern stehen immer größere Budgets für native Kampagnen gegenüber (siehe Randnotiz). Neben neuen Metriken dürfte auch die Freude an kreativer Spielerei mitentscheiden, wie schnell sich Native Video Ads durchsetzen werden. Weil man für ein ultrakurzes mit einem kostenlosen Tool erstelltes Werbevideo nur eine zündende Idee im richtigen Moment und keinen großen Etat braucht, verwundert es kaum, dass schon einen Tag, nachdem Facebooks Fotoplattform Instagram Ende August ihre neue Zeitraffer-App „Hyperlapse“ vorstellte, die ersten Marken damit experimentierten. Budweiser führte vor, wie schnell sich eine Kühlbox mit Bud Light Dosen bei einem Picknick leert. Burton lud zu einer Skateboardfahrt im Zeitraffer ein. Und die Saftmarke Naked Juice stellte ein angedeutetes Nacktmodell auf einen belebten Platz. Einziger Grundsatz bei allen Beispielen: Je freizügiger die Marke mit sich spielt, desto mehr Klicks, Likes und Shares. Und das gilt für einen Quickie bei Instagram ebenso wie für teure Hochglanzvideos wie „Farmed and Dangerous“. 44 REPORT DIGITAL-MARKETING HORIZONT 36/2014 Große Fußstapfen Mobile Advertising: Was sich deutsche Vermarkter von US-Unternehmen abschauen können I Von Sara Weber n der U-Bahn, an der Kasse, in der Pause: Das Smartphone begleitet Millionen von Deutschen durch den Tag. Oft auf den Bildschirmen zu sehen: Google-Weiß und Facebook-Blau. Auch wenn es darum geht, die Nutzung in Geld umzuwandeln, können sich deutsche Unternehmen noch das ein oder andere von den Amerikanern abschauen. Laut Martin Ott, Facebooks Managing Director Northern Europe, ist Facebook in Deutschland „die meistgenutzte Kommunikationsplattform“ sowie „der reichweitenstärkste Marketingkanal neben TV“ (siehe Kasten). Heute sei Facebook eine „Mobilefirst Company“, bei der alle Teams zuerst für mobile Endgeräte entwickeln. Ähnliches ist von Google zu hören: „Wir haben den Kunden früh die Möglichkeit gegeben, Werbung auf mobilen Geräten zu schalten“, sagt Cagri Merdan, Produktspezialist für den Mobile-Bereich von Google Deutschland. Werbung vom Desktop auf mobile Geräte zu verlängern, ist sowohl von der Buchung als auch von der Steuerung her mittlerweile sehr einfach geworden. Natürlich hilft, dass Google und Facebook bei der Nutzung „um Lichtjahre vorne liegen“, wie Jens Nagel-Palomino formuliert. Der CEO der Zenith-Optimedia-Tochter Newcast beobachtet, dass die meisten Nutzer durch die Google- oder die Facebook-Tür laufen, wenn sie mobiles Internet nutzen. „Von da aus springen sie dann weiter, wenn ihnen gute Alternativen geboten werden“, so NagelPalomino. Viele dieser Alternativen werden in Deutschland von nationalen Playern betrieben. G+J EMS, Interactive Media und Axel Springer Media Impact (Asmi) gehören zu den erfolgreichsten im MobileBereich. Natürlich wissen auch sie um die übermächtige Konkurrenz. „Das Wachstum im deutschen Mobile-AdvertisingMarkt wird heute stärker von Global Playern als lokalen Vermarktern getrieben und ist das Resultat ihrer konsequenten und nachhaltigen Entwicklungs- und Investitionsstrategie in Technologie und smarte Produkte“, sagt Oliver Wolde, Mitglied der Geschäftsführung von Interactive Media. Einschüchtern lassen sie sich davon jedoch nicht. „So stark globale Player auch sind, so sehr brauchen sie auf dem deutschen Markt die Unterstützung nationaler Marktteilnehmer, die ihnen etwa Inhalte liefern“, sagt Marco Barei, General Manager Digital Sales bei Asmi. Gäbe es dort nur nutzergenerierten Content, würde das nicht der von Advertisern benötigten Werbewirkung gerecht. „Wenn die eigenen Produkte stark sind, muss man keine Angst vor Wettbewerbern haben“, so Barei. Die eigenen Angebote seien gut positioniert und böten den Nutzern uniquen Content. Noch einen Schritt weiter geht Stefan Schumacher, Executive Director Digital bei G+J EMS: „Als Premium-Vermarkter im Mobile-Segment haben wir eine ganz andere Orientierung und Vermarktungsstrategie als Google oder Facebook“, sagt er. Bei Google und Facebook stünden schneller Reichweitenaufbau im Vordergrund, wegen des User-Generated-Content in sozialen Netzwerken gebe es zudem eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Umfeldqualität. „Werbungtreibende, die die Risiken von Blind-Networks oder Social-Media-Umfeldern vermeiden wollen und gleichzeitig Wert auf eine Ansprache von Premium-Zielgruppen in hochwertigen Umfeldern legen, werden weiterhin auf Qualitätsvermarkter wie G+J EMS setzen“, glaubt Schumacher. W as also können deutsche Kunden und Vermarkter von Google und Facebook lernen? Etwa, dass gute Werbung Geld und Zeit kostet. Wer als Kunde erfolgreich bei Facebook werben will, sollte bereit sein, sich damit auseinanderzusetzen: „Den Newsfeed relativ stark mit Werbung zuzudröhnen, kann nicht das probate Mittel sein. Stattdessen müssten Kreativagenturen Kampagnen ganz anders angehen“, sagt Nagel-Palomino. Dafür wollen die Kunden aber oft nicht extra zahlen, weshalb Facebook-Advertising für die meisten Agenturen noch immer ein Zuschussgeschäft ist. Lernen kann man auch von der Art, wie Werbung präsentiert wird: Als Teil des Newsfeeds oder der Suchergebnisse. „Facebook-Werbung funktioniert ein bisschen wie Werbung in Zeitschriften: Was einen nicht interessiert, kann man überblättern“, sagt Media-Experte NagelPalomino. „Solche Werbeformen wären auch auf allen anderen Plattformen möglich.“ Content Advertising, also Werbung, die als Text daherkommt, könnte auch in die mobilen Websites deutscher Anbieter integriert werden. Google entwickelt zudem speziell auf Mobile ausgerichtete Werbeformen. „Die Herausforderung für mobile Werbung ist groß“, sagt Mobile-Spezialist Merdan. „Wir haben daher neue Conversion-Formen entwickelt, wie Click to Call oder App-Download.“ Neue Werbemittel – jenseits von dem, was man vom Desktop kennt klingen erfolgversprechend. „Mobil können Daten wie der Standort genutzt werden, um die Relevanz von Werbung zu erhöhen“, sagt Merdan. „Wenn Werbung so zielgerichteter ist, weniger nervt und häufiger geklickt wird, kommt das am Ende Nutzern und Werbekunden zugute.“ Das sieht Mediaexperte NagelPalomino ähnlich: „Mobile Banner sind so attraktiv wie Pop-ups im Desktop-Bereich“, sagt er. „Der Schlüssel zum Erfolg sind Werbeformen, die zum Gerät passen.“ Solange diese gut gemacht und relevant seien, hätten die Leute kein Problem damit. Anzeige Facebook und Google dominieren deutsche Smartphones Google und Facebook in Deutschland haben deutsche Mobilgeräte erobert: Laut einer Auswertung von Comscore MobilensderDurchschnittswertefürdas2. Quartal2014ist Google die Nummer 1 unter den Apps mit knapp 30 Prozent Marktanteil, gefolgt von Whatsapp (25,4 Prozent) und Facebook (25,2 Prozent). In Deutschland nutzen 15 Millionen Menschen Facebook täglich mobil, monatlich sind es 20 Millionen. Das entspricht 77ProzentderDeutschen,dieaufFacebookangemeldetsind. Weltweit hat Facebook im 2. Quartal 2014 mehr als 62 Prozent der Anzeigenumsätze über mobile Werbung gemacht, ein Wachstum von 151 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Zur Einordnung: Die Anzeigenumsätze von Facebook lagen im 2. Quartal bei 2,68 Milliarden US-Dollar, das entspricht etwa 2,03 Milliarden Euro. 62 Prozent davon entsprechen etwa 1,2 Milliarden Euro. Google hat nach eigenen Angaben im 2. Quartal 2014 mit Werbung14,36 Milliarden US-Dollar eingenommen – wie viel davon über mobile Werbung kommt, ist nicht ausgewiesen. Laut einer Prognose von E-Marketer soll 2014 etwa ein Viertel der gesamten Werbeerlöse von Google aus Werbung aus mobilenSuchanfragenstammen,weitere6Prozentausmobilen Display-Anzeigen. IndenRankingsderAgofMobileFacts2014-ItauchenGoogle und Facebook nicht auf – beide Unternehmen sind keine Mitglieder der Agof. Stattdessen führen hier die Vermarkter G+J EMS, Interactive Media und Axel Springer Media Impact (Asmi) das Ranking an. Reichweitenstärkste Apps sind Wetter.com (Reichweite 8,1 Prozent), TV Spielfilm (8,0 Prozent) und Web.de (7,5 Prozent). Die mobilen Websites mit den meisten Nutzern sind Gute Frage (20,9 Prozent), Bild.de (15 Prozent) und T-Online (12,1 Prozent). 4. September 2014 HORIZONT 36/2014 4. September 2014 REPORT DIGITAL-MARKETING 45 „Alles und noch mehr“ BVDW-Vizepräsident Achim Himmelreich über neue Kommunikationsmöglichkeiten im Internet der Dinge Intelligente Kopfhörer, die auf winzigstem Raum Platz für über 1000 Songtitel bieten, komplett ohne Kabel auskommen und zudem mithilfe hochempfindlicher Sensoren Bio-Daten sammeln und auswerten – klingt nach Zukunftsmusik, ist es aber nicht mehr. Das Münchener Unternehmen Bragi hat in diesem Jahr seine futuristisch erscheinenden Headphones namens „The Dash“ auf den Markt gebracht, nachdem in einer Kickstarter-Kampagne fast 3,4 Millionen US-Dollar von Investoren gesammelt wurden. „The Dash“ ist ausgestattet mit einem Beschleunigungssensor, Thermometer und optischen Sensoren, um so etwa Schrittfrequenz, Körpertemperatur und Geschwindigkeit zu messen. Die Werte werden dem Sportler in Echtzeit direkt ins Ohr gesprochen. Zudem dienen die intelligenten Kopfhörer auch als Kommunikationstool, mit dem etwa Headset-Gespräche möglich sind. Von Giuseppe Rondinella D er Diplom-Kaufmann Achim Himmelreich ist Partner beim Beratungsunternehmen Mücke, Sturm & Company und seit 2013 Vizepräsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW). Er ist sich sicher, dass das Internet der Dinge ein relevanter Kanal für Werbung und E-Commerce sein kann. Den Begriff „Werbung“ müsse man dann aber neu definieren. Autos, Lampen, Kühlschränke – viele Alltags-Gegenstände sind mittlerweile mit dem Internet verbunden. Was ist für Sie derzeit konkret das heißeste Thema in puncto Internet der Dinge? Das heißeste Thema ist derzeit sicherlich das Auto, wo das Internet der Dinge ja den ganzen Markt verändert, indem es ganz neue Player und Wertschöpfungsketten schafft. Aber Auto wird bald vom Thema Gesundheit, genauer personalisierte Medizin, überholt. Intelligente Fitnessarmbänder sind ja schon lange auf dem Markt – jetzt gibt es bereits Spezialanwendungen für Diabetiker, die den Blutzucker messen, und die dazugehörige App, die gegebenenfalls Alarm auslöst oder Hinweise gibt, wie und wann gespritzt werden muss. Wenn die ganzen persönlichen Gesundheitsdaten zentral gespeichert und durch Wearables kontrolliert werden, ergeben sich völlig neue Kommunikationsmöglichkeiten, sei es der schnellste Weg zum nächsten Arzt, zur nächsten Apotheke oder Informationen zur Medikation. Im Bereich der personalisierten Medizin, glaube ich, wird in der nächsten Zeit, allein wegen des Kostendrucks, viel passieren. Bleiben wir bei den erwähnten Fitnessarmbändern, mit denen etwa passgenaue Gesundheitstipps in Echtzeit möglich sind. Welche weiteren Dialogmöglichkeiten zwischen Unternehmen und Kunden sind im Internet der Dinge vorstellbar? Das „Fuel“-Armband von Nike ist ein gutes Beispiel. Durch solche Gegenstände wird nicht zwangsläufig häufiger kommuniziert zwischen Unternehmen und Kunden – der Kunde ist mit Interaktionen ohnehin schon übersättigt. Das alte Marketingmodell ist ja folgendes: Das Unternehmen analysiert die Zielgruppe und streut die Kommunikation über verschiedene Kanäle aus, in der Hoffnung, dass man den Konsumenten irgendwie erreicht. Der Kunde will aber relevante Kommunikation, also solche, die im Hier und Jetzt für ihn wichtig ist – und das kann das Internet der Dinge schaffen. Wie könnte das konkret aussehen? Konkret kann das so aussehen: Das Nike- Fitnessarmband wertet aus, welche Trainingsfehler ich beim Joggen mache und gibt mir Ratschläge, wie ich den Halbmarathon erfolgreich absolvieren kann. Wenn Nike dann noch mein Körpergewicht kennt und weiß, welche Schuhe ich trage, kann man mir etwa spezielle Einlagen empfehlen. Das ist nur möglich durch meine persönlichen Daten. Das bringt uns zum Thema E-Commerce. Welchen Einfluss hat das Internet der Dinge auf diesen Bereich? Einen großen. Es ist sehr viel glaubwürdiger, wenn ein Unternehmen mir ein Kaufangebot macht, das auf meine persönlichen Performance-Daten zurückzuführen ist. E-Commerce-Anwendungen in der Breite gibt es derzeit jedoch noch nicht. Ich weiß, dass Nike und Co daran basteln und auf kleineren Pilot-Märkten Tests durchführen, sodass ich davon ausgehe, dass wir spätestens im ersten Halbjahr 2015 erste E-Commerce-Anwendungen sehen werden. Zuerst in den USA und dann über England und Skandinavien nach Deutschland. Aber wird das die Nutzerschaft denn annehmen? Da wird sich wieder die Spreu vom Weizen trennen. Einige Unternehmen werden sicherlich diesen neuen Kanal zum Konsumenten nutzen, um Push-Botschaften zu senden, die den Konsumenten nerven – „annoying“, wie die Amerikaner gern sagen. Und dann werden die Konsumenten die App einfach ausschalten und nicht mehr nutzen. Einige Unternehmen werden aber Relevanz produzieren können, was natürlich sehr viel aufwendiger ist, Stichwort Big Data. Personen- oder Bewegungsdaten – die muss man natürlich beherrschen und auch auf smarte Weise auswerten können. Nun bieten sich gerade bei Wearables durch die Lokalisierungsfunktion und die Daten aus dem Quantified-selfTrend neue Marketingmöglichkeiten wie etwa Bio-Targeting. Andererseits liegt auch Datenschutz derzeit im Trend. Ein Widerspruch? Den Widerspruch halten wir schon lange aus. Auf der einen Seite landen Geschich- ten über gestohlene Kreditkartendaten sofort auf Seite 1 der „Bild“-Zeitung und lösen eine Datenschutzdebatte aus. Auf der anderen Seite posten Millionen Leute auf Facebook Dinge, die man nicht unbedingt preisgeben sollte. Das ist grundsätzlich keine neue Diskussion, sie wird aber durch das Internet der Dinge um eine weitere Facette bereichert werden. Mit Wearables wird es ein paar neue Anekdoten in puncto Datenschutz geben, die weiter in den persönlichen Bereich gehen, das ist zu erwarten. Aber es ist keine grundsätzlich neue Diskussion. Kann das Internet der Dinge in Zukunft ein Werbekanal für Drittanbieter sein? Wie muss Werbung dann konkret aussehen? Werbung ist genau der Begriff, den man dann neu definieren muss. Werbung in der alten Welt heißt Push-Werbung, sprich, ich mache einen intelligenten Spot oder eine kreative Anzeige. Im Internet der Dinge hat Werbung jedoch eine andere Grundlage, nämlich personalisierte Daten. Und das ist eine neue Form von Werbung und vielleicht braucht man dann auch einen anderen Begriff dafür. Sicher ist: Werbung wird im Internet der Dinge intelligenter, zurückhaltender, relevanter, datenbasierter und weniger bunt. Aber minimiert das meist kleine Display gerade bei Wearables nicht den kreativen Spielraum für Werbebotschaften? Oder schafft es womöglich neue Inszenierungsansätze? Alles und noch mehr. Die ganze mobile Werbung hat ja daran gekrankt, dass man mit dem Display räumlich etwas beschränkt ist. Aber die Not machte damals erfinderisch und man fing an, mit anderen Formaten zu experimentieren. Ich glaube, dass Mobile zukünftig nicht nur Mobile solo bleiben wird, sondern, dass die Kanäle miteinander vernetzt werden. Das mobile Gerät sammelt zwar alle Daten, aber wenn ich am Notebook, Tablet oder am TV sitze, werden die Informationen, die mobil gespeichert worden sind, auch auf den anderen Displays verwertet werden. Dann wird es keine Restriktionen mehr geben. „Durchstrecken bitte!“ Für Dauersitzer mit Rückenproblemen hat ein Team aus den USA den Hightech-Gürtel „Lumoback“ entwickelt, der den Träger via Vibrationen ermahnt, gerade zu sitzen. Das Gerät, das um die Taille getragen wird, erfasst in Echtzeit, ob der Rücken ungünstig belastet wird – egal ob im Stehen, Sitzen oder Liegen – und gibt über eine dazugehörige App gar visuelles Feedback. In der App werden die Haltungsschwächen aufgelistet und in einem Kalender abgespeichert. Anzeige 46 REPORT DIGITAL-MARKETING HORIZONT 36/2014 4. September 2014 Dorf der digitalen Ideen Im ersten Dmexco-Start-up-Village präsentieren sich 18 Gründer – HORIZONT stellt eine Auswahl vor E Von Anja Sturm s tut sich was in der deutschen Start-up-Szene – wenn auch im internationalen Vergleich nach wie vor auf eher niedrigem Niveau: Rund 868000 Neugründer (davon 562000 Nebenerwerb) gab es laut aktuellem KfW-Gründungsmonitor 2013 in Deutschland. Das sind 93000 mehr als im Jahr zuvor. Auch die Quote externer Finanzierung ist gestiegen: Von den knapp 10 Milliarden Euro, die laut KfW 2013 eingesetzt wurden, stammen 52 Prozent von externen Investoren, 2012 lag die Quote nur bei 31 Prozent. Dennoch bleibe die Finanzierung „weiter die entscheidende Hürde für deutsche Start-ups“, warnt Peter Lennartz, Partner der Unternehmensberatung Ernst & Young, die im April das Start-upBarometer 2014 vorgelegt hat. „Wenn sich die Finanzierungsbedingungen für Startups nicht massiv verbessern, dürften durchgreifende Markterfolge deutscher Bruker for Friends (B4Friends) www.b4friends.com Gründung: 2011 Management: Ute Bruker, CEO & Inhaberin B4Friends ist eine Spezialagentur für Crowd Gaming & Audience Participation. Über eine skalierbare und universell einsetzbare digitale Interaktions-Plattform greifen Menschen mit ihren Körperbewegungen, Geräuschen und eigenen Mobile Devices live in das Geschehen ein. Zuschauer steuern Games und andere Anwendungen auf Großdisplays wie Kinoleinwänden und Videowalls und werden so zum kabellosen, mobilen Joystick. B4Friends spricht von „vielfältigen Einsatzmöglichkeiten“ im Branded Entertainment und Info/Edutainment-Bereich. Laut dem Start-up mit Sitz in Freiburg liegt der Fokus auf Marketing- und PR-Events mit großem Publikum wie Festivals, Roadshows oder Kino. „Wir setzen auf ein einzigartiges, multimodales Interaktionskonzept mit beliebiger Kombinationsmöglichkeit der Bewegungs-, Geräusch- und MobileSteuerungsmodule“, so Gründerin Ute Bruker. Insgesamt war die Interaktions-Plattform bereits für 14 Brands mit Publikumsgrößen von sechs bis 60000 Personen in sechs Ländern im Einsatz. Reach Ad www.reachad.de Gründung: 2013 Management: CEO Karl Ott, CFO Daniel Ott Reach Ad ist eine Onlinemarketing-Agentur mit Sitz in München, die spezialisiert ist auf Display Advertising, E-Mail-Marketing und Mobile Marketing. Reach Ad versteht sich als Fullservice-Agentur und hat laut eigenen Angaben „Zugriff auf ein konkurrenzlos großes Netzwerk mit 100 Prozent geprüften Permission-Werbekontakten“. Danach greift das Start-up im Bereich Ad-Network auf 3,2 Milliarden Ad Impressions pro Monat zu; im Bereich E-Mail sollen es 25 Millionen Page Impressions in Deutschland sowie weltweit über 250 Millionen Kontakte sein. Das Performance-Network soll mehr als 10000 Publisher umfassen. Das dritte Netzwerk ist das MobileNetwork. Hier will Reach Ad allein in Deutschland auf 30 Millionen Unique User und mehr als 582 Millionen Ad Impressions pro Monat kommen. Projektweise gearbeitet hat Reach Ad bereits unter anderem für Vodafone, Senseo, Playstation 4 und Cisco. Die Agentur wächst, Ende September soll neben München ein zweiter Standort in Frankfurt eröffnet werden. Start-ups – gerade im Vergleich zu den USA – weiter die Ausnahme bleiben“, so Lennartz. Software dominiert Da macht es Sinn, dass sich der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) des Themas gezielt annimmt. Zumal ein beträchtlicher Teil der Start-up-Szene im Digitalen zuhause ist: Von den 151 von Ernst & Young befragten deutschen Startups gehören 25 Prozent zur Software- Clip Villa Branche, 24 Prozent zum E-Commerce und 12 Prozent zu Advertising & Marketing. Um diese Szene zu unterstützen, hat der BVDW nach einem ersten Start-upForum auf der Dmexco 2013 jetzt gemeinsam mit der Messe eine Start-upInitiative gegründet, die mehrere Bausteine umfasst. Unter anderem will der Verband den Wissens- und Erfahrungsaustausch der Start-ups untereinander und mit etablierten Größen der Digitalbranche fördern, er will den jungen Unternehmen Video-Commerce www.clipvilla.com Gründung: 2012 Management: Jens Neumann und Jens Eckhoff, beide Geschäftsführer und Gesellschafter Clip Villa bietet nach eigener Auskunft „kreative, moderne und einzigartige Online-Videolösungen mit eigener Video-Technologie“. Das Bremer Start-up sieht sich als Spezialist für den Videoeinsatz im Internet. Mithilfe der Clip-Villa-Technologie soll nicht nur die zeitnahe und kostengünstige Produktion von Videos mit dem Clip-Villa-VideoWebeditor möglich sein. Die Technologie lasse sich zudem per API an jegliche CMS, Shopsysteme und Webportale ankoppeln. So könnten Videos automatisiert und in großen Mengen erstellt werden. Zur Dmexco 2014 zeigt Clip Villa eine neue Video Extension für das Shopsystem Magento, das von mehr als 200000 Shops weltweit genutzt werden kann. Seit März 2013 sind mehr als 15000 Videos auf Clipvilla.com erstellt worden, darunter für Henkel, TÜV Süd, Milka und Flyline. Gründer Jens Neumann: „Einer unserer USPs ist die Beratung für den richtigen Einsatz von Video und die Planung. Wenn es keine Idee oder keinen Sinn ergibt, für ein Unternehmen eine Videokampagne mit Clip Villa zu erstellen, dann kommunizieren wir dies offen und ehrlich gegenüber dem Kunden.“ Pay with a Tweet www.paywithatweet.com Gründung: Idee 2010; ausgegründet als SaaSUnternehmen 2014 Management: CEO Anna Abraham, COO Caspar Fischer-Zernin Pay with a Tweet wurde 2010 von Leif Abraham und Christian Behrendt in New York gegründet. 2014 startete die Firma in Hamburg als SaaS-Unternehmen (Software as a Service). Pay with a Tweet ist ein sozialer Bezahldienst, bei dem Publisher Reichweite für ihren digitalen Content generieren können. Der Dienst fungiert als virale Paywall zwischen Usern und Content-Angeboten. Die Philosophie des Hamburger Start-ups: „Don’t give your content away for free – Give it away for a social post and create your own viral reach!“ Das Social Payment Tool ist weltweit in neun Sprachen und für die sechs größten Social Networks verfügbar. Dank neuer Features können Publisher, Agenturen und Unternehmen das Design ihrer viralen Kampagnen personalisieren und im Look ihrer Marke gestalten. Ein Statistiktool soll zudem eine präzise Erfolgsmessung ermöglichen. Kampagnen mit Pay with a Tweet bereits umgesetzt haben unter anderem Yahoo TV, Kerrang Magazine und Gameforge. CEO Anna Abraham hat Großes vor: „Als Erfinder der Social Paywall wollen wir in den nächsten Jahren der globale Anbieter von Social Currency Marketing sein.“ der Branche eine politische Lobby bieten – und er gibt ihnen auch 2014 wieder eine Bühne auf der Dmexco. Am Tag vor der Kongressmesse wird es erneut ein separates Start-up-Forum geben, auf der Veranstaltung selbst feiert das Start-up-Village Premiere. Hier präsentieren sich insgesamt 18 Gründer: Adsquare, Autograph, Bruker for Friends, Cleoo, Clip Villa, Conversion Boosting, Cooler Cash, D+S360°Webservice, Datorama, Future Candy, HQ Labs, Pad Cloud, PaywithaTweet, Pixalate, Reach Ad und TV Smiles. TV Smiles www.tvsmiles.de Gründung: 2013 Management: CEO Frederic Westerberg, CSO Christian Heins, CTO Gaylord Zach TV Smiles ist ein Bonusprogramm, das TV-Zuschauer über eine Mobile App fürs Werbung-Schauen belohnt. Das Berliner Start-up, Gewinner beim Dmexco Start-up-Wettbewerb 2014, will Werbungtreibenden Dialogmarketing und Zuschauer-Interaktion direkt aus dem TV-Spot ermöglichen und so die Lücke schließen zwischen TV-Werbung, digitalem Marketing und Point-of-Sale. Mit TV Smiles können Zuschauern weiterführende Produktinformationen, Gewinnspiele, Produktproben oder eine direkte Kaufmöglichkeit angeboten werden. Seit 2013 kam die Mobile App bereits auf über 1,3 Millionen Downloads, 350000 Unique User im Monat und bis zu 130000 User täglich. Beim Gründerszene-Award 2014 gewann TV Smiles den 1. Platz beim Publikumspreis und den 2. Platz beim Jurypreis. Und die Berliner wollen wachsen: Im 4. Quartal 2014 ist die Expansion nach Österreich geplant, ab 2015 sollen englischsprachige internationale Märkte angegangen werden. HQ Labs www.hqlabs.de Gründung: 2012 Management: Nils Czernig, Tobias Hagenau, Lucas Bauche Mit HQ Simplified Business bietet das Hamburger Start-up HQ Labs eine modulare Unternehmenssoftware im SaaS-Modell (Software as a Service). Zu den Funktionen zählen Projekt- und Portfoliomanagement, Planung und Controlling, CRM und Mitarbeiterverwaltung. Laut HQ Lab „meistert die Software den Spagat zwischen vollständiger Geschäftstauglichkeit und der Einfachheit einer App“. Die Software ist individualisierbar, verfügt über Schnittstellen zu bestehenden Systemen, die Daten werden in deutschen Rechenzentren verarbeitet und die Anwender durch einen umfangreichen und persönlichen Support unterstützt. Im Fokus stehen mittelständische Industriebetriebe, Agenturen und Beratungen sowie weitere Unternehmen und Abteilungen mit projektartiger Arbeit. HQ Labs hat nach eigenen Angaben mehr als 20 Mitarbeiter und 55 Kunden, darunter Thjnk und LBBW. Anfang 2014 hat HQ Labs den 2. Platz des Innovationspreises IT der Initiative Mittelstand in der Kategorie On-Demand gewonnen.