Luzern: NORMA, 17.03.2016

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Luzern: NORMA, 17.03.2016
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Tragische Oper in zwei Akten | Musik: Vincenzo Bellini | Libretto: Felice Romani |
Uraufführung: 26. Dezember 1831 in Mailand | Aufführungen in Luzern: 12.3. | 17.3. |
26.3. | 30.3. | 3.4. | 8.4. | 10.4. | 3.5. | 16.5. | 21.5. | 24.5. | 26.5. | 2.6. | 5.6. | 10.6.2016
Kritik:
„Ein Wunder, ein Wunder, der Mensch braucht Wunder!“ flüstern
Stimmen über Lautsprecher durch den dunklen Saal des Luzerner
Theaters, bevor Howard Arman den Taktstock zur Ouvertüre von
Bellinis NORMA hebt. Der Interpretationsansatz der Regisseurin
Nadja Loschky ist durchaus spannend: Symbolbeladene
Videoprojektionen (Astrid Steiner und Florian Tanzer zeichnen
dafür verantwortlich) flimmern zu den wuchtigen ersten Takten über
die riesige Leinwand des Zwischenvorhanges, der sich dann auch
gleich hebt und den Blick auf eine Inszenierung in der Inszenierung
copyright: Tanja Dorendorf T+T Fotografie, mit
freundlicher Genehmigung Theater Luzern
frei gibt: Oroveso probt mit Norma einen Auftritt, missbraucht seine
priesterliche Tochter als Medium der Manipulierung der Massen,
indem sie als okkultes Vogelwesen die hermetisch abgeschlossen
lebende Sekte dieser einem schwer durchschaubaren Rabenkult
huldigenden „Druiden“ beeinflussen soll. Ja die Raben, sie prägen
die Inszenierung von Nadja Loschky den ganzen Abend hindurch,
als Unglücksraben schweben sie immer wieder in Schwärmen über
die Leinwand, mutieren, verlieren Federn, breiten ihre Schwingen
aus. Doch auch auf der Bühne werden sie vom Oberguru Oroveso
gerupft, geschlachtet, an Fleischerhaken gehängt. Die
sagenumwobenen, hoch intelligenten Vögel verkörpern Tod, Unheil,
Zerstörung, stellen sowohl in heidnischen als auch
monotheistischen Religionen Brücken zu dem Geist schwer
zugänglichen Sphären dar, sowohl den hellen, aber vor allem auch
den dunkeln. Doch spätestens seit der Aufklärung und Kant („als
die Menschen den Mut hatten, sich ihres Verstandes ohne Leitung
durch jemand anderen zu bedienen“) sollten wir eigentlich über
diese Art der Manipulation und des Okkultismus erhaben sein. Nicht
so die Anhänger von Orovesos Glaubensgemeinschaft: Sie brauchen einen „Führer“, sie hängen an den okkulten
Riten – und so wird parallel zu Normas Tod auf dem brennenden Holzgerüst dann auch gleich Adalgisa als neue
Vogelpriesterin installiert. Nadja Loschky gelingt eine intensive, starke Personenführung, vor allem in den
intimeren Momenten der Oper. Diese Momente lassen auch das hässliche Bühnenbild (Daniela Kerck hat einen
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Rohbau aus unbehandelten Holzspanplatten auf die Bühne gestellt) vergessen. Gabriele Jaenecke arbeitet bei
den zeitlich nicht so genau zu verortnenden Kostümen mit schwarz­weiss Kontrasten. Oroveso tritt im
Schlabberpulli, Combathosen und mit Springerstiefeln auf, Normas weisses Kleid geht gegen unten in schwarzen
Tüll über, in den „häuslichen“ Szenen trägt sie einen schwarzen Rock und eine weisse Bluse. Auch Adalgisas
züchtiges, wadenlanges Kleid lebt vom schwarz­weiss Kontrast. Die Römer Pollione und Flavio treten in
schwarzen, goldbestickten Uniformen auf. Interessant ist das maskuline Outfit der Gouvernante Clotilde: Sie
scheint für die vaterlos aufwachsenden Kinder (sehr gut dargestellt von Jannis Piekarek und Jannis Rubin) den
Vaterersatz darzustellen. So weist die Inszenierung viele sorgfältig herausgearbeitete Details auf (Flavios
Gefangennahme, seine Folter durch die Druidinnen, Adalgisas erregtes Beben bei der Sexszene mit Pollione,
Normas wechselhafte Beziehung mit ihren „illegalen“ Kindern – ganz stark am Ende des ersten Aktes umgesetzt ­,
das schon beinahe veristische Psychodrama im Terzett, Adalgisas gequälte Flucht aufs Gerüst), und doch mag
diese Norma nicht wirklich zu berühren. Zu viel aufgeputschte, äusserliche Affekte stehen in deutlichem
Widerspruch zu der beseelten Empfindsamkeit von Bellinis Kantilenen. Man folgt der gezeigten Handlung zwar
gebannt, sie ist vor allem dank den schauspielerischen Fähigkeiten von Marie­Luise Dressen als Adalgisa und
Morenike Fadayomi als Norma durchaus spannend umgesetzt – und lässt doch etwas kalt. Morenike Fadayomi
ist relativ kurzfristig in die Produktion eingestiegen, weil die vorgesehene Sängerin aus gesundheitlichen Gründen
kurz vor der Premiere aussteigen musste. Ihr gelingt eine sehr gute, eindringliche Interpretation dieser reifen, um
die Liebe ihres Lebens betrogenen Frau, zerrissen zwischen den Ansprüchen der Glaubensgemeinschaft, der sie
als Priesterin angehört und dem individuellen Streben nach Liebesglück. Stimmlich wartet sie zu Beginn mit etwas
viel Vibrato auf, bekundet auch einige Schwierigkeiten im passaggio, dem Wechsel der Register. Auch rutscht die
Stimme ab und an etwas stark in den Gaumen. Erstaunlicherweise sind diese Probleme in den ausladenden
Duetten mit Adalgisa wie weggeweht, da blüht die Stimme sehr schön auf, zeigt viele Farben, expressive
Verzierungen. Marie­Luise Dressen singt eine kraftvolle, über ein ausgeglichenes Timbre und grossartige
Höhensicherheit verfügende Rivalin und Freundin Adalgisa. Ihre jugendlich­naive Emphase passt ausgezeichnet
zu der Rolle. Carlo Jung­Heyk Cho stattet den römischen Macho Pollione mit kraftvollen (manchmal auch mit zu
starkem Druck gesungenen) Tönen aus. Darstellerisch wirkt er etwas steif und eindimensional. Flurin Caduff
singt einen exzellenten Oroveso, mit sonoren, balsamischen Kantilenen seine Anhänger manipulierend. Luxuriös
die Besetzung der kleinen Rolle des Flavio durch Robert Maszl: Welch eine wunderbare Stimme ist da zu hören
in seiner Unterhaltung mit Pollione und der grandiosen Ankündigung von Normas erstem Auftritt. Annina Haug
hat als Clotilde zwei starke Auftritte.
Howard Arman peitscht das Luzerner Sinfonieorchester mit Verve, zügigen Tempi und viel protziger Kraft durch
den knapp dreistündigen Abend. Subtilere Zwischentöne, feingesponnene Begleitfiguren sind an diesem Abend
seine Sache nicht. So wirkt Bellinis Klangsprache noch pauschaler, als sie es eigentlich verdient hätte. Am Ende
hört man wieder die flüsternden Stimmen aus dem Off, die das „Wunder“ versprechen – es hat sich musikalisch
und szenisch stellenweise ­ aber nicht restlos ­ eingestellt.
Persönliche Anmerkung:
Bellinis NORMA hatte am vergangenen Samstag sowohl in St.Gallen als auch in Luzern Premiere. Die
Versuchung bestand, die beiden Aufführungen und die InterpretInnen direkt miteinander zu vergleichen. Darauf
habe ich nun bewusst verzichtet und mich bemüht, beide unabhängig voneinander zu würdigen und es den
geneigten LeserInnen zu überlassen, aus meinen Eindrücken (oder noch besser anlässlich eines Besuchs der
beiden Aufführungen!) ein Fazit zu ziehen.
Inhalt:
Die gallische Druidenpriesterin Norma hat heimlich ein Verhältnis mit dem Anführer der römischen Besatzer,
Pollione, mit dem sie auch bereits zwei gemeinsame Kinder hat. Pollione ist ihrer aber längst überdrüssig
geworden und hat mit der Novizin und Vertrauten Normas, Adalgisa, angebandelt. Die Gallier erwarten von der
Priesterin, dass sie zum Kampf gegen die Römer aufruft. Doch Norma interpretiert die Göttin Irminsul so, dass die
Zeit dafür noch nicht reif sei. Am ende des ersten Aktes kommt es auf privater Ebene zum Showdown: Norma
erfährt vom Verhältinis ihres Geliebten mit Adalgisa und schwört Rache. Dazu will sie ihre Kinder töten (gleich
einer Medea). Doch die Mutterliebe siegt hier, im Gegensatz zur griechischen Tragödie. Stattdessen will sie, dass
Adalgisa zusammen mit Pollione und den Kindern nach Rom flüchtet. Doch Adalgisa ihrerseits will Norma und
Pollione wieder vereinen. Pollione lehnt dies ab. Norma gibt das Zeichen zum Kampf gegen die Römer, Pollione
wird gefangengenommen. Noch immer weigert sich Pollione, Adalgisa zu entsagen. Norma lässt einen
Scheiterhaufen errichten, auf dem eine Priesterin verbrannt werden soll, die das Keuschheitsgelübde gebrochen
habe. Als sie nach dem Namen der Sünderin gefragt wird, nennt sie ihren eigenen Namen, vertraut ihre Kinder
dem Schutz des Oberpriesters (und ihres Vaters) Oroveso an und schreitet in den Verbrennungstod. Überwältigt
von soviel Grossmut und Entsagung folgt ihr Pollione.
Werk:
Vincenzo Bellini wurde nur 34 Jahre alt. Von seinen zehn Bühnenwerken werden sechs mehr oder weniger
regelmässig gespielt. Die bekanntesten neben der NORMA sind I PURITANI, LA SONNAMBULA, I CAPULETI E I
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MONTECCHI, BEATRICE DI TENDA und IL PIRATA. Bellini gilt als Schöpfer der „Melodie lungh, lunghe, lunghe“
wie Verdi sie nannte. Die Orchesterbesetzung ist z.B. gegenüber Rossini zurückgenommen, um den
Gesangslinien und den Texten mehr Gewicht zu geben. NORMA, sein berühmtestes Werk, enthält Elemente der
Schauerromatik und des griechischen Dramas. Die Hauptpartie gehört zu den schwierigsten des gesamten
Belcanto Repertoires, erfordert sie doch sowohl dramatische Durchschlagskraft als auch die Kunstfertigkeit der
geläufigen Verzierungen und ausgesprochen empfindsam zu singenden, langen Kantilenen. Die Partie gilt seit
Giuditta Pasta (Sängerin der Uraufführung) und Maria Malibran als DIE Primadonnen­Oper schlechthin. Maria
Callas setzte im 20. Jahrhundert diese Tradition fort, gefolgt von Joan Sutherland, Renata Scotto, Montserrat
Caballé, Margaret Price, Mariella Devia und Edita Gruberova. Aber auch die Partie der Gegenspielerin Adalgisa
ist äusserst dankbar – und wenn die beiden Frauen mit hervorragenden Stimmen besetzt sind, ist Gänsehaut
garantiert.
Von NORMA existiert auch eine quellenkritische Neuausgabe (Maurizio Biondi und Riccardo Minasi), welche von
Cecilia Bartoli in Salzburg (mit ihr in der Titelpartie) vorgestellt wurde. Diese hochgelobte Produktion war auch in
Zürich zu sehen und wird in Monte Carlo gastieren. Es scheint also auch möglich, die Norma mit einem
Mezzosopran und die Adalgisa mit einem leichten sopran zu besetzen. Durchgesetzt hat sich diese "Urfassung"
noch nicht.
Musikalische Höhepunkte:
Casta diva, Cavatine der Norma, Akt I
Oh, rimembranza, Norma­Adalgisa, Akt I
No, non tremare, o perfido, Terzett Norma­Adalgisa­Pollione, Akt I
Mira o Norma, Duett Norma­Adalgisa, Akt II
In mia man alfin tu sei, Duett Norma­Pollione, Akt II
Deh, non volerli vittime, Finale Akt II
Karten
Für oper­aktuell: Kaspar Sannemann, den 17. März 2016 Gelesen: 207
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