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USA
LAFAYETTE
Star City
Lebendig und liebenswert, urig und unterschätzt: Lafayette ist anders. Allerdings
offenbaren sich viele Reize der 80 000 -Einwohner-Stadt im Mittleren Westen der USA
erst bei genauem Hinsehen. Ein Rundgang mit besonderen Einblicken.
Text: Michael Thiem; Illustration: weandme.com; Fotos: Laurent Burst
W
er kennt Duane Purvis? In Lafayette
hat man den Footballspieler zum
Essen gern. Im „Triple XXX Family
Restaurant“ steht sein Name auf der Speise­
karte neben denen vieler anderer lokaler Sport­
größen. Im bekanntesten Diner der Stadt
werden sie zu leckeren Legenden. Mit einem
Raumgewinn auf dem Spielfeld von 1802 Yard,
fast 1650 Metern, hielt Purvis mehr als 30 Jah­
re den Rekord der örtlichen Purdue University.
Verewigt wird diese einmalige Karriereleis­
tung des 1989 verstorbenen Athleten in
Gestalt des Burgers „The Duane Purvis AllAmerican“. Ein ungewöhnlicher Leckerbissen
mit Erdnuss­
butter-Zusatz für 7, 85 Dollar.
„Wenn man hier isst, muss man den einfach
probieren“, meint Ron Hancock. Der 65-Jäh­
rige besuchte schon als kleiner Junge das
markante, schwarz-orange gestreifte Gebäu­
de von 1931 in der Salisbury Street. Heute
arbeitet er bei Wörwag im Entwicklunglabor.
Wer mit Hancock durch Lafayette fährt,
begibt sich auf eine Zeitreise. Was auf den
ersten Blick nach Retrodesign aussieht, er­
weist sich oft als Original. Lafayette war noch
nie anders. Diners wie das „Triple XXX“ waren
schon immer so. Auch an anderen Ecken
scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, etwa
am Szenetreff „Original Frozen Custards“ ,
dessen Eiskrem seit 1932 nicht nur Hancocks
Generation begeistert.
Das moderne Lafayette hat ebenfalls
Charme. Zum Pflichtprogramm gehört ein Ab­
stecher zur Lafayette Brewing Company
in
der Main Street. Zehn Biersorten werden hier
seit 1993 gebraut, jede mit einer ganz eigenen
Note. In das beliebte „Tippecanoe Common
Ale“ zum Beispiel kommt Amarillohopfen, der
nur auf einer einzigen Farm im Bundesstaat
Washington wächst. Ihm verdankt das Bier
seinen fruchtigen Geschmack.
Willkommen in Lafayette im US-Bundes­
staat Indiana. 100 Kilometer nordwestlich
von Indianapolis, rund 200 Kilometer südlich
von Chicago. Mit der Schwesterstadt West
Lafayette verschmilzt es zu Greater Lafayette,
das 80 000 Einwohner zählt. Dazwischen
liegt der Wabash River, der vor allem dem
Zentrum Attraktivität verleiht und das Ambi­
ente zahlreicher Musik- und Kulturfeste bil­
det. Die Kleinstadt geizt nicht mit ihren
Reizen. In den Außenbezirken mag sie eine
amerikanische Stadt wie jede andere sein: ➜
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USA
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LAFAYETTE
1825 gegründet
80 000 Einwohner
US-Bundesstaat Indiana
www.lafayette.in.gov
liegt in einem typi­
Das Wörwag-Werk
schen Industriegebiet entlang der Kossuth
Street mit Einkaufszentren, Motels, Tankstellen
und Fast-Food-Restaurants. Den historischen
Kern hingegen prägen viktorianische Gebäu­
de, urige Geschäfte und die lokale Kunst­
mit der
szene. Das alte Gerichtsgebäude
markanten Kuppel ziert die Innenstadt eben­
so wie die vielen Bars, Kneipen und Restau­
rants. Axl Rose, Sänger der Rockband Guns
N' Roses, wurde in Lafayette geboren. Auf
eigene Art markant ist auch Bernadettes
Barber Shop , in dem man(n) sich für fünf
Dollar den Bart stutzen lässt. Mehr als die
Damen- und Herrenschnitte, mit denen Kate
Sweeney und Kristen Rupp ihre Kundschaft
verschönern, fasziniert das Interieur zwi­
schen Kitsch und Kunst an Wänden und beim
Mobiliar. Amerika pur.
Großen Einfluss auf die Atmosphäre der
Stadt haben die insgesamt 40 000 Studen­
ten, allein 8000 davon kommen aus 120 Län­
dern. In den Ingenieurwissenschaften, spezi­
ell der Luft- und Raumfahrttechnik, gehört
zu den renommier­
die Purdue University
testen Hochschulen des Landes. Mit Neil
Armstrong und Eugene Cernan zählt sie den
ersten und den vorläufig letzten Menschen
auf dem Mond zu ihren Absolventen. Lafayette ist extrem sportbegeistert. Im CollegeFootball füllen die „Boilermakers“, so der
Spitzname der Unimannschaft, das 60 000
Besucher fassende Ross-Ade-Stadion.
Die
Heimat der Basketballer ist die MackayArena mit 16 123 Plätzen.
Hancock ist
hier Stammgast.
Das gilt auch für ein ganz besonders Drivein-Geschäft: „Mary Lou Donuts“
, einem
schlichten Holzgebäude mit dreieckigem Dach.
Seit 1961 gibt es hier nichts außer Donuts in
unzähligen Varianten. Kalorienschwer, aber
unvergleichlich lecker. Highlight: SchokoDonuts mit Sahnefüllung. Vor allem samstags
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staut sich in der 4th Street der Verkehr. Nach­
vollziehbar.
Zurück zum Ausgangspunkt der Tour: Die
Speisekarte des „Triple XXX“ huldigt nicht nur
verstorbenen, sondern auch lebenden Legenden der Stadt. Das Sandwich „The Boudia“
wurde zu Ehren von David Boudia ins Menü
aufgenommen. Der Turmspringer hat 2012 in
London Olympisches Gold gewonnen. Viele
Stars und ein rätselhafter Stern. Warum
Lafayette auch „Star City“ geanannt wird,
kann nicht einmal Hancock beantworten.
Seinem Kollegen Derek Stetler lässt die Frage
keine Ruhe. Er recherchiert: Als sich Lafayette
1825 dank der Verkehrsader Wabash River
zur führenden Handelsstadt Indianas entwi­
ckelte, erhielt sie den Beinamen, der noch
heute in Form eines Sterns auf der Stadt­
n
flagge prangt.
RON HANCOCKStephen Loveen Love
arbeitet mit kurzer Unterbrechung seit
1976 im Entwicklunglabor für Egyptian
Lacquer, das 2000 von Wörwag übernommen wurde. Er wurde in Lafayette
geboren, wuchs dort auf und studierte
an der Purdue University. Der Rundgang durch seine Heimatstadt ist für
ihn daher eine besondere Herzens­
angelegenheit. „Lafayette ist ein großartiger Ort, um mit seiner Familie
und Freunden zu leben.“
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