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Dday One
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Karhu
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FbcFabric & Reindeer
LSD
V
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deadmagazine
deadon
Gratifikationsgrößen
Der Ruhm in Zeiten des Internets ist ein stillerer geworden, und die Freude über ihn scheint durch ihre Messbarkeit an Klicks, Hits und Gästebuchkommentaren oft gar nicht zu ihrem Recht zu kommen. Woran lässt er sich
denn nun festmachen, der Ruhm? Von wem will ich ihn entgegennehmen? Vielen eröffneten die neuen Netzwerke endlich das lang ersehnte Publikum, während das Publikum, jeder für sich vor dem eigenen Bildschirm,
endlich eigene Hypes um die kurzzeitigen Superstars kreiren kann.
Die Vermutung darüber, wer den eben im Stillen erstellten Text gelesen, die mühsam zusammengepuzzlte
Bildergalerie betrachtet, das nächtelang zu einem glücklichen Ende produzierte Lied gehört haben könnte, findet
schier kein Ende in einer Welt, die man wirklich zu beinflussen können glaubt. Doch eben dieser Einfluss ist es,
der das, was man früher als „Geniegedanken“ hegte und pflegte, komplett neu definierte, der die Helden auf eine
recht mittelmäßige Konfektionsgröße schrumpfen ließ. Doch wenn mein Held mir zu ähnlich ist, wozu brauche
ich ihn dann überhaupt noch? Die fiebrige Rekonstruktion von Individualität hat unzählige Doppelwesen geschaffen, die nun ihre ureigenen Idole zu sein scheinen und einander dabei doch so offensichtlich gleichen. Die
Möglichkeit, überall solche Vergleiche zu ziehen, ernüchtert und lässt erste Erfolge im Rückblick schnell schrumpfen, denn wenn 200 Menschen mein erstes Lied heruntergeladen haben, wie viele muss ich nun mit dem zehnten erst schaffen? Wenn jenes Lied schon 1000 Leute kennen, ist es dann noch ein Geheimtipp und wertvoll für
mich als Einzelnen? Wenn alle das Besondere suchen, kann es dann überhaupt gefunden werden?
Ein schönes Bild für diese zwiespältige Situation ist das Phänomen „Remix Contest“: Anhand einiger Teile eines
Songs einer bereits etablierten Band kann man sich und sein Können beweisen, schnell und effizient viele Zuhörer erreichen, und doch bleibt man zuletzt wohl meist im Schatten eines Anderen. Keine Kopie aber auch kein
Original. Eine Chance bleibt jedoch, nämlich das Original in einem neuen Licht erscheinen zu lassen, das auch
einen neuen Schatten wirft – diesmal den eigenen. Unserer Meinung nach hat der Berliner Produzent Playpad
Circus dies mit seinem Remix zu „The Mercury Craze“ von Subtle geschafft. In der Ausschreibung dafür, Mitte
letzten Jahres, teilte er sich zwar „nur“ einen zweiten Platz und „endless praise“ mit einigen weiteren Teilnehmern. Wir jedoch sehen in diesem Song einen eigenständigen Hit, der viel zu schnell in der „Ferner liefen“
Schublade verschwand. Ob ihm oder uns das zu ein wenig Ruhm verhelfen wird, entscheiden andere. Zufrieden
sind wir angesichts unserer ersten Vinyl-Veröffentlichung, der hoffentlich noch einige weitere folgen werden,
jedoch allemal.
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Subtle Popsongs für Ungötter 2–6| Looking for the
Perfect Beat: Dday One 7–9| Strange Famous Family
Business 10–13| Karhu Sinfonie für das stumpfe Schwert
15–19| DJ Scientist A Sound Exposure 20-23| Durch den
Sturm FbcFabric&Reindeer 24–26| deadpress 28–43| deadlists
LSD special 44–45| deadlists 46–47| deadus 48| deadvol 5. 49
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Popsongs...
für Ungötter
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Die bisher erschienenen 3 Studio-Alben und diversen EPs des Sextetts um den Rapper, Sänger, Performer, Art-Cutter,
usw. DoseOne gelten vielen als mit das Spannendste, was derzeit an progressiver Musik passiert. Fern aller Genres
sind Adam Drucker's markant näselnde Stimme und seine rätselhaften Texte wohl nach außen das erste, dem man als
rotem Faden durch die komplex arrangierten Songs folgen könnte. Mit ihrem neuen Album „ExitingARM“ verhält es
sich nicht viel anders: Auch wenn die Songs als solche langsam zugänglicher werden, der Gesang gegenüber gerappten und gesprochenen Passagen mehr Raum einnimmt, die Melodien auch mal ganze Songs tragen dürfen, wird man
immer noch erschlagen vom Ideenreichtum, der ihnen innewohnt. Sieht man die Stimme weiterhin als Fremdenführer an, wird man sich dabei aber auch gewahr, dass dieser in einer scheinbar wirklich fremden, immer komplexer
werdenden Sprache spricht.
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„Zumeist wenn mich ein Motiv
trifft, lasse ich es einfach
machen, erlange seine
Bedeutung erst langsam genau wie sich die gesamte
Geschichte von Yes erst langsam angehäuft hat.“
„Hour Hero Yes ist ein „modern
man“ – so unrein und fehlerhaft wie brillant, ein Held und
ein Tor (hero and fool). Die
drei Subtle Alben folgen seinem Arm und Aufstieg. „A New
White“ sind die Texte der Hülle
und des Mannes, der Yes einmal war, mit dem er sich nun
abgleichen muss.“
DEAD: In einem Interview meintest Du, dass das großartige an eurer Musik ist, dass sie eine ganze Welt in sich
birgt. Nämlich die des Protagonisten der Subtle Alben Hour Hero Yes. Kannst Du diese mal in ihren Grundzügen
erklären?
DoseOne: Hour Hero Yes ist ein „modern man“ –
so unrein und fehlerhaft wie brillant, ein Held
und ein Tor (hero and fool). Die drei Subtle
Alben folgen seinem Arm und Aufstieg. „A New
White“ sind die Texte der Hülle und des
Mannes, der Yes einmal war, mit dem er sich
nun abgleichen muss. All das findet in einem
Schlafzimmer in Oakland statt. Seine Suche
nach sich selbst wird bald intensiver, und das
Schlafzimmer beginnt zu leben. Seine Alpträume, Ängste und Phantasien werden überflutet
von Omen und Kreatur. Mit dem Ende von „A
New White“ öffnet Yes die Türe und geht – die
Angst im Rücken.
„For Hero : For Fool“ zeichnet und vertont den Weg, den er
nun in die Welt nimmt: Je mehr er seine Tage auslebt, desto epischer werden sie, während die Omen und Ahnungen überhand
nehmen, sich manchmal direkt in die wachen Tage von Yes
injezieren. Am Ende seiner Abenteuer gibt er seine Versuche mit
der Welt auf. Was übrig bleibt, ist sein großes, sein reinstes
Selbst; permanent prosaisch entscheidet sich Yes dazu, dieses
Leben zu verlassen und durch eine Türe in seinem Traum zu tauchen. Was ihm dabei verschlossen bleibt, ist, dass es aber keinen Ausweg gibt, dass Yes es grade mal geschafft hat, von einer
Gefangenschaft in die nächste zu springen.
Und hier setzt „ExitingARM“ ein: Das Album ist eine
Sammlung von Pop Songs, die Yes für die Un-Götter geschrieben hat, damit sie ihn bei sich behalten / mit denen sie ihn
bei sich behalten. www.exitingarm.com ist dazu die grafische Übersetzung seines Almanachs, den er vor den UnGöttern versteckt; eine Sammlung von Wahrheiten, aus der
er seine Texte schöpft, um eine Art subversiven Inhalt und
damit auch Ehrlichkeit in den Kern der Pop Songs zu legen,
die er gezwungen ist zu schreiben. Dieser Almanach ist wirklich, ist ein Artefakt unserer Vorstellung und gleichzeitig
deren Ausführung.
Immer bereit, dem Zuhörer noch etwas mehr zuzumuten,
hat DoseOne nun seinen ganz eigenen Versuch einer Erklärung, den „theOughtAlmanach of AmessedFact Vol.I“ herausgegeben – einen Almanach, der in 20000 Wörtern, aufgeteilt
nach den wichtigsten Begriffen der letzten Alben, die Welt von
DoseOnes Texten entschlüsseln helfen soll. Dass die Einträge
in Gedichtform und in der für ihn typischen verspielten
Sprache geschrieben wurden, verschweigt diese Beschreibung
leider.
Nun ist aber grade dies gleichzeitig das Abschreckendste und
Einladendste, was Subtle zu bieten haben: Ihre Musik, genau
wie DoseOne's Texte, soll den Hörer erschlagen, ihn überschütten mit Reizen und Eindrücken, bis er vollkommen in einer ihm
anfangs noch fremd erscheinenden Welt aufgeht. An anderer
Stelle war Dose’s Kommentar dazu, dass er die Regeln der englischen Sprache gern vergessen würde, um aus den Wörtern etwas
vollkommen neues zu erschaffen, das dem, was er zu sagen hat,
vielleicht viel näher käme.
DEAD: Nachdem das auf der letzten Tour viele Leute überfordert hat - was
sollen diese ganzen Gabeln überall?
DoseOne: Die Gabel begann für mich als das Wappentier der
amerikanischen Seele. Dann tauchte sie wieder auf als der
Schwarm, den Dept. Officer promise in der Geschichte um Hour
Hero Yes reitet. Und so fing auch ich an, sie wie während des
Songs „Middleclass Stomp“ fliegen zu lassen – und das Seltsamste trat ein: Die Leute fingen an, mir die Gabeln zum Unterschreiben zu geben, sie zu behalten; und so wurden aus ihnen
die Wappentiere des Fans.
Zumeist wenn mich ein Motiv trifft, lasse ich es einfach
machen, erlange seine Bedeutung erst langsam - genau wie sich
die gesamte Geschichte von Yes erst langsam angehäuft hat.
DEAD: Einige gehen ja auf Deine Musik mit so einer Art Abwehr-Reflex zu,
sagen: „Ach, das ist Kunst... Das kann ich eh nicht verstehen...“. Spürst Du
eine Art Drang, diesen Menschen näher zu kommen? Die Pop-Songs, die Yes
schreibt, sind ja auf mehrere Weisen eine solche Verbindung.
DoseOne: Ja, sie sind ein Versuch, mit dem Universellen in
unserem Inhalt zu kommunizieren, mit unseren Persönlichkeiten, unserer Kunst... Und diese Reaktion, die Du ansprichst, basiert, wenn man sie zuende denkt, vor allem auf
„dis-interest“ oder Apathie; sie reflektiert die Luft des Heute,
der man nicht entkommen kann, die man nicht verleugnen
kann. Und genau darum geht es auf „ExitingARM“ - die interessanten Belange unter den Desinteressierten; eine schwere
und edle Angelegenheit.
DEAD: Ihr habt ja alle sehr verschiedene musikalische
Hintergründe – bei dir und Jel war es wirklich mal
HipHop, Alexander Kort (Cello) kommt von der klassischen Musik, Jordan Dalrymple (Drums) und Marty
Dowers (Blasinstrumente) dagegen eher aus so einer
Fusion-Rock Richtung. Wie schafft ihr es, gemeinsam
Songs zu schreiben?
DoseOne: Wir improvisieren alle gemeinsam in
einem Raum, und später sitzen wir zusammen,
sortieren und suchen die stolzesten und abenteuerlichsten Momente daraus. Wir fangen
dann dort noch einmal an, bei diesen wenigen
Minuten Impro, machen ein Demo daraus, und
der Rest ist dann Feinarbeit und das langsame
Suchen nach der besonderen, manchmal sehr
komplexen Pracht und Reinheit eines jeden
Songs.
„Zumeist wenn mich ein Motiv
trifft, lasse ich es einfach
machen, erlange seine Bedeutung erst langsam – genau wie
sich die gesamte Geschichte
von Yes erst langsam angehäuft hat.“
EAD: Und wie übersetzt ihr diese Songs dann in die LiveShows, für die ihr so bekannt seid? Wie trifft sich das alles
wieder mit diesem großen Überbau, der eure Musik ja ausmachen soll?
DoseOne: Ich führe das wirklich alles zusammen - Hour Hero Yes ist ja eine eindeutige
Anspielung auf eben diese eine Stunde, die wir
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auf der Bühne sind, wenn wir für all die Andeutungen und Weiterführungen unserer Kunst
auch verantwortlich sind. It´s my favorite pokket of hot moments in life.
Wenn unsere Songs dann mal fertig sind, sitzen
wir über ihnen und entscheiden, was davon wir
live spielen werden. Dann samplen wir aus diesem
Fundus, spielen dazu, versuchen gemeinsam, die
Songs umzusetzen – wir covern uns also selbst. Allmählich komplettieren die Lieder sich dann, wenn
wir sie so durchlüften, quasi von selbst, und werden alles, was sie für uns werden sollten. Jedes auf
seine Art.
So wie der Session-Charakter der Songs das
schon andeutet, sind auch deren Texte permanent im Clinch mit der Welt, in der die sechs
Musiker leben. Wenn zum Beispiel immer wieder der „Arm“ auftaucht – wie schon im Albumtitel – verbindet sich dies auch mit dem schrekklichen Unfall, den die Band auf einer ihrer
letzten Touren hatte, und seitdem Dax Pierson
querschnittgelähmt auf einen Rollstuhl und
vielfältige Arten von Hilfe angewiesen ist. Das
Fehlen der Arme, der eingeschränkte Kontakt
nach außen, die Verbindung von Kopf und Welt
wurde seitdem mehr denn je zum tragenden
Motiv in Doses Texten. (Arm bedeutet zudem
auch Ast, Waffe, etc.)
Die Welt, die Dose nun in seinen Texten
beschreibt, befasst sich von jeher mit solchen
Verbindungen, allein schon weil sie selbst eine
solche ist: Nämlich schlicht unsere Welt in
Metaphern, und dort herrschen die zwei UnGötter Dr. MoonOrGun und Reverend Pitman,
deren Zwillingskinder, die HeadacheTwins, die
Kontrolle über das Musikfernsehen, die kommerzialisierte Welt innehaben. Was also auf den
ersten Blick schlicht konfus wirkte, beginnt mit
dem finden eines von vielen Schlüsseln (ein weiteres Leitmotiv der Platten) an Sinn zu gewinnen.
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DEAD: Siehst Du eine Möglichkeit, dass Dax jemals wieder ein Teil eures LiveSets werden wird? Ihr arbeitet ja immer noch sehr intensiv zusammen.
DoseOne: Unglücklicherweise nein. Seine Gesundheit benötigt eine weitaus stabilere Umgebung als eine Tour sie ihm
bieten könnte. Ganz zu schweigen von seinem Immunsystem,
das keine Woche in dreckigen Clubs überstehen könnte. Dazu
haben die meisten ja nicht mal eine Rollstuhlrampe.
Trotzdem ist das eines unserer Fernziele: Einmal wieder zu
sechst auf der Bühne zu stehen, vielleicht in San Francisco
oder Los Angeles. Ich würde alles geben, um das möglich zu
machen. Eines Tages.
DEAD: Erst vor kurzen wurdest du in vielen Blogs aufgegriffen, nachdem du,
anschließend an ein Interview, 2 Rapper mehr als nur erfolgreich gebattlet
hast. War das nicht eine Phase deiner Karriere, die du bereits abgeschlossen
geglaubt hattest?
DoseOne: Ehrlich gesagt, nachdem wir in Barcelona ausgeraubt worden sind, hat etwas in mir „klick“ gemacht. Ein paar
Wochen später spielten wir dann mit Subtle eine Show in
Victoria, BC, und ein Typ, der rappt, kam Backstage und prollte rum, redete dauernd darüber, zu battlen. Ich hatte einfach
eine scheiss Nacht, und machte ihn dann fertig. Seit knapp 8
Jahren hatte ich sowas nicht mehr gemacht, und auf einmal
kam alles zurück wie Blut in deinen Kopf.
Manchmal, wenn du dazu geboren wurdest zu töten, egal
wie schrecklich deine Gabe ist, ist das immer noch Deine Gabe.
- Die Frage ist einzig, wie du sie einsetzt. Ich plane, wieder zu
battlen, die Welt der Schwachen und der Schwachsinnigen
wieder zu erfahren. Ein dreckiger Job, aber jemand muss ihn ja
machen...
Text: Jens Essmann
Fotos: Lex Records
Looking For The
Perfect Beat
Nach diversen Veröffentlichungen (u.a. auf Needlework und Subversiv-Rec) beglückt uns der in Los Angeles
geborene und aufgewachsene Dday One dieses Jahr mit seinem sehr gelungenen und durchdachten Album
„Heavy Migration“. Dday One begann sich schon sehr früh mit Samples, Loops und staubigen Platten zu
beschäftigen, was sich in seiner Musik widerspiegelt und was viele Hörer an ihm zu schätzen wissen. Sein
erstes Album „Mood Algorithms“ gilt bei Liebhabern instrumentaler HipHop Musik bereits als Meilenstein
und auch mit dem im Jahre 2006 auf Needlework erschienenen Album „Loop Extensions“ setzte er einen weiteren Höhepunkt seiner Diskografie. Passend zum 10-jährigen Jubiläum seines musikalischen Schaffens sprechen wir mit ihm über seine Ansichten als Musiker, Einflüsse und das aktuelle Album „Heavy Migration“.
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DEAD: In den Liner Notes deines neuen Albums erklärst
du deine Herangehensweise, das was du „the movement
of sound“ nennst. Was heißt das für dich als bekannten
Crate Digger? Was bedeutet Sampling, die Rekontextualisierung verschiedener Sounds in einer global vernetzten Welt?
Dday One: Ich glaube, dass die Kunst des
Samplens eine sehr wichtige Facette in unserer
heutigen Welt ist. Zuerst mal hat das „movement of sound“ uns die Möglichkeit gegeben,
uns selbst auszudrücken, die Kultur zu erweitern und Grenzen einzureißen, während wir
gleichzeitig unseren Vorgängern Respekt zeigen. Zudem erhöht das Hören von wirklich vielen Platten auch die Wertschätzung der Musik
als solcher, was gerade in Ländern, in denen
öffentliche Programme dafür verschwunden
sind, wichtig ist.
„Ich glaube, dass die Kunst
des Samplens eine sehr wichtige Facette in unserer heutigen Welt ist.“
DEAD: „Heavy Migration“ ist ja ein Konzeptalbum, und mit
all den Ideen, die du in den Liner Notes erklärst, würde da
sicher auch ein großartiger Film draus werden, in dem all
diese Vorstellungen zusammenkommen. Hast du deine Ideen
eigentlich schon, bevor du anfängst Musik zu machen, oder
passiert das alles plötzlich, zufällig?
Dday One: Ich kombiniere verschiedene Herangehensweisen. Manchmal motiviert mich eine
bestimmte Idee, ein Bild oder eine Situation, in
der ich mich befinde. „Dying Heart“ beispielsweise entstand als ich einer Operation am offenen Herzen entgegensah. Das war eine sehr
emotionale Zeit. Ich nahm dann ein Echo-Kardiogramm, das mir der Arzt gegeben hatte, und
baute einen Beat um es herum. Dazu suchte ich
nach Samples und Drums, die für mich den
Fluss des Blutes im Herzen repräsentieren. Man
kann also schon sagen, dass der Prozess therapeutisch sein kann; manchmal ist es aber auch
einfach impulsiv, so wie bei „Omega Point“.
DEAD: Du bist auch ein anerkannter Turntablist, und eine
Menge Produzenten, die ebenfalls so angefangen haben,
sagen, dass das Manipulieren von Sounds, das Scratchen
ihnen geholfen hat, zu verstehen wie man die Sounds besser
kombiniert. War das bei dir auch so?
Dday One: DJing hat mir grundlegende MusikTheorie beigebracht, also wie man Beats zählt,
wie die Verhältnisse, die Arrangements von Songs
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funktionieren. Auch wie man Sounds zusammenfügt hat mir das Mixen beigebracht, verschiedene Rhythmen, was die Geschwindigkeit
eines Songs bedeutet... Wenn ich zum Beispiel
Beats programmiere, benutze ich Techniken wie
das Jugglen, um den Beats etwas mehr Leben zu
geben. Ja, ich würde auf jeden Fall sagen, dass
mir das DJing geholfen hat.
DEAD: Angefangen hast du ja als Graffiti Writer. Hat diese
spezielle kompromisslose Herangehensweise deine Produktionen als Musiker beeinflusst?
Dday One: Ich mache da keinen Unterschied.
Graffiti und Beats bauen, das ist ein und die selbe
Sache. Bei beidem versuchst du, zu erschaffen,
was du in deinem Kopf hast, und das ist die Essenz
von HipHop.
DEAD: Deine Hörer schätzen dein Know How wenn es
darum geht, obskure Sounds und krachende Drums zu finden sehr. Wirst du manchmal müde zu diggen? Wo findet
man noch rare Platten?
Dday One: Ich glaube nicht, dass ich jemals
müde werde, wenn um das Sammeln von
Platten geht. Abgesehen davon Ausgangsmaterial zu finden, Cover, Liner Notes, usw.,
hat es mir auch als Inspiration für andere
Aspekte meines Lebens geholfen. Und dazu bin
ich noch süchtig danach. Nur wenn ich darüber nachdenke, umzuziehen, frage ich mich,
warum ich Platten sammle. Und was die raren
Platten angeht: Es wird schwerer, sie zu finden, denn viele Läden machen dicht. Ich
würde dazu raten, offener an die Sache heranzugehen. Ich habe schon an den unmöglichsten Plätzen Platten gefunden.
DEAD: Eines der Labels, auf denen du veröffentlichst
(Content Label), schreibt sich „Qualität statt Quantität“
auf die Fahnen und veröffentlicht hauptsächlich limitierte Vinyl-Auflagen.
Das könnte ja eine ernstzunehmende Alternative werden, wenn man den derzeitigen exzessiven Musik Konsum betrachtet. Was denkst darüber im
Hinblick auf die Musik Kultur?
Dday One: Ich denke der derzeitige Anstieg des Konsums ist
den neuen digitalen Formaten geschuldet. Einerseits sehe ich
das positiv, da die Konsumenten durch die bessere Distribution nun mehr Zugang zu Musik haben. Andererseits wird die
Musik nun dadurch auch austauschbarer, da die Formate keinen materiellen Wert haben. Bei Content achten wir also auf
Details, wenn wir unseren Output limitieren. Eines der Details, die grade bei elektronischer Musik fehlen, ist das Verständnis dafür, wie diese Musik gemacht wird. Und deswegen
versuchen wir zum Beispiel, Elemente aus dem Studio oder
Geräte in das Desgin einzufügen.
DEAD: Was können wir von dir in der Zukunft erwarten?
Dday One: Ich arbeite an Material für das Berliner Label
Project Mooncircle und ein paar Remixen. Daneben kümmere ich mich um den Veröffentlichungsplan für Content. Der
Londoner Produzent und DMC Champion 2Tall hat dort sein
Album „The Softer Diagram“ veröffentlicht, und eine 7" von
Olde Soul und Double K von People Under The Stairs aus L.A.
kam auch grade raus. Auf myspace.com/contentlabel kann
man sich da am besten auf dem Laufenden halten.
Nochmals vielen Dank. Peace.
Text: Axel Hübner
Bilder: Dday One
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Vol5.
Track auf MP3-Compilation: „Minimal Remnant“
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Was zuerst am Künstler-Kreis von Strange Famous auffällt:
Alle scheinen sie durch Freundschaften mit einander verbunden, und/oder kommen aus der selben Gegend Amerikas, aus
der auch Sage Francis stammt: Rhode Island ist der kleinste
Staat der USA, gelegen in deren Nord-Osten, nahe Kanada,
und ziemlich eingeklemmt zwischen Connecticut und Massachusetts; einzig ein paar Insel-Ableger greifen aus dem
schmalen Streifen Land in den atlantischen Ozean. Dort
„Ich spielte eine Show in Denton,
Texas, und brachte eine Strophe,
die ich über Alkohol-Missbrauch
geschrieben hatte. Es waren nur
so 10 bis 15 Leute da, und nach meinem Set kam ein Mann, 24 oder 25
Jahre alt, auf mich zu und erzählte
mir, dass er, nachdem er mich
gehört hatte, aufhören wollte zu
trinken. Er war wohl seit Jahren
dabei, sich stetig, ohne Rücksicht
weiter volllaufen zu lassen,
schien hoffnungslos. Sein Entzug
begann nun mit einer vollen
Flasche Alkohol, die er vor mir
auf die Strasse kippte.“
Family Business
Sage Francis ist wohl nicht zuletzt durch seine 3 Maßstäbe setzenden Alben eine der profiliertesten
Gestalten im Indie-Rap geworden – seine Fähigkeiten als Selbstdarsteller und vor Allem auch als
Geschäftsmann werden darüber oft vergessen.
Über sinkende Plattenverkäufe zu reden, scheint derzeit immer müßiger, interessant dagegen ist, wie es ein
kleines Label, das 1996 als Briefkasten für Sage Francis’ Demotapes begann, vollbrachte, den Konzern-Riesen
Warner auszuspielen: Nachdem man es geschafft hatte, den in Kanada auf ebendiesem Major gesigneten Buck65
davon zu überzeugen, dass Strange Famous der bessere Partner für den US-Vertrieb sei, verkaufte sich dessen
Album „Situation“ – unterstützt von einer groß angelegten US-Tour und einer Telefonaktion, bei der Label-Chef
Sage Francis die Besitzer unzähliger Plattenläden persönlich anrief – besser als die vorherigen US-Releases über
Warner. War das nun das Gesellenstück des in seiner derzeitigen Größe noch jungen Labels, folgen nun zwei
Releases noch relativ unbekannter Künstler: „The Ugly Truth“ von Prolyphic & Reanimator sowie „The Failure“
von B. Dolan. Beide können zeigen, wie das Label funktioniert und unter Umständen wird sich an ihrem Erfolg
absehen lassen, welche Wege Indie-Labels derzeit gehen können...
begann auch die Rapkarriere von Prolyphic – bereits als 15Jähriger klapperte er die Bühnen des Landes ab, und bereits
damals knüpfte er Kontakte zur noch jungen und rap-affinen
Anticon-Crew - Sole behauptet bis heute, ihn schon zu diesem
Zeitpunkt unter Vertrag genommen haben zu wollen. Doch
einzig der Kontakt zur damaligen Lokalberühmtheit Sage
Francis blieb bestehen, und nachdem dieser das x-te Demotape
zugesandt bekommen hatte, war er es auch, der Prolyphic
sowohl einen Vetrag mit seinem Label als auch die Zusammenarbeit mit dem Chicagoer Produzenten Reanimator vorschlug. Der bekam nun in immer regelmäßigeren Abständen
Vocal-Spuren aus Rhode Island in den Briefkasten, die er dann
zu fertigen Songs remixte. Beide hatten sich noch nicht einmal getroffen, als Monate später die erste Version von „The
Ugly Truth“ entstand. Einen Festplattencrash später, nach insgesamt 3 Jahren Arbeit, gibt es nun die offizielle, zweite
Version des Albums, plus einige Fotobeweise dafür, dass
Reanimator nicht nur ein „schwebender Nebel“
ist, wie Prolyphic das noch vermutete, als er in
Chicago einzig als Stimme existierte...
Und das Warten hat sich gelohnt, denn sowohl die detailverliebte Sample-Kunst Reanimators als auch rotzig-wütenden Raps von
Prolyphic scheinen davon nur profitiert zu
haben. Klangen dessen Stimme und Flow auf
älteren Releases oft noch etwas bemüht und
waren seine Texte da und dort mehr Aus- als
Einblicke auf einen talentierten Rapper, zeigt er
sich auf „The Ugly Truth“ als versierter Erzähler
und kritischer Beobachter, der seine Kunst ernst
nimmt und sich nicht hinter lauen Entschuldigungen verstecken mag: „I don´t do this on
the side or do this in my spare time“. Dass er
einen Job zum überleben braucht, ist kein Geheimnis, dass es keine Szene gibt, der man
hinterherweinen müsste, ebenso wenig. Der
Frust, der sich zwischen Arbeit und Schlafzimmer aufgebaut hat, die Wut des Einzelnen
ist es, für die Prolyphics Musik einsteht. „Throw
your hands up for everything you can’t touch.“
Für was also, außer für die eigene Befriedigung, lohnt es zu schreiben? – „Ich spielte eine
Show in Denton, Texas, und brachte eine
Strophe, die ich über Alkohol-Missbrauch
geschrieben hatte. Es waren nur so 10 bis 15
Leute da, und nach meinem Set kam ein Mann,
24 oder 25 Jahre alt, auf mich zu und erzählte
mir, dass er, nachdem er mich gehört hatte,
aufhören wollte zu trinken. Er war wohl seit
Jahren dabei, sich stetig, ohne Rücksicht weiter
volllaufen zu lassen, schien hoffnungslos. Sein
Entzug begann nun mit einer vollen Flasche
Alkohol, die er vor mir auf die Strasse kippte.“
Ob diese eine Strophe mehr als einen Abend rettete, blieb unbekannt. Für Prolyphics Schreiben
ist dieses Erlebnis, egal wie kurz, bezeichnend:
„The only thing my words serve is a purpose.“
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Auch Bernard Dolan stammt aus Rhode
Island, zog aber, knapp volljährig, nach New
York, um sich dort als Schriftsteller zu beweisen. Nachdem er, Frischling der er war, in
einem Café wahllos aus einem seiner Notizbücher vorgelesen hatte, wurde er auf die
damals wachsende Poetry Slam Szene aufmerksam gemacht, zu der er nach einigen
Besuchen im Nuyorican Café, Brooklyn, Anschluss fand. Während seine Kritik an der
selbstverliebten Szene die folgenden Jahre
über wuchs, gewann er einige Slam-Titel,
viele Fans und wenige Freunde – drei Jahre
später zog er sich „angewidert“ zurück.
Ein erneuter Neustart: Um es nicht nur bei
den Worten zu belassen, nur einer mehr zu
sein, der über Politik schreibt und schreit,
ohne selbst Einfluss zu nehmen, gründete
Dolan das „Open Mics Project“, ein Programm
für Problemkinder, das ihnen über die Verbindung zum HipHop Zugang zu den Künsten
Selbstvertrauen und Halt schaffen sollte.
Etwa um diese Zeit erschien auch eine erste
Version von „The Failure“ – damals noch eine
selbstgebrannte Doppel-CD, überladen mit
Gedichten, wütenden Ansprachen, fragmentarischen Songs und Raps.
Dolan zog es kurz darauf zurück nach Rhode
Island, wo er über die dort wesentlich intimere Slam-Szene Kontakt zu Sage Francis fand,
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mit dem er vor knapp 3 Jahren „Knowmore.org“ gründete:
Eine Website, deren Maschinerie an die von Wikipedia
angelehnt ist (wobei hier wesentlich mehr Kontrolle auf die
Inhalte ausgeübt wird), und die sich zur Aufgabe gesetzt
hat, alles an Informationen über Großkonzerne zu sammeln, was für den Konsumenten relevant ist. „Wir bewerten die Konzerne nach den Rechten, die die Arbeiter besitzen, der dortigen Menschenrechtslage, dem politischen
Einfluss, der von ihnen ausgeübt wird und ihrem Geschäftsgebahren.“ – „Ich sehe mich in gleichen Teilen als
Künstler und als Aktivist, glaube, dass das auch gar nicht
anders möglich ist, ohne mich selbst dabei zu belügen.
Vielleicht ist das erste meine Leidenschaft und das zweite
meine Pflicht. Der Aktivist B.Dolan denkt zum Beispiel,
„Ich sehe mich in gleichen Teilen
als Künstler und als Aktivist,
glaube, dass das auch gar nicht
anders möglich ist, ohne mich
selbst dabei zu belügen.
Vielleicht ist das erste meine
Leidenschaft und das zweite
meine Pflicht“
dass Großkonzerne hinter allem stecken, B. Dolan der
Künstler glaubt da mehr an gestaltenwandelnde MenschReptilien-Wesen – See the difference?“
Die Brücke, die er nun zwischen beidem zu schlagen versucht, sieht man – bisher leider fast ausschließlich in Amerika – in seiner Live-Show, die mehr an die Freakshows früher amerikanischer Wandertheater denn an ein Rap-Konzert oder einen Poetry Slam erinnern. Einer der vier Kern-
Charaktere, die Dolan dabei spielt, ist Evel Knievel, der in
den 60er und 70er Jahren durch gewagte Stunts auf seinem
Motorrad zum Nationalhelden wurde. Mehr als 25 Jahre
später wird er für Dolan zur Erscheinung: „Ich fuhr grade
von einer Show heim, als ich im Radio eine von Evels
Pressekonferenzen hörte. Ich kannte seine Stimme noch
nicht, war aber wie hypnotisiert sowohl von seiner Art zu
sprechen, als auch von dem, was er da erzählte. Er hatte
einiges, wirklich ergreifendes über Leben und Tod zu
sagen, und das als jemand, der sein Leben eine Karriere
lang professionell riskiert hatte. Ich verbrachte danach ein
Jahr damit, obsessiv Informationen über ihn zu sammeln
und schrieb das Gedicht „The Skycycle Blues“. Auf der
Bühne tritt Dolan nun im weißen Overall Knievels auf,
wenn er den „Skycycle Blues“ vorträgt - ein biographisches
Langgedicht, in dem der Stuntman sich als PerformanceKünstler der Nachkriegsgeneration zwischen Leben und Tod
wirft: „This helmet / is to protect me / from my own
momentum / This costume / is to protect the crowd / from
the realness of what is happening here / I am calling on
death / and she comes growling and snapping out of her
cage / and opens her jaws up wide on both sides of my landing ramp“.
Derzeit arbeitet Dolan an einer größeren, Varieté-artigen
Live-Show, einem Rap-Album und er hat den Skript zu
einem Horrorfilm, den Michael Corrente produziert,
geschrieben.
auch über das Epitaph-Label, das seine neueren
Alben vertreibt, gewonnen Einfluss, um Strange
Famous auf eigenen Beinen stehen zu lassen. B.
Dolan: „Es ist wirklich wie ein Familienunternehmen. Wenn wir nach Hilfe suchen, setzt
Sage keine Anzeige in die Zeitung. Die Leute,
die hier arbeiten, sind meist schon seit Jahren
in unserem Umfeld. Alles ist sehr herzlich, eng
verwoben... wie Omis Strickpullover.“
Was sich hier also zu etablieren beginnt, ist
wohl das, was der „Szene“ – wenn es sie denn
doch geben sollte – zu fehlen scheint: Ein verlässlicher Geschäftspartner, der aus der Nachbarschaft aller Mitglieder stammen könnte und
auch mit fast allen schon mal einen Winterurlaub verbracht hat. Die nicht anhalten wollenden Gerüchte über so ziemlich jeden IndieRapper, bald auf SFR gesigned zu werden, erinnern schon sehr an die Hochzeiten von Anticon.
Wenn es nun etwas gibt, das einen dabei befremdlich stimmen könnte, dann wohl dass
sowohl das Logo als auch der Labelname (eines
seiner bekanntesten Spoken Words) zu aller erst
auf Sage Francis verweisen, der sein Gesicht nur
scheinbar schützend notdürftig aus-x-en ließ.
Text: Jens Essmann
Fotos: Strange Famous
Wenn es also, neben den meist kantigeren Persönlichkeiten,
einen Unterschied zwischen Major- und Indie-Labels gibt,
dann scheint dieser in der Zeit und Aufmerksamkeit zu liegen,
die den Künstlern dort zuteil wird. Sage Francis nutzt seinen,
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Sinfonie für das
stumpfe Schwert
Mit ihrer Vorab-Digital EP „Seven/Sixteen“ machten Karhu
bereits Anfang 2007 auf sich und ihr geplantes Album aufmerksam. Dass nochmal über ein Jahr vergehen sollte, bis das Endprodukt fertig war, damit hatten selbst die Macher nicht gerechnet. Seit Juni jedenfalls ist das Album „Sinfonia For The Blunt
Sword“ in seiner endgültigen Fassung im Internet verfügbar. Als
Verfechter der Creative Commons Lizensierung stellten sie es ohne
Hilfe eines Labels zum kostenfreien Download.
Wenn es ein Warn-Etikett „Nicht leicht zugänglich“ für Tonträger geben würde, so könnte „Sinfonia For The Blunt Sword“ diesem wohl nicht entgehen. Selbiges heißt natürlich nicht, dass das
Werk zu abstrakt wäre, um überhaupt verstanden werden zu können. Eher ist es vielleicht die knapp bemessene Zeit der meisten
Zuhörer mit der es sich schwertut. Das Album verlangt volle Aufmerksamkeit – und das über die gesamte Spiellänge. Mal schnell
reinhören funktioniert nicht. Die Intensität und Komplexität der
Produktion schafft eine eindringliche, gigantische Atmosphäre,
die pausenlose Konzentration fordert. Die Wucht aus Sounds,
ständig welchselnde und teils schwer durchschaubare, gebrochene Songstrukturen lösen sich erst nach einigen Hörminuten, oder
vielleicht gar erst nach mehrmaligem Spielen auf.
Wir stellten Niklas von Karhu einige Fragen, in denen er verschiedene Aspekte des Albums erläutert.
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DEAD: Woher kommt der Name Karhu und wer steht
dahinter? Wie sind die Aufgaben bei euch verteilt?
Karhu: Karhu kommt aus dem Finnischen und
heißt Bär. Ich weiß nicht mehr genau, warum
wir den Namen gewählt haben. Den Großteil
meiner Jugend habe ich eigentlich programmierend hinter dem Computer verbracht. Aus einem der umfangreicheren Projekte ergab sich
dann die Bekanntschaft mit einem finnischen
Graphikdesigner, der auf eine merkwürdige Art
auf Bären fixiert war. Amüsiert von seiner verqueerten Person und Fixierung hat seine Begeisterung wohl unterbewusst abgefärbt. Haris hat
als Metalhead natürlich eine Affinität zur nordischen Kultur und vor allem nordischen Sprachen. Insofern beschreibt der Name auf eine
sehr persönliche und irrationale Weise unsere
Herkunft.
Das Projekt Karhu besteht also aus Haris und
mir, Niklas. Haris hat sämtliche Gitarren eingespielt und mit ihm habe ich die ganzen Songideen entwickelt und die Ideen hinter dem
Album entworfen und am Sounddesign gearbeitet. Die weitergehende Vertonung, sowie die
Produktion habe ich dann übernommen. Einige
Vocals, Kontrabassaufnahmen und Cuts sind
auch von mir.
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DEAD: Die Entstehung eures Albums „Sinfonia for the Blunt Sword“ hat sich
über 3 Jahre hingezogen. Seit über einem Jahr gibt es bereits die Vorab-EP
„seven/sixteen“ ebenfalls als freien Download. Was genau hat die Veröffentlichung nochmal so lange hinausgezögert?
Karhu: Die erste Version des Albums wollten wir eigentlich Ende
2005 fertig haben. Erst als vor Kurzem ein Freund zu mir meinte,
dass er mich eigentlich seit jeher am Album arbeitend kennt, ist
mir klar geworden, wie sehr und wie lange das Album gewachsen ist. Das hat natürlich die Komplexität am Ende bestimmt;
der Perfektionismus war hierfür sicherlich die bestimmende Variable. Ich habe aber die Art zu Arbeiten – inklusive den retrospektiv betrachteten vermutlich krassen Perfektionismus – zu
jener Zeit als natürlich angesehen. 2006 und 2007 waren sicherlich die bestimmenden Jahre für den Sound, da habe ich pro
Woche rund 10-30 Stunden mit den Arrangements verbracht.
Momentan würde mich dieser Arbeitsstil zu viel Energie kosten.
Die Umsetzung des Konzepts mit allen Implikationen hat die
meiste Zeit gekostet. Ich finde Konzeptalben seit jeher interessant, da so ein Album keine bloße Ansammlung von separaten
Songs ist. Mit der Vielzahl der Alben, die letztendlich eine Compilation von Songs eines bestimmten Musikers sind, ist für mich
auch die momentane Entwicklung in der digitalen Distribution
nachvollziehbar. Man kann einzelne Songs von Alben kaufen /
frei runterladen, und da diese durch die anderen Songs auf dem
Album nicht zwangsläufig an Kontext gewinnen, wird das
Album an sich fast belanglos und führt zu – wie es Misanthrop
messerscharf beschrieben hat – „Singles, die Alben sammeln“.
„Sinfonia For The Blunt Sword“ nimmt hier die andere Seite –
nicht notwendigerweise bessere Position – der
Extrema ein. 76 Minuten ein bestimmtes Album
anzuhören, entspricht sicherlich nicht dem
heutigen Musikkonsum. Aber das ganze Album
ist in vielerlei Hinsicht ein Statement und an
sich finde ich es auch interessant zu sehen, dass
die meisten Songs darauf ohne die anderen
nicht funktionieren.
DEAD: Während dieser 3 Jahre gab es sicher auch eine
musikalische Entwicklung bei euch. Wie sieht eure
Arbeitsweise aus?
Karhu: Prinzipiell sind alle Songs als reine, fast
Akkustikgitarren-Songs bei Jamsessions entstanden. Dann wurden sukzessive neue Teile
hinzugefügt bzw. Gitarrenspuren durch
Samples und den ganzen Kram ersetzt. Das ist
auch der Grund, warum man vom Haris im
Endprodukt nicht so viel hört, wie er beigesteuert hat.
Ich frage mich immer noch, warum er mir bis
jetzt noch nicht die Freundschaft gekündigt
hat. Die konkreten Songs bzw. Tracks haben
sich erst gegen Ende in der jetzigen Form ergeben. Grundlegend war der Prozess, neue Ideen
und Einflüsse im bisherigen Material zu verarbeiten aber der stets gleiche: cut, paste, insert,
delete, repeat.
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„76 Minuten ein bestimmtes Album anzuhören, entspricht sicherlich nicht dem
heutigen Musikkonsum. Aber das ganze
Album ist in vielerlei Hinsicht ein
Statement und an sich finde ich es auch
interessant zu sehen, dass die meisten
Songs darauf ohne die anderen nicht
funktionieren.“
DEAD: Das Album ist grundlegend aufgebaut in 3 Teile – entsprechend einer
Sinfonie. Studiert einer von euch Musik oder wie kam es zu dieser Idee?
Karhu: Von uns studiert keiner Musik, aber wir haben immerhin
beide eine klassische Musikausbildung. Eigentlich war der
Grund, das Ganze wie eine Sinfonie aufzuteilen und zu arrangieren für uns eine logische Konsequenz, als sich der Sound des
Albums immer mehr herauskristallisiert hat und das meiste
Songmaterial noch formbar war. Die Einteilung ist grundlegend
durch die musikalischen Stilmittel und den Sound, sowie durch
die Komplexität der Arrangements bestimmt.
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DEAD: Auf eurer Website heißt es: „Sinfonia for the Blunt
Sword“ basiert grob auf dem Film „Metropolis” von Fritz Lang
und war ursprünglich als alternativer Soundtrack dazu angedacht. Warum nur ursprünglich? Ging die Relation zum Film
mit der Zeit verloren?
Karhu: Das Statement auf der Website habe ich
beschissen ausgedrückt, da es ambig ist. Die
Relation zum Film ging im Konkreten verloren.
Ursprünglich wollten wir das Album möglichst
exakt auf die Abfolge des Films arrangieren; das
war aber mit der Entwicklung der Songs nicht vereinbar. Thematisch ist die Relation immer noch
vorhanden. Einige Bilder und Assoziationsketten
in den Lyrics machen ohne den Kontext des Films
wahrscheinlich keinen Sinn. Der Film ist eigentlich das Urbild der modernen Dystopie mit all den
„Der einzige Weg momentan
Musik zu veröffentlichen, die
unter Creative Commons
steht, ist entweder dies digital
zu tun, oder die Tonträger
selbst herzustellen. Für letzteres fehlen uns momentan
die Resourcen.“
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bekannten Themen wie z.B. Kontrolle der Gesellschaft durch
megalomanische Unternehmen. Diese Thematiken werden
durchaus im Album verarbeitet. Andererseits werden diese noch
durch aktuellere, z.B. bezüglich Überwachungsstaat aber auch
geisten Eigentums erweitert. Das ganze Album gibt diese letztendlich in der Position des Beobachters wieder. Insofern ist das
Album nicht mehr eine reine Vertonung des Films.
DEAD: Auf dem Album sind auch Rap-Texte in Deutsch und in Englisch zu
hören. Ist Hip-Hop die Musik, die euch geprägt hat?
Karhu: Nein, Haris kommt aus den Untiefen des Metals und ich
mehr aus der Elektronik/Klassik-Ecke, hauptsächlich mit Musik
von Aphex Twin, Squarepusher, Autechre, Portishead oder Bach
und Philip Glass aufgewachsen.
Die Ausdrucksweisen der Hip-Hop-Kultur sind heutzutage überall anwesend – und ich meine nicht das k1x-Schuhe-Tragen oder
Kopfnicken über irgendwelche Amen-Break Derivate, sondern
ihre etablierten Mittel, sich konkret und pointiert auszudrücken.
Das ist für mich sowohl die ganze DJ/Sampling-Kultur, die letztendlich die Popmusik seit den 80ern formt, als auch die Vocals,
die durchaus musikalisch unverspielt ihre Intentionen verlautbaren. Insofern fanden wir es durchaus sinnvoll, Aussagen, die
gemacht werden sollten, auch entsprechend zu vertonen.
Ich persönlich sehe diese Ausdrucksform im Kontext des Albums lediglich als Stilmittel. Und empfinde die Verwendung dieser bezüglich der Umsetzung des Albums als konsequent. Aber
das ist natürlich streitbar.
DEAD: Was erwartet und erhofft ihr euch jetzt von der Veröffentlichung?
Karhu: Momentan sind wir vorallem froh, dass das ganze zu
Ende gebracht wurde. Wir möchten, dass das Werk wahrgenommen, anerkannt wird und Verbreitung findet. Ob die Kritik im
speziellen positiv oder negativ ausfällt, ist uns soweit gleich.
Wir haben uns von Anfang an entschieden, das ganze unter die
Creative-Commons Lizenz zu stellen und somit jedem die
Möglichkeit zu geben, es zu verbreiten oder es anderweitig zu
verwenden. Ob wir als Personen hinter Karhu Props bekommen,
war immer sekundär und mit dieser Arbeit Geld zu verdienen,
stand nie zur Debatte. Es geht uns wirklich nur um das Album
an sich.
Eine große Masse an Zuhörern wird das Album aber vermutlich nie erreichen, da die hochfrequentierten Verbreitungs- und
Konsummechanismen im Internet inhärent unvereinbar mit
dem Wesen des Albums sind.
DEAD: Wieviele Downloads gab es bereits?
Karhu: Noch nicht genug, um mir sicher zu sein,
dass das Album seinen Weg zu der offenen Hörerschaft findet bzw. gefunden hat. Wir haben aber
bis jetzt noch keine groß angelegte Promotion
gemacht.
DEAD: Ist auch eine Release auf „echtem“ Tonträger wie CD
oder Vinyl geplant, oder seit ihr reine Fans des Digitalen?
Karhu: Geplant ist in dieser Hinsicht nichts, da
wir keine derartigen Kontakte zu Labels haben
und sich diese wahrscheinlich an der CreativeCommons-Lizenzierung stoßen würden.
Wir sind nicht Fans des Digitalen, aber Fans
von CC. Wir sehen in der Weise, wie Musikbusiness heutzutage funktioniert, im besonderen
bezüglich der Internetkultur, Defizite und
Ungerechtigkeiten – nicht nur was die Musiker
angeht, sondern insbesondere was die kulturelle
Entwicklung von Musik betrifft. Der einzige Weg
momentan Musik zu veröffentlichen, die unter
Creative Commons steht, ist entweder dies digital
zu tun, oder die Tonträger selbst herzustellen. Für
letzteres fehlen uns momentan die Resourcen.
DEAD: Was sind die nächsten Projekte von Karhu?
Karhu: Karhu wird sich erstmal eine Auszeit nehmen. Haris ist mit seiner Metal-Band und einigen
Singer/Songwriting-Sachen beschäftigt. Die EP
seiner Band habe ich vor kurzem fertigproduziert;
die ist schön brachial geworden. Ich arbeite momentan an ein paar kleinen Produktionen für
Freunde, sowie einer recht verqueren Solo-EP und
zusammen mit einem weiteren Elektroniktüftler
an einigen Dancefloorfillers. Ich tobe mich also momentan überall ein bischen aus. Ich schreibe nach Ewigkeiten auch wieder an
ein paar eigenen Audiotools weiter.
Für die nächste Karhu-EP/Album haben wir schon einige konzeptionelle Sachen dingfest gemacht und auch ein paar Takes
aufgenommen. Ich denke, der kommende Sound wird weniger
düster und dafür melodiöser. Man wird auch mehr von Haris
hören und weniger von mir. Versprochen.
Abseits vom Musikmachen wird früher oder später ein Netlabel
zusammen mit Playpad Circus an den Start gehen. Ich bin mal
gespannt, wie sich das entwickelt.
Text: Günter Stöppel
Bilder: Dominik Wiersig & Niklas Klügel
DEAD
Vol5.
Track auf MP3-Compilation: „Couverture“
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„Ich muss natürlich sagen, dass
auch bei uns die Downloadverkäufe steigen und dass es mich
freut, wenn Leute bereit sind,
für die Musik an sich Geld zu
zahlen. Eine wirkliche Alternative bietet das für mich aber
nicht. Mein Ziel war es immer
Platten zu machen.“
A Sound Exposure
Vor vier Jahren erschien die erste Compilation in Albumlänge auf Equinox Records. Mit dieser Zusammenstellung
definierte das junge Label sowohl seine musikalische Richtung als auch einen eigenwilligen visuellen Stil. Nach
einigen Veröffentlichungen im EP, 10" und 5" Format, ist vor kurzem der zweite Teil der Compilation unter dem
Titel „One Year & A Day – A Sound Exposure Vol.2“ erschienen. Hier mischt sich eine selbstbestimmte Version von
HipHop mit elektronischen Beatbreakern und samplelastigen Songs, denn der Sound von Equinox liegt irgendwo
dazwischen, trifft damit aber genau den Punkt. DJ Scientist, der Macher des Labels, hat sich ausführlich mit
unseren Fragen befasst.
DEAD: Du bist Labelboss, Designer, DJ und Musiker. Wie
kommst du mit diesen unterschiedlichen Rollen zurecht?
DJ Scientist: Bevor es die Idee zum Label gab,
war ich schon DJ und habe viel Grafik gemacht.
Generell fließen diese Rollen jetzt in Equinox
zusammen. Die eher künstlerischen Aufgaben
harmonieren ja miteinander. Der Businesskram, den ein Label so mit sich zieht, ist dann
zum Großteil eine eher unangenehme Sache,
wobei ich dennoch auch ein wenig der Typ für so was bin. Mir
macht es Spaß Projekte zu koordinieren und zu planen. Zeitlich wird das zum Problem und oft zur Belastung. Ich versuche
mittlerweile auch Aufgaben abzugeben. Das ist natürlich
schwierig, da das Ganze ja, vor allem grafisch, sehr persönlich
und mit meinen eigenen Stil verbunden ist.
DEAD: Siehst du dich durch die ganze Labelarbeit musikalisch eingeschränkt?
Dein eigener Track auf der neuen Compilation ist ja eher kurz.
kündigt, aber es war nicht die Zeit dafür da, es wirklich in
Angriff zu nehmen. Jetzt ist erstmal das Album mit Ceschi
sehr wichtig, zu dem ich alle Beats beigesteuert habe.
DJ Scientist: Ja, auf der Compilation bin ich nur
mit einem Skit vertreten. Die Arbeit, die ein
Label macht, hört eigentlich nie auf – es gibt
immer etwas, das noch zu tun ist oder verbessert
werden kann – und das Ganze ist eben noch kein
Selbstläufer. Andererseits gibt mir das Label ja
auch viel Gelegenheit, mich anderweitig musikalisch einzubinden – die neue Compilation sehe
ich somit auch ein bisschen als mein eigenes
Album an auch wenn ich es „nur“ zusammengestellt habe. Dazu kommt, dass es heutzutage
sicher auch schwierig wäre, ein anderes gutes
Label zu finden, mit dem man sich identifizieren
kann. Ich will mich also nicht beschweren.
DEAD: Kann man bald ein Soloalbum von dir erwarten?
DJ Scientist: Erstmal nicht. Ich hatte dieses
Soloalbum eigentlich schon vor langem ange-
DEAD: EQX zeichnet sich durch einen streng durchgezogenes Design aus. Ist
das dein individueller Geschmack oder ein visueller Ausdruck der Musik?
DJ Scientist: Ich würde sagen beides. Ich versuche bei jedem
Cover speziell auf die Musik einzugehen, wobei sich das natürlich im Rahmen dessen abspielt, was über das Equinox
Corporate Design möglich ist. Das heißt im Grunde Verzicht
auf Farben und eine bestimmte Auswahl an Grafiken, Schriften, etc. Das ganze fußt dann natürlich auch auf meinem
persönlichen Geschmack, der aber auch bei den Künstlern gut
ankommt.
DEAD: Nach welchen Kriterien suchst du deine Künstler aus?
DJ Scientist: Ich will, dass sich Equinox als etwas Neues und
Eigenes darstellt. Der Künstler sollte auch einen eigenen Stil
haben, der zum Label passt. Dann gibt es noch weitere Kriterien, die auf mich Eindruck machen, z.B. hat der Künstler
Durchsetzungsvermögen und genug Ehrgeiz? Wenn jemand
zum Beispiel schon in Eigenregie eine Platte veröffentlicht
hat, dann zeigt mir das, dass er es mit Musik ernst meint.
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gestanden habe als danach. Die 5inch Serie wurde
aufgrund des Downloads zu unserer vielleicht
erfolgreichsten Release. Erstaunlicherweise sind
auch die digitalen Verkäufe von anderen Titeln in
dieser Zeit um fast 100% gestiegen, da wir ein
enormes Pressefeedback, hauptsächlich Blogs,
hatten, die die Sache von sich aus promotet haben. Dadurch scheinen viele auf uns aufmerksam
geworden zu sein. Generell sehe ich die Sache mit
Free Downloads aber immer noch sehr zwiespältig. Im Falle der 5inch Serie war es in Ordnung,
sie frei anzubieten, da sie im Verhältnis zu anderen Releases nicht so viel Arbeit war und die Gesamtlänge ja auch nur ca. 20 Minuten betrug.
Aber wenn ich daran denke, dass ich 2 Jahre Arbeit, die ich in das gesamte Projekt der „One Year
& A Day“ Compilation gesteckt habe, einfach für
umsonst hergeben würde … ehrlich gesagt ist es
mir dann sogar lieber auf die vielleicht wesentlich
größere potentielle Hörerschafft zu verzichten.
Ich hätte das Gefühl, dass ich die Wertigkeit des
Albums dadurch selber heruntersetzen würde.
Das will ich einfach nicht. Ich denke, jeder der
das Album kauft, wird hören, wieviel Arbeit in
der Musik und in der Zusammenstellung steckt.
Musik darf, auch wenn das jetzt vielleicht abgedroschen klingt, ihren Wert nicht verlieren.
“Ich will, dass sich Equinox
als etwas Neues und Eigenes
darstellt.”
DEAD: EQX präsentiert sich global mit internationalen Musikern. Wie stark
findet das Label Beachtung außerhalb Deutschlands?
DJ Scientist: Weiß ich nicht – ich denke auf jeden Fall, dass
wir durch internationale Künstler auch außerhalb Deutschlands einen guten Ruf haben. Wirkliche Beachtung erlangen
wir in der ausländischen Presse aber auch nicht – das findet
alles innerhalb einer kleinen Szene statt.
DEAD: Auf der neuen Compilation sind erstmals Vocals auf einer EQX-Platte
zu hören, die nicht auf Samples basieren. Wieso der Wandel?
DJ Scientist: Der Song „Laugh Track“ von Deadpan Darling,
hat sich in erster Linie stilistisch und musikalisch super in die
neue Compilation einfügt, und das ist natürlich der Hauptgrund dafür, dass er drauf ist. Zudem stehe ich ja schon länger
im Kontakt mit Ceschi und wollte ihn einfach auf dem Album
haben. Es ist so, dass Equinox generell in Sachen Musik und
Grafik eine klare Linie, ein Konzept verfolgt. Aber natürlich ist
es auch mal möglich, jetzt wieder auf die Grafik bezogen, etwas farbig zu machen. Es wird, wie gesagt, auch bald ein
Album von Ceschi auf Equinox erscheinen. Das wird vielleicht
das einzige Rapalbum auf dem Label bleiben – denn im Grunde
ist es richtig, dass unser Fokus auf Instrumental-Sound liegt. Die Ausnahme bestätigt die
Regel.
DEAD: Was hat dich auf die Idee der 5 mal 5inches
gebracht? Immerhin ist es die weltweit erste Serie dieser Art.
DJ Scientist: Ich habe vor ca. 2 1/2 Jahren die erste
5inch gesehen und fand das total super. Irgendwann kam jemand mit der Möglichkeit auf mich
zu, eine Art 5inch Dubplates zu machen. Nachdem der vorab erschienene Download-Sampler
aber so viel Feedback brachte, entschied ich mich
letztendlich doch für richtiges Vinyl (bei einem
deutschen Presswerk, welches für 5"-Vinyl das
Patent besitzt) in der dafür kleinstmöglichen
Stückzahl von 250 Exemplaren.
DEAD: Wie sinnvoll bewertest du als Labelboss FREE
DOWNLOAD-Aktionen?
DJ Scientist: Ich muss sagen, dass ich vor der
5inch Release wesentlich negativer zu der Sache
DEAD: Wieviel Zeit und Geld würdest du in Promoaktionen
stecken? Oder anders gefragt: Meinst du, dass sich die
Verkäufe merklich erhöhen würden, wenn du mehr Geld für
Promoaktionen hättest?
DJ Scientist: Ich denke schon, dass mehr Promotion die Verkäufe in gewisser Weise erhöhen
kann, aber die Frage ist: in welchem Verhältnis
steht das? Sprich: wenn ich eine Anzeige in
einem großen Magazin schalten würde, würde sich das rechnen? Um das Geld wieder rein zu bekommen, müssten sich die
Verkäufe verdreifachen – und mit einer einzigen Anzeige ist es
ja längst nicht getan. Bisherige Anzeigenschaltungen und sonstige Promoaktionen haben kaum merklich was gebracht. Bei
„Wyred Folk“ z.B. haben wir für unsere Verhältnisse sehr viel
Werbung gemacht. Die Platte war aber in den Verkäufen eher
schlecht, obwohl die Kritiken zum Großteil hervorragend waren
und sie, nach meiner Meinung, ein wirkliches Meisterwerk darstellt.
Es ist wirklich komisch – die Intro beispielsweise hat „Wyred
Folk“ nicht gereviewt und die neue Compilation mit der Antwort „nicht relevant“ abgelehnt. Deren Leserschaft ist jetzt auch
nicht unbedingt unsere Zielgruppe, aber als Label ist man ja –
auch mangels anderer Möglichkeiten – auf solche Medien angewiesen. Diese Probleme haben wir eigentlich mit allen größeren
Zeitschriften – da wird man als kleineres Label oft ignoriert. Momentan glaube ich, dass es wichtiger ist, mehr zu touren, konstant gute Tonträger zu veröffentlichen und seiner Linie treu zu
bleiben. Heute hast Du eigentlich nur dann als kleines Indielabel eine Chance, wenn Du es schaffst, um dich herum eine Art
Hype zu kreieren, sodass auch die, die eigentlich nicht mit solcher Musik vertraut sind, das plötzlich gut finden. Klingt irgendwie scheiße – aber letztendlich ist es doch so. Die richtigen
Heads kennen uns ja jetzt schon, denke ich. Die 5inch Serie war
ein ganz guter Ansatz mehr Leute zu erreichen.
DEAD: Wird Vinyl überhaupt noch gekauft? Oder ist Eurer Standbein heute
der Downloadverkauf?
DJ Scientist: Ehrlich gesagt ist das Standbein von Equinox der
Job, den ich nebenher noch mache und das Geld, dass ich über
DJ-Jobs und über kleinere Grafikjobs verdiene. Der Fokus von
Equinox liegt nach wie vor auf Vinyl, von daher betrachte ich
die Downloadeinnahmen nur als weitere Einnahme zur Vinylrelease. Ich muss natürlich sagen, dass auch bei uns die Downloadverkäufe steigen und dass es mich freut, wenn Leute bereit
sind, für die Musik an sich Geld zu zahlen. Eine wirkliche Alternative bietet das für mich aber nicht. Mein Ziel war es immer
Platten zu machen, obwohl wir demnächst auch mit ein paar
Digital-Only Releases an den Start gehen werden, da wir inzwischen auch viel Material haben, welches gar nicht alles auf
Vinyl veröffentlicht werden kann.
DEAD: Welche Ziele verfolgt EQX in den kommenden 12 Monaten?
DJ Scientist: Wir möchten bald mit unserer neuen Website an
den Start gehen, zudem wird damit auch das Sublabel
Equinox.Digital eröffnet. Zudem steht noch die Veröffentlichung der Tour-DVD an, sowie eine 7" von Ceschi, die die
Vorabrelease zum Album darstellt. Eine 12" Release von Geste
aus Frankreich ist in der Pipeline und 2econd Class Citizen
arbeitet an seinem neuen Album, zu dem es ebenfalls eine
Vorabsingle geben wird.
Text und Interview: Kristofer Harris
Bilder: David Alke
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Einflüsse GodspeedYouBlackEmperor!, Black
Heart Procession, Tom Waits, Low oder Tortoise.
Allesamt Bands, die Genregrenzen vielleicht nicht
neu definiert, in jedem Fall aber erweitert haben.
Hört man nun „It's not who you know, but whom
you know“, wird man mit jedem Versuch, es zu
fassen, mehr verunsichert. Die Platte beginnt mit
rauschenden, in ihrer Herkunft kaum zu dekodierenden Field-Recordings, Stimmengewirr, Zahnwerke bei der Arbeit, Schritte kommen näher,
während ein Synthesizer warm suchend, nah an
der Hektik vor sich hin blubbert, bis dann der Beat
zu „Soulsuck“ wie ein erschrecktes Einatmen
beim überraschenden Öffnen einer verschlossen
geglaubten Türe einsetzt. Der Song wurde letztes
Jahr zu einem Underground-Hit auf BBC-Radio,
nachdem ein Demo in die Hände eines Moderators
geraten war.
fbcfabric: Ich habe 1995 damit begonnen, Musik
zu komponieren. Mein „Background“ ist ein wirklich einfacher: Ich war so ziemlich in jedem Fach
schlecht, schloss die Schule mit dem absoluten
Minimum an Leistungen ab, und hatte damit
dann auch kein konkretes Ziel oder sowas. Ich versuchte mich am College, und scheiterte. Also fing
ich zu Hause an, Musik zu schreiben. Ich bin mir
nicht sicher, warum – es scheint einfach passiert
zu sein. And that´s that. Ich kann keine Instrumente spielen, weder Noten lesen noch schreiben; nichts, was ich produziere, hat soetwas wie
eine musikalische Struktur. Ich höre einfach auf,
wenn es mir richtig scheint. Reindeer habe ich
über einen gemeinsamen Freund getroffen, der
damals zusammen mit ihm geschrieben hat.
Durch den Sturm
Soetwas wie „It´s not who you know, but whom you know“ hat man schon lange nicht mehr gehört. Ein
Album, das einerseits vollkommen der Do-It-Yourself Herangehensweise des HipHop verschrieben ist, andererseits aber vollkommen durchkomponiert und dicht verwoben scheint, eines das so Herz erwärmend knackst und
knistert, das gleichzeitig so pointiert wie intuitiv und persönlich scheint, dass man schon mit dem ersten Hören
vollkommen in den Bann gezogen wird. Man denke nur an erste Erfahrungen mit Mobb Deep, DJ Shadow oder
auch den immer wieder bei UK-Platten herangezogenen Blade und The Streets.
Die Perfektion der beiden Engländer liegt nun genau wie bei den grade genannten darin, dass sie kompromisslos zusammenfügen, was für sie wie selbstverständlich zusammengehört, was aber noch nie zusammen gehört
wurde. Man spürt mit jedem Wort von reindeer, wie sehr ihn die Unmittelbarkeit einer Rap-Strophe als Teenager
gereizt haben muss, man nickt zu fbcfabric's Beats, wie er sich wohl zu rauen Produktionen der Mitt-Neunziger
bewegt hat. Doch als die beiden sich 1999 im Süden Londons trafen, hatten sie sich bereits weit genug von diesen
Einflüssen emanzipiert, um sie als Werkzeuge für neue Musik zu nutzen. Und so stehen heute auf der Liste ihrer
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Hätte der sich nicht von der Idee verabschiedet, wären wir jetzt
zudritt.
„Die hässliche Wahrheit ist, dass wir
alle, ob es uns gefällt oder nicht, am
Arsch sind. Wir setzen uns jetzt aber
nicht weinend in die Zimmerecke, um
irgendwen zu beeindrucken. Keiner von
uns läuft durch die Gegend, und erzählt jedem, wie wertlos sein Leben sei.“
Letztes Jahr dann waren sie zum ersten Mal gemeinsam auf
Europa Tour, und begeisterten dabei mit einer siebenköpfigen
Band, die den eh schon episch weit arrangierten Songs noch ein
letztes Quentchen Tiefe gaben, und ein neues Konzept der Live
Umsetzung von Rap Songs, fern von peinlichen HipHop-meetsKlassik Derivaten oder The Roots Epigonen, präsentierten. Reindeers Texte und fbcfabrics Beats, das wurde damit klar, waren
von Anfang an nicht mit dem Anspruch entstanden, einem
Genre zuzuspielen. Die Lyrics sind prägnant genug geschrieben,
um sich gar nicht erst gegen irgend etwas behaupten zu müssen,
und bei den Produktionen fällt vor allem Anderen ins Auge, wie
feinsinnig sie abgemischt und zusammengestellt worden sind:
Instrumente, Samples, „Geräusche“ und Stimme scheinen alle
gleichberechtigt und schaffen das, was der Forderung der beiden
nach Atmosphäre mehr als gerecht wird.
fbcfabric: Ich versuche einfach, alles so klingen zu lassen, wie es
klingen sollte. Ich habe eine starke Abneigung gegen „cleane“
Musik. Das ist für mich wie, wenn man eine zwar verzerrte
Gitarre so „gut“ und glatt aufnimmt, dass ihr alles an Aussagekraft genommen wird, und du dann in einem Vakuum
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zurückbleibst, in das der Gitarrist mal versucht hat, seine Gefühle zu packen. Meiner Meinung nach ist das Instrument, ja,
sogar das, was auf ihm gespielt wird, nur ein sehr kleiner Teil
des Gesamtbildes. Das wirklich Wichtige ist, was du nicht bewusst hörst. Alles dreht sich doch um die Umgebung des Instruments und seines Spielers – die Atmosphäre.
Reindeer: Wenn da jemand im obersten Stockwerk eines Gebäudes Gitarre spielt, und dabei über die Stadt sieht, dann will ich
auch diesen Raum hören, den Hauch und den Klang der Straße,
wie sie durch das Fenster kommen, seine Finger am Griffbrett,
seinen Atem und das Geräusch des schreienden Nachbarn.
Das auf Buttercuts erschienene Album ist nun in vier Partien
unterteilt, mindestens zu gleichen Teilen instrumental wie mit
Vocals bestückt, und lässt dabei den einzelnen Versatzstücken
genug Platz, um Stimmungen entstehen zu lassen. Es kommt
der Zeitpunkt beim Hören, an dem man kaum mehr zwischen
den Noise-Passagen und Rapsongs unterscheidet, an dem man
von dem, was man fühlt, übermannt wird und jedem Ausdruck
dessen gleiches Gewicht einräumt.
fbcfabric: Über die Stimmung des Albums war schon entschieden, bevor wir überhaupt mit ihm begonnen hatten. Es war klar,
dass es eine dunkle Sache werden würde, wenn man sich anschaut, in wessen Händen die Angelegenheit lag. Die hässliche
Wahrheit ist, dass wir alle, ob es uns gefällt oder nicht, am
Arsch sind. Wir setzen uns jetzt aber nicht weinend in die
Zimmerecke, um irgendwen zu beeindrucken. Keiner von uns
läuft durch die Gegend, und erzählt jedem, wie wertlos sein
Leben sei. Ich kaufe auch coole Sachen, wie jeder andere auch.
Der Unterschied ist wohl, dass ich mir darüber im Klaren bin,
dass ich mit ihnen eine Lücke in meinem Leben fülle. Ich stelle
mich mit Dingen, die ich nicht wirklich brauche, ruhig. Ich
weiß nicht warum, aber ich fühle mich gut damit, und – ehrlich
gesagt – ich will mich ja besser fühlen...
„Ich habe eine starke
Abneigung gegen „cleane“
Musik. Das ist für mich
wie, wenn man eine zwar
verzerrte Gitarre so
„gut“ und glatt aufnimmt, dass ihr alles an
Aussagekraft genommen
wird, und du dann in
einem Vakuum zurückbleibst, in das der
Gitarrist mal versucht
hat, seine Gefühle zu
packen.“
reindeer: Soviel Zeit wie wir über Musik reden, reden wir auch
über die Welt, in der wir leben. Es war klar, dass das Album eine
Erweiterung von uns als Individuen und Freunde sein würde, die
sich mit dieser verwirrenden Zeit schwertun. Das Album musste
düster werden, denn wir waren an einem düsteren Ort – es geht
dabei aber genauso sehr um das Kommunizieren, darum jemanden zu erreichen, zu erklären, wie es sich anfühlt. Ein Gefühl zu
erzeugen, dass man nicht alleine in diesem Sturm steht.
Grade arbeiten die beiden gemeinsam mit ihrer Band an einem
neuen Album, und den Aufnahmen ihres derzeitigen Livesets.
Daneben ist fbcfabric mit einigen Produktionen und Remixen für
Freunde beschäftigt, während reindeer an Projekten gemeinsam
mit 2econd Class Citizen, James P. Honey, lmnt819, Epilog und
cocon arbeitet.
Text: Jens Essmann. Bilder: Mike Rea
October 2008
DECKARD – FUTURE WORLD EP
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deadpress
deadpress
DEAD
Vol5.
2Tall
The Softer Diagram LP (Content)
deadpress
2Tall ist schon eine ganze Weile im
Geschäft und ständig in irgendwelche
Projekte involviert. Ob im Turntablism, auf den DMC-Meisterschaften
oder später mit Veröffentlichungen
auf Needlework, dem inzwischen leider geschlossenen Label um die beiden Radioveteranen Mr.Trick und
Waxfactor. 2007 kamen die „Senses
Overloaded“ EP (zusammen mit
Lamont) und das „Beautiful Mindz“
Album, das in Zusammenarbeit mit
Dudley Perkins und Georgia Anne
Muldrow entstand. Mit „The Softer
Diagramm“ erscheint jetzt endlich
wieder ein Solo Album, auf dem 2Tall
seinen Ideen freien Lauf lässt. Diese
äußern sich meist in einem warmen
und verspielten Sound. Man merkt
gleich, dass der Mann an Inspirationsquellen alles abschöpft, was ihm
in seiner Karriere irgendwie über den
Weg lief: Soul, HipHop, Jazz, Krautrock... Ideen sind genug da. Alles lässt
sich irgendwie in einen organischrhythmischen Beat verwandeln. Ein
Ausnahmetrack ist sicherlich „The
Most High“, neben „Trains“ der einzige
mit Feature. 2Tall liefert einen für
seine Verhältnisse sehr reduzierten
Beat mit eingängigem Sample als
Steilvorlage für Kashmere, der noch
ein paar tighte Strophen drauf setzt.
An sich ein Banger, steht „The Most
High“ auf dem Album allerdings allein
da und wirkt für mich ein bisschen
deplatziert.
P.M.
Aero One
Wholetrain Soundtrack CD / 2LP
(Stayin’ Up)
Beachtlich ist es schon, was Florian
Gaag a.k.a. Aero One mit „Wholetrain“ geschaffen hat. Allein das
Durchhaltevermögen um so ein Großprojekt zu verwirklichen, verlangt
nach Respekt. Finanzierungen und
Fördermittel zu ergattern, dennoch
einen möglichst authentischen Film
über das Writing zu kreieren, das ist
schwierig. Und auch wenn eine Gratwanderung stattfand, um auch Normalpublikum erreichen zu können, so
fehlt es dem Film keineswegs an
Realness – obwohl Florian Gaag selber einräumt, dass sich in den letzten
Jahren in Bezug auf das Zügebemalen
doch einige Sachen geändert haben.
Ähnlich verhält es sich auf dem jetzt
erschienenen Soundtrack mit den
Features von US-Raphelden wie KRSOne und O.C., die wohl ihre besten
Zeiten bereits hinter sich haben. Dennoch liefern diese auf zum Großteil
ein gutes Bild ab. Zusammen mit
noch etwas frischeren Künstlern wie
Reef The Lost Cauze oder Akrobatik
rappt man fleissig über das Writen und
alles, was sonst noch dazu gehört. Aero
One, der als alleiniger Produzent des
Soundtracks auftritt, bestückt seine
Gäste dabei mit durchaus soliden Beats.
Ein überzeugendes musikalisches
Gesamtwerk, das auch ohne dazugehörige Bilder funktionieren würde, kann er
jedoch nicht schaffen. Der gewollten
Einfachheit und Simplizität der Beats
fehlt oft der wirkliche Pep, der die ohnehin kurzen Tracks über ihre Gesamtlänge interessant halten würde. Die Verspieltheit und Detailverliebtheit, die Florian Gaag im Film an den Tag legte,
scheint ihm bei der Musik eher zuwider.
Der Soundtrack ist somit eher nur den
Hip-Hop Puristen zu empfehlen. Nebst
der CD-Release, die bereits seit einigen
Monaten erhältlich ist, gibt es inzwischen auch ein Vinyl-Doppelalbum. Das
gibt noch mal Pluspunkte!
G.S.
ASUP
Chiffre / Untitled 7“ (NDSTWTRST)
Im Münchner Untergrund ist es am
brodeln. Mit seiner ersten 7" liefert Turntablist ASUP einen richtigen Knüller ab.
Die von Max Winter gestaltete Picturedisc, auf 250 Stück limitiert, steht in der
Tradition des DJs als Musiker. „Chiffre“
ist ein echtes Lofi-Brett mit aufwändig
editierten, staubtrockenen Drums und
8bit-Sounds. Bei „Untitled“, mit seinem
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deadpress
DEAD
Vol5.
eingängigen Vocalsample über krautige Gitarren ist ASUP eine kleine
Hymne gelungen. Für DJs und Instrumental-HipHop Fans ein Must-Have!
C.F.
nen Kindergeschichte plus Live-DVD
oder wahlweise gelbes Vinyl. When
life gives you lemons, you listen to
this record!
A.B.
Atmosphere
Ape9 and Spoken Intellekt
When Life Gives You Lemons, You Paint
That Shit Gold CD/2LP (Rhymesayers)
Conquistar el miedo EP CD
(Eigenvertrieb)
Rhymesayers’ Zugpferde Atmosphere
haben nach der Sad Clown Serie und
einem kostenlosen Download-Album
mit „When Life Gives You Lemons, You
Paint That Shit Gold“ ihr nunmehr
6tes Studioalbum fertiggestellt. Auf
knapp 60 Minuten präsentiert sich
Slug mal wieder als Meister des Seelenstriptease und zeichnet, untermalt
von Ants Beats, Geschichten über die
Höhen und Tiefen des Lebens und
alles was dazwischen liegt. Wer Atmosphere kennt, weiß um Slugs Storytelling-Qualitäten, und so findet
man sich bald in den Straßen von
Minneapolis wieder, zwischen angehimmelten Kellnerinnen, Ex-Freundinnen und Menschen in ihrem täglichen
Kampf um's Überleben im kapitalistischen Alltagswahnsinn. Auch bei der
Musik handelt es sich um ein vielfältiges Album, das mit einer insgesamt
recht entspannten Stimmung den
musikalischen Sommer einläutet. Für
Sammler gibt es eine limitierte CDVersion mit einer von Slug geschriebe-
7 Songs, davon 2 Solos, bietet diese
Kollaboration der Rapper Ape9 und
Spoken Intellekt mit dem Produzenten Charlie Coffin. Das Endprodukt
klingt leider etwas sehr schrammelig,
hat dadurch aber wohl das, was man
„Underground-Charme“ nennt, im
Überfluss. So richtig mitreißen will
jedoch keiner der Songs, dazu fehlt es
an einem eigenen Ansatz oder den
wirklich treffenden Zeilen.
J.E.
B. Dolan
The Failure CD (Strange Famous)
Was „Spoken Word“, was „Slam Poetry“ bedeutet, ist von Deutschland
aus schwer zu verstehen. Während
hier vieles Applaus heischend in die
Comedy-Ecke gezogen ist, oder gut
gemeint als Beispiel „moderner“ Poesie in die Unterrichtsräume dirigiert
wurde, reden Beobachter davon, wie
beeindruckend das Ganze doch in
Amerika sei. Wenn man B. Dolan's
Remake seines eigenen, vor knapp 2
Jahren erschienenen Albums „The Failure“ hört, kann man sich vorstellen, was
sie meinen. Denn so virtuos wie Dolan
sowohl seine Stimme als auch die
Worte und deren Tonlage einsetzt, so
vielschichtig wie hier mit Motiven, Themen und Perspektiven gearbeitet wird,
so packend und selbständig habe ich
das wirklich noch auf keinem Poetry
Slam gehört. Wie es der Titel schon vorgibt, ist das Scheitern die Verbindung
zwischen den 16 Tracks des Albums, die
vom permanenten Zwiegespräch zwischen Dolan und einer namenlosen
Computerstimme zusammengehalten
werden. Und wie glorreich man scheitern kann, zeigt Dolan unter anderem
anhand von Jeanne D'Arc und Evel Knevel, denen er jeweils ein Gänsehaut hervorrufendes Stück widmet.
Dolan, der nebenbei auch noch neben
Label-Chef Sage Francis über einen
Alias-Beat als Rapper überzeugt (Heart
Failure), ist mit „The Failure“ inhaltlich
wie von Produktionsseiten her eines der
bemerkenswertesten Alben seit Langem
gelungen.
J.E.
Bleubird
Streettalk 2 MP3 (hiphopcore.net)
Über die französische Seite namens
hipopcore.net hat der mittlerweile in
Berlin lebende Rapper Bleubird eine
Free-Download EP veröffentlicht. Wer
das Bühnenwunder schon einmal live
gesehen hat, weiß, mit welcher Energie er seine Sache vorantreibt. Und
diese spiegelt sich auf „Streettalk 2“
auch wieder. Mit ausdrucksstarken
Lyrics, einem Feature von Noah23 und
den Produktionen von Scott Da Ros,
Raoul Sinier a.k.a. Ra, Kid Rolex, Bit
Tuner, Playpad Circus und The Closing
liefert Bleubird eine sehr starke RapEP ab, die sowohl inhaltlich überzeugt, als auch Köpfe zum Nicken
bringt. So wird's gemacht!
C.F.
Boxcutter
Glyphic LP / CD (Planet Mu)
„Dubstep“ hat sich Boxcutter nie auf
seine Fahne geschrieben. Trotzdem
landen seine Veröffentlichungen in
Plattenläden regelmäßig im DubstepFach. Ob es daran liegt, dass in einigen Tracks schwere Bässe mitschwingen oder das Barry Lynns Sound zum
Teil recht düster klingt, kann ich nicht
sagen, wahrscheinlich trägt aber auch
das Planet Mu Label auf dem Rücken
der Platte sein Übriges dazu bei.
Schon nach dem ersten Hören weiß
man, was Boxcutter meint, wenn er
sagt: „I have a broad record collection
and I've done my homework“. Auf dem
Album spiegeln sich all diese Einflüsse
in Boxcutters abstrakten, oft auch in
Halfstep Beats abdriftenden Produktionen wieder. Der gleichbetitelte
Opener zu „Glyphic“ stößt die Türe
zum neuen Album auf und steht den
Produktionen auf dem Vorgänger
„Oneiric“ in nichts nach. „Windfall“
klingt vertraut dubbig, „Kalied“ verdankt sein Existenz Onkel Breakbeat
und wenn man „Foxy“ hört, weiß man,
dass auch ein paar Soul und Funk Platten in Lynns Regal stehen. Nach 12
Tracks, die man mühelos am Stück
durchhören kann, endet das Album
mit deinem atemberaubenden „Fieldtrip“. Wenn ich die Platte im Laden
einsortieren müsste, dann gäbe es nur
einen Platz für sie. Ganz vorne im
Schaufenster.
P.M.
Buddy Peace
Wolf Diesel Mountain CD (2600 Rec.)
Wenn es derzeit einen DJ gibt, der
dem Mixtape (oder mittlerweile MixCD) Business neue Impulse gibt, der
ebensoviel Respekt wie Begeisterung
mit jedem seiner Releases auslöst,
dann ist das wohl der Brite Buddy
Peace. Was er die letzten Jahre über
auch veröffentlichte, es versetzte die
stetig wachsende Fangemeinde in
Ekstase. „Wolf Diesel Mountain“ ist
nun sein neuester Streich, und sicher
einer seiner besten.
Zu hören gibt es darauf alles, was
einen Buddy Peace Mix ausmacht: Die
sympathisch kauzigen Ansagen und CutUps aus Film- und Radio-Sequenzen,
sein überragendes Feingefühl beim
Mixen und Remixen von Songs, die stilsicheren Arrangements und Spannungsbögen. Der Aufwand, der hierfür betrieben
wurde, ist kaum mit dem, was man
gemeinhin von einem Mix erwartet, zu
vergleichen: Die einzelnen Songs bestehen jeweils aus einem Rap-Acapella und
einem Rock-Song, der eigens für „Wolf
Diesel Mountain“ geremixed und neu
arrangiert wurde. Zu hören sind dabei
Acapellas von Nas bis Sage Francis, und
Samples von José Gonzales bis hin zu den
Liars. Dies alles ist dazu noch so gekonnt
und detailverliebt zusammengefügt,
dass man, einmal in den Bann gezogen,
kaum mehr weghören kann.
Egal was das Internet noch an One-HitWonders zu bieten hat – an diese CD
wird man sich auch noch in ein paar Jahren erinnern.
J.E.
Bulldose
Overdose EP CD (Umbruch)
Die Overdose EP von Bulldose ist, wie
es für ein Umbruch Release typisch
scheint, schwer verdaulich, polterig,
unruhig bis hektisch im Umgang mit
unzähligen Ideen und somit auch mit
einer Menge Arbeit für den Hörer verbunden. Ähnlich wie bei Labelmate
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Wodan sind auch die Beats von Bulldose geprägt von einer sehr soundorientierten Herangehensweise an
das Sampling, wobei jener von diesem
Standpunkt aus viel weiter in elektronische Klangwelten neigt, während
dieser auf seinem Debut eher typische
Samples untypisch verwendet. Das
Gros der Songs verweigert sich gewohnten Strukturen, oder bricht nach
kurzer Zeit aus diesen aus, um in recht
überraschenden, collagenartigen
Parts zu enden. Leider klingen viele
der Songs etwas zu wenig prägnant
und hätten im Mastering ein wenig
mehr an Druck und Präsenz verdient,
um bei der Masse an Versatzstücken
nicht zu verwaschen. Äußerst positiv
fallen dagegen die Vocal-Features von
Mr.T und Conserve auf Neighbours
auf, die dem Bulldose-Sound etwas
griffiges verleihen, das ihm ansonsten
zumindest stellenweise abgeht.
J.E.
Brzowski
Blooddrive Vol.2 CD-R
(Milled Pavement)
„Blooddrive Vol.2“ ist eine Sammlung
von 23 Songs, entstanden zwischen
2004 und 2008, die nicht auf den regulären Alben von Brzowski zu finden
sind. Dadurch ergibt sich auch die
etwas wahllose Zusammenstellung,
die wohl eher für Fans interessant
deadpress
sein wird. Zwischen einigen Titeln, bei
denen es offensichtlich scheint, warum sie liegengeblieben waren, finden
sich aber durchaus auch wirklich gute
Rap-Songs wie das düstere „Parasite“,
produziert von XNDL, oder das auf
einem Moshe-Instrumental vorgetragene „Spine“, auf dem auch K-the-I???
zu hören ist. Brzowski selbst zeigt
sich dabei auf allen Songs als versierter Rapper und lässt damit auf ein
wirklich gutes neues Album hoffen,
das noch dieses Jahr erscheinen soll.
J.E.
schauen. Gedanken über persönliche
Eindrücke, Hoffnungen, Warten, Unsicherheit und emotionale Spannungen am Rande einer die Reize überflutenden Umwelt finden hier ein
Zuhause. Momentaufnahmen, Situationen, Verhaltensweisen exakt beobachtet, in einer detailverliebten Bildersprache reflektiert, treffen und
fordern den aufmerksamen Hörer.
Mögen manche andere Werke „intelligenteren“ Raps zuweilen anstrengen,
kann man hier zuhören und eintauchen; cocon ist brilliantes Kopfkino.
C.F.
cocon
cocon CD (leave.music)
Dabrye
Get Dirty EP 12" (Ghostly International)
Anfang diesen Jahres startete das
NBP-Umfeld mit dem Label
leave.music den Versuch, eine
Plattform für unkonventionelle
deutsche Rapmusik zu etablieren.
Neben Misanthrop's „Die sieben
Weltwunder“ erschien dort auch
das Debut von cocon mit den
Gästen Audio88, Misanthrop und
Epilog. Produziert wurde es von
Aqua Luminus III., DJ Lide, Misanthrop, Playpad Circus und SobiC.
Das selbstbetitelte Album, mit
einer melancholischen Grundstimmung drängt sich dem Hörer nicht
auf, sondern lädt ein in den „schützenden“ Cocon, um auch von innerhalb wieder nach draußen zu
Dass sich drei Ausnahmekünstler
wie Dabrye, MF Doom und Kode9 auf
einem Track zusammenfinden, ist
ungefähr so selten wie eine totale
Sonnenfinsternis über Mitteldeutschland. Was dabei herauskommt ist
auch ähnlich spektakulär und düster.
Der Kode9 Remix von Dabrye's „Air“,
auf dem MF Doom einige Verse einstreut, toppt das Orginal nochmal um
Längen. Daneben findet sich auf der
EP noch ein hörenswerter Flying
Lotus Remix von „Game Over“, und die
Album Version vom Namen gebenden
„Get Dirty“ komplettiert die EP.
P.M.
Dan Le Sac VS Scroobius Pip
Angles CD (Lex / Strange Famous)
Mit dem ganzen Internet-Gehype
reichts ja langsam. Jede zweite Band,
„von der man gehört haben muss“,
überlebte grade mal den millionsten
Aufruf ihres Stop-Motion-Youtube
Videos, der Rest schaffte es nichtmal
bis dahin, und allesamt haben sie es
wohl kaum bis zu einem zweiten Versuch gebracht, eine Welttournee aus
Idaho zu starten. Produzent Dan Le
Sac und Rapper Scroobius Pip stehen
diesem Hype, der auch der ihre ist,
recht gleichgültig gegenüber. Ihr Song
„Thou Shalt Always Kill“ war die Thinking-Man's Hymne eines englischen
Sommers, wurde von Hipstern genauso gefeiert wie von denen, die sonst
jeglichen Hype ungehört an sich vorbeiziehen lassen. Über die druckvoll
zerschnittene Variante eines ElectroPop Beats bekommt man da die
Reflektion ebendieser falschen Heilsversprechen zu hören, und spätestens
mit seinem verschnupft trockenen
„Nirvana? Just a band! The Pixies? Just
a band! The next big thing? Just a
band!“ Part hatte Pip die Aufmerksamkeit einer viel zu selbstsicheren
Musikgemeinde. Die Single lief dann
durch alle Radiostationen, Clubs und
Ipods der Insel, und man entschied
sich nach einigen Gigs Übersee für das
sympathische aber noch kleine Stran-
ge Famous Label als neuen Distributionspartner. Bisher haben die beiden
also so ziemlich alles richtig gemacht
(inklusive einem Jel-Remix) und
zudem noch ein erfrischend aktuelles
Rap/Electro Album produziert, das
dem zugehörigen Hype ausnahmsweise mal gerecht wird. Pip ist wohl
das, was man -schwer zu übersetzen„witty“ nennt, und gibt selbst den
ältesten Song-Konzepten noch einen
neuen Dreh und genügend an Emotion, um den abwechslungsreichen,
treibenden Beats von Dan Le Sac eine
Note zu geben, die den beiden eine
eigene Identität zwischen den obligatorischen Vergleichen mit The Streets
und Plan B gibt. Man darf gespannt
sein, was das zweite Album bringt.
J.E.
David Ramos
This Up Here CD (Fake Four Inc.)
Das erste Solo-Album von TOCAund Anonymous Inc.-Mitglied David
Ramos entstand aus einem Sammelsurium von Kinderspielzeug-Instrumenten, Casiotones, Melodicas,
Akkordeons, Glockenspielen, Akustikgitarren und lärmenden Schlagzeugsounds. Das Ganze ergibt eine
schöne Mischung aus Lo-Fi-Folk und
experimentellem Hip-Hop – eine
Melange, bei der jedoch der Folk- und
Singer-Songwriter-Anteil überwiegt.
Egal ob beim leicht pathetischen „Kings
and Queens“, dem entspannten „One
Last Stop“, den krachigen „Sober Sunday“ und „Wax Fingers“, die Songs strotzen vor musikalischer Kreativität, Melodien, Ideen und Abwechslung. Keines
der 17 Lieder überschreitet die vier
Minuten Marke; das 30 sekündige
„Count“ gehört sogar zu den Highlights.
Stimmungsmäßig ist fast jede Coleur
vertreten, vom verträumten, sehnsüchtigen „Satelite“ bis zum leichtfüßigen,
positiv beschwingtem „How the Night
Turn Cold“. Die meisten Stücke werden
von lang gezogenen melancholischen
Akkorden getragen und mit einer
Mischung aus noisigen Lo-Fi-Drumsounds und organischem Schlagzeug in
Downtempo-Geschwindigkeit unterlegt. Wobei auch die Rhythmen und
Grooves immer wieder faszinieren und
viele Tracks mit tollen Wechseln aufwarten. Dazu kommt noch David
Ramos' Gesang, häufig fast hymnisch
und stark an den Melodien orientiert –
was jede Menge Ohrwürmer zur Folge
hat. Auch einige eher Rap dominierte
Titel, die keineswegs aus der Reihe tanzen, sondern sich gut ins Gesamtbild
einfügen und David Ramos' musikalischen Hintergrund verdeutlichen, finden sich auf der Platte. Ein Album mit
trashigen Lullabies, eingängigen
Refrains und einer Menge Hits; vielleicht der Geheimtipp für 2008.
P.S.
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Vol5.
Dissamonix
Disharmonic Universe CD (Umbruch)
Die Dissamonix aus Hamburg verbinden auf ihrem Debut für Umbruch
Records vieles an Geräusch, cleane
wie verzerrte Gitarrensounds, elektronisches Klangspiel, dicke Bässe und
verzerrte Found-Sounds. Die 7 Songs
ihreres „Disharmonic Universe“ kombinieren diese Elemente in wechselnden Konstellationen miteinander, stehen fast durchgehend unter starker
Spannung und sind ein oft sehr
anstrengendes, teilweise auch etwas
zu angestrengtes Hörerlebnis.
J.E.
Dosh
Wolves And Wishes CD / LP (Anticon)
Dass der Stil der ersten Veröffentlichungen von Dosh, die gerne mit Four
Tet verglichen wurden, vorbei ist,
konnte man bereits auf „The Lost
Take“, dem Vorgänger zu „Wolves and
Wishes“, deutlich hören. Die Instrumentierung ist vielfältiger geworden,
was meist auf die verschiedenen Gastmusiker zurückfällt, und durch den
Einsatz von analogen Instrumenten
kommt Dosh's Sound nun viel organischer. Die bekanntesten Gäste sind
Andrew Broder von Fog, der subtile
bis wilde Gitarren beisteuerte,
Andrew Bird an der Violine und der
Singer-Songwriter Bonnie 'Prince'
Billy. Martin Dosh begeistert wieder
mit variantenreichem und virtuosem
Schlagzeugspiel und strahlt mit seinen typischen gewogenen Rhodes
eine Menge Ruhe aus. Das ist auch
tatsächlich das Interessanteste: trotz
einiger Uptempo-Beats, den zum Teil
sehr vollen, oft dissonanten und in
ihren Strukturen fast chaotischen
Stücken, verbreitet das Album geradezu das Gegenteil von Hektik. Das dürfte wohl daran liegen, dass trotz allem
Analogen immer noch ein Hauch von
Electronica- und IDM-Flair den Sound
von Dosh umgibt. Schön ist ebenfalls,
dass das Album nicht über einzelne,
besonders eingängige Lieder funktioniert, sondern als ein Ganzes. Diesmal
ist es gelungen, wirklich vielschichtige Songs einzuspielen, die trotzdem
nicht drohen, in einem Brei von (Rhodes-)Klängen unter zugehen – wie es
schon des öfteren bei Dosh der Fall
war. Genau deswegen, ist „Wolves and
Wishes“ wohl sein bisher bestes
Album..
P.S.
Epic
Aging Is What Friends Do Together CD
(Handsolo)
Wenn Rapper meinen, sie würden
ständig missverstanden, dann sollten
sie sich mal mit dem kanadischen
End-Dreissiger Epic unterhalten. Für
viele klingt seine Musik wie eine Parodie
auf Rap, und nur wenigen wird es wie
mir gegangen sein: Erst als ich ihn auf
seiner Tour gemeinsam mit Soso gesehen hatte, fand ich Zugang zu seiner
Musik, die ich seitdem wirklich zu schätzen gelernt habe.
Zu allererst: Wenns um Rap geht, meint
Epic es ernst. So ernst, dass er Soso nach
dessen Indie-Rock verliebten „Tinfoil on
the Windows“ öffentlich den Homie aufkündigte, und sein eigenes Album, das
im Übrigen zum größten Teil von jenem
produziert wurde, nun über Handsolo
anstatt Clothescore veröffentlicht. Mit
Experimenten hat ers also nicht so, und
das hört man auch auf „Aging is what
Friends Do Together“. Seine Stimme
klingt weiterhin äußerst dünn, den Takt
trifft er auch diesmal oft nur mit größter
Mühe und Soso's Beats sind erneut oft
sowas von eintönig, dass es schon an
eine Frechheit grenzt. Aber darum - und
das lohnt es zu verstehen - geht es auf
einem Epic Album einfach nicht. Epic ist,
was man „brutal offen“ nennen könnte:
einer der wenigen, die es schaffen, ihre
Beobachtungen, Gefühle und Gedanken
ohne große Umwege über Metaphern,
ausgefeilte Reimkonstrukte oder verschachtelte 16tel Flows zu erzählen, ohne
dabei auch nur eine Sekunde zu langweilen. Und darin hat er auf diesem, seinem
dritten Solo-Album, nun eine seltene
Meisterschaft erreicht.
Zwischen Anspielungen auf NewSchool Rap, einer betont sozial(istisch)en Weltsicht und überbordendem Gefühl findet man mit „Sleeping
Shirts“ einen der schönsten und verquersten Rap-Songs aller Zeiten. Auf
„Music Appreciation“ scheint er so
überwältigt, dass er teilweise kaum
den Beat findet, und dazu gibt es
Songs über Hockey-Spieler, seine
Jugend in Saskatchewan, die Hymne „I
only like Rap“, sowie unzählige Zeilen,
die es zu zitieren lohnen würde...
J.E.
Electric President
Sleep Well CD / LP + 7”
(Morr Music)
Diesem Album liegt ein Konzept zu
Grunde: Ben Cooper träumt oft
schlecht, und diese (Alp-)Träume hat
er sich eine Zeit lang in einem Büchlein notiert. Während der Aufnahmen
zu „Sleep Well“ ist er auf dieses Notizbuch gestoßen und hat im folgenden
die Aufzeichnungen für die musikalische Umsetzung fruchtbar gemacht.
Der Albumtitel bedarf also keines weiteren Kommentars. Um den Vergleich
mit dem selbstbetitelten Debüt
kommt man bei dem – oft so problematischen – zweiten Album aber wohl
nicht herum. Hat sich die Kombination von Computer und Gitarren mittlerweile zum absoluten Konsens ent-
wickelt, ist es erfrischend, dass Electric President nun von diesem Konzept etwas abrücken; „Sleep Well“
kann man nicht mehr ohne weiteres
als Electro-Pop klassifizieren. Im
Gegensatz zum Erstlingswerk fallen
vor allem die sehr songorientierten
Strukturen auf, die wesentlich komplexer geworden sind. Verantwortlich
dafür ist wohl die Arbeit von Ben Cooper als Radical Face, dessen dabei
gewachsener eigener Stil und Sound
sich stark in die neue Platte eingeschlichen hat. In Kombination mit
dem neuen, vermehrten Einsatz von
Synthesizer-Sounds und E-Gitarre
gelingt es Electric President, erwachsener zu klingen.
Eigentlich ist es unsinnig, solch ein
Album in einem Sommermonat zu
veröffentlichen, doch die vielen Melodiephrasen und Ohrwürmer, von
denen es überall wimmelt, machen
jetzt schon mehr als neugierig auf den
Abend, der auf diese Platte wartet –
hoffentlich wird es bald Herbst.
P.S.
Ceschi und Epic geben sich, neben einigen anderen, die Klinke in die Hand. Das
macht das Album zum einen extrem
abwechslungsreich, zum anderen entfernt sich Factor dabei auch öfter mal
vom altbewährten HipHop-Beat + MC
Konzept. Ein gutes Beispiel ist „Pray“, auf
dem Ceschi sich 2 Minuten lang mit
pathetischem Gesang verausgabt. Ein
Track der sich ins Hirn brennt. In eine
ähnliche Richtung geht auch „The Leen“
mit Josh Martinez, ein Hybrid aus eingesungener Hook und gerappten Strophen.
Bei 19 Tracks und 13 Gästen ist es verständlich, dass es auch schwächere
Tracks auf dem Album gibt. So fragt man
sich z.B. was der Track mit Sadat X auf
der CD zu suchen hat. Der Mann hat darauf einfach nichts zu sagen, der Beat ist
simpel und eher einfallslos. Insgesamt
wirkt das Album durch sein breites Aufgebot an Künstlern auf mich eher wie
eine mit viel Herzblut zusammengestellte Compilation.
Neben der CD erschien eine begleitende 7“ mit 6 der 19 Albumtracks auf dem
Picture Disc Label Oohhh! Thats Heavy.
P.M.
Factor
Chandelier CD (Fake Four Inc.)
Wie es auf den Alben des kanadischen Produzenten Factor so üblich
ist, finden sich auch auf „Chandelier“
wieder ein gutes Dutzend MCs. Awol
One & Noah23, Sadat X & Myka 9,
Figuers
Himno Nacional EP 12"
(Fingerprint Records)
Mit ihrer Private Press Instrumental EP
„Himno Nacional“ finden die Figuers vor
allem beim Titeltrack die passende
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Vol5.
Mischung aus dezent groovenden
Samples und einem einfach gestrikkten, aber durchaus funktionierenden
Arrangement. Die beiden weiteren
Tracks flowen auch ganz gut, lassen
aber das gewisse Etwas vermissen,
das mit dem Hit der Seite A konkurrieren könnte. Zur Maxi-Release gibt es
auch ein Album, das leider, ähnlich
wie die B-Seite der 12“, nicht komplett
überzeugen kann, aber durchaus einige Highlights bietet.
G.I.
Form
Der Größte Hit Der 80er EP MP3
(fifaform.de / Eigenvertrieb)
War „Ich bin 7undzwanzig Meter
groß“ noch im besten Sinne vielversprechend und barst über an Ideen, so
krankte es doch ab und an an den
Umsetzungen, bzw. an einem halbwegs klaren Konzept. Mit „Der größte
Hit der 80er“ greift form nun genau an
diesem Punkt an, schraubt - auch dem
EP Format geschuldet - die Trackanzahl auf gesunde 7 hinunter und hat
zudem mit dem Hotwhyler einen
äußerst fähigen Produzenten verpflichtet, der es schafft, dem Rapper
einerseits genug Platz für seinen wilden Ideen zu lassen, andererseits aber
auch der gesamten EP einen roten
Faden und dem Hörer etwas mehr
Orientierung zu geben.
Die Beats sind allesamt sehr elektronisch gehalten, wechseln angenehm
oft Tempo und Stimmung und klingen
zudem mehr als amtlich. form selbst
ist seinem Stil treu geblieben, verbindet aberwitzige Übertreibungen (z.B.
auf „Metzgerei in der Hood“) mit
freiem Flow und springt von absolutem Unsinn in einem Augenblick zu
wirklich schlagenden Punchlines im
nächsten. Einzig seine Fokussiertheit
auf den aus seiner Sicht erbärmlichen
Status Quo des Rap ist auf Dauer,
selbst bei einem zumeist wirklich
unterhaltsamen Rapper, ein etwas zu
sehr breitgetretenes Thema. Ansonsten aber absolut zu empfehlen und
vor allem auch komplett kostenlos auf
www.fifaform.de
J.E.
The Golden Zych
The Golden Zych CD-R
(Eigenvertrieb)
Max Stark und Brak aka DJ Breaque
sind zusammen „The Golden Zych“. Auf
ihrer ersten gemeinsamen Veröffentlichung finden sich 15 Songs, die die
beiden unter Einsatz von Drummachines, Plattenspielern, Gitarren, Klavier,
Glockenspiel und auch sonst allem,
was sich so in greifbarer Nähe finden
ließ, produziert haben. Das ganze
klingt dann auch entsprechend verspielt und nach Jam Session, und
wenn man Vergleiche sucht, dann wird
man vielleicht irgendwo zwischen
Daniel Johnston und Hymies Basement
fündig. Zusammengehalten werden die
Songs dabei vor allem durch Max Stark's
freien, an frühe Fog-Aufnahmen erinnernden Gesang sowie einige Beat-Elemente. Ein verträumtes Album, das
einem, wie die vielen extrem kurzen
Ohrwurm-Passagen, immer wieder entwischt, wenn man denkt, man hätte es
auf einen Stil festgemacht.
J.E.
fernt von Birkenstock und Nasenhaardreadlocks.
Die Musik ist relativ reduziert und
ruhig gehalten, was auch hervorragend funktioniert. Sehr warme Synthesizer und vergleichsweise leichte
Drums lassen genug Raum für den
Weisen aus der Bay Area. Nicht jeder
Beat ist besonders besonders, aber
„Artsy“ und „Show you the world“ mit
Raphael Saadiq sowie „Bring It Back“
sind z.B. äußerst gelungen. Hier ruht
jemand in sich.
D.H.
„Amused“, „2:15“ oder „Sky Roof “, auf
denen man schnell bemerkt, wie sehr
Ancient Mith an seiner Stimme und
seinem Flow gearbeitet hat. Im Großen und Ganzen ist dies einfach ein
gutes Rapalbum und ein weiterer
wirklich solider Release auf ponowai
flora, wenn man auch noch auf DAS
eine Album eines der Label-Künstler
warten muss.
J.E.
Hungry Giant
Vorsicht Steinschlag; denn in der
Vergangenheit ist es schon mal passiert, dass ein einziges Stones Throw
Steinchen eine ganze Lawine ausgelöst hat. Im Falle von „Welcome“ hat
man es dagegen eher mit einem
Kometen zu tun, der unverhofft vom
Himmel fällt. James Pants ist eine EinMann Kapelle, die sich hauptsächlich
Synthesizern, Vocodern und Gesang
(in der Reihenfolge) bedient.
Viele Tracks sind dabei nach einem
einfachen Muster aufgebaut: Elektro
Funk Brett á la Mitte 1980er, darüber
ein paar bis zum Anschlag verzerrt
gepitchte Strophen, gerne auch selbst
eingesungen, und irgendwo dazwischen findet sich immer ein flotter
Break. Dass man den Texten dabei nur
mit großer Mühe folgen kann, ist
nicht weiter schlimm. Als sozusagen
James Pants
Welcome CD / LP (Stones Throw)
The Grouch
Show You The World CD
(Alternative Distribution Alliance)
Ach so. The Grouch ist doch gar kein Teil
der Living Legends. Ach, doch. Jedenfalls
ist er auf Legendary Music im richtigen
Umfeld. Humorvolle, ehrliche und entspannte Musik ist das hier und das southern California, wo es dann doch mal
regnet, hat definitiv seine Spuren hinterlassen. Ein stolzer Vater, der den Daheimgebliebenen die Welt zeigt, all den
„artsy people“, denen man so begegnet
auf dem Weg durch die Rapkarriere und
den Straßenjungs, die ihr Leben wegwerfen, mit sehr sehr sympathischer, ja,
Realness und Offenheit zur Seite steht. „I
really wanna change the world and save
the world/ don’t really wanna bang your
girl, save your girl“. Sagt es frank und frei
hinaus und ist dennoch meilenweit ent-
[Under]mining Skies CD (Ponowai
Flora)
Ancient Mith präsentiert sein seit
langem rappigstes Release unter dem
Alias „Hungry Giant“. „[under]mining
skies“ wurde komplett von Sean T. produziert, der sich bei der Sampleauswahl und -verwertung an den goldenen 90ern orientierte. Dadurch entstand ein Album, das harmonisch 15
Songs aneinanderreiht, ohne dabei
irgend welchen Ansprüchen zwanghaft gerecht werden zu wollen. Nichts
fällt so wirklich aus dem Rahmen,
man spürt, wie viel Lust die beiden
auf genau diesen Sound hatten. Und
so bekommt man neben einigen lokker flowenden aber etwas unauffälligen Songs ein paar Highlights wie
perkussives Element im Synthie-Dschungel dienen sie als Fixpunkt und geben
den Stücken eine Struktur. Wenn man
Glück hat, bekommt man dabei grade
noch mit, worum es textlich ungefähr
geht. Auch wenn sie mal, wie auf den
beiden von Deon Davis begleiten Stükken, mehr im Vordergrund stehen, geht
es aber nie um tiefsinnige Themen.
James Pants erfindet das Rad nicht neu,
gibt ihm aber durch einen gewaltigen
Disco-Funk Touch, den man hierzulande
nur noch mit International Pony vergleichen kann, eine wahre Unwucht mit.
P.M.
karhu
Sinfonia For The Blunt Sword MP3
(Eigenvertrieb)
Musik ist wohl die merkwürdigste
Kunstgattung, die der Mensch je hervorgebracht hat. Anders als Malerei, Poesie
oder Bildhauerei stellt sie die Welt nicht
dar. Ein Akkord bedeutet nichts, eine
Melodie hat keinen Sinn. Und doch vermag sie, unsere Sinne unmittelbarer zu
treffen als alle anderen. Die Klangkunst,
welcher man auf der Reise durch „Sinfonia for the Blunt Sword“ begegnet, ist
nur sehr selten greifbar. Man sieht sich
hier in einen weiten Raum, aufgespannt
an Klanggebilden, Fetzen orchestraler
Musik, kombiniert mit heftigsten GlitchAttacken und detailverliebten Frickeleien, versetzt; einem Kontrast von Musi-
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kalität und berstendem Noise, Ambient Work mit sehr hohem Aggressionspotential! Vier Jahre haben Karhu
gebastelt, um aus Orchestersamples,
Gitarre und Stimme, mit kreativen
Einsatz von Timestretch-, und anderen Hall- und Modulationsalgorithmen, vorliegendes Werk zu erschaffen.
Um seiner selbst gerecht zu werden,
hätte dieses Werk eigentlich als 4-fach
Vinyl mit Klappcover erscheinen müssen. Die Arbeit hunderter von Stunden findet sich nun in unterschiedlichen Formaten zum freien Download unter karhumusic.org.
C.F.
The Latah Movement
The Latah Movement CD (Knertz)
Ja, ich bin voreingenommen. Und
das zurecht. Ein neuer Rundumschlag des Knertz-Kollektivs. Dieses
mal irgendwie Indie. Präziser wurde
das Ganze schon mal als punkiger
Experimental-Flöt-Core bezeichnet.
Die Latahs sind fröhliche, nette
Leute mit einem latenten Hang zur
Durchgeknalltheit. Ja, von Trash
haben wir freilich schon genug,
zumindest von solchem, der aus
Unfähigkeit entsteht. Die Truppe um
Drummer Oskar Ohlsen besteht
jedoch aus wahren Vollblutmusikern, und was einem an energiegeladenen Tracks hier frech und lautstark
deadpress
entgegenschmettert, macht verdammt Laune. Fröhliche Melodien,
wildes Geschrei, durchtriebene
Synths, mit immer wieder überraschenden Wendungen. Flippiger
Scheiß im liebevoll, aufwändig gebasteltem Cover.
C.F.
Living Legends
The Gathering CD
(Alternative Distribution Alliance)
„It´s been a while.“ Die lebenden
Legenden wollen ihrem Namen
auch im Jahr, äh, 14 ihres Bestehens
immer noch gerecht werden. „The
gathering“ macht das auch tatsächlich. Auf jedem der sieben Tracks ist
jeder der Sympathen (Murs mag
den Buschen-Schorsch wohl doch
nicht mehr) zu hören und man
arbeitet die klassischen Themen
namens Frauen, Krieg und Frieden
sowie die leidigen oder bemitleidenswerten anderen Rapper in
äußerst runder Weise ab. Man sitzt
da und hört einfach gern zu. Style
und äußerst unterschreibenswerte
Inhalte. Zurückhaltende, eher lässige Drums um die 100 bpm, latent
elektroide Melodeien und die Raps
im eindeutigen Vordergrund. Prädikat: „We invented fun“. Die Sonne
scheint.
D.H.
Misanthrop
Effi Briest 7” (leave.music)
Machen wir es kurz: Es ist eine Schande für dieses Land insgesamt, nicht nur
für die Rapszene, dass der Misanthrop
nicht annähernd den Respekt bekommt,
den er verdient. Die „Effi Briest“-Maxi, als
7" mit Sammelcover, gehört zum Besten,
was deutscher Rap in der letzten Zeit
hervorbrachte. Ziemlich klassische Beats
mit wunderschönen Samples, harten
Drums, endgeilen Scratches, intellektueller Aufbereitung klassischer Schriftstellerthemen, im Titeltrack sogar einer
Hithook und bisweilen etwas eigenartigen Vergleichen/Betonungen. Aber
Eigenarten sind exakt das, was dringend
benötigt wird. Und der Thomas Mann
des Rap liefert sie. Geil.
D.H.
Mr. Cooper
What Else There Is CD / 2LP
(Project: Mooncircle)
Hop“ legt er gekonnt ab und macht
deutliche elektronische Einflüsse hörbar. „What Else There Is“ wiegt sich in
ambienten Flächen und dubbigen
Bässen. Aber auch Fans vom ersten
Album werden definitiv nicht enttäuscht, denn was bleibt, sind die
Beats. Diese klingen zwar meist
immer noch so, als hätte man sie
schonmal irgendwo gehört, und auch
die Arrangements sind noch vergleichweise einfach gestrickt, dennoch
schafft Cooper ein überaus gelungenes Gesamtwerk, dass sich über die
ganze Länge elegant wie spannend
entwickelt und den Hörer in seinen
Bann zieht. Am besten funktionieren
dabei Songs wie „Part 03“, der aufbrausende „Part 05“, der hallende 70 BPMHit „Part 08“ und der finale „Part 10“.
Das Album erscheint September als
Doppelvinyl, CD und Digital Release
bei Project: Mooncircle.
G.S.
Mr. Quibble
Mr. Cooper ist zurück mit seinem
zweiten Album „What Else There Is“.
Wenn schon nicht bei der Kreativität der
Songnamenvergebung (wieder wurde
auf die Betitelung der insgesamt 10
Tracks verzichtet), kann der mittlerweile
in London residierende Produzent jedoch
musikalisch sehr positiv überraschen.
Das ihm seit „Amongst Strangers“ anhaftende Label „Sampled Instrumental Hip-
Windseeker / Odyssey 7” (Play Loud)
Die beiden Produzenten / DJs Echo
und Fresh Kils nennen sich gemeinsam Mr. Quibble. Auf ihrer ersten
gemeinsamen 7inch bieten sie leider
nur Altbekanntes: „Windseeker“ ist ein
von einem zwar mitreißenden Soulsample getragener und wirklich gut
ausproduzierter Song, der aber genau
wie die etwas ruhigere B-Seite „Odyssey“ zu sehr nach Hintergrundmusik
für schicke Lounge-Cafés klingt und
dementsprechend schnell an einem
vorbeifliegt.
J.E.
und krachigen Drums angeht, bleiben
NIN nach wie vor König. Im Juli soll es
dann wohl auch noch eine CD- und LPVersion zu kaufen geben.
C.F.
The Notwist
Nine Inch Nails
The Devil, You + Me CD/LP (City Slang)
The Slip MP3 (Eigenvertrieb)
Trent Reznor scheint Gefallen am
Online-Selbstvertrieb gefunden zu
haben: Gerade mal 2 Monate nach
dem Release von „Ghosts I-IV“ (und
der Kollaboration mit Saul Williams)
veröffentlicht seine Band mit „The
Slip“ schon wieder ein neues Album.
Das Ganze kommt völlig kostenlos, in
unterschiedlichsten Formaten (bis hin
zu 24 bit, 96 kHz!!) und steht unter
einer „remixfähigen” Creative-Commons Lizenz. Dass aber Quantität mit
Qualität auch Hand in Hand gehen
kann, beweist „The Slip“ sehr eindringlich. Die Art des Einsatzes von Gitarre,
Stimme Drumcomputer und Distortion klingt oft etwas nach Homeproducing im großen Stil, soll heißen,
man kann sich Herrn Reznor sehr gut
beim Produzieren vorstellen, aber
gerade dadurch bekommt das Album
seine brachiale Direktheit, und
erinnert teils gar an Stonerrock. Was
das Kombinieren von melodisch minimalistischen Gesangspassagen,
akzentuierten Gitarrenfills/-samples
Wenn ein neues Album so lang herbeigesehnt wurde wie das von The Notwist,
und gleichzeitig so viel und gut besprochen – was bleibt da noch zu sagen,
außer das bereits Geschriebene zu bestätigen? Im Grunde nichts. Denn es ist
wirklich eine tolle Platte geworden. Sie
braucht ein paar Anläufe mehr, um sich
endgültig im Gehörgang festzusetzen –
der Ballast vom Vorgänger ist aber auch
immens. Doch alleine das Eröffnungslied
„Good Lies“ verzaubert vom ersten Moment an so sehr, dass man gar nicht
anders kann, als das Album immer wieder von vorn zu hören. Ab dem Moment,
wenn Markus Acher mit wackeliger
Stimme, nur begleitet von einer Akustikgitarre, singt: „Let's just imitate the real,
until we find a better one“, ist eigentlich
schon alles entschieden. Der Rest bestätigt bald den ersten Eindruck. Nach und
nach erkämpft sich jedes Lied seinen
Platz, entfaltet seine Stärken, besticht
mit kleinen Details.
Unterm Strich ist das sechste Studioalbum eines, in dem die Band sich zwar
nicht neu erfindet, trotzdem aber einen
39
40
deadpress
deadpress
DEAD
Vol5.
Schritt weitergeht; nicht unbedingt
nach vorne, zumindest aber aus dem
Schatten von „Neon Golden“ heraus.
„The Devil, you+me“ ist gleichzeitig
schroffer und poppiger als der Vorgänger, kantiger aber letztlich eingängiger, fragiler und doch genauso perfektionistisch. Dass die Band nach ihrem
Riesenerfolg von „Neon Golden“ gegen
diesen Sound nicht anspielt, sondern
ihn gleichzeitig zu bewahren und
doch zu verändern sucht, ist ihr hoch
anzurechnen und vielleicht auch das
Ergebnis der langen Pause.
P.S.
Otem Rellik
Chain Reaction Robot CD (Ponowai Flora)
Otem Rellik also wieder. Der sympathisch verhuschte Rapper mit den
Stimmeffektgeräten auf der Bühne
bringt mit „Chain Reaction Robot“
einen weiteren Beweis seiner Fähigkeiten. Meist flächige, zumindest
nach Synthie klingende Melodien in
Moll, straighte, manchmal zerhackte
Drums und viel Gefrickel. All das unter
den in typischem Otem-Rellik-Tonfall
zwischen Melancholie und Verzweiflung gerappten und gesungenen Texten über Dinge wie Einsamkeit, Trauer
und abstrakt poetisierte Verschwurbelungen, die mancher nachvollziehen kann, der in die Spalte gefallen
ist, die unsere Art zu leben aus der
Zwischenmenschlichkeit gemacht
hat. Ich finde das mindestens gut. Je
nach Gemütszustand kann es auch
sehr erhebend sein. Auf jeden Fall hat
Herr Rellik, dank der immer auf seine
mit Sicherheit recht zerknautschte
Kappe gehenden Beats, einen ziemlich eigenen Style entwickelt, der
auch hier wieder sehr konsequent verfolgt wird.
D.H.
Prolyphic & Reanimator
The Ugly Truth CD (Strange Famous)
Eine seltsame Geburt war das: Erst
werden Rapper Prolyphic und Produzent Reanimator von Sage Francis mit
einander verkuppelt, dann arbeiten sie
ein knappes Jahr lang an Songs, ohne
sich auch nur ein einziges Mal getroffen zu haben, schließlich crashed in
Chicago eine Festplatte, alles wird
noch einmal aufgenommen, und als
sie sich dann zum ersten Mal gegenüber stehen, ist der Anlass ein für seine
Geschichte außergewöhnlich intimes
Album.
„The Ugly Truth“ erzählt in betont alltäglichen Geschichten von dem, was
der gemeine Rapper gerne „struggle“
nennt: Den Kampf ums Überleben der
eigenen Träume, leere Kühlschränke,
volle Straßen, verhasste Jobs und desillusionierte Freunde. Die Themen sind
also keine sonderlich neuen, was also
zu erwarten bleibt, ist, wie diese verpakkt werden; und hier punkten Prolyphic &
Reanimator. Ersterer ist nach 2 SoloAlben zu einem erstklassigen Erzähler
gewachsen, der seine etwas quäkige
Stimme zu seinem prägnanten Markenzeichen erzogen hat, und Reanimator,
der spätestens seit dem von ihm produzierten Sage Francis Song „The Buzz Kill“
auf jedermanns Radar sein sollte, liefert
dazu äußerst abwechslungsreiche und
detailverliebt geschichtete Beats. Allein
der Dreischlag von „Broken Bottles“, „Born
Alone“ und „Artist Goes Pop“ mit dem das
Album eröffnet, lässt einen den Hunger
der beiden nach der allzu langen Wartezeit spüren. Dies hier ist eines der konsequentesten und souveränsten Rap-Alben
seit langem, und eines der wenigen seit
„Lucy Ford“, die dabei auch zu berühren
wissen.
J.E.
Qwel & Kip Killagain
The New Wine LP / CD
(Galapagos4)
Das dritte Album in der Jahreszeiten-Serie Qwels ist dem dritten Reiter der Apokalypse und der Jahreszeit
Frühling gewidmet. „The New Wine“
steht dabei für unseren Durst nach Öl
und Luxus im Kontrast zum Hunger
derer, die auf beides verzichten müssen. Dass Qwel sich als eine verquere
Mischung aus Prediger und Hardcore-
Rapper versteht, hat man mittlerweile, größtenteils samt aller sich
damit auftuenden Widersprüche,
verdaut - wer ihm, der ohne Zweifel einer der derzeit technisch versiertesten Rapper ist, zuhören will,
muss sich also auch auf seine Weltsicht und damit seinen ihr zu
Grunde liegenden, streng christlichen Glauben einlassen. Hin und
wieder ist das wirklich anstrengend und enervierend - grade dann
wenn Kip Killagains Beats etwas
sehr monoton vor sich hin plukkern - aber wenn Qwel dann mal
auf den Putz haut, ist man doch
wieder davon beeindruckt, dass er
es noch einmal geschafft hat, sein
Rapniveau zu steigern. Die Produktion ist diesmal leider nur Durchschnitt, wenn das Album auch
wesentlich konziser wirkt, als das
letzte, von Meaty Ogre produzierte. Kip Killagain, eigentlich ein
Jungle / Drum'N'Bass Produzent,
gibt sich zwar sichtlich Mühe, dem
rauen Galapagos4-Sound vorsichtig ein paar neue Nuancen zu
geben, seine Versuche wirken
dabei aber oft sehr bemüht und die
wirklichen „Hits“ fehlen leider,
wenn Qwel sich auch endlich mal
ein paar Pausen gönnt, und nicht
wie sonst jede Sekunde des Beats
berappt.
J.E.
Sadistik
The Balancing Act CD
(Clockwork Orange)
Allein musikalisch ist das Debutalbum von Sadistik, das jetzt auf seinem eigenen Label Clockwork Grey
erschien, schon eine Wucht. Auch
wenn man sich oft an der Grenze von
„zu schön“ befindet, habe ich lange
kein Album mehr gehört, das sich so
gefühlvoll wie harmonisch über die
gesamte Spiellänge hinwegzieht.
Die beiden Hauptproduzenten Equalibrium und Emancipator haben
ganze Arbeit geleistet und bilden
mit ihren oft epischen Instrumentalen die perfekte Untermalung für
Sadistik’s sehr persönliche und
metaphorische Texte. An manchen
Stellen wirkt der Vortrag noch etwas
angestrengt und zu ambitioniert,
dennoch kann Sadistik über die Albumlänge durchaus als Rapper überzeugen. Auf Features wurde dabei
nur bei zwei Tracks zurückgegriffen:
„Ashes to Ashley“ holt sich Mac
Lethal von den Rhymesayers und
„Writes of Passage“ wartet mit niemand Geringerem als Vast Aire von
Cannibal Ox auf. Letzterer glänzt mit
irrsinnigen Battlerhymes, welche
sich jedoch nicht ganz in das sprachliche Konzept des Albums einbinden.
Dennoch bleibt der Song, der mit
Cuts von den Dedicated Beatheads
garniert wurde, ein weiteres Highlights der CD, welche somit jedem zu
empfehlen ist.
G.I.
Schaman & Damja
Black Books CD (Substrakt Rec.)
Die Schweizer Schaman23 und Abdul
Damja legen mit „Black Books” ein Kollaborationsalbum vor, das ihr gemeinsames Arbeiten der Jahre 2004 bis 2008 zur
Schau stellt. Zu hören bekommt man
Geschichten und Ansichten zu den eher
düsteren Kapiteln des Lebens, welche
von ein paar Lichtstrahlen durchzogen
sind. Die auf schweizerdeutsch vorgetragenen Texte sind auch für alle verständlich, die der Schweizer Mundart nicht
vollständig mächtig sind, und vermitteln
dem Zuhörer ein glaubhaftes Bild ihrer
Introspektion sowie der ewigen Suche
nach Sinnhaftigkeit trotz allen Scheiterns. Musikalisch spiegelt sich „Black
Books“ dann auch meist in ruhigen, von
Synthies und Streichern getragenen
Beats wider, die, wenn auch nicht immer
voll ausproduziert, einen passenden
Rahmen für die oft schweren Themen
liefern. Wer bei Musik gerne zuhört, vor
dem Schweizer Dialekt nicht sofort
zurückschreckt und auch trotz Sommer
und Europameisterschaft keinen Drang
nach Schunkeln und Mitgrölen verspürt,
dem sei diese Independent-Produktion ernsthaft ans Herz gelegt. A.B.
41
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deadpress
Snatchatec
Indigo CD-R (none)
Snatchatec, seines Zeichens eine
Hälfte der Dedicated Beatheads und in
München ein oft gebuchter Club-DJ,
ist mit einer neuen Mix-CD namens
„Indigo“ am Start. „60 Minutes of
Glitch-Hop & other Instrumental HipHop“ heißt es ankündigend auf dem
Labelaufdruck. Es geht also vorrangig
um Beats, Beats und nochmals Beats.
Diese lässt Snatchatec sehr gekonnt
ineinander verschmelzen, und schon
nach kurzem Hören wird klar, dass es
sich bei der CD um einen ausgetüftelten Megamix handelt. Die Übergänge
und Tracküberlagerungen fallen einem
meist nur dann auf, wenn man Originalstücke wiedererkennt. So sind Klassiker von UNKLE, Mnemotrauma oder
Blockhead zu hören, um nur einige
wenige zu nennen. Bei wem diese
Künstlernamen ebenfalls Wohlgefühl
auslösen, der sollte die CD unbedingt
auschecken!
G.I.
V.A.
Knertz '08 – Collected Collection CD
(Knertz)
Wie man mit ungefähr 200 Wörtern,
diese 27 Lieder rezensieren soll, bleibt
ein Rätsel, wenn allein das Aufdröseln
der verschiedenen Künstler-Konstella-
deadpress
tionen, die sich auf dem Knertz-Sampler tummeln, schon den kompletten
Platz einnehmen würde. Fangen wir
von vorne an: Knertz ist ein Kollektiv
(kein Label), und der Sampler dessen
nunmehr neunte Veröffentlichung;
was in einem Zeitraum von einem
Jahr – seit der Gründung 2007 – sehr
beachtlich ist. Die CD steckt in einer
schönen DIY-Verpackung, ist geklebt,
getackert, mit Stoff und Farbe versehen und innen steckt ein kleines FaltPoster mit Tracklist und Infos. Ansonsten verschafft die Kompilierung
einen ausgezeichneten Über- und Einblick in die verrückte, drollige, kreative, quirlige, bunte und sehr abwechslungsreiche Soundwelt der Knertzer.
Versuche, die verschiedenen GenreKombinationen aufzuzählen, von
denen es auf den „Collected Collections“ wimmelt, können eigentlich
nur scheitern und der Musik nicht gerecht werden. Was man nennen könnte: Electronica, Experimental, (Anti)Folk, Electro, Lo-Fi, Hip Hop ein bisschen Rock und Punk – und das oft
auch noch in ein und dem selben Lied.
Highlights gibt es da unzählige, man
möchte gar keine einzelnen Künstler
oder Titel herauspicken, denn jeder
Song überzeugt mit eigenem Charme.
Und trotz der Vielfältigkeit an Musikstilen und -instrumenten zieht sich
das knertzige, was „etwas agiles,
unsteriles, analoges, manchmal krat-
ziges und leicht schmutziges“ ist, als
roter Faden durch die CD. Großartig!
P.S.
V.A.
One Year & A Day - A Sound Exposure
Vol.2 CD / 2LP (Equinox)
Im Grunde genommen ist diese Zusammenstellung von Equinox Records
Gründer DJ Scientist nichts anderes als
eine Liebeserklärung. Und zwar an einen
ganzen Haufen von herausragenden
Künstlern, welche sich kaum unter einen
Hut packen lassen. Genau dies ist allerdings ihre Gemeinsamkeit und somit
auch der Leitfaden der Compilation.
Nachdem Equinox in der Vergangenheit
durch einige liebevoll gestaltete Veröffentlichungen für große Aufmerksamkeit
bei Feinschmeckern gesorgt hat - hier sei
stellvertretend die gewiefte 5inch-Serie
erwähnt - gibt es nun den zweiten Teil
der Sound Exposure-Samplerreihe. Mit
von der Partie sind unter anderen Arcsin,
2econd Class Citizen, Deckard, Emynd,
88:Komaflash’s Aqua Luminus III. und
einige mehr.
Wer den Werdegang des Labels bisher
verfolgt hat, weiß, dass man sich hierauf
wieder querbeet durch die Musiklandschaft bewegt. Der Grundtenor des Ganzen ist ein eher düsterer, wobei in etwa
der wunderschöne „Laugh Track“ von
Deadpan Darling besonders hervorsticht.
Ein Lieblingslied hierauf zu finden, fällt
allerdings nicht leicht, da zum Beispiel „Wishing Well“ von 2econd Class
Citizen in seiner Entspanntheit ebenso überzeugen kann wie das aufbrausende „A Different Direction“ von Vangel. Alles in Allem: Eine sehr gelungene und abwechslungsreiche Mischung
und die logische Fortsetzung der
spannenden Geschichte von Equinox.
S.K.
V.A.
Psycufski Synfonies LP (Dreckzloch44)
„Kranke Scheiße mit Gefühl“ passt
ganz gut als Beschreibung auf die
jetzt erschienene „Psycufski Synfonies“
Compilation aus dem Hause Dreckzloch44 Records aus Berlin. Nach einer
Reihe von CD-R Releases entschied
man sich endlich mal für eine Vinylveröffentlichung. Entstanden ist dabei
ein 12 Tracks umfassender Einblick in
das Netzwerk um DL44, dem, neben
den Berliner Untergrundrappern
HyPerAktiv, SchwartzeGeist oder
Cazhrayn, auch illustre Gäste (von
denen man im Normalfall wohl noch
nie gehört hat) aus den Staaten und
aus Japan angehören. Als etwas namhafteren Vertreter konnte man zudem
Spectre aus dem Hause Wordsound
für einen guten Instrumentaltrack
gewinnen. Soundmässig bleibt das
Ganze, dem Labelnamen alle Ehre
machend, dreckig, roh und düster. Das
Mikrofon in die Hand nehmen und ille
Reime spitten heißt im Grunde das
Motto. Und soll sich bloß niemand
über die sich kaum verändernden
Beats, kantige Flows oder fehlende
Hooklines beschweren. „Psycufski Synfonies“ ist so wie sie ist, und das ist
gut so! Erhältlich sind die 300 handnummerierten Exemplare der LP
wahrscheinlich nur schwer. Für Anfragen und mehr Info checkt man am
besten mal myspace/psysyns.
G.I.
Wodan
Shortgroove EP CD (Lo Vibes)
Wodan’s „Short Groove“ EP hat 8
Songs, davon 5 rein instrumentale
und 3 die Rapper featuren, zu bieten.
Der Produktionsstil der Stücke ist
dabei in gleichem Maße von der Sample Ästhetik instrumentellen HipHop's
wie von soundverliebten Elektronikbasteleien á la Matthew Herbert
geprägt. Es gibt dicke Drumsets,
schön ausbalanciertes Geklacker, einges an noisigen Breaks und schicken
Sample-Arrangements. Besonders fällt
dabei der Titel-Song mit seinem dubbigen Groove auf, den Wodan in
immer neuen Anläufen aufschneidet,
mit neuen, unerwarteten Fragmenten
versieht, und dann weiterschlendern
lässt. Das wunderbar schwebende
„Butterfly“ und der überraschend
aggressive Rausschmeisser „Odd5“ verdienen ebenfalls einige Repeats. Einzig
die Rap-Einlagen von Mavys und Roluxx
konnte ich nichts abgewinnen - zwischen all den neuen Klängen, wirken ihre
altbekannten Themen und Vokabeln
etwas hilflos und deplaziert.
J.E.
Wordburglar
Burglaritis CD (Urbnet Canada)
Krass, sowas gibt es noch. Damals, in
den Neunzigern. Als man auch an ganz
normale Alltagsfloskeln wie „Guten Tag“
einen Vergleich hing (wie wärs mit „wie
ein guter Tag, zum Beispiel ein Tag mit
schönem Wetter“?). So ähnlich geht es
mir mit „Burglaritis“. Die Beats bouncen
beschwingt und klassisch und natürlich
samplebasiert und wären auch ganz
funktional. Und persönlich ist der Herr
bestimmt auch eine Bereicherung für
die Menschheit. Aber die Texte. Sinnlos
und albern, quasi nur über Rap rappen
ist ja geil und schön, dass sich das so
toll reimt, aber „We keep shit fresh – like
Tupperware“, „I’m hot like a hot girl’s ass
in a bikini“, „you know me like general
knowledge“ ...? Ich hoffe schwer, dass
ich jetzt niemandem Unrecht widerfahren lasse. Aber Rap gibt es mittlerweile
in beinahe jeder Hinsicht in besser.
Im Großen und Ganzen nicht das Gelbe
vom Ei. Wie Eiweiß. Knawmean!?
D.H.
43
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deadlists
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5 Gute Gründe
Sicherlich gibt es auch für die Debut-LP der deutschen HipHop-Pioniere LSD weit mehr als 5 Gründe, sie gut zu finden. Diese Special List wird sich auf die vielleicht 5 wichtigsten und obskursten darunter beschränken. Zunächst
muss ich erwähnen, dass dieses Album bisher grundlegend an mir vorübergegangen ist – zu selten und begehrt ist
das 1991 erschienene Original, das mit Hits, wie „This Beats Are Legal“ oder „Competent (Remix)“ aufwartet. Dank
der Neuauflage, bzw. dem Erscheinen einer re-mastered Version inklusive der Instrumentale auf dem Label Melting
Pot, ist nun aber jedem die Möglichkeit gegeben, das Album neu zu entdecken.
2. Eines der ersten deutschen Rapalben
Nun ja, selber behaupten die Akteure von LSD sogar, dass es sich hier generell um das erste deutsche HipHop-Album
handelt. Das sollte man jetzt gleich mal berichtigen. Das erste Rapalbum aus der Bundesrepublik war wohl das musikalisch und kulturell eher unbedeutende Werk von Luxster, „Radio-Active“ von 1984 (wer Gegenvorschläge hat, bitte EMail an die Redaktion!). Luxster, allem Anschein nach ein in Deutschland stationierter GI, nahm damals mehrere,
eher discolastige Raptracks mit einer deutschen Funk-Band auf. Ebenfalls nicht zu vergessen ist der begehrte ElectroHipHop Klassiker von The Alliance (It’s Time, 1989 auf Fresh Line) und das wohl erste primär auf Samples basierende
deutsche Rapalbum von den Young Guns (a.k.a. DJ Derezon und MC Rodski) namens „Hyped Up“ (1989, Imperial
Nation; immerhin mit 8 Tracks, aufgrund von drei zusätzlichen Instrumentalen aber oft als EP deklariert). All diesen
nerdigen Kleinigkeiten zum Trotz, war „WOFTTR“ aber wohl das Beste von den Ersten und kann zurecht als Meilenstein betrachtet werden. Das kann man den Kölner Jungs nicht nehmen.
3. Die vielleicht erste deutsche HipHop-Platte die Einfluss auf einen US HipHop-Klassiker hatte
1. Die Platte mit den vielleicht meisten Samples aller Zeiten
Nicht nur Future Rock, der Hauptproduzent des Albums, ist sich in einem Interview der Gruppe bei Mixery
Raw Deluxe sicher: „Watch Out For The Third Rail“ (WOFTTR) ist die Platte mit den meisten Samples aller
Zeiten. Die einzige Platte, die LSD vielleicht Konkurrenz machen könnte, wäre das dritte Public Enemy Album
„Fear Of A Black Planet“ (1990, Def Jam). Dieses geht mit einem ähnlichen Sample Overload an den Start. Der
Umstand, dass man wesentlich mehr aufwendige zusammengestückelte Skits auf „WOFTTR“ unterbrachte, verstärkt aber auch bei mir den Eindruck, als wäre das Album der Kölner in dieser Hinsicht einfach nicht zu toppen. Eine wirkliche Zählung der Samples wäre aber wohl unmöglich und könnte, laut Future Rock, um die 3
Wochen dauern. Zumindest sollen es so an die 1000 Stück sein – das ist ja mal eine Angabe!
Wie im offiziellen Pressetext, einigen Artikeln und wilden Newslettern falsch behauptet, können L.S.D. aber
DJ Shadow keinen Guinness Buch der Rekorde-Eintrag streitig machen. Dieser stand nach meinen Informationen nämlich nicht für das Album mit den meisten Samples, sondern für das „First Completely Sampled
Album“ im Buch!
Hier handelt es sich um heiße Spekulationen, die keine Geringeren als die Ultramagnetic MC’s (Ced Gee, Kool Keith,
Moe Love & TR Love) und deren Album „Funk Your Head Up“ (1992, Mercury) betreffen. Laut DJ Rick Ski a.k.a. Black
Vinyl Master verhielt sich das folgendermaßen: „Future Rock hatte im Sommer 1991 den Ultras die 3rd Rail in die Hand
gedrückt. Man beachte dabei das Cover und das komplexe Gebilde der Songs und Skits“. Hört man nun das Ultramagnetic Album, kann man wirklich musikalische Ähnlichkeiten erkennen. Ein Statement von Ced Gee konnten wir
leider nicht bekommen. Aber allein der Gedanke, Kool Keith und Ced Gee (dieser ist immerhin einer der bedeutendsten Vorreiter samplebasierter Produktion) sitzen in ihrem Studio und lauschen staundend den Klängen der 4 B-Boys
aus Good Old Germany, ist schon einmalig.
4. Einflussreichste deutsche HipHop-Platte
Hört man sich deutschen Rap heute so an, ist die Platte wohl doch an vielen vorbeigerauscht, doch der Anrufbeantworter-Shoutout von Torch (Advanced Chemistry) zur bereits 1989 erschienenen Competent EP ist schon super: „Jede Sau
hörtL.S.D. In Heidelberg“! Vom Album war dieser und viele weitere sicherlich noch weitaus mehr beeindruckt.
5. Die bis dato längste Spielzeit einer HipHop Einfach-LP?
Leider doch nicht. Produzentengenie Prince Paul hat die Messlatte mit De La Soul's "3 Feet High & Rising" unddessen ca.
62 Minuten doch zu hoch gelegt. Aber was auch immer LSD dazu bewegte, ebenfalls um die 30 Minuten pro LP-Seite zu
pressen, verhinderte, dass sie vielleicht die ersten deutschen HipHopper gewesen sein könnten, die es geschafft hätten,
gleich 2 LPs in nur einem Jahr herauszubringen – oder zumindest die erste Doppel-LP! Das Material hätte auf jeden Fall
wohl auf zwei Alben gepasst. Denn anerkennenderweise gibt es auf „WOFTTR“ keine Ausfälle oder Füller. Vielleicht war
das Ganze soundtechnisch nicht gerade empfehlenswert, aber damals hat man noch was gekriegt für sein Geld.
Wenn man mal kleine Abstriche für die noch etwas kantig und „deutsch“ Vorgetragen englischen Lyrics weglässt,
dann gibt es überhaupt keine Frage: „Watch Out For The Third Rail“ ist ein Klassiker, der in keiner Plattensammlung
fehlen sollte. Wer jetzt wissen will, wie das ganze klingt, hört einfach in das neu aufgelegte CD-Doppelalbum oder in
die auf Doppelvinyl erschienenen Instrumentale rein. Letztere bieten auch heute noch Potential für jede Tanzfläche!
Text: Günter Stöppel; Bilder: MPM, Raphistory.net
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deadlists
deadlists
deadlists
Foto: DJ Sixkay
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Factor
(Fake Four Inc.)
40 Winks
(Project: Mooncircle)
Brayaz
(Drumkick Radio)
Reggie Reg
(of The Crash Crew)
DJ Snatchatec
(Dedicated Beatheads / Deckpackers)
Favorite Albums For High-Way Driving:
Current Top 10:
CurrentTop 10:
Old School Celebrity Special Playlist
Current Top 10
1.
Digital Underground:
Future Rhythm (Critique Records)
Willie Gresham and The Free Food Ticket:
I Cried Boo Hoo (Mejesty Records)
Daedelus: Hrs:Mins:Secs
(Ninja Tune)
Grandmaster Flash and The Furious Five:
Superrappin’ (Enjoy)
Parker Feat, Rasco: Western Soul
(Breakin Even)
2.
Freestyle Fellowship: To Whom It
May Concern (Independent)
The Rising Sun: One Night Affair
(Numero Group)
Edan: Rock And Roll Feat. Dagha
(Lewis)
Funky Four Plus One More:
Rappin And Rocking The House (Enjoy)
The Herbaliser:
Game Set And Match (!K7)
3.
Fleetwood Mac: Fleetwood Mac
(Warner Bros.)
Wendy Rene: Crying All By Myself
(Stax)
Venetian Snares: Szamár Madár
(Planet Mu)
Kurtis Blow: The Breaks
(Mercury)
The Apples: Killing
(Freestyle)
4.
Ghostface Killah: Pretty Tony
(Def Jam)
Duke Ellington: Merry Go Around
(RCA)
James Pants feat. Deon Davis:
Crystal Lite (Stones Throw)
The Crash Crew: High Powered Rap
(Mike & Dave Records)
Marco Polo Feat. O.C.:
Marquee (Rawkus)
5.
Smashing Pumpkins: Greatest Hits
(Virgin Records)
Mulatu Astatke: Emnete
(Soundway)
Lefties Soul Connection:
Organ Donator (Melting Pot Music)
Spoonie Gee & Treacherous Three:
The New Rap Language (Enjoy)
Katalyst: Step Up
(Invada)
6.
Why?: Alopecia
(Anticon.)
Leila: Young Ones
(Warp)
Cut Chemist feat. Edan & Mr. Lif:
Storm (Warner Bros. Records)
The Treacherous Three:
Feel The Heartbeat (Enjoy)
The Souljazz Orchestra:
Mista President (Do Right! Music)
Arcade Fire: Funeral
(Merge Records)
Diverse: Escape Earth
(Adult Swim)
Fink: This Is The Thing
(Ninja Tune)
The Fearless Four: Rockin’ It
(Enjoy)
The Soul Snatchers: People People
(Social Beats)
8.
Devin The Dude: Just Trying Ta Live
(Asylum Records)
Mono Poly: MS14 Bitch
M. Arfman: Hotel Pacific
(Unique)
Rob Base & D.J. E-Z Rock:
It Takes Two (Profile)
Speedometer: Main Man
(Freestyle)
9.
David Ramos: This Up Here
(Fake Four Inc.)
School of Seven Bells: Trance Figure
(Green Owl)
Balduin: Weirdo
(Crippled Dick Hot Wax)
Doug E. Fresh & The Get Fresh Crew:
The Show (Reality)
Hot 8 Brass Band: Sexual Healing (Tru
Thoughts)
10.
The Nonce: World Ultimate
(Warner Bros.)
Flako: 376
Ill K: Sushi
(Dubspin)
Dana Dane : Nightmares
(Profile)
Villain Accelerate: Things Told
(Mush)
7.
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deadus
deadvol 5.
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M..P..3.-........
deadus
DEAD Magazine erscheint drei mal
im Jahr. Das nächste Heft erscheint
voraussichtlich Dezember 2008.
Verlag:
DEAD Magazine
Bredowstraße 38
10551 Berlin
phone + 49 (30) 24 53 52 16
fax +49 (30) 24 53 52 15
Redaktionsadresse Musik:
DEAD Magazine
Jens Essmann
Sanderglacis 9 / Hinterhof
97072 Würzburg
Herausgeber:
Günter Stöppel
Chefredakteur:
Jens Essmann
Redaktion:
Axel Hübner, Kristopher Harris, Günter Stöppel, Arne Brettschneider,
Christian Fischer, David Häußer,
Frank Herst, Patrick Schwentke,
Peter Merk, Stefan Kronthaler
Grafik & Layout:
David Alke & Raincoatman
Spezieller Dank an Holger / GrafixFiles
E-Mail: [email protected]
Anzeigen:
[email protected]
www.deadmagazine.com
www.myspace.com/deadmagazine
Grundlayout und DEAD-Logo:
Florian Bröcker / Institute48
Limitierte Druckauflage inkl. 7inch:
250 Stück
1. Dday One Minimal Remnant
2.Factor feat. Ceschi Pray
3. Bleubird Brute Force
4.Asup Chiffre
5.Egogrill Am Anfang
6.Sadistik feat. Vast Aire Writes Of Passage (Original Version)
7. Marcello feat. Cellad’or Dirty Jam
8.Karhu Couverture
Vertrieb Print:
EQX-Music
HHV.de
Leavemusic.de
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public performance, broadcasting of this recording prohibited.
Credits
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der Redaktion wieder. DEAD Magazine
übernimmt keine Haftung für unverlangt eingesandte Tonträger, Manuskripte und Fotos. Alle Inhalte des
Magazins sind urheberrechtlich geschützt. Nachdrucke oder jede anderweitige Verwertung bedürfen der
schriftlichten Genehmigung des Verlages.
1. Produziert von Dday One | entnommen vom
Album „Heavy Migration“, mit freundlicher Genehmigung von Content Records
2. Produziert von Factor | Texte von Ceschi | entnommen vom Album „Chandelier“, mit freundlicher
Genehmigung von Fake Four Inc.
3. Text von Bleubird | Produziert von Bit-Tuner |
entnommen der EP „Street Talk 2“, mit freundlicher
Genehmigung von Bleubird und hiphopcore.net
4. Produziert von Asup | entnommen vom 7inch
Release „Chiffre / Untitled“, mit freundlicher
Genehmigung von NDSTWTRST Records
5. Texte von Omega Takeshi | produziert von BitTuner | entnommen vom Album „Nur ein Monster
hat keine Angst vor sich selbst“, mit freundlicher
Druck:
Media24Service Berlin
www.media24-service.de
Free Download on deadmagazine.com
Vertrieb Online:
DEADmagazine.com
Genehmigung von Leave.Music
6. Texte von Sadistik und Vast Aire
| Cuts von Snatchatec und DJ
Scientist | Unreleased Original Version, mit freundlicher Genehmigung von Sadistik
7. Musik von Marcello und Cellad’or
| entnommen vom Album „ACAB“ |
mit freundlicher Genehmigung von
Marcello
8. Produziert von Karhu | entnommen vom Album "Sinfonia for the
Blunt Sword“, mit freundlicher
Genehmigung von Karhu
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