Sampling als künstlerisches Verfahren. Ästhetische

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Sampling als künstlerisches Verfahren. Ästhetische
Sampling als künstlerisches Verfahren.
Ästhetische Betrachtungen einer populären Praxis in den Stilen Hip Hop und Electronica/Dance
Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an
Gymnasien und Gesamtschulen, dem Staatlichen Prüfungsamt für Erste Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen in Köln vorgelegt von:
Frieder Vogel
19. März 2007
Prof. Michael Rappe
Hochschule für Musik Köln
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
1
1. Ausgangspunkte einer künstlerischen Betrachtung von Sampling
5
1.1 Materialbeherrschung ........................................................................................................5
1.2 Verwendungsweisen............................................................................................................6
1.2.1 „Simulation anderer Instrumente“ .................................................................................6
1.2.2 „Gestaltungspraxis der DJ-Culture“ ..............................................................................7
1.2.3 „Experimentelle[...] Strategien“.....................................................................................8
2. Ästhetische Analogien und Abgrenzungen zu anderen Kunstformen
11
2.1 Das Alltägliche in der Kunst ............................................................................................11
2.1.1 ‚Die Emanzipation des Geräuschs’.............................................................................12
2.2 Collage, Zitat und Montage .............................................................................................16
2.2.1 Collage .........................................................................................................................17
2.2.2 Montage .......................................................................................................................18
2.3 Organic Sampling .............................................................................................................22
2.3.1 Dub...............................................................................................................................23
2.3.2 DJ-Culture....................................................................................................................24
2.3.3 Die Stärkung des Produzenten.....................................................................................26
3. Der Umgang mit dem Original: „Politik des Stehlens“, kreative
Interpretation oder neues Original?
29
3.1 Verlust der Aura? .............................................................................................................30
3.2 Remix .................................................................................................................................35
4. Mensch vs. Maschine
42
4.1 „Musik der Unbefugten“..................................................................................................43
4.2 Sampling als Bindeglied ..................................................................................................44
5. Sounddesign
49
5.1 Sound als Mysterium .......................................................................................................49
5.2 Das Sounddesign der Electronica/Dance Music.............................................................51
5.2.1 Die Zerkleinerung des Materials..................................................................................53
5.2.2 Das Erschaffen eigener Samples..................................................................................56
5.3 Sounddesign im Hip Hop .................................................................................................58
6. Resümee und Ausblick
64
6.1 Resümee .............................................................................................................................64
6.1 Ausblick .............................................................................................................................67
7. Quellenverzeichnis
70
7.1 Literatur ............................................................................................................................70
7.2 Zeitschriftenartikel ...........................................................................................................75
7.3 Zusätzliche Internetadressen ...........................................................................................76
7.4 Discographie ......................................................................................................................76
7.5 Anhang...............................................................................................................................78
7.5.1 Matthew Herbert Manifest...........................................................................................78
7.5.2 Musikbeispiele (Titelliste und CD) ............................................................................ 80
1
Vorwort
Thomas Feuerstein und Stefan Bidner stellen in ihrer 500 Seiten umfassenden
Zusammenstellung „Sample Minds“ 1 die Samplingkultur in verschiedenen Zusammenhängen dar. Die Unterschiedlichkeit der einzelnen Beiträge verdeutlichen
zahlreiche Bezugsfelder von Sampling. Dies macht eine Eingrenzung des Begriffs
nahezu unmöglich. Vielmehr ist Sampling gar zur „herrschenden Technologie und
Leitmetapher der westlichen Kultur geworden: Sampling ist der universelle Metacode einer postindustriellen Gesellschaft und Ökonomie.“ 2 Neben dieser geradezu
ausufernden Dimension des Samplingbegriffs, schwingt in einer Vielzahl der Beiträge stets eine allgemeine Skepsis mit, ein kritischer Unterton, der Vorbehalte
erkennen lässt und zur Vorsicht mahnt. So wird Sampling teilweise auch „als ein
teuflisches Projekt verstanden“ 3 oder es werden Vergleiche zu einem Monster
angestellt, „das aus nicht zusammengehörigen Teilen zusammengesetzt ist.“ 4
Die hier angedeuteten Aspekte, die vielfältige Verwendung und die damit verbundenen Zweifel, lassen sich auch in einem auf die Musik eingegrenzten Samplingbegriff wieder finden, der zunächst – rein technisch gesehen – lediglich die Konvertierung eines analogen in ein digitales Audiosignal darstellt. So hat sich Sampling seit der Entwicklung der ersten Sampler Ende der siebziger Jahre als ein Verfahren fernab stilistischer Genres etabliert. Selbst in Stilistiken, die traditionell
von Musikern gespielt werden, wie beispielsweise Rockmusik und Jazz, ist die
Arbeit mit Samples zur gängigen Praxis geworden. Neben der häufigen und beliebten Verwendung der Samplingtechnologie werden jedoch, wie oben bereits
angedeutet, auch zunehmend kritische Stimmen laut, die einen Kreativitätsverlust
befürchten und Urheberrechte verletzt sehen, wenn Teile von Stücken einfach
komplett übernommen werden.
1
Vgl. Bidner / Feuerstein 2004.
Feuerstein 2004, S. 252.
3
Ebd., S. 255.
4
Fuchs 2004, S. 303.
2
2
Dass sich dabei selbst die mit Sampling arbeitenden Musiker dieser Gefahr der
bloßen Kopie bewusst sind, kommt im folgenden Interviewauszug mit dem Produzenten und MC Vitamin D zum Ausdruck.
„I don’t wanna take another man’s composition... ’cause they wrote that with
a feeling and a whole spirit behind it. And their intent when they wrote it
wasn’t for me to sample it, really [...]. So I’m more taking their texture and
taking what their producers did with them, and taking their sound. As opposed
to taking their composition. Which again, it’s a thin line between violating and
not.“ 5
Sampling zeichnet sich durch die Übernahme fremden Materials aus, und steht
damit automatisch unter dem Verdacht, mit Hilfe der Technologie eher zu kopieren als neu zu schaffen. Das Zitat lässt jedoch auch erkennen, dass Sampling mehr
eine Übernahme von einzelnen Sounds sein sollte, deren Beschaffenheit zunächst
im Sinne einer Instrumentierung gebraucht wird, vergleichbar mit Klangfarben
unterschiedlicher Instrumente, die erst durch ihr Zusammenspiel eine Komposition entstehen lassen.
Im Folgenden soll besonders die kreative Eigenleistung von Sampling 6 als musikalisches Verfahren herausgestellt werden. Die Hauptthese dieser Arbeit lautet,
dass Sampling als ein künstlerisches Verfahren bezeichnet werden kann, welches
ästhetisch gesehen sich auf unterschiedlichste Art und Weise ausgeprägt hat, indem es die sich bietenden Möglichkeiten auf kreative Weise nutzt.
Sampling als künstlerisches Verfahren zu beschreiben impliziert einerseits, die
Fülle kreativer Möglichkeiten und unterschiedlichster Verwendungsweisen zu fassen und zu kategorisieren. Andererseits spielt jedoch der eigene Stil, die eigene
Ästhetik eines Produzenten, oder besser gesagt, eines Künstlers, eine entscheidende Rolle. Gerade im Bereich des HipHop und der Electronica/Dance Music mit
ihren zahlreichen Subgenres lässt sich dies verdeutlichen, da diese Musikstile zu
einem Großteil auf Samples basieren.
5
6
In: Schloss 2004, S. 164.
Der Samplingbegriff wird im Folgenden immer auf die Digitalisierung von Musik bezogen.
3
Generell ist es weniger die fehlende Forschungsliteratur zum Thema Sampling,
als vielmehr eine häufig zu allgemeine Darstellung des Untersuchungsgegenstandes, welche erschwert, den Bezug zur musikalischen Praxis herzustellen. So fehlt
in den von mir gefundenen Beiträgen eine differenzierte Betrachtung, die einerseits die entsprechenden Verwendungsweisen von Sampling berücksichtigt, andererseits diese auch mit einem musikalischen Umfeld verbindet und den Einzelfall
betreffend spezifiziert. Denn bei einer zunehmenden Vermischung von Subgenres
finden derart pauschale Darstellungen keine eindeutige Entsprechung, wie im weiteren Verlauf der Arbeit auch noch deutlich werden wird.
Wie bereits erwähnt, soll der Samplingbegriff in dieser Arbeit im Wesentlichen
auf ästhetische Betrachtungen im Bereich Hip Hop und der Electronica/Dance
Music bezogen werden. Der technische Vorgang von Sampling, nämlich die Digitalisierung von Audiomaterial, ist nicht Gegenstand dieser Arbeit.7 Vielmehr wird
der Umgang mit technischen Geräten und Computern unter dem Aspekt der daraus entstehenden Gestaltungsmöglichkeiten und deren Resultat für meine Arbeit
von Bedeutung sein.
Eine Differenzierung nach Subgenres innerhalb der Electronica/Dance Music hätte zu einer umfassenderen Fundierung der dargestellten Aspekte beigetragen. Da
jedoch Sampling gerade innerhalb der Electronica/Dance Music nur schwer zu
benennen ist und eher versteckt angewendet wird, musste leider im Umfang dieser
Arbeit auf eine genauere Kategorisierung zugunsten von allgemeineren Gesichtspunkten verzichtet werden. Des Weiteren ist besonders im Bereich des afroamerikanischen Hip Hop immer wieder eine bewusste Verwendung von bestimmten
Samples festzustellen, die auf andere, über die Musik hinausgehende Bedeutungsebenen verweisen. Diese kulturwissenschaftlichen Bezüge werden zwar angedeutet, können aber im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft werden.
In den ersten beiden Kapiteln dieser Arbeit sollen zunächst grundlegende Aspekte
aufgeführt werden, die dem Sampling als Verfahren ein eigenständiges Profil verleihen. Während zunächst die neue Form der Materialbeherrschung und sich daraus ergebende unterschiedliche Möglichkeiten der Verwendung von Sampling be7
Eine kurze und detaillierte Darstellung über den Vorgang der Konvertierung in ein digitales Signal ist bei Poschardt 1995, S. 228-230 zu finden.
4
trachtet werden, sollen im zweiten Teil Ähnlichkeiten zu anderen künstlerischen
Verfahren beschrieben und spezifische ästhetische Eigenheiten des Samplings abgegrenzt werden.
In einem weiteren Schritt sollen zentrale Kritikpunkte an Sampling, wie oben bereits angedeutet, besonders unter dem Aspekt der Autorenschaft und dem zunehmenden Einfluss der Technologie auf die musikalischen Endprodukte diskutiert
und relativiert werden. Der Aspekt des Sounddesigns lässt sowohl eine andere,
zukünftige Ausrichtung von Sampling erahnen, wie er auch die bis dahin erreichten Ergebnisse der Arbeit erneut mit einbezieht und sich deshalb als letztes Kapitel anbietet.
Die im Text gewonnenen Erkenntnisse werden jeweils am Ende des entsprechenden Abschnittes durch ein Musikbeispiel veranschaulicht. Die sich anschließenden Erklärungen sind dabei relativ kurz gehalten und lediglich auf den jeweiligen
Aspekt des Abschnittes begrenzt.
5
1. Ausgangspunkte einer künstlerischen Betrachtung von Sampling
Um Sampling als künstlerisches Verfahren aufzufassen, sind vorweg besonders
zwei Gesichtspunkte von Bedeutung. Zum einen besteht die eigentliche Innovation des Samplings in der Digitalisierung von Musik und somit in einer beliebigen
Umgestaltung der vorliegenden Daten durch die Veränderung des binären Zahlencodes. Andererseits lassen sich die vielfältigen Möglichkeiten hinsichtlich ihrer Verwendung in bestimmte Kategorien einteilen, die es zu benennen gilt.
1.1 Materialbeherrschung
Nach Adorno sind „alle Fortschritte in den kulturellen Bereichen solche von Materialbeherrschung, von Technik.“ 8 Diese Feststellung scheint auf das Samplingverfahren in besonderer Weise zuzutreffen, weil gerade in der Materialbeherrschung das wesentliche Charakteristikum des Samplings besteht. Auch Harenberg sieht zwischen Materialbeherrschung und künstlerischem Output einen Zusammenhang. „In Fragen nach Struktur und Klang von Musik geht es in der aktuellen elektronischen Musik um ästhetische Ausdifferenzierungen, angesichts überwältigender Möglichkeiten der Verfügbarkeit und Beherrschbarkeit von musikalischem Material.“ 9
Der Wunsch nach einer völligen Kontrolle und Disponibilität von Klängen ist
dabei keineswegs neu. So betrachtete bereits Thomas Edison seine Erfindung der
Phonographie „as a method of having access to the past.“ 10 Die Euphorie, die in
diesem Zitat mitschwingt, bringt die enorme Bedeutung dieser Erfindung damals
zum Ausdruck, aus heutiger Sicht betrachtet handelte es sich dabei freilich nur um
das Konservieren von Klängen.
In der Musique Concrete, gerne auch als „Geburt des Samples“ 11 bezeichnet,
kommt besonders das Verlangen nach einem Spiel mit zuvor aufgezeichneten
Klängen zum Ausdruck, indem Geräusche für Kompositionen verwendet wurden.
8
Adorno, Theodor W.: Fortschritt; Zit. n.: Poschardt 1995, S. 366.
Harenberg 2003, S. 85.
10
Miller 2005, S. 69.
11
Ilschner 2003, S. 20.
9
6
Die ästhetischen Absichten der Musique Concrete und ihre direkte Bedeutung für
Sampling als künstlerisches Verfahren sollen dabei zunächst ausgeklammert werden. Im Hinblick auf den Wunsch der Materialbeherrschung ist entscheidend, dass
in dem „Sprung von der phonographischen Klangschrift zum digitalen maschinenlesbaren Code ein Wechsel in eine neue Welt der Gestaltung“ 12 zu sehen ist.
Die Musique Concrete musste sich mit den vorhandenen Klangquellen quasi abfinden und stellte diese lediglich in einen neuen Kontext. Eine Manipulation der
Klänge war dabei in nur sehr begrenztem Maße möglich. „Digitale Formen der
Speicherung und Übertragung unterscheiden sich davon grundlegend.“ 13 Nach der
Digitalisierung des Audiosignals bleibt eine Art Gerüst des eigentlichen Signals in
ein bestimmtes Raster und Messwerte eingepasst, die bei entsprechender Dichte
beliebig verändert werden können. 14
1.2 Verwendungsweisen
In der Forschungsliteratur gibt es sehr wenige Beiträge, die sich mit den unterschiedlichen Anwendungsgebieten von Sampling genau auseinandersetzen. Auch
wenn dieser Aspekt vordergründig weniger mit den ästhetischen Überlegungen als
mit produktionstechnischen Unterschieden zusammenhängt, ist er für eine differenzierte Betrachtung unerlässlich und ermöglicht erst eine verfeinerte Abgrenzung der individuellen künstlerischen Ansätze der einzelnen Produzenten.
Im Wesentlichen teile ich die Darstellungen von Großmann und Goodwin, die
zwischen drei Gestaltungsmöglichkeiten differenzieren. Die Ansätze beider Autoren unterscheiden sich dabei hauptsächlich in ihrer Begrifflichkeit.
1.2.1 „Simulation anderer Instrumente“ 15
Eines der wichtigsten Anwendungsfelder des Samplers besteht in der „Simulation
anderer Instrumente.“ 16 Goodwin bezeichnet diese Verwendungsweise auch als
12
Großmann 2005, S. 321.
Großmann 2004, S. 99
14
Vgl. Großmann 2004, S. 98/99.
15
Großmann 2005, S. 322.
16
Ebd.
13
7
„verstecktes Sampling“ 17 , da das möglichst realistische Nachahmen verschiedener
Instrumente im Vordergrund steht und der Einsatz eines Samplers verschleiert
werden soll. Diese ‚erste Schule’ des Samplings lässt sich vor allem auf ökonomische Gesichtspunkte zurückführen und stand bei der Entwicklung der ersten
Sampler, wie beispielsweise der Linn Drum, im Mittelpunkt. Der Grundgedanke
„der digitalen elektronischen Klangerzeugung war d[er] des perfekten Imitats anderer nichtelektronischer Instrumente“ 18 mit dem Ziel, Kosten für aufwendige
Studioproduktionen zu sparen. Wie aktuell dieser Ansatz auch heute noch ist,
wird am Beispiel der Vienna Synphonic Library deutlich.
„In einer einzigartigen Synthese aus Wiener Musiktradition mit tonangebender
Spitzentechnologie werden Millionen Samples produziert, die sowohl qualitativ als auch quantitativ neue Maßstäbe setzen [...]. Die DVD-Editionen [...]
2004 werden es Komponisten, Arrangeuren und Musikproduzenten ermöglichen, jede Nuance künstlerischer Ausführung von Orchestermusikern absolut
authentisch zu replizieren. Die Gesamtausgabe wird bis zu 1,5 Mio. Töne und
Tonfolgen umfassen [...] und das gesamte klassische Instrumentarium inklusive weltweit erstmals gesampelter Instrumente beinhalten.“ 19
Im Hinblick auf die Untersuchung von Sampling als künstlerisches Verfahren ist
der Aspekt der Simulation von geringerer Bedeutung. Dennoch wird deutlich,
welche facettenreiche Entwicklung das Sampling aus diesem Kerngedanken entfaltet hat, wie an den zwei anderen Verwendungsweisen deutlich wird.
1.2.2 „Gestaltungspraxis der DJ-Culture“ 20
Die zweite Gestaltungsmöglichkeit des Samplings ist aus der Tradition der DJCulture entstanden und bedient sich auch der Praktiken des Cut & Mix. 21 Der DJ
kann mit seinem Set-Up, bestehend aus zwei Plattenspielern sowohl in die Zeitachse eingreifen, indem er die Platte beschleunigt oder verlangsamt, als auch mit
dem Mixer die Signale manipulieren. Er bezieht sich dabei jedoch stets auf das
Audiosignal.
17
Goodwin 1998, S.113.
Diederichsen: Montage / Sampling / Morphing.
19
Vgl. http://www.tmw.at/default.asp?id=547
20
Großmann 2005, S. 324.
21
Vgl. Großmann 2004, S.98.
18
8
Mit Workstations, wie z.B. der MPC von Akai, oder Computern können diese
Techniken nun in einem digitalen Umfeld fortgesetzt werden. 22 Aufgrund der
bereits beschriebenen Materialbeherrschung können Loops, Drumbreaks, Akkorde
usw. exakter separiert und in den Mix eingefügt werden. Pads ermöglichen ein intuitives Abspielen der Samples, der Sampler wird sozusagen zum Musikinstrument, bei dem die einzelnen Samples auf die Pads verteilt und per Hand eingespielt werden können. Besonders beim Erstellen von ‚Beats’ ist dieses Verfahren
äußerst beliebt.
Diese zweite Verwendungsweise des Samplings ist Mitte der achtziger Jahre entstanden, als Sampling billiger wurde und erschwingliche Geräte wie die bereits
erwähnte MPC von Akai oder der SP1200 von E-mu auf den Markt kamen. 23
Auch wenn heute noch zahlreiche DJs und Produzenten auf ihre MPC schwören,
dürften wohl inzwischen die verbesserten Zugriffsmöglichkeiten über SoftwareOberfläche mit integriertem Sequenzer die Workstations längst verdrängt haben. 24
Diese Verwendungsweise des Übereinanderschichtens einzelner Loops ist in der
aktuellen Hip Hop-Musik aktueller denn je, vielmehr noch hat sich dieses Verfahren auch im Bereich der Popmusik etabliert.
1.2.3 „Experimentelle[...] Strategien“ 25
Noch stärker als dies in dem soeben vorgestellten Gestaltungsverfahren der DJCulture der Fall ist, nutzt die dritte Verwendungsweise der „experimentellen Strategien“ die neuen Möglichkeiten der Materialbeherrschung zum Finden einer eigenständigen Ästhetik, die sich zu einem Großteil über das Kreieren neuer
Sounds definiert. Mehr noch als andere Gestaltungsverfahren des Samplings
zeichnet sich dieses Verfahren durch eine Mixtur der unterschiedlichen Studiobereiche wie Harddisc-Recording, Sample-Editing und Sounddesign aus und wird
von Großmann deshalb als „Gemisch elektronisch-digitaler Klangproduktion“ 26
bezeichnet.
22
Vgl. Großmann 2005, S. 324.
Ebd.
24
Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=z73CcodfT_w&NR Pete Rock on MPC
25
Großmann 2005, S. 325.
26
Vgl. Großmann 2005, S. 326.
23
9
Goodwin hingegen bezeichnet den Remix als eine weitere Verwendungsweise des
Samplings. 27 Dieses doch sehr spezielle Anwendungsgebiet könnte auch als eine
Mischung aus Gestaltungstechniken der DJ-Culture und den „experimentellen
Strategien“ bezeichnet werden. Zum einen wird das Original dekonstruiert, was in
gewisser Weise dem Herausfiltern eines DJs gleichkommt, andererseits nimmt besonders bei den heutigen Remixen das Sound Design einen entscheidenden Platz
ein.
Die „absolute Verweigerung, sich den leichten Genüssen des Originals zu ergeben“, 28 ist bei modernen Remixen fast schon zu einem Muss geworden. Die Möglichkeiten, die Sampling in Kombination mit einem Rechner inzwischen bietet,
stellt die Suche nach neuen Sounds in den Mittelpunkt. Deshalb habe ich den Remix als Unterpunkt den „experimentellen Strategien“ zugeordnet. Remixing ist für
das Sampling ohnehin in mehrfacher Weise von Bedeutung und wird in dieser
Arbeit besonders unter 3.2 noch einmal genauer betrachtet werden.
Während das Erkennen der Samples in der DJ-Culture Teil der künstlerischen
Arbeit ist, ist die Herkunft der Klänge im Rahmen der „experimentellen Strategien“ oft nicht mehr identifizierbar. Die Produzenten sind sich über die ursprüngliche Soundquelle oft selbst nicht im Klaren, so oft hat das Material zahlreiche
Software- und Hardware-Geräte durchlaufen und wurde mit Effekten versehen
erneut gesampelt. Wiederum sind hier der Einfluss der Technologie und der Aspekt der Rekombination der jeweiligen Geräte evident.
Die vielfältigen Verwendungsweisen von Sampling lassen sich nur schwer auf
einzelne Stilistiken beziehen. Dennoch sind Tendenzen festzustellen, die im Folgenden abschließend noch kurz thematisiert werden sollen. Wie bereits erwähnt,
war im Hip Hop die an der DJ-Culture orientierte Anwendung des Samplings
schon von Beginn an verbreitet und ist selbst in aktuellen Produktionen zu beobachten. Ein Beispiele hierfür ist das neue Album von Kanye West. 29 So finden
sich in nahezu jedem Stück längere Melodie- oder Gesangssamples, die auf Soulund Jazzplatten der sechziger und siebziger Jahre zurückgehen und von den damaligen Aufnahmen nahezu unverändert übernommen wurden.
27
Vgl. Goodwin 1998, S. 114.
Ebd.
29
Vgl. Kanye West, Late Registration, Roc-A-Fella Records 2005.
28
10
Die Assoziationen zu einem realen Mix eines DJs im Club sind offensichtlich,
weil West längere Passagen übernimmt und auf die Zerkleinerung des Materials
bis zur Unkenntlichkeit verzichtet.
Die Gestaltungsverfahren der „experimentellen Strategien“ sind dabei mehr in der
Electronica/Dance Music verhaftet. Zum einen handelt es sich in der Regel um
Instrumentaltracks, bei denen das individuelle Sounddesign somit stärker in den
Mittelpunkt rückt. Zum anderen ist elektronische Musik meiner Meinung nach
stärker am Dancefloor als an dem Transportieren einer Botschaft orientiert. So
handelt es sich bei den von West verwendeten Samples ausschließlich um afroamerikanische Künstler, wie z.B. Curtis Mayfiled, Bill Withers, Etta James etc.
Diese Verweise werden innerhalb der afroamerikanischen Gemeinschaft verstanden und decken sich teilweise mit den textlichen Aussagen des Künstlers. Da dieser Aspekt in meiner Arbeit nicht näher ausgeführt wird, sollen diese Begründungsansätze zunächst ausreichen, um die Tendenzen der unterschiedlichen Verwendungsweisen in Hip Hop und der Electronica/Dance Music zu unterstreichen.
So wurden in diesem Kapitel die Kriterien aufgeführt, die Sampling als künstlerisches Verfahren zu berücksichtigen hat. In der Forschungsliteratur werden meiner
Ansicht nach zu schnell Vergleiche zu anderen künstlerischen Verfahren gezogen,
ohne dabei die spezifischen Entstehungscharakteristiken und Eigenarten von
Sampling als Verfahren mit einzubeziehen. Es ist davon auszugehen, dass die eigentlichen ‚Musikmacher’ sich bestimmter künstlerischer Traditionen, in die sie
mit den Begriffen Collage, Montage, Zitat etc. gerne gestellt werden, gar nicht
bewusst sind. Vielmehr nutzen sie die technischen Errungenschaften auf dem Gebiet der Materialbeherrschung von Klangmaterial und setzten diese Traditionen
auf eher intuitive Weise fort.
11
2. Ästhetische Analogien und Abgrenzungen zu anderen Kunstformen
Die Forschungsliteratur legt ein besonderes Augenmerk auf die ästhetischen Prinzipien des Samplings und versucht deren Vorkommen häufig in der Historie anderer Kunstformen zu begründen. Dieses Kapitel soll einen Überblick über den
derzeitigen Forschungsstand bieten und die wichtigsten Gedanken der Diskussion
komprimiert aufzeigen. Dabei können nicht alle kulturwissenschaftlichen und
soziologischen Theorien bis ins letzte Detail verfolgt werden, da es den Rahmen
dieser Arbeit sprengen würde und auch nicht ihrer Hauptintention entspricht. So
setzt Sampling sicherlich vorherige künstlerische Ideen fort, tut dies aber kaum
intentional. Die Darstellung der nun folgenden Ideen und künstlerischen Ansätze
dieses Kapitels soll bestimmte ästhetische Strategien des Samplings erkennbar
machen, dennoch gewinnt Sampling als künstlerisches Verfahren erst in Verbindung mit der Analyse der Musik selbst an Kontur. Deswegen sollen hier bereits
einige Musikbeispiele die Ausführungen stützen.
2.1 Das Alltägliche in der Kunst
Gabriele Klein beschreibt in ihrer Popkultur-Theorie die Pop-art als einen wesentlichen Impulsgeber für eine „Ästhetisierung des Gewöhnlichen“ 30 . Dieser Grundgedanke und damit verbundene künstlerische Strategien der Pop-art sind auch
beim Sampling zu beobachten. Die Pop-art mit ihren Ikonen Roy Lichtenstein,
Claes Oldenburg oder Andy Warhol bemüht sich darum, „Gebrauchsgegenstände
des alltäglichen Konsums“ 31 zu ästhetischen Objekten zu erheben. Konsumgüter
des Alltags werden dabei aus ihrem alltäglichen Gebrauchsumfeld gelöst und erhalten in diesem neuen Kontext eine andere Bedeutung. Auch Sampling greift
dieses Prinzip auf und bedient sich aus dem schier unendlichen Klangarchiv. Der
ständig wachsende Medienpool und die erleichterten Zugriffsmöglichkeiten über
das Internet bieten eine unbegrenzte Sammlung an Stücken. Die Entwicklung der
letzten Jahre, wie die massive Verbreitung des MP3-Formats und die zunehmende
Herausbildung von Download-Portalen, haben den Austausch von Musik noch
30
31
Klein 1999, S. 112.
Ebd.
12
mehr auf die digitale Ebene verlagert. Die Objekthaftigkeit von Musik in Form
von Schallplatte oder CD wird stärker denn je in Frage gestellt und hat den Wert
von Musikstücken geradezu inflationär vermindert. 32 Musik kann somit längst als
günstiges Konsumgut des Alltags bezeichnet werden, welches dank MP3-Player
kompakter denn je in jeder Lebenslage verfügbar ist. Die Auswahl einzelner Samples aus diesem gewaltigen, unendlichen Audioarchiv ist durchaus mit dem Erheben eines Alltagsgegenstandes, wie beispielsweise einer Konservendose, zum
ästhetischen Objekt zu vergleichen.
Dass Sampling sich alltäglicher Topoi bedient, wird auch an der Einbeziehung
unterschiedlichster Geräusche deutlich. „Die [...] Musikgeschichte durchzieht [...]
der Wunsch der Materialerweiterung“ 33 , wie beispielsweise in der futuristischen
Musik und, wie bereits erwähnt, in der Musique concrete besonders deutlich wird.
Doch erst mit dem Sampler und den Möglichkeiten moderner Audiosoftware wird
dieses neue Material durch die neuen Speicher- und Bearbeitungsmöglichkeiten
relativ einfach für musikalische Zwecke nutzbar und ermöglicht alle Optionen für
die Einpassung des Signals in die musikalische Umgebung. Die Intention der heutigen Produzenten dürfte von den Absichten der Futuristen zumindest im Bezug
auf das Geräusch nicht sehr weit entfernt sein. „Die Geräusche dienen dazu, ein
verändertes Verhältnis von Kunst und Realität zu definieren. Die Kunst sollte das
Leben einschließen.“ 34
2.1.1 ‚Die Emanzipation des Geräuschs’
Im Folgenden sollen nun einige Beispiele diese ‚Emanzipation des Geräuschs’ in
jeweils unterschiedlichen Kontexten aufzeigen. Gerade in der Electronica/Dance
Music ist ein Hang zum „Sound der Technik“ 35 zu erkennen. Zum einen ist die
Electronica/Dance Music generell stark von einem Sound bestimmt, der durch
Synthesizer und Drummachines erzeugt wurde, also überwiegend von Maschinen
designt wurde. Andererseits sind jedoch häufig auch Geräusche zu entdecken, die
32
Vgl. Diederichsen: Wo bleibt das Musikobjekt, 2001, S. 238.
De la Motte 1995, S. 51.
34
Ebd.
35
Bunz 2001, S. 276.
33
13
aus einem Umfeld der industriellen Fertigung entlehnt zu sein scheinen. Das
Stück ‚Minotaur’ des englischen Drum’n’Bass-Produzenten Photek bringt dies
besonders deutlich zum Ausdruck.
(Musikbeispiel Nr. 1: Photek, Modus Operandi, Virgin Records 1997.)
Bereits die dumpfen, wenn auch gestimmten künstlichen Trommelschläge, die
sich nach ca. 45 Sekunden zu dem gleißenden Synthesizer gesellen, erinnern
kaum an die Imitation eines Instruments. Dabei werden sie im Laufe des Stückes
zum einzigen tonalen Element. In den Mittelpunkt des Stückes treten neben den
komplexen und variationsreich gestalteten Beats unterschiedliche metallische Geräusche, die an Arbeitsgeräusche von Maschinen und das Einrasten von Schlössern und Sicherheitsvorrichtungen erinnern. Diese Samples machen das überraschende Element dieses Stückes aus und stellen neben den sich ständig wechselnden Drumsounds die wesentlichen Variationen innerhalb des Stückes dar.
Neben den industriellen und maschinellen Motiven finden sich speziell im Hip
Hop häufig gesampelte Auszüge aus Reden und Unterhaltungen, die aus Fernsehshows und Radiobeiträgen entnommen zu sein scheinen. Charakteristisch ist dabei, dass diese Sprachsamples häufig zwischen den eigentlichen Stücken des Albums platziert sind und mit dem Albumtitel thematisch zusammenhängen.
Die Rap-Gruppe WU-TANG CLAN verwendet diese inzwischen gängige Gebrauchsweise von Sprachsamples auf ihrem Debütalbum 36 Chambers zwischen
jedem Titel. 36 Die häufig verfremdeten Sprachsamples der Bandmitglieder sind
unterlegt mit anderen Samples, vor allem von Kampfszenen aus Kung-Fu Filmen,
Hintergrundgeräusche wie ein Gewitter und Bruchstücke alter Soulklassiker.
Die eigentliche Geräuschhaftigkeit dieser Samples kommt durch ihre jeweils unterschiedliche Soundqualität und Bearbeitung zum Ausdruck. Die Bruchstücke
klingen häufig so, als wären sie direkt vor dem Fernseher oder durch ein Telefon
aufgenommen worden. Ein Durchhören des Albums kommt einem Zappen durch
unterschiedliche Fernsehkanäle gleich oder könnte auch mit einem Radio assoziiert werden, das nicht alle Sender perfekt empfängt. Es handelt sich hierbei nicht
um maschinell erzeugte Klänge, sondern um eine Szenerie des Alltäglichen und
36
Vgl. WU-TANG CLAN, 36 Chambers, BMG Music 1993.
14
dessen Geräuschkulisse. Die unter 2. erwähnten Verbindungen zur Pop-art sind
offensichtlich. Während dort allerdings die alltäglichen Gebrauchsgegenstände
selbst thematisiert werden, stehen hier deren Klänge im Vordergrund.
Neben den Klängen des Alltags und der Industrie haben bestimmte Geräusche
nahezu Instrumentenstatus erreicht und sind geradezu zum Produktionsstandard
geworden. Walter erwähnt dabei den Effekt des „Vinylkratzen[s]“ 37 , besonders im
Gangster-Rap finden häufig das Heulen von Polizeisirenen und sämtliche Geräusche des Schusswaffengebrauchs Verwendung. Gerade im Hip Hop ist es offensichtlich, dass „spezielle Geräuschzeichen für die soziale Bedeutungsbildung besonders wichtig sind.“ 38 Diederichsen betont, dass dieser Aspekt gerade unter
Musikjournalisten gerne missverstanden wird:
„Doch hatten diese Leute in der Regel schlecht hingehört: was sie für zufällige
Umweltgeräusche, eingesampelte Radiopieces, Zufallslärm etc. hielten, waren
äußerst sorgsam ausgewählte Soundbites [...] und es sprach meist nicht irgendwer, sondern meistens Malcolm X oder Mister Louis B. Farakhan, die Umweltsirenen waren fast immer Polizeisirenen, Straßendebatten über GhettoIssues, [...] deren Bedeutung dem inneren Kreis des afroamerikanischen Zielpublikums durchaus klar war.“ 39
Diese Beobachtung Diederichsens unterstreicht die Wichtigkeit der ausgewählten
Geräusche und lässt sich auch auf das von mir angeführte Beispiel des WUTANG CLANs beziehen. Inzwischen ist jedoch Sampling nicht mehr nur auf Hip
Hop beschränkt, und Hip Hop selbst hat sich zu einem Millionengeschäft ausgeweitet, das keineswegs nur Afroamerikaner ansprechen will. Doch wie ist dann
die Bedeutung von Geräuschen in unterschiedlichen Musikgenres zu bewerten?
Der soeben erwähnte Effekt des Vinylkratzens findet sich sowohl bei Photek als
auch bei Erykah Badu, eine spezifische Zielgruppe lässt sich da nur schwer ausmachen.
Die Antwort könnte meiner Meinung nach in der unter 2. bereits angesprochenen
Verbindung von Kunst und alltäglichem Leben gesehen werden. Sampling thematisiert mit dem Einbeziehen von Geräuschen unser Lebensumfeld und reflektiert
die bestimmenden Faktoren unserer Zeit. Neben Geräuschen mit einem Bedeu37
Walter 2003, S. 156.
Diederichsen: Sinn und Bedeutung von Clicks and Cuts, 2001.
39
Diederichsen: Sampling in der Popmusik, 1995, S. 45.
38
15
tungshintergrund für eine bestimmte Gemeinschaft, im amerikanischen Hip Hop
beispielsweise die afroamerikanische, sind dabei vor allem maschinelle und aus
dem urbanen Umfeld stammende Geräusche vorzufinden. Die unter 1. beschriebene Verwendungsweise des experimentellen Samplings spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Denn obwohl viele Sounds beispielsweise eher an maschinelle
Klänge erinnern, sind sie häufig durch die ständige Weiterverarbeitung eines anfangs eher gewöhnlichen Signals entstanden. Im Hinblick auf eine ästhetische
Betrachtungsweise ist jedoch die Bearbeitung von Geräuschen gegenüber der
Wahrnehmung zunächst zu vernachlässigen.
Die abschließend in diesem Kapitel vorgestellten Stücke gehen in der Verwendung des Geräuschs noch einen Schritt weiter und verbinden die bisher vorgestellten Ansätze. Sowohl ‚84 Pontiac Dream’ als auch ‚Lights out’ haben im Hintergrund eine ständige „Soundkulisse des Alltagslebens“ 40 . Das Alltägliche tritt nicht
mehr nur als Überleitung zwischen den Stücken auf, sondern ist quasi Teil der
Instrumentierung.
(Musikbeispiel Nr. 2: Boards of Canada, The Campfire Headside, Warp 2005.)
In ‚84 Pontiac Dream’ wird die Instrumentierungsfunktion des Geräuschs besonders hervorgehoben. Die Geräuschkulisse, ein urbanes Umfeld simulierend,
schwellt zu Beginn des Stückes alleine an, übernimmt quasi die Funktion eines
Intros. Boards of Canada nehmen das Geräusch sofort wieder zurück, und es ist
vorerst nur noch als Rauschen im Hintergrund zu erahnen. Im weiteren Verlauf,
ca. bei 2:10, wird das Rauschen wieder mehr in den Vordergrund geholt und
übernimmt nach und nach eine stärkere Funktion. Am Ende des Stückes wird über
diese Geräuschkulisse der Stadt noch ein ‚Regengeräusch’ gelegt. Die Instrumentierungsfunktion dieser neuen Szenerie wird dadurch unterstrichen, dass dabei
auch auf musikalischer Basis ein neuer Songteil auftaucht, der als Outro bezeichnet werden könnte.
40
Walter 2003, S. 156.
16
(Musikbeispiel Nr. 3: Platinum Pied Pipers, Triple P, Ubiquity Recordings 2005.)
In dem Stück ‚Lights out’ ist ein ähnlicher, urbaner Klangteppich aus Gesprächen
und Verkehrgeräuschen während des ganzen Stückes präsent und stärker wahrnehmbar als in ‚84’ Pontiac Dream’. Aus diesem Geräuschfundament treten einzelne Samples hervor und treten in eine Art Dialog mit dem MC, indem sie Pausen füllen und seinen Text gleichsam kommentieren. Die ‚herkömmliche’ Instrumentierung ist dafür sehr sparsam gehalten, scheinbar soll dem Geräusch genügend Platz eingeräumt werden.
2.2 Collage, Zitat und Montage
Die Begriffe Collage, Zitat und Montage werden häufig im Zusammenhang mit
Sampling benutzt, da es als Fortführung dieser künstlerischen Strategien gesehen
wird. Erstaunlich ist dabei, dass bei so viel Übereinstimmung in der Wissenschaft
nur sehr wenige Autoren auf die genaue Verwendung der Begrifflichkeit besonderen Wert legen. Wie eingangs dieses Kapitels bereits angedeutet, lässt sich möglicherweise eine Verbindung mit Sampling gar nicht herstellen, weil die Fortführung von Collage und Montage von den Ausführenden überhaupt nicht beabsichtigt ist. Sampling verfolgt vermutlich einen eigenen künstlerischen Ansatz, und
viele Vergleiche verkennen neben den von mir beschriebenen Verwendungsweisen und der inzwischen wirtschaftlichen Zugkraft zentrale Entstehungskriterien
des Hip Hop und der Electronica/Dance Music. Daraus könnten die vagen Vergleiche in diesem Zusammenhang resultieren. In diesem Abschnitt sollen Collage,
Montage und Zitat speziell auf den Fokus der entsprechenden Strategien im
Sampling hin deutlich abgegrenzt werden, um im nächsten Schritt musikalische
Entsprechungen in Stücken aufzudecken.
17
Erneut ist es Großmann, der diesen Mangel in der aktuellen Forschungsdiskussion
erkannt hat und Erklärungsansätze aufzeigt. 41 Dabei ist zunächst die Gemeinsamkeit zwischen Collage, Montage und Sampling entscheidend. Es handelt sich bei
allen drei Strategien um „medienästhetische Verfahren [...]. Es herrscht die Gestaltung mit Vorgefertigtem vor, ergänzt durch Kombiantion, De- und Rekonstruktion sowie Transformation.“ 42
2.2.1 Collage
Wenn die Collage sich durch ihre „handhabbare Materialität“ 43 auszeichnet, so ist
damit ein wesentlicher Unterschied zum Sampling benannt. Es wurde bereits angedeutet, dass Sampling auch einen Verlust des Handhabbaren durch die Digitalisierung bedeutet. Des Weiteren zeichnet sich besonders die musikalische Collage
durch das Einbeziehen von eigentlich musikfremden Inhalten und Klängen, wie
beispielsweise des Geräusches in der Musique concrete, aus. 44 Auch Diedrichsen
teilt diese Auffassung, ist dabei jedoch im Hinblick auf Sampling zu sehr auf eine
Sinnstiftung dieser Inhalte fixiert und wird deshalb zu Recht von Großmann kritisiert. 45 Der „entlarvende Gestus“ 46 der Collage bestehe darin, dass entweder jeder
Zusammenhang zerstört werde, oder gerade ein spezifischer Zusammenhang kritisiert werde.
Großmann betont hierbei, dass das Zitieren nur eine bestimmte Option für die
Collage ist, aber kein Muss. Besonders für die musikalische Collage sind im Gegensatz zu Entwicklung und Abwandlung, die eher klassischen Maxime, vielmehr
Wiederholung und Schichtung von Bedeutung. Die oben angeführten Beispiele
unter 2.1.1 für die Emanzipation des Geräuschs unterstreichen diese Argumentation Großmanns. So wurde zwar auf soziale Bedeutungsbildung von Geräuschen
besonders im Hip Hop hingewiesen, andererseits lassen Stücke wie ‚84 Pontiac
Dream’ und ‚Lights Out’ keine andere Bedeutung als die der Erweiterung der
Klang- und Instrumentationsmöglichkeiten in Schichten erkennen.
41
Vgl. Großmann 2005.
Ebd., S. 329.
43
Ebd., S. 312.
44
Ebd., S. 313.
45
Vgl. Diederichsen: Sampling in der Popmusik, 1995, S. 44.
46
Ebd.
42
18
Das Zitat selbst, als Teil der Collage gesehen oder nicht, wird in Verbindung mit
Sampling häufig recht kritisch betrachtet. Neben Großmann, der die Collage in
der Musik primär nicht als zitierend ansieht, geht Feuerstein sogar noch einen
Schritt weiter und trennt das Zitat von Sampling:
„Im Unterschied zum Zitat handelt es sich um keine zielgerichtete Übertragung von Sinn und Kontext. [...] Erst wenn die einzelnen Teile [...] nicht mehr
als Zitat, sondern als generatives Ausgangsmaterial für eine die Einzelteile
übergreifende Logik funktionieren, kann von Sampling gesprochen werden.“ 47
Feuerstein stellt hierbei allerdings seine eigene Definition von Sampling auf, diese
wird jedoch nicht der vielfältigen, unterschiedlichen Gebrauchsweise von Sampling gerecht. Freilich kann Sampling durch seine Zugriffs- und Verarbeitungsmöglichkeiten weit mehr, als „geklebte Papiere“48 zusammenzusetzen, und häufig
sollen Kontexte und Bedeutungen nicht reproduziert werden, und werden im Übrigen häufig auch beim Rezipienten nicht erkannt. Die Intentionen des Samplings
allerdings sind meiner Meinung nach zu vielfältig für diese Begrenzung Feuersteins, das haben die bereits angeführten Beispiele gezeigt, und das wird auch im
weiteren Verlauf noch deutlicher werden.
2.2.2 Montage
Im Unterschied zur Collage, die sich im Wesentlichen durch das Aufnehmen externer Texturen und eventuellen Bedeutungsbildungen auszeichnet, „bezeichnet
die Montage das übergreifende Verfahren des Zusammensetzens von gleichartigem Medienmaterial.“ 49 Die Montage greift dabei auf bereits vorhandene kulturelle Archive des gleichen Materials zurück. 50 Das Aneinanderkleben von
Bandstücken in der Musique Concrete und die ersten Filmmontagen, wie der Hörfilm Weekend von Walter Ruthmann, werden gerne als Anfänge der Montage herangezogen, weil sie sich innerhalb eines Medienmaterials abspielen.
47
Feuerstein 2004, S. 256.
Großmann 2005, S. 310.
49
Ebd., 316.
50
Vgl. ebd., S. 315-316.
48
19
Auch Diederichsen sieht in der Montage einen Vorboten des Samplings, seine
Darstellungen haben sich dabei anscheinend im Laufe der Jahre geändert.51 Wie
bereits oben erwähnt, weist er in früheren Beiträgen auf den „Zusammenhang von
Sampling und Collage“ 52 hin, vielmehr noch schließt er die Montage in seiner
früheren Betrachtung gleich zu Beginn des Textes in diesem Kontext aus.
In Montage/Sampling/Morphing geht er dann ausführlich auf die Montage ein und
stellt Vergleiche zum Sampling an. Ähnlich wie Großmann unterscheidet er die
unterschiedlichen Anwendungsgebiete von Sampling und differenziert deren ästhetischen Ausdrucksgehalt. So beschreibt er das Simulieren von Instrumenten
(vgl. 1.3.1) als „Nullpunkt der Montage“, und sieht in der Übertragung der DJTechniken eine Weiterentwicklung der Montage. Im Hinblick auf eine klare, begriffliche Darstellung möchte ich mich allerdings auf Großmann beziehen, da seine Ausführungen diese vielen komplexen Berührungspunkte klarer gliedern und
schlüssiger zusammenfassen.
Eine eindeutigere Trennung zwischen den Begriffen Collage, Zitat und Montage
auf Sampling bezogen kann hier leider nicht vollzogen werden und unterstreicht
die eigene künstlerische Dimension. Sicherlich kommt, rein von den dargestellten
Definitionen her, Sampling als Collage im Prinzip gar nicht in Frage, weil beim
Sampling natürlich nur gleichartiges Medienmaterial kombiniert wird, nämlich digitalisierte Daten. Demgegenüber ist allerdings zu hinterfragen, ob Sampling ohne
Zitieren, oder zumindest ohne eine Bedeutung mit sich zu tragen, überhaupt möglich ist. Gerade bei Instrumentalsamples ist meiner Meinung nach stets eine individuelle Soundästhetik vorhanden, die die Entstehungszeit und deren Klangideal
gewissermaßen mit sich trägt. Die Single ‚Ain’t no other man’ von Christina Aguilera soll diese Vermutung anhand einiger Überlegungen vertiefen.
(Musikbeispiel Nr. 4: Christina Aguilera, Back to the Basic, RCA Records 2006.)
Rein textlich gesehen dreht sich das Stück, wie der Name schon nahe legt, ausschließlich um die große Liebe und entspricht somit dem gängigen Klischee eines
Popsongs. Auffallend ist jedoch die sparsame Instrumentierung, die für einen
51
52
Diederichsen: Montage/Sampling/Morphing.
Diederichsen: Sampling in der Popmusik, 1995, S. 44.
20
Popsong überraschend akustisch klingt. Der Gesang steht deutlich im Vordergrund, Bläser und Schlagzeug klingen dabei sehr indirekt und ein wenig verzerrt
und sind durch ein permanentes Vinylkratzen unterlegt. Dass die Aufnahme unserer heutigen Zeit seltsam entrückt scheint, spiegelt sich auch im Outfit Aguileras
und der Machart des Videos wieder. Schauplatz ist ein Jazzclub im Stil der zwanziger Jahre, wo Aguilera mit ihrer Band das Stück performt. Alles, von den Musikinstrumenten bis zu den Kleidern, erinnert dabei an vergangene Zeiten und
ergibt ein an sich stimmiges, wenn auch musikgeschichtlich fragliches Bild. Das
dürfte die Zielgruppe jedoch weniger interessieren. Entscheidend ist hierbei, dass
sich Aguilera der Klangästhetik einer anderen Zeit bedient und darauf ihr Image
aufbaut. Das marktstrategische Konzept vertraut darauf, dass diese Reminiszenzen
der Samples von einem breiteren Publikum verstanden werden, wie auch in dem
Albumtitel Back to the Basics zum Ausdruck kommt.
Am offensichtlichsten scheinen die Vergleiche zu Montage und Collage auf die
ersten Hip Hop-Stücke in den achtziger Jahren zuzutreffen. So „war Sampling im
Musikkontext anfangs noch eindeutig zurückzuverfolgen und ließ die Klebespuren hörbar.“ 53 Die Samplingtechnologie war zu dieser Zeit die Innovation
schlechthin und ein Bemühen um eine Verschleierung der Quellen deshalb unnötig. Großmann bezeichnet Hip Hop aus diesem Grunde auch als „den wohl populärsten Zugang zur auditiven Medienmontage.“ 54 ‚Express Yourself’ von N.W.A
soll als abschließendes Beispiel verständlich machen, wie Sampling Collage- und
Montageelemente gleichermaßen verwendet und somit die Probleme einer Zuordnung konkret aufzeigen.
(Musikbeispiel Nr. 5: N.W.A, Straight Outta Compton, Ruthless 1989.)
(Musikbeispiel Nr.6: Wright, Charles & the Watts 103rd Street Rhythm Band:
Express Yourself. Express Yourself, Warner Bros 1969.)
Die Ähnlichkeit zur Montage ist durch die offensichtliche Bedienung aus dem
Medienarchiv gegeben, indem das Original ‚Express Yourself’ von Charles
Wright nahezu unverändert übernommen wird. Daneben finden sich gleich mehre53
54
Tollmann 2004, S. 294.
Großmann 2005, S. 319.
21
re collageartige Charakteristika. Zum einen wird der Aspekt der Materialerweiterung an den hinzugenommen Geräuschen deutlich. Neben den Scratches und einem Sprachsample, findet sich ein Schrei, der, hochgepitcht und in den Beat eingebunden, sich taktweise wiederholt, im Videoclip ist gar noch eine Passage mit
einer Polizeisirene und Schüssen eingebaut.
Ein weiteres, besonders für die musikalische Collage bestimmendes Element, das
der Schichtung und Wiederholung, wird in diesem Stück durch seine Einfachheit
klar ausgestellt. Das wesentliche Fundament bietet das Original von Charles
Wright. Neben dem Schlagzeuggroove sind daraus Gitarre, Gesang und Bläser
entnommen und das Original wird wahlweise ausgedünnt und wieder um Schichten ergänzt. Über den Grundbeat wurde zusätzlich eine Drummachine gelegt, was
dem ganzen Stück womöglich mehr Druck verleihen soll.
Anhand von ‚Express Yourself’ oder an Stücken des WU-TANG CLAN lassen
sich die gängigen Ansätze zu Collage und Montage anschaulich darstellen, allerdings sind diese Beispiele aus der Zeit der „Sampladelik“55 in den späten 80ern
und frühen 90ern, in denen Sampling einen bedeutenden Teil des Produktionsprozesses darstellte, wie bei ‚Express Yourself’ besonders deutlich wird. Die Rückgriffe auf das Medienarchiv sind heute immer noch ein wichtiger Bestandteil der
Produktion, gerade im Hip Hop und der Electronica/Dance Music, doch der Vorgang entzieht sich zunehmend der Wiedererkennung der Samples. Und die Samples selbst werden immer besser in den Gesamtkontext integriert. Die verbesserten Zugriffsmöglichkeiten auf das Tonarchiv, einerseits in technischer Hinsicht,
andererseits in der Zugänglichkeit zu bestimmten Aufnahmen, haben den Fokus
stärker auf die spezifische Mischung der Samples gerichtet. „Insofern [...] lässt
sich ein guter [...] Track nicht über die Wahl der Samples bestimmen, sondern
alleine aufgrund der daraus entstandenen Neukombination.“56
Büsser bezieht sich in diesem Zitat zunächst auf Techno, daher müsste die Ausschließlichkeit dieser Aussage im Hinblick auf die bereits angedeutete Bandbreite
samplebasierter Musik sicherlich relativiert werden. Dennoch beschreibt er ein
Phänomen, das für Sampling als eigenständiges künstlerisches Verfahren möglicherweise bestimmend sein könnte und auch in zunehmender Weise zu beobach55
56
Eshun 1999, S. 29.
Büsser 1996, S.18.
22
ten ist. Denn genau in dieser Neukombination besteht die spezifische Eigenständigkeit von Sampling. Zu der Montage kommt der Aspekt der Transformation, der
durch Programme die Kombination unterschiedlichster Samples überhaupt erst
möglich macht. „Sampling als ästhetisches Verfahren betrifft die Gestaltung von
Samples, und nicht von aufgezeichneter Musik.“ 57
2.3 Organic Sampling
Mit der Bezeichnung „Organic Sampling“ 58 umschreiben Brewster und Broughton in ihrer Geschichte des DJs die Entwicklung bestimmter ästhetischer Strategien im Umgang mit Musik, die einerseits denen des Samplings sehr ähnlich sind,
andererseits vor der Erfindung des Samplings entwickelt wurden und sich somit
nicht der technischen Möglichkeiten von Sampling bedienen.
Erstaunlicherweise bestanden zunächst keine Parallelen zwischen diesem Organic
Sampling und der Entwicklung der ersten Sampler. Diese haben sich erst entwickelt, als Sampling erschwinglicher wurde. Organic Sampling beschreibt zunächst
die ersten Beispiele einer direkten Übernahme von Teilen anderer Platten und
deren Mischung. 59 Im Gegensatz zu den schon immer praktizierten Verfahren der
Improvisation oder der Version eines Stückes, war diese Art der Verwendung
bereits vorhandener Musik neu. Als erste Musikstücke des Organic Sampling
nennen Brewster/Broughton Afrika Bambaataas ‚Planet Rock’ sowie Grandmaster
Flashs ‚The Adventures of Grandmaster Flash on the Wheels Of Steel’. Ohne an
dieser Stelle genauer auf diese Titel einzugehen, können die beiden Stücke durch
ihre direkte Übernahme von Titeln des Medienarchivs und die erkennbare Schichtung oder auch Reihung dieser anhand der soeben aufgestellten Kriterien als eindeutige musikalische Collage- und Montagearbeiten bezeichnet werden.
Das Produzentenduo Coldcut, die als Pioniere des Organic Samplings in Großbritannien bezeichnet werden könnten, beschreiben ihre Arbeit rückblickend in ähnlicher Weise:
57
Großmann 2005, S. 321.
Brewster/ Broughton 1999, S. 244.
59
Vgl. im Folgenden ebd., S. 243-245.
58
23
„Wir haben damals ausschließlich mit dem Musikmaterial anderer Leute gearbeitet und daraus Collagen gebastelt. Die Soundästhetik die das Sampeln dann
später prägen sollte, haben wir [...] praktisch mit mechanischen Geräten vorweggenommen.“ 60
Dass sich die Bezeichnung Organic Sampling nicht auf einige wenige Musikstücke bezieht, sondern in unterschiedlichen Zusammenhängen zu beobachten ist,
soll nun etwas ausführlicher betrachtet werden. Zum einen, weil hierin stärker
noch als in Vergleichen zu Collage und Montage ästhetische Merkmale und direktere Vorboten des Samplings erkennbar sind. Andererseits kommen wiederum
spezielle Eigenheiten noch deutlicher zum Vorschein, die nur Sampling als künstlerisches Verfahren auszeichnen. Eine genauere Betrachtung der ästhetischen
Neuerungen des Dub lässt beispielsweise schon Strategien erkennen, die nicht
mehr nur für die spätere DJ-Culture im Hip Hop von Bedeutung sind, sondern
besonders auch für Sampling an sich kennzeichnend sind.
Dabei besteht zwischen Dub, DJ-Culture und Sampling ein Beziehungsgefüge,
welches sich nicht ohne weiteres voneinander trennen lässt. Die nächsten Abschnitte über Dub und DJ-Culture sollen diese Bezüge aufdecken, und dabei wesentliche Aspekte des Organic Sampling herausfiltern.
2.3.1 Dub
In den zahlreichen Beiträgen zur historischen Entwicklung der DJ-Culture wird
immer wieder auf die Ursprünge im Dub verwiesen. So versuchte der jamaikanische DJ Kool Herc die Sound-System-Kultur in New York zu etablieren, nur versuchte er dies nicht mit Reggaeplatten, sondern benutzte Funk- und Latinstücke.61
Auch die Erfindung der Instrumentalversion auf der B-Seite einer Platte liegt laut
Duric im Dub begründet, und diese ist für DJing und Sampling gleichermaßen
von Bedeutung. Von diesen reduzierteren Versionen können einzelne Teile besser
gesampelt werden, weil der Gesang als weiteres tonales Element nicht mehr darüberliegt.
60
61
Haaksmann 2006, S. 29.
Vgl. Duric: Elegant Dub Boutique, 1996, S. 122.
24
Eine von der DJ-Culture losgelöste und im Kontext des Organic Samplings eigenständige Rolle nimmt Dub hinsichtlich der Klangmanipulation ein. „Dub basiert
auf Manipulationen an bekanntem Material, die mit analogen Mitteln versuchen,
Resultate zu erzielen, für die genau die heutige elektronische Klangbearbeitung
ihre Programme und Interfaces zu haben scheint.“ 62 Wenn vorher aufgezeigt wurde, dass ein wesentlicher Aspekt des Samplings in der Transformation besteht, so
setzte Dub dies zuvor schon auf analoger Ebene um. Der Begriff des Organic
Samplings scheint auf Dub deswegen so passend, weil die Manipulation am Material von DJs im Rahmen einer Live-Performance umgesetzt wird.63
2.3.2 DJ-Culture
Sicherlich ist die Bezeichnung DJ-Culture genau genommen nicht auf eine bestimmte Zeit einzugrenzen, was an Poschardts ca. 400 Seiten umfassender Arbeit
deutlich wird. 64 Dennoch wird der Begriff des DJs meist nicht mit den Radio-,
Disco- oder Dub-DJs assoziiert, sondern häufig mit den ersten Hip Hop-DJs in
Verbindung gebracht. Tatsächlich ist dieser Zeitabschnitt der DJ-Culture auch für
Sampling von besonderer Bedeutung, vielleicht weil beide Bereiche Mitte der
achtziger Jahre einen Popularitätsschub erhalten haben. Sampling wird immer
günstiger und ist als Produktionsmittel nicht mehr nur den High-EndProduktionen der Popstars vorbehalten. Und auch das DJing gewinnt durch die
Herausbildung neuer Techniken im Scratchen und Mischen und die zunehmende
Präsenz in der Öffentlichkeit, besonders durch Hip Hop und auch House, an weiterer Kontur und zusätzlicher Popularität. Der von mir hier verwendete Begriff
DJ-Culture bezieht sich in diesem Abschnitt zunächst auf die weiterentwickelte
Form des DJing, wenngleich auch der Dub-DJ einen enormen Einfluss auf die DJCulture gehabt hat, genau genommen eine weitere Entwicklung, wie soeben dargestellt, durch die Kultur des Soundsystems und Kool Herc erst ermöglichte. An
diesem Punkt wird das kaum zu trennende Beziehungsgefüge zwischen Dub,
DJing und Sampling wiederum sichtbar.
62
Diedrichsen: Wo bleibt das Musikobjekt, 2001, S. 238.
Vgl. Ilschner 2003, S. 22.
64
Vgl. Poschardt 1995.
63
25
Die Verbindung zwischen Sampling und DJing wird auch in der Forschungsliteratur gerne betont. Viele Autoren heben dabei hervor, welchen Einfluss die Herangehensweise des DJing auf Sampling hatte. „Indeed, the story of sampling is a tale
of technology, catching up with the DJ, of equipment being created that could do
faster, more accurately and more easily what a DJ had long been able to.“ 65 Hoffmann betont dabei, ähnlich der erwähnten Live-Manipulation der Dub-DJs, den
Live-Charakter des Mixes eines DJs im Vergleich zur Studioarbeit von Produzenten. 66 Pilz geht sogar einen Schritt weiter und bezeichnet die DJs als „Human
Samplers" 67 , da sie Vertrautes zu Neuem mischen.
Eine genaue Betrachtung der Arbeitsweise eines DJs lässt in der Tat viele Gemeinsamkeiten zum Sampling erkennen. 68 In beiden Disziplinen wird in die Signalübertragung eingegriffen und dabei das Signal so verändert, dass es mit einem
anderen kombinierbar wird. Dies betrifft die Anpassung der Klangfarbe an die
andere Platte. Der EQ spielt dabei eine wichtige Rolle und hilft, bestimmte Teile
und Sounds hervorzuheben, während andere Frequenzen weitestgehend ausgelöscht werden. Auch im Anpassen der Tempi, ‚beat-matching’ genannt, ähneln
sich DJing und Sampling, ansehnlich im Drum & Bass zu beobachten. So kommen die hochgepitchten Drumsounds in vielen Tracks lediglich durch das Beschleunigen von Breakbeats zustande.
Bei allen Ähnlichkeiten überrascht dennoch, dass sich beide Bereiche zunächst
unabhängig voneinander entwickelt haben. 69 Die DJ-Culture hatte sich schon
längst entwickelt, als Sampling für eine breite Masse relevant wurde. Wie bereits
erwähnt, war Sampling ursprünglich mehr zum Simulieren von Instrumenten entwickelt worden. Die prägende Wirkung auf eine ästhetische Anwendungsweise
von Sampling hatten die DJs erst, als sie den Sampler als Produktionstool entdeckten, worauf sie mit den ihnen vertrauten, gerade dargestellten Techniken ihre
Live-Mixe aufzeichnen konnten. Das Bedürfnis, dies auch schon vorher zu tun,
kommt in einem anderen Zitat von Coldcut zum Ausdruck:
65
Brewster 1999, S. 245
Hoffmann 2005, S. 22.
67
Pilz 1999.
68
Vgl. Butler 2006, S. 53-57.
69
Vgl. Poschardt 1995, S. 357.
66
26
„Als wir damit anfingen, nannte man das nicht Sampeln [...]. Plattenspieler
waren die einzigen Instrumente [...]. Unsere erste Platte [...] [hatten] wir mit
zwei Plattenspielern und einem Vierspur-Kassettendeck aufgenommen.“ 70
Es wurde somit deutlich, dass DJing zum einen durch den Live-Charakter des
Mixes als Organic Sampling bezeichnet werden kann, und zum anderen sich auch
die prägenden Ästhetiken des Samplings in der DJ-Culture wohl zuerst entwickelt
haben. Das ausdifferenziertere DJing, das sich seit Anfang der achtziger Jahre
entfaltet hat, kann also genauso wie Dub als Vorläufer des Samplings hinsichtlich
der künstlerischen Intention bezeichnet werden.
2.3.3 Die Stärkung des Produzenten
Diese musikalische Vorreiterfunktion von Dub und jüngerer DJ-Culture manifestiert sich in einem weiteren Aspekt, der sich in der heutigen, auf Samples basierten Musik stark ausgeprägt hat. Da in beiden Bereichen überwiegend mit bereits
bestehendem Material gearbeitet wird, geht es nicht mehr so sehr um das Komponieren oder gar das Einspielen von Instrumenten. Das Bearbeiten von vorhandenem Material, im Dub wohl hauptsächlich durch ein Verfremden und Ausdünnen,
in der von mir fokussierten DJ-Culture mehr durch ein Arrangieren, fällt nicht
mehr in unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche, sondern bündelt sich in der Rolle des Produzenten.
Im Dub wird die entscheidende Rolle des Produzenten speziell an dem Erstellen
eines Instrumentalmixes deutlich, der letztlich die Grundlage für die Live-Performanz eines Dub-DJs darstellt. Diese reduzierteren Fassungen entstehen zunächst
durch das Zerlegen von Reggaestücken in Einzelteile.71 Während vor allem der
Bass beachtlich in den Vordergrund des Mixes rückt, werden andere Spuren und
Sounds weggenommen. Durch den dadurch entstandenen musikalischen Raum
konnten die übrigen Teile mit Effekten versehen werden. Während die bereits beschriebenen Arbeitsschritte allesamt im Studio vom Produzenten oder gar vom
Tontechniker ausgeführt werden können, besteht gerade in der Belegung der Spuren mit Effekten und der Auswahl dieser Effekte eine weitere kreative Leistung,
70
71
Haaksmann 2006, S. 29.
Vgl. im Folgenden Brewster 1999, S. 119-121.
27
die vom Produzenten ausgeführt auf das Stück einwirkt. Duric betont dabei, welche Eigenleistung die ersten Dub-Produzenten beim Reparieren und Verändern
des doch recht spärlichen Equipments leisteten, in dem sie Verbindungen anders
als vorgesehen einsteckten und die Mischpulte immer wieder selbst zusammenlöten mussten. 72 Durch diesen veränderten Mix mit genügend Raum für vokale,
kommentierende Einwürfe des DJs und Live-Effekte kann das DJing erst zur Live-Performance werden.
Die neuen Fassungen von ursprünglichen Reggaestücken gelten fortan als erste
Remixe, die ein Stück durch klangliche Veränderungen vom Original vollkommen abgrenzen. All die hier genannten Aspekte einer veränderten Wahrnehmung
der Produzentenrolle durch Dub, fasst Brewster folgendermaßen zusammen:
„Reggae set a great precedents. It laid down the basic principles of remixing,
it made an artist and a star of the producer, it made playing records into live
performance, and it showed how music could be propelled into whole new
genres by the needs of the dancefloor.“ 73
Es ist auch wiederum Brewster, der DJing mit dem Erstellen eines Dance-Tracks
im Studio vergleicht und den wesentlichen Unterschied im Vergleich zum ClubMix in der größeren Komplexität der Studioarbeit sieht. 74 Außerdem wisse der
DJ, was auf der Tanzfläche funktioniert, und könne diese Erfahrung bei seinen
Produktionen für clubtaugliche Stücke als Produzent nutzen.
Dennoch ist der Schritt des DJs in die Produzentenwelt bezüglich der Stärkung
der Produzentenrolle durchaus doppeldeutig. Damit soll zum einen angedeutet
werden, dass zum einen der Einfluss der DJ-Culture auf heutige Produzenten unbestreitbar ist. Andererseits ist jedoch auch zu hinterfragen, ob Sampling nicht
schon von sich selbst aus diese kunstvollen Möglichkeiten inhärent in sich trägt.
So kommen die ersten Workstations mit ihren nicht zu verfehlenden Pads auch
einem DJ ungemein entgegen, der, wenn er über instrumentale Fähigkeiten verfügt, dennoch in der Regel meist kein Instrument so gut beherrscht, um damit in
einer Aufnahmesituation bestehen zu können. Während also im Dub die nach und
72
Vgl. Duric 1996, S. 121.
Brewster 1999, S. 121.
74
Vgl. ebd., S. 348-353.
73
28
nach entstehenden ästhetischen Absichten und Ideen immer mehr im Produzenten
zusammenfallen und seine Bedeutung deshalb erheblich aufgewertet haben, so
scheint Sampling auch ein Ventil für den DJ zu sein, um als Nichtmusiker seine
Techniken anzuwenden.
Dieses Kreisen der Gedanken um die Rolle des Produzenten, die heutzutage der
eines Popstars ähnelt, zeigt wiederum, dass DJing und Sampling eng zusammenhängen, aber sich zunächst, wie Poschardt zu Recht feststellt, getrennt entwickelt
haben. Die DJ-Culture hat durch ihre Techniken das Arbeiten des Produzenten
ungemein beeinflusst, hat den mächtigen Produzenten aber erst in Verbindung mit
Sampling kreiert. Doch die eigentliche, bahnbrechende Stärkung der Produzentenposition scheint mehr im Dub begründet zu liegen.
Sowohl Dub als auch die DJ-Culture können bei einer näheren Betrachtungsweise
bestimmte Aspekte für sich genommen nicht erfüllen, die im Sampling vereint
sind und es als eigenes künstlerisches Verfahren auszeichnen. Beide Verfahren
greifen in das Signal ein. Im Dub wird dieser Eingriff hauptsächlich ausgeführt,
um es mit Effekten zu versehen und zu verfremden. Die Schichtung verschiedener
Aufnahmen oder Geräusche ist eher als marginal einzustufen, deshalb werden ja
auch die Acetate gepresst, um eine geeignete Vorlage für die Verfremdung zu haben. Während also Dub im Wesentlichen die Manipulation von Material mit
Sampling gemein hat, ist im DJing eine stärkere Fokussierung auf das Schichten
unterschiedlicher Signale zu beobachten. Auch der DJ versieht das Signal mit Effekten und versucht mittels EQ andere Teile wiederum auszulöschen. Er tut dies
jedoch überwiegend, um die Platten miteinander gangbar zu machen. Der Mix
überwiegt vor der Manipulation.
Im Sampling hingegen sind beide Möglichkeiten von Bedeutung und üblich, je
nachdem welche Verwendungsweise und natürlich welches ästhetische Ziel angestrebt wird. Die Manipulation dient sowohl einem Verfremden des Materials als
auch einer Schichtung und Anpassung. Dies wird im weiteren Verlauf der Arbeit
anhand unterschiedlicher Beispiele noch deutlich werden. Der unter 1.2 eingebrachte Aspekt der Materialbeherrschung als wesentliches Charakteristikum von
Sampling bleibt der Dreh- und Angelpunkt einer künstlerischen Betrachtung. Dies
wird auch im Vergleich zu vorherigen ästhetischen Strategien deutlich.
29
Vergleiche zur Bildenden Kunst legen stets Ähnlichkeiten offen, deren Übernahme allerdings nie bewusst und direkt geschehen ist. Selbst die unmittelbaren musikalischen Vorgänger haben mit ihrem Organic Sampling scheinbar viele Arbeitsweisen geprägt, das Zusammentreffen von Organischem und digitalem
Sampling jedoch ist nicht historisch konsequent verlaufen, sondern ähnelt mehr
einem gemeinsamen Entgegenkommen.
Damit sind die zentralen Kriterien für eine Eigenständigkeit des Samplings als
künstlerisches Verfahren ausreichend dargestellt und gegenüber ähnlichen Verfahren hinreichend abgegrenzt. Im Folgenden soll nun verstärkt der Umgang mit dem
Original betrachtet werden. Zu dem Gesichtspunkt der Transformation kommt
eine genauere Untersuchung des Verwertens der ursprünglichen Klangquelle hinzu, die bisher nur angedeutet wurde.
3. Der Umgang mit dem Original: „Politik des Stehlens“ 75 , kreative Interpretation oder neues Original?
Da das Prinzip des Samplings auf einem Verwerten von schon Vorhandenem beruht, liegt der Vorwurf des Ideenklaus nahe. Eine Untersuchung, die Sampling als
künstlerisches Verfahren beschreiben will, muss sich mit dieser Kritik auseinandersetzen. Dabei soll dieser Vorwurf keinesfalls widerlegt werden, weil er in vielen Fällen durchaus seine Berechtigung hat und zumindest Diskussionsbedarf besteht, wie die unzähligen Gerichtsverfahren um Urheberrechte beweisen. Selbst
die Sampling-Ikone Matthew Herbert bezichtigt Sampling in vielen Fällen des
Diebstahls:
„Ich denke wirklich, dass es höchste Zeit ist, eine Debatte über Sampling zu
führen [...]. Ich bin an einem Punkt, an dem mich die ganze Chose mehr als
nur langweilt. Ich kämpfe mit mir, Sampling länger als eine gültige, wertvolle
Art des Komponierens anzusehen. [...] Das Ganze ist nichts weiter als eine
sublime Ausweitung des Konsumismus. Die Produzenten glauben, sie hätten
die Rechte an anderer Leute Kultur. Sie und die Industrie verdienen eine
Menge Geld mit dem Diebstahl geistigen Eigentums.“ 76
75
76
Goodwin 1998, S. 115.
Tittel 2001, S. 13.
30
Der Umgang mit dem Original soll in diesem Kapitel auf die daraus resultierende
Wirkung in seiner Vielfältigkeit betrachtet werden. Dabei soll keine Lösung angestrebt werden als eher eine Ausdifferenzierung der einzelnen Standpunkte erreicht
werden, auch unter Berücksichtigung der zahlreichen Forschungsbeiträge.
Die Bedingungen für einen Diebstahl musikalischen Ideenguts sind denkbar günstig, denn die Umformung des binären Zahlencodes, nicht mehr und nicht weniger
ist Sampling technisch gesehen, und eine Reorganisation der veränderten Klangbausteine entziehen sich jeglicher Wahrnehmung. Diese „Politik des Stehlens“ als
wesentlicher Bestandteil des Erstellens eines neuen Stückes, muss kritisch hinterfragt werden. 77 Braun geht dabei soweit, gar „die Manipulation von Sinn (von
Repräsentation, von Geschichte)“ 78 in Betracht zu ziehen. Dass er sich dabei auf
Textsampling bezieht, relativiert seine Zweifel.
Die Frage, was aus der Ausgangsintention des Originaltitels wird, wenn er aus
seinem Zusammenhang gerissen wird, ob dabei irgendeine Form der Bedeutung
übertragen wird oder gar jeglicher Sinn verloren geht, bleibt dennoch bestehen.
Die berechtigten Fragen können aber auch positiv gestellt werden. So können
auch bestimmte Samples aus einem Bedeutungsumfeld bewusst ausgewählt werden, und gerade dadurch auf einen neuen, nie da gewesenen Gedanken verweisen,
oder zumindest dieses Bedeutungsumfeld ausdeuten.
3.1 „Verfall[...] der Aura“ 79 ?
Eine der wohl ersten Schriften, die sich mit den Folgen der Reproduktion auf die
Kunst, insbesondere die Filmkunst, befasst und deshalb auch gerne als Ausgangsbasis für einen Diskurs herangezogen wird, stammt von Walter Benjamin. 80 Er
prägte den Begriff des „Verfalls der Aura“ 81 . Wie der Begriff schon erahnen lässt,
sieht Benjamin in der Reproduktion eine Gefahr für die individuelle Wirkung des
Kunstwerkes. Seine Gedanken müssen im Bezug auf Sampling noch einmal ab77
Vgl. ebd.
Braun 2004, S. 276.
79
Benjamin 1996, S. 15.
80
Vgl. ebd.
81
Ebd., S. 15.
78
31
strahiert werden, denn Benjamin sieht bereits in einer Schallplatte die Echtheit
eines Kunstwerkes verletzt, da es das Hier und Jetzt des Kunstwerks entwertet
und sich beliebig in unterschiedliche Situationen bringen lässt. 82 Im Zeitalter der
digitalisierten Medien, besonders deutlich wird dies im Vertrieb übers Internet,
wäre das digitale Abbild sogar eine Reproduktion der Reproduktion. Diese Dimension war für Benjamin freilich nicht absehbar, dennoch muss festgehalten
werden, dass wenn wir in unserem Zusammenhang von Original sprechen, nämlich der ursprünglichen Aufnahme von der gesampelt wird, dann befinden wir uns
laut Benjamin strenggenommen bereits im Reich der Reproduktion. Die Gedanken Benjamins auf unsere Originalitätsauffassung übertragen, können trotzdem
einige interessante Denkanstöße geben. Benjamin sieht die technische Reproduktion im Gegensatz zur manuellen Reproduktion, beispielsweise eine nachgespielte
Coverversion, als selbstständiger und deshalb auch gefährlicher an.
„Sie kann, beispielsweise, in der Photographie Ansichten des Originals hervorheben, die nur der verstellbaren und ihren Blickpunkt willkürlich wählenden Linse, nicht aber dem menschlichen Auge zugänglich sind, oder mit Hilfe
gewisser Verfahren [...] Bilder festhalten, die sich der natürlichen Optik
schlichtweg entziehen. [...] Sie kann zudem zweitens das Abbild in Situationen bringen, die dem Original selbst nicht erreichbar sind.“ 83
Vergleicht man das Hervorheben bestimmter Ansichten mit dem Bearbeiten eines
Samples durch die Verwendung von Kompressoren und Equalizer, so können in
der Tat bestimmte Samples letztlich auf Elemente reduziert werden, die im Original nicht diese Bedeutung haben. Die Ebene der zusätzlichen Effekte ist damit
noch nicht einmal berührt. Der Gebrauch dieses Samples in einem anderen Stück
komplettiert die Übertragung dieses Zitats, welches Benjamins Ansicht zum Verfall der Aura widerspiegelt.
Benjamin sieht in dem Verlust der Aura, der noch durch einige andere Aspekte
herbeigeführt wird, die wachsende Gefahr eines Missbrauchs der sozialen Funktion der Kunst. Sicherlich ist diese Gefahr in Verbindung mit der Entstehungszeit
von Benjamins Werk zu sehen, so wurde die erste Auflage 1936 herausgegeben.
Benjamin galt als vehementer Gegner der Nationalsozialisten.
In diesem Zusammenhang erwähnt Benjamin jedoch auch, dass sich die Sinneswahrnehmung durch die zunehmende Reproduktion verändert hat und greift damit
82
83
Vgl. ebd., S. 13.
Ebd., S. 12.
32
einen weiteren Gesichtspunkt auf, der auch in der aktuellen Diskussion um Originalität im Sampling immer wieder thematisiert wird.84 So bemerkt Tollmann, dass
sich „die Wahrnehmung der Menschen in den Industrienationen soweit verändert
[hat], dass sie die melodischen Cut-ps und ständig wechselnden Soundquellen als
Einheiten zusammenfügen.“ 85
(Musikbeispiel 7: M/A/R/R/S, Pump up the Volume, 4AD 1987.)
Als Beispiel hierfür bezieht sich Tollmann auf ‚Pump up the volume’ von
M/A/R/R/S, eines der ersten Samplingstücke, bei dem die Samples aus unterschiedlichsten Musikkulturen stammen und das fernab der afroamerikanischen
DJ-Culture entstanden ist. 86 Wenn auch dieses Zitat Tollmanns die heutige
Gebrauchsweise von Samples, besonders in der Electronica/Dance Music, absolut
treffend beschreibt, so scheint ‚Pump up the Volume’ trotzdem nicht das geeignete Beispiel. Das Stück ist eine offensichtliche Montagearbeit, ja sogar mehr eine
Reihung unterschiedlicher Teile wie Breakbeats, Scratches und verfremdete
Sprachsamples. Es erinnert vielmehr an Grandmaster Flashs Organic Sampling
mit spürbaren Brüchen als an die eher gleichförmigen Stücke der modernen samplebasierten Musik mit eher minimalistischen Strukturen, auf die das Zitat Tollmans zutreffend ist.
Es wurde im Zusammenhang mit Collageelementen im Sampling bereits erwähnt
(Vgl. 2.2.1), dass soziale Bedeutungsbildungen im Sampling heute zwar durchaus
zu finden sind, allerdings von der breiten Masse der Konsumenten meist nicht
mehr verstanden werden. Die Feststellung Tollmanns geht sogar noch einen
Schritt weiter und unterstellt, dass sich der Konsument dieser Collagenhaftigkeit
gar nicht mehr bewusst ist, darüber hinaus diese kaum noch feststellen kann.
„Die Kombination des Samplers mit dem Sequencer hat nicht nur alle Unterschiede zwischen Original und Kopie verwischt, sondern auch von Menschen gemachte und maschinell programmierte Musik ununterscheidbar gemacht.“ 87
84
Vgl. Benjamin 1996, S. 14.
Tollmann 2004, S. 291.
86
Vgl. Poschardt 1995, S. 261.
87
Goodwin 1998, S. 107.
85
33
Das Original scheint umso mehr in der Krise zu sein, da selbst die Schöpfer dieser
reproduzierten Werke sich nicht mehr um Originalität im Sinne der Erschaffung
von etwas völlig Neuem bemühen. „Wie schon beim Künstler-Subjekt, hat das
Kunst-Objekt, das Werk, das Produkt als genuin neuer, noch nie dagewesener
Einfall ausgedient. Das Neue wird zur Kontexttualisierungs-Strategie.“ 88
Büsser unterstreicht dieses Zitat, in dem er auf das Fehlen einer eigenen künstlerischen Schöpfungskraft der DJs im Technobereich hinweist, wo historische Kontexte wahllos vermischt werden und geschichtliches Wissen lediglich für das Finden interessanter Sounds als hilfreich angesehen wird. 89 Dieser Hinweis lässt sich
bestimmt nicht nur auf Techno-DJs beziehen, sondern spiegelt bei der zunehmenden Vermischung der heutigen Stilistiken eine allgemeine Haltung wider.
In der bisherigen Arbeit wurde nur bei ‚Express Yourself’ das Original mit in Betracht gezogen. Hinsichtlich der Originalaufnahme scheint in diesem Fall vom
Verlust der Aura wenig zu spüren sein, denn der Verweis auf das Original ist in
mehrfacher Weise festzustellen. So dient Charles Wrights ‚Express Yourself’
nicht nur als Namensgeber, sondern es wird darüber hinaus, zumindest in Auszügen, nahezu vollständig und unverfremdet übernommen. Das hier beschriebene
‚Dilemma’ des Originals bezieht sich allerdings auf den Jetzt-Zustand, es wurde
also eine Entwicklung im Umgang mit Autorenschaft beschrieben, die sich seit
1988, in diesem Jahr wurde ‚Express Yourself’ von N.W.A. veröffentlicht, wesentlich ausdifferenziert hat.
Die Rekontextualisierung der Originalaufnahme ist in dem Stück ‚All Nite (Don’t
Stop)’ von Janet Jackson meiner Meinung nach besonders gut nachzuvollziehen,
denn die entnommenen Samples des Originals ‚Hang up Your Hang Ups’ sind
relativ unverändert übernommen und somit leicht identifizierbar.
(Musikbeispiel Nr. 8: Janet Jackson, Damita Jo, Virgin 2004.)
(Musikbeispiel Nr. 9: Herbie Hancock, Man-Child, Columbia 1975.)
88
89
Weber 2004, S. 363.
Vgl. Büsser: The Art of Noise, 1996, S. 17-18.
34
Benjamins erste Befürchtung, dass nur einzelne Ansichten des Kunstwerks hervorgehoben werden‚ findet hier eindeutig keine Entsprechung. Die Rhythmusgitarre mit Perkussion bildet in beiden Stücken vom Intro an eine Art rhythmisches
Fundament, auf welches immer wieder zurückgegriffen wird. Im Original durch
immer wiederkehrende Solo-Interludes und als Grundlage des Soloteils, in ‚All
Nite’ durch die ständige Wiederholung im Refrain. Die tragende Funktion dieses
Gitarrenriffs in beiden Stücken lässt jedoch bei einer genaueren Betrachtung der
Einbindung in den Gesamtkontext subtile Unterschiede erkennen. Letztlich könnte auch hierin ein Grund für die völlig heterogene ‚Aura’ der Beispiele zu suchen
sein, und Benjamins zweite These einer völlig anderen Situation des Originals
scheint hier vollends zuzutreffen. Dieses Gitarrensample ist in ‚All Nite’ etwas
verlangsamt in einem komplett anderen rhythmischen Umfeld platziert.
Es fügt sich dabei nahtlos in den Gesamtkontext ein. Wenn Tollmann von einer
Verwischung der Grenze zwischen Original und Kopie spricht, findet sich in ‚All
Nite’ eine offensichtliche Entsprechung, denn jegliche Verweise auf die Historizität dieses Samples wurden unkenntlich gemacht. Während das weiter oben beschriebene ‚Ain’t no other man’ (vgl. 2.2.2) diese Geschichtlichkeit bewusst ausstellt, verwendet ‚All Nite’ das Gitarrensample „als reine, quasi unparteiische
Soundquelle.“ 90 Denn das Sample wird hier nicht als Hommage an Herbie Hancock dargestellt, sondern ist ein Element einer kommerziellen Popproduktion und
trotz tragender Funktion nicht mehr als ein klanglicher Baustein.
Insgesamt können in ‚All Nite’ viele Aspekte der aktuellen Forschungsdiskussion
dargestellt werden. Die Übernahme des Samples ohne wesentliche klangliche Manipulation ist hierbei hilfreich, denn selbst ohne eine Transformation des Materials wirkt der gleiche Klangbaustein in seiner rekontextualisierten Form vollkommen anders. Die Frage nach dem Verbleiben der Aura ist hiermit noch nicht beantwortet, denn ‚All Nite’ kann eine eigene Aura nicht abgesprochen werden.
Vielmehr ist eine Verschiebung der Aura festzustellen, die durch das Gitarrensample scheinbar transportiert wird und im Mix auf eine ganz andere Weise zum
Vorschein kommt. So „sorgt nicht die Live-Performance [des Originals] für die
90
Büsser: The Art of Noise, 1996, S. 18.
35
Aura, sondern der (Re)Mix im Studio.“ 91 Die prägende Rolle des Produzenten,
wie bereits unter 2.3 dargestellt, wird hier erneut unterstrichen.
3.2 Remix
Die zentrale Rolle des Produzenten wurde bereits im Zusammenhang mit Organic
Sampling genannt und findet in der Form des Remixes ein weiteres Beispiel. Die
Entstehung des Remixes geht laut Hoffmann ebenfalls auf Dub zurück und wurde
„schließlich zur Blaupause für zukünftige Dance-Mixe in einer Vielzahl von Genres in aller Welt.“ 92 Der Remix stellt dabei einen besonderen Umgang mit dem
Original dar. Sampling ist inzwischen die zentrale Technologie im Remixing, weil
die Auftragsarbeiten an die bekannten Produzentengrößen bei Weitem nicht mehr
den Großteil der Remixe ausmachen.
„Heute werden mehr Remixe produziert als je zuvor. War das Remixen in seinen Anfangstagen die Domäne einer kleinen Anzahl von Produzenten [...], erlaubt Musiksoftware heute die einfache Neubearbeitung von Stücken. Die
meisten Remixe [...] entstehen am Laptop von Hobbyproduzenten.“ 93
Da diese Art des Remixes nicht auf der Verwendung der Mastertapes beruht, ist
Sampling die einzige Möglichkeit, einen Bezug zum Original herzustellen. Diese
Form des Remixings hat sich in Form des so genannten ‚Mash-ups’ nahezu als
eigenes Subgenre etabliert. Interessanterweise konnte ich in der von mir verwendeten Literatur keine genaueren Beiträge zu dieser Form der Remixes entdecken,
lediglich Großmann erwähnt Mash-ups im Zusammenhang mit der „Verfügbarkeit
und Distribution von digitalem Material im Internet“ 94 . Mash-ups sind häufig illegal angefertigte Remixe, die oft zwei völlig unterschiedliche Musikstile miteinander verbinden, indem die a cappella-Version eines Songs mit Teilen eines anderen
Songs gemischt wird. Diese Mash-ups sind aufgrund der Verletzung der Urheberrechte meist nur in Internet-Foren als kostenlose Downloads zu finden. Im Vergleich zu den Auftragsproduktionen bekannter Remixer, sind die Samples der
91
Hoffmann 2006, S. 21.
Ebd.
93
Ebd., S. 24.
94
Großmann 2005, S. 328.
92
36
Originale oft recht deutlich zu identifizieren. Zum einen ist dies in einem Mash-up
bis zu einem gewissen Teil beabsichtigt, andererseits muss häufig aufgrund der
fehlenden Mastertapes von der für den öffentlichen Markt bestimmten Single direkt gesampelt werden.
Ein populäres Beispiel dieser Art des Remixes ist ‚The Grey Album’ von DJ
Danger Mouse. 95 Er mischte in diesem Mash-up Jay-Zs Black Album mit Instrumentalteilen der Beatles aus deren White Album. Während die Vokalsamples von
Jay-Z tatsächlich veröffentlicht wurden, um Mash-ups zu ermöglichen, so war
dies im Fall der Beatles-Samples nicht der Fall und die Veröffentlichung von ‚The
Grey Album’ wurde von der EMI als Eigentümerin der Rechte untersagt. Dass
diese Form des Remixes ausschließlich auf Sampling beruht, ist über das ganze
Album hindurch spürbar. Im Hinblick auf die Originale beziehen sich die Möglichkeiten der Transformation des Materials mehr auf eine Änderung der Struktur
der Stücke als auf eine Manipulation des Klangs, wie unter anderem in dem Stück
‚99 Problems’ zu beobachten ist.
(Musikbeispiel Nr. 10: Jay-Z + DJ Danger Mouse, The Grey Album, unveröffentlicht 2004.) 96
DJ Danger Mouse hat dafür Instrumentalteile des Beatles-Songs ‚Helter Skelter’
abstrahiert und aus diesen Teilen eine neue Struktur kreiert, die sich an den Raps
von Jay-Z orientiert. Neben den unveränderten Vocals wirken auch die ‚Helter
Skelter’-Samples hinsichtlich des Gebrauchs von verfremdenden Effekten relativ
unbearbeitet. Die Bearbeitung des Materials wird mehr in der Schichtung der Instrumentalsamples deutlich. Die abstrahierten Teile werden im Mix jeweils unterschiedlich platziert und wirken dadurch vielmehr so, als wären sie in unterschiedlichen Räumen aufgenommen worden. Das Original wird gewissermaßen über
sich selbst geschichtet und erinnert dadurch an eine Montage aus Samples unterschiedlicher Aufnahmen.
Im Blick auf die von Walter Benjamin beschriebene Originalität ergibt sich ein
mehrschichtiges Bild. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Bewahrung
der Aura des Originals in einem Mash-up von sich aus schon gegeben ist. In ‚99
95
96
Vgl. http://www.newyorker.com/talk/content/?040209ta_talk_greenman
Kostenloser Download unter: http://www.illegal-art.org/audio/grey.html
37
Problems’ wird allerdings nicht nur eine Ansicht des Originals betont, sondern
eher eine Auswahl an Ansichten neu gegliedert. Die Ausstellung des Originals in
mehrfacher Weise, seine Schichtung und unnatürliche Gleichzeitigkeit, verletzen
die Aura des Originals genauso, wie sie diese zum Programm des Stückes machen.
Neben diesen illegalen Underground-Remixen ist der Aspekt der Originalität im
Remix auch bei größeren Produktionen von Bedeutung. Denn Remixing ist für
Produzenten auch zu einer profitablen Einnahmequelle geworden und Plattenfirmen sind bei bestimmten Produzenten „bereit, mehr Geld für den Remix eines
Stückes auszugeben als für die Produktion des Originals.“ 97 Aphex Twin beispielsweise geht mit diesem Faktum offen um und betitelt seine Remix-Compilation „26 Mixes for Cash“.
Ein Remix-Auftrag wird inzwischen auch von den Konsumenten sehr stark mit
dem jeweiligen Produzenten in Verbindung gebracht und dadurch im Prinzip die
Erwartung verbunden, dass der Produzent das Stück mit seinem Stil kombiniert.
Möglicherweise entfernen sich Remixe deshalb immer weiter von dem Originalstück, wie auch Brewster feststellt: „Now that such radical remixing is so prevalent, the success of a dance record has very little to do with the original artist or
the original song.“ 98 Vielmehr noch würde sich Remixing immer mehr vom eigentlichen Verändern des Originals weg zum Produzieren neuer Stücke hin entwickeln. Diese hätten häufig nur noch Teile der Vocals mit dem eigentlichen Original gemein. Hoffmann erwähnt dabei, dass häufig der Remix innerhalb einer bestimmten Szene bekannter als das eigentliche Original ist, 99 und verweist in diesem Zusammenhang auf ‚Professional Widow’ von Tori Amos. 100 Ohne dass er
dabei näher auf dieses Stück eingeht, lassen sich bei einer genauen Betrachtung
viele der soeben beschriebenen Aspekte des Remixes beobachten.
(Musikbeispiel Nr. 11: Tori Amos, Boys For Pele, Atlantic 1996.)
97
Hoffmann 2006, S. 23.
Brewster 1999, S. 354.
99
Hoffmann 2006, S. 24.
100
Tori Amos: Boys For Pele, Atlantic 1996.
98
38
Das Original, ein auffallend unkonventionelles Stück mit Cembalo und Band,
besteht aus vier Teilen, die vom Charakter her sich jeweils deutlich unterscheiden
und den Songverlauf immer wieder aufbrechen und in eine andere Richtung lenken. Die Bridge wechselt vom Bandsound schlagartig in Klavierbegleitung mit
Gesang, die düstere Atmosphäre aus verzerrtem Cembalo, Band und sirenenähnlichen Geräuschen wird in einen kammermusikalischen Kontext geführt. Am
Schluss ändert sich schließlich das Metrum und geht in eine Art Dreiertakt, der
selbst in sich ungerade Takteinheiten beinhaltet.
(Musikbeispiel Nr. 12: Armand van Helden, Professional Widow single, Armand's
Star Trunk Funkin' Mix, Atlantic 1996)
Dieser Song wurde von Armand van Helden in eine House-Version geremixt, und
unterstreicht die zunehmende Entfremdung des Remixes vom Original weg, die
Brewster und Hoffmann beschreiben. Von der ursprünglich sehr verworrenen
Struktur des Originals sind nur wenige Elemente von Armand van Helden übernommen worden, wohl um die Tauglichkeit für den Dancefloor zu erhöhen. Neben dem undefinierbaren Hintergrundgeräusch, welches stilistisch dem Remix
wahrscheinlich noch am meisten entgegenkommt, haben es nur die schon fast
remix-typischen Vokalsamples in die neue Version geschafft. Diese Vokalteile
sind allerdings im Wesentlichen auf zwei Textzeilen des Originals reduziert und
wiederholen sich ständig. Als einzige längere gesampelte Passage hat van Helden
die komplette Bridge übernommen, selbst das Klavier ist im Hintergrund noch
teilweise wahrnehmbar.
Hofmann bezieht sich unter anderem auf diesen Remix als Beispiel für einen höheren Bekanntheitsgrad der Kopie im Vergleich zum Original. Tatsächlich wurde
diese Version van Heldens als großer Charthit immer wieder geremixt. Es wurde
somit eine Remix des Remix angefertigt, der die Samples von van Helden übernimmt, und gar nicht mehr das Original benutzt, wie beispielsweise von Money
Order 101 , Tori Amos 102 selbst oder gar einem Mash-up mit ‚Ain’t no other
man’ 103 .
101
Money Order: Trance Action - Dance & Trance Hits (Alternate Mix), YOYO USA 2006.
Tori Amos: Professional Widow, Jet Set Compilation, Funky Cactus Recordings 2006.
103
http://youtube.com/watch?v=CyTlZ_ACoz8
102
39
Es wurde nun mehrfach darauf hingewiesen, dass Remixing ohne Sampling nicht
denkbar ist, da die Erinnerung an das Original nur durch ein erkennbares Sample
ausgelöst werden kann. Eine Coverversion wird dabei in der Regel schneller als
Fälschung erkannt. Da in dieser Arbeit jedoch Sampling als künstlerisches Verfahren dargestellt werden soll, liefert die Entwicklung des Remixes nur bedingt
neue Aspekte. Bei den starken Abweichungen vom Original könnte tatsächlich
von einem Verfall der Aura gesprochen werden. Es wird weniger versucht, das
Original zu bewahren und zu interpretieren als vielmehr ein ‚neues’ Objekt zu
schaffen, das Teile des Originals mitverwendet. Hierbei kommen wir aber wieder
auf die bereits beschriebenen Strategien zurück, es ergeben sich keine neuen Aspekte. Einzig im Bereich der unkommerziellen Remixe, wie beispielsweise in
Form des Mash-ups, wird ein bewusster Umgang mit dem Original deutlich, ja
sogar auch musikalisch zum Thema gemacht und bearbeitet.
Um auf die zentrale Frage dieses Kapitels zurückzukommen, ob Sampling als eine
Art des Diebstahls angesehen werden kann, oder ob es eine kreative Weiterentwicklung des Originals darstellt, kann letztlich nur der Einzelfall entscheiden. Die
Ängste einer Beeinflussung des Sinngehalts und eines damit verbundenen Verfalls
der Aura sind bei den gegebenen Möglichkeiten durchaus berechtigt, das haben
die unterschiedlichen Beispiele gezeigt. Gerade wenn das Original auf drastische
Art transformiert wird, und so nicht mehr erkennbar ist, kann nicht mehr von Originalität gesprochen. Diese Verfahrensweise, die unter dem Aspekt des Sounddesigns erwähnt wurde, strebt selbst nach Originalität, kreiert eigene Originale, die
zum einen mit dem Ausgangssignal nichts mehr gemein haben, andererseits auch
nicht der „Politik des Stehlens“ bezichtigt werden können. Hinzu kommt, dass
aufgrund der sich ständig verbessernden technischen Möglichkeiten die Grenzen
zwischen Kopie und Original immer mehr verwischen. Die Konsumenten nehmen
diese Verwischung von Originalität gar nicht mehr wahr, sind daran aber wohl
auch kaum interessiert.
Auch auf Seiten der Musikschaffenden wird ein mangelndes Interesse an Autorenschaft angeprangert. Dieser Vorwurf sollte sich allerdings der Frage einer genauen Definition von Originalität stellen. Denn für die Produzenten sampelbasierter Musik besitzt das Original an sich schon einen hohen Stellenwert. Das zeigt
sich daran, dass selbst im digitalen Zeitalter immer noch von Platten gesampelt
40
wird. Das Finden einzigartiger, unverbrauchter Originale aus dem unbegrenzten
Medienarchiv ist ein zentraler Teil künstlerischer Arbeit. Dabei ist es wichtig, die
Inhaltsebene und die Ebene des Quelltextes deutlich zu trennen. 104 Während das
Interesse am Gesamtkontext eher als unbedeutend einzuschätzen ist, so ist die
Auswahl bestimmter Teile des Originals dabei akribischer und auf den einzelnen
Sound bezogen. Sie ist als eine ganz bewusste Entscheidung für einen bestimmten
Ausschnitt zu sehen, die infolgedessen alles andere außer diesen Ausschnitt ausblendet.
„Ein Prozess des Rückbezugs ist damit prinzipieller Bestandteil [der] ästhetischen
Strategie[...]. Die Qualität des Materials ‚vor der Bedeutung’ steht im Zentrum.“ 105 Großmann erläuter an anderer Stelle, wie dieses Material vor der Bedeutung zu verstehen ist. 106 So führen technische Signale immer kulturelle Strukturen
mit sich und werden wohl deshalb auch ausgewählt. Dennoch
„trägt das physikalische Zeichen nicht eine ihm zugeordnete Bedeutung, sondern es appelliert an eine kulturell geformte, dynamisch veränderbare und intersubjektiv variable kulturelle Einheit, die für den Zeichenadressaten anschlussfähig sein muß. [...] Die kulturelle Konfiguration umschließt das technische Medium und bettet es in Prozesse der Erzeugung von Bedeutung
ein.“ 107
Großmanns Darstellung, zusammengestellt aus unterschiedlichen Beiträgen, ist
meiner Meinung nach eine interessante Darstellung, die durch ihre Mehrdeutigkeit
vielen Beispielen gerecht wird. Das Original wird im Sampling meist vor der Bedeutung, das heißt aus dem bedeutungsstiftenden Kontext gelöst. Die kulturellen
Konfigurationen, die das entkoppelte Original mit sich führt, sind mit dem Adressaten und dessen Auslegung verbunden. Der jeweilige Horizont des Konsumenten
rückt ins Blickfeld, und dieser schafft jedes Mal ein neues Original, das eine eigene Bedeutung in einem anderen Umfeld produziert, oder die Übernahme von
Samples wird erkannt und mit Bedeutungen verknüpft.
104
Vgl. Tollmann 2004, S. 293.
Großmann 1995.
106
Vgl. Großmann 2004, S. 95
107
Ebd. S. 95.
105
41
Während nun den Befürchtung eines Verfalls der Aura, die Schaffung einer eigenen Aura in Form eines neuen Originals entgegengesetzt wurde, soll abschließend
noch ein weiterer Aspekt von Originalität betrachtet werden. Dabei spielt das bewusste Transportieren von Bedeutung eine Rolle, das negativ ausgelegt, oder auch
wenn der Adressat möglicherweise nicht anschlussfähig ist, als „Politik des Stehlens“ gebrandmarkt wird. Es wurde ja bereits das Verhältnis von Sampling und
Zitat unter 2.2.1 erwähnt. Feuerstein grenzt in diesem Zusammenhang das Zitat
von Sampling klar ab, da erst das Erschaffen einer übergreifenden Logik aus Einzelteilen als Sampling zu bezeichnen sei. Demgegenüber wurde anhand von
‚Ain’t no other man’ beschrieben, dass Samples im Prinzip immer eine gewisse
Bedeutung mit sich tragen.
Gerade in afroamerikanischer Musik spielt der bisher immer nur angedeutete Gesichtspunkt der sozialen Bedeutungsbildung eine Rolle, indem Samples als Erkennungszeichen verwendet werden. „Die ‚nationalistisch’-abgrenzende Botschaft
[ist] beschränkt auf die Insider, auf die, die Samples als Samples hören und nicht
als der zum Groove gewordene Loop, der sie geworden sind.“ 108 Neben Diederichsen geht auch Rose auf diesen besonderen Umgang mit Originalität im afroamerikanischen Hip Hop ein. 109 Sie sieht neben den politischen Anspielungen vor
allem auch musikalische und klangliche Aspekte, die als eine Art Würdigung und
Rückbezug auf afroamerikanische Praktiken zu verstehen sind. Sie kritisiert dabei
vor allem Goodwin, der nach Rose zu sehr die Gewöhnung an die Technik in den
Mittelpunkt stellt und dabei die soziale Bedeutungsbildung übersieht.
Goodwin „makes no mention of black practitioners and the possibility that
these dance artists are using sampling technology to articulate black approaches to sound, rhythm, timbre, motion, and community. For Goodwin,
technology is made funky but not as a result of black appropriation.“ 110
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Aspekt der sozialen Bedeutungsbildung im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter vertieft werden kann, hauptsächlich
deshalb, weil er für Sampling als künstlerisches Verfahren zwar durchaus von
Bedeutung ist und deshalb auch in unterschiedlichen Kontexten immer wieder
108
Diederichsen: Sampling in der Popmusik, 1985, S. 47.
Vgl. Rose 1994, S. 73-84.
110
Ebd., S. 84.
109
42
aufgetaucht ist, allerdings in seiner Gesamtheit zu komplex ist und zu sehr unter
kulturwissenschaftlichen Perspektiven dargestellt werden müsste.
Der Umgang mit Originalen im Sampling hat eine Eigendynamik entwickelt, die,
besonders wenn der Bezug zu einem bestimmten Kulturkreis hergestellt werden
soll, sehr vielschichtig wird und sehr genau abzugrenzen ist. Diese Problematik ist
in dem bereits aufgeführten Mash-up von ‚Ain’t no other Man’ und ‚Professional
Widow’ zu beobachten. 111 Aguileras Stück basiert überwiegend auf Samples des
alten Funkklassikers ‚Hippy Skippy Moon Strut’ von Moon People und wurde
von der Hip Hop-Ikone DJ Premier produziert. 112 Die a capella-Version dieses
Stückes wird wiederum mit einem Remix von ‚Professional Widow’ gemischt,
welcher wiederum, um mit Aguileras Vocals zumindest von der Geschwindigkeit
her zusammenzupassen, den eigentlich bekannten Remix von Armand van Helden
erneut bearbeitet. Folglich mischen sich so viele unterschiedliche Ebenen, dass
Bezüge jeglicher Art zwar herstellbar, aber nicht mehr zu kanalisieren sind.
4. Mensch vs. Maschine
Neben dem Vorwurf des Plagiats wird besonders auch die zunehmende Verwendung von Maschinen, speziell in Form des Computers, für „die Krise des Kreativen und des Authentischen“ 113 verantwortlich gemacht. Besonders Goodwin deutet nicht nur auf die Ebene des Originals hin, sondern geht auch auf die Ebene des
Gefühls ein, welche den zunehmenden Gebrauch von Maschinen beim Produzieren von Musik kaum mehr wahrnehmen könne. Es scheint dabei nahezu widersprüchlich, wenn Goodwin einerseits behauptet, programmierte Musik sei von
live eingespielter Musik nicht zu unterscheiden, zum anderen betont, dass
schlichtweg eine Gewöhnung an den perfekten Groove des unfehlbaren Computers stattgefunden hat. 114
111
http://youtube.com/watch?v=CyTlZ_ACoz8
Vgl. The Moon People: Hippy, Skippy, Moon Strut, 1969.
113
Goodwin 1998, S. 115.
114
Vgl. ebd, S.115/116.
112
43
Die „Ununterscheidbarkeit zwischen mensch- und computerproduzierter Musik“ 115 , von Goodwin an den unter 1.3 dargestellten Verwendungsweisen festgemacht, verkennt ohnehin, dass auch eine Maschine bedient werden muss. Die Bezeichnung „computerproduziert“ kann daher nicht „menschproduziert“ entgegengestellt werden. Wahrscheinlicher ist dabei Goodwins Argument der Gewöhnung
an den Einfluss von Computern zutreffender, nämlich dass der Konsument, wie
auch in allen anderen Bereichen des Lebens, der Nostalgie entsagt, die „funkiness“ 116 des Rechners anstandslos hinnimmt und womöglich den kreativen Umgang mit den Produktionsbedingungen genauso genießt wie ‚handgemachte’ Musik.
Der Einfluss von und Umgang mit Musiktechnologie hat auf den ästhetischen
Gehalt der Musik selbstverständlich einen gravierenden Einfluss, dies wurde bereits deutlich und soll in diesem Kapitel noch einmal speziell von unterschiedlichen Blickwinkeln aus genauer betrachtet werden.
4.1 „Musik der Unbefugten“ 117
Wenn Büsser von der „Musik der Unbefugten“ spricht, so meint er „’Normalmenschen’ [...], die keine Noten lesen können, schon gar nicht komponieren.“ 118 Er
bezieht sich in diesem Zitat auf die Weiterentwicklung von Ideen der E-Musik
durch Laien. Im übertragenen Sinn lässt sich dieser Ausdruck auch für unsere
Zwecke verwenden und legt Vergleiche zu den ersten DJs nahe, die im Sampler
ihr Instrument für das Produzieren entdeckt haben, erinnert auch an Home-Recording ohne Besitz eines kompletten Tonstudios. So erwähnen Plantlife auf der letzten Seite ihres Booklets: „All Songs recorded and mixed in Los Angeles in a hot
and sweaty little apartment.“ 119
Womöglich sind es genau diese Unbefugten, fernab von musikalischen oder tontechnischen Bildungseinrichtungen, die durch die neuen Möglichkeiten der Musikproduktion ihre unbeeinflusste Art des Musikmachens endlich ausüben können,
und dabei ihre eigene Ästhetik entwickeln. Butler beschreibt beispielsweise, wie
115
Ebd., S. 109.
Ebd., S. 108.
117
Büsser: The Art of Noise 1996, S. 11.
118
Ebd.
119
Vgl. Plantlife: The Return of the Jack Splash, Gut Records 2004.
116
44
Rolands TB-303, ein billiger, komplizierter Synthesizer zur Simulation eines Bassisten, von den ersten House-DJs entdeckt wurde, weil sich interessante Klangmöglichkeiten durch die vielen Parameter ergaben. 120 Es wurde bereits darauf
hingewiesen, dass auch der Sampler ursprünglich für die Simulation von Instrumenten und nicht als zentrales Produktionstool gedacht war. Rose spricht von
„Working in the Red“ 121 , und meint damit die verzerrten und übersteuerten Signale im Hip Hop, die Sounds geprägt haben, die heute zum Standard jeder Popproduktionen geworden sind. In dieser Hinsicht dürfte auch der oben beschriebene
Effekt des ‚Vinylkratzens’ nicht nur als nostalgischer Verweis auf die Schallplatte
zu sehen sein, sondern könnte vielleicht auch auf mangelnde Kenntnis an Möglichkeiten der Rauschunterdrückung, oder schlichtweg auf schlechtes Equipment
zurückzuführen sein.
Anknüpfungspunkte und Verbindungslinien zu ungewöhnlichen Produktionsansätzen würden sich sicherlich viele finden lassen. In unserem Zusammenhang ist
jedoch entscheidend, wie sich diese eigene Herangehensweise gegen die Norm,
häufig auch die Unkenntnis der Produzenten, in künstlerischer Weise in der Musik
bemerkbar macht. Wenn heutzutage wohl eher wieder professionelle Produzenten
die Szene beherrschen, so ist dennoch das Prinzip des Ausprobierens und Nutzens
der unzähligen Möglichkeiten der Rechner und ihrer Peripherie ein entscheidendes Entstehungskriterium und neues künstlerisches Betätigungsfeld des Musikmachens.
4.2 Sampling als Bindeglied
Der Sampler ist in diesem Kontext häufig im Zusammenspiel mit anderen Produktionsgeräten zu sehen. Butler unterscheidet vier unterschiedliche Gruppen, die auf
die Produktion einwirken. 122 Zunächst ist als zentraler Bestandteil jedes Setups
natürlich der Computer zu erwähnen, „der dann Synthesizer, Effektgerät, Sampler,
Mischpult und Aufnahmemedium etc. in einem“ 123 darstellt. An Peripheriegeräten
sind Keyboards, meist als Interfaces benutzt, und zum Teil noch analoge Synthe-
120
Vgl. Butler 2006, S. 68/69.
Rose 1994, S. 74.
122
Vgl. Butler 2006, S. 62/63.
123
Harenberg 2003, S. 69.
121
45
sizer beliebt. Dieses Zusammenspiel unterschiedlicher Aufgabenbereiche im
Computer prägt die Entstehung elektronischer Musik und ist dabei nicht eindeutig
zu trennen. Nicht nur die Musik hat ihre Gegenständlichkeit eingebüßt, sondern
auch Sampler und Synthesizer sind längst in Form von Software-Imitaten in den
Computer gewandert. Der Rechner vereint nahezu alle Zugriffsmöglichkeiten, so
dass es zunehmend schwerer wird, die Klangergebnisse bestimmten Geräten oder
eben deren Simulation zuzuschreiben.
Umso erstaunlicher ist dabei, dass gerade diese umfassenden technischen Mittel
häufig nicht genutzt werden. Die Produzenten scheinen die Appelle der Kritiker
zu teilen und so „hat sich trotz intensiver Nutzung der Sampling-Technologie ein
gewisser Konservatismus etabliert, der die Experimentierfreudigkeit in geregelten
Bahnen hält.“ 124 Poschardt bezieht sich in diesem Zitat hauptsächlich auf Hip
Hop-Künstler, die beispielsweise immer noch auf ihrer MPC ihre Beats basteln.
Wenn nun Sampling in diesem Abschnitt als Bindeglied zwischen Mensch und
Maschine bezeichnet wird, so ist damit das bewusste Darstellen von Unvollkommenheit gemeint, das unter Umständen auch gerade durch eine Beschränkung in
den Produktionsmitteln begünstigt werden kann. Egal ob als handhabbare Workstation oder als Software-Sampler, Sampling bietet die Möglichkeit lebendige,
von Menschen hervorgebrachte Klänge, in Form von gespielten Instrumenten oder
Geräuschen jeglicher Art abzubilden, und damit die Einzigartigkeit, ja Fehlerhaftigkeit des menschlichen Lebens perfekt zu simulieren. Darin besteht der Reiz und
womöglich auch die größte Annäherung an vom Menschen gespielte Musik. Lebendigkeit und Perfektion der Technik lassen sich verbinden und den jeweiligen
Ansprüchen gemäß mit Hilfe der anderen Tools anteilig mischen.
Besonders die Produzenten Jay Dee und Madlib haben dieses extreme Aufzeigen
von Unvollkommenheit zu ihrem eigenen Stil gemacht. In ihren Raps bezeichnen
sie ihren Stil passender Weise als ‚Raw Shit’. Jay Dee und Madlib arbeiten überwiegend mit Samples, die sie relativ unbearbeitet in ihren Stücken zu erkennen
geben. Die selbstverliehene Stiletikette ‚Raw Shit’ ist aus mehreren Gründen absolut zutreffend, denn im Allgemeinen wird ein sehr unsauberes Sampling praktiziert. Während beim Sampeln in der Regel relativ reine Signale gesucht werden,
124
Poschardt 1995, S. 232.
46
um das Signal in einem anderen Kontext gut einbauen zu können, so scheinen
‚Jaylib’, so der Name des gemeinsamen Projektes der beiden Produzenten, bevorzugt Samples zu nutzen, bei denen viele Hintergrundgeräusche beinhaltet sind.
Die technischen Möglichkeiten des EQs und der weiteren Klangbearbeitung werden bewusst ausgespart, die Sounds klingen unbearbeitet, eben ‚raw’. Während
Sampling-Künstler nach den freien Stellen in Stücken Ausschau halten, beispielsweise einem Breakbeat, so verwenden Jay Dee und Madlib scheinbar alles,
was sie grundsätzlich vom Sound her interessiert. Durch das Mitschwingen unterschiedlichster Nebengeräusche und darin enthaltene Harmonien oder zumindest
tonale Tendenzen, sind die Stücke von einer eigenen Unkonkretheit und Verdichtung geprägt. Ein weiteres Charakteristikum beider Produzenten ist das Sampeln
längerer Passagen. Diese Einheiten werden nicht, im Gegensatz zur üblichen Praxis, soweit zerkleinert, dass sie sich in Verbindung mit einem Sequenzer perfekt
ins rhythmische Raster einpassen lassen. Die Andersartigkeit der unterschiedlichen Originale wird in den Stücken bewusst gegeneinander gestellt, es kommt zu
einem Vermengen unterschiedlicher Fells und Mikrotimes. Auf dem gemeinsamen Album ‚Champion Sound’ finden sich gleich zwei Beispiele, die das Attribut
‚raw’ bereits im Titel zu erkennen geben, und auch die soeben beschriebenen Produktionsweisen aufzeigen.
(Musikbeispiel Nr. 13: Jaylib: Champion Sound, Stones Throw Records 2003.)
‚Raw Shit’ fängt gleich zu Beginn mit einem in sich unsauberen Schlagzeuggroove an. Dass dieser aus unterschiedlichen Aufnahmen zusammengesetzt und nicht
komplett übernommen wurde, zeigt sich einerseits in dem rhythmischen Puls der
HiHat, der in sich selbst unsauber, ein unquantisiertes und längeres Sample erkennen lässt und sich rhythmisch auf einer anderen Ebene als die anderen Instrumente befindet. Dazu kommt ein deutlich zu vernehmendes Rauschen, das mit der
Bassdrum gekoppelt ist, also von der Originalaufnahme mitgesampelt wurde. Dieses Prinzip wird auf die unterschiedlichen Synthesizer und sonstigen Instrumente
übertragen.
47
(Musikbeispiel Nr. 14: Jaylib: Champion Sound, Stones Throw Records 2003.)
In ‚Raw Addict’ wird die rhythmische Ebene vor allem durch den Gegensatz von
monotonem Sechzehntel-Basslauf und leicht geshuffelter Bassdrum hergestellt.
Ansonsten wird die provozierte Fehlerhaftigkeit durch das bereits bekannte Prinzip der Geräuschcollage herausgestellt, indem die Raps teilweise kaum erkennbar
oder zumindest nicht im Vordergrund des Stückes angeordnet sind. Zudem trägt
ein sich ständiger wechselnder Panoramaeffekt zu dem insgesamt unausgewogenen und diffusen Klangbild bei.
Diese Diskrepanz zwischen sich ständig verbessernder Technologie und Software
und der Tendenz zu einem Nichtnutzen der dadurch möglichen Perfektion hat sich
in den letzten Jahren neben schrofferen Sounds besonders auf der rhythmischen
Ebene herauskristallisiert. Hierbei handelt sich es aber um ein Phänomen, was
vom Hip Hop ausgehend in andere Stilistiken, beispielsweise in R&B- und Popproduktionen, übertragen wurde. In der Electronica/Dance Music hingegen sind
die einzelnen Samples in der Regel so weit zerkleinert, dass ein genaues Einfügen
und Anordnen üblich ist. Freilich gibt es Grenzfälle, wie beispielsweise das Verwenden von längeren Breakbeat-Passagen. Hierbei wird jedoch in der Regel nur
soweit gegangen, dass die rhythmische Akkuratheit erhalten bleibt. Generell lassen wohl schnellere Tempi, besonders in House und Drum&Bass-Stilistiken, ein
Aufbrechen der rhythmischen Ebene nicht mehr zu, ohne dabei nicht an Tanzbarkeit zu verlieren.
Das Mensch-Maschine-Verhältnis im Bereich der Electronica/Dance Music und
im Hip Hop ist für ihre Ästhetik in mehrfacher Weise prägend. Poschardt weist
darauf hin, dass eine neue Musikergeneration durch die technischen Möglichkeiten einen eigenen Zugang zum Musikmachen gefunden hat. Diese Unbefugten
verstehen die ‚neuen’ Maschinen intuitiv „einfach als Mittel und Zweck, ihre musikalischen Ideen in die Wirklichkeit zu übertragen. Technik ist keineswegs mehr
ein Element der Entfremdung, sondern ganz im Gegenteil zu einem Element der
ungestörten Selbstverwirklichung geworden.“ 125
125
Poschardt 1995, S. 376.
48
Die Annäherung an die Musik geschieht nicht auf herkömmliche Weise über ein
Musikinstrument, sondern mit Hilfe technischer Maschinen, deren Beherrschung
diese neuen Musiker bereits von klein auf gelernt haben. Die am Anfang dieses
Kapitels zitierte Befürchtung, Maschinen könnten die von Menschen gemachte
Musik ersetzen ohne dass dies dem Hörer auffallen würde, verkennt den völlig
anderen künstlerischen Fokus. Natürlich wird die neue Technik auch zur Simulation von ‚handgemachter’ Musik gebraucht, dies wurde zu Beginn dieser Arbeit
angedeutet (vgl. 1.3). Die wesentlichen Akzente einer eigenen Ästhetik überwiegen jedoch. Denn Perfektion im Sinne einer fehlerlosen Simulation oder einer
rhythmischen Vollkommenheit wird keineswegs angestrebt. „Die totale Kontrolle,
die Computerprogrammen zu Eigen sein scheint, wird in einem experimentellen
Setting aufgelöst, das von der pseudonaiven Nutzung bis zur Zweckentfremdung
reicht.“ 126 In einer technisierten Welt besteht der Reiz gerade nicht in der Perfektion, sondern es scheint sich Goodwins These zu bestätigen, dass Sampling vielmehr Analogien zu einem romantischen Kunstverständnis zeigt.
Die Technisierung von Musik fragt danach, wer den Sampler startet und wer demnach die einzelnen Komponenten selektiert. 127 Sampling ist für diese experimentelle Techniknutzung das perfekte Tool. Denn wie oben dargestellt, kann man die
menschliche Unvollkommenheit hinsichtlich Dynamik und Genauigkeit in die
Produktionen mit einflechten und somit menschliches Gefühl und Technik je nach
Geschmack mischen. Gerade durch die Überlagerung von Samples unterschiedlichster Herkunft, entsteht eine andere Auffassung von Zeit und Rhythmus, wie
besonders in den Stücken von Jaylib deutlich wurde. Durch die immer wieder
identische Wiederholung von Unvollkommenheit wird ein eigenes Gefüge geschaffen, welches trotz aller technischen Möglichkeiten kaum zu replizieren ist
und somit als unikales Werk bezeichnet werden kann.
126
127
Großmann 2003, S. 66.
Vgl. Braun 2004, S. 278.
49
5. Sounddesign
Wenn bis zu diesem Punkt aufgezeigt wurde, wie sich Sampling künstlerisch verankern lässt, vor allem hinsichtlich bestimmter Abgrenzungskriterien zu anderen
Kunstformen, und dadurch eine eigene ästhetische Kontur aufgezeigt wird, so soll
im Folgenden ein Ausblick auf zukünftige, nach Neuorientierung strebende Richtungen angedeutet werden.
Der Großteil der bisher aufgeführten ästhetischen Aspekte ist auf bereits vorhandenes Medienmaterial bezogen. Dabei ist nicht nur die Verwendung von Musikaufnahmen von Bedeutung, sondern der allgemeine Rückgriff auf das Medienarchiv, beispielsweise in Form von Geräuschen, die aus unterschiedlichen Intentionen heraus verwendet werden, sei es nun, um soziale Konnotationen hervorzurufen oder einfach nur um das musikalische Vokabular zu erweitern. Der Rückbezug auf Bestehendes ist auch im Verhältnis von Mensch und Maschine sehr in den
Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Anhand der Beispiele wurde deutlich, dass
die unkonventionelle Gebrauchsweise von Maschinen mehr im Bereich des Hip
Hop anzusiedeln ist, zumindest von da aus ihren Ursprung nimmt und dort auch
heute noch so verwendet wird. Das abschließende Kapitel dieser Arbeit will nun
noch einmal verstärkt den unter 1.3.3 angedeuteten Aspekt des Sounddesigns untersuchen. Einerseits, um die Verwendung von Sampling auch im Bereich der
Electronica/Dance Music noch vielfältiger zu positionieren, andererseits, weil
diese soundbezogene Sampleästhetik sich längst auf andere Stilistiken übertragen
hat und aufgrund des zunehmenden Vorkommens als eindeutige Neuorientierung
bezeichnet werden kann.
5.1 Sound als Mysterium
In der aktuellen Forschungsdiskussion um Popmusik wird dem Soundaspekt zunehmend mehr Beachtung geschenkt. So handelt es sich bei dem Begriff Sound
inzwischen schon um ein allgegenwärtiges Wort, das fernab wissenschaftlicher
Diskurse auch vom Konsumenten bis zum Feuilleton-Beitrag in den unterschiedlichsten Zusammenhängen gebraucht wird. Schätzlein findet acht Definitionen
von Sound, eine Eingrenzung des Begriffes scheint dementsprechend schwierig,
50
wenn nicht sogar unmöglich. 128 Eine durchaus sinnvolle, wenn auch vage Eingrenzung nimmt Döhl vor. 129 Er bezeichnet Sound einerseits als Klang, und
stimmt in dieser Definition mit Schätzlein überein. 130 Andererseits bezeichnet
Döhl Sound auch als individuellen Stil, also mehr „die Gesamtheit aller den
klanglich-musikalischen Eindruck der Musik bestimmenden Elemente“ 131 , im
Gegensatz zum einzelnen Klang. Diese Grundkategorien von Sound sind natürlich
zunächst selbst sehr allgemein gehalten, sie helfen dennoch als erste Unterscheidungskriterien der Untersuchung des Mysteriums Sound einen Ausgangspunkt zu
geben.
Durstewitz beschreibt das Phänomen Sound sehr treffend als unfassbar. 132 Diese
Unfassbarkeit von Sound bezieht sich hierbei nicht nur auf die Mehrdeutigkeit des
Soundbegriffs, vielmehr haftet dem Soundbegriff auch eine ästhetische Unfassbarkeit an, wie Durstewitz in dem folgenden Zitat treffend beschreibt:
„Die Verwobenheit des Soundbegriffs mit dem Unfassbarkeitstopos mutet erstaunlich an in einem Zeitalter, das mit allen Varianten modernster Samplekunst Benjamins technische Reproduzierbarkeit in ein noch grelleres Licht
rückt, und scheint das gewohnte Wort von Entauratisierung Lügen zu strafen.“ 133
Wenn Durstewitz Sound als unfassbar beschreibt, könnte sie damit auf die Undurchsichtigkeit der Entstehung von Sound aufgrund der vielfältigen Produktionsmöglichkeiten anspielen. Sie spricht hier eine an sich paradoxe Situation an, nämlich dass einerseits die Mittel für eine Reproduktion von Musik besser denn je
sind, andererseits gerade durch den Gebrauch dieser Mittel so etwas wie eine charakteristische Handschrift entsteht. So wird der Soundbegriff schon lange nicht
mehr nur „als musikalisches Ziel und Qualitätsmerkmal eines Musikers, eines
Komponisten oder einer ganzen Band“ 134 aufgefasst. Unter Berücksichtigung der
Forschungsbeiträge scheint sich die derzeitige Diskussion um Sound eher mit
128
Vgl. Schätzlein 2005, S. 26/27.
Vgl. Döhl 2003, S. 179.
130
Vgl. Schätzlein 2005, S. 27.
131
Durstewitz 2005, S. 103.
132
Vgl. ebd., S. 103-105.
133
Ebd., S. 104.
134
Schätzlein 2005, S. 25.
129
51
Produzenten, DJs und Labels zu beschäftigen, eben mit allem, was im weitesten
Sinn als elektronische Musik bezeichnet werden kann.
Das Geheimnis des eigenen Sounds eines Produzenten, eine wieder erkennbare
Signatur im Sinne von Aura, zeichnet die erfolgreichsten ihrer Zunft aus. Genauso
eindeutig wie diese Stücke oft in ihrer Klangästhetik dem jeweiligen Produzenten
zuzuordnen sind, genauso schleierhaft und geheim sind ihre Methoden und Arbeitsweisen, die sofort als Kopie erkennbar sind. Es wurde ja unter 1.3.3 bereits
darauf hingewiesen, dass im Rahmen des experimentellen Sounddesigns gerade
die Kombination unterschiedlicher Arbeitstools beliebt, allerdings eine Zuordnung
zu bestimmten Technologien auch schwierig ist.
Häufig ist in diesem Prozess der Sampler zwar ein viel verwendetes Werkzeug,
doch die Samplingspuren sind dabei nicht mehr erkennbar. Es ist beispielsweise
meist nicht zu bestimmen, ob ein spezielles Signal gesampelt und mit Effekten
versehen wird oder ob dabei ein Synthesizer zum Einsatz kommt. Die Sounds
haben sich gewissermaßen von ihren Produktionstechnologien insofern entfernt,
dass eine eindeutige Quelle nicht mehr erkennbar ist, ja häufig erst aus der Kombination einen Sound entstehen lässt. Bezüge zu Sampling müssen deshalb stets
mit äußerster Vorsicht hergestellt werden. Im folgenden Abschnitt soll nun der
Einfluss von Sampling auf das Sounddesign aufgezeigt und anhand von Beispielen konkretisiert werden.
5.2 Das Sounddesign der Electronica/Dance Music
Wie bereits erwähnt, spielt das Sounddesign besonders im Bereich der Electronica/Dance Music eine entscheidende Rolle. In diesem stilistisch weitläufigen Feld
ist es natürlich zunächst schwierig, allgemeinere Feststellungen zu formulieren.
Daher sollen vorerst grundsätzliche Charakteristika des Sounddesigns benannt
werden, die zudem auch unmittelbar mit Sampling in Verbindung stehen. Die dabei angeführten Beispiele sind wohl eher experimenteller, oder zumindest vom
Mainstream abweichender Art. In ihrer Radikalität stellen sie dabei jedoch bestimmte Aspekte des Sounddesigns besonders heraus und helfen somit, diese klar
zu belegen, ohne dabei einen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit zu erheben.
52
Innerhalb der Produzenten-Szene, so Kösch, werden Samples weniger als Verweise auf den Autor und dessen Geschichte betrachtet, sondern „im Hinblick darauf
thematisiert, was mit ihnen gemacht wurde.“ 135 Ein am Sounddesign orientiertes
Sampling arbeitet auf eine viel subtilere Weise, indem mögliche Rückbezüge auf
die ursprüngliche Klangquelle nicht so deutlich erkennbar gemacht und allzu direkte instrumentale oder stilistische Beziehungen vermieden werden. Dies führt zu
einem durchweg synthetischeren Klangbild, „einer medieninternen Soundwelt,
einem Universum falscher Klänge[...]. Es sind hybride, bis rein technische Klanglandschaften, deren Ästhetisierung des Technischen [...] die Technik selbst klingen lässt.“ 136
Wenn Döhl die Definition von Sound sowohl mit Stil wie auch mit Klang in Verbindung bringt, so scheinen gerade dies auch die am Sounddesign orientierten
Künstler zu tun. Es erweckt den Eindruck, als würde das Arbeiten an einzelnen
Klängen schließlich im Gesamten für das Ausformulieren eines eigenen Stils benutzt werden. Die Konsequenz ist damit auch eine Änderung der Arbeitsweise
von Produzenten. Das Aufspüren von originellen Platten mit bisher ungesampelten Passagen – diese Arbeitsweise ist im Hip Hop sehr beliebt – verändert sich
zugunsten einer Suche nach neuen Sounds, die prinzipiell überall zu finden sind,
bzw. meist erst aus dem Zusammenhang gerissen oder durch ständige Transformation und Weiterverarbeitung entstehen. Im Hinblick auf den Benjaminschen
Aura-Begriff könnte man unterstellen, dass ein verstärktes Bemühen um eine völlig neue Aura besteht, die die wahrnehmbaren Verbindungen zur ursprünglichen
Klangquelle bestmöglich zu vermeiden sucht.
Im Hinblick auf das Sounddesign innerhalb der Electronica/Dance Music scheinen meiner Meinung nach drei unterschiedliche Arbeitsweisen der Signalverarbeitung speziell auf Sampling bezogen besonders charakteristisch zu sein: die Zerkleinerung des Materials, das Kreieren ‚eigener’ Samples durch selbst aufgenommene Klänge jeglicher Art – natürlich auch unter Zuhilfenahme von anderen Produktionstools, und schließlich die Transformation dieser Klänge und deren erneute Speicherung und Weiterverarbeitung im Sampler. Die Transformation findet
135
136
Kösch 2001, S. 182.
Großmann 2003, S. 53.
53
gewissermaßen schon dann statt, wenn ein Signal digitalisiert wird, also ein digitales Abbild entsteht. Hinzu kommen zahlreiche Effekte und Anpassungsmöglichkeiten des Signals, die letztendlich die ursprüngliche Qualität des Signals verschleiern. Transformation ist besonders im Rahmen der Electronica/Dance Music
dermaßen vielfältig und kann an nahezu allen Stationen im Produktionsprozess
vorgenommen werden, so dass eine genaue Beschreibung den hier gegebenen
Rahmen sprengen würde.
5.2.1 Die Zerkleinerung des Materials
Die Zerkleinerung des Materials bezieht sich auf eine Definition von Sound, die
Sound mehr als Stil, also den Gesamtkontext betreffend, betrachtet. So ist für das
Verwirklichen der soeben beschriebenen ästhetischen Absichten des Sounddesigns, das Bemühen um eine eigene Klangästhetik, die Kleinteiligkeit in mehrfacher Weise nötig. Diederichsen betont, dass „dort, wo per Schnitt ein Kontinuum
unterbrochen und mit einem anderen zusammengefügt wird, auch immer ein Zusammenhang, ein Bild untergeht.“ 137 Je häufiger und feiner das Kontinuum folglich unterbrochen wird, desto weniger wird über die Ganzheitlichkeit des Originals preisgegeben, desto unfassbarer wird der Klang hinsichtlich seiner Herkunft.
Auch Butler, dessen Forschungsbeitrag sich ausschließlich im Umfeld der Electronica/Dance Music bewegt, geht auf die Zerkleinerung von Samples ein:
„Producers often construct intricate drum patterns from multiple sound
sources; every drum hit that appears in a particular measure might come from
a different source. Although these sources are often percussion-based [...], this
is certainly not a requirement; any sound can be chosen and recontextualized
as a percussion instrument.“ 138
Butler geht hier nicht nur auf die Kleinteiligkeit und das verstärkte Bemühen um
jeden einzelnen Klang ein. Er geht auch indirekt auf die Verwendung von Sounds
ein. Die Electronica/Dance Music ist meist durch einen Minimalisums gekennzeichnet, der größtenteils auf Stimmen und erkennbare Melodien verzichtet, dafür
sein Gewicht auf die Gestaltung der rhythmischen Komponente legt. Butler betont, dass die ‚Beats’ dabei keineswegs nur aus perkussiven, vom Schlagzeug her137
138
Diederichsen: Montage/Sampling/Morphing.
Butler 2006, S. 61.
54
kommenden Sounds bestehen, sondern vielmehr aus unterschiedlichsten Quellen.
Ein Klang muss für eine perkussive Verwendung jedoch vom Start und Endpunkt
her klar definiert sein, sonst ist er rhythmisch nicht einzuordnen. Diese rhythmische Präzision ist ein weiterer Grund für die Zerkleinerung des Materials, da sich
kürzere Samples schlichtweg besser einfügen lassen.
Ein gerne vernachlässigter Aspekt hinsichtlich des Sounddesigns besteht auch in
dem Zusammenspiel von Sampler und Sequencer. Dass diese Bereiche im Prinzip
kaum zu trennen sind, wird schon daran deutlich, dass Butler Sampling und Sequencing zunächst überhaupt nicht trennt und als ein Instrumententyp für die Produktion von elektronischer Tanzmusik nennt.139 Er bezieht sich dabei auf die bereits erwähnte Workstation MPC von Akai, die Sampler und Sequenzer in einem
ist, und betont, dass durch das Einspielen von Samples über die Pads das Erstellen
von Loops mehr dem Spielen eines Instruments gleicht als dem Programmieren
im Computer. 140 Die Pads werden in der Regel eher mit einzelnen Sounds belegt,
die Zerkleinerung des Materials findet also vorab statt und unterscheidet sich hinsichtlich des Sounddesigns lediglich durch die intuitiveren Einspielmöglichkeiten.
Das klangliche Ergebnis unterscheidet sich dabei kaum von bisher beschriebenen
Strategien. Interessante Kombinationen entstehen jedoch durch eine Zerkleinerung des Materials im Sequencer, nämlich dann, wenn ein längeres Sample nicht
komplett abgespielt wird, sondern bereits früher wieder neu gestartet wird. Dadurch ergeben sich besonders bei rhythmischen Patterns interessante Verschiebungen, wenn beispielsweise ein Pattern nicht auf einer vollen Zählzeit, sondern
auf einer unbetonten Zählzeit wieder neu gestartet wird. Diese Methode nimmt die
Zerkleinerung des Materials quasi ‚von Hand’ vor und stellt einen Sonderfall unter den hier genannten Gesichtspunkten dar. Besonders anschaulich wird diese
spezielle Form der Zerkleinerung des Materials im Midi-Fenster eines Audioprogramms, indem längere Midi-Noten nach der soeben beschriebenen Methode
durch einen Schnitt getrennt werden.
Die nun folgenden Beispiele spielen besonders auffallend mit vielen unterschiedlichen und sehr kleinteiligen Samples. Zum einen handelt es sich um sehr beat139
140
Vgl. Butler 2006, S. 65.
Vgl. ebd., S. 67.
55
orientierte Beispiele, bei denen die perkussiven Elemente im Mittelpunkt stehen,
die sonstige Instrumentierung ist eher sparsam gestaltet und grundsätzlich flächiger angelegt. Andererseits bilden beide Beispiele ein sehr synthetisches Klangbild, jegliche Bezüge zu akustischen Instrumenten sind durch ihre Verfremdung
und auch durch die unnatürliche Präzision verwischt.
(Musikbeispiel Nr. 15: Photek, Modus Operandi, Virgin Records 1997.)
In ‚KJZ’ von Photek sind die einzelnen Teile, aus denen der Groove nach einem
kurzen Intro zusammengesetzt wird, ganz offensichtlich aus unterschiedlichsten
Klangquellen entnommen. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um Beckenund Snareschläge. Die vielen einzelnen Bauteile sind zudem im Mix ganz unterschiedlich angeordnet und somit klar unterschiedlichen Quellen zuzuordnen.
Durch dieses heterogene Klangbild und das ständige Abreißen der Sounds, können die einzelnen Bestandteile nicht recht erfasst werden, ergeben erst im Gesamtkontext ein vollständiges Klangbild. Den perkussiven Klängen wird lediglich
ein Kontrabass-ähnlicher Sound und diverse Klangflächen entgegengesetzt. Sowohl diese harmonische Komponente, wie auch die perkussive Ebene erinnern
nur im entferntesten an Samples von akustischen Instrumenten, was besonders auf
die vielen unterschiedlichen, kurzen Samples und die individuelle Bearbeitung mit
unterschiedlichen Effekten zurückzuführen ist.
(Musikbeispiel Nr. 16: Aphex Twin: Come to Daddy, Warp Records 1997.)
In ‚Flim’ von Aphex Twin hingegen werden weit weniger unterschiedliche
Soundquellen verwendet, dagegen steht das Spiel mit dem Material im Vordergrund. Erst die kleinen Bauteile ermöglichen die ständigen Variationen des Beats.
Denn bei einem längeren Sample wäre es nicht möglich, auf diese Weise unterschiedlichste Notenwerte in computergenauer Präzision so nebeneinander zu stellen. Als weiterer Verweis auf das Zerkleinern von Samples finden sich immer
wieder einem Trommelwirbel ähnelnde Klangkaskaden, die das soeben beschriebene Zerschneiden im Sequencer zeigen.
Dabei sind die einzelnen Bestandteile dieser Wirbel so klein, dass für den Hörer
ein ganz neuer Soundeindruck entsteht, indem der Anfangsklang des Samples
56
durch die vielen Wiederholungen in den Vordergrund rückt, somit gewissermaßen
ein neuer Sound hinzuzukommen scheint.
5.2.2 Das Erschaffen eigener Samples
Die Erschaffung einer eigenen Sample-Library, für den Produzenten quasi eine
Erweiterung seines Instrumentariums, ist sicherlich keine Eigenart der Electronica/Dance Music. Das eigene Klangarchiv wächst praktisch mit jeder Produktion
von selbst, weil die Samples, egal in welcher Stilistik, häufig erst einmal in den
neuen Kontext eingepasst werden müssen, was ein Bearbeiten auf unterschiedlichste Weise und die erneute Speicherung der veränderten Samples mit sich
bringt. Als auffallend beliebtes Mittel könnte hingegen das Kreieren von eigenen
Sounds und das gezielte Weiterverarbeiten dieser neuen Klänge bezeichnet werden. Die Grundlage hierfür sind häufig für den Musikkontext untypische akustische Klänge und Synthesizersounds. Die Besonderheit dieser weiteren Facette des
Sounddesigns zeichnet sich dadurch aus, dass Sampeln vielmehr ist als das Speichern und Anpassen von Samples an einen neuen Kontext, sondern die neu entnommenen Samples sind zunächst lediglich eine Ausgangsbasis für die Produktion neuer Artefakte. 141 Diese immer weiterverarbeiteten Sounds verfügen über
eine ganz eigene Geschichte, die sich nicht auf die Vergangenheit im Sinne längst
vergangener Aufnahmen bezieht, sondern vielmehr auf einen Weg durch unterschiedlichste Produktionstools.
Die Bedeutung, die der Erschaffung neuer Klänge in der Electronica/Dance Music
teilweise zugemessen wird, lässt sich an der Arbeitsweise des Produzenten Matthew Herbert erkennen. Das zentrale Kriterium seiner Produktionen ist ein innovatives Sounddesign, das sich nicht auf schon Bestehendes bezieht und jegliche
Verbindung zur Kopie gleich von Anfang an ausschließen will. Offensichtlich um
sich selbst vor der Verwendung bereits bestehender Sounds zu schützen, hat Herbert gleichsam mit sich selbst einen Vertrag geschlossen, den er als ‚PERSONAL
CONTRACT FOR THE COMPOSITION OF MUSIC’ 142 bezeichnet. In diesem
141
142
Vgl. Großmann 2004, S. 96.
http://www.matthewherbert.com/pccom.php, vgl. auch Anhang 7.5.2.
57
Vertrag wird deutlich, weshalb Herbert speziell für seinen Umgang mit dem
Sampler so bekannt ist. „Verboten ist seinem Manifest zufolge alles, was den
Bedroom-Producern dieser Welt lieb und teuer ist: neben dem Sampeln fremder
Musik auch der Gebrauch bereits existierender Sounds.“ 143 Er scheint demnach
alle herkömmlichen Nutzungen von Samples abzulehnen, vielmehr sich selbst
Grenzen zu setzen, um nicht den inzwischen leicht möglichen Versuchungen der
Nutzung bereits vorhandenen Materials zu erliegen. Herberts Richtlinien für das
Komponieren lassen dabei Ähnlichkeiten zu den Avantgardisten erkennen. Neben
dem Aufstellen eines Manifests, wohl hauptsächlich um die Einzigartigkeit seiner
Sounds zu wahren, verbindet er seine Sounds auch mit dem Überbringen einer
Botschaft, meist politischer Art, und macht somit das folgende Zitat gleich in
mehrfacher Weise zutreffend.
„Spätestens seit dem 20. Jahrhundert läßt sich die Kunstgeschichte lesen als
eine Abfolge von Kampfansagen an das, was als Ästhetik gegenwärtig und
dominierend war. [...] Alles, was Avantgarden produziert haben, geschah nach
Anleitung oder zumindest unter dem Einfluß von Manifesten, welche die ästhetischen, kulturellen oder politischen Anliegen [...] erklären und kommunizierbar machen sollten.“ 144
Wie sehr Herbert Sounds mit Botschaft verbindet, ist unter anderem anhand seines
Albums ‚Plat du Jour’ nachzuvollziehen. 145 Die Sounds dafür sind allesamt gesampelte Geräusche, die mit Lebensmitteln und deren Produktionsbedingungen in
Verbindung stehen, Herbert gibt also jedem Klang einen klar zugeordneten Hintergrund. Er gibt im Booklet zu ‚Plat du Jour’ gemäß seines Manifests alle Klangquellen auf akribischste Weise an. So erwähnt er beispielsweise in dem Stück ‚An
Empire Of Coffee’ gar die verwendeten Bohnensorten, die für die Klangerzeugung verwendet und gesampelt wurden. Natürlich ist dies Teil seines Gesamtkonzepts, denn trotz der Offenlegung der Soundquellen fällt die Verbindung zum Gegenstand Kaffee schwer, zumal es Herbert dabei thematisch auch noch „um die
Geschichte der Sklaverei und die neue Weltordnung geht.“ 146
143
Tittel 2001, S. 13.
Poschardt 1995, S. 387.
145
Matthew Herbert: Plat du Jour, Accidental 2005.
146
Kedves 2005, S. 27.
144
58
Matthew Herberts Arbeitsweisen und Prinzipien sind sicherlich nicht exemplarisch für das weite Feld der Electronica/Dance Music. Da sich jedoch, wie bereits
öfters erwähnt, im Allgemeinen die genaue Herkunft der Klänge ohnehin nicht
nachvollziehen lässt, stellt sein Manifest beispielhaft einen möglichen Ansatz an
Strategien eines innovativen Sounddesigns dar. Denn seine Prinzipien und Richtlinien deuten zumindest an, was innerhalb der Electronica/Dance Music hinsichtlich des Sounddesigns gefragt ist. Es geht im Idealfall um eine ganz neue Art von
Originalität, die, eingefügt in bisher ungehörte Klänge, allzu direkte Beziehungen
zu Sounds bekannter Maschinen oder Musikaufnahmen zu verhindern sucht. Diese Originalität, das individuelle Sounddesign, ist stets auf die eigene Soundästhetik bedacht, und dies betrifft Sound in beiden Bedeutungsebenen, sowohl auf den
einzelnen Klang bezogen, wie auch auf den musikalischen Gesamteindruck im
Sinne von Stil. Die Transformation und ständige Weiterverarbeitung des Audiomaterials ist dabei ein zentraler Bestandteil des Produktionsprozesses. Die dadurch erschaffenen neuen Samples werden zudem in kleinsten Partikeln verwendet, bieten also oft nur einen Ausschnitt des ohnehin schon modifizierten Klanges.
5.3 Sounddesign im Hip Hop
Die soeben dargestellten grundlegenden Charakteristika des Sounddesings unter
dem Oberbegriff Electronica/Dance Music sind auch im Bereich des Hip Hop
festzustellen. Diese neuere Entwicklung lässt sich besonders an bestimmten Produzenten festmachen, die speziell durch ihr Sounddesign in Form von kleinteiligen Samples und selbst erschaffenen Klängen eine eigene, stets wieder erkennbare
musikalische Identität entwickelt haben. Vorweg ist dabei jedoch anzumerken,
dass ein mit der Electronica/Dance Music zu vergleichendes Sounddesign im Bereich des Hip Hop keineswegs zum Standard geworden ist. Wie an den zahlreichen aktuellen Beispielen deutlich geworden ist, ist Sampling ein Verfahren, das
vielfältiger denn je eingesetzt wird.
59
Dabei ist der Rückbezug auf bereits Bestehendes ein immer noch bei vielen Produktionen wesentliches Kriterium. Ein mustergültiges Beispiel ist hierbei wiederum das bereits in unterschiedlichen Kontexten angeführte ‚Ain’t no other man’.
Alles, was in diesem Stück an eine ältere Aufnahme erinnert, wird sogar noch
verstärkt, beispielsweise durch ein hinzugefügtes Rauschen, verzerrte Instrumente
oder gar ein entsprechende Gestaltung des Videos. Der Rückbezug wird demnach
sogar noch künstlich verstärkt.
Dennoch ist das Arbeiten mit neuartigen Sounds und ein dementsprechend anderer Umgang mit Sampling gerade bei den derzeit populären Hip Hop-Produzenten, wie beispielsweise Timbaland und Pharrell Williams zu beobachten. So ist es
gerade das Gestalten und Verwenden von Sounds, die ihre Produktionen immer
wieder erkennbar machen, sei es im Hip Hop-Kontext oder sogar innerhalb kommerzieller Popproduktionen, wie mit Britney Spears und Justin Timberlake. Allerdings wird Sounddesign im Bereich des Hip Hop generell subtiler eingesetzt.
Anscheinend sollen dabei bestimmte Rückbezüge auf die afroamerikanische Kultur, wenn sie schon nicht in Form alter Soul- und Funkplatten offensichtlich vorhanden sind, beibehalten werden, wie Timbaland im Interview auch deutlich zu
erkennen gibt. Ihm geht es dabei mehr
„um das Setzen neuer Standards, das Etablieren neuer Sounds, das Definieren
eines neuen Stils: geschichtsverbunden und doch nicht retro, mit der Old
School spielend, ohne sie zu kopieren. Ich will Dinge voran treiben, ohne
meine Wurzeln zu vergessen.“ 147
Die Electronica/Dance Music selbst ist bereits ein übergeordneter Bereichsbegriff,
der sich in zahlreiche Subgenres unterteilen lässt. Auch hier werden sich innerhalb
bestimmter Stilistiken zum Teil ähnliche Sounds finden lassen. Allerdings wird
Sampling generell in der Electronica/Dance Music sehr versteckt und uneinheitlich angewendet. Wenn nun Diederichsen betont, dass die Zugehörigkeit zu einer
Gruppe in diesen Subgenres zu einem großen Teil über Sound geschieht, so trifft
dies natürlich auch auf Hip Hop zu. 148 Im Gegensatz zur Electronica/Dance Music
ist Hip Hop zusätzlich jedoch noch mit einer Botschaft gekoppelt. Es wurde ja
bereits unter 1.3.3 erwähnt, dass die Electronica/Dance Music im Wesentlichen
147
148
http://www.mzee.com/newscenter/show.php?artikel=66026
Diederichsen: Sinn und Bedeutung von Clicks und Cuts.
60
für die Tanzfläche konzipiert ist und häufig ohne Text und Melodie auskommt.
Ein Grund für das moderatere Sounddesign im Hip Hop könnte somit sein, dass
von der Peergroup und den Produzenten selbst Rückbezüge innerhalb einer gewissen Soundästhetik erwartet werden.
Zusätzlich kommt schließlich in Form des Textes noch eine Bedeutungsebene
hinzu, die mit dem Sound kompatibel sein muss und dabei mindestens so wichtig
ist wie die Musik an sich. Hip Hop könnte schon aus diesen Gründen weniger
Freiraum für das Sounddesign lassen, vielleicht auch aufgrund der zusätzlich noch
zu transportierenden Botschaft hier andere Prioritäten setzen. Oft wird auch der
Sound zum Thema der Botschaft gemacht und muss natürlich somit seine musikalische Entsprechung finden. So wird besonders das Anpreisen der eigenen Beats
gerne thematisiert, und muss folglich in entsprechender Form umgesetzt werden.
Letztlich weist Hip Hop auch eine Tradition auf, die besonders zu Beginn eine
von Musikern eingespielte Musik zur Grundlage hatte. Die Genres der Electronica/Dance Music hingegen haben von Anfang an verstärkt mit Drummachines und
Synthesizern gearbeitet und somit ohnehin artifiziellere Klänge benutzt.
Das subtilere Sounddesign im Hip Hop bezieht sich also tendenziell mehr auf ein
Verständnis von Sound als stilistische Kategorie. Die einzelnen Klänge sind demgegenüber in der Regel weitaus weniger abstrakt, dabei klarer den ursprünglichen
Klangquellen zuzuordnen, als dies in der Electronica/Dance Music der Fall ist.
Besonders in der Gestaltung der ‚Beats’ lässt sich dies verständlich nachvollziehen.
Während in der Electronica/Dance Music, wie bereits oben dargestellt (vgl. 5.2),
im Prinzip jeder Sound als rhythmischer Bestandteil in Frage kommt, so sind es
im Hip Hop doch meist eindeutig von akustischen Klängen ausgehende Sounds,
oder sie sind zumindest als solche erkennbar, auch wenn sie dabei sehr verfremdet
werden und künstlich klingen. Wenn in Kapitel 5.1 Sound als unfassbar beschrieben wurde, dann meint es, speziell auf Hip Hop bezogen, den nicht nachzuahmenden Stil eines Produzenten, die einzigartige Kombination von meist bekannten Klängen, die erkennbar auf ihre ursprüngliche Soundquelle verweisen, und
deren kreative Anordnung.
Die Parallelen zu einem der Elektonica ähnlichen Sounddesign des Hip Hop, zumindest was die künstlerischen Arbeitsweise betrifft, sind besonders in einer zu-
61
nehmenden Kleinteiligkeit des Materials zu beobachten. Diese wird besonders im
Vergleich zu älteren Hip Hop-Stücken aus der Zeit der „Sampladelik“ erkennbar,
wie beispielsweise ‚Express Yourself’. Während N.W.A als instrumentale Grundlage quasi das Original komplett übernimmt und lediglich minimale Ergänzungen
hinzufügt, kombinieren diese neuen Vertreter viele einzelne Klänge. Wie bereits
unter 5.2 dargestellt, geht dabei der Bezug zum Original größtenteils verloren,
weil die Vielzahl an unterschiedlichen Originalsounds kein einheitliches Bild ergibt.
(Musikbeispiel 17: Timbaland & Magoo: Under Construction II, Blackground
Records 2003.)
An Timbalands ‚N 2 Da Music’ lassen sich die beschriebenen Charakteristika des
Sounddesings im Hip Hop besonders auch unter dem Aspekt der Zerkleinerung
des Materials darstellen. Zunächst weist Timbaland, im Gegensatz zu vielen anderen Stücken dieses Albums, nicht auf die Verwendung von Samples anderer Aufnahmen hin. Dass Sampling jedoch ein wesentlicher Bestandteil der Produktion
sein muss, ergibt sich aus den verwendeten Sounds: Neben einer eingespielten
Gitarre und den Beatboxelementen sind die übrigen überwiegend perkussiven
Bestandteile des Stückes von ihrer dynamischen Gleichförmigkeit her nicht eingespielt, sondern mischen vielmehr stark komprimierte, akustische Sounds mit eher
elektronischen Klängen, die von einem Drumcomputer stammen könnten. Dass
neben den Stimmen und der Gitarre die einzelnen Bestandteile gesampelt und mit
dem Sequenzer bearbeitet wurden, ergibt sich auch anhand der Überlagerung der
einzelnen Klänge, die mit einer ungeheuren Präzision ineinander greifen. Nur
durch einzelne kurze Samples ist diese Synthese aus Präzision und akustischen
wie auch elektronischen Klängen möglich.
Des Weiteren lässt sich an ‚N 2 Da Music’ beispielhaft nachvollziehen, wie trotz
der ungewöhnlichen Instrumentierung die Rückbezüge zur ‚Old School’ erhalten
bleiben. Wenn erst einmal durchgehende HiHat- und Basssounds fehlen, so werden diese zentralen Elemente des Hip Hop durch Beatboxing ersetzt, was auch als
fünftes Element des Hip Hop bezeichnet wird. 149 Timbaland benutzt gewissermaßen einen in der Hip Hop-Kultur aus einem anderen Kontext bekannten Sound,
149
Vgl. http://www.beatboxing.org/
62
setzt diesen jedoch auf ungewöhnliche Weise ein und entwickelt daraus einen
eigenen Sound im Sinne von Stil. Letztlich verankert auch die textliche Ebene
dieses Stück in der afroamerikanischen Hip Hop-Kultur, indem Textzeilen von
Ikonen der Black Music übernommen werden und in den Rap miteinfließen, wie
beispielsweise Marvin Gayes ‚Ain’t no Mountain high enough’ und James
Browns ‚Take it to the bridge’.
Timbalands ‚N 2 Da Music’ zeichnet sich im Wesentlichen durch eine neue Gestaltung bereits bekannter, relativ akustischer Sounds des Hip Hops aus. Die Verwirklichung seines Sounddesigns hängt eng mit den einzelnen, auf kleinste Teile
reduzierten Klangbausteinen zusammen. Dies könnte auch allgemein für den
Großteil seiner Produktionen gesagt werden. Denn in klanglicher Hinsicht scheint
sich Timbaland immer wieder neu zu erfinden und müsste daher in einzelne
Schaffensperioden eingeteilt werden.
Ähnliches scheint auch auf Pharrell Williams zuzutreffen, der mit Timbaland einer der wohl einflussreichsten Produzenten der letzten Jahre ist. Die Vielzahl seiner Produktionen für unterschiedlichste Künstler ist in klanglicher Hinsicht zu
verschiedenartig, als dass daraus ein allgemeiner Zusammenhang hergeleitet werden könnte. Sein Schaffen geht hinsichtlich des Sounddesigns „von synthetischen,
eher dem Electro/Techno-Kontext zuzuordnenden“ 150 Sounds bis zu überwiegend
auf akustischen Instrumenten basierenden Patterns. Sounddesign bedeutet hier,
ähnlich wie bei Timbaland, eine bewusste Auswahl von Sounds, die jedoch in der
Regel bereits bekannt sind, jedoch durch ihre ungewöhnliche Verbindung mit den
dadurch hervorgerufenen Bedeutungsebenen spielen, also wiederum eine Form
des Rückbezuges bewusst einsetzen. „Samples werden nicht wie [...] üblich als
Loop eingesetzt, sondern als musikalische Interpunktion auf ihre Essenz reduziert
und variiert.“ 151
150
151
Kim 2006, S. 22.
Ebd.
63
Zusammenfassend ist in diesem Kapitel Sounddesign als neueres Anwendungsgebiet des Samplings dargestellt worden. Es sind dabei zum Teil Aspekte der vorangegangenen Kapitel, wie Originalität und Umgang mit Technik, ins Blickfeld gerückt. Diese sind jedoch von einem völlig anderen Ausgangspunkt her thematisiert worden. Dieser Ausgangspunkt manifestiert sich in einem Sounddesign, das
sich gänzlich von dem erkennbaren Bezugnehmen auf das Medienarchiv zu befreien sucht, das Samples selber schaffen will durch das Zwischenspeichern und
das erneute Transformieren des Materials.
Die Musikbeispiele scheinen dabei sehr speziell, sie waren allerdings mehr zur
Veranschaulichung gedacht. Insgesamt ist der Soundaspekt sowohl in stilistischer
als auch in klanglicher Hinsicht von einer Unfassbarkeit geprägt, die in den meisten Fällen den spezifischen Einsatz von Sampling nur vermuten lässt, wenngleich
Sounddesign ohne Sampling kaum denkbar wäre. Denn, wie beispielsweise anhand von Matthew Herberts Manifest deutlich wurde, ist bereits Vorhandenes
verpönt, Sampling ist somit als Zwischenspeicher und für das Spielen mit dem
Material unersetzlich.
64
6. Resümee und Ausblick
6.1 Resümee
Sampling, als Digitalisierung von Musik verstanden, ist längst zu einem künstlerischen Verfahren geworden, das unterschiedlichste ästhetische Ansatzpunkte bietet. Schon die in der Forschungsliteratur zahlreich angestellten Vergleiche zu vorwiegend aus der Bildenden Kunst stammenden Verfahren, wie beispielsweise
Collage und Montage, lassen eindeutige Analogien zu Sampling erkennen. Hierbei ist es vor allem die Gestaltung mit bereits Vorhandenem, welche die unterschiedlichen Verfahren eint und derartige Vergleiche nahe legt. Wenn auch Sampling nicht aus diesen Verfahren hervorgegangen ist, so scheint sie das gemeinsame
Bestreben zu verbinden, „die durch technische Entwicklungen geschaffene Veränderung der menschlichen Realität ästhetisch zu reflektieren.“ 152 Dies wird in
auf Samples basierender Musik besonders an der Hinzunahme von Geräuschen
des Alltags und der Technik deutlich. Wenn in diesem Fall Vergleiche zu Collage
und Montage absolut zutreffend erscheinen, da meist gerade diese Geräuschkulissen noch auf zusätzliche Bedeutungsebenen anspielen, so fehlt dennoch eine einschränkende Bemerkung und genaue Abgrenzung. Denn sobald Sampling nicht
mehr zu erkennen ist, sei es durch eine perfekte Simulation von Instrumenten,
durch entsprechendes Verfremden oder durch das vollkommene Anpassen eines
Samples an den neuen Kontext, kann nicht mehr von Montage oder Collage gesprochen werden. Das heißt, es finden sich faktisch keine vergleichbaren künstlerischen Verfahren mehr. Leider wird diese Differenzierung nur selten vorgenommen. Deshalb war es wichtig, diese Unterschiede in dieser Arbeit darzulegen.
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man innerhalb musikalischer Traditionen
nach entsprechenden Vergleichsmöglichkeiten sucht. Dabei ergeben sich in erster
Linie Assoziationen mit einer am Hip Hop orientierten DJ-Culture, die ihre Techniken von den Plattenspielern nahezu unverändert auf die Sampler übertragen
kann und ihre Ideen nicht mehr nur auf den Live-Mix beschränkt sieht, sondern
nun auch festhalten und weiterbearbeiten kann.
152
De la Motte 1995, S. 55.
65
Weitere musikalische Anleihen scheinen im Dub zu liegen, wo Signale nicht nur
innerhalb des Mixes angepasst und geschichtet, sondern bewusst verfremdet werden. Die Besonderheit von Sampling besteht allerdings darin, dass es nicht nur
diese Anleihen aus Dub und DJ-Culture vereint, sondern sich anfangs parallel zu
diesen Strömungen entwickelt hat. Die ersten DJs konnten nur auf Sampling zurückgreifen, weil es bereits erschwingliche Workstations mit entsprechenden
Speicher- und Bearbeitungsmöglichkeiten gab. Genauso wie Sampling Verfahren
der Bildenden Kunst aufzugreifen scheint und Techniken der DJ-Culture erkennen
lässt, genauso finden sich charakteristische Eigenheiten, die Sampling als eigenes
künstlerisches Verfahren auszeichnen. Diese Eigenheiten sind wohl hauptsächlich
auf die Materialbeherrschung durch Digitalisierung zurückzuführen.
Die Einteilung in unterschiedliche Verwendungsweisen stellt dabei einen Versuch
dar, die vielfältigen Möglichkeiten und Anwendungsbereiche von Sampling zu
kategorisieren. Tatsächlich dürfte in den Musikstücken selbst wohl eher eine Mischung aus unterschiedlichen Anwendungen vorzufinden sein. Eine umfassende
Untersuchung von Sampling muss diese Unterschiede in der Verwendung der
Samplingtechnologie berücksichtigen, um der Vielfalt an auf Samples basierender
Musik gerecht zu werden.
Wenn Sampling als künstlerisches Verfahren dargestellt werden soll, dann müssen
auch kritische Stimmen berücksichtigt werden, zumal wenn diese von bekannten
Vertretern der Samplingkunst stammen, wie beispielsweise Matthew Herbert.
Diese Kritikpunkte entzünden sich meist an Themen wie Urheberrechte, die durch
‚Ideenklau’ verletzt werden, wie auch der zunehmende Einsatz von anderen Technologien in Verbindung mit Sampling, der ein ständiges Reproduzieren ermöglicht und droht, akustische Instrumenten zu ersetzen. Besonders auf der Ebene der
Autorenschaft ist die Kritik an fehlenden Eigenkompositionen und dem Nutzen
von Kompositionen anderer durchaus angebracht, denn ein Großteil der Remixe
besteht aus illegalen Produktionen und kann im Internet kostenlos heruntergeladen werden, ohne dass der Komponist dafür ihm zustehende Gebühren aus dieser
Verwertung erhält.
66
Doch der Umgang mit dem Original ist eigentlich vielschichtiger, denn von Diebstahl kann nur dann gesprochen werden, wenn das Diebesgut identifiziert werden
kann. Und dies ist im Sampling oft nicht mehr der Fall, da häufig nicht die kompositorische Idee an sich geklaut wird, sondern das Material und dessen klangliche Beschaffenheit vor einer musikalischen Aussage im Mittelpunkt steht. Hinzu
kommt, dass bei einem erkennbaren Übernehmen von musikalischen Ideen dies
von den Produzenten nicht verschleiert wird, sondern vielmehr als Würdigung zu
verstehen ist und auf das Original und damit verbundene Bedeutungsebenen verwiesen werden soll.
Bezüglich der zunehmenden Verwendung von Technologie offenbart sich ein
komplett anderer künstlerischer Fokus, der die unkonventionelle Gebrauchsweise
von Maschinen in den Mittelpunkt rückt und die individuellen Entscheidungen angesichts der Fülle der technischen Möglichkeiten schätzt. Dabei scheint sich musikalisch gesehen das instrumentale Spielen weg auf die Maschinen übertragen zu
haben. Sampling wurde in diesem Zusammenhang als Bindeglied dargestellt, weil
es das menschliche Gefühl einfangen und die dynamischen Nuancen des Instrumentalspiels abbilden kann.
Die experimentelle Verwendung von Sampling als Sounddesign entzieht daher
den Hauptkritikpunkten den Nährboden, weil ein erkennbarer Rückbezug auf das
Medienarchiv vermieden wird. Die Suche nach neuen Klängen und einem eigenen
Gesamtsound wurde deshalb als neue Errungenschaft des Samplings beschrieben.
Sounddesign ist dabei sowohl als klangliche wie auch stilistische Kategorie zu
verstehen, denn durch das Erschaffen eigener Klänge soll auch ein eigenes Gesamtbild entstehen, welches nicht zu duplizieren ist.
Besonders im Bereich der Electronica/Dance Music steht dieses Sounddesign im
Mittelpunkt, erreicht durch viele einzelne und kleine Soundpartikel und deren jeweilige mehrfache Bearbeitung mit den unterschiedlichsten technologischen
Komponenten. Wenn auch die Benutzung eines Samplers an einer bestimmten
Stelle der Klangbearbeitung meist nur vermutet werden kann, so spielt Sampling
bei der Speicherung und Transformation der Klänge eine wichtige Rolle. Diese
Entwicklung ist zum Teil auch im Hip Hop festzustellen, allerdings ist hierbei
weniger das Erschaffen komplett neuer Sounds von Bedeutung als vielmehr eine
neue Kombination und subtilere Verfremdung von Klängen.
67
6.1 Ausblick
Sampling hat sich längst auf andere Stilistiken ausgeweitet, und dies in seiner gesamten Bandbreite. Während Sampling von Anfang an benutzt wurde, um andere
Instrumente zu simulieren, so sind auch die künstlerisch interessanteren, von mir
beschriebenen Verwendungsweisen in unterschiedlichster Form anzutreffen und
haben sich besonders in den letzten Jahren auch im Bereich des Mainstream verbreitet.
Es finden sich dabei sowohl an der DJ-Culture wie auch am Sounddesign orientierte Ansätze des Samplings, meist wohl in Form einer Mischung aus beidem und
je nach Produzent und Intention anders gestaltet. In den letzten Jahren ist in der
Popmusik eine auffallende Tendenz zu Produzenten aus den Stilen Hip Hop und
Electronica/Dance Music zu beobachten. Neben den bereits genannten Produzenten Timbaland und Pharrell Williams, sind es häufig auch nur in der Szene bekannte Produzenten, die je nach Konzept beauftragt werden. So machte der ebenfalls erwähnte DJ Dangermouse erst durch das illegale ‚The Grey Album’ auf sich
aufmerksam und wurde kurze Zeit später von eben jener Plattenfirma unter Vertrag genommen, die ihn zwei Jahre zuvor noch verklagt hatte. Auch Madonna ist
für das Heranziehen eher unbekannter DJs als Ideengeber und Co-Produzenten
bekannt, wie beispielsweise den erst 30-jährigen Stuart Preis für ihr letztes Studioalbum. Diese Zusammenschlüsse zwischen Popstars und den eher in einer Nischenkultur angesiedelten Produzenten bringen auch neue künstlerische Impulse,
denn die ästhetischen Strategien müssen in einem kommerzielleren Kontext anders eingesetzt werden. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar und so
darf sicherlich auch in Zukunft noch mit interessanten Gemeinschaftsarbeiten gerechnet werden.
Letztlich hat sich die Samplingkultur auch auf die durch sie eigentlich zurückgedrängten Instrumentalisten ausgewirkt, indem Musiker versuchen, die aus spezifischen Produktionstechniken hervorgehenden musikalischen Merkmale auf ihren
Instrumenten umzusetzen. Auf Sampling bezogen könnte das beispielsweise bedeuten, dass unterschiedliche Teile mehr durch Schichtung als durch Entwicklung
abgrenzt werden, oder dass größere Dynamikunterschiede und auffallende Variationen innerhalb eines Stückes vermieden werden. Im Gegenzug wird dafür je-
68
doch dieselbe Intensität das ganze Stück hindurch beibehalten, um auf diese Weise einen geloopten Breakbeat zu simulieren.
Es gibt inzwischen immer mehr Musiker, die sich auf eine an ästhetischen Mitteln
des Samplings orientierte Spielweise und deren Umsetzung am Instrument spezialisiert haben. Ein treffendes Beispiel hierfür ist der Drummer und Produzent Ahmir Thompson, der inzwischen sowohl im Studio wie auch auf der Bühne mit
zahlreichen bekannten Künstlern, vor allem aus dem Bereich des Hip Hop, gearbeitet hat und sich als menschliche Schnittstelle zwischen einer digitalen und analogen Welt etabliert hat.
„Drummer/producer Ahmir Thompson is a living link between the digital science of modern hip-hop and the flesh-and-blood textures of vintage R&B.
Meanwhile, his collaborations with such artists as D'Angelo, Erykah Badu,
and Common have reasserted the importance of real-time playing in a style
dominated by sampling and programming.“ 153
Als seinen wichtigsten musikalischen Einfluss nennt Thompson dabei den bereits
unter 4.2 erwähnten Produzenten Jay Dee und dessen Umgang mit Sampling und
Programming. Auch auf der Produzentenseite besteht ein reges Interesse an der
Umsetzung von ästhetischen Strategien des Samplings auf akustischen Instrumenten. Der Berliner Produzent Max Herre hat für die Produktion des Albums ‚Born
& Raised’ von Joy Denalane den eigentlichen Arbeitsprozess umgekehrt, wie aus
einem Interview der Bonus-DVD hervorgeht. 154 Seine Vision für das Album war
es, die zum Großteil auf Samples basierenden Stücke erneut mit Instrumenten einzuspielen und diese Grundlage danach wieder mit programmierten Elementen zu
mischen.
Sowohl Thompson wie auch Herre bedienen sich dabei ästhetischer Strategien des
Samplings. Sie nutzen jedoch die Samplingtechnologie nur noch als Ideengeber
für das endgültige Werk und nicht mehr für die Endproduktion selbst. Der Samplingprozess wird gewissermaßen um eine weitere Stufe ergänzt, indem Gesampeltes nun als Grundlage für die Musiker dient.
153
154
http://www.drummerworld.com/drummers/Ahmir_Thompson.html
Vgl. Denalane, Joy: Born & Raised, Sony BMG Music 2006.
69
Die in diesem Ausblick angedeuteten zukünftigen Perspektiven zeigen, welche
immense Entwicklung Sampling durchgemacht hat. Aus einer Technologie, die
anfangs nur zur Simulation akustischer Instrumente entwickelt wurde, ist ein
künstlerisches Verfahren geworden, das stilübergreifend verwendet wird und inzwischen selbst als Inspirationsquelle für eine moderne Musikergeneration dient –
ein Ende dieser Entwicklung ist daher noch nicht abzusehen!
70
7. Quellenverzeichnis
Hinweise zur Technik der Quellenangaben:
Die Quellen der verwendeten Zitate und Verweise (vgl.) werden in Fußnoten auf
der jeweiligen Textseite mitgeteilt, indem Autor, Erscheinungsjahr und Seitenzahl
der entsprechenden Quelle angegeben werden. Im Quellenverzeichnis ist schließlich eine ausführliche Angabe zu finden. Artikel aus Sammelbänden sind unter
dem Namen des Autors zu finden, zusätzlich wird noch der Sammelband selbst
und dessen Herausgeber angeben. Quellenangaben aus dem Internet sind unter
dem entsprechenden Autor und der damaligen Internet-Adresse im Inhaltsverzeichnis zu finden. Insofern der Autor nicht zu ermitteln war, ist die Zugriffsadresse als Fußnote sowie die entsprechende Hauptseite im Quellenverzeichnis unter
7.2 Internetadressen angegeben. Der Fortbestand der Internetadressen kann dabei
nicht gewährleistet werden, wurde aber zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Arbeit geprüft.
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Hoffmann, Heiko: Von B nach A. Die Geschichte des Remixes. In: Groove #99
März/April. München: Piranha media GmbH 2006, S. 20-24.
Kedves, Jan: Ein Gespräch mit Matthew Herbert. In: Groove #94 Mai/Juni.
München: Piranha media GmbH 2005, S. 27/28.
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Kim, Uh-Young: Die Nummer eins. In: taz Kultur, 29.7.2006, S. 22.
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Pilz, Michael: Spielt immer was Neues. In: Die Welt, 07.09.1999.
Stüttgen, Tim: Den Rucksack im Benz. In: taz Kultur, 2.9.2005. Contrapress
media, S. 15.
Tittel, Cornelius: Die Seele in der Chipstüte. In: taz Kultur, 25.5.2001.
Contrapress media, S. 13.
76
7.3 Zusätzliche Internetadressen
•
<http://www.beatboxing.org/>, (24.8.06).
•
<http://www.drummerworld.com/drummers/Ahmir_Thompson.html>
(Vgl. Ahmir Thompson), (02.09.06).
•
<http://www.illegal-art.org/audio/grey.html> (Jay-Z + DJ Danger Mouse: The
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•
<http://www.matthewherbert.com/pccom.php> (Vgl. Matthew Herbert Manifest), (10.8.06).
•
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•
<http://www.newsflex.de/musik/interview173433.html> (Vgl. Joy Denalane),
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•
<http://www.tmw.at/default.asp?id=547> (Vgl. Vienna Symphonic Library),
(10.7.06).
•
<http://www.youtube.com/watch?v=z73CcodfT_w&NR> (Vgl. Pete Rock on
MPC), (15.7.06).
•
<http://youtube.com/watch?v=CyTlZ_ACoz8> (Vgl. Mash-up Professional
Widow/ Ain’t No other man), (13.8.06).
7.4 Discographie
•
Afrika Bambaataa & the Soulsonic Force: Planet Rock. Planet Rock – The
Album, Tommy Boy 1986.
•
Aguilera, Christina: Ain’t no other man. Back to the Basic, RCA Records
2006.
•
Amos, Tori: Professional Widow, Boys For Pele, Atlantic 1996.
•
Amos, Tori: Professional Widow, Jet Set Compilation, Funky Cactus Recordings 2006.
•
Aphex Twin: Flim. Come to Daddy, Warp Records 1997.
•
Armand van Helden: Professional Widow (Single), Armand’s Star Trunk
Funkin’ Mix, Atlantic 1996.
77
•
Boards of Canada: ’84 Pontiac Dream. The Campfire Headside, Warp
2005.
•
Denalane, Joy: Born & Raised, Sony BMG Music 2006.
•
Grandmaster Flash: The Adventures of Grandmaster Flash on the Wheels
Of Steel (Single), Sugar Hill Records 1981.
•
Hancock, Herbie: Hang up Your Hang Ups. Man-Child, Columbia 1975.
•
Herbert, Matthew: Plat du Jour, Accidental 2005.
•
Jackson, Janet: All Nite (Don’t Stop). Damita Jo, Virgin 2004.
•
Jaylib: Champion Sound, Stones Throw Records 2003.
•
Jay-Z + DJ Danger Mouse: 99 Problems. The Grey Album, unveröffentlicht 2004.
•
M/A/R/R/S: Pump up the Volume (single), 4AD 1987.
•
Money Order: Professional Widow (Alternate Mix). Trance Action Dance & Trance Hits, YOYO USA 2006.
•
N.W.A: Express Yourself, Straight Outta Compton, Ruthless 1989.
•
Photek: Modus Operandi, Virgin Records 1997.
•
Plantlife: The Return of the Jack Splash, Gut Records 2004.
•
Platinum Pied Pipers: Lights Out. Triple P, Ubiquity Recordings 2005.
•
The Moon People: Hippy, Skippy, Moon Strut (Single), 1969.
•
Timbaland & Magoo: N 2 Da Music. Under Construction II, Blackground
Records 2003.
•
Wright, Charles & the Watts 103rd Street Rhythm Band: Express Yourself. Express Yourself, Warner Bros 1969.
•
West, Kanye: Late Registration, Roc-A-Fella Records 2005.
•
WU-TANG CLAN: 36 Chambers, BMG Music 1993.
78
7.5 Anhang
7.5.1 Matthew Herbert Manifest
P.C.C.O.M. and P.C.C.O.M. Turbo Extreme
PERSONAL CONTRACT FOR THE COMPOSITION OF MUSIC
[INCORPORATING THE MANIFEST OF MISTAKES]
THIS IS A GUIDE FOR MY OWN WORK AND NOT INTENDED AS THE
CORRECT OR ONLY WAY TO WRITE MUSIC EITHER FOR MYSELF OR
OTHERS.
1. The use of sounds that exist already is not allowed. Subject to article 2. In particular:
No drum machines.
All keyboard sounds must be edited in some way: no factory presets or preprogrammed patches are allowed.
2. Only sounds that are generated at the start of the compositional process or taken
from the artist's own previously unused archive are available for sampling.
3. The sampling of other people's music is strictly forbidden.
4. No replication of traditional acoustic instruments is allowed where the financial
and physical possibility of using the real ones exists.
5. The inclusion, development, propagation, existence, replication, acknowledgement, rights, patterns and beauty of what are commonly known as accidents, is
encouraged. Furthermore, they have equal rights within the composition as deliberate, conscious, or premeditated compositional actions or decisions.
6. The mixing desk is not to be reset before the start of a new track in order to
apply a random eq and fx setting across the new sounds. Once the ordering and
recording of the music has begun, the desk may be used as normal.
7. All fx settings must be edited: no factory preset or pre-programmed patches are
allowed.
8. Samples themselves are not to be truncated from the rear. Revealing parts of the
recording are invariably stored there.
9. A notation of sounds used to be taken and made public.
10. A list of technical equipment used to be made public.
11. optional: Remixes should be completed using only the sounds provided by the
original artist including any packaging the media was provided in.
79
MATTHEW HERBERT 27-11-00/updated 05-06-03
P.C.C.O.M. Turbo Extreme
All rules of pccom apply, plus the following additions:
1. Once the subject of the track is established, only sounds directly related to that
topic may be used. For example: if the track is about coffee, only sounds made by
coffee farmers and their relatives; cups and spoons; milk; colombia etc, may be
included.
2. finished tracks written under the terms of pccom turbo extreme may not be licenced to anything that is contradictory to the intention of the music.
3. Remixes will not be done with sounds used in the original. New noises on the
same theme must be generated by the third party.
4. As much technical information shall be provided in order for others to reproduce the intention of the track, and to underscore the structural integrity of the
work.
5. The piece shall endeavour to be good. Mediocrity is not an acceptable conclusion.
80
7.5.2 Musikbeispiele (Titelliste und CD)
1. Photek: ‚Minotaur’
2. Boards of Canada: ‚’84 Pontiac Dream’
3. Platinum Pied Pipers: ‚Lights out’
4. Aguilera, Christina: ‚Ain't no other man’
5. N.W.A: ‚Express Yourself’
6. Wright, Charles & the Watts 103rd Street Rhythm Band: ‚Express Yourself’
7. M/A/R/R/S: ,Pump up the Volume’
8. Jackson, Janet: ,All Nite (Don’t Stop)’
9. Hancock, Herbie: ,Hang up Your Hang Ups’
10. Jay-Z + DJ Danger Mouse: ‚99 Problems’
11. Tori Amos: ‚Professional Widow’
12. Armand van Helden: ‚Professional Widow’
13. Jaylib: ‚Raw Shit’
14. Jaylib: ‚Raw Addict’
15. Photek: ‚KJZ’
16. Aphex Twin: ‚Flim’
17. Timbaland & Magoo: ‚N 2 Da Music’
Köln, 13.3.2007
Ich versichere, dass ich die schriftliche Hausarbeit – einschließlich beigefügter
Zeichnungen, Kartenskizzen und Darstellungen – selbständig verfasst und keine
anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Alle Stellen
der Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen Werken entnommen
sind, habe ich in jedem Fall unter Angabe der Quelle deutlich als Entlehnung
kenntlich gemacht.