West Canada Bike Tours

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West Canada Bike Tours
West Canada Bike Tours
Yukon Radtour im Oktober 2010
www.kanada-bike.com
sante Landschaft, dass zahlreiche Foto-Stopps mich immer
wieder aus dem angestrebten Radel-Rhythmus brachten.
Füchse, Wölfe, Schakale, Karibu-Hirsche, Elche wie auch
Schwarzbären und Grizzlies gehörten zu den großen Vierbeinern, denen ich jederzeit begegnen konnte.
„Um Himmel‘s Willen – im Yukon radeln willst du jetzt
noch?“ entgegnete die Bedienung mir erschüttert im einzigen
Restaurant des winzigen Ortes Dease Lake im menschenleeren Norden von British Columbia (kurz: BC), knapp 300
km entfernt von der Grenze zum Yukon Territorium.
„Im Frühjahr hat uns die sich hier heimisch fühlende GrizzlyMama mit ihren beiden Jungen im Hof besucht“, so Andri
vom Little Atlin Lodge zu mir. „Sollte dir ein Grizzly begegnen, mit den Zähnen klappern, schnauben und mit den Füßen scharren, dann wird es höchste Zeit, dass du dein Pfefferspray zückst und den Rückzug antrittst!“ gab er mir mit auf
die Weiterfahrt.
Begegnungen mit Schwarzbären war ich von meinen Radtouren auf dem Trans Canada Trail im Süden von BC gewohnt, die alle harmlos verlaufen sind. Doch wie reagiert
eine besorgte Grizzly-Mama, die sich mit ihren Jungen vor
ihrem Winterschlaf aufpäppeln möchte, ja muss, auf mcine
exotische Erscheinung als Radler – dazu mit Proviant in den
Packtaschen? Wie gehen sie und ich damit um, wenn ich zwischen sie geraten sollte? Hm.
Zugegeben, das Glück schien mir hold zu sein: Anfang Oktober hätte der Boden schon ohne weiteres von Schnee bedeckt
sein können, der Winter von kräftigen Minustemperaturen
eingeläutet worden sein. Zuversichtlich quartierte ich mich
nach meiner nahezu 3.000 km langen Anreise von den Kootenays im Süden von BC bei meinen Gastgebern unweit der
Hauptstadt Whitehorse ein.
Als nächstes machte ich mein zum Tourenrad umfunktioniertes Mountainbike startklar für meine mehrtägige Radtour
nach Atlin in BC und zurück. Unglaublich beeindruckend
die mich umgebende Kulisse: hohe Berge, deren obere Hälfte schneebedeckt war, säumten meine Radroute, oftmals mit
vorgelagerten Seen und sich herbstlich gefärbten Wäldern.
Hügeliges Gelände sorgte mit kräftigen Anstiegen dafür, dass
meine nur spärlich durchbluteten Hände und Füße nicht allzu sehr auskühlten, während die Abfahrten sie dann rasch
wieder klamm werden ließen. Doch so grandios die impo-
Mit etwas mulmigem Gefühl radelte ich dem erwachenden
Tag entgegen, ließ mich bald wieder von meiner Freude am
frühen Radeln in der Wildnis faszinieren. Eine gute Stunde
später hatte ich sie dann tatsächlich vor mir, höchstens 40 m
entfernt: gemächlich am Straßenrand grasend drehten alle
drei mir ihre Rücken zu, boten eigentlich ein friedliches Bild.
So zuckte meine Hand zuerst zur Kamera und noch während ich sie mit leiser Stimme ansprach und gleichzeitig erwog, mitsamt Fahrrad umzudrehen, nahmen sie Reißaus und
waren innerhalb von Sekunden im Wald verschwunden. Erleichtert machte ich mich von dannen.
Doch aus dem Schneider war ich noch nicht. Keine 15 km
weiter lief ein weiterer Grizzly unvermittelt vor mir auf der
Straße – auch er suchte gleich das Weite, nachdem er zweimal
angehalten und sich neugierig nach dem behelmten Zweibeiner auf Rädern umgeschaut hatte. Das reichte für den Tag an
Wildbegegnungen.
Yukon Radtour Oktober 2010
Atlin wird von dort seit vielen Jahren ansässigen Indianern
vom Stamm der Tlingit wie auch von Weißen bewohnt. Der
Sprache der Ureinwohner ist der heutige Ortsname entlehnt,
der
„Grosses
Wasser“ bedeutet und Bezug
nimmt auf Atlin
Lake, den grössten natürlichen
See in BC, mitten
in „der Schweiz
des Nordens“.
Zur Zeit des letzten Goldrausches
von BC vor rund
110 Jahren war
der auch heute noch selbst für nordkanadische Verhältnisse abgelegene
Ort primär auf Wasserrouten erreichbar gewesen. Tausende
Glücksritter hatten sich damals auf die unwegsame Reise von
Skagway, dem Ort nahe dem legendären Chilkoot Trail am
Pazifik in Alaska, durch die harsche Bergwelt im Nordwestzipfel von BC gemacht. Erst im Zuge des Baues des Alaska
Highway während des 2. Weltkrieges wurde eine rund 100
km lange Straße vom Yukon nach Atlin gebaut. Verkehrsmäßig ist die Welt dort nach wie vor zu Ende.
Nach Gold wird in der Umgebung von Atlin mit modernen
Methoden immer noch gesucht, doch Jobs bietet Atlin heutzutage nur wenige. So schrumpfte dessen Einwohnerzahl
von etwa 5.000 zu seiner Blütezeit auf mittlerweile etwa 300.
Dem derzeitigen Besucher präsentieren sich etliche verbarrikadierte Gebäude, die von ihren Bewohnern aufgegeben
wurden.
Ich quartierte mich bei Gernot ein, einem vor etlichen Jahren
aus Österreich eingewanderten Kunstdozent. Für viele Jahre
lebte er äußerst kontrastreich zum einen in der rund 3.000 km
entfernten Millionenstadt Toronto, zum andern
im einsamen Atlin, wohin es ihn
als begeisterten
Bergsteiger magisch zog.
Parallel zu seinem Lehrstuhl in
der Metropole betrieb der aussergewöhnlich umtriebige Künstler
und Naturfreund
eine Kunstschule
in seinem Wildnis-Domizil, die jahrelang Künstler aus aller
Welt anzog. So manche Wanderroute in den umliegenden
Bergen ist auf sein emsiges Betreiben zurück zu führen, etlichen Besuchergruppen hat er dort das Leben in der Wildnis
nahe gebracht. Wie der rüstige Hochleistungssportler (75-jährig) mir anvertraute, möchte er in seinem 90. Lebensjahr in
Kanada von Küste zu Küste radeln.
Bergwandern im Atlin Provincial Park wäre auch für mich
etwas gewesen, doch dazu war es zu spät und ich trat meine
Rückreise zu meinen Freunden im Yukon an.
Der heftige Südwind, welcher mir auf der Hinfahrt mitunter
übel zugesetzt hatte, ließ nun mein Radlerherz vor Freude
höher schlagen. Meine Pausen waren gleichwohl von kurzer
Dauer. Fast gierig umschlossen meine fröstelnden Hände die
wärmende mit Tee gefüllte Aluflasche. Als auf der andern
Straßenseite ein Lkw-Fahrer hielt, das Fenster runter kurbelte, ahnte ich es: „Eine Meile weiter habe ich eben einen
Grizzly am Straßenrand gesehen – da mußt du unbedingt
aufpassen!“ Nun, bei solch einer deutlichen Warnung war
eine Strategieanpassung angesagt.
So wanderte mein Pfefferspray flugs von der Tasche meines
Radler-Trikot noch griffbereiter in die Lenkertasche, ganz
oben auf die Kamera. Doch nach vier bis fünf Kilometern
war ich es leid, auf der holprigen Strasse stets darauf zu achten, dass der Pfefferspray-Behälter nicht raus hüpft und zerschellt, beförderte sie also zurück in meine Trikottasche. 150
m weiter, auf meiner steilen Abfahrt in die nächste Mulde,
stand er prompt auf seinen Hinterbeinen (kannten wir uns
nicht?) auf der andern Strassenseite. Er traute dem rasenden
Radler wohl genauso wenig über den Weg wie selbiger ihm:
noch beim vorbei radeln sah ich ihn aus zuckenden Augenwinkeln im Gebüsch verschwinden.
Dem Himmel sei Dank! Mehrmals ertappte ich mich in den
nächsten Minuten dabei, mich mit ver-stohlenen Blicken nach
hinten zu vergewissern, dass die Luft rein geblieben war –
schliesslich hört man so manche Geschichte von „meals on
wheels“.
Text und Fotos: Klaus Gattner, West Canada Bike Tours , Oktober 2010