Predigten von Pastor Patrick Klein

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Predigten von Pastor Patrick Klein
Predigten von
Pastor Patrick Klein
Sonntag Trinitatis
26. Mai 2013
4. Mose 6,22-27
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn und Bruder Jesus
Christus. Amen.
I
.
Liebe Schwestern und Brüder,
vieles von dem, was wir hier in der Kirche in unseren Gottesdiensten so tun, verstehen anderen
Menschen nicht.
Und ich vermute einmal, dass auch nicht alle Christen und nicht einmal alle Kirchgänger genau
verstehen, warum wir hier was machen, singen und sagen.
So ist es bei vielem…
Es gibt allerdings eine Stelle im Gottesdienst, es gibt einen Begriff, eine Handlung, mit der wissen vermutlich alle etwas anzufangen - innerhalb und außerhalb der Kirche und quer durch beinahe alle Religionen und Weltanschauungen:
Es ist der Segen.
Wohl kein anderes religiöses Wort hat sich dermaßen gut gehalten, wie „Segen“ bwz. „segnen“ selbst in der profanen Alltagssprache der Gegenwart.
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird es benutzt und von allen verstanden: „Da liegt kein Segen
drauf“, „Meinen Segen hast du“, man spricht von einem „gesegneten Alter“, oder „jemand segnet
das Zeitliche“, „sich regen bringt Segen“, das Kinderlied: „Heile, heile Segen…“, der vom Lotto
versprochene „Geldsegen“, die in den Medien gepriesene mit „Schönheit gesegnete“ Frau, usw..
Bücher mit Segensworten und -wünschen werden en masse verkauft; gerade die mit den irischen - oft etwas längeren - gehen gut.
Warum ist das so? Warum können Menschen mit Segen etwas anfangen, auch wenn sie theologisch und religiös ziemlich unbefangen sind?
Es liegt vermutlich einer wesentlich Grundstruktur des Segens: „Der Segen lebt von selbst, aus
eigener Kraft, er braucht dazu keine Theologen.“ (Claus Westermann)
Das ist vielleicht auch der Grund - und dabei nahezu verwunderlich - dass der Segen im Gottesdienst kaum Anlass zur Diskussion gibt.
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Wie gern wird über die Predigt debattiert, werden Lieder diskutiert oder Psalmen und Gebete.
Der Segen aber wird höchst selten hinterfragt; vor allen Dingen, wenn es der „klassische“ ist,
der so genannte aaronitische Segen.
Allenfalls um Formulierungsfragen wird dann und wann gestritten - aber dazu später mehr.
II.
Genau dieser aaronitische Segen ist der Predigttext für heute; ich lese aus dem 4. Buch Mose,
dem Buch Numeri (6,22-27):
22 Und der HERR redete mit Mose und sprach:
23 Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie
segnet:
24 Der HERR segne dich und behüte dich;
25 der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
26 der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
27 Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.
III.
Liebe Schwestern und Brüder,
„Der Segen lebt von selbst, aus eigener Kraft, er braucht dazu keine Theologen“, so habe ich gerade den Alttestamentler Claus Westermann zitiert.
Und doch soll ich als Theologe heute darüber reden. Sprechen über etwas, was sich letztlich
nicht erklären lässt; Gedanken äußern über etwas, was seine eigene Kraft entfaltet ohne große
Worte, Erklärungen, Fragen und Diskussionen.
Ich versuche es dennoch. Ich werde in die Geschichte des Segens blicken und in die systematisch-theologischen Aspekte.
Lasst uns beginnen…
Das deutsche Wort „segnen/Segen“ ist abgeleitet von dem lateinischen „signum“ (Zeichen) bzw.
„signare“ (bezeichnen).
Darin wird deutlich, dass zum Segnen auch immer eine Geste gehört.
So war es auch schon immer im Bereich kirchlicher Handlungen: Sei es das Handauflegen, die
vielleicht ursprünglichste Segensgeste - am Ende des Gottesdiensten symbolisiert durch die erhobenen Hände des Liturgen.
Auch in der Taufe wird es ganz deutlich, wenn ich mit den Fingern ein Kreuz auf die Stirn des
Täuflings zeichne und dazu spreche: „Nimm hin das Zeichen des Kreuzes, du gehörst zu Christus dem Gekreuzigten und Auferstandenen.“
Durch dieses Segenswort wird der Getaufte in den Bereich Gottes gestellt. Er wird „gut gesprochen“, wie man segnen auch übersetzen könnte.
So wie Gott bei seiner Schöpfung sagt: „und siehe, alles war sehr gut“. Wo Gott seinen Segen
gibt, da wird etwas heil, da wird etwas gut.
Am Ende der Sintfluterzählung ergeht Gottes Segen an die ganze Familie und dann wenig später wird zum ersten Mal ein einzelner Mensch ganz offiziell gesegnet: Abraham: „Ich will dich
segnen und du sollst ein Segen sein“.
-3-
Im neuen Testament erläutert Jesus die besondere Kraft des Segnens durch die so genannten
Wachstumsgleichnisse: Die Saat wächst, auch wenn sich niemand darum kümmert.
Der Segen breitet seine Kraft aus auch ohne unser Zutun.
Jesus spricht nicht nur über den Segen, er tritt auch selbst als der Segnende auf: Er heilt Kranke, teilt Brot und segnet Kinder: „Er herzte sie und legt die Hände auf sie und segnete sie.“
Der Segen, den wir am Ende des Gottesdienstes sprechen ist vermutlich seit der Sesshaftwerdung des Volkes Israels in Gebrauch - also seit etwa 1000 v. Chr. Eine große Tradition, in die
wir uns am Ende eines jeden Gottesdienstes stellen: Seit mehr als 3000 Jahren wird dieser Segen gespendet und empfangen.
In den Kirchen hat sich diese Segensformel allerdings erst relativ spät durchgesetzt: Für das 12.
Jahrhundert gibt es erste Belege, erst die reformatorischen Ordnungen stellten den Segen in der
jetzigen Form heraus.
Noch 1523 hatte auch Martin Luther nch mehrere Segensformeln zur Auswahl vorgeschlagen,
in der „Deutschen Messe“ von 1526 sah er dann nur noch den aaronitischen Segen vor.
Luther schreibt 1532 zu diesem Segen: „Gott der Herr erzeige sich dir freundlich und tröstliche,
sehe dich nicht sauer an noch zornig, erschrecke dein Herze nicht, sondern lache die fröhlich
und väterlich an, dass du fröhlich und getrost von ihm werdest und eine freudige, herzliche Zuversicht zu ihm habest.“
IV.
Liebe Schwestern und Brüder,
„Der Herr erhebe sein Angesicht…“; oder wie Luther schreibt: „der Herr erzeige sich dir freundlich und tröstliche, sehe dich nicht sauer an noch zornig“ - darin liegt ist vielleicht die entscheidende Aussage des Segens:
Wir genießen bei Gott Ansehen.
Und das wird uns zugesprochen. Ganz individuell. Daher heißt es - richtig übersetzt: „der Herr
segne dich…“
So spreche ich es auch immer am Ende des Gottesdienstes. Dies ist vielleicht einer der Punkte,
an denen dann doch über den Segen diskutiert wird - wohlgemerkt über die Formulierung,
nicht über den Segen an sich.
Gerade in dieser ursprünglichen Textform liegt für mich eine besondere Kraft. Ich denke, dass
sich diese Segensformel nicht ohne Grund durchgesetzt und die Jahrtausende überdauert hat.
Mit geht es so: Die Tradition dieser Worte, wohlklingend und gut gesetzt, die dreiteilige Gliederung dieses Textes strahlt für mich Wärme und Vertrautheit aus.
Und ich persönlich mag es nicht, wenn diese Vertrautheit und Geborgenheit an dieser wichtigen Stelle im Gottesdienst gestört wird.
Ich bin ganz ehrlich - vielleicht bin ich da ein bisschen kleinlich, aber es kann mir ganz schön
die Laune verderben, wenn am Ende des Gottesdienstes ein frei formulierter oder ein aus irischen Versatzstücken zusammengebastelter oder gar ein die Gedanken der Predigt (nach Begrüßung, Abkündigung und Fürbittengebet) zum vierten Mal zusammenfassender Segen gesprochen wird.
-4-
So hat vermutlich jeder und jede von uns seine Vorlieben. Meine Vorliebe gehört nun einmal
dem aaronitischen Segen - das darf jede und jeder natürlich gerne anders sehen.
Dabei geht es nicht ausschließlich um den Geschmack. Ein Beispiel: Oft sagt ein Segnender:
„Der Herr segne euch und behüte euch…“ Ich meine: das passt nicht, das ist nicht stimmig, das
wird dem Segen nicht gerecht (abgesehen davon, dass es so auch falsch übersetzt ist…)
In dieser pluralen Form geht der persönliche Zuspruch im Kollektiv der Gemeinde verloren. Gerade in einer Zeit und Welt, in der Aufmerksamkeit und persönliche, echte Zuwendung und Zuneigung zu den knappsten Gütern gehört, möchte ich diesen persönlichen Zuspruch nicht aufgeben.
Ich meine, wir dürfen dieser alten und vielleicht unmodernen Segensformel durchaus etwas zutrauen. Ich halte den Segen im Gottesdienst für die denkbar schlechteste Stelle, um über Modernisierung, Umformulierung, Anpassung an den Zeitgeist zu sprechen.
Das mag an vielen anderen Stellen unserer Liturgie möglich und auch geboten sein, aber zumindest für mich bitte nicht beim Segen.
Es kann an dieser Stelle des Gottesdienstes nicht darum gehen, die schlichte Geste mit weiteren Segensformeln zu ergänzen und mit „Wortgeklingel“ zu umgeben, wie Fulbert Steffensky es
nennt.
Er schreibt zu der Unsitte, alles erklären zu müssen, selbst den Segen: „Wir kennen das: [Da
sagt einer:] ‚Wenn ich dir jetzt die Hand auflege, dann bedeutet das, dass ich dir Glück wünsche für deinen Weg; dass du gut ankommen und zurückkommen sollst; dass du den Gefahren
entgehst…‘“ Und er schreibt weiter (als Empfehlung für den Segnenden): „Leg‘ die Hand auf
und halt’s Maul!“
Denn es ist doch so: Der, den Segen spricht, ist nicht der, der für den Segen verantwortlich ist.
Der Segnende ist Subjekt des Sprechaktes aber nicht Subjekt des gesprochenen Satzes.
Gerade beim Segen hat sich der Segnende zurückzuhalten und zurückzunehmen. Steffensky:
„Vielleicht ist das die Demut der Segnenden: Sie erschaffen die Welt nicht. Sie spenden etwas,
was sie nicht haben.“
Es geht beim Segen eben nicht um neue freundlich-warme Wohlfühl-Worte, sondern um die
Erinnerung an die Tradition und vor allen Dingen an den, der diesen Segen schenkt.
V.
Liebe Schwester und Brüder,
„Der Segen lebt von selbst, aus eigener Kraft, er braucht dazu keine Theologen“, die ihn erklären.
Wie wahr doch diese Aussage ist.
Das Besondere am Segen ist eben gerade, dass er einfach für sich stehen kann.
Der Segen als „kürzeste Predigt“ (wie Melanchthon ihn bezeichnete), gibt mir etwas mit auf
den Weg, das aus Gottes Hand kommt. Im Segen ereignet sich Gnade.
Zum Abschluss ein letztes Mal Fulbert Steffensky über den Segen:
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„Einmal nicht zweifeln müssen; einmal nicht fragen müssen, wo das Versprechen seinen Ort der
Erfüllung hat; wenigstens an dieser Stelle nicht bestehen müssen auf dem eigenen Zweifel, auf
der eigenen Halbheit; auf dem Leben, das durch sich selber nicht gerechtfertigt ist. […]
Jede [Segens-] Formel sagt mir: Du bist nicht allein, du fängst nicht an, du musst dich nicht
mit dir selbst begnügen, nicht mit der eigenen Sprache und nicht mit dem eigenen Wort. […]
Denn der Segen nennt Gott und wer Gott nennt [und zu ihm gehört], muss nicht selber Gott
sein. Der Mensch[, der von Gott durch den Segen gut gesprochen wird,] muss nicht immer
stark, gesund, unfehlbar, unanfechtbar und allmächtig sein, er kann auch schwach, berührbar
und gebrochen sein“
Amen.