Impulsreferat Martin Pollack

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Impulsreferat Martin Pollack
Martin Pollack
Anmerkungen zur Situation der Übersetzer
Wenn wir die Lage der deutschen Übersetzer polnischer Literatur betrachten,
dann können wir einigermaßen zufrieden sein – unter Nachsicht aller Taxen,
wie mein Lateinlehrer Eberhard zu sagen pflegte. Denn die Zeiten sind nicht
gut, aber sie könnten noch viel schlechter sein. Es gibt Literaturen, deren
Übersetzer einen um vieles schwierigeren Stand haben, das gilt auch und vor
allem für Übersetzer von Literaturen aus der östlichen Hälfte Europas. Wir
brauchen nur an die ukrainische, belarussische, litauische oder lettische Literatur zu denken. Sie alle führen, im Vergleich zur polnischen Literatur, im
deutschen Sprachraum ein Schattendasein, es genügt, einen Blick in die
Buchhandlungen oder in Verlagskataloge zu werfen. Autoren aus diesen
Ländern sind rar, aus diesen Literaturen wird wenig, beschämend wenig
übertragen, was sich naturgemäß auf die Situation der Übersetzer auswirkt.
Es ist ein fataler Teufelskreis. Die Übersetzer aus diesen Sprachen haben
noch viel härter zu kämpfen, müssen noch viel mehr Niederlagen einstecken
als wir, die sich für die polnische Literatur und polnische Autoren stark machen.
Es mag für die Übersetzer unter Ihnen befremdlich, beinahe skandalös klingen, wenn ein Berufskollege positive Worte zur Situation der Übersetzer im
Allgemeinen und der Übersetzer polnischer Literatur im Besonderen findet.
Darf er das? Ist das statthaft? Es gilt als ausgemacht, dass literarische Übersetzer arme Schweine sind, getretene und missachtete Kreaturen, deren Arbeit wenig geachtet und obendrein schlecht bezahlt wird. Und da ist natürlich
was dran, Übersetzen ist tatsächlich kein Honiglecken, und reich ist damit
noch keiner geworden, im Gegenteil, die meisten Übersetzer fristen ein Dasein am Rande der Armut, wenig beachtet und noch weniger belobigt. Und
trotzdem möchte ich hier einmal mit den (zugegeben nicht allzu üppigen)
sonnigen Seiten unseres Berufes beginnen.
Ich spreche hier, wohlgemerkt, über die Übersetzungen und die Übersetzer
polnischer Literatur. Diese nimmt im deutschen Sprachraum einen festen, sicheren Platz ein. Sie genießt bei der Kritik und den Lesern gleichermaßen
hohes Ansehen. Und das keineswegs erst seit ein paar Jahren. Autoren wie
Stanisław Lem, der heute schon wieder weitgehend vergessene Stanisław
Jerzy Lec, Witold Gombrowicz, der viel zu spät entdeckte Bruno Schulz. Aber
auch jüngere Autoren wie Marek Hłasko, Andrzej Szczypiorski, Ryszard Kapuściński, Hanna Krall, um nur ein paar zufällig herausgegriffene Namen zu
nennen, die Liste ließen sich mühelos verlängern, haben die polnische Literatur schon vor Jahren in unseren Ländern bekannt gemacht. Und auch unter
den jüngeren Autoren finden sich zahlreiche klingende Namen, ich will hier
nur Adam Zagajewski, Anrzej Stasiuk, Paweł Huelle, Olga Tokarczuk, oder
von den ganz jungen Dorota Masłowska nennen, wobei diese Aufzählung so
unvollständig wie ungerecht ist. Nicht vergessen dürfen wir die beiden Nobel-
preisträger, die die polnische Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg vorweisen konnte: Czesław Miłosz und Wisława Szymborska. Große Namen wirken
bekanntlich wie Zugpferde auch für andere, weniger bekannte Autoren, denen sie den Weg ebnen, für die sie Türen aufstoßen, weil sie Interesse für die
polnische Literatur insgesamt wecken. In dieser Hinsicht hat die polnische Literatur in den letzten Jahrzehnten wahrlich geglänzt – und sie glänzt weiter.
Es gibt jedes Jahr neue Namen und Titel zu entdecken, aufregende Neuerscheinungen, die im deutschen Sprachraum mit Interesse registriert werden.
Mit einem Wort: der polnischen Literatur geht es im deutschen Sprachraum
gut, und davon profitieren natürlich auch ihre Übersetzer.
Aber auch die Situation der Übersetzer selber hat sich in den letzten Jahren
zum besseren verändert. Es gibt zahlreiche Stipendien und Preise ausschließlich für Übersetzer – wir sind hier zur Verleihung eines renommierten
Übersetzerpreises zusammengekommen, der nun schon seit zehn Jahren an
polnische Übersetzer deutschsprachiger Literatur und deutsche Übersetzer
polnischer Literatur verliehen wird, wofür wir den Geldgebern und Organisatoren hier und jetzt danken wollen. Macht weiter so. Es gibt Refugien, Übersetzerhäuser, wo Berufskollegen unbeschwert von den Alltagssorgen arbeiten können. Ich denke zum Beispiel an die Villa Decius hier in Krakau, ein
wunderbarer Ort der Inspiration und Ruhe. Und beginnende Übersetzer können zahlreiche Fortbildungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen, Seminare
und Übersetzerwerkstätten, in denen man manche Tricks und Feinheiten des
Handwerks lernen und den Rat älterer Kollegen einholen kann.
Alle diese Maßnahmen, die Förderungen und Schulungen, die verbesserten
Bedingungen, die Übersetzer vorfinden, sind nicht ohne Folgen geblieben: es
herrscht im deutschen Sprachraum kein Mangel an Übersetzern polnischer
Literatur, es gibt zahlreiche engagierte und kundige Vermittler, die Verlage
bei der Suche nach neuen Autoren und Titeln beraten können. Auch in dieser
Hinsicht hat sich die Situation nach meiner Einschätzung verbessert. Allerdings muss an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass die Gemeinde der
deutschen Übersetzer in jüngster Zeit herbe Verluste erlitten hat, die nicht so
leicht, wenn überhaupt, wettzumachen sein werden. Bereits im Vorjahr ist der
Übersetzer Friedrich Griese gestorben, der sich ungemein engagiert für die
Belange seiner Berufskollegen einsetzte, und trotzdem noch die Zeit fand, ein
geradezu übermenschliches Übersetzerpensum zu bewältigen – er übertrug
gleich aus vier Sprachen in Deutsche, neben dem Polnischen auch aus dem
Italienischen, Englischen und Französischen. Für Polen besonders schmerzhaft war der plötzliche Tod von Albrecht Lempp, der sich seit Jahren unermüdlich, buchstäblich bis zur Erschöpfung, für den kulturellen Austausch zwischen Polen und Deutschland, im Besonderen für die Verbreitung der polnischen Literatur im deutschen Sprachraum einsetzte. Als Kulturvermittler und
Kulturmanager, aber auch als Übersetzer. Anfang Mai verstarb schließlich,
auch sie viel zu früh, die in Wien lebende Übersetzerin Doreen Daume, noch
keine 56 Jahre alt. Doreen hat sich vor allem durch ihre fulminante Neuüber-
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setzung von Bruno Schulz einen Namen gemacht. Wir wollen bei diesem Zusammentreffen in Krakau unserer Freunde und Kollegen gedenken, deren
Tod eine schmerzliche Lücke gerissen hat.
Doch noch einen positiven Punkt will ich erwähnen. Auch die Situation in den
Verlagen, jedenfalls in vielen, die sich für die polnische Literatur interessieren, hat sich eindeutig verbessert. Übersetzer finden zunehmend bei Lektoren ein offenes Ohr, es gibt in vielen Fällen eine für beide Seiten fruchtbare
Zusammenarbeit, die Übersetzer haben innerhalb der Verlage, aber auch in
den Medien eine Aufwertung erfahren. Das ist, wie immer in solchen Fällen,
in erster Linie das Verdienst einzelner Personen, Verleger und Lektoren, aber
auch Journalisten, die sich durch besonderes Engagement, durch Sensibilität
und Verständnis für unsere Probleme auszeichnen. Ich möchte hier keine
Namen nennen, aber Sie alle wissen, an wen ich bei solchen Lobeshymnen
vor allem denke.
Also alles in Ordnung? Kein Grund zur Klage? Können wir uns entspannt zurücklehnen und ausschließlich auf das Übersetzen wunderbarer literarischer
Werke konzentrieren und dann die Früchte dieser schönen Arbeit mit vollen
Zügen genießen? Natürlich nicht. Die Situation der Übersetzer und Übersetzungen hat sich in den letzten Jahren verbessert, das steht außer Frage,
aber sie ist nach wie vor alles andere als rosig. Es wird immer noch viel zu
wenig übersetzt, und die übersetzten Titel verkaufen sich, mit wenigen Ausnahmen, nicht sonderlich gut, das heißt, sie werden zu wenig gelesen, sie
finden zu wenig Aufmerksamkeit, bei den Lesern, aber auch bei den Medien.
Dazu kommt, dass die Übersetzer zwar besser als vor zwanzig, dreißig Jahren behandelt werden, aber immer noch alles andere als zufrieden stellend.
Von einer wirklich leistungsbezogenen Bezahlung sind wir nach wie vor meilenweit entfernt. Es bleibt dabei: Übersetzen ist ein undankbares, vor allem
unbedanktes Geschäft.
Und trotzdem betreiben wir es mit einer Begeisterung und einem Engagement, einem zeitlichen und nicht selten sogar körperlichen Aufwand, die an
Selbstausbeutung grenzen. Manchmal stellen wir uns dann die Frage, warum
tun wir uns das eigentlich an? Die Antwort ist einfach. Weil es wunderbar ist,
beglückend, aufregend, interessant und erfüllend, Literatur, gute Literatur zu
übersetzen, neue Autoren und Bücher im deutschen Sprachraum bekannt zu
machen. Natürlich sind sich alle, die diesem Beruf nachgehen, bewusst, dass
wir ständig zum Scheitern verurteilt sind. Denn es wird nie möglich sein, einen anspruchsvollen literarischen Text wirklich eins zu eins, ohne Abstriche
und Kompromisse, ohne Abkürzungen und Umwege, ohne Ungenauigkeiten
und Fehler von einer Sprache in die andere zu transportieren. In unserem
Fall vom Polnischen ins Deutsche. Eine Übersetzung muss immer unvollkommen bleiben, weil es undenkbar ist, alle Anspielungen und Bedeutungen,
alle Zwischentöne und Bilder, die ein Text enthält, in die andere Sprache mitzunehmen, ohne dabei etwas zu verlieren oder umzudeuten, anders klingen
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zu lassen, in eine andere Form zu bringen, weil nun einmal die Sprachen, die
kulturellen und historischen Bezüge unterschiedlich sind. Jede Übersetzung
ist daher notwendigerweise ein Eingeständnis der Unvollkommenheit, ein
Kompromiss, um den wir aber unablässig, unter Aufbietung aller uns zur Verfügung stehenden Kräfte und Talente ringen müssen.
Das ist die eine Seite unseres Berufes, der wir alles andere unterordnen
müssen. Die Arbeit am Text ist am wichtigsten: unsere oberste Aufgabe besteht darin, einen literarischen Text zu schaffen, der eigenständig funktioniert,
natürlich immer in Anlehnung an das Original, das wir nie aus den Augen verlieren dürfen. Darin besteht ja die schier unüberwindliche Schwierigkeit unserer Aufgabe: einerseits sind wir angehalten zur Demut gegenüber dem Autor
und seinem Werk, zu möglichst strenger Treue gegenüber dem Text des Originals, aber gleichzeitig soll die Übersetzung sprachliche Originalität aufweisen und nicht sofort als Übersetzung erkennbar sein. Eine Gratwanderung,
bei der man nur zu leicht abstürzen kann, wie jeder schon einmal erfahren
hat, der Literatur übersetzt.
Aber die Aufgabe des Übersetzers beschränkt sich nicht darauf, einen Text
von einer Sprache in eine andere zu übertragen. Der literarische Text hat
Vorrang, daran ist nicht zu rütteln. Aber daneben muss der literarische Übersetzer, wenn er seinen Beruf ernst nimmt, noch viel mehr leisten. Auf diese
zusätzlichen Aufgaben, die der Übersetzer heute zu übernehmen hat, wies
Ryszard Kapuściński hier in Krakau anlässlich des I. Weltkongresses der
Übersetzer polnischer Literatur hin, als er davon sprach, dass der Übersetzer
auch so etwas wie ein Literaturagent oder gar Botschafter eines Autors sein
muss, oft sogar der enthusiastische Förderer seines Schaffens, jemand, der
die Werke eines bestimmten Autors Verlegern vorschlägt und empfiehlt, der
die Medien darauf aufmerksam macht, der selber nach Möglichkeit Rezensionen und Gutachten schreibt. Der Übersetzer muss sich also neben seiner
eigentlichen Tätigkeit auch um die Öffentlichkeitsarbeit und Werbung kümmern, er muss die Trommel für „seinen“ Autor rühren, muss dessen Loblied
singen, möglichst laut und vernehmlich und dabei überzeugend. Seine Arbeit
beginnt natürlich schon bei der Suche nach übersetzenswerten Autoren und
Titeln, und dann eines Verlages, der bereit ist, das Risiko einzugehen – denn
jedes Buch ist mit einem Risiko behaftet, ein übersetztes Buch naturgemäß
noch mehr, allein schon, weil die Kosten höher sind.
Das alles sind Aufgaben, die wir als Übersetzer wie selbstverständlich zu
übernehmen haben. Ohne zu murren und zu klagen, das gehört nun einmal
zu unserem Geschäft, wie man so sagt, auch wenn das in vielen Fällen unbedankt und selbstverständlich immer unbelohnt bleibt. Damit ein Übersetzer
überhaupt ins Geschäft kommen kann, muss er sich in der Regel als literarischer Scout betätigen, als Spürhund, der neue (und natürlich auch alte, aus
irgendeinem Grund übersehene oder in Vergessenheit geratene) Titel ausfindig macht. Und dann gilt es, Überzeugungsarbeit zu leisten, Fakten und Ar-
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gumente zusammenzutragen, zu beraten, zu bekehren, zu belehren und
nicht zuletzt zu überreden. Das ist mit einigem Risiko verbunden, denn wir
setzen dabei unseren Ruf und guten Namen aufs Spiel. Wenn ein Verlag auf
unseren Rat hin einen Titel einkauft und übersetzen lässt, und der liegt dann
wie Blei in den Regalen der Buchhandlungen, dann schlägt das naturgemäß
auf uns zurück. Ein paar solche Flops, und unser Ruf als literarischer Spürhund und Berater ist nachhaltig beschädigt. Vor allem wenn sich der Verdacht aufdrängt, dass wir einen Titel vor allem deshalb angepriesen haben,
weil wir ihn selber übersetzen wollten.
Den Übersetzer als literarischen Scout hat es schon immer gegeben, vor allem bei den sogenannten „kleinen“ Sprachen, wobei diese Bezeichnung sich
nicht auf die Zahl der der Menschen bezieht, die diese Sprache sprechen,
sondern auf ihren Bekanntheitsgrad. Als „klein“ kann man in diesem Sinn
auch Sprachen bezeichnen, die von vielen Millionen gesprochen werden, wie
etwa Polnisch, Ukrainisch oder Türkisch usw. In solchen Fällen waren die
Verlage stets auf die Berater- und Vermittlerrolle der Übersetzer angewiesen,
allein wegen der mangelnden Sprachkenntnisse.
Aber die Rolle als Agent eines Autors, als Medien- und Public-RelationsBerater, in die der Übersetzer heute oft schlüpfen muss, ist neu. Die Erfahrung lehrt uns, dass es nicht immer klug ist, sich auf die Öffentlichkeitsarbeit
von Verlagen zu verlassen, vielmehr gilt es, auf eigene Faust Kontakte zu
den Medien zu knüpfen und sich Strategien auszudenken, wie es gelingen
könnte, einen Autor und seine Themen den deutschen Lesern näher zu bringen. Das geht sogar so weit, dass wir uns auch Gedanken über die graphische Gestaltung eines Buches machen. Zum Beispiel über das Cover. Meines Erachtens spricht nichts dagegen, dass ein Übersetzer bei der Gestaltung des Covers mitredet und eigene Vorschläge einbringt.
Natürlich muss ich mir die Frage gefallen lassen, warum ein literarischer
Übersetzer sich das alles antun soll? Warum soll er für so etwas kostbare
Zeit aufwenden? Denn alles das, was ich hier skizziert habe, ist zeitaufwendig. Warum soll er sich mit Verlegern, Autoren und Journalisten herumschlagen und seine Nerven strapazieren? Denn alle diese Tätigkeiten sind aufreibend und kosten Nerven. Und vor allem: Warum soll er seine Ruhe aufs Spiel
setzen, die ruhige Arbeit, den Luxus, allein zu arbeiten, abseits von der allgemeinen Betriebsamkeit und Hektik, von Lärm und Getöse? Warum soll der
Übersetzer das aufgeben? Darauf weiß ich keine überzeugende Antwort.
Wenn man nüchtern und rational denkt und alle Für und Wider abwägt, sollte
man besser die Finger davon lassen und in der stillen Kammer hocken bleiben, umgeben von Wörterbüchern und anderen stummen Freunden. In der
Gesellschaft guter Autoren. Trotzdem würde ich jedem Übersetzer dazu raten, sich in dieses Wagnis zu stürzen. Wer sich dazu entschließt, muss damit
rechnen, dass er viel schlucken und einstecken muss, aber es kann auch
sehr befriedigend sein. Und sehr beglückend. Das ist das Schöne an unse-
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rem Beruf. Dass wir nie wissen, was uns erwartet. Glück oder Enttäuschung.
Sieg oder Niederlage. Aber auch Enttäuschungen und Niederlagen können
ihre schönen Seiten haben.
Impulsreferat beim Übersetzer-Symposium zum Karl-Dedecius-Preis 2013.
Goethe-Institut Krakau, 24. Mai 2013
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