Vergabe im Rettungsdienst - Gesundheitspolitik
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Vergabe im Rettungsdienst - Gesundheitspolitik
Handlungshilfe für betriebliche Interessenvertretungen Vergabe im Rettungsdienst Ein Leitfaden zur Ausschreibung rettungsdienstlicher Leistungen unter den Bedingungen des europäischen und nationalen Wettbewerbs- und Vergaberechts Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Einleitung Spätestens seit den Auseinandersetzungen um die Dienstleistungsrichtlinie ist deutlich geworden: Auch die Gesundheits- und sozialen Dienste stehen auf der Tagesordnung der Europäischen Union (EU), wenn es um die Förderung des europaweiten Binnenmarktes und den Wettbewerb von Gütern und Dienstleistungen geht. Spätestens dann, wenn Rahmenrichtlinien, Verordnungen oder Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in die nationale Gesetzgebung einfließen, den Status von Einrichtungen, die Finanzierungsgrundlagen oder eingespielte Vorgehensweisen in der Erbringung von Dienstleistungen verändern, ist der »Tanker« Europa auch vor Ort angekommen. Städte, Gemeinden und andere Träger der Gesundheits- und sozialen Dienste sind verun sichert, wie sie mit den neuen Anforderungen umgehen sollen. Rechtsunsicherheit führt dazu, dass Spielräume zur Gestaltung von Arbeits- und Entlohnungsbedingungen oder zur Sicherung von Qualitätsstandards nur unzureichend genutzt werden. Das gilt auch für das Vergaberecht allgemein und für die Vergabe des Rettungsdienstes – wie in unserem Fall – im Besonderen. Angesichts vieler Anfragen zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen, wie denn die Standards für Arbeitsbedingungen, Entlohnung, Beschäftigung oder Betriebsübergang in einem Vergabeverfahren zu sichern sind, legt der Fachbereich 3 hiermit einen Leitfaden zur Vergabe im Rettungsdienst vor. Ziel dieses Leitfadens ist eine möglichst praxisorientierte Unterstützung von gewerkschaftlichen Interessenvertretungen, um Forderungen nach gerechten Löhnen oder Tariftreue, nach Einhaltung von sozialen und Qualitätsstandards bei den Arbeitsbedingungen und in der Patientenversorgung gerecht zu werden. Dazu wurde einerseits die relevante Rechtsprechung auf europäischer und nationaler Ebene zur Vergabe im Rettungsdienst nachvollzogen. Ziel war es, die Gesichtspunkte herauszufiltern, die »rechtssicher« für eine Vergabe im Rettungsdienst genutzt werden können. Andererseits ging es darum, die »vergabefremden Kriterien« herauszuarbeiten, die als Mindestbedingungen aus einer arbeitsorientierten Perspektive in einem Vergabeverfahren zum Rettungsdienst zu berücksichtigen sind. Zum Schluss liefert dieser Leitfaden eine Checkliste, die in den einzelnen Stufen des Vergabeverfahrens beschreibt, wie soziale Kriterien in die Auftragsvergabe integriert werden können. Bei der Erarbeitung dieses Leitfadens haben wir den Sachverstand einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen in ver.di genutzt. Wir möchten uns stellvertretend für viele andere bei Angela Schultjan und Otto Ernst Kempen bedanken. Ellen Paschke Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes Inhalt 1| Der Rettungsdienst in Deutschland 5 2| Grundsätzliches zum Vergaberecht 6 3| Stand des Verfahrens: Vergabe von Rettungsdiensten 7 1. Das Wettbewerbsrecht und die Vergabe in Europa 7 2. Das nationale Wettbewerbs- und Vergaberecht 10 3. Die Vergabe des Rettungsdienstes auf der Ebene 13 der Bundesländer 4|Einschätzung und Vorschläge zur Umsetzung von Gestaltungsfragen 1. Tarifbindung 2. Betriebsübergang 3. Arbeitszeiten 4. Qualitätssicherung 16 16 17 18 19 5| Offene Fragen 21 6| Checkliste zur Vergabepraxis und Bewertungsraster 22 7| Literatur 26 1 Der Rettungsdienst in Deutschland Der Rettungsdienst hat die Aufgabe, rund um die Uhr rasch und sachgerecht zu helfen und Leben zu retten. Dabei wird unterschieden zwischen dem bodengebundenen Rettungsdienst mit den Aufgabenbereichen Notfallrettung und qualifiziertem Krankentransport, der Luftrettung, dem Bergrettungsdienst und dem Wasserrettungsdienst. 2006 waren rund 47.000 Beschäftigte – zum größten Teil Rettungsassistenten – in diesem Wirtschaftsbereich tätig. Im Bundesgebiet werden rund 4.000 Rettungswachen von unterschied lichen Trägern betrieben. Der Rettungsdienst wird durch Landesgesetze geregelt. Mit den Landesrettungsdienstgesetzen (LRettG) übertragen die Länder die Aufgabe des Rettungsdienstes auf Landkreise oder kreisfreie Städte. Geregelt sind per Gesetz der Geltungsbereich, die Aufgaben und Trägerschaften des Rettungsdienstes, der Aufbau, die Durchführung und die Kostenübernahme sowie Sonderregelungen der Luft-, Wasser-, Bergrettung oder des Datenschutzes. Landkreise und Kommunen können entscheiden, ob sie selbst Personal und Ausstattung für den Rettungsdienst bereitstellen, in der Regel durch die Feuerwehr oder diese Dienstleistungen an Hilfsorganisationen bzw. an private Unternehmen übertragen. Zu den Hilfsorganisation zählen in Deutschland vor allem Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe, der Arbeiter-Samariter-Bund, und der Malteser Hilfsdienst. Die Finanzierung und Organisation des Rettungsdienstes regeln die Bundesländer nach zwei unterschiedlichen Modellen: dem Submissions- und dem Konzessionsmodell. Bei dem Submissionsmodell handelt es sich um eine öffentliche Beauftragung. Die Hilfsorganisationen erhalten eine Vergütung durch den Träger des Rettungsdienstes. In dieser Form arbeiten die meisten Bundesländer. Bei dem Konzessionsmodell rechnen die Hilfsorganisationen direkt mit den Patienten bzw. mit ihren Vertretern, den Krankenkassen, ab. Hier wird dem Rettungsdienstanbieter das Recht zur wirtschaftlichen Nutzung der Dienstleistung eingeräumt. Dieses Modell findet sich in Bayern, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Thüringen, Hessen sowie in den Freien Hansestädten. Gerade die- se unterschiedliche Organisation und Finanzierung des Rettungsdienstes hat aktuell zu großer Verwirrung in der Rechtsauffassung und daher auch in der Auftragserteilung durch Städte und Gemeinden beigetragen. Denn im Konzessionsmodell wird ein direkter Fluss von Beitragsleistungen der Sozialversicherungen unterstellt, der nicht unter eine öffentliche Auftragsvergabe fällt. Beim Submissionsmodell vergütet der Träger dagegen einen Auftrag. Dies stellt eine öffentliche Auftragsvergabe an einen Dritten dar. Gefordert wird deshalb die Einhaltung der europäischen und nationalen Rechtsvorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge. Dies ist, bezogen auf den Rettungsdienst, eine relativ neue Interpretation, denn der Rettungsdienst wurde lange als hoheitliche Aufgabe betrachtet, die nicht unter die Wettbewerbsbedingungen des Binnenmarktes zu stellen ist. Die neue Rechtsauffassung stellt die öffentliche Hand und die Hilfsorganisationen mit ihren gewachsenen Arbeitsstrukturen vor neue Herausforderungen in der vertraglichen Ausgestaltung ihrer Zusammenarbeit. So gewinnen die Klärung dessen, was Vergabe heißt, und vor allem Gestaltungsfragen an Bedeutung. Vor dem Hintergrund des europäischen und nationalen Vergaberechts sind folgende Fragen zu klären: • Sind Rettungsdienste Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und damit Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechtes? • Unter welchen Bedingungen fiele der Rettungsdienst nicht unter das europäische Wettbewerbsrecht? • Wann ist eine beschränkte Ausschreibung des Rettungsdienstes möglich? • Können »vergabefremde Kriterien« in eine Ausschreibung Eingang finden? • Welche Gestaltungsmöglichkeiten sind aus einer arbeitsorientierten Perspektive für den Rettungsdienst unbedingt umzusetzen? 5 2 Grundsätzliches zum Vergaberecht Die Mitgliedstaaten der EU haben sich im EG-Vertrag (EGV) auf die Durchsetzung der Grundfreiheiten und insbesondere auf die Durchsetzung eines europaweiten Binnenmarktes und Wettbewerbs von Gütern und Dienstleistungen geeinigt. Der ordnungspolitische Grundgedanke (Artikel 101 Lissabon-Vertrag – alt 81 ff. EGV) liegt darin, im Binnenmarkt Europa einen leistungsbezogenen Wettbewerb, optimale Faktorenwirkungen von Wirtschaft und Arbeit und damit eine gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt herzustellen. Nach dem EU-Wettbewerbsrecht unterliegen Unternehmen dem Kartellverbot, dem Missbrauchsverbot (Nutzung der Beherrschungsstellung zum Schaden der Verbraucher) sowie der Fusionskontrolle. Nach Artikel 106 Lissabon-Vertrag – alt 86, Abs. 2 EGV – wird die Anwendung des Wettbewerbsrechtes für Unternehmen unter Vorbehalt gestellt, die mit »Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichem) Interesse« beauftragt oder betraut sind. Die öffentliche Hand hat als Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen einen erheblichen Einfluss auf das Wirtschaftsleben. Das öffentliche Auftragswesen und entsprechende Vergaben werden von den Mitgliedstaaten als Instrument einer aktiven Wirtschaftspolitik und zum Schutz der heimischen Wirtschaft genutzt. Damit ist das Vergaberecht eine der rechtlichen Grundlagen für die Durchsetzung der wirtschaftlichen Grundfreiheiten und der Sicherung eines funktionierenden Wettbewerbs im Binnenmarkt in den Nationalstaaten. Das Vergaberecht ist nicht gesondert im Lissabon Vertrag berücksichtigt. Es basiert in Europa auf Richtlinien und besonderen Ermächtigungen zur Schaffung des Binnenmarktes (Richtlinie zur Auftragsvergabe im Bereich Wasser, Energie, Verkehr und Post; Richtlinie zur Auftragsvergabe bei öffentlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen und Ähnliches mehr), die in nationales Recht umgesetzt wurden. Die Vergaberichtlinien der EU zielen darauf ab, die flächendeckende Einführung einheitlicher Vergabestandards für die gesamte EU durchzusetzen, und der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass das Vergaberecht auch auf die Vergabe öffentlicher Aufträge anzuwenden ist. 6 In Deutschland hat dies seinen Niederschlag gefunden im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Dieses ist mit dem »Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts« vom 21.April 2009 an die europäischen Rechtsnormen angepasst worden. Das GWB ist gegenüber dem EU-Wettbewerbsrecht nachrangig. Zentral für die Vergabe in Deutschland sind der § 97 ff. GWB, Vergabe-, Verdingungs- und Vertragsordnungen (VOB, VOL, VOF), Bundes- oder Landeshaushaltsordnungen sowie Vergabegesetze der Bundesländer. Das Vergaberecht hat die Funktion, die Chancengleichheit der Bewerber zu sichern, die Vergabe an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen zu ermöglichen und dem für die öffentliche Hand wirtschaftlichsten (nicht zwingend billigsten) Angebot den Vorzug zu geben. Nach § 99 GWB werden durch das Vergaberecht alle »öffentlichen Aufträge« erfasst. Bezogen auf den Bereich Gesundheit und soziale Dienste erbringen damit quasi alle Einrichtungen im Bereich der Gesundheit und Pflege – einschließlich Rettung und Transport – entsprechende pflegerische oder soziale Dienstleistungen. Trotzdem gilt in all diesen Bereichen nicht immer das Vergaberecht. Leistungen sozialer Dienste sind häufig die Übernahme hoheitlicher Aufgaben. Sie sind staatlich veranlasst und finanziert. Die Leistungserbringung erfolgt auf »unvollkommenen Märkten«, die aus sozialpolitischen Gründen reguliert werden. Für die sozialen Dienste ist man sich im europäischen Kontext im Prinzip einig, dass hier unternehmerisches Handeln nicht immer bejaht oder verneint werden kann, sondern dass es auf die jeweilige Tätigkeit ankommt. Auch Rettungsdienste, die von Hilfsorganisationen erbracht werden, sind soziale Dienstleistungen. Die Hilfsorganisationen werden als Unternehmen betrachtet, die mit »Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichem) Interesse« betraut sind. Dieser Tatbestand ist denn auch der Ausgangspunkt für die Verunsicherung in der Rechtsauslegung. Und für die Frage, ob und inwieweit Rettungsdienste unter das europäische und nationale Vergaberecht fallen. Diese Frage wird nun schrittweise anhand der Rechtsprechung zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen beantwortet. 3Stand des Verfahrens: Vergabe von Rettungsdiensten Aufgrund der unterschiedlichen Gestaltungsebenen hat sich das Vergaberecht in Europa und in Deutschland zu einer unübersichtlichen Materie entwickelt. Die Vergabe ist ein Regelwerk, das sich über mehrere Normierungsebenen hinzieht und sich durch Probleme in der Definition und der Abgrenzung von Tatbeständen auszeichnet. Die Folge: Die europäische und nationale Rechtsprechung spielt eine entscheidende Rolle für die Ausgestaltung der Vergabepraxis. Zudem nimmt der Rettungsdienst eine Sonderstellung ein. Denn der Rettungsdienst selbst ist – wie gezeigt – in Deutschland Ländersache. Damit sind bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen zwei Rechtsgrundlagen bedeutsam: die Landesrettungsdienstgesetze, die die Leistungserbringung regeln, und das Vergaberecht, das die Beauftragung bzw. Vergabe von Rettungsdienstleistungen an Dritte regelt. Welche rechtlichen Grundlagen spielen nun für die Vergabepraxis von Rettungsdiensten eine Rolle? Um die unübersichtliche Situation transparent zu gestalten, wird im ersten Schritt die rechtliche Situation zum Wettbewerb und zur Vergabe öffentlicher Aufträge erläutert. Betrachtet werden die unterschiedlichen Normierungsebenen (Europa, Bund, Länder) sowie Gesetze, Verordnungen und die Rechtsprechung zum Rettungsdienst. 1. D as Wettbewerbsrecht und die Vergabe in Europa Auf europäischer Ebene werden Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht geprüft und Regelungen hiergegen entwickelt. Vergaben werden dann zum Gegenstand europäischer Rechtsprechung, wenn Klage geführt wird, dass gegen die Grundsätze des Wettbewerbs (Transparenz, Gleichbehandlung, Verbot von Kartellbildung, marktbeherrschender Stellung, missbräuchlicher Nutzung) verstoßen wurde. Auf der europäischen Ebene sind Rechtsgrundlagen nun der Lissabon-Vertrag von 2009, der den EGV ablöst (Primärrecht), sowie Richtlinien, Verordnungen und erläuternde Mitteilungen der Kommission (Sekundärrecht). Dabei handelt es sich im Wesentlichen um: den Artikel 101 ff. Lissabon-Vertrag (alt: Artikel 81 ff. EGV) zur Umsetzung des Binnenmarktes und des Wettbewerbs von Gütern und Dienstleistungen; den Artikel 106, 2 Lissabon-Vertrag (alt: Artikel 86, 2 EGV), der die Möglichkeiten der Bereichsausnahme für die Erbringung von »Diensten im allgemeinen (wirtschaftlichen) Interesse« beschreibt; die Artikel 49 und 56 LissabonVertrag (alt: Artikel 43 und 49 EGV) zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, die auf die Anwendung des Wettbewerbsrechts abzielen; die Richtlinie 92/50/EWG (Vergabekoordinierungsrichtlinie), die sich auf die Durchführung von Vergabeverfahren bezieht, sowie verschiedene Richtlinien, Verordnungen und Mitteilungen der EU zum Vergabeverfahren in der EU oberhalb des Schwellenwertes von 206.000,– Euro für einen Auftrag. Wichtig für die Beurteilung des Rettungsdienstes waren und sind zwei Klageverfahren vor dem EuGH: Ambulanz Glöckner, die als privater Anbieter auf Gleichbehandlung zu freigemeinnützigen Anbietern bei der Vergabe geklagt hatten, von 2001 und die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland durch die EU-Kommission 2008. Dies hatte die EU-Kommission angestrengt, um zu klären, ob Rettungsdienste eine hoheitliche Aufgabe in Deutschland darstellen, die vom Wettbewerbsrecht auszunehmen ist. Im Mittelpunkt der europäischen Debatte zum Rettungsdienst steht aktuell besonders das Submissionsmodell, d.h. die Vergabe des Rettungsdienstes durch die öffentliche Hand an einen Dritten. Auf europäischer Ebene hat der EuGH zu folgenden Fragen Recht gesetzt. Siehe Tabelle Seite 8. 7 Fragestellungen Was ist geklärt Sind Rettungsdienste im Submissionsmodell Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechtes? Krankentransporte bzw. Rettungsdienste sind Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechtes. Sie treten als Anbieter bzw. Nachfrager sozialer Leistungen auf. Sie nehmen keine hoheitlichen Aufgaben wahr, sondern sind »Verwaltungshelfer« (Artikel 101 ff. Lissabon-Vertrag, alt: 81 ff. EGV; EuGH Ambulanz Glöckner). Ist das EU-Vergaberecht auf eine öffentliche Aufgabe im Submissionsmodell anzuwenden? Weil es sich um eine Beauftragung an einen »Verwaltungshelfer« handelt, liegt eine öffentliche Auftragsvergabe vor, die nach europäischem Recht auszuschreiben ist. Eine nationale Steuerung und Zulassung ist durch den EuGH akzeptiert (Artikel 101 ff. Lissabon-Vertrag, alt: Artikel 81 ff. EGV; EuGH Ambulanz Glöckner). Ist die Beauftragung einer begrenzten Zahl von Unternehmen ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht (Kartell, marktbeherrschende Stellung, missbräuchliche Nutzung)? Die Beauftragung einer begrenzten Zahl von Unternehmen macht diese zu besonders beauftragten, spezialisierten Unternehmen. Der EuGH sieht die Beschränkung des Wettbewerbs aufgrund der Notwendigkeit einer Quersubventionierung sogar als notwendig an. Eine Beschränkung des Wettbewerbs ist also möglich. Die Unternehmen müssen allerdings wirtschaftlich in der Lage sein, ihre Aufgabe zu übernehmen, und sie dürfen nicht an der Entscheidung im Auswahlverfahren beteiligt werden (EuGH Ambulanz Glöckner, Richtlinien und Verordnungen zum Vergabeverfahren). Ist eine Bereichsausnahme des Rettungsdienstes im Submissionsmodell als Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne der »sozialen Dienste im allgemeinen Interesse« möglich? Eine Bereichsausnahme als Dienste im allgemeinen Interesse ist nicht möglich. Rettungsdienste übernehmen keine hoheitlichen Aufgaben. Sie fallen unter die Artikel 49 und 56 des Lissabon-Vertrages (alt: Artikel 43 und 49 EVG) der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Sie werden zudem als »Verwaltungs helfer« charakterisiert (Artikel 106, 2 Lissabon-Vertrag, alt: Artikel 86, 2 EGV, Begründung zum Vertragsver letzungsverfahren und aktuell Schlussantrag vom 11. Februar 2010). Wann muss europaweit ausgeschrieben werden? Die Rettungsdienste werden als »nachrangige Dienstleistung« eingestuft, weil vorrangig medizinische Leistungen erbracht werden. Dies ist im Rahmen des Vergabeverfahrens festzustellen. Es gilt das nationale 8 Fragestellungen Was ist geklärt Vergaberecht und eine bundesweite Ausschreibung ist zulässig. Weitere Anbieter – auch aus dem Ausland – sind erst dann zuzulassen, wenn der Bedarf durch heimische Anbieter nicht mehr gedeckt wird. Auf jeden Fall ist die Vergabe europaweit auszuschreiben, wenn der Schwellenwert von 206.000,– Euro überschritten wird (EuGH Ambulanz Glöckner, Vergabekoordinierungsrichtlinie 92/50 EWG; Verordnung 1422/2007 in Verbindung mit § 127 GWB zur Modernisierung des Vergaberechts). Aufgrund der Bewertung der Rettungsdienste als »nachrangige Dienstleistung« findet sich in der Praxis auch die Position, dass der Schwellenwert von 206.000,– Euro zu vernachlässigen sei, wenn es um die Entscheidung »europaweite / nationale Ausschreibung« geht. Diese Einschätzung ist noch nicht rechtssicher. Oberhalb des Schwellenwertes sollte auf jeden Fall eine europaweite Ausschreibung erfolgen. Können vergabefremde Kriterien genutzt werden? Die EU-Vergabekoordinierungsrichtlinie 92/50/EWG lässt vergabefremde Kriterien zur Leistungsbeschreibung ausdrücklich zu (siehe dazu Seite 12 – Überführung in nationales Recht). 9 Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung können auf europäischer Ebene folgende Aussagen zum Rettungsdienst als gesichert gelten: • Das europäische wie auch das deutsche Wettbewerbsrecht geht von einem funktionalen Unternehmensbegriff aus. Danach ist ein Unternehmen jeder, der am Wirtschaftsleben teilnimmt – unabhängig von der Rechtsform. • Rettungsdienste im Submissionsmodell sind als »Verwaltungshelfer« Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechtes. • Die nationale Steuerung und Zulassung ist durch den EuGH akzeptiert. • Rettungsdienste können bedarfsabhängig zur Ausschreibung zugelassen werden. Weitere Anbieter – auch aus dem Ausland – sind erst dann zuzulassen, wenn der Bedarf nicht mehr gedeckt ist oder wenn der Schwellenwert für die Vergabe überschritten ist. • Vergabefremde Kriterien zur Definition der Leistungsfähigkeit sind zugelassen. Bezieht sich die bisherige Rechtsprechung auch allein auf die Vergabe im Submissionsmodell, so heißt das nicht, dass die Erbringung von Rettungsdienstleistungen im Rahmen des Konzessionsmodells nicht unter die Wettbewerbsregeln fällt. Zum einen setzt sich die Meinung durch, dass Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber zu betrachten sind, und zum anderen ist eine Klage vor dem EuGH nach dem Motto zu erwarten: Rettungsdienste im Konzessionsmodell sind keine Beauftragungen, sondern »versteckte« Dienstleistungsaufträge. In der Konsequenz hätten dann die Krankenkassen und als Besonderheit in Bayern auch die Rettungszweckverbände die Rettungsdienste auszuschreiben. 10 2. Das nationale Wettbewerbsund Vergaberecht Auf der Ebene des Bundes ist das europäische Wettbewerbs- und Vergaberecht in die nationale Gesetzgebung eingeflossen. Die Oberlandesgerichte (OLG) und der Bundesgerichtshof (BGH) haben deren Einhaltung sicherzustellen. Grundlage sind das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB §§ 97 ff.) und das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 21. April 2009, das Teil des GWB ist. Darüber hinaus sind Rechtsgrundlagen das BGB, die Bundeshaushaltsordnung (BHO) sowie verschiedene Vergabeordnungen. Ziel dieser Gesetze und Verordnungen sind ein national einheitliches Regelwerk für die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen und der Rechtsschutz von Bietern. Auf der nationalen Ebene sind für die Vergabe von Rettungsdiensten wichtig: das Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland und die »Modernisierung des Vergaberechts« im GWB vom 21. April 2009. Bei den bisherigen Urteilen und Verhandlungen geht es auch hier um das Submissions modell. Im Rahmen der nationalen Gesetzgebung finden sich ähnliche Fragen wie auf der EU-Ebene. Im Einzelnen heißt das. Siehe Tabelle Seite 11. Fragestellungen Was ist geklärt Wann ist das EU-Vergaberecht auf den Rettungsdienst als eine öffentliche Auftragsvergabe anzuwenden? Position Deutschlands im noch offenen Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH: Eine öffentlichrechtliche Beauftragung ist kein »öffentlicher Auftrag« im Sinne des § 99.1 GWB. Der Rettungsdienst ist öffentlich-rechtlich organisiert. Die Funktion der Beauftragung besteht nicht in der Beschaffung von Marktleistungen, sondern in der Ausübung öffentlicher Gewalt. Die EU-Richtlinien zur Auftragsvergabe sind nicht anzuwenden. Aber Veränderung der Position durch nationale Rechtsprechung der OLG seit 2006 und des BGH mit dem Urteil von 12/2008: Danach sind Rettungsdienste vergabepflichtige Dienstleistungen. Sie haben keinen hoheitlichen Charakter, sondern sind Verwaltungshelfer, die im öffentlichen Auftrag handeln und der staatlichen Kontrolle unterliegen. Das europäische und das nationale Vergaberecht finden Anwendung, und die Vergabe von Rettungsdiensten im Submissionsmodell ist auszuschreiben (EU-Vergabekoordinierungsrichtlinie 92/50/EWG, §§ 97 ff. GWB). Ist eine Bereichsausnahme des Rettungsdienstes als Dienst im allgemeinen Interesse möglich? Rettungsdienste im Submissionsmodell sind vergabepflichtige Dienstleistungen. Sie unterliegen den Artikel 49 und 56 des Lissabon-Vertrages (alt: Artikeln 43 und 49 EGV Niederlassungsfreiheit / Dienstleistungsfreiheit) und sind »Verwaltungshelfer«, die im öffentlichen Auftrag handeln (EU-Vergabekoordinierungsrichtlinie 92/50/EWG, §§ 97 und 98 ff. GWB). Wann muss öffentlich und mit welcher Reich weite ausgeschrieben werden? Rettungsdienste sind nachrangige Dienstleistungen. Es handelt sich in der Regel um medizinische Leistungen, die gegenüber den Verkehrsleistungen überwiegen. Rettungsdienstleistungen sind national und im besten Fall beschränkt öffentlich auszuschreiben, wenn sie nicht den Schwellenwert von 206.000,– Euro übersteigen (Vergabekoordinierungsrichtlinie 92/50 EWG; Verordnung 1422/2007 in Verbindung mit § 127 GWB zur Modernisierung des Vergaberechts). Welche Grundsätze gelten für die Vergabe? Die Auftragsvergabe muss an fachkundige, leistungsfähige, gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen erfolgen. 11 Fragestellungen Was ist geklärt Die Vergabegrundsätze der Transparenz, des Wettbewerbs und der Gleichbehandlung sind einzuhalten (GWB – Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts sowie weitere Rechtsgrundlagen wie BGB, BHO, Vergabeordnungen). Sind vergabefremde Kriterien bei einer Aus schreibung zulässig? Es ist also eine schrittweise Anpassung zwischen der europäischen und der nationalen Rechtsauffassung hinsichtlich Wettbewerb und Vergabe zu beobachten. Dies hat seinen Niederschlag im GWB und insbesondere in den Positionen der OLG und aktuell des BGH (12/2008) zum Rettungsdienst gefunden. Nach aktueller Rechtsauffassung gilt: • Rettungsdienste im Submissionsmodell sind vergabepflichtige Dienstleistungen. • Das europäische Vergaberecht und die entsprechende Rechtsauslegung finden in Deutschland Anwendung und die Vergabe von Rettungsdiensten ist auszuschreiben. • Rettungsdienste sind vorrangig medizinische Leistungen. Dies bedeutet: Rettungsdienstleistungen sind national zu vergeben. Im besten Fall als beschränkte öffentliche Ausschreibung, wie bereits vom EuGH im Fall Ambulanz Glöckner entschieden wurde. Ob eine europaweite Ausschreibung zu erfolgen hat, ist abhängig vom Schwellenwert von 206.000,– Euro. 12 Es können zusätzliche Anforderungen an die Auftragsvergabe gestellt werden (soziale, umweltbezogene oder innovative Kriterien). Diese Kriterien müssen in der Ausschreibung für alle transparent und ersichtlich sein. Weitergehende Anforderungen können sich aufgrund von Bestimmungen aus Bundesgesetzen oder aus den Landesgesetzen zum Rettungsdienst ergeben (GWB – Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts, wie weitere Rechtsgrundlagen BGB, BHO, Vergabeordnungen). • Sowohl die EU (Richtlinie 2004/18/EG) als auch das nationale Recht (GWB § 97.4) lassen die Bindung der Ausschreibung an sogenannte vergabefremde Kriterien zu. • Die Berücksichtigung weitergehender EU-Richtlinien oder Bundes- und Landesgesetze ist unter dem Stichwort Gesetzestreue möglich (z.B. Tariftreue oder Betriebsübergang). 3. D ie Vergabe des Rettungsdienstes auf der Ebene der Bundesländer auf Ebene der Bundesländer Der Rettungsdienst ist Ländersache. Mithilfe der LRettG übertragen die Länder die Aufgaben des Rettungsdienstes auf die Landkreise und Städte. Die Landesgesetze regeln den Geltungsbereich, die Aufgaben und Trägerschaften des Rettungsdienstes, den Aufbau, die Durchführung und Kostenübernahme. Dabei bestechen die Landesgesetze durch ihre Unterschiedlichkeit. Wie in Punkt 1 gezeigt, finden sich für die Umsetzung des Rettungsdienstes in den Bundesländern zwei unterschiedliche Modelle: das Submissionsmodell und das Konzessionsmodell. Sind durch die europäische und nationale Rechtsprechung auch grundsätzliche Fragen Fragestellungen zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen geklärt, so sind die Träger des Rettungsdienstes vor allem mit Durchführungsfragen konfrontiert, wenn es zu einer Vergabe im Rahmen des Submissionsmodells kommt. Dies stellt die öffentliche Hand und die Hilfsorganisationen vor neue Herausforderungen in der Ausgestaltung der Vergabe. Insgesamt gewinnen Gestaltungsfragen an Bedeutung. Sie sind die Stellschrauben, mit denen die Leistungsfähigkeit, die Qualität oder das Verhältnis zwischen Träger und Leistungserbringer geregelt werden können. Die europäische und die nationale Gesetzgebung lassen ein Bündel von Ausnahmen zu. Diese sind zum Teil geklärt. Es gibt aber auch Sachverhalte, die nicht abschließend behandelt sind und die Interpretations- und Gestaltungspielräume aufweisen. Dies zeigt der folgende Überblick. Was ist geklärt Wer ist Träger des Rettungsdienstes? Nach den Landesrettungsdienstgesetzen ist in der Regel Träger des Rettungsdienstes die öffentliche Hand in der Form der Landkreise und kreisfreien Städte. Sind Hilfsorganisationen Unternehmen? Rettungsdienste sind Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechtes, weil sie als Anbieter bzw. Nachfrager nach sozialen Dienstleistungen auftreten (EuGH Ambulanz Glöckner, Artikel 101 ff. Lissabon-Vertrag (alt: Artikel 81 ff. EGV), §§ 97 und 98 ff. GWB). Wann liegt eine öffentliche Auftragsvergabe vor? Sie liegt dann vor, wenn ein öffentlicher Auftraggeber öffentliche Lieferaufträge oder Dienstleistungen vergibt. Die Übertragung des Rettungsdienstes im Rahmen des Submissionsmodells wird als eine solche öffentliche Auftragsvergabe betrachtet und ist auszuschreiben (§ 98 GWB). Welche Wettbewerbsgrundsätze gelten für die Vergabe? Sofern die Träger eine Vergabe umsetzen, sind die Wettbewerbsregeln zu beachten. So sind die Vergabegrundsätze der Transparenz, des Wettbewerbs und der Gleichbehandlung wie die entsprechenden Vergabe-, Verdingungs- und Vertragsordnungen einzuhalten (GWB – Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts sowie weitere Rechtsgrundlagen wie BGB, BHO, Vergabeordnungen des Bundes und der Länder). 13 Fragestellungen Was ist geklärt Ist eine beschränkte / nationale / europaweite Ausschreibung notwendig? Die BGH-Entscheidung von 12/2008 fordert eine (beschränkte) Ausschreibung des Rettungsdienstes nach nationalen Regeln. Da es sich beim Rettungsdienst um vorrangig medizinische Leistungen handelt, die gegenüber Transport- oder Verkehrsleistungen überwiegen, ist unterhalb des Schwellenwertes von 206.000,- Euro eine europaweite Ausschreibung nicht notwendig. Weitere Anbieter – auch aus dem Ausland – sind erst dann zuzulassen, wenn der Bedarf durch heimische Anbieter nicht mehr gedeckt wird (EuGH Ambulanz Glöckner, Vergabekoordinierungsrichtlinie 92/50 EWG, §§ 97 ff. GWB; Verordnung 1422/2007 in Verbindung mit § 127 GWB zur Modernisierung des Vergaberechts). Sind vergabefremde Kriterien mit dem europäischen und nationalen Wettbewerbsund Vergaberecht vereinbar? Die Umsetzung vergabefremder Kriterien ist grundsätzlich möglich. Herangezogen werden können soziale, umweltbezogene oder innovative Kriterien (Vergabekoordinierungsrichtlinie 92/50 EWG und GWB). An welche Kriterien können Auftragsvergaben gebunden werden? Nach EU-Recht und § 97,4 GWB haben Rettungsdienste nachzuweisen: • dass es sich um fachkundige, leistungsfähige gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen handelt. Es ist solchen Unternehmen der Vorzug zu geben, die den Auftrag auch umsetzen können. Vor allem sicherzustellen ist, dass Leistungsfähigkeit auch bedeutet, dass die beauftragten Unternehmen auch Großschadensereignisse bewältigen können. Zu den Kriterien zählen weiterhin: Dienstleistungsbeschreibung, Wirtschaftlichkeit, Wertung und Gewichtung von Preisen, landesrechtliche Privilegierungen (Sonderaufgaben). • Zu den sozialen, umweltbezogenen oder innovativen Kriterien zählen die Begrenzung des Schadstoffausstoßes, die Berücksichtigung von Projekten für Langzeitarbeitslose, die IAO-Kernarbeitsnormen oder die Bevorzugung von Hilfsorganisationen. Aber auch Fragen der Qualität, des Personalkonzeptes, der Kontinuität des Personal- und Sach- 14 Fragestellungen Was ist geklärt mittelbestandes oder der Prüfung von Betriebsübergängen gehören hierzu. • Zu berücksichtigen sind ebenso weitergehende Bundes- und Landesgesetze. Danach könnten bei der Vergabe auch gewachsene Strukturen und Tarifbedingungen dann berücksichtigt werden, wenn diese in Bundes- und Landesgesetzen niedergelegt sind. Die Vergabe von Rettungsdiensten berührt nicht nur unterschiedliche Normierungsebenen, sondern es setzt sich schrittweise die europäische Rechtsauffassung über die Bewertung der Vergabe des Rettungsdienstes durch. Die europäische und die bundesdeutsche Rechtsprechung lassen vergabefremde Kriterien zu, die als Sonderregelungen für die Ausschreibung von Rettungsdiensten auf nationaler Ebene zu nutzen sind. Auf nationaler Ebene haben BGH-Entscheidungen und die Modernisierung des Vergaberechts im GWB, bezogen auf die Ausschreibung des Rettungsdienstes nach dem Submissionsmodell, einige Klärungen erbracht: • Rettungsdienste sind zentral medizinische Leistungen, die national und im besten Fall beschränkt öffentlich auszuschreiben sind, insofern sie nicht den Schwellenwert übersteigen. • Die Vergabegrundsätze der Transparenz, des Wettbewerbs und der Gleichbehandlung sind einzuhalten. • Die Auftragsvergabe muss an fachkundige, leistungsfähige, gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen erfolgen. • Zusätzliche Anforderungen können an die Auftragsvergabe oder durch Bundes- und Landesgesetze gestellt werden (soziale, umweltbezogene oder innovative Kriterien). 15 4Einschätzung und Vorschläge zur Umsetzung von Gestaltungsfragen Formalisierte Vergabeverfahren können zu mehr Transparenz über die Leistungen des Rettungsdienstes und zu einer Gleichbehandlung der Bieter führen. Zudem lassen die durch Europa und den Bund getroffenen grundsätzlichen Entscheidungen durchaus Gestaltungsspielräume hinsichtlich der Vergabepraxis zu. Auf der Ebene der Länder sind insbesondere jene Bundesländer gefordert, die nach dem Submissionsmodell ihre Rettungsdienste vergeben. Allein die Tatsache der öffentlichen Ausschreibung bedeutet, dass bisherige feste Beziehungen zwischen Trägern und Leistungserbringern in Frage gestellt werden. Bisher beauftragte Unternehmen können nicht mehr per se damit rechnen, einen Auftrag zu erhalten. Auch entfallen Möglichkeiten der Nachverhandlung. Hinzu kommt, dass in vielen Städten und Gemeinden das »Durchführungswissen« bei den Trägern fehlt. Die Konsequenz sind Ausschreibungen, die eine gute Kalkulation der Leistungserbringung kaum zulassen. Hieraus folgen Leistungseinbußen, Lohndumping, Gehaltsabsenkungen und Ähnliches mehr aufseiten der Beschäftigten. Mit der Anpassung der deutschen Rechtsprechung durch die »Modernisierung des Vergaberechts« im GWB vom April 2009 an die europäischen Rechtsnormen ist die Ebene der Bundesländer und in der Folge davon die der Städte und Gemeinden als Träger des Rettungsdienstes die zentrale Gestaltungsebene, die für die praktische Ausgestaltung und Qualität des Rettungsdienstes Verantwortung trägt. Für betriebliche oder gewerkschaftliche Interessenvertretungen sind lediglich eine indirekte Einflussnahme auf den Prozess der Vergabe im politischen Raum oder die Nutzung der betrieblichen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte im Nachhinein möglich, wenn es um die Umsetzung der Ausschreibungskriterien für die Leistungserbringung im Unternehmen geht, das den Zuschlag erhalten hat. Da aber bereits in der Ausschreibung über die Ausgestaltung von Rettungsdienstleistungen entschieden wird, stehen betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretungen vor der Herausforderung, möglichst frühzeitig auf den politischen Prozess der Vergabe in einer Region Einfluss nehmen zu müssen. Denn die Träger der Vergabe, die Städte und Gemein- 16 den, können über die Definition der vergabefremden Kriterien soziale und qualitative Bedingungen für das jeweils anstehende Ausschreibungsverfahren setzen. Vergabefremde Kriterien sind also das Mittel, mit dem ein Träger festlegt, wer als Dienstleister für den Rettungsdienst in einer Region in Frage kommt. Und sie sind die Stellschrauben, mit denen die Leistungsfähigkeit, die Qualität, das Verhältnis zwischen Trägern und Leistungserbringern, die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen sowie das Controlling geregelt werden. Dabei gilt: Die Kriterien sind nur dann wirksam, wenn sie generell für den Auftrag (nicht für einen Anbieter) gelten, in der Ausschreibung offengelegt und für alle transparent sind. Aufgrund der Neuartigkeit der Vergabe im Rettungsdienst ist die Definition vergabefremder Kriterien noch keine feststehende, rechtssichere Größe. Ihre Definition für die Ausschreibung ist gerade auch eine politische Entscheidung vor Ort. Und die Vergabepraxis ist durchaus als politischer Prozess zu bewerten, bei dem es um die Aushandlung unterschiedlicher Interessen mit Blick auf eine gute Qualität der Leistungserbringung im Rettungsdienst geht. Hier schließt sich die Frage an, welche »Mindestforderungen« sich für Interessenvertretungen in den Rettungsdiensten zur Ausgestaltung von Vergabeverfahren ergeben. Aus gewerkschaftlicher Perspektive sind neben Fragen der Wirtschaftlichkeit, Wertung und Gewichtung von Preisen oder der Kontinuität des Personal- und Sachmittelbestandes insbesondere folgende Punkte von Bedeutung: 1. Tarifbindung Tarifbindung als Vergabekriterium ist ein strittiger Punkt in der Rechtsauffassung. Nach der Entscheidung des EuGH zur Tariftreueregelung des Niedersächsischen Vergabegesetzes 2006 (Rüffert – Rechtssache C-346/06, entschieden am 3.4.2008) kann davon ausgegangen werden, dass Tariftreueregelungen und andere Entgeltvorgaben nur auf der Grundlage eines allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages oder einer entsprechenden Mindestlohnbestimmung zum Zuge kommen. Die Erfüllung derart allgemeiner Rechtspflichten kann über das Kriterium der »Zuverlässigkeit« (§ 97 ff. GWB) eingefordert werden. Durch eine Vertragsbedingung kann zusätzlich erreicht werden, dass die Tarifbindung bei der Auftragsausführung auch eingehalten wird. Allerdings sind die meisten Tarifverträge in Deutschland nicht allgemein verbindlich und für den Rettungsdienst liegen keine Mindestlohnbestimmungen vor. Eine Auffanglinie, um trotzdem einer Tarifbindung im Rettungsdienst nahezukommen, bietet sich über die Eignungskriterien: Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und Fachkunde (§ 97 ff. GWB). Unter dem Stichwort Zuverlässigkeit hat der Gesetzgeber gerade den Begriff der Gesetzestreue hervorgehoben. Gemeint sind damit Gesetze unter Einschluss von Rechtsverordnungen, zum Beispiel der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen. Unter dem Begriff Fachkunde werden die Kompetenzen eingefordert, die hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Auftragserfüllung erforderlich und verhältnismäßig sind. Dazu gehören die fachliche Ausbildung des Personals, Qualifikationen und Erfahrungen sowie bestimmte Spezifikationen für die Anwendung. Über diesen Weg könnte der Auftraggeber angemessene Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten stellen und indirekt die tariflichen Bedingungen des Rettungsdienstes in Teilbereichen erreichen. Auch könnte in der Ausschreibung festgestellt werden, dass Nachverhandlungen über den finanziellen Rahmen des Auftrags nur dann zum Tragen kommen, wenn sich die Personalkosten aufgrund von Tarifsteigerungen im Vergabezeitraum erhöhen. Tarifbindung auf der Basis von Tarifverträgen zwischen öffentlichen Arbeitgebern / Hilfsorganisationen und ver.di sind als vergabefremdes Kriterium in der Rechtsprechung noch nicht anerkannt. Dies ist bei der Novellierung des Vergaberechts auf der Ebene der Länder anzustreben. Aus gewerkschaftlicher Perspektive ließe sich argumentieren: Die Tarifbindung ist ein soziales Kriterium für eine qualitativ hochwertige Leistungserbringung. Die entsprechenden Landesgesetze sind auf ihre Bestimmungen zur Tarifbindung hin zu überprüfen und zu verändern. Einen anderen Weg stellt der Abschluss einer speziellen EG-Verordnung für Gesundheits- und soziale Dienste auf europäischer Ebene dar. Analog der Vergabe von Verkehrsdienstleistungen, die in einer speziellen EU-Verordnung geregelt sind und nicht unter die Rechtsfolge der Artikel 49 und 56 des Lissabon-Vertrages (alt: Artikel 43 und 49 des EGV) fallen, könnten auch Gesundheits- und soziale Dienste aus dem Geltungsbereich der Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit herausgenommen und die Einhaltung örtlich geltender Tarifverträge oder der ortsüblichen Bezahlung durchgesetzt werden. Einen Ansatzpunkt für ein solches Vorgehen stellt die besondere Bedeutung der Gesundheits- und sozialen Dienste für die soziale Sicherung der Menschen in Europa dar. Dieser Sachverhalt wird nicht nur von der EU-Kommission betont, sondern hat auch schon zur Bereichsausnahme der Gesundheitsdienste aus der Dienstleistungsrichtlinie geführt. 2. Betriebsübergang Durch den Betriebsübergang können Beschäftigungsverhältnisse gesichert, kurzfristige Wettbewerbsvorteile über Dumpinglöhne vermieden und Vergaben aufgrund einer unzureichenden Kalkulation der Leistungserbringung ausgeschlossen werden. Der Betriebsübergang ist in der EU-Richtlinie 2001/23/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer in Verbindung mit § 613a BGB – Betriebsübergang geregelt. Auch hier bieten sich in der Argumentation die Eignungskriterien (§ 97 ff. GWB) an. Der Betriebsübergang muss zum Gegenstand des Ausschreibungsverfahrens gemacht werden. Wenn der Betriebsübergang Teil der Ausschreibung ist, werden damit Rechtssicherheit geschaffen und unnötige Verfahren zur Klärung dieser Frage vermieden. Zudem ist dies ein wichtiger Beitrag zur Qualitätssicherung: Eine Kontinuität des Personals mit hohen Kenntnissen der örtlichen Rettungsdienststrukturen und regionalen Besonderheiten wird damit gewährleistet. Außerdem wirkt dies der Auflösung stabiler Beschäftigungsverhältnisse entgegen, da oft aufgrund von Vergabeverfahren nur noch befristete Arbeitsverträge vergeben werden. 17 Wie wichtig es ist, den Betriebsübergang schon in der Ausschreibung festzuschreiben, zeigt das Beispiel des Rettungsdienstes in Heinsberg. Hier hatte nach 30 Jahren das Deutsche Rote Kreuz die Ausschreibung des Rettungsdienstes verloren. Rechtzeitig hatte das Rote Kreuz die Verwaltung auf den Tatbestand des Betriebsübergangs hingewiesen. Dies war aber nicht Grundlage der Ausschreibung. Gewonnen haben dann die Johanniter, deren Vergütungsstruktur beträchtlich unter der des Roten Kreuzes liegt und die das Angebot ohne Betriebsübergang kalkuliert hatten. Nach ihrem Arbeitsplatzverlust klagten ehemals Rot-KreuzBeschäftigte mit der Begründung Betriebsübergang auf Beschäftigung beim neuen Leistungserbringer zu ihren alten Konditionen und bekamen vor Gericht recht. Nun stellt sich das Problem, wer die entstandenen Mehrkosten trägt, und es ist die Frage, inwieweit bei der Ausschreibung gleiche Chancen bestanden, da ein Bewerber den Betriebsübergang mit einkalkuliert hatte und andere nicht. 3. Arbeitszeiten Aus Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie der Qualitätssicherung sind tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeiten als Obergrenzen vorzugeben. Die Arbeitszeitbestimmungen sind einzuhalten, da sie auf verschiedenen Ebenen rechtlich und tariflich geregelt sind. Für Feuerwehrbeamte gelten die Arbeitszeitordnungen der Länder. Sie müssen nachweisbar Grundlage der Kostenkalkulation sein. Dabei sollten die absoluten Obergrenzen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden und eine tägliche Höchstarbeitszeit von 12 Stunden sein. Die Rechtsgrundlagen dafür sind: EU-Richtlinie zur Arbeitszeit, die eine grundsätzliche Höchstarbeitszeitgrenze von durchschnittlich 48 Stunden pro Woche und eine tägliche Ruhezeit von 11 Stunden vorsieht. Sie folgt dem Grundsatz: Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit und gehört nicht zur Ruhezeit. 18 Das nationale Arbeitszeitgesetz (ArbZG) vom 1. Januar 2004 und hier insbesondere: • § 5 Abs. 3: Bereitschaftsdienstzeiten ohne In anspruchnahme sind keine Ruhezeiten, sind folglich Arbeitszeit. • § 7 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 8: Für die Praxis äußerst wichtig ist die Beibehaltung der täglichen Höchstarbeitszeitgrenze von 10 Stunden nach § 3 ArbZG. • § 7 Abs.1 Nr. 1a: Er ermöglicht eine Verlängerung der Arbeitszeit über 10 Stunden je Werktag durch Tarifvertrag, wenn sie regelmäßig und zu einem erheblichen Teil Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst umfasst und ein Zeitausgleich vorgesehen ist. Die zulässige durchschnittliche Wochenarbeitszeit beträgt 48 Stunden bei einem Ausgleichszeitraum bis zu 12 Monaten. • § 7 Abs. 2a: Durch Tarifvertrag und schriftliche widerrufliche Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers kann die Arbeitszeit auch ohne Zeitausgleich über 8 Stunden je Werktag verlängert werden. Dies ist dann der Fall, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt und durch besondere Regelungen sichergestellt wird, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird. Die Frist für den Widerruf beträgt sechs Monate. Dies ist die einzige Regelung, die eine Überschreitung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeitgrenze von 48 Stunden ermöglicht. • § 7 Abs. 9: Bei Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit über 12 Stunden muss in unmittelbarem Anschluss an die Beendigung der Arbeitszeit eine Ruhezeit von mindestens 11 Stunden gewährt werden. Es besteht weiterhin die Möglichkeit der Abweichung durch eine behördliche Genehmigung (§ 15). • § 15 Abs. 4: Neu ist die Ausgleichspflicht auf 48 Stunden Wochenarbeitszeit innerhalb von 6 Monaten bzw. 24 Kalenderwochen. Die Aufzeichnungspflicht wird ergänzt durch eine Pflicht zur Führung eines Verzeichnisses der Arbeitnehmer, die in eine Verlängerung ohne Zeitausgleich eingewilligt haben (§ 16 Abs. 1). Die Regelung der Arbeitszeit über Tarifverträge: DRK TV alt Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 38,5 Stunden pro Woche (West) und 40 Stunden pro Woche (Ost). Durch das Vorliegen von Arbeitsbereitschaft kann diese auf 45, 49 oder 54 Stunden pro Woche ausgedehnt werden. Die Ausdehnung ist jedoch aufgrund des EU-Rechts und des Arbeitszeitgesetzes nur bis zur Höchstgrenze von 48 Stunden pro Woche möglich. TVöD /TV-L Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 38,5 bzw. 39 Stunden pro Woche (West) und 40 Stunden pro Woche (Ost). Bei Vorliegen von Bereitschaftszeiten kann die Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden pro Woche ausgedehnt werden. Bereitschaftszeiten werden zur Hälfte als Arbeitszeit gerechnet. Die Summe aus Arbeitszeit und Bereitschaftszeiten darf 48 Stunden pro Woche nicht überschreiten, die Summe aus Arbeitszeit und faktorisierter Bereitschaftszeit (Faktor 0,5) darf die regelmäßige Arbeitszeit (38,5 bzw. 40 Stunden pro Woche) nicht überschreiten. Die tägliche Arbeitszeit kann im Rettungsdienst auf 12 Stunden verlängert werden. DRK Reform Tarifvertrag Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 38,5 Stunden pro Woche für den Rettungsdienst. Die tägliche Arbeitszeit kann im Rettungsdienst auf 12 Stunden verlängert werden. Bei Vorliegen von Arbeitsbereitschaft kann die wöchentliche Arbeitszeit auf 45 Stunden (mind. 2 Stunden Arbeitsbereitschaft regelmäßig) oder 48 Stunden (mind. 3 Stunden Arbeitsbereitschaft regelmäßig) verlängert werden. Bei Verlängerung der Wochenarbeitszeit aufgrund des Vorliegens von Arbeitsbereitschaft ist die gleichzeitige Anordnung von Bereitschaftsdienst ausgeschlossen. Die Überschreitung der 48-Stunden-Grenze durch eine Opt-out-Regelung (§ 7 Abs. 2a bis 7 Arbeitszeitgesetz) ist ausdrücklich in allen ver.diTarifverträgen für den Rettungsdienst ausgeschlossen. 4. Qualitätssicherung Qualitätssicherung und Tarifbindung sind nicht nur eine Frage der eingesetzten Sachmittel und Hilfsangebote und ihrer Ausgestaltung, sondern hängen in entscheidendem Umfang von der Qualifikation und den Arbeitsbedingungen der Rettungsdienstkräfte ab. Im Vergabeverfahren sind deshalb Aussagen zu treffen zum Einsatz von Fachpersonal, dessen Fortbildung, Ortskunde und erforderlichen Zusatzqualifikationen. Im Einzelnen heißt das: • Fachpersonal in der Notfallrettung sind Notärzte, Rettungsassistenten und Rettungssanitäter. Der Krankentransport wird überwiegend von Rettungssanitätern und Rettungshelfern durchgeführt. In der Ausschreibung sollte der Einsatz von ausschließlich Fachpersonal gefordert werden. Die in vielen Rettungsdienstgesetzen vorgeschriebenen »geeigneten Personen« bieten nicht die Gewähr für einen komplikationslosen Einsatz. • Die erforderliche Fortbildung des Personals muss quantifiziert und definiert werden – auch über die in einigen Landesgesetzen getroffenen Regelungen hinaus. Bei den Fortbildungsinhalten sind auch regionale Spezifika zu berücksichtigen. • Benötigte Zusatzqualifikationen des Personals (zum Beispiel zu Ausbildungspersonal, Desinfektoren) müssen Teil der Ausschreibung sein. • Zur Gewährleistung des reibungslosen Ablaufs des Rettungsdienstes muss bei der Personalbemessung eine Ausfallsicherung (Einberechnung von Ausfallzeiten durch Krankheit, Urlaub, Fort- und Weiterbildung usw.) erfolgen. Hier sollten in der Ausschreibung Mindestwerte vorgeschrieben werden. Diese müssen in der Personalberechnung und Kostenkalkulation des Auftrags nachvollziehbar sein. • Der Einsatz von Ehrenamtlichen sollte prozentual begrenzt werden. Gegenüber ehrenamtlichen Kräften bestehen keine Weisungsbefugnisse, ihre Tätigkeit ist rein freiwillig. Kommen Ehrenamtliche zum Einsatz, sind im Sinne der Qualitätssicherung eine Mindestzahl an gefahrenen Schichten und die erforderliche Fortbildung festzuschreiben. 19 Durch die Ausrückzeiten wird die Zeit, in der geholfen werden kann, entscheidend mitbestimmt. In der Regel beträgt sie ca. 1 bis 1,5 Minuten. Bei Notärzten ist es besonders wichtig, dies in der Ausschreibung festzuschreiben, da ihre Standorte oftmals von denen der Rettungswachen abweichen. Die Festlegung von Standards für Wartung und Reparatur von Einsatzmitteln in der Ausschreibung ist wichtig für die Vergleichbarkeit des Angebots sowie zur Sicherung der Arbeitssicherheit und Qualität der Rettungsdienstleistung. Fahrzeuge müssen so beschaffen sein, dass sie keine Gefährdungen im laufenden Betrieb darstellen (zum Beispiel durch scharfe Ecken und Kanten, schwer zugängliche Bereiche, die die Hygiene gefährden, gefährliche Anordnung der Fahrzeugeinrichtung Patient als »Wurfgeschoss«). Die Tragesysteme und die Anordnung der benötigten Arbeitsmaterialien sind an ergonomischen und arbeitsmedizinischen Erkenntnissen auszurichten, um gesundheitliche Belastungen zu vermeiden. Ausreichende und regelmäßige Wartung und Reparatur der Einsatzmittel sind vorzugeben, um die Verkehrssicherheit der Fahrzeuge zu gewährleisten und Risiken wie glatte Reifen und abgefahrene Bremsbelege zu verhindern. Nicht zuletzt sind die Mindestanforderungen an die Ausgestaltung einer Rettungswache festzulegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Träger keine eigenen Rettungswachen unterhält, sondern die Bieter zur Leistungserbringung ihre eigenen Rettungswachen nutzen. Wichtig sind Standards wie ein festes Gebäude, Mindestgrößen, Lage usw. Ebenso sind Mindestanforderungen an den Sozialraum (Größe, Ausstattung mit Möbeln, deren ergonomische Beschaffenheit usw.) festzulegen. 20 5 Offene Fragen Wie gezeigt, ist die Frage der Vergabe von Rettungsdiensten ein europäisches und nationales Rechtsgebiet in Bewegung. Dies bedeutet nicht nur immer wieder Klageverfahren vor dem EuGH, sondern gleichfalls Rechtsanpassung und -auslegung auf nationaler Ebene. Rechtlich gesichert sind die gesetzlichen Regelungen zur Auftragsvergabe des Rettungsdienstes im Rahmen des Submissionsmodells und die Kriterien für eine europäische oder nationale Ausschreibung. Mit der Anpassung der Vergabe im GWB an europäische Rechtsnormen und dem Spruch des BGH von 2008 liegt dazu auch ein relativ gesicherter Handlungsrahmen vor. Auf der Ebene des Bundes wird sich Handlungsbedarf möglicherweise dann noch einmal ergeben, wenn der EuGH sich zum Vertragsverletzungsverfahren geäußert hat und wider alle Erwartungen der Rechtsauffassung des Bundes folgen sollte. Allerdings weist der aktuelle Schlussantrag der Generalanwältin vor dem EuGH vom 11. Februar 2010 in eine andere Richtung. Bestätigt wird hier, dass eine Bereichsausnahme für den Rettungsdienst nicht in Frage kommt. Zu beobachten sind jedoch auf der Ebene der Länder Novellierungen der LRettG und der Vergabeordnungen. Diese sollten dann dazu genutzt werden, zumindest auf die Festlegung bundeseinheitlicher Standards und Kriterien für die Vergabe von Rettungsdienstleistungen hinzuwirken. Dazu gehören auch die Forderung der Tariftreue auf der Basis von Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften oder die Berücksichtigung der ortsüblichen Bezahlung. Bei der ortsüblichen Bezahlung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die ortsübliche Bezahlung könnte aber dann ein Hilfsinstrument für die Sicherung von Tarif löhnen sein, wenn in einer Region Tarifverträge maßgeblich im Rettungsdienst zur Anwendung kommen. Zu erwarten ist auch eine Diskussion zur Vergabepraxis nach dem Konzessionsmodell. Für Dienstleistungskonzessionen ist die Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie gemäß Art. 17 nicht anwendbar. Auch das nationale Vergaberecht des § 99,1 GWB setzt eine vertragliche Entgeltbeziehung zwischen Auftraggeber und Leistungserbringer für die Anwendung des Ver- gaberechts voraus. Der BGH stellt diesen Grundsatz keineswegs in Frage. Dies bedeutet aber nicht, dass die Konzession frei von europarechtlichen Einflüssen vergeben werden kann. Die aus dem europäischen Primärrecht direkt abzuleitenden Grundsätze der Transparenz und Chancengleichheit sind auch bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen zu beachten. Deutlich wird dies daran, dass die Einhaltung dieser Grundsätze in den Konzessionsländern immer häufiger auch die Verwaltungsgerichte beschäftigt: Denn die Unterscheidung zwischen vergaberechtspflichtigen Dienstleistungsaufträgen und vergaberechtsfreien Dienstleistungskonzessionen scheint nicht geläufig zu sein bzw. sie wird gezielt angegriffen. In einigen anhängigen Verfahren geht es etwa um den Vorwurf, rettungsdienstliche Beauftragungsver träge in Konzessionsländern seien versteckte Dienst leistungsaufträge. Deshalb ergibt sich auch in den Konzessionsländern durchaus Handlungsbedarf in Bezug auf die europarechtskonforme Ausgestaltung der Vergabe rettungsdienstlicher Durchführungsauf träge. Dies bedeutet aber keineswegs, dass quasi durch die Hintertür das volle Vergaberecht Einzug halten müsste. Den Grundsätzen der Transparenz und Chancengleichheit kann auch ohne die Anwendung der Vergabeordnungen auf andere, unkompliziertere Weise zur Geltung verholfen werden. 21 6Checkliste zur Vergabepraxis und Bewertungsraster Um einen Überblick zu geben, wie sich die einzelnen Rechtsgrundlagen in der Vergabepraxis niederschlagen, findet sich im Folgenden ein Überblick über die einzelnen Stufen des Vergabeverfahrens und die jeweils zu treffenden Entscheidungen. Die Durchführung der Vergabe Vergabeschritt Entscheidungen / Anforderungen 1. V orbereitung der Entscheidung über eine Vergabe Nach dem Submissionsmodell ist auszuschreiben • Eine beschränkte / bundesweite Ausschreibung ist möglich, wenn der Auftrag unterhalb des Schwellenwertes von 206.000,– Euro liegt. • Wenn nicht: ist eine europaweite beschränkte Ausschreibung erforderlich. 2. Vorbereitung der Vergabeunterlagen Leistungsbeschreibung mit der Definition des LeisZu den Kriterien zählen: tungsgegenstandes hinsichtlich Art, Eigenschaften und • die genaue Definition des Leistungsgegenstandes Güte hinsichtlich Art, Eigenschaften und Güte, • die Kosten, deren Gewichtung und • landesrechtliche Privilegierungen (Sonderaufgaben). Für den Rettungsdienst sind Fragen der Qualitätssicherung bedeutsam. Dazu zählen: • Standards für Rettungsmittel, Wartung und Reparatur, • die Mindestanforderungen an die Ausgestaltung einer Rettungswache und • Anforderungen, die sich aufgrund von Sonderaufgaben des Rettungsdienstes ergeben. Vertragsbedingungen beinhalten alle zusätzlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung des Auftrags 22 Zu den Kriterien zählen: • soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte wie die Begrenzung des Schadstoffausstoßes, die Berücksichtigung von Projekten für Langzeitarbeitslose, die IAO-Kernarbeitsnormen und • Fragen der Qualität, des Personalkonzeptes, der Fort- und Weiterbildung des Personals sowie der Kontinuität des Personal- und Sachmittelbestandes. Vergabeschritt Entscheidungen / Anforderungen Für den Rettungsdienst bedeutsam sind folgende Kriterien: • die Beachtung der Kernarbeitsnormen der IAO, das Personalkonzept und die Beschreibung des Qualifikationsprofils – der Schwerpunkt muss hier auf dem Einsatz von Fachpersonal liegen. • die Arbeitszeitbedingungen • die Regelung des Betriebsübergang • trotz ungeklärter Rechtslage die Tarifbindung und die Bedingungen zur Nachverhandlung • unter dem Stichwort »Zuverlässigkeit« die Berücksichtigung und Einhaltung aller notwendigen Bundes- und Landesgesetze und Verordnungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz oder zum Betriebsübergang. 3. Bekanntmachung und Öffnung der Angebote Dazu gehörten • die Ausschreibung der Vergabe und die Veröffentlichung der dazu notwendigen Unterlagen, Nachweise und vertraglichen Bedingungen des Controllings, • die Veröffentlichung der Ausschreibung, • die Festlegung der Angebotsfristen, • der Versand der Vergabeunterlagen, • der Angebotseingang und • die Öffnung der Angebote. Wichtig: • Bei diesem Vorgang sind die Vergabegrundsätze der Transparenz, des Wettbewerbs und der Gleichbehandlung unbedingt einzuhalten. • Bewertungskriterien und ihre Gewichtung sind bekannt zu geben. • Die Bieter dürfen nicht an der Vorbereitung oder der Entscheidung über die Vergabe im Auswahl verfahren beteiligt werden. 23 Vergabeschritt Entscheidungen / Anforderungen 4. Prüfung und Wertung der Angebote Im Mittelpunkt der Prüfung und Wertung der Angebote steht die Frage, welcher Bieter unter den Ausschreibungsbedingungen das wirtschaftlichste (nicht das billigste) Angebot unterbreitet. Die Prüfung und Wertung ist zu dokumentieren (sh. S. 25 Bewertungsraster). Zu den Bewertungskriterien zählen: • Fachkunde: Hier spielen die Qualität und die Rahmenbedingungen für die Leistungserbringung, die fachlichen Kompetenzen des Personals, das Personalkonzept und die Fort- und Weiterbildung eine zentrale Rolle. • Leistungsfähigkeit: Hier wird die Beschreibung der Dienstleistung hinsichtlich Art, Eigenschaft und Güte beurteilt. • Zuverlässigkeit: Diese ist ein zentraler Aspekt zur Beurteilung, da hier die Einhaltung von Normen und gesetzlichen Bestimmungen zur Debatte steht. Dies gilt für den Fall des Rettungsdienstes für Fragen der Tarifbindung, des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, des Betriebsübergangs und der Arbeitszeit. Es ist solchen Unternehmen der Vorzug zu geben, die gerade unter den Bedingungen der Zuverlässigkeit den Auftrag auch umsetzen können. 5. Information über die Nichtberücksichtigung Zuschlagserteilung nach § 101a GWB und Abfassen des Vertrags unter Berücksichtigung der Ausschreibungsbedingungen und des Controllings des Auftrags. 24 Bewertungsraster zur Dokumentation des Auswahlverfahrens Zuschlagskriterium Gewichtung Bewertung Unternehmen A Bewertung Unternehmen B Punkte max. zu erreichen Betriebskonzept Leistungsbeschreibung Organisation Personaleinsatz Vergabefremde Kriterien Qualität Qualifikation des Personals Tarifbindung Betriebsübergang Preis Gesamtpunktzahl 25 Literatur Bayerisches Gesetz zur Regelung von Notfallrettung, Krankentransport und Rettungsdienst, BayRDG, vom 08.01.1998 in der Fassung vom 24.03.2004 Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2009 Teil 1 Nr. 20, 20.04.2009 Bericht zur Bundesrepublik Deutschland zum AltmarkPaket der Europäischen Kommission, Berlin 2009 Hennes, Dr. Peter: Handbuch des Rettungswesens, Mainz 2005 Braun, Dr. Christian: Ausschreibungen im Rettungsdienst, Vortrag beim Rettungskongress Siegen, 2009 Huck, Angelika: Auslegungs- u. Anwendungshilfe zur Umsetzung der Freistellungsentscheidung der Europäischen Kommission vom 28.11.2005 im Krankenhaussektor, BMG, 2009 Bundesgerichtshof (Hrsg.): Übertragung der Durchführung der Notfallrettung und des Krankentransports, GWB §§ 97 Abs. 1, 99 Abs. 1, SächsBRKG § 31, BGH, 2008 Deutscher Städtetag, Bundesministerium für Arbeit, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Hrsg.): Die Berücksichtigung sozialer Belange im Vergaberecht, Köln, Berlin, Bonn 2009 Europäischer Gerichtshof, Artikel 49 EG Freier Dienstleistungsverkehr – Richtlinie 96/71/EG-Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, EuGH, 2008 Forum Vergabe e. V. (Hrsg.): Übersicht Tarifregelungen in den Ländern, 2009 26 Lechleuthner, Prof. Dr. Dr. Alex: Ausschreibung im Rettungsdienst: Wo geht die Reise hin? In: Rettungsdienst 9/2006 Lechleuthner, Prof. Dr. Dr. Alex: Hinweise zur Ausschreibung rettungsdienstlicher Leistungen durch öffentliche Auftraggeber; Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW und des Bund-Länder-Ausschusses Rettungswesen; Köln im Januar 2009 ver.di Bundesverwaltung, Gesundheitspolitik, V.i.S.d.P.: Ellen Paschke, Bearbeitung: Dr. Margret Steffen, Marion Leonhardt, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin, März 2010