Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Realschulen Wissenschaftliche Hausarbeit Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch – untersucht im räumlichen Kontext der Provinzstadt Rajshahi Prüfungsfach: Geographie; Klinische Psychologie Vergabe des Themas: Prof. Dr. Gregor C. Falk vorgelegt von: Johannes Bertsch Matrikelnr.: 1412654 1. Prüfer: Prof. Dr. Gregor C. Falk 2. Prüfer: Prof. Dr. Karin Schleider Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................. 1 Einleitung ................................................................................................................................. 4 1. Zukunftsorientierung aus entwicklungspsychologischer Perspektive ...................................... 6 1.1 Gegenwart ....................................................................................................................... 7 1.2 Entwicklungsaufgaben und Ziele ..................................................................................... 9 1.3 Pläne und Strategien ...................................................................................................... 12 1.4 Handlungstheoretisches Meta-Modell ............................................................................ 14 2. Zukunftsorientierung aus geographischer Perspektive .......................................................... 16 2.1 Sustainable Livelihood Approach: Der Ansatz der nachhaltigen Existenzsicherung........ 17 2.2 Kapitalausstattung ......................................................................................................... 18 2.3 Verwundbarkeitskontext................................................................................................ 20 2.4 Jugendliche als Entscheidungsträger .............................................................................. 21 2.5 Nachhaltige Zukunftsorientierung.................................................................................. 22 3. Jugend im räumlichen Kontext der Provinzstadt Rajshahi, Bangladesch .............................. 23 3.1 Bangladesch im globalen Kontext.................................................................................. 23 3.2 Geopolitische Einordnung von Bangladesch und der Provinzhauptstadt Rajshahi ........... 25 3.3 Umweltbedingungen in Bangladesch und der Provinzstadt Rajshahi .............................. 28 3.4 Gesundheit .................................................................................................................... 32 3.5 Bildung ......................................................................................................................... 32 3.6 Schulen – der Grundstein zur Bildung ........................................................................... 36 3.7 Sozialkapital.................................................................................................................. 38 3.8 Mikrokredite – Finanzkapital auf Pump? ....................................................................... 42 3.9 Naturkapital – Zukunft in der Landwirtschaft?............................................................... 43 3.10 Zusammenfassung ....................................................................................................... 46 4. Ausrichtung der Analyse .................................................................................................... 48 4.1 Fragestellung................................................................................................................. 48 1 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 4.2 Design und Prozess der Studie ....................................................................................... 49 4.3 Methodik....................................................................................................................... 50 4.3.1 Festlegung des Datenmaterials ................................................................................ 50 4.3.2 Formale Charakteristika des Datenmaterials ............................................................ 52 4.3.3 Materialien ............................................................................................................. 52 4.3.4 Analyse der Entstehungssituation ............................................................................ 53 5. Auswertung......................................................................................................................... 55 5.1 Kategorienbildung ......................................................................................................... 55 5.2 Fallbezogene Auswertung ............................................................................................. 58 5.2.1 Prija........................................................................................................................ 58 5.2.3 Fatima .................................................................................................................... 65 5.2.5 Nazia ...................................................................................................................... 73 5.3 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch – eine fallübergreifende Auswertung......................................................................................................................... 80 6. Diskussion .......................................................................................................................... 86 6.1 Zusammenfassende Interpretation der Ergebnisse .......................................................... 86 6.2 Reflexion des Analyserasters ......................................................................................... 92 6.3 Ausblick........................................................................................................................ 93 Danksagung ............................................................................................................................ 96 Literaturverzeichnis ................................................................................................................ 98 Abbildungsverzeichnis .......................................................................................................... 101 7. Anhang ............................................................................................................................. 102 7.1 Interviewleitfaden ....................................................................................................... 102 7.2 Transkriptionsregeln.................................................................................................... 105 7.3 Transkriptionen und Kategorisierung ........................................................................... 106 7.3.1 Prija...................................................................................................................... 106 7.3.2 Wasil .................................................................................................................... 113 7.3.3 Fatima .................................................................................................................. 117 2 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 7.3.4 Lanoon ................................................................................................................. 123 7.3.5 Nazia .................................................................................................................... 131 7.3.6 Nafees .................................................................................................................. 140 7.3.7 Übergreifende Kategorisierung ............................................................................. 150 7.4 Fallübergreifende Auswertung ..................................................................................... 158 Selbstständigkeitserklärung ............................................................................................... 160 3 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Einleitung Bei einem Besuch in einem Kaufhaus einer großen deutschen Warenhauskette im Oktober 2010 entdeckte ich dort eine audiovisuelle Ausstellung über die Folgen des Klimawandels. Eingezwängt zwischen Tüten voller neuer Kleidungsstücke und dem Duft frischgebratener Shrimps folgte ich den traurigen Darstellungen eines Mädchens aus Bangladesch über die Folgen des Klimawandels für ihre Zukunft. Mich beschlich das Gefühl, dass diese Darstellungen einem erdachten Stereotyp folgten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass all die scheinbar zufällig eingestreuten Daten und Fakten zum Klimawandel tatsächlich der Wahrnehmung dieses Mädchens entsprachen… „Denn dies scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet, und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist wieder nach außen abspiegelt.“ (Goethe: „Dichtung und Wahrheit“, In: Fend, 2003, S. 208) Mit diesen Worten aus Goethes Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ machte ich mich im Dezember 2010 auf zu einer Reise nach Bangladesch. Ich hatte den festen Willen, denjenigen Menschen zuzuhören, die sonst keine Gelegenheit dazu haben, ihre Wahrnehmung darzustellen. Anders als im Goethe-Zitat brauchten sie dazu auch nicht „Künstler, Dichter oder Schriftsteller“ sein, denn ich halte den Gedanken Goethes für allgemein-menschlich. Ich wollte herausfinden, wie die Jugendlichen selbst die Bedingungen ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft einschätzen und welche Ziele und Wünsche sie mit ihr verbinden. Genau 30 Jahre, nachdem die Generation ihrer Eltern und Großeltern die Unabhängigkeit ihres Landes erkämpften, interessierte mich, wie die Jugendlichen die Hoffnungen, Herausforderungen und Risiken ihrer Zeit bewerten. Die Studie untersucht die individuelle Handlungsebene vor dem Hintergrund vor allem lokaler, aber auch globaler Handlungsbedingungen und greift somit den Eine-WeltGedanken auf. Da auch die Schüler 1 an deutschen Schulen Akteure ihrer 1 Aus Gründen der Übersichtlichkeit und besseren Lesbarkeit verwende ich hier und im Folgenden ausschließlich die männliche Form. Die weibliche Form ist dem inbegriffen. 4 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Zukunftsorientierung sind, bietet ihnen die Studie besondere Anknüpfungspunkte. Die Ergebnisse der Studie sollen daher auch für sie in Zukunft erfahrbar gemacht werden. 5 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 1. Zukunftsorientierung aus entwicklungspsychologischer Perspektive In diesem ersten Kapitel soll das Verständnis von der Rolle der Jugendlichen als selbstverantwortliche Akteure ihrer Zukunft dargelegt werden. Dieses Verständnis liegt dem in dieser Arbeit verwendeten Begriff der Zukunftsorientierung zugrunde. Im geographischen Terminus gesprochen, könnte man gut am Beispiel der Orientierung im dichten Nebel ansetzen. Ganz ähnlich stellt sich nämlich auch den Jugendlichen aus entwicklungspsychologischer Perspektive ihr eigener Weg dar: Mit eingeschränkter Sicht, mühsam, manchmal durch unwegsames Gelände führend und ohne Hilfe sehr schwierig. Die sich orientierende Person ist dabei handelndes Subjekt. Dabei ist sie jedoch nicht unbeeinflusst von ihrer Umwelt. Wie beim Navigieren mit Karte und Kompass steht das handelnde Subjekt bei seiner Zukunftsorientierung in ständiger Interaktion mit seiner Umwelt. Im Fall der Zukunftsorientierung ist dies die Interaktion zwischen dem biologischen Entwicklungsstand des Jugendlichen selbst und den Anforderungen seiner Umwelt. Der Begriff der Zukunftsorientierung beinhaltet drei aufeinanderfolgende Aspekte (Nurmi, 2002). Zunächst planen Jugendliche ihre Zukunft aus den Bedingungen ihrer Gegenwart heraus. Ihr aktuelles Handeln und Erleben ist dafür ausschlaggebend, in welchem Kontext sie sich verstärkt entwickeln wollen und welche Erfahrungen sie in Zukunft vermeiden möchten. Die sich daraus ergebenden, von den Jugendlichen angestrebten Veränderungen finden sich in den Zielen der Jugendlichen wieder. Um die Differenzen zwischen dem Zustand der Gegenwart und den angestrebten Zielen zu bewältigen, konstruieren Jugendliche Pläne und Strategien. Die drei Aspekte der Zukunftsorientierung, Erfahrung, Zielsetzung und Strategie sind aber nicht voneinander getrennt zu betrachten. Vielmehr beeinflussen sie sich gegenseitig. Je anspruchsvoller beispielsweise die Ziele eines Jugendlichen sind, desto sorgfältigere Planung verlangt ihre Verwirklichung und umso stolzer ist er dann aber auch auf eine tatsächliche Realisierung der Ziele. Diese positive Emotion wird zukünftig wiederum positiven Einfluss auf seine spätere Zielsetzung haben. Er wird sich also in Zukunft noch anspruchsvollere Ziele setzen. Ebenso kann sich jedoch das wiederholte Gefühl des 6 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Scheiterns negativ auf die Wahrnehmung der eigenen Wirksamkeit und dämpfend bei der zukünftigen Zielsetzung auswirken. Zukunftsorientierung ist also mehr als die Ziel- und Perspektivensetzung von Jugendlichen. Zukunftsorientierung versteht Jugendliche als Akteure ihrer Zukunft. Sie haben die Aufgabe, sich aus ihren eigenen Erfahrungen heraus in Richtung ihrer Zukunft zu orientieren, diese aber in der Gegenwart zu gestalten. Dabei besteht der Kern der Zukunftsorientierung darin, die inneren und äußeren Handlungsbedingungen zu einer für ihre Lebensgestaltung erfolgreichen Strategie zu verarbeiten (Fend, 2003). Im weiteren Verlauf möchte ich auf die einzelnen Aspekte der Zukunftorientierung eingehen. 1.1 Gegenwart Die Möglichkeit der freien Entfaltung, die das handlungstheoretische Paradigma für die Jugendlichen vorsieht, gilt faktisch nur begrenzt. Zwar liegt es in ihrer Verantwortung, die sie umgebenden Bedingungen erfolgreich zu verarbeiten, doch darf der Einfluss ihrer eigenen endogenen (biologischen) Veränderungen und der exogenen (gesellschaftlichen) Bedingungen nicht unterschätzt werden. Vor diesem Hintergrund setzte sich die Einsicht von einer interaktiven Entwicklung durch. So arbeitet etwa die Schule als exogener Faktor beim Übergang zwischen unterschiedlichen Schularten und im Rahmen von tausenden Stunden an der Entwicklung vieler Jugendlicher aktiv mit. Die exogenen Bedingungen sind Produkt der historischen Lebensverhältnisse. Sie sind aufgrund von etwa kulturellen oder ökonomischen Eigenarten der jeweiligen zeitlichen und räumlichen Lebensverhältnisse nur für eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen mit vergleichbaren Lebensverhältnissen gültig. Dabei betreffen sie aus psychologischer Perspektive alle sozialen Felder des Aufwachsens, wie etwa Familie, Schule oder Peer Group. Die einzelnen Felder sind für den Jugendlichen als seine Lebenswelt sinnvoll strukturiert und erfahren jeweils eine eigene Bedeutungszuschreibung. Das gilt beispielsweise im Bereich von Werten, Entscheidungsfindungen, Beziehungen oder der alltäglichen Lebensgestaltung. Zwischen den Feldern ergeben sich aber auch Übergangsbereiche, zum Beispiel zwischen Elternhaus und Peer-Group. Die einzelnen Felder können dabei gegenseitig unterstützend wirken. So können etwa die Eltern bestärkend Einfluss auf die schulische Entwicklung nehmen. Die verschiedenen Felder 7 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch können aber für den Jugendlichen auch einen Konflikt darstellen, so können etwa die Werte der Peer-Group mit denen, die von der Schule voraus gesetzt werden, keine Passung erfahren. Den dabei entstehenden Rollenkonflikten begegnen die Jugendlichen mit Bedeutungsverschiebungen der einzelnen Felder. Diese Felder haben also neben ihrem eigenen Ursprung auch ihre jeweils eigene Geschichte, die für die Biographie des einzelnen Jugendlichen maßgeblich ist. Obwohl die Felder durch die Jugendlichen aktiv mitgestaltet werden, treten sie ihnen in ihrer Wahrnehmung häufig als quasi-natürliche Umwelt entgegen. Das heißt, sie nehmen die Lebenswelt, in der sie sich befinden, nicht als durch sie austauschbar wahr, sondern sehen sich einer scheinbar gegebenen Realität gegenüber gestellt (Fend, 2003). Um Einblicke in diese Lebenswelt zu erlangen, ist es sinnvoll, neben der ganzen Bandbreite alltäglich beobachtbaren Handelns von Jugendlichen auch die diesem dabei zugemessene Bedeutung zu erfassen. Das alltägliche Handeln beschreibt diese Interaktion des jeweiligen Jugendlichen mit seiner Umwelt und den sich dabei ergebenden Einflussstrukturen. Da diese nicht als festgefügt, sondern nur als Momentaufnahme in der Entwicklung des Jugendlichen verstanden werden kann, protokollieren erfasste Veränderungen im Alltagshandeln einzelne Entwicklungsschritte des Jugendlichen. So wird etwa die Entwicklung zur ökonomischen Unabhängigkeit durch die Verminderung der von den Jugendlichen in Freizeitbeschäftigung investierten Zeit beschrieben. Eine hohe Aussagekraft hat die Bedeutung, die die Jugendlichen ihrem Handeln zumessen. Neben Tätigkeiten, die mit geringer Motivation ausgeführt werden, kann auch das Infrage stellen von Einflussstrukturen innerhalb eines Feldes Hinweis auf einen möglichen Entwicklungsbedarf geben. Nicht immer reagieren Jugendliche darauf mit einer tatsächlichen Veränderung ihrer Lebenswelt. Dies wäre oftmals schon aus finanziellen Gründen oder aus der Angst heraus, sich sozial zu isolieren, nicht möglich. Manchmal muss dafür auch erst der von den Jugendlichen und den Personen aus dem entsprechenden Feld als richtig und natürlich wahrgenommene Moment gefunden werden. Beispiele hierfür sind die Veränderung der Lebenswelt beim Auszug aus dem Elternhaus zum/zur Lebenspartner /-in oder gebunden an einen Ortswechsel zum Besuch von weiterführenden Bildungseinrichtungen wie Schule oder Universität (Fend, 2003). Trotz alledem darf das Verständnis von Entwicklung nicht auf die negativen Reaktionen Jugendlicher in Folge der von ihnen in Frage gestellten 8 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Gegenwart beschränkt werden. Daneben haben vor allem die von den Jugendlichen als positiv wahrgenommenen Felder der Gegenwart großen Einfluss auf ihre Zukunftsorientierung. Sie motivieren die Jugendlichen, sich in eine bestimmte Richtung weiterzuentwickeln, um auf die positiven Erfahrungen in einem Feld aufzubauen und diesem in Zukunft vielleicht noch einen größeren Einfluss in ihrer Lebenswelt zuzuordnen. Wie gezeigt, analysiert die handlungsorientierte Entwicklungspsychologie die ganze Bandbreite des alltäglichen Handelns im Hinblick auf differenzielle Entwicklungsprozesse. Diese Handlungstendenzen werden ergänzt durch die Analyse des mit dem Handeln in Verbindung stehenden subjektiven Erlebens. Daneben haben auch die von der Gesellschaft an die Jugendlichen gestellten Anforderungen und die endogenen Veränderungen der Jugendlichen selbst einen großen Einfluss auf ihre Zukunftsorientierung. 1.2 Entwicklungsaufgaben und Ziele Bei der Betrachtung des Agierens von Jugendlichen mit den von ihrer Umwelt gestellten Anforderungen darf der Einfluss der von den Jugendlichen ausgehenden biologisch determinierten (endogenen) Veränderungen nicht außer Acht gelassen werden. Eben dieses Konzept des Aufeinandertreffens von exogenen, gesellschaftlichen Erwartungen an die Entwicklung der Jugendlichen und ihre je eigene, innere (endogene) Entwicklung beschreibt das Modell der altersspezifischen Entwicklungsaufgaben von Havighurst (Oerter & Montada, 2006). Dieses findet beispielsweise in den vom Soziologen Klaus Hurrelmann herausgegebenen Shell Jugendstudien Verwendung (Albert, Hurrelmann, Quenzel, 2010). Ausgehend von der Vorstellung der produktiven Bewältigung der einzelnen Aufgaben durch den einzelnen Jugendlichen geht das Modell der Frage nach, wie sich die Kompetenz der Lebensbewältigung altersspezifisch aufbaut. Vor dem Hintergrund der historischen Lebensverhältnisse wird also die von der Gesellschaft erwartete Entwicklung während der Lebensphase Jugend in eine NormalBiographie übersetzt. Modellgemäß reagiert die Umwelt auf die durch endogene Veränderungen geschaffenen Handlungsmöglichkeiten mit neuen Erwartungen. Nicht immer verlaufen diese beiden Prozesse parallel zueinander. Die Jugendlichen sind also in der zeitlichen Bewältigung 9 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch von Entwicklungsaufgaben nicht absolut frei. Vielmehr verspüren sie von Seiten ihrer Umwelt einen gewissen Erwartungsdruck, sich mit bestimmten Aufgaben zu einem bestimmten Zeitpunkt, also weder zu früh noch zu spät, auseinanderzusetzen. Die Verweigerung gegenüber Entwicklungsaufgaben wird dabei deutlich negativer wahrgenommen, als sie zu früh in Angriff zu nehmen. Dies zeigte sich beispielsweise in der letzten Shell-Jugendstudie (Albert et al., 2010). Darin äußerten die befragten Jugendlichen ihren Unmut über ihre späte ökonomische Selbstständigkeit, deren Zeitpunkt sich durch die unsichere Stellensituation und zahlreiche lange Praktika kaum definieren lässt. Das genannte Beispiel soll auch zeigen, wie groß die Abhängigkeit des Modells der Entwicklungsaufgaben von den historischen Lebensverhältnissen der Jugendlichen ist. Bei einem etwaigen Vergleich der Zukunftsorientierung von Jugendlichen aus verschiedenen Weltregionen dürfen also die jeweiligen Lebensverhältnisse nicht außer Acht gelassen werden. Was von den verschiedenen Altersgruppen an Entwicklungsanforderungen erwartet wird, ist nur kulturspezifisch zu verstehen. Wenn beispielsweise im Rahmen der Entwicklungsaufgabe „Regeneration“ die Entwicklung von „selbstständigen Verhaltensmustern für die Nutzung des Konsumwarenmarktes“ (Albert et al., 2010. S. 40) erwartet wird, so gilt dies für die Lebensphase Jugend in modernen Industriegesellschaften. Trotzdem lassen sich bestimmte Aufgaben und die Bereiche, in denen Entwicklung vollzogen wird, wieder erkennen (siehe Abb. 1). Die Aufgaben des intrapersonalen Bereichs ergeben sich aus den inneren (endogenen) Veränderungen, während sich die Aufgaben des interpersonalen Bereichs aus dem sozialen Beziehungsgefüge und die kulturell-sachlichen Aufgaben aus den kulturellen Ansprüchen und Möglichkeiten heraus ergeben. Die drei Entwicklungsbereiche lassen sich jedoch nicht trennscharf voneinander abgrenzen, sondern werden von der übergeordneten Anforderung, ein neues und bewusstes Verhältnis zu sich selbst und der Welt zu entwickeln, zusammen gehalten (Fend, 2003). 10 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Entwicklungsbereiche Entwicklungsaufgaben Verarbeitung der biologischen Entwicklung intrapersonal Entwicklung einer neuen Identität Reorganisation der Beziehung zu den Eltern Aufbau neuer Beziehungsformen interpersonal Aufbau von Beziehungen zu Freunden und Liebespartnern Aufbau von kultureller Orientierung kulturell-sachlich Umgang mit der Leistungsanforderung Erarbeitung einer Berufsperspektive [Abb. 1] Orientierungsklassifikation von Entwicklungsaufgaben Wie die ganze Entwicklung des Menschen Produkt des interaktiven Handelns zwischen Subjekt und Umwelt ist, so geschieht auch die Vermittlung von Entwicklungsaufgaben nicht etwa als passive Übernahme von Aufgaben und Vorschriften durch die Jugendlichen. Vielmehr geschieht dies beim alltäglichen Handeln im sozialen Kontext von Eltern, Freunden und Lehrern. Die persönliche Entwicklung schafft dabei neue Handlungsmöglichkeiten, die von der Umwelt entweder bestätigt werden oder durch Restriktionen gelenkt werden. Ich möchte dies an zwei Beispielen erläutern; in beiden Beispielen reagiert jeweils eine andere Umwelt auf die sich entwickelnde biologische Reproduktionsfähigkeit von weiblichen Jugendlichen. Die endogen geschaffene Handlungsmöglichkeit wird jedoch von der Umwelt in ihre je eigene Entwicklungsaufgabe übersetzt und im Rahmen von alltäglichen Handlungen vermittelt. So wird beispielsweise die eine Jugendliche stärker in die Erziehung der jüngeren Geschwister eingebunden, um sie auf die Entwicklungsaufgabe der Reproduktion und Erziehung von Nachkommen vorzubereiten. Währenddessen sammelt eine andere Jugendliche aus einem anderen Kulturkreis beim Besuch eines Tanzkurses die ersten Erfahrungen mit der Entwicklungsaufgabe der selbstständigen Partnerwahl. Im Rahmen 11 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch der Entwicklungsaufgaben werden die Jugendlichen also täglich zu Akteuren ihrer Zukunftsorientierung. Wie das Beispiel des Tanzkurses zeigt, geht es dabei nicht nur um das mit Druck verbundene Bewältigen von Entwicklungsaufgaben, sondern um die Gesamtgestaltung des eigenen Lebens durch das tägliche Handeln. Um beispielsweise die Entwicklungsaufgabe der ökonomischen Unabhängigkeit zu bewältigen, wird ein Jugendlicher eine Vielzahl von Zielen formulieren, darunter etwa die Eröffnung eines eigenen Kontos und das Erzielen von eigenem Einkommen. Durch das geschaffene Eigenkapital möchte er den nächsten Urlaub unabhängig von den Eltern verbringen oder später sein großes Ziel einer eigenen Wohnung verwirklichen. An diesem Beispiel zeigen sich bereits drei prägnante Eigenschaften von Zielen (Grob & Jaschinski, 2003): Ziele sind bereichsspezifisch, das heißt sie gelten für ein Ziel in einer ihm eigenen Situation und beeinflusst durch meist eine bestimmte Entwicklungsaufgabe. Daneben unterliegen sie einem gewissen Zeithorizont. Die Jugendlichen haben dabei eine gewisse Annahme, in welcher Zeitspanne sie das Ziel erreichen möchten. Ziele sind weiterhin hierarchisch geordnet. Dies gilt sowohl für die zeitliche Abfolge, in der sie aufeinander aufbauen, als auch für die Bedeutung die ihnen zukommt. Je wichtiger den Jugendlichen ein Ziel ist, umso mehr werden sie versuchen, die Zielerreichung selbst zu kontrollieren. Dazu sind wiederum detaillierte Pläne notwendig, auf die ich im nächsten Kapitel eingehen möchte. Die dabei von den Jugendlichen entworfene Zukunftsorientierung hat jedoch meist einen Versuchscharakter. Das heißt, die Jugendlichen entwickeln zwar Ziele und Pläne, diese sind aber noch flexibel und werden häufig geändert (Ebd.). Die Übernahme von verschiedenen Identitätskonzepten im Sinne eines Ausprobierens von Fähigkeiten, Werten oder Umgebungen spielt bei dieser zukunftsgerichteten Identitätsarbeit eine wichtige Rolle. Einen Rahmen für die Vielfältigkeit der denkbaren Identitätskonzepte geben die Lebensverhältnisse der Jugendlichen und die darin verfügbaren Ressourcen vor. 1.3 Pläne und Strategien Den gerade erwähnten Ressourcen kommt bei handlungstheoretischen Modellen eine wichtige Rolle zu: Wie bereits in den vorausgegangenen zwei Abschnitten vielfach 12 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch gezeigt, werden die sich entwickelnden Jugendlichen als Probleme erkennende und Probleme aktiv bearbeitende Akteure verstanden. In diesem Sinne wird davon ausgegangen, dass sie die Differenzen zwischen ihrer gelebten Realität und den Zielen, die sie sich setzen, sowohl wahrnehmen als auch Strategien zur Bewältigung der Differenzen planen und aktiv durchführen können. Die angesprochenen Ressourcen vermögen es, die Jugendlichen bei dieser Bewältigung zu fördern (Albert et al., 2010). Über je mehr Ressourcen der einzelne Jugendliche verfügt, desto größer wird sein Handlungsspielraum, auf den er bei seinen Strategien der Zukunftsorientierung zurückgreifen kann. Eine wichtige Bedeutung kommt diesen Ressourcen auch in der Erforschung der Vulnerabilität von Jugendlichen zu. Darin geht der Resilienz-Ansatz, auf den ich im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft eingehen kann, der Frage nach, mit welchen Protektoren Jugendliche ausgestattet sein müssen, um existenziell negative Erfahrungen soweit zu verarbeiten, dass es nicht zur Gefährdung der Jugendlichen kommt (Grossmann & Grossmann, 2010). Zur Erfassung der Ressourcenausstattung bietet die geographische Entwicklungsforschung geeignete Analyseverfahren, auf die ich später, im Rahmen der geographischen Perspektive, eingehen möchte. Zunächst möchte ich mich auf die emotionale Komponente der personalen Ressource beschränken. Von großer Bedeutung ist die Evaluation vorausgegangener und gegenwärtiger Entwicklungsprozesse. Konnten die Jugendlichen in der Vergangenheit ihre Ziele realisieren, so werden sie auch zukünftigen Handlungsplänen optimistisch entgegentreten (Grob & Jaschinski, 2003). Nach demselben Prinzip, jedoch mit größerer Bereichsspezifität, wird auch das mit der Selbstwirksamkeit beschriebene Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verstärkt. Die beiden genannten emotionalen Komponenten der personalen Ressourcenausstattung werden im Wesentlichen in der Kindheit aufgebaut und dann in die jugendliche Entwicklung transportiert. Dies ist eine mögliche Erklärung für den hohen Zusammenhang zwischen dem Erleben in der Kindheit und der späteren Entwicklung und betont die hohe Bedeutung von positiven Erfahrungsräumen für die (post-) adoleszente Entwicklung (Fend, 2003). Bemerkenswert ist, dass der sehr individuellen Ressourcenausstattung von Jugendlichen eine geringe Zahl von Strategien gegenüber steht, mit denen die Jugendlichen die an sie 13 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch gerichteten Entwicklungsanforderungen bewältigen. In diesem Kontext betont die Shell Jugendstudie (Albert et al., 2010) den Umgang der Jugendlichen mit dem auf ihnen lastenden Druck, der sich durch die notwendige Bewältigung der Entwicklungsaufgaben ergibt. Aus der Vielfalt der Wahrnehmung und des Umgangs mit diesem Druck kristallisierten sich in der Shell Jugendstudie (Ebd.) für Deutschland vier Muster heraus. Die Muster lassen sich als Handlungsoptionen verstehen, die sich hinsichtlich mehrerer Merkmale unterscheiden lassen. Die Unterschiede lagen insbesondere darin, ob der Druck überhaupt wahrgenommen wird. Falls dieser wahrgenommen wurde, unterschied sich das Engagement in der Mobilisierung neuer Ressourcen in einer Spanne von großem Einsatz bis hin zur zeitweiligen Verweigerung. Der Begriff der Handlungsoption unterstellt den Jugendlichen eine Wahlmöglichkeit, vereinzelten Entwicklungsaufgaben mit anderen als den sonst von ihnen vertretenen Strategien zu begegnen oder die Strategie im Laufe des Lebens zu verändern. Allerdings sind die herausgestellten Optionen eng mit der bestehenden Ressourcenausstattung der Jugendlichen verbunden, so dass für einige Jugendliche die Wahlmöglichkeit eingeschränkt bleibt (Ebd.). 1.4 Handlungstheoretisches Meta-Modell Das entwicklungspsychologische Verständnis von Zukunftsorientierung folgt der inneren Logik des handlungstheoretisch fundierten Metamodells der psychologischen Beratung (Schleider & Wolf, 2007). Auch dieses betrachtet eine umfassende Bedingungsanalyse, welche die relevanten Bedingungsfaktoren erfasst, als ihre Grundlage. Das handlungstheoretische Modell unterscheidet dabei die prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Risikofaktoren von den protektiv wirkenden Faktoren. Der Mittel-Weg-Analyse folgend gliedert sich daran mit der Beschreibung des angestrebten Soll-Zustands die Zielanalyse an. Daran anschließend richtet sich der Fokus der Beratung auf die Mittel anhand derer die Ziele erreicht werden können. In der abschließenden Evaluation kann nun entweder die Durchführungsphase analysiert werden, oder aber vor der Durchführung des Handlungsplans eine Abschätzung vorgenommen werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Ziel erreicht wird. 14 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Das handlungstheoretisch fundierte Meta-Modell dieser Forschungsarbeit integriert in seinem Verständnis unterschiedliche Ansätze der Beratung. So betont das Modell, angelehnt an die die systemische Beratung, die subjektive konstruierte Wahrnehmung der Bedingungen und deren Auswirkung auf die individuelle Persönlichkeitsentwicklung. Dagegen ist die starke Betonung von Ressourcen und Risiken dem ressourcenorientierten Ansatz der Beratung entliehen. Darüber hinaus bietet das handlungstheoretisch fundierte Meta-Modell (ebd.) die Möglichkeit unterschiedliche Bezugsdisziplinen in die Bedingungsanalyse zu integrieren. Dies soll im weiteren Verlauf aus der geographischen Perspektive heraus geschehen. 15 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 2. Zukunftsorientierung aus geographischer Perspektive Ich möchte zu Beginn dieses Kapitels erneut das einführende Beispiel des sich im Nebel orientierenden Jugendlichen aufnehmen. Auf Grundlage dessen Verständnisses von Existenzsicherung und Risiko lässt sich der Begriff der Zukunftsorientierung um einige Aspekte anreichern. Risiko wurde lange Zeit als negative Rahmenbedingung für das Alltagshandeln und die Existenzsicherung interpretiert. Dies galt auch für das Risiko der Existenzsicherung von Jugendlichen, namentlich der Zukunftsorientierung. Im Gegensatz dazu betonen einige jüngere Ansätze die Bedeutung des bewussten Umgangs mit Risiko als Vorbedingung für eine wirksame Existenzsicherung. So stellt Müller-Mahn (2007) in ihrem Risikoansatz etwa fest, dass erst indem beispielsweise Jugendliche mögliche Risiken und ihre Eintrittswahrscheinlichkeit bei ihrem Handeln kalkulieren und sie sich diese bewusst machen, die Bedingungen für eine erfolgreiche Lebensgestaltung entstehen. Denn wenn ein sich im Nebel orientierender Jugendlicher die Gefahr des Nebels weder wahrnehmen noch interpretieren kann, geschweige denn auf der Grundlage dieser Interpretation angemessen reagieren (sich mit dem Kompass orientieren) könnte, dann wäre er hochgradig verwundbar. Zur Verringerung der Verwundbarkeit ist ein erfolgreicher Umgang mit Risiko also untrennbar mit der Wahrnehmung und Interpretation von Gefahren oder Ressourcen verbunden (Krüger & Macamo, 200, S. 47). Dem Betroffenen wird somit im Beispiel aus dem geographischen Kontext eine aktive Rolle im System von Gefahr und Existenzsicherung zugewiesen. Wenn zu befürchten ist, dass die Zukunftsorientierung eines Jugendlichen im Falle des Scheiterns eine Gefahr für seine Existenz darstellt, dann gilt dies in voller Tragweite auch im entwicklungspsychologischen Bereich. Im Sinne der Handlungsorientierung kann also eine erste Übereinstimmung der entwicklungspsychologischen und der geographischen Auffassung von Zukunftsorientierung wahrgenommen werden. Einer derart akteurzentrierten Auffassung von Geographie, wie der gerade beschriebenen, kann vorgeworfen werden, sie vernachlässige ihre dringlichste Aufgabe einer Suche nach dem im geographischen Raum allgemeingültigen Verhalten. Stattdessen verliere sie sich in der Erfassung von unzähligen einzelnen Geographien auf der Ebene des einzelnen Akteurs (Werlen, 1999). Dieser Vorwurf ist ernst zu nehmen – 16 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch umso mehr gilt es aus geographischer Perspektive diejenigen Handlungsbedingungen zu analysieren, die auf das Handeln aller oder zumindest einer Gruppe von Akteuren in einem geographischen Raum Einfluss haben. An das hier vorgestellte entwicklungspsychologische Modell von Zukunftsorientierung ergeben sich daher gerade dort Anschlussmöglichkeiten, wo der Einfluss der Lebenswelt auf den sich entwickelnden Jugendlichen besonders groß ist. Hier steht handlungstheoretisch ausgerichteten Entwicklungspsychologie der Ansatz der handlungstheoretischen Entwicklungsforschung zur Seite. Namentlich betrifft dies den Ansatz des Sustainable Livelihoods, den Ansatz für nachhaltige Existenzsicherung. 2.1 Sustainable Livelihood Approach: Der Ansatz der nachhaltigen Existenzsicherung Im Zuge des Bedürfnisses, die Existenzsicherung von Bevölkerungsgruppen zu analysieren, hat in den letzten Jahren der Sustainable Livelihood Approach (SLA) Bedeutung erlangt. Er wurde von britischen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit entworfen, darunter das Department for International Development. Der SLA basiert auf der Überlegung, dass, wie bei den von mir bereits erläuterten Ressourcen, materielle und immaterielle Vermögenswerte und Fähigkeiten bei der Existenzsicherung eine zentrale Rolle spielen. Ziel des Ansatzes ist es, die Gesamtheit der für die Existenzsicherung zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erfassen und sie auf ihren subjektiven Stellenwert hin zu untersuchen. Der Ansatz geht hier von den Stärken und von den Bedürfnissen der Akteure aus und impliziert damit die Anerkennung der Fähigkeiten eines jeden Einzelnen, sein Leben zu meistern (DFID, 1998). Desweiteren sind die Strategien, die die Akteure einsetzen, um ihre Ressourcenausstattung zu verbessern und den Grad ihrer Verwundbarkeit möglichst zu senken, ein Gegenstand des Ansatzes (Krüger & Macamo, 2003). Der SLA versucht also die Lücke zwischen der Makroebene und der Mikroebene zu schließen, indem er die gegenseitigen Auswirkungen und Verbindungen von „Maßnahmen und Veränderungen auf der geographischen Maßstabsebene und der Mikroebene der Lebensgestaltung von Gemeinschaften und Individuen“ (Bohle, 2001) betont. Den Ressourcen gegenüber stehen die im Verwundbarkeitskontext zusammengefassten Herausforderungen der Lebensverhältnisse. Die Akteure müssen diese richtig 17 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch einschätzen und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen bewältigen. Gelingt dies nicht, sei es aufgrund einer falschen Einschätzung, dem falschen Einsatz oder schlicht aufgrund einer mangelhaften Ressourcenausstattung, ist die Existenz des Akteurs gefährdet. Ziel des britischen Department for International Development war die Schaffung eines vielseitigen Instruments für die Erfassung und Strukturierung der Existenzsicherung und ihrer Einflussfaktoren (DFID, 1998). Das Analyseraster ist jedoch nicht statisch, sondern darf als flexibles Instrument angewendet und adaptiert werden. Dies trifft auch für die Adaption an die im entwicklungspsychologischen Modell der Zukunftsorientierung beschriebene Existenzsicherung von Jugendlichen in Bangladesch zu. Auch in diesem Zusammenhang gelten die folgenden Fragen des SLA: Welche Gefährdung nehmen die befragten Jugendlichen wahr? Welche Ressourcen stehen den Jugendlichen zur Verfügung und welchen subjektiven Stellenwert nehmen sie bei ihrer Zukunftsorientierung ein? Und durch welche Strategien soll die Ressourcenausstattung verbessert werden? 2.2 Kapitalausstattung Auf die Ressourcenausstattung wurde bereits unter 1.3 aus der entwicklungspsychologischen Perspektive eingegangen. Dennoch soll sie hier noch einmal aufgegriffen werden, um sie aus der besonderen Perspektive der Geographie zwischen Sozial- und Naturwissenschaft analysieren zu können. Der SLA fasst die Ressourcen von Akteuren als einzelne Bündel zusammen und bezeichnet diese als Kapitalien. Es wird versucht, diese Kapitalausstattung möglichst umfassend zu ermitteln und einen Überblick über die Strategien, in denen sie zur Existenzsicherung heran gezogen wird, zu schaffen. Als Grundlage dienen fünf verschiedene Kategorien von Kapitalien (DFID, 1998). Das Humankapital repräsentieren die Fertigkeiten, das Wissen, die Arbeitsfähigkeit und der Gesundheitszustand eines Menschen. Jede dieser Ressourcen wirkt sich auf die Möglichkeit der Existenzsicherung, insbesondere in Form von Arbeitsleistung, aus. Da der Begriff Humankapital in letzter Zeit eine Umdeutung in Richtung einer Beschreibung der Verwertbarkeit eines Menschen für die Kapitalwirtschaft erfahren hat, 18 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch muss das ursprüngliche und hier verwendete Verständnis des Begriffs klar davon abgegrenzt werden. Das hier verwendete Verständnis von Humankapital beschreibt die Ressourcen, auf die ein Akteur im Sinne seiner eigenen Existenzsicherung zurückgreifen kann. Das Humankapital ist von grundlegender Bedeutung um im Rahmen von Existenzsicherungsstrategien von den nachfolgend beschriebenen vier Kapitalien Gebrauch zu machen. Sozialkapital: Die im Abschnitt 1.1 beschriebenen sozialen Bezugssysteme des täglichen Lebens werden durch den SLA im Sozialkapital verortet. Dazu gehören Stützsysteme wie etwa Familie, Freundeskreis oder Dorfgemeinschaft. Darüber hinaus wird zwischen sozialen Netzwerken in horizontaler Kooperationsebene mit gleicher Interessenverteilung und Netzwerken auf vertikaler Ebene, beispielsweise eines PatronKlient-Verhältnisses, unterschieden. Entscheidend für die Qualität eines Bezugssystems ist seine Stabilität in den von ihm vertretenen Werten und im moralischen Rückhalt der Jugendlichen (Albert, 2010, S. 56). Eine enge Einbindung in ein soziales Bezugssystem kann sich dabei jedoch nicht nur als positive Ressource erweisen. Insbesondere in der Wahl von Zielen und Strategien stellt eine Reglementierung der möglichen Optionen durch das Bezugssystem oftmals einen Nachteil dar. Darauf wird im Abschnitt 2.4 „Jugendliche als Entscheidungsträger“ vertieft eingegangen. Das Sachkapital beschreibt die für den Akteur zugängliche Basisinfrastruktur und seine Investitionsgüter. Die Basisinfrastruktur umfasst die Dienstleistungen und Einrichtungen, die von Menschen zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse und zur Steigerung ihrer Produktivität benötigt werden. Dies umfasst beispielsweise Krankenhäuser und Bildungseinrichtungen. Zu den Investitionsgütern zählen auch produktivitätssteigernde Güter wie Maschinen oder Werkzeuge. Im Naturkapital werden alle natürlichen Ressourcen zusammengefasst, zu denen Akteure Zugang haben. Dazu zählen Land, Wasser, Wälder, Vieh, Luft und Bodendiversität. Das Finanzkapital gliedert sich in regelmäßiges Geldeinkommen und Spareinlagen. Neben dem Sachkapital ist das Finanzkapital der wichtigste Faktor zur Bestimmung der sozioökonomischen Stellung. 19 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Die personalen Ressourcen beinhalten soziokognitive Kompetenzen der Analyse- und Urteilsfähigkeit des Jugendlichen. Gemeint sind damit die Möglichkeiten des Jugendlichen, sich ihm bietende Handlungsspielräume zu erkennen und in seine Zukunftsorientierung einzubinden, aber auch Probleme zu analysieren und bewältigen zu können. Personale Kompetenzen beinhalten auch emotionale Komponenten, allen voran eine positive Wahrnehmung der eigenen Wirksamkeit, um die eigene Zukunft gestalten zu können. Zusammengefasst sind die personalen Ressourcen die wichtigste Voraussetzung, um den Grad der Verfügbarkeit aller Ressourcen in die Zukunftsorientierung mit einzubeziehen. Ausdrücklich muss darauf hingewiesen werden, dass die Erfassung von Kapitalien nur einen Ausschnitt der gegenwärtigen Lebensverhältnisse zeigen kann und keinen Einblick in die Genese dieser Kapitalausstattung geben kann. Dabei könnte man leicht zu dem Schluss kommen, dass die Erschließung der Ressourcen für jeden dieselbe Herausforderung darstellt und damit in der Macht eines jedes Einzelnen steht. Dies würde der Realität unseres globalen Systems jedoch nicht gerecht werden (Zeller, 2004, S. 66). Vielmehr muss in diesem Zusammenhang auf die Vielzahl verschiedenster strukturalistischer Theorien verwiesen werden, wie beispielsweise die globale Enteignungsökonomie von Zeller (2004). 2.3 Verwundbarkeitskontext Wie bereits beschrieben, umfasst der Verwundbarkeitskontext diejenigen Risiken, die in den Lebensverhältnissen des räumlichen Kontexts bestehen. Die Jugendlichen müssen diese richtig einschätzen, ihre nachhaltige Zukunftorientierung wirksam an diese anpassen und gegen sie bestehen. Die Analyse der Faktoren des Verwundbarkeitskontextes ist deswegen so bedeutend, weil sie die Möglichkeiten und Ressourcen in der Zukunftsorientierung von Jugendlichen direkt beeinflussen. Eine besondere Rolle kommt dabei Veränderungen der Lebensbedingungen in Form von Schocks, Saisonalitäten oder Trends zu, da diese auch eine Veränderung der Handlungsstrategie hervorrufen (Hertlein, 2008). Die im Abschnitt Zugangsbedingungen zur zu Ressourcenausstattung den Ressourcen erwähnten wirken sich unterschiedlichen auch auf den 20 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Vulnerabilitätskontext aus. Es müssen daher neben den für alle Akteure bestehenden Risiken eines Raumes auch diejenigen Risiken in den jeweiligen Vulnerabilitätskontext aufgenommen werden, die für einen Teil einer gesellschaftlichen, oft marginalisierten, Gruppe bestehen. Dies kann auch ein für eine Gruppe bestehender Mangel an einer bestimmten Ressource sein. Somit sind die Handlungsspielräume, um sich vor einer Gefahr zu schützen, von Anfang an eingeschränkt (Krüger & Samimi, 2003). 2.4 Jugendliche als Entscheidungsträger Der im vorausgegangenen Abschnitt beschriebene Sustainable Livelihood Ansatz zeigt ein Analyseschema auf, mit dem es möglich ist, Ressourcen zu erfassen, die eine nachhaltige Zukunftsorientierung gewährleisten. Darüber hinaus wird die Mobilisierung neuer Ressourcen als Anpassungs- und Bewältigungsstrategie im Alltagshandeln untersucht. Dabei ist zwar das menschliche Handeln in den Strategien ein wichtiger Bestandteil des SLA, dies liefert aber noch keine Erklärung für die Soziologie der Entscheidung zu diesem Handeln. Es erscheint daher notwendig, die Analyse des Sustainable Livelihood mit einer Analyse der Entscheidungsinstanzen und der Verteilung von Verantwortung zu ergänzen. Diese Beobachtungspunkte vereinen Krüger und Macamo (2003) in ihrem Ansatz der handlungsorientierten Entwicklungsforschung, der in ähnlicher Form auch im Analysekonzept der Weltbank (2007) verwendet wird. In der Terminologie des SLA sind diese Entscheidungsinstanzen und Problemlöseautoritäten zwar in den Bereich des Sozialkapitals einzuordnen. Doch analysiert der handlungsorientierte Ansatz darüber hinaus, in welcher Häufigkeit und Intensität die Jugendlichen ihre Entscheidungsfreiheit einer sozialen Dependenz unterordnen müssen oder ihnen Verantwortung abgenommen wird. Folgende Fragen stellt der Ansatz also in das Zentrum seiner Analyse: - Wer beeinflusst wen bei welchen Entscheidungen? - Wann werden diese Entscheidungen im Bezug zum Handeln getroffen? - Wer trägt die Verantwortung für die Präventions-, Anpassungs- und Bewältigungsmaßnahmen? Normative Motivation dieser Analyse ist es, Jugendlichen zu unabhängigen Lebensentscheidungen zu verhelfen (Weltbank, 2007). Hintergrund dieser Notwendigkeit ist die Annahme, dass sich die Anpassungsfähigkeit einer Gesellschaft in 21 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch dem Maße erhöht, in dem sie ihren Akteuren erlaubt, neue Rollen einzunehmen. Die Akteure müssen also die Entscheidungsfreiheit haben, neue Handlungsweisen auszuprobieren, um für ihre Zukunftsorientierung neue Problemlösungsansätze zu entdecken (Krüger, 2003). 2.5 Nachhaltige Zukunftsorientierung In den vorausgegangenen Kapiteln wurde dargelegt, wie das Livelihood (Lebensgestaltung) Modell aus der geographischen Perspektive heraus zu einem Erkenntnisgewinn über die Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch beitragen kann. Bisher wurde jedoch das im SLA beinhaltete Prädikat der Sustainability (Nachhaltigkeit) noch nicht erläutert. Nachhaltigkeit kann im Zusammenhang mit der in der Zukunftsorientierung beabsichtigten Existenzsicherung als Gütekriterium verstanden werden. Dabei wäre wenig hilfreich, sich im Sinne eines Outcomes auf Eigenschaften zu konzentrieren, die im Erwachsenenalter erfüllt sein müssen. Vielmehr sind bereits das Handeln und die Strategien der jugendlichen Zukunftsorientierung nach Indikatoren der Nachhaltigkeit zu hinterfragen. Folgende Punkte können dabei aus dem SLA (DFID, 1998) adaptiert werden: - Über welche Ressourcen verfügen die Jugendlichen längerfristig? - Wie gelingt es ihnen, neue Ressourcen zu mobilisieren? - Wie gewichten die Jugendlichen die für sie verfügbaren Ressourcen in ihren Strategien der Zukunftsorientierung? Sie münden in der Frage, ob es den Jugendlichen gelingt, die Gefährdungen, die sich aus dem Verwundbarkeitskontext ergeben richtig einschätzen und bewältigen können. Eine Bewertung der Zukunftsorientierung von Jugendlichen darf jedoch keinesfalls vorgenommen werden, ohne sie dem geltenden Vulnerabilitätskontext und der jeweiligen Ressourcenausstattung gegenüberzustellen. Es ist gerade bei marginalisierten Jugendlichen nicht so, dass sie unfähig wären, ihre Zukunft nachhaltig zu gestalten. Vielmehr erlaubt ihnen ihre Ressourcenausstattung oftmals keine geeignete Strategie, um dem hohen Druck des Vulnerabilitätskontextes auf eine nachhaltige Zukunftsorientierung zu widerstehen (Zander, 2010). 22 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 3. Jugend im räumlichen Kontext der Provinzstadt Rajshahi, Bangladesch Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Handlungsbedingungen der Jugendlichen in Bangladesch. Es greift dazu exemplarische Phänomene auf, die vom Autor für die Zukunftsorientierung von Jugendlichen als relevant eingeschätzt werden. Im Rahmen dieser Arbeit können diese jedoch zum Teil nur stark verkürzt wiedergegeben werden. Die Handlungsbedingungen sind zum Einen diejenigen Ressourcen, die wie im Fall eines Schulabschlusses die Jugendlichen in ihrem Handeln stärken, auf der anderen Seite stehen die im Vulnerabilitätskontext zusammengefassten Herausforderungen und Risiken ihrer Umwelt. Als Beispiel für letzteres kann hier die Hochwassersituation angeführt werden. Bei der Analyse des räumlichen Kontexts sollen die Quellenarbeit über Zahlen und Fakten und die Erfahrungen aus dem Aufenthalt des Autors im Land selbst miteinander in Verbindung gebracht werden. Es muss also ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die subjektive Wahrnehmung des Autors einen Bestandteil der Analyse darstellt. Gerade dort, wo bisher empirische Daten zur Erfassung der erlebten Realität von Jugendlichen in Bangladesch noch nicht existieren, sollen diese Erfahrungen aus einem vierwöchigen Aufenthalt bewusst die Analyse anreichern. 3.1 Bangladesch im globalen Kontext Zwar können die Hintergründe der Armut in einem der ärmsten Länder der Erde, in dem rund 82 % der Bevölkerung weniger als 2 USD pro Tag verdienen (Weltbank, 2007, S. 350), in dieser Arbeit nicht in ihrer wirtschafts-geographischen Tiefe erklärt werden. Doch besitzen einige globale Strukturen und Prozesse für das Handeln und die Zukunft der Jugendlichen so große Relevanz, dass sie in dieser Arbeit nicht unangesprochen bleiben sollen. Bei der anschließenden Beschreibung der Lebensverhältnisse wird darauf vereinzelt nochmals Bezug genommen. Bangladesch leidet seit seiner Ausrufung als Republik im Jahr 1971 unter einem drastischen Außenhandelsdefizit. Im Jahr 2009 überschritt der Import von 20,6 Mrd. US-$ den Export um nicht weniger als 8,5 Mrd. US-$ (Statistisches Bundesamt Deutschland, 2009). Um dieses Defizit auszugleichen, ist Bangladesch in hohem Maße 23 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch von den Krediten ausländischer Geldgeber, wie etwa der Weltbank, von Staatenverbünden wie der EU oder einzelnen Staaten abhängig. Die Kreditgeber sind meist die Länder, die selbst in engen Handelsbeziehungen mit Bangladesch stehen. Weil Bangladesch über keine nennenswerten Rohstoffe verfügt, müssen die hohen Zinsen ebenso wie die Schuldentilgung mit Hilfe des durch Arbeit geschaffenen Mehrwerts erwirtschaftet werden. Der daraus resultierende Druck auf die arbeitende Bevölkerung erhöht sich in dem Maße, in dem neben der Erwirtschaftung des Zinses auch die Steigerung des Profits der in- und ausländischen Unternehmen angestrebt wird. Erscheinungsbilder dieses Drucks sind Reallohnsenkung, Arbeitsintensivierung, Deregulierung der Arbeitsverhältnisse und mangelhafte soziale Absicherung (Zeller, 2006, S. 79). In der Folge arbeiten heute viele Arbeiter Bangladeschs als Tagelöhner im informellen Sektor (Bangladesh Bureau of Statistics, 2010). Die schwierige Situation verschärft sich zusätzlich durch die Inflationsrate: Diese belief sich in Bangladesch im Jahr 2009 auf 5,42% (Statistisches Bundesamt Deutschland, 2009) bei einem gleichbleibend sehr niedrigem BNE von 590 US-$ (Statistisches Bundesamt Deutschland, 2009). Bemerkenswert ist der Anteil von rund 90% der Produktionsgüter am Export (Weltbank, 2007, S. 356), ein Wert der für den sonst rohstofflastigen Export von Entwicklungsländern ungewöhnlich ist. Er ist in Bangladesch verbunden mit niedrigen Löhnen der Arbeiter und großen Gewinnmargen der Unternehmen. Dies gilt auch für die in Bangladesch zahlreich vertretenen westlichen Unternehmen der Bekleidungsbranche. Wie sich in einigen Beispielen zeigen wird, ist die Erschließung bisher nicht für die Großproduktion erschlossener Bereiche derzeit ein bedeutender gesellschaftsbestimmender Prozess. Die kapitalistische Verwertung der Ressourcen kann also auch hier nicht als geschlossenes System betrachtet werden, sondern dringt immer weiter in neue Bereiche vor (Zeller, 2006). Stellvertretend und vorausgreifend soll hier nur die Anlage neuer Shrimp-Farmen genannt werden. Hierzu werden die ursprünglich zur Subsistenz genutzten Reisfelder nach der Vertreibung der Landbevölkerung durch international agierende Konzerne enteignet oder das Naturland der Mangrovenwälder privatisiert und nachhaltig zerstört (Falk, 2011). Dies führt dazu, dass weiterhin Millionen Menschen aus Lebenszusammenhängen herausgerissen und 24 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch auf den neu angelegten Großfarmen oder nach ihrer Abwanderung in die Provinzhauptstädte Bangladeschs von extrem niedrigen Löhnen abhängig werden. Dementsprechend gelten weiterhin 20% der Bevölkerung als extrem arm. Sie müssen mit weniger als 1.840 kcal pro Tag auskommen (Netz, 2006). Die ausgelösten Wanderungsbewegungen machen sich in einem rasanten Wachstum der Städte bemerkbar. Zwischen 2001 und 2005 wuchs alleine im Stadtgebiet Rajshahi, dem Untersuchungsgebiet der Studie, die Bevölkerung von 0,5 Mio. auf 0,8 Mio. Einwohner (WASPA, 2006 a, S. 1). Dort leben 70% der Haushalte von einem Monatseinkommen zwischen 25 und 45 Euro (WASPA, 2006 a, S. 2). 3.2 Geopolitische Einordnung von Bangladesch und der Provinzhauptstadt Rajshahi Bangladesch ist mit seinen 162 Millionen Einwohnern auf einer Fläche, die mit 130 Tausend Quadratkilometern nur doppelt so groß ist wie Bayern, das am dichtesten besiedelte Flächenland der Erde. Zwar ist das Bevölkerungswachstum zwischen den Jahren 2000 und 2005 auf 1,9% jährlich weiter gesunken (Statistisches Bundesamt Deutschland, 2010). Dennoch wird die Verteilung der Ressourcen auch die Generation der heutigen Jugendlichen im Alter zwischen 10 und 19 Jahren, die heute 21% der Bevölkerung ausmachen, vor eine große Herausforderung stellen (Unicef, 2009). Die Provinz Rajshahi ist eine von sechs Verwaltungsprovinzen Bangladeschs und besteht aus 16 Bezirken, darunter der Bezirk Rajshahi mit der gleichnamigen Provinzhauptstadt. In der Provinz Rajshahi leben rund 2,3 Millionen Menschen, 63% von ihnen wohnen in den ländlichen Gebieten der Provinz. Die Stadt Rajshahi, das Untersuchungsgebiet dieser Studie, liegt am Ostufer des Flusses Padma, der breiter bekannt ist unter seinem indischen Namen Ganges. Dieser trennt mit seinen rund 8 km Breite die 800.000 Einwohner der Stadt von ihren Nachbarn im Staat Indien. Zwar verfügt die Stadt über keinen nennenswerten Hafen. Doch sind die Vielzahl der indischen Produkte ein Hinweis auf die intensiven Handelsbeziehungen der Stadt zu ihrem Nachbarn. 25 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Religion und Kultur In der Verfassung ist neben der Demokratie und dem besonderen Wert der eigenen Nation auch die Säkularität als Ziel verankert. In der Bevölkerung bekennen sich rund 90% zum Islam. Daneben bekennen sich rund 8% zum Hinduismus, und je 1% zum Christentum und Buddhismus. Regional kann dies jedoch sehr unterschiedlich ausfallen. Eine große Mehrheit der Muslime fühlt sich in der moderaten Religions- und Kulturtradition des Sufismus verwurzelt. Dabei gilt der Einfluss der intellektuellen Kräfte des Landes auf Kultur und Religion traditionell als sehr groß (Auswärtiges Amt, 2011). Gruppen mit radikaler und extremistischer Glaubensausauslegung sind klein und stehen am gesellschaftlichen Rand. So wird von staatlicher Seite auch gegen die drakonische Fatwa, die islamische Rechtsprechung, massiv vorgegangen. Gerade in ländlichen Gebieten, auch im Einzugsbereich des Untersuchungsgebietes, kommt es dennoch vereinzelt zur Ausübung dieser Gerichtsform. Urteile wie die am 20. Dezember 2010 rund 20 km nord-östlich der Stadt Rajshahi vollstreckte Steinigung werden in den Medien geächtet. Von Seiten der staatlichen Justiz werden die Verantwortlichen des Mordes drastisch bestraft (Shiraz, 2010). Kulturell ist der traditionelle bengalische Einfluss gerade in ländlichen Gebieten und in der armen Bevölkerung noch sehr groß. Dieser gibt den Jugendlichen vor allem bei sexual-moralischen Themen und dem für Frauen vorgesehenen Handlungsrahmen klare Vorgaben. In der Oberschicht hat sich die englische Tradition der Kolonialzeit erhalten. Diese wird vor allem an den etablierten Privatschulen des Landes gepflegt (Auswärtiges Amt, 2011). Außenpolitik Bangladesch pflegt konstruktive Beziehungen zu seinen außenpolitischen Nachbarn. Dies trifft insbesondere für die wichtigsten Handelspartner Indien und China sowie die Länder der arabischen Golfstaaten zu. Da Indien, neben Myarmar der einzige direkte Nachbar, über die Oberläufe der großen Flüsse Bangladeschs verfügt, ist Bangladesch bezüglich der Menge und der Qualität des Wassers, das Bangladesch erreicht, massiv von Indien abhängig. Indien wurde seiner Verantwortung lange Zeit nicht gerecht, indem es das Flusswasser in der Trockenzeit zur Energiegewinnung und zur 26 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Bewässerung aufgestaut hat. In der Folge kam es in Bangladesch zu Trockenzeiten und Hungersnöten. Diese trafen als Anrainer des Ganges auch die Stadt Rajshahi. Die Ergebnisse der bilateralen Gespräche zwischen beiden Ländern geben aber Hoffnung für eine Verbesserung der Lage. Selbiges wäre auch dringend notwendig für eine Verbesserung des schlechten Verhältnisses zu Myanmar, unter dem vor allem die rund 400.000 Flüchtlinge leiden, die auf bangladeschischem Boden Schutz suchen. Weltpolitisch übernimmt Bangladesch im Bündnis des Commonwealth, in der Islamischen Konferenz und in der internationalen Klimadebatte Verantwortung. Desweiteren sichert Bangladesch als einer der größten Truppensteller bei UN-Einsätzen neben dem Broterwerb von 10.000 Soldaten auch die außenpolitische Anerkennung des Landes (alle Angaben diese Abschnittes: Deutsches Auswärtiges Amt, 2010). Innenpolitik Im Gegensatz zur außenpolitischen Verlässlichkeit des Landes erleben die Jugendlichen innenpolitisch sehr große Unsicherheiten. Ausschlaggebend sind seit dem Jahr 1991 die beiden unversöhnlich zerstrittenen Parteien, die „Bangladesh Nationalist Party“ unter Khaled Zia und die „Awami Leaugue“ unter Sheikh Hasina. Sheikh Hasina wurde im Dezember 2008 bei demokratischen Wahlen zur Premierministerin gewählt. Voraus gegangen waren zwei Jahre der politischen Instabilität mit schweren und gewaltsamen Unruhen im Dezember 2007, einer Übergangsregierung und deren Sturz durch das Militär. Seit Sommer 2010 kam es auch in der laufenden Legislaturperiode zu gewaltsamen Demonstrationen für höhere Löhne, die wiederum gewaltsam niedergeschlagen wurden (Deutsches Auswärtiges Amt, 2010). In der Vergangenheit spielte die Jugend im Volksbewusstsein Bangladeschs eine gewichtige Rolle. Schließlich war es die Jugend, die das blutigste Opfer für die heutige Unabhängigkeit des früheren Ost-Pakistan zahlte. Bereits 1952 in der „Sprachbewegung“ und später für die Formulierung eines 11-Punkte Plans gegen die pakistanische Unterdrückung ließen viele Jugendliche ihr Leben. Nach bestehenden Einschätzungen hat die Jugend dieses hohe Ansehen mittlerweile verloren (Chowdhurry, 2002). Die Kluft zwischen den beiden politischen Lagern zieht sich auch durch die Bildungsinstitutionen und sorgt dort für fortlaufende Unruhe zwischen den von ihnen instrumentalisierten Jugendorganisationen. Hinzu kommen radikal- 27 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch islamistische Gruppen, sowie entsprechende kommunistische Gruppierungen. Leider sind die Proteste weniger produktiv politisiert als blutig. Gewalttätige Auseinandersetzungen, gelegentlich mit Schusswaffengebrauch, bedrohen auch an den Universitäten die Studenten und das akademische Lernklima (Chowdhurry, 2002). [Abb. 2] Friedlicher Studentenprotest der [Abb. 3] Eines der vielen Plakate einer „Awami League“ auf dem Campus der als extremistisch eingestuften K- Universität Rajshahi. Gruppe auf dem Campus 3.3 Umweltbedingungen in Bangladesch und der Provinzstadt Rajshahi Klimawandel Die Lage im Deltasystem der Flüsse Padma (Ganges) und Jamuna (Brahmaputra) macht Bangladesch in hohem Maße abhängig von geomorphologischen und hydrologischen Prozessen in dieser über weite Teile amphibischen und semi-amphibischen Landschaft. Der direkt angrenzende Golf von Bengalen und die Tatsache, dass große Teile des Landes nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen, sind zwei weitere prägende Faktoren der Umwelt Bangladeschs. Sie führen die enorme Abhängigkeit von den dortigen Umweltprozessen vor Augen. Ihre Wirkung gewinnt mit dem aktuellen IPCC-Bericht an Dramatik: Er sieht das Land durch den Meeresspiegelanstieg und eine wachsende Häufigkeit von tropischen Wirbelstürmen unmittelbar bedroht (IPCC, 2007). Auch wenn der Landverlust durch den Meeresspiegelanstieg in der komplexen Küstenmorphologie Bangladeschs wissenschaftlich umstritten bleibt (Falk, 2011), muss doch angenommen werden, dass 28 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch es zu verstärkten Sturmfluten im Süden Bangladeschs kommen wird, wie zuletzt geschehen im November 2007 im Zuge des Zyklons Sidr. Ein weiteres Phänomen sind Flutereignisse entlang der Flüsse und damit einhergehende spontane Akkumulations- und Erosionsereignisse an den fruchtbaren Schwemmlandinseln (bengal.: chars). Diese Flutfolgen könnten ihre Auswirkung auf weite Teile Bangladeschs in Zukunft weiter verschärfen. Verantwortlich dafür sind mögliche Rückstaueffekte im Zuge des steigenden Meeresspiegels. Aber auch gesteigerte Abflussmengen durch die voranschreitende Gletscherschmelze im Himalaya, besonders aber im Zuge von monsunalen Regenfällen, könnten dabei eine Rolle spielen (Ahmed & Falk, 2008). Auswirkungen dieser Ereignisse auf die Jugendlichen im Untersuchungsgebiet der Provinzhautstadt Rajshahi liegen auf der Hand: Der Fluss Padma (Ganges), auf dessen alluvialer Flussterrasse die Stadt gebaut ist, steigt in der Regenzeit um bis zu 19 m an. Knapp darunter liegt das Ballungszentrum von Rajshahi. Regelmäßige Überflutungen sind dadurch saisonal die Regel (WASPA, 2006a). Tragischerweise trifft dies in besonderem Maße den armen Bevölkerungsteil der Stadt, der dazu gezwungen ist, seine unbefestigten Hütten direkt am Ufer des Flusses zu bauen. Diese informellen Siedlungsstrukturen befinden sich oft weit weniger als 19 m oberhalb des Niedrigwasserstandes. Das gilt auch für die Schwemmlandinseln, die nur ein bis zwei Kilometer dem Stadtkern vorgelagert sind. Auf ihnen siedeln und arbeiten einzelne Familien als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Dieses Beispiel veranschaulicht im Untersuchungsraum ein bangladeschweit geltendes Phänomen: Flutereignisse gehören in Bangladesch seit jeher zum natürlichen Jahresverlauf. Sie stellen durch die angeschwemmten Kleie und Schlicke die Grundlage der Fruchtbarkeit des Landes dar (Ahmed &Falk, 2008). Daher wurden von den Menschen über die Jahrhunderte Wege gefunden, mit dem Charakter dieser Landschaft umzugehen. Dennoch erscheint die Zukunft der Menschen, die in dieser Umwelt leben als hoch vulnerabel. Die weltweite Aufmerksamkeit diesbezüglich hat im Zuge der großen Beachtung des Klimawandels und seiner Folgen stark zugenommen. 29 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch [Abb. 4 und 5] Leben am und mit dem Fluss Padma. In Anbetracht der bereits beschriebenen globalen ökonomischen Prozesse, die dieses sensible System beeinflussen, scheint aber eine rein umweltdeterministische Sichtweise auf die bestehenden Probleme zu kurz zu greifen. So zwingt neben der Überbevölkerung auch die Enteignung ihrer traditionellen Flächen die Menschen dazu, in risikoreichen Gegenden zu siedeln. Hinzu kommt die Zerstörung natürlicher Schutzeinrichtungen, oft vor dem Hintergrund des ökonomisch motivierten Landnutzungswandels. Dies geschieht etwa bei der Rodung der Mangrovenwälder und der damit einhergehenden Zerstörung ihrer Funktion als natürlicher Deich. Wasserversorgung, hygienische Situation und Böden Rund 8% der Haushalte im Untersuchungsgebiet Rajshahi sind an das Wasserleitungssystem angebunden, die meisten Haushalte versorgen sich aber weiter durch die gemeinsam benutzten Pumpen mit Grundwasser. Dessen Qualität ist also für die Menschen in Rajshahi von großer Bedeutung. Jedoch überschreitet das geförderte Grundwasser, insbesondere im städtischen Bereich Rajshahis, mit hohen Mangan-, Schwermetall- und Arsenanteilen bei weitem die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WASPA, 2006a). Der Grund hierfür ist das natürliche Vorkommen dieser Stoffe in den fluviatilen Sanden Bangladeschs. Ihre Konzentration im Grundwasser verstärkt sich durch die zu starke Grundwasserentnahme in den Ballungsgebieten. Gerade Arsen bewirkt in der vorkommenden Konzentration eine schleichende Vergiftung des Körpers. Die Folge sind Hautkrebs und Organerkrankungen. 30 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Weil in der Stadt Rajshahi nur rund 50% der Haushalte an die Kanalisation angeschlossen sind und rund 10% der Haushalte keine Möglichkeit zur Nutzung einer Toilette haben, ist auch das Oberflächenwasser von schlechter Qualität (ebd.). Das Abwasser der Industrie, der Haushalte und aus den unzähligen Müllbergen fließt oberflächlich und unkanalisiert ab und mündet in die angrenzenden Reisfelder der Stadt (ebd.). Dort belastet es nachhaltig die Böden und die darauf wachsenden Feldfrüchte. Ein Teil des Oberflächenwassers sammelt sich auch in den Hochwasserauffangbehältern der Stadt. Diese werden heute kaum noch zur Trinkwasserentnahme, jedoch noch immer als Waschgelegenheit genutzt. Bei Hochwasser entleert sich dieses Wasser dann oft schwallartig in die Umgebung (WASPA, 2006b). [Abb. 6] Hochwasserauffangbehälter im Stadtgebiet Rajshahi. Unten: [Abb. 7] Wasserversorgung mit Hilfe der Grundwasserpumpe [Abb. 8] Einer der unzähligen kleinen Müllberge im Stadtgebiet Rajshahi. 31 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 3.4 Gesundheit Die Lebenserwartung in Bangladesch beträgt für Frauen 64 Jahre, für Männer 63 Jahre (Weltbank, 2007, S. 348). Rund 25% der heute 15-jährigen Jugendlichen werden statistisch ihr 60. Lebensjahr nicht erreichen (Unicef, 2010). Verantwortung für diese im internationalen Vergleich schlechten Werte trägt zum einen die bereits erläuterte prekäre hygienische Situation und die darunter leidende Qualität von Wasser und Lebensmitteln. Daneben ist es auch die mit der Armut einhergehende fehlende Grundversorgung. So leiden immer noch 50% der unter 5-jährigen an Unterernährung (ebd.). Die damit verbundenen Entwicklungsverzögerungen stellen für das ganze restliche Leben eine große Beeinträchtigung dar. Auch die mangelhafte medizinische Versorgung weiter Bevölkerungsteile trägt Verantwortung dafür. Die Provinzhauptstadt Rajshahi setzt sich mit ihrem Zentralkrankenhaus und weiteren Spezialkliniken von diesem Phänomen ab. Dazu kommen sieben Kinder- und Frauenkliniken, die verstreut über das Umland die Versorgung von Kindern und Müttern sicherstellen (WASPA, 2006a). Ihre Versorgung soll auch die in den letzten 20 Jahren von 14,8% auf 5,2% gesenkte Sterblichkeit der unter 5-jährigen weiter senken (Unicef, 2010). Noch immer haben bangladeschweit 38% der Mütter keine ausreichende medizinische Versorgung und 50% keine ausreichenden Kenntnisse über Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt (ebd.). Vermutlich ist dies auch dadurch bedingt, dass 45% der Mütter im Alter bis 25 ihr erstes Kind vor dem 19. Lebensjahr geboren haben (ebd.). 3.5 Bildung Wie die Befriedigung der meisten Grundbedürfnisse bleibt auch ein ausreichend langer Schulbesuch für viele Jugendliche in Bangladesch noch unerreicht. Dabei ist wohl den meisten Beteiligten des Bildungssystems, ob Politik, Lehrern, Eltern oder Schüler, bewusst, dass diejenigen, die eine Schule besuchen, auch im Berufsleben mehr Geld verdienen können (Richter, 2009). Ermutigend sind der Wille und die Kraft, mit der sich die Ärmsten für Veränderung einsetzen und trotz ihrer Hilflosigkeit bei den häufigen Demonstrationen ihre Rechte einfordern. Mittlerweile ist das Ziel einer „Grundbildung für alle Kinder Bangladeschs 32 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch bis 2015“ in den UN-Milleniums-Entwicklungszielen auch politisch artikuliert worden (UN Millenium Summit, 2000). So setzen sich neben der staatlichen Seite eine Vielzahl von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO’S) und das für Bangladesch zuständige UN-Department (UNDP) dafür ein, dieses Ziel zu erreichen. Tatsächlich wurde die Einschulungsrate von früher 60,5% (im Jahr 1990) auf 87,2% (Jahr 2006) erhöht und dem 100%-Ziel für 2015 somit deutlich näher gebracht (Richter&Wevelsiep, 2009). In einigen Regionen besuchen heute sogar mehr Mädchen als Jungen die Grundschule, was neben der verbreiteten Praxis, die Jungen als Arbeitskräfte einzusetzen, auch auf die vielfältigen Förderprogramme für Mädchen zurückzuführen ist. [Abb. 9 und 10] Indigene Kinder und Jugendliche im Nordosten Bangladeschs Entmutigend ist jedoch, dass die hohe Anzahl von über 50% der Jugendlichen aufgrund ihres Einsatzes als Arbeitskraft ihren Besuch an staatlichen Schulen vorzeitig abbricht. Selbst die Grundschule wird landesweit von über 33% der Schüler frühzeitig beendet. Zwar konnte im Rahmen der Programme anlässlich der Millenniums-Ziele auch der Abbrecher-Anteil von 57% im Jahr 1990 auf die genannten 33% gesenkt werden Doch dies ist nur ein schwacher Trost (Richter&Wevelsiep, 2009), denn diese Problematik trifft weiterhin die ohnehin marginalisierten Kinder und Jugendlichen. Ein Beispiel dafür sind Kinder in ländlichen Gebieten, von denen 67% die Grundschule vorzeitig abbrechen. Besonders betroffen von der geringen Schulbildung sind Kinder und Jugendliche der indigenen Minderheit, von denen rund 55,5% überhaupt keine Schule besuchen (Richter & Wevelsiep, 2009). Für die Dalits, die im traditionellen Hinduismus als „unberührbar“ geltenden Menschen, existieren noch nicht einmal annähernd 33 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch zuverlässige Zahlen. Ebenso wenig existieren diese für die Gruppe von Kindern mit sich prostituierenden Müttern. Es ist jedoch nicht nur so, dass die Programme zum Erreichen der Milleniums-Ziele einige Gesellschaftsgruppen nicht ansprechen. Auch scheint zumindest die Qualität der staatlichen Schulen unter den Programmen zur Masseneinschulung zu leiden. So beklagte es zumindest die ehemalige Bildungsministerin Fakhruddin Ahmed in einem Interview mit der deutschen Zeitschrift Netz (Masud, 2009). Sie verwies dabei auf eine Studie aus dem Jahr 2006, die erst im Jahr 2009 veröffentlicht wurde. Danach konnten 70% der getesteten Kinder am Ende ihrer Grundschulzeit weder korrekt Lesen und Schreiben noch Rechnen. So waren sie nicht in der Lage, die Überschriften in Tageszeitungen zu entziffern, und beherrschten die grundlegenden Rechenregeln nicht. Leider betrifft dies gerade die ohnehin marginalisierten Gebiete außerhalb der Städte und die Slums der Großstädte in besonderem Maße. Experten benennen hierfür eine Vielzahl von Gründen, darunter auch die unzureichende pädagogische Ausbildung der Lehrkräfte oder den hohen Stundenausfall. So werden oftmals weniger als 500 Stunden im Jahr unterrichtet (Richter, 2009, S. 10). Alle Experten nennen die Tatsache, dass ein Lehrer meistens 60 bis 100 Mädchen und Jungen gleichzeitig unterrichten muss, als großes Problem. Daneben führt eine geringe Bezahlung zu Demotivation und hohen Ausfällen der Lehrkräfte. Um jedoch den mit 52,2% heute immer noch sehr hohen Anteil von Analphabeten an der Bevölkerung über 15 Jahre (Richter, 2009, S. 10) nachvollziehen zu können, bedarf es einer intensiveren Betrachtung des traditionellen Phänomens der Kinderarbeit. Noch heute ist es vielen Familien in Bangladesch nicht möglich, auf die Einkommenshilfe der Kinder zu verzichten. Zu gering ist in vielen Fällen das Einkommen der Eltern, als dass es zur Ernährung der Familie ausreichen würde. So sind laut offiziellen Angaben heute immer noch 17,5% der Kinder und Jugendlichen und 20,9% der Jungen unter 15 Jahren wirtschaftlich aktiv (Weltbank, 2007). Das heißt, sie arbeiten innerhalb eines Referenzzeitraums von 7 Tagen mehr als eine Stunde täglich meist im familieneigenen Betrieb oder im Billiglohnsektor, etwa in Ziegeleien oder als Müllsammler. Jedoch ist auch diese Zahl aufgrund des mangelhaften Einblicks in die von Kinder- und Jugendarbeit betroffenen Branchen mit Skepsis und eher als zu 34 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch niedrig zu betrachten. Zu dieser Skepsis bewegt den Autor die ständige Präsenz von arbeitenden und bettelnden Kindern im Straßenbild Bangladeschs, wobei der Übergang zwischen beiden Aktivitäten oft fließend ist. Abb. 11 Die allgegenwärtige Kinderarbeit: Vater Abb. 12 und Sohn arbeiten in der Garküche gemeinsam Fest steht, dass das Entwicklungsziel der ökonomischen Selbstständigkeit unter den gegebenen Umständen weit in das für Schulbildung relevante Alter hineinreicht. Dabei müssen 36,7% der arbeitenden Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren Arbeit und Schulbesuch unter einen Hut bringen (ebd. S. 334). Viele dieser Kinder und Jugendlichen gehen also vormittags zur Schule und arbeiten den restlichen Tag über, oft bis spät in die Nacht. Dass sich dies, wie von der Weltbank (ebd. S. 119) beklagt, negativ auf den Übergang von der Grundschule auf eine weiterführende Schule und auf das Erreichen eines Abschlusses der Sekundarschule auswirkt, liegt auf der Hand. Letzteres ist anhand der geringeren Schulbildung von Jungen zwischen 12 und 14 Jahren, wie auch diejenige der 15 und 17 Jahren (ebd.) nachzuvollziehen (siehe: Abb. 11). Dass bei den Jugendlichen mit Schulbildung die Anzahl der Jungen die der Mädchen in diesem Alter unterschreitet, liegt zum einen an der gesteigerten Arbeitsfähigkeit der männlichen Jugendlichen in diesem Alter. Weiterhin ist diese Umkehrung der traditionellen Beteiligung an Bildungsinstitutionen sicher auch eine Folge des großangelegten staatlichen „Bangladesh Female Secondary School Stipend Program“. Den Mädchen im Alter von 11 bis 14, denen bisher oftmals mit dem Einsetzen der Pubertät der Schulbesuch untersagt wurde, wird im Rahmen des Programms Geld auf ein für sie speziell eingerichtetes Konto überwiesen. 35 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Grundbedingungen hierfür sind gute Leistungen und der Verzicht auf eine Heirat in diesem Alter. Generell ist zur Thematik der Kinderarbeit anzumerken, dass nicht alleine die Tatsache zu beklagen ist, dass Kinder und Jugendliche unter 15 arbeiten müssen. Dieser aus heutiger, mitteleuropäischer Sicht verwerfliche Umstand relativiert sich durch die dortigen, teils prekären Bedingungen der Existenzsicherung. Zu beklagen ist aber auch der Umstand, dass den Ärmsten der Gesellschaft durch die unzureichende Erschließung der Ressource Bildung des Humankapitals die Erschließung vieler anderer Ressourcen verwehrt ist. Dieser relative Nachteil bei der Zukunftsorientierung führt dazu, dass die Betroffenen nicht an der Entwicklung ihres Landes partizipieren können und Armut sich vererbt. 3.6 Schulen – der Grundstein zur Bildung Um den Jugendlichen die Ressource der Grundbildung in dem durch die MillenniumsZiele bis zum Jahr 2015 geforderten Maße zu gewährleisten, sind sowohl von staatlicher als auch von nicht-staatlicher Seite Anstrengungen spürbar, das dazu notwendige Sachkapital zu stellen. Zwar finanziert der Staat Bangladesch mit nur 2,8% seines BIP sein Bildungssystem - dies ist nur rund die Hälfte der von den UN empfohlenen 6%. Doch für Bangladesch sind dies immerhin 15,8% der gesamten Staatsausgaben (UNESCO Institute for Statistics, 2009). Davon fließen 12% in die Hochschulbildung, während die restlichen 88% je zur Hälfte in den Primar- und den SekundarBildungsbereich fließen. Dies soll in Zukunft zu Gunsten der Primarbildung verändert werden. Die staatlichen Einrichtungen finanzieren sich jedoch nicht ausschließlich aus staatlichen Geldern. So stammt fast ein Drittel des Geldes für diese Infrastruktur aus Schul- und Studiengebühren. Dies setzt sich trotz einer allmählichen Befreiung von Schulgebühren in versteckten Gebühren, etwa für Bücher, Materialien, Prüfungen und Verwaltung weiter fort. Diese Gebühren der staatlichen Schulen übersteigen jedoch die Möglichkeit vieler armer Familien um ein Vielfaches (Richter & Wevelsiep, 2009). So besuchen heute rund 40% der Grundschüler eine private Bildungseinrichtung (Richter, 2009). Weil diese Einrichtungen unentgeltlich sind, besuchen vor allem viele Kinder der 36 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch ärmsten Familien eine Schule einer Nichtregierungsorganisation (NGO). Dies gilt auch für die Madrashas, die Koranschulen, deren Anzahl sich im Zeitraum von 1996 bis 2005 auf rund 26.000 verdoppelt hat. Sie machen heute immerhin rund 30% aller Bildungsinstitutionen aus (Bangladesh Bureau of Statistics, 2007). [Abb. 13] Die vorschulische Bildung steckt [Abb. 14] Allgegenwärtig ist auch die Werbung noch in ihren Anfängen für Privat-Schulen [Abb. 15] Staatliches College in Rajshahi: Hier werden vor [Abb. 16] In einem allem Jugendliche aus ärmeren Familien unterrichtet. Klassenzimmer der staatlichen Grundschule in Puthia Da die bereits erläuterten Qualitätsprobleme an staatlichen Bildungseinrichtungen von vielen ökonomisch etablierten Familien nicht mehr akzeptiert werden, wächst die Anzahl der privaten Bildungseinrichtungen. So existierten im Jahr 2005 eineinhalb Mal 37 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch so viele private Bildungseinrichtungen wie noch 1996-1997. Dies betrifft neben den Colleges in besonderem Maße die Universitäten, deren Anzahl sich seitdem auf rund 60 im Jahr 2005 mehr als verdreifacht hat. In diesem Zusammenhang wächst auch die Anzahl von fakultativen Nachhilfeinstitutionen, die zahlenmäßig heute immerhin 6,99% aller Bildungsinstitutionen ausmachen und im Alltag der etablierten Jugendlichen eine große Rolle spielen (Bangladesh Bureau of Statistics, 2007). Die Folgen der fortschreitenden Erschließung der Spitzenbildung durch die Privatwirtschaft bei gleichzeitigem Rückzug der staatlichen Institutionen aus diesem Bereich sind in den kommenden Jahren noch empirisch zu evaluieren. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass der ärmeren Bevölkerung der Zugang zur Spitzenbildung in Folge dessen weiterhin verwehrt bleibt. [Abb. 17] In einer zusätzlichen Grundschulklasse [Abb. 18] Neubau des privaten Paramount ermöglichen Schüler und Lehrer des privaten Colleges: Ermöglicht wurde der Bau unter Paramount-Colleges, Rajshahi, den extrem armen anderem durch die Unterstützung der Familien eine Grundbildung für ihre Kinder. Deutschen Bank. 3.7 Sozialkapital In der Großfamilie oder im nachbarschaftlichen Umfeld stehen die Jugendlichen und ihre Angehörigen in engem Kontakt und in Verantwortung füreinander. Gerade bei der oft prekären materiellen Kapitalausstattung scheint die Bedeutung des sozialen Kapitals als umso bedeutsamer. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür belegten Boris Braun und Tibor Aßheuer (2011) in ihrer Forschungsarbeit zu Risikostrategien von Slumbewohnern in Dhaka gegenüber der Vulnerabilität durch die monsunal bedingten 38 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Überschwemmungsereignisse. Sie stellten fest, dass auch die Bevölkerungsteile mit prekärer materieller Kapitalausstattung in der Lage waren, diese Gefahr in ein kalkulierbares Risiko zu verwandeln und sie bewältigen. Dabei stützte sich ihre Risikostrategie fast ausschließlich auf das System des sozialen Kapitals auf der Handlungsebene der Haushalte. Damit diese sozialen Stützsysteme eine Gefahr effektiv bewältigen können, müssen sie im täglichen Leben stabil praktiziert und von Kind auf eingeübt werden. So sind die in den Slums gemeinsam genützten Kochstellen neben der Funktion der Kostenersparnis ein zentraler Treffpunkt der weiblichen Lebenswelt. Der männliche Teil der Gesellschaft trifft sich hingegen, in seiner Freizeit von den Frauen meist getrennt, in der zentralen Hütte der Nachbarschaft vor dem gemeinsam genutzten Fernseher oder zum Brettspiel. Auf diese Art und Weise erfolgt die Erziehung der Kinder und Jugendlichen in Familien mit geringer materieller Kapitalausstattung geschlechtergetrennt. [Abb. 19] Großfamilie im ländlichen [Abb. 20] Abendliches Brettspiel in einem Slum Bangladesch. entlang des Ganges, Rajshahi. Patron-Klient-Verhältnisse sind innerhalb der sozialen Netzwerke weniger stark ausgebildet, als aus den südamerikanischen Favelas bekannt. Sie beschränken sich auf das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Tagelöhnern des informellen Sektors. Die geschilderten familiären und nachbarschaftlichen sozialen Netzwerke dienen der gemeinsamen Existenzsicherung. Innerhalb dieser Netzwerke besteht aber eine klare Verteilung der Entscheidungsgewalt. Sie liegt, eine gesunde Geisteskraft vorausgesetzt, bei den ältesten Mitgliedern der Familien. Ihre Verantwortungsbereiche sind je nach Geschlecht voneinander getrennt. Die Frauen führen das Entscheidungsmonopol über 39 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch häusliche, wirtschaftliche und Erziehungsfragen. Die Männer tragen Verantwortung für die strategischen Lebenswegentscheidungen wie Heirat oder Migration. Wie sehr die Entscheidungsgewalt der Jugendlichen zu Gunsten der Familienoberhäupter verlagert ist, beschreibt auch eine Studie der Weltbank (2007) (siehe Abb. 21). Auffallend ist dabei die von den männlichen Jugendlichen als gering wahrgenommene Entscheidungsfreiheit bei Bildungsfragen. Besonders erschreckend ist jedoch das geringe Ausmaß an Entscheidungsfreiheit, das die weiblichen befragten 15bis 24-jährigen bezüglich ihrer Eheschließung angaben. Da arrangierte Heiraten in fast allen gesellschaftlichen Milieus, von modern bis konservativ, eine anerkannte und gewöhnliche Praxis sind, überrascht dieser Umstand aber kaum. Gerade in den ärmeren Schichten der Gesellschaft bietet die Heirat den Mädchen die einzige Möglichkeit der nachhaltigen sozialen Absicherung. Dies erklärt auch die immer noch erschreckend hohe Zahl von 66% aller Mädchen, die vor dem Beginn des 19. Lebensjahrs heiraten (Unicef, 2010). Von staatlicher Seite ist dies zwar, wie auch das an die Familie des Bräutigams zu zahlende Brautgeld, bereits seit 1976 verboten, in breiten Gesellschaftsschichten aber trotzdem die Regel. Weil das zu zahlende Brautgeld mit dem Alter der Braut steigt, entsteht zusätzlicher Druck auf eine frühe Verheiratung. [Abb. 21] Prozentsatz der 15- bis 24-Jährigen, deren Antwort „ich“ (und nicht Eltern, Staat oder anderes) lautete, als sie sinngemäß gefragt wurden: „Wer hatte den größten Einfluss auf Entscheidungen im Bezug auf Ihren derzeit zuletzt ausgeübten Beruf, die Dauer Ihres Schulbesuchs und Ihren Ehepartner?“ Leider macht die Weltbank (2007, S. 112) keine Angaben über Normgruppe und Sampling bei dieser Studie. Zur besseren Einschätzung wurden hier Werte der Bezugsnormgruppen aus dem Irak und Äthiopien beigefügt. 40 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Im Zusammenhang mit der geringen Entscheidungsfreiheit der Jugendlichen beklagt die Weltbank den daraus hervorgehenden Innovationsnachteil der einzelnen Jugendlichen bei ihrer Zukunftsorientierung. Daraus, so die Weltbank, würde sich auch ein Innovationsnachteil für die bangladeschische Gesellschaft ergeben. Der Schluss, inwiefern dieser Nachteil die Vorteile gewachsener sozialer Stützsysteme überwiegt, ist auch von der Art der jeweils zu bewältigenden Gefährdung und der Nachhaltigkeit von Veränderungen abhängig. Bei spontan eintretenden Schadensereignissen (Bsp. Hochwasser) ist sicherlich die Stützfunktion der Netzwerke wesentlich. Bei nachhaltigen Veränderungen kommt es hingegen auf Innovationsfähigkeit an. Soziale Stützsysteme auf nationaler Ebene entstehen vermehrt seit 2008. Die Errichtung solcher Systeme in einem Land mit 30 Millionen extrem armen Menschen und großer Korruption ist besonders hinsichtlich einer fairen Verteilung der Gelder schwierig. Aber neben neuen Programmen zur Alterssicherung zeigen auch die bereits beschriebenen Programme zur Grundbildung für Mädchen, dass die Initiativen nicht wertlos sind. Ein wichtiger finanzieller Beitrag für die sozialen Stützsysteme auf der Mikroebene wird inzwischen gelegentlich auch durch Rücküberweisungen von ein oder mehreren im Ausland arbeitenden Mitgliedern des Netzwerks geleistet. So übersteigt die Summe der jährlichen Rücküberweisungen von 9 Milliarden US-$ seit einigen Jahren die Summe der ausländischen Entwicklungshilfe und rangiert auf der Rangliste der wichtigsten Deviseneinkünfte auf Platz zwei nach der Textilindustrie (ILO, 2005). Bangladesch hat mit 10% Anteil am BIP eine der relativ höchsten Summen an Rücküberweisungen in der Welt. Der Druck, den die Jugend auf sich verspürt, um im Ausland ihrem sozialen Netzwerk Finanzkapital zu erarbeiten und auf diesem Weg zur Existenzsicherung beizutragen, ist daher wohl in manchen Fällen groß. So hätten sich, eine legale Option vorausgesetzt, im Jahr 2007 ca. 70% der männlichen und 60% der weiblichen 15- bis 24- jährigen für eine zeitlich befristete Auswanderung entschieden (Weltbank, 2007). In den gut ausgebildeten Bevölkerungsgruppen, ist der Anteil jedoch weit höher. Zum Beispiel verließen nach der Angabe des International Labour Office (ILO, 2005) im Jahr 2000 rund 223.000 Menschen das Land, von denen knapp 45% studierte Fachkräfte waren. Ein Phänomen, das sich im Gespräch mit Studierenden an den Universitäten nachvollziehen lässt. Haupteinwanderungsland für 41 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch die arbeitsuchenden Auswanderer war Saudi Arabien (ILO, 2005). Neben der Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten, ist auch die Aus- und Weiterbildung in den Staaten Amerikas und Europas insbesondere für junge Akademiker hoch attraktiv. Letztlich resultieren daraus für Bangladesch existenzielle Zukunftsfragen: Wie gelingt es, die sozialen Stützsysteme über die räumliche Distanz hinweg aufrechtzuerhalten? Und wie gelingt es, die jungen Bangladeschis mit Auslandserfahrung in ihrer Heimat so wiedereinzugliedern, dass sowohl für sie eine Rückkehr in Frage kommt, als auch ihre Mitmenschen davon profitieren können? Gelingt es nicht, diese Fragen positiv zu klären, verliert Bangladesch die für seine nachhaltige Entwicklung unverzichtbaren gut ausgebildeten Jugendlichen im Sinne eines „brain-drain“ zu Gunsten des wirtschaftlich entwickelten Auslands. Dies hätte katastrophale Folgen für die bangladeschische Gesellschaft und alle sich darin befindenden sozialen Netzwerke. [Abb. 22] Die in dieser Runde zu sehenden [Abb. 23] Die Braut am dritten und bangladeschischen Doktoranden streben alle eine letzten Tag ihrer Hochzeit. Ab der zunächst zeitlich begrenzte Auswanderung in einen nächsten Nacht wird sie ihr Leben auf der westlichen Industriestaaten an. ihren zukünftigen Ehemann auszurichten haben, den sie 24 Stunden vorher kennengelernt hat. 3.8 Mikrokredite – Finanzkapital auf Pump? Seit der Etablierung von Kleinkrediten und der Gründung der Grameen-Bank durch den Nobelpreisträger Mohammed Yunus ergibt sich seit 1983 neben der Auswanderung eine weitere Handlungsoption in der Zukunftsorientierung. Da für die Jugendlichen der 42 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch armen Bevölkerung eine Auswanderung meist nicht denkbar ist, stellt diese in der Heimat erschließbare Ressource eine wichtige Option dar. Mikrokredite werden vornehmlich durch NGO’s im Rahmen von Gruppendarlehen vergeben, um eine Risikoabfederung zu gewährleisten. Gerade armen Jugendlichen, die über keine Besicherungen verfügen und denen so die traditionelle Kreditnahme nicht möglich ist, wird dadurch ein Startkapital ermöglicht. So erhielten laut Angaben der Weltbank (2007) bereits 17% der Kreditnehmer ihr erstes Darlehen vor dem 25. Lebensjahr. Jedoch greift bei jugendlichen Kreditnehmern das von den Kritikern der Mikrokredite vorgetragene Argument der unverhältnismäßig hohen Verzinsung und insbesondere der mangelnden Projektbegleitung in hohem Maße. Hohe Zinsen verlangten in letzter Zeit ökonomisch motivierte Partnergesellschaften von international agierenden Banken. Die Folgen der Erschließung dieses ursprünglich wohltätig motivierten Bereichs der sozialen Netzwerke und NGOs durch den internationalen Kapitalmarkt sind bisher nicht abzusehen. Beklagt werden muss jedenfalls die Gleichgültigkeit, die solche Institutionen, oft auch staatlich gelenkter Entwicklungszusammenarbeit, den empfindlichen bestehenden Systemen entgegenbringen. Wirken sich doch die mit der Verschuldung verbundenen Probleme einer langfristigen und existenziellen Abhängigkeit besonders nachhaltig auf die Zukunftsorientierung von Jugendlichen aus. Gerade weil die Kreditvergabe an Jugendliche in der letzten Zeit intensiviert wurde, ist eine erste Auswertung der bestehenden Erfahrungen überfällig. 3.9 Naturkapital – Zukunft in der Landwirtschaft? Für drei Viertel der Bevölkerung Bangladeschs, die in einem der unzähligen Dörfer der ländlichen Gebiete Bangladeschs leben, ist die Abhängigkeit von den im Naturkapital zusammengefassten Faktoren wie Wasser, Bodendiversität, Land und Wälder immer noch groß. Auch in der Provinz Rajshahi sind 39% der Haushalte nur von der Landwirtschaft abhängig und selbst im städtischen Untersuchungsgebiet leben 61% der Haushalte auch von landwirtschaftlichen Erträgen. Das Hauptanbauprodukt der Landwirtschaft ist Reis, welches auch das Hauptnahrungsmittel der einheimischen Bevölkerung darstellt. Dabei wird momentan in Bangladesch nicht genug Reis im Land selbst erwirtschaftet, um die Bevölkerung zu 43 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch ernähren, so dass Reis teuer importiert werden muss. Verantwortlich dafür ist der intensive Anbau anderer Erzeugnisse, die exportiert werden und für den heimischen Absatzmarkt zu teuer sind. Ein Beispiel für solch eine „cash-crop“ ist etwa Tee, der in einigen Regionen des Untersuchungsgebietes mit hoher Intensität angebaut wird. links: [Abb. 24]Zwischen den großen Teeplantagen muss sich der Anbau von „food-crops“ auf ein Minimum an Platz beschränken (Srimangal, Nordbangladesch). oben: [Abb. 25] Teesäcke für den Export [Abb. 26] Der Vergleich zeigt den hohen Da der Ertrag der Kleinbauern für eine vollständige Subsistenz oft nicht ausreicht, sind Zusammenhang zwischen sie gegenüber negativen Veränderungen ihres Naturkapitals wie etwa Dürreereignisse der Verbreitung von hoch vulnerabel. Unter solchen Umständen erzwingt der Schuldendienst oftmals den Armut und den Löhnen der Landarbeiter. Landverkauf. In der Folge hat die Anzahl der landlosen Landarbeiter in jüngsterDiese Zeit Entwicklung sich stark zugenommen (Wilms, 2005, S. 61). Sie finden Anstellung bei den zeigt wenigen besonders im District Großgrundbesitzern, denen ein Großteil der landwirtschaftlichen Fläche gehört. Der Rajshahi mit Tageslöhnen Tageslohn beträgt dabei oft nur einen Teller Reis und einen Barbetrag von weit unter von oft unter 60 Cent. einem US-$ (siehe Ab. 27). 44 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch links: [Abb. 27] Arbeitende Mädchen in den Teeplantagen Srimangals rechts: [Abb. 28] Der Kontrast zwischen dem von der Arbeit gezeichneten Jungen und dem modernen Traktor auf einer Schwemmlandinsel könnte nicht größer sein: Der Traktor, das Land, und das Haus seiner Familie gehören einem Großgrundbesitzer der Region. Der Junge arbeitet ca. seit seinem fünften Lebensjahr und hat noch nie eine Schule von innen gesehen. [Abb. 29] Damit mit dem Dung kein [Abb. 30] Ein Kleinbauer mit seinem Sohn bei der Heizmaterial verloren geht, muss der Feldarbeit Junge die Kuh schnell an Land treiben. 45 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Viele der Tagelöhner in der Landwirtschaft sind unterernährt und leiden unter der mangelnden medizinischen Versorgung. Mit dem Verlust des Naturkapitals ihrer Eltern verlieren die Kinder und Jugendlichen dieser Familien meist ihre letzte materielle Ressource. Faktisch werden dadurch Abhängigkeiten geschaffen, die wie eine Fortdauer der Sklaverei erscheinen. Es ist daher zu befürchten, dass die Vulnerabilität der Jugendlichen besonders im ländlichen Bangladesch in Zukunft weiter steigt. 3.10 Zusammenfassung Die sensible Umwelt Bangladeschs steht unter enormem Druck: Die Veränderung natürlicher Faktoren im Zuge des Klimawandels und der immer weiter wachsende Erschließungs- und Nutzungsdruck bewirken in ihr drastische und schnelle Veränderungen, die ein Risiko für die Jugendlichen darstellen. Dadurch ist auch ihre Gesundheit als wichtige Voraussetzung ihrer Zukunft akut bedroht. Aufgrund der großen Abhängigkeit vieler ländlicher Familien vom Naturkapital wirkt sich dies gravierend auf die Zukunft der Jugendlichen aus. Bisher scheint der Staat kaum imstande zu sein dieses Risiko wirklich aufzufangen. Hier sind die Jugendlichen im hohen Maß von ihrer eigenen Ressourcenausstattung abhängig. Dementsprechend werden große Umbrüche im Bereich der Infrastruktur, wie etwa im Bildungsbereich, zum Kampf um die Erschließung und Nutzung neuer Ressourcen und letztlich zur sozialen Frage. Dabei sind die Jugendlichen fast immer eingebunden in das enge soziale Netzwerk ihrer Großfamilie. Dieses beeinflusst durch Unterstützung, aber auch durch Einschränkung das Handeln der Jugendlichen in großem Maße. Die bisherige Betrachtung der Lebensverhältnisse von Jugendlichen im räumlichen Kontext der Provinzhauptstadt Rajshahi stellt – wie die meisten existierenden Veröffentlichungen über die Lebensverhältnisse von Jugend in Bangladesch – eine Beschreibung großräumiger Phänomene dar. Sie ist notwendigerweise durch die Sichtweise des Außenbetrachters bestimmt. Darüber, wie die jugendlichen Akteure selbst ihre Umwelt wahrnehmen, gibt es bisher keine zusammenhängenden empirischen Erkenntnisse. Was nehmen die Jugendlichen als handlungsbestimmend wahr? Wie bewerten sie ihre eigene Zukunft und die ihrer Gesellschaft? Und welche Schlüsse ziehen sie daraus für ihr Handeln? Dies ist Gegenstand der folgenden Kapitel. 46 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch [Abb. 31] Welche Ressourcen werden der nächsten Generation zur Verfügung stehen um sich, wie mit einem Schirm, vor den Risiken der Zukunft zu schützen? 47 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 4. Ausrichtung der Analyse 4.1 Fragestellung Mit dem Verwundbarkeitskontext und der Ressourcenverteilung von Jugendlichen in Bangladesch wurde auf die äußeren Handlungsbedingungen eingegangen. Dem gegenüber steht die innere Verarbeitung dieser Bedingungen, die nun in besonderer Hinsicht auf die Zukunftsorientierung untersucht werden soll. Hierzu dient eine Befragung von Jugendlichen im Land, die der Verfasser initiiert und durchgeführt hat. Um eine internationale Vergleichbarkeit zu erreichen, definiert die Studie Jugendliche als junge Menschen zwischen 15 und 21. Ziel der generierenden Fragestellung ist es, durch das Aufzeigen von unterschiedlichen Verarbeitungsformen der äußeren Bedingungen die Merkmale der Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch zu beschreiben. Dabei sollen erfolgversprechende Strategien, aber auch durch schwierige Bedingungen und mangelhafte Zukunftsstrategien auftretende Probleme bei der nachhaltigen Zukunftsorientierung aufgezeigt werden. Die Fragestellung ist entwicklungspsychologisch ausgerichtet. So sollen anhand von transkribierten Interviews Aussagen über den emotionalen, den kognitiven und den Handlungs-Hintergrund der Befragten gemacht werden. Hinsichtlich der biographischen Entwicklung sind dabei sowohl ihre gegenwärtige Situation als auch ihre Ziele und Einschätzungen für die Zukunft Gegenstand der Analyse. Ein besonderes Augenmerk legt die Analyse auf Handlungen und Handlungspläne zur Bewältigung von Zukunftszielen. Die Analyse der Zukunftsorientierung folgt dabei dem Meta-Modell des handlungstheoretisch fundierten Praxismodells (Schleider & Wolf, 2007). Zunächst ist es von Interesse, mit welchen Handlungen und in welchen Aktionsfeldern die Jugendlichen ihren Tag gestalten. Dies lässt sich anhand einer Beschreibung eines aktuellen Tagesverlaufs durch den Jugendlichen erfassen. Um Hinweise auf sich anbahnende Veränderungen zu ermitteln, wird der Frageschwerpunkt auf das mit dem Handeln verbundene emotionale Erleben der Jugendlichen gelegt. 48 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Die in einem zweiten Frageabschnitt vorgenommene Analyse der Ziele und Wünsche der Jugendlichen soll sich auf den überschaubaren Zeitrahmen der Verwirklichung von "sofort" bis "in fünf Jahren" konzentrieren. Welche Aspekte dabei angesprochen werden, ist den Jugendlichen selbst überlassen. Von besonderem Interesse sind aber Familie, Partnerschaft und Berufsleben. Die übergeordneten Entwicklungsaufgaben sind aus den Zielen interpretativ abzuleiten, liegen sie doch meist nicht auf der Wahrnehmungsebene der Jugendlichen. Auf die Diskrepanz zwischen aktueller Situation und Zukunftsvorstellungen aufbauend, sollen die Jugendlichen in einem dritten Fragenkomplex nach den von ihnen bereits gewählten und den in Zukunft angestrebten Handlungsoptionen befragt werden. Von Interesse ist auch die Wahrnehmung von jenen Ressourcen, die die Jugendlichen für ihre Zukunftsorientierung als notwendig erachten, über die sie aber nicht verfügen. Bezüglich der forcierten Handlungsoption sind auch personale Dependenzen Teil der Fragestellung. Abschließend ist mit dem Optimismus bezüglich der Zielverwirklichung wieder der emotionale Hintergrund der Jugendlichen von Interesse. Teil der Analyse ist schließlich auch die Einschätzung der Entwicklung der bangladeschischen Gesellschaft durch die befragten Jugendlichen. Neben der kognitiven Wahrnehmung der gesellschaftlichen Entwicklung sind hier besonders das Maß der persönlichen Betroffenheit und die daraus abgeleiteten Handlungsoptionen der Jugendlichen von Interesse. 4.2 Design und Prozess der Studie Zur Bearbeitung dieser Fragen wird in der explorativen Studie auf qualitative Befragungen zurück gegriffen. Durch eine hohe Varianz der untersuchten Fälle soll ein möglichst umfassender Blick auf die Jugend in Bangladesch ermöglicht werden. Da die Fragestellung nach der Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch bisher kaum wissenschaftlich aufgearbeitet ist, kann diese Studie inhaltlich nicht in bereits vorhandene Theorien eingebunden werden. Lediglich der Analyseansatz und die Analysemethode kann an bereits vorhandene Verfahren und deren Begründung anknüpfen. 49 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Die Studie versteht sich als Momentaufnahme der bei den Jugendlichen unterschiedlich ausgeprägten Ansichten und Einsichten in ihre jeweilige Zukunftsorientierung. Diese Zustandsbeschreibung kann durch die Jugendlichen retrospektiv ergänzt werden. Etwa können die Jugendlichen Beispiele vergangener Zielverwirklichungen in ihre Zustandsbeschreibung mit einfließen lassen. Nach der Erhebung dieser Verarbeitungsformen innerer und äußerer Handlungsbedingungen werden diese im kontrastierenden Vergleich analysiert (Flick, Von Kardoff & Steinke, 2005). Vorrangiges Ziel der Studie ist also nicht das Erlangen von Daten mit allgemeiner Gültigkeit und abgesicherter Repräsentativität. Vielmehr steht die Zukunftsorientierung des einzelnen Jugendlichen im Vordergrund, die im persönlichen Gespräch ermittelt wurde und hier in ein möglichst breites Bild eingefügt werden soll. Eine größtmögliche Gültigkeit soll dabei durch die „Betonung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit“ (Flick et al., 2005) gewährleistet werden. Die Dokumentation des Forschungsprozesses ist daher ein zentrales Element der Studie. Diesem Anspruch soll durch eine Beschreibung der Methodik und der einzelnen Analyseschritte, aber auch bei der Reflexion der konkreten Erhebungssituation im Rahmen der Vorstellung der einzelnen Jugendlichen nachgekommen werden. Dies ist umso bedeutender, als dass die hier dargestellte Analyse nicht als linear, d.h. von der Abfolge strikt vorgegeben, verstanden werden darf. Dies gilt sowohl für die Fragestellung des Interviewleitfadens als auch für die einzelnen Schritte der qualitativen Inhaltsanalyse von Mayring (2007). Vielmehr ist der in dieser Arbeit dargestellte Stand bei jedem dieser Schritte in einigen Zirkeln mit den Einzelschritten der Formulierung, Auswertung, Evaluation und Überarbeitung modelliert worden. Die Grenzen dieser Modellierung sind durch das straffe Forschungsdesign vorgegeben (Flick et al., 2005), dessen Methodik im Folgenden näher erklärt werden soll. 4.3 Methodik 4.3.1 Festlegung des Datenmaterials Das hier vorgestellte Material wurde im Rahmen der Examensarbeit zur „Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch“ erhoben. Die Datenerhebung fand in der ersten Dezemberhälfte des Jahres 2010 statt. Das Material umfasst die 50 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Transkription, die Basisdaten und ein von der Leitung des Interviews erstelltes Beobachtungsprotokoll aus sechs verschiedenen Interviews. Dabei wurde mit je einem Interviewpartner ein Interview durchgeführt. Der Stichprobenumfang von sechs befragten Personen wurde den in einer Examensarbeit zur Verfügung stehenden Ressourcen und dem organisatorischen Aufwand vor Ort ökonomisch angepasst. Grundbedingung war neben einer repräsentativen Gleichverteilung der Geschlechter eine Varianzmaximierung bezüglich der Faktoren Bildung, Alter und sozio-ökonomischer Hintergrund. Die Stichprobe umfasst Jugendliche im Alter zwischen 15 und 20 Jahren. Für die Faktoren Bildung und sozio-ökonomischer Hintergrund ist es gelungen, drei Fallgruppen zu gestalten (Flick et al., 2005). Die erste Gruppe umfasst die befragten Jugendlichen ohne Bildungshintergrund und aus sehr armen Verhältnissen. Eine zweite Gruppe umfasst die Jugendlichen aus armen Verhältnissen, jedoch mit Anschluss zur mittleren Bildung. Die dritte Gruppe umfasst sowohl aus sozio-ökonomischer Sicht, als auch aus dem Gesichtspunkt der Bildung die Jugendlichen aus der relativen Elite des Landes. Dabei umfasst jede Gruppe zwei Jugendliche, und zwar jeweils ein Mädchen und einen Jungen. Ob die interne Homogenität im Bereich der Bildung und des sozioökonomischen Hintergrunds ausreicht, um eine konsistente Replikation der gesellschaftlichen Gruppen zu gewährleisten, oder ob eine andere Typisierung für die Beantwortung der Fragestellung sinnvoller erscheint, ist jedoch erst nach einer strukturierten Analyse des Materials ersichtlich. Um eine solch geartete Stichprobe zu erreichen, ist die Stichprobenziehung deduktiv erfolgt (ebd.). Dabei ging es aber weniger darum, ein festes Raster einzuhalten, als mit einer gezielten Auswahl der Varianzmaximierung nachzukommen. Ersteres wäre organisatorisch kaum umsetzbar gewesen, da vom Leiter der Studie lediglich eine Vorentscheidung über das soziale Feld der Stichprobe getroffen werden konnte. Die eigentliche Fallauswahl wurde dann bei vier Stichproben durch den Gatekeeper (ebd.) getroffen. Die Gatekeeper waren in je zwei Fällen die Schulleiter der von den Jugendlichen besuchten Colleges. Beide Schulleiter gaben an, sie hätten die Wahl der Stichproben aus den Gesichtspunkten der Zeitverfügbarkeit und der Fähigkeit zur Reflektion und Artikulation heraus gezogen. Es liegt jedoch nahe, dass der Stolz auf 51 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch „ihre“ leistungsbereitesten Schüler die Stichprobenziehung ebenfalls beeinflusst hat. Eine eventuelle Verschiebung der Ergebnisse muss daher bei deren Interpretation mit einberechnet werden. Die Gatekeeper konnten mithilfe des bangladeschischen Betreuers der Studie gewonnen werden. Schwieriger gestaltete sich die Stichprobenziehung für die Fallgruppe der sowohl im Bildungsbereich als auch ökonomisch marginalisierten Jugendlichen. Ihre Auswahl war letztlich durch eine sich ergebende persönliche Bekanntschaft mit der Mutter der beiden Jugendlichen möglich. 4.3.2 Formale Charakteristika des Datenmaterials Den Basistext der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2007) stellt eine Transkription über die sechs Interviews dar. Da die Transkription nur das in englischer Sprache Gesagte festhält, geben Transkriptionen der mit Übersetzer geführten Interviews fast ausschließlich die Konversation zwischen dem Interviewer und dem Übersetzer wieder. Zu Gunsten der besseren Lesbarkeit wurde das Transkript in englischer Standardorthographie verschriftlicht und so wenig wie möglich, aber dort wo nötig, grammatikalisch bearbeitet. Der Kritik der Veränderung des Materials muss entgegengehalten werden, dass, wenn die Jugendlichen schon sinngemäß übersetzt werden, diese auch ein Recht auf eine volle Verständlichkeit „ihrer“ Aussage haben. Die zugrundgelegten Transkriptionsregeln finden sich im Anhang. Als Grundlage der Transkription wurden die Interviews mit einem MP3-Recorder aufgezeichnet. Ergänzend zum Interview wurden auch Basisdaten zu Geschlecht, Alter, Bildungsstand, Tätigkeiten und Herkunft des befragten Jugendlichen festgehalten. Darüber hinaus wurde durch den Interviewer ein kurzes Eindrucksprotokoll über die Gesprächsatmosphäre angefertigt. 4.3.3 Materialien Das zentrale Material bei der Durchführung der Interviews stellte der Interviewleitfaden dar. Der Verlauf der Gespräche wurde halb-strukturiert gestaltet. Das heißt, der Interviewer hat zwar einen thematisch strukturierten Leitfaden, in dessen Rahmen kann er jedoch die Fragen frei ergänzen, verändern oder weglassen. Die Fragestellungen des Leitfadens werden durch Nachfragen und Erzählaufforderungen vertieft. Mit einer teilstrukturierten Fragestellung soll dem Interviewten die Möglichkeit zur subjektiven 52 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Bedeutungszuschreibung zu einem Themenkomplex gegeben werden. Die inhaltliche Dimension, in der sich die Antworten bewegen, wird jedoch vorgegeben (Reinders, 2005). Sie basiert auf dem Verständnis des handlungstheoretisch fundierten (Schleider & Wolf, 2007). Während in der Warm-Up-Phase dem Interviewten mit einer narrativen Frage zur aktuellen Situation der Einstieg erleichtert wird, wird im Hauptteil die Zielund Mittel-Analyse prozesshaft nachgezeichnet. Dies betrifft sowohl die persönliche als auch die gesellschaftliche Dimension. Mit dem Ausklang wird dem Interviewten die Möglichkeit gegeben, bisher nicht genannte, aber ihm zur Thematik bedeutungsvoll erscheinende Themen anzusprechen. Der Interviewleitfaden unterlag auch in seiner Fragestellung einer „eingeschränkten und bewussten Prozesshaftigkeit“ (Reinders, 2005, S. 38). So wurde nach drei Interviews die Frage nach den Zielen der Jugendlichen um die Frage nach ihren Wünschen ergänzt. Um innerhalb des Datenmaterials eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurde aber darauf geachtet, in allen Interviews auch alle inhaltlichen Dimensionen des Leitfadens anzusprechen. 4.3.4 Analyse der Entstehungssituation Alle sechs Interviewpartner wohnen in der Stadt Rajshahi im gleichnamigen District im Nordwesten Bangladeschs. Die Standortwahl wurde durch die organisatorische Hilfe im Rahmen der Partnerschaft zwischen der PH Freiburg und der Rajshahi University bedingt. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, innerhalb eines relativ kleinen Raumes eine hohe sozio-ökonomische Varianz zu erreichen. Die Stadt mit 0,8 Mio. Einwohnern (WASPA, 2006 a) verfügt über eine der größten Universitäten des Landes. Ihre 20.000 Studierenden und das akademische Personal prägen zwar die Stadt nachhaltig, dennoch sind auch in Rajshahi die meisten Phänomene des Lebens unterhalb der Armutsgrenze nachvollziehbar. Dies betrifft vor allem die äußeren Stadtbezirke, in denen sich, so vom Verfasser der Studie wahrgenommen, viele Einwanderer aus der ländlichen Umgebung von Rajshahi niedergelassen haben. Leider existieren dazu keine verlässlichen Zahlen. Da aber der District Rajshahi zusammen mit dem District Barisal die ärmsten Districts Bangladeschs darstellen (Bangladesh Bureau of Statistics, 2008), muss von einer Wanderung in Richtung Provinzhauptstadt ausgegangen werden. Bewusst wurden die als betroffen wahrgenommenen Stadtgebiete bei der Stichprobenziehung mit einbezogen. 53 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Die Teilnahme an den Interviews war freiwillig und erfolgte auf Nachfrage durch die Interviewer. Dazu wurde dem Interviewten der institutionelle Hintergrund der Befragung, der Wert der Daten und ihre mögliche Verwendung kurz erläutert. Die angebotene Anonymisierung der Daten wurde von den Interviewten abgelehnt. Ein gewichtiger Grund hierfür war sicherlich der geäußerte Stolz und die Freude aller Interviewten über das Interesse von ausländischen Wissenschaftlern an ihrer Person. War es doch für alle sechs Befragten das erste Mal, dass sie mit einem Gast aus dem viel bewunderten Europa kommunizierten; eine Gelegenheit, die vor allem für die marginalisierten Interviewpartner bisher weit abseits des Vorstellbaren war. Entsprechend groß war die Motivation, jedoch manchmal auch die Schüchternheit, mit der sich die Jugendlichen äußerten. Sie schienen die Chance nutzen zu wollen, um mit ihrer Aussage dem fernen Europa über ihre Lebensbedingungen und Zukunftswünsche zu berichten. Dem kam der offene Charakter der Interviews sehr entgegen. Gerne nahmen vier der Interviewten die Hilfe durch den Dolmetscher wahr. Bei diesen Interviews wurde von drei Personen interagiert. Die Übersetzung fand immer nach der Fragestellung und nach deren Beantwortung blockweise statt. Als Vorteil gestaltete sich die Konstanz des durch die Universität Rajshahi organisierten Dolmetschers in allen vier Interviews. Dadurch war es möglich, auch den Übersetzer in der Thematik zu instruieren. Es dürfte sich daher kaum negativ auswirken, dass die Beantwortung der Frage nicht direkt erfolgen konnte. Als positiv hat sich auch die Möglichkeit erwiesen, je einen weiblichen und einen männlichen Interviewer einsetzen zu können. Dadurch konnten fünf der sechs Interviews in geschlechter-homogenen Interviewsituationen stattfinden. Dies wirkt sich bei dem sehr persönlichen Charakter der Thematik positiv auf die Validität der Angaben aus und vermeidet Angaben nach Prämisse der sozialen Erwünschtheit. 54 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 5. Auswertung Das bereits vorgestellte Material soll nun anhand der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse von Mayring (2007) analysiert werden. Intention dieses Verfahrens ist es, durch eine systematisch geordnete Reduktion das Datenmaterial zu analysieren. Ein Vorgehen in vorgegebenen Analyseschritten hat den Vorteil, dass jedes Zwischenergebnis „nachvollziehbar und intersubjektiv überprüfbar“ (ebd.) ist. Die Materialien, aus denen die in diesem Kapitel vorgestellten Ergebnisse generiert wurden, sind daher in umfassendem Maße dieser Arbeit angehängt. 5.1 Kategorienbildung Die Kategorien, anhand derer das Datenmaterial strukturiert wird, stellen das zentrale Element der Analyse dar. Sie werden nicht vorgegeben, sondern in einem Wechselverhältnis zwischen der in der Fragestellung gebündelten Theorie und dem konkreten Datenmaterial selbst entwickelt (Mayring, 2007). Da sich die Analyse in einem bisher wenig erforschten Feld bewegt, ist es ein wichtiges Anliegen, mögliche Erkenntnisgewinne nicht durch Verzerrungen und Vorannahmen des Forschers zu verhindern. Daher wird das etwas umfangreichere Verfahren der offenen Kodierung aus dem Ansatz der „Grounded Theory“ in das systematische Vorgehen der qualitativen Inhaltsanalyse integriert (ebd.). Die Verfahrensweise folgt dabei der Grundstruktur des wissenschaftlichen Arbeitens mit umfangreichen Texten. Nach einer Sequenzierung des Materials in einzelne Kodiereinheiten werden diese in eine auf den Inhalt beschränkte Paraphrasierung umgeschrieben. In diesem Schritt wird im Fall der vorliegenden Studie die englische Transkription in eine teilweise grammatikalisch verkürzte deutsche Form übersetzt. Die Paraphrasen werden anschließend in eine weiter reduzierte Form generalisiert. Nach dieser ersten Reduktion erfolgt eine Rücküberprüfung der erstellten Zusammenfassung mit dem Ausgangsmaterial. Um das Material noch weiter zusammenzufassen, werden nun die mehrfachen oder ähnlichen Kategorien gebündelt und weiter generalisiert. Im Fall der vorliegenden Studie war nach der zweiten Reduktion ein ausreichend verallgemeinertes und übersichtliches Kategoriensystem erreicht. Nach einer weiteren Rücküberprüfung 55 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch mit dem Ausgangsmaterial muss dieses offene Kategoriensystem nun in ein geeignetes Auswertungsinstrument überführt werden. Im Fall dieser Studie werden dazu zunächst deduktive Analysekategorien aus der Fragestellung heraus entwickelt. Darüber hinaus gehende Informationen in den fallspezifischen Kategorien werden in induktive Analysekategorien übersetzt. Die sich daraus ergebende Vielzahl von Analysekategorien und das ursprüngliche Kategoriensystem eines jeden Falles werden nun strukturiert in einem Raster aufgestellt und mit den Befragungsergebnissen befüllt. Ziel dieses Rasters ist es, die Analysekategorien auf ihre fallübergreifende Repräsentanz hin zu untersuchen. Sich ergebende Lücken weisen dabei auf die mangelnde Repräsentanz einiger Analysekategorien hin. Diese werden in der Folge verändert oder entfernt. Auch um bis dahin nicht zuordenbare Informationen aus den fallspezifischen Kategorien zu erfassen, müssen einige Analysekategorien verändert werden. Damit ist jedoch dieser Analyseschritt nur vorläufig abgeschlossen. Mögliche Schwächen, die erst bei der Verwendung des Instruments in Erscheinung treten, können dann rückwirkend bearbeitet werden. Dies ist jedoch bei der vorliegenden Studie nicht erforderlich. Da im weiteren Verlauf fallbezogen analysiert wird, fragen die Kategorien nach der Ausprägung bei dem oder der einzelnen Jugendlichen. Die nachfolgende Beschreibung beschränkt sich der Übersicht halber auf die männliche Form der Fragen. Im Rahmen des Analyseschrittes der Kategorisierung wurden folgende Kategorien generiert: K 1 Handlungen und Handlungsfelder K 1.1 Wie beschreibt der Jugendliche seinen Tagesverlauf? K 1.2 Was motiviert den Jugendlichen bei der Gestaltung seines Tagesablaufs? K 2 Ziele K 2.1 Was strebt der Jugendliche in seinem Leben an? K 2.2 Welche Tugenden betont der Jugendliche? 56 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch K 3 Handlungsoptionen und Zielrealisierung K 3.1 Welche Strategien verfolgt der Jugendliche bei der Realisierung seiner Ziele? K 3.2 Auf welche Ressourcen greift der Jugendliche bei der Realisierung seiner Ziele zurück? K 3.3 Welche Ressourcen vermisst der Jugendliche bei der Realisierung seiner Ziele? K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele? K 3.5 Welchen Stellenwert verleiht der Jugendliche dem Glauben an einen Gott? K 4 Soziale Einbindung von Handlungsoptionen K 4.1 Von wem bekommt der Jugendliche Hilfe und für wen fühlt er sich verantwortlich? K 4.2 Inwiefern ist der Jugendliche in seinem Handeln abhängig von den Entscheidungen anderer Personen? K 4.3 Welche Einstellung hat der Jugendliche gegenüber Ehe und Partnerschaft? K 5 Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen K 5.1 Wie empfindet der Jugendliche die gesellschaftliche Entwicklung Bangladeschs? K 5.2 Worin sieht der Jugendliche Beiträge zur Überwindung der Armut in Bangladesch und welche Rolle kommt ihm dabei zu? Um die subjektive Konstruktion der Zukunftsorientierung einsichtig zu machen, sollen die Jugendlichen selbst noch einmal zu Wort kommen. Dies soll in strukturierter Form im nächsten Abschnitt ermöglicht werden. 57 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 5.2 Fallbezogene Auswertung Nachdem die Kategorien definiert wurden, sollen im nächsten Analyseschritt Textbestandteile des Datenmaterials zu einzelnen Kategorien zugeordnet werden. Die qualitative Datenanalyse wird unterstützt durch die Computersoftware MAXQDA. Die Zuordnung der Textbestandteile lässt sich anhand der Abschnittsnummerierung der Interviewtranskripte im Anhang nachvollziehen. Die thematische Strukturierung dieser Analyse erfolgt zunächst fallbezogen. Dazu sollen Ankerzitate angeführt werden, die unter eine Kategorie fallen und die Zukunftsorientierung des jeweiligen Jugendlichen „beispielhaft repräsentieren“ (Mayring, 2007). Um die Fragestellung fallbezogen beantworten zu können, werden die gewonnenen Ergebnisse inhaltlich strukturiert und in die im ersten Kapitel erläuterten Analysetheorien eingeordnet. Dieser Aufarbeitung gehen jeweils ein Exposé der Person und eine Reflektion der konkreten Interviewsituation voraus. Grundlage hierfür sind die Ergebnisse der Basisdaten und das vom Interviewleiter erstellte Eindrucksprotokoll über die Interviewatmosphäre. 5.2.1 Prija Die 15-jährige Prija lebt in einer informellen Siedlung am Ufer des Flusses Ganges. Sie besucht die neunte Klasse des Colleges der Adorsho School. Dort strebt sie den Abschluss des national standardisierten Abiturs an. Gemäß den Angaben des Schulleiters der staatlichen Adorsho School ist es das Bestreben der Schule, auch Kindern und Jugendlichen finanziellen aus Familien Ressourcen mit einen geringen guten Schulabschluss zu ermöglichen. Er war es auch, der nach unserer Anfrage nach zwei zu befragenden Jugendlichen das Interview mit Prija und Wasil ermöglichte. Die Mutter von Prija ist Hausfrau, ihr Vater geht einer Arbeit als Lastenträger in einer Ziegelei nach. Als förderlich für die Interviewsituation 58 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch erwiesen sich die vertraute Lokalität des von anderen Personen ungestörten Klassenzimmers und die weibliche Leitung des Interviews. Dennoch war Prija, nach den Angaben von Melina Korn, die das Interview in Zusammenarbeit mit dem Übersetzer Fahim Ahmed leitete, während des Interviews sehr aufgeregt Handlungen und Handlungsfelder Prijas Zeitplan ist voll ausgefüllt mit der Vor-und Nachbereitung ihres Schulunterrichts. Um den hohen Arbeitsaufwand organisatorisch zu bewältigen, bedarf es eines straffen Zeitrasters und eines großen Durchhaltevermögens während der langen Arbeitstage. Dies umso mehr, da sie auch noch traditionelle Aufgaben im häuslichen Bereich übernehmen muss „I wake up mostly at 7.30 then I have my first breakfast. Then I have my coaching… Then I go to school at 11.00 and spent my time in school up to 4.30 pm. … Then I again start my study. At 9.30 I have to serve dinner. Then I again start study up to 1.30 am. Then I sleep.” [K 1.1 5-5]. Eine besonders positive Bedeutung schreibt Prija dem Handlungsfeld der Bildungsinstitution zu [K 1.1 8-9]. Dieser Hinweis auf eine in Zukunft wachsende Bedeutungszuschreibung gegenüber ihrer Bildungslaufbahn lässt sich auch in ihrer Zielformulierung nachvollziehen. Ziele Bildung versteht sie dabei nicht ausschließlich als Selbstzweck, vielmehr verbindet sie dieses Handlungsfeld mit einem von ihr angestrebten Lebensgefühl. So strebt sie in bemerkenswertem Maße ihre Selbstständigkeit an. Das Studium und die Ausübung des in Bangladesch hoch angesehenen und gut bezahlten Arztberufs repräsentieren dieses kulturell-sachliche Entwicklungsziel einer unabhängigen Identitätsbildung besonders deutlich „I want to be someone. I want to be myself. I want to study.” [K 2.1 19-19]. Die von ihr geschätzte und praktizierte Tugend der Leistungsbereitschaft auf der Grundlage ihrer eigenen Fähigkeiten wird in Zukunft weiter befolgt und von ihr als Legitimation für ihre eigene kulturelle Entwicklung betrachtet „I’m good in studying and doctor is a good job.“[K 2.2 35-35]. 59 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Handlungsoptionen und Zielrealisierung Sie ist sich jedoch dessen bewusst, dass ihre Fähigkeiten und ihre Leistungsbereitschaft die einzigen Ressourcen sind, über die sie längerfristig verfügt, und gewichtet diese in ihrer Zukunftsorientierung entsprechend stark „I have nothing else than studying very hard” [K 3.2 41-41]. Dem gegenüber besteht insbesondere ein Mangel an Finanzkapital, aber auch an moralischer Unterstützung durch ihre ohnehin finanziell belastete Familie [K 3.3 27-27]. Aus den ihr nur begrenzt zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen leitet sie ein Vorgehen ab, welches sie durch Etappenziele schrittweise einer Zielrealisierung näher bringt. „After my tenth grade I will think about the right strategy.” [K 3.1 29-29] Da eine übergeordnete, globale Strategie zur Zielverwirklichung aus ihrer Sicht nicht existiert „ -- No it’s too difficult.“ [K 3.1 3131] beschränkt sie sich auf die von ihr steuerbaren Aktivitäten zur Verwirklichung des nächsten Etappenziels „And now I have to use (my brain) it" [K 3.1 39-39]. Trotz ihres engagierten Einsatzes für ihre Zukunftorientierung verfügt sie über keine optimistische Zukunftsprognose: „I have no opportunity“ [K 3.4 27-27]. Ihre einzige Hoffnung in eine positive Zukunftsorientierung begründet sich aus der von ihr empfundenen göttlichen Berufung zum Arztberuf [K 3.5 37-37]. Die zur Erfüllung dieser Zukunftsmission notwendigen Ressourcen sieht sie als gottgegeben an und leitet daraus eine Verantwortung gegenüber der adäquaten Nutzung dieser göttlichen Gabe ab „Allah has given me the main thing: my brain. And now I have to use it.“[K 3.5 39-39] Soziale Einbindung von Handlungsoptionen Neben ihrer eingeschränkten Ressourcenausstattung wird die Vielfalt von Prijas Handlungsoptionen auch durch ihre Entscheidungsabhängigkeit von den Eltern eingeschränkt [K 4.2 41-41]. Dementsprechend empfindet sie gegenüber dem Gedanken an eine Heirat aufgrund der damit verbundenen weiteren Einschränkung der Handlungsoptionen große Abneigung „No! I will never get married! I don’t like to be married ... I want to be something. And not only a wife.“ [K 4.3 19-19]. Die von ihr wahrgenommenen gegenwärtigen und drohenden Abhängigkeiten scheint Prija als Gegensatz zu ihren individuellen Leistungserfolgen zu erfahren. In der Folge ordnet sie die Bedeutung von sozialen Kontakten ihrer individualisierten Zielverwirklichung unter „School is more important than friends.” [K 4.1 13-13]. 60 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen „What the government wants to do, that will happen with Bangladesh. I think that the future of Bangladesh is not so good. We usually have much of fights between the two (political) groups here in Bangladesh. ... There are strikes and anything else. These affect Bangladesh. These are very bad things but they cannot be stopped. And because of that, Bangladesh will not be able to improve. The population really suffers from that” [K 5.1 43-43] Die negative Zukunftsprognose Prijas für die Gesellschaft Bangladeschs wird durch den anhaltenden Machtstreit zwischen den beiden Parteien der Awami Leaugue und der Bangladesh Nationalist Party beeinflusst. Der Streit der beiden Parteien erscheint stellvertretend und ausschlaggebend für alle politisch motivierten Aktivitäten der Opposition wie etwa Streiks und teilweise gewalttätige Demonstrationen. Diese politische Unsicherheit macht Prija für die bisher noch nicht erfolgte Entwicklung Bangladeschs und das Leiden der Bevölkerung verantwortlich. Dabei erlebt sie das Abhängigkeitsverhältnis von der Politik als unveränderlich. Umso mehr ärgert sie sich darüber, dass dies die Menschen nicht erkennen und, statt die Zukunft des Landes in der Wissenschaft voranzutreiben, die Lösung der Probleme Bangladeschs weiterhin im politischen Bereich suchen. „Everybody thinks about politics. But nobody thinks about science” [K 5.2 43-43]. Sie hingegen rechnet gerade diesen Ressourcen eine besondere Bedeutung zur Überwindung der Armut in Bangladesch zu. Die Bedeutung der Ressource Bildung sieht sie auch darin begründet, dass nach ihrer Auffassung der Verstand als Grundvoraussetzung allen Menschen in gleichem Maße durch Gott zuteil wurde. Darin hebt sich die Ressource Bildung in der Erfahrungswelt von Prija von allen anderen Ressourcen ab. In der von ihr erschlossenen Ressource sieht sie auch Handlungsoptionen, selbst gestaltend in die Entwicklung ihrer Gesellschaft einzugreifen; „I believe that Allah has given us the same thing, the same brain. But if the people of Bangladesh don’t train their brains they can’t get good jobs. But I want to use my brain to improve this Bangladesh society.” [K 5.2 37-37] 61 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 5.2.2 Wasil Wie die bereits vorgestellte Prija besucht auch der 15-jährige Wasil die neunte Klasse des Colleges der Adorsho School. Dort strebt auch er den Abschluss des national standardisierten Abiturs an. Da sein Vater, der früher mit seiner Arbeit in einer Ziegelei seine Familie versorgt hat vor einigen Jahren verstorben ist, übernimmt nun sein ältester Bruder die Verantwortung für die Familie. Wasil wohnt mit seinen drei älteren, studierenden Geschwistern und seiner Mutter in einem Haus. Wasil verhielt sich während des Interviews zurückhaltend und machte trotz seiner vermutlich ausreichenden Englischkenntnisse vom Angebot der Übersetzung Gebrauch. Nach der von mir als zäh erlebten Interviewsituation empfand ich ein weiteres zufälliges Treffen mit Wasil an der abendlichen Promenade des Flusses Ganges als sehr gegensätzlich. Im Beisein seiner beiden jüngeren Cousins, zweier uns bereits vertrauter bettelnder Straßenjungen, war Wasils Zurückhaltung während des Interviews im Klassenzimmer einer offensiven und verbindlichen Freundlichkeit gewichen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Interviewsituation im Rahmen des Schulbesuchs in diesem Fall als einschüchternd empfunden wurde. Handlungen und Handlungsfelder Wasil gestaltet seinen Tagesverlauf mit großer Selbstständigkeit. Er setzt sich zwischen seinen einzelnen Lerneinheiten bewusste Erholungseinheiten und gönnt sich die Zeit in den Abendstunden zur freien Gestaltung. Bei der Vor- und Nachbereitung erhält er keine Unterstützung durch professionelle Nachhilfe. Das Handlungsfeld für die Vorund Nachbereitung und für die Freizeit in den Abendstunden stellt in erster Linie das elterliche Zuhause dar.“At 5.30 in the morning I wake up and I use to take my prayer. Then I study by reading books. After that I take a walk at the Padba River. Then I come back to my house. After that I take the time to read books or something. Because I like to read books. I like to study. And at 8.30 or 9.00 I take my breakfast. Then I again 62 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch study to prepare my classes. At 11.00 I go to the school because it starts. I stay there until 4.30. Then I again go back to my house. Have lunch and relax, watch TV. Or I do other things together with my family.” [K 1.1 8-8] Als größten Antrieb für seine Tagesgestaltung benennt Wasil die Realisierung seines Traumberufs „I have that thing. I want to become a doctor“[K 1.2 16-16] Ziele Diese Entwicklung einer Berufsperspektive stellt jedoch nur einen kleinen Ausschnitt aus Wasils recht genauen Vorstellungen seiner angestrebten Identitätsentwicklung dar. In der von ihm angestrebten Zukunft werden Fleiß und Arbeit weiterhin wichtige Tugenden für ihn darstellen [K 2.2 18-18]. Jedoch sind diese dann verbunden mit einem wesentlich höheren Lebensstandard als dem Jetzigen „I will make some sports, playing cricket and football“ [K 2.1 18-18] „For that I need a very good job. My second wish is to have a nice house. - - [10 Sekunden] My third wish is to have a nice garden with mango trees“ [K 2.1 20-20] Diese eher materiell ausgerichteten Ziele verbindet Wasil mit der Tugend der familiären Verantwortung, innerhalb der er seine Familie am zukünftigen persönlichen Erfolg teilhaben lassen möchte „I want to help my family. Because I come from a poor family“ [K 2.2 20-20]. Der von ihm angestrebten Tugend und kulturellen Orientierung der familiären Verantwortung stellt er die von ihm wahrgenommene progressive Veränderung der gesellschaftlichen Werte kritisierend gegenüber „in this improving society there are some boys who touch the girls too early“ [K 2.2 39-39]. Soziale Einbindung von Handlungsoptionen In seinem konkreten familiären Netzwerk fühlt er sich seit dem Tod seines Vaters für seine Mutter verantwortlich. Neben der zukünftigen finanziellen Unterstützung möchte er dieser Verantwortung auch durch ein Zusammenleben auf eine von ihm nicht begrenzte Zeit gerecht werden „My father died. So I have to stay with my mother” [K 4.1 12-12]. Diese Hilfe und Verantwortung für die Familie wird Wasil durch seinen älteren Bruder vorgelebt. So kann sich Wasil auf die moralische und finanzielle Hilfe durch den älteren Bruder während seiner Schul- und Studienzeit verlassen. „My brother. He gives me some money to study at the college and at the university and he 63 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch helps me also by studying.” [K 4.1 27-27] Dabei steht dem Bruder jedoch bei längerfristig angelegten Entscheidungen auch ein großer Teil der Verantwortung zu [K 4.2 29-29]. Handlungsoptionen und Zielrealisierung Um seine Ziele zu erreichen, verfolgt Wasil die Strategie der ausdauernden Leistungsbereitschaft „I have to study very hard“ [K 3.2 22-22]. Dabei konzentriert er sich auf die ihm zur Verfügung stehende Ressource Bildung [K 3.2 22-22]. Die Erfolge in seiner bisherigen Bildungslaufbahn bestärken ihn, auf diese Ressource auch seine weitere Zukunftsorientierung aufzubauen. Aus diesen Erfahrungen heraus gelingt es ihm, nicht nur im Bereich der Ressource Bildung eine Selbstwirksamkeit zu generieren, sondern darüber hinaus auch seinen positiven Selbstwert aufzubauen und sich mit diesem selbstbewusst zu identifizieren “Hi, I’m Wassil. I’m the first in class” [K 3.2 44]. Dabei ist ihm sehr wohl seine eingeschränkte finanzielle Ressourcenausstattung bewusst, die er auch vermisst: „JB: Are there some assumptions to fulfil your wishes which you have not yet? Wasil: Money (leise).” [K 3.3 23-24] Doch kann er im Vertrauen auf sein ausgeprägtes Humankapital auf eine Erweiterung seiner Kapitalausstattung vertrauen und optimistisch seiner Zukunft entgegen blicken “Because I’m good in my studies. I’m the first one in class. So I think it is possible for me. Because I’m a really hard worker.” [K 3.4 35-35] Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen Die gesellschaftliche Entwicklung Bangladeschs betrachtet Wasil kritisch. Dabei kritisiert er den mangelnden Anstand der Verantwortungsträger des Landes „One thing is corruption“ [K 5.1 39-39]. Auch wird der von ihm wahrgenommene gesellschaftliche Wandel nicht durchweg als positiv bewertet. Kritikpunkte sieht er dort, wo traditionelle Werte und Praktiken aufgeweicht oder ignoriert werden: „That in this improving society there are some boys who touch the girls too early. Such an immoral society is not a good thing.” [K 5.1 39-39] Dennoch betrachtet er die Veränderung insgesamt als positiv „Bangladesh will improve and increase with a slow rate [K 5.1 3 7-37]“. Dies begründet er mit einer Überwindung des verbreitet geringen Lebensstandards und der damit verbundenen Vulnerabilität durch bessere Bildungschancen für den armen 64 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Bevölkerungsteil. Er selbst betrachtet sich als Teil dieser Entwicklung „And most of us get educated. This is why Bangladesh will improve” [K 5.2 37-37] 5.2.3 Fatima Fatima ist 13 Jahre alt und lebt am Ufer des Flusses Ganges in einer informellen Siedlung am Rande der Stadt Rajshahi. Sie lebt dort im schilfgedeckten Lehmhaus der Familie ihres Mannes, mit dem sie seit einem Jahr verheiratet ist. Das Haus befindet sich in der unmittelbaren Nachbarschaft des Hauses ihrer Eltern und hat keinen Stromanschluss. Die Wasserversorgung erfolgt über eine öffentliche Grundwasserpumpe, deren Wasserqualität dem Autor der Studie nicht bekannt ist. Ihre vierjährige Schulbildung in einer staatlichen Grundschule in Rikschafahrer wurde durch ihre Heirat beendet. Seitdem arbeitet sie im Haus ihrer Schwiegereltern und bei Bedarf auch im Haus ihrer Eltern. Ihr Vater kann seit einer Verletzung keinem Erwerb mehr nachgehen und ihre Mutter arbeitet als Hausfrau. Die letzten Jahre vor ihrer Heirat war sie daher vom Erwerb ihres älteren Bruders abhängig. Heute lebt sie vom Erwerb ihres Mannes. Ihr Bruder Lanoon arbeitet als Riquschafahrer für die Frau des bangladeschischen Professors, der diese Studie mit betreut. Durch sie kam der Kontakt zu Fatima zustande. Bei dem ersten Besuch ihrer Familie durch mich und meine bangladeschischen Begleiter (Fahim Ahmed und Nafees Masroor Salim) hielt sie sich eher schüchtern im Hintergrund. Beim wiederholten Besuch und einem inzwischen vertrauten Kontakt zwischen mir und ihrem Bruder sowie ihrer Mutter bat sie von sich aus um ein Interview. Ich reagierte daraufhin mit zurückhaltender, aber unmissverständlicher Freude. Verstärkt durch die vertraute Atmosphäre im Zimmer ihres Bruders verlief das Interview in großer emotionaler Ergriffenheit aller Beteiligten. Während des Gesprächs war ihre Mutter ständig präsent, mischte sich aber nicht in das Gespräch ein. Fatima gestaltete das Interview selbstbestimmt mit und antwortete mit 65 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch großer Konzentration und emotionaler Tiefe. Nach dem Interview zog sie sich schnell wieder in das Haus ihres Mannes zurück. Handlungen und Handlungsfelder Das Handlungsfeld von Fatimas Tagesverlauf stellt in erster Linie der Haushalt der Schwiegereltern und der ihrer eigenen Eltern dar. „She does all the household work like cleaning, cooking, taking care of the little ones or taking care of the parents. This is all she does at a usual day.” [K 1.1 7-7] Dieser Handlungsrahmen wird von ihr als unveränderlicher Zwang wahrgenommen, der für eine freie Tagesgestaltung keine Möglichkeiten lässt. Mit entsprechender Verständnislosigkeit entgegnet sie der Frage nach der Motivation ihrer alltäglichen Handlungen „She asked, why do you ask this? She has to do it” [K 1.2 9-9]. Ziele Diesem durch die Ehe vorgegebenen Handlungsrahmen entspricht auch ihre Zukunftsvorstellung. Als Ehefrau und Mutter sieht sie sich auch in Zukunft der häuslichen Fürsorge verpflichtet. „She is married. So it is usual that after five years she will have a baby and taking care of the baby and her husband.” [K 2.1 11-11] Innerhalb dieses familiären Rahmens erhofft sie sich eine glückliche und friedliche Zukunft. Darüber hinaus plant sie eine interpersonelle Entwicklung durch die eigene kulturell-sachliche Entwicklung hin zu einer eigenen Berufsperspektive. Konkret soll dies durch die Schaffung von Sachkapital in Form des Eigenheims und einer Vergrößerung des eigenen Ladens umgesetzt werden. Diese Investitionen setzen wiederum ein hohes Maß an Fleiß voraus. „Her first wish is to live with her family happy and peaceful. Her second wish is, that she wants to have a good life in a good house. Her third wish is about the little shop she has together with her husband. She wants to have an income there and modify it to a bigger shop, so that her family can rely on it.” [K 2.1 13-13] Handlungsoptionen und Zielrealisierung Grundsätzlich möchte Fatima einem Erreichen ihrer Zukunftsziele positiv entgegensehen, wählt sie diese doch angepasst an ihre Ressourcenausstattung. Von 66 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch dieser Strategie verspricht sie sich, auch mit dem von ihr nur begrenzt zu erwirtschaftenden Finanzkapital ein zufriedenes Leben zu führen „Because, if she is able to earn only a bit of money then her three wishes will be fulfilled”. [K 3.1 17-17] Sowohl die Fortführung der mit ihrer Heirat nach vier Jahren beendeten Grundbildung als auch eine Arbeit in der Landwirtschaft oder in einem handwerklichen Betrieb der Textilindustrie stellen für sie weitere mögliche Ressourcen ihrer Zukunftsorientierung dar. Doch sieht sie in ihrer derzeitigen sowohl ehelichen als auch gesellschaftlichen Abhängigkeit keine Möglichkeit, ihre Arbeitskraft zur Erschließung dieser Ressourcen einzusetzen und ihre Zukunft zu gestalten. „The second thing she talked about is the education which stopped right now, because she is married…. And she said that the society doesn’t allow girls to work on fields. So she can’t hope to have work there. But she said: I can do some handy work like in the textile-industry. She has that capability to work but she cannot wish to do it right now because she has not that opportunity. But if she would have that opportunity, if it would be allowed she would be able to fulfill her wishes.” [K 3.3 und K 3.4 19-19] Umso bedeutsamer wird für sie der Glaube an eine transzendente Hilfe Gottes, um ihre verordnete Handlungslosigkeit überwinden zu können und ihr Ziel zu erreichen „Her first thing she has to do is to pray to Allah that he may help her to reach this aim.“ [K 3.5 19-19] Soziale Einbindung von Handlungsoptionen Vor diesem Hintergrund betrachtet sie ihre zukünftige Existenzsicherung auch langfristig in der vollkommenen Abhängigkeit von ihrer Schwiegerfamilie „Her future totally depends on the decisions of her husband’s family” [K 4.2 23-23]. Diese Abhängigkeit ist ihr jedoch keinesfalls zure Gewohnheit geworden, sondern stellt für sie weiterhin eine große Belastung dar; „She has this fear of the authority, based on her husband’s family“ [K 4.2 21-21]. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrung und mit großer eigener Betroffenheit bewertet sie das mit der Ehe in Bangladesch oft verbundene Phänomen des Brautgelds auch für sich selbst als große Belastung; „Also her family is feeling this pressure. If they cannot give the money to the in-law family, the family of the husband will beat the woman or divorce them. Finally they will force to give money by beating the woman brutally hard, rape or something like that. If the woman is divorced, she is alone without any help. And everyone can do with her what 67 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch they want.” [K 4.3 29-29] Der von ihr verspürte Druck der ehelichen Abhängigkeit verstärkt sich also weiter durch die drohenden katastrophalen Folgen im Falle eines Scheiterns der Ehe. Eine Hilfe erhofft sie sich in ihrer Situation von niemandem „Interviewer: Who else can help you to make your wishes come true? Interpreter: No one” [K 4.1 22-23]. Vielmehr stellt für sie die Verantwortung für die eigenen Eltern neben der ehelichen Restriktion eine weitere Einschränkung der Zukunftsorientierung dar „because she has that responsibility for her family she can’t go that far away“ [K 4.1 21-21]. Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen „Because there is no justice, there is only injustice, there is no judgment. There is only money, the grapping of money, the crime, the corruption. So how can we expect the future of Bangladesh? There isn’t a future at all.” [K 5.1 25-25] Neben den beschriebenen dramatischen Abhängigkeiten empfindet Fatima die gesellschaftliche Entwicklung ebenfalls als persönlich extrem belastend und sieht infolgedessen keine Zukunft für die bangladeschische Gesellschaft. In diesem Fatalismus sieht sie sich und die Menschen mit ähnlich hoher Vulnerabilität als Opfer der Habgier einiger weniger. Als verantwortlich für diese Nöte benennt sie explizit die Regierung und deren Desinteresse an der Lage der von ihr Abhängigen „who can help rather than our government? The government has the opportunity but they are blind. They are not seeing them suffering” [K 5.1 27-27]. Als vergebliche Mühe, die Armut in Bangladesch zu überwinden, betrachtet sie auch die Bemühungen anderer Länder. Sie kritisiert die Praxis, dass das dazu aufgewendete Geld an die Regierung geht und damit der Veruntreuung preisgegeben wird. „But normally, when people from other countries come to help Bangladesh they give the money to the very rich ones, to the governments, to the ministers. But what are they doing with the money? They distribute all the money and the poor don’t get the money. This is why the difference in the society gets much bigger.” [K 5.2 29-29] Als einzigen Weg aus der verbreiteten und sie betreffenden Armut betrachtet Fatima das selbstständige Engagement der Bewohner Bangladeschs unabhängig von der versagenden Regierung. „Only the human can take the Bangladesh up, not the government.” [K 5.2 25-25] 68 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 5.2.4 Lanoon In unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Schwester Fatima lebt der 20 jährige Lanoon mit seinen Eltern und seiner jüngsten von vier Schwestern (10 Jahre alt). Er lebt in einem blechgedeckten Lehmhaus ohne Stromanschluss und wird von der lokalen Grundwasserpumpe versorgt. Seitdem er im Alter von zwölf seine vierjährige Grundbildung staatlichen Grundschule in einer lokalen abgeschlossen hat, arbeitet er. Da sein Vater vor einigen Jahren einen Unfall erlitt, muss Lanoon mit der Arbeit als Rikschafahrer die Familie versorgen. Die Fahrradrikscha wird ihm von der Frau des Professors zur Verfügung gestellt, der diese Studie vor Ort mit begleitete. Da Lanoon vornehmlich für sie arbeitete, hatte er im Zeitraum der Studie gelegentlich die Aufgabe, uns, die deutschen Gäste des Professors, bei Unternehmungen in der Stadt zu fahren. Zwar hatten wir bis zu unserem Besuch keinen Übersetzer und damit keine Möglichkeit zur verbalen Kommunikation gehabt. Doch hatten wir bereits vor der Befragung eine angehnehme non-verbale Beziehung aufgebaut. Bei unserem Besuch empfingen uns Lanoon und seine Familie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu einem wahren Festmahl. Lanoon und ich hatten große Freude bei unserer nun verbalen Kommunikation. Unterstützt wurden wir dabei durch die Übersetzung von Nafees Maroor Salim. Während des Interviews war auch seine Mutter anwesend, deren Einmischungen er aber forsch zurückwies. Nach dem Gespräch informierte er mich darüber, dass ihm für seine politische Stellungnahme in diesem Interview eine mehrtägige Gefängnisstrafe drohe. Das Angebot, seine Daten nicht zu veröffentlichen oder wenigstens seine Person zu anonymisieren, lehnte er nach meiner Erklärung und der Absicherung bei unserem Übersetzer, dass Lanoon das Erklärte auch verstand, ab. Einer Realisierung seiner Befürchtung versuchte ich während meines weiteren Aufenthaltes in Bangladesch wenigstens durch ein ständiges Tragen des USB-Datensticks am Körper entgegenzuwirken. Unser weiterer Kontakt war 69 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch sehr herzlich. Seiner Bitte, ihm die Fotos unseres Besuchs als Farbbilder zu geben, kam ich wenige Tage später nach. Handlungen und Handlungsfelder Lanoon verbringt den Tag, abgesehen von einer Pause am Mittag, mit der schweren Arbeit als Fahrer eines Fahrradtaxis auf den Straßen Rajshahis. Da er außerhalb seiner Festanstellung bei der Professorenfamilie von der Anzahl der zusätzlich getätigten Fahrten abhängig ist, zieht sich sein Arbeitstag oft bis in die späten Abendstunden. „You know that I’m a Rickshaw-Driver. In the morning I’m driving to school. Then I’m doing the household and go shopping for a professor. When I come home I have my bath and take a rest. Then I work as a Rickshaw-Driver during the afternoon. At 10.00 o’clock in the evening I come home and go to bed.” [K 1.1 5-5] Der Antrieb für diese schwere Arbeit ist das Bedürfnis, seinen Hunger und den seiner Familie zu stillen und damit das Überleben zu sichern. „I’m doing this for the stomachs of me and my family. Because I have to bring rice and all the necessary things.” [K 1.2 7-7] Ziele Diesem Kampf um das Überleben entsprechend, formuliert er auch das von ihm als erstrebenswert Empfundene auf einer existenziellen Ebene. „He says that he doesn’t need delicious things like snacks. He only needs rice to stay alive.” [K 2.1 21-21] Dabei steht das Bestreben nach dem Überleben der Familie seiner eigenen Existenzsicherung um nichts nach. „The most important thing for him is to satisfy the stomachs of him and his family.” [K 2.1 9-9] Eine Grundlage hierfür sieht er in der Heirat seiner zehnjährigen Schwester und dem Aufbringen des damit verbundenen Brautgelds. „he wants to get his sister married“ [K 2.1 11-11]. Auch aus diesem Bestreben der von ihm stark empfundenen Tugend der Verantwortung heraus definiert Lanoon sein tägliches Handeln. „He just wants to satisfy all the responsibility over his family and especially for his sisters” [K 2.2 9-9] Diesem Ziel ordnet er seine eigene Entwicklung, wie etwa das Verlangen nach Bildung „I have this huge desire of education” [K 2.1 7-7] und ein durch materielle Güter bereichertes Leben unter „The second wish is to get a better house to live a beautiful life” [K 2.1 11-11]. 70 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Handlungsoptionen und Zielrealisierung In dieser Situation befolgt Lanoon die Strategie, die Verwirklichung seiner eigenen Entwicklung auf unbestimmte Zeit heraus zu zögern „he has the responsibility for his sisters. So right now he is not thinking about a wedding” [K 3.1 9-9]. Um jedoch den großen Geldbetrag für die baldige Verheiratung seiner Schwester zu erlangen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als diesen Betrag schon jetzt zu ersparen. „They have to give 100.000 Takka, that is too much for him. He earns only 200 Takka per day. That is why he is saving the money so that he can manage this much amount of money to get his sister married.” [K 3.1 11-11] Mit den 200 Takka (ca. 2 Euro) am Tag, mit denen er auch seine Eltern und zwei Schwestern ernähren muss, bedeutet dies für ihn eine kaum zu bewältigende Aufgabe und ein Leben unterhalb der definierten unteren Armutsgrenze. Entsprechend groß ist sein Bedürfnis nach der mit einer anderen Arbeit verbundenen Steigerung seines Finanzkapitals. „If he would get a better job his wishes might become true someday” [K 3.3 15-15]. Bis dahin steht ihm zur Zukunftsgestaltung nur sein Humankapital in Form von harter körperlicher Arbeit zur Verfügung. „He said that there is no other thing than his hard work which can fulfil his three wishes” [K 3.2 15-15] Aufgrund der von ihm nicht als durch ihn veränderbar wahrgenommenen Bedingungen sieht Lanoon nur einen geringen Spielraum für eine optimistische Zukunftsprognose [K 3.4 21-21]. Den ihm verbleibenden Optimismus verleiht ihm der Glaube an eine göttliche Hilfe, die ihm eines Tages zu einem besseren Verdienst verhelfen und damit ein besseres Leben ermöglichen wird. „First of all he said thanks to Allah. If Allah would like to, he might get a better job someday. And then, maybe, his life will be changed.” [K 3.5 17-17] Soziale Einbindung von Handlungsoptionen Die Bedeutung dieses Glaubens an eine von Gott bewirkte Veränderung wächst in dem Maße, in dem er von keiner anderen Seite Hilfe erwarten kann [K 4.1 19-19]. Vielmehr ist die von ihm zu tragende Verantwortung noch um ein Vielfaches gewachsen, seitdem sein Vater durch eine Verletzung nicht mehr zum Überleben der Familie beitragen kann „My father is wounded. So my family is dependent on my income” [K 4.2 7-7]. Aufgrund der auf ihm lastenden Verantwortung betrachtet er die Entwicklung einer neuen inter-personellen Beziehung in Form einer Ehe momentan als nicht relevant an 71 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch „right now he is not thinking about a wedding“ [K 4.3 9-9]. Doch bewertet er aus der Erfahrung mit den Schwierigkeiten, seine eigenen Schwestern zu verheiraten, heraus die traditionelle Ehe in Bangladesch zwar kritisch, aber als einen für ihn unveränderlichen Zwang. „In Bangladesh we have this sad thing that the father of the wife has to give money to the future husband. That is illegal. But they have to do that, because it is a ritual kind of thing here. It is an illegal tradition. And it is very ironic that the girls have to give money.” [K 4.3 11-11] Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen „The so called gentlemen of our society who are professors are looking down on him. They don’t have the right to scorn him. They don’t have the right to condemn him. They are building this wall of money around them. They don’t even touch him because they disgust him. But he is a human being. He said: I’m feeling dishuminated continuously by the so called gentlemen of the society” [K 5.1 17-17] In seiner Not, die eigene Zukunft und die seiner Familie zu sichern, muss sich Lanoon als hoch vulnerables Opfer seiner Gesellschaft wiederfinden. Doch die Verachtung, die ihm von seinen Mitmenschen dabei entgegen gebracht wird, kann Lannon nicht ignorieren; er wird von ihr in den Grundfesten seiner Menschenwürde verletzt. Seine Wut auf die Gewinner der bangladeschischen Gesellschaft wächst weiter mit der physischen Gewalt, die ihm durch Polizisten als Vertreter dieser Gesellschaft angetan wird. „When the RickshawPullers go to the downtown, close to the Shiet-Bazar, the Police is beating them without any mercy, they don’t even listen to their voice. They don’t even listen to that what the Rickshaw-Pullers are saying.” [K 5.1 17-17] Der Regierung, die Lanoon als verantwortlich für seine Situation und die seiner Gesellschaft ansieht, bringt er dementsprechend kein Vertrauen entgegen. „The government people will only develop themselves. They will not develop the society” [K 5.2 21-21] Die Veruntreuung und die Lügen der Regierung betrachtet Lanoon auch im Bereich seiner eigenen Zukunftsorientierung als verantwortlich dafür, sich seinen Wunsch nach Bildung nicht verwirklichen zu können; „The Government is saying, that they will give free education but when you go to school the situation is completely different. The government is sucking money out of them.” [K 5.2 17-17] Daher hat Lanoon keine Hoffnung, dass die 72 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch ihn betreffende Armut, wie das Parteiprogramm der Awami League verspricht, bis 2021 überwunden ist „For me nothing will change before 2021“ [K 5.2 21-21] 5.2.5 Nazia Die 18-jährige Nazia Abschlussklasse des Rajshahi. besucht derzeit die Paramount-Colleges Dort strebt sie das Abitur nach den Standards der Universität Cambridge an. Dieser Abschluss gehört zu den höchsten Abschlüssen Bangladeschs und wird nur an wenigen von der Universität Cambridge ausgewählten Colleges angeboten. Er ermöglicht ihr den Zugang zu internationalen Universitäten. Nazia lebt mit ihrem Bruder, ihren Eltern und Großeltern in einem Haus am Rande Rajshahis. Während ihre Mutter für die Organisation des Hausstandes zuständig ist, geht ihr Vater einer Arbeit als Ingenieur in der Energiewirtschaft nach. Nazia verhielt sich während des Interviews souverän und zeigte großes Interesse an unserem wissenschaftlichen Arbeiten. Das Interview wurde von Melina Korn geleitet und erfolgte in englischer Sprache. Ein Dolmetscher war hierfür nicht notwendig. Der erste Kontakt zu ihr entstand bei einem Besuch der Schule durch Frau Korn und mich. Der rege Kontakt blieb für die Zeit unseres Besuchs in Bangladesch bestehen. Handlungen und Handlungsfelder Dem familiären und häuslichen Handlungsfeld kommt in Nazias Erläuterungen ihres Alltags eine große Bedeutung zu. Darin spielt sich ein großer Teil ihres sozialen Lebens ab. Die darin bestehenden Beziehungen werden in einem engen Austausch und in regelmäßigen Diskussionen ausgelebt. So erzählt sie etwa von der allmorgendlichen Weckzeremonie durch ihren Großvater: „then he comes and shout: How you were not wake up until yet, get up, it’s almost six o’clock, get up. So okay, we are getting up. Then when it is almost seven o’clock: Oh my god it’s too late. Then we fight each other” [K 1.1 6-6]. Das Leben unter der sich aus den engen Beziehungen ergebenden 73 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch starken autoritären Kontrolle wird von ihr zwiespältig erlebt. Einerseits schätzt sie, wie später noch gezeigt werden soll, die darin bestehende Unterstützung, andererseits wird die bestehende Autorität als Druck erlebt. „Not nice is to have too much pressure because of studying” [K 1.1 10-10]. Zum Leben im Handlungsfeld ihrer Familie gehört es für sie daher auch, sich darin die entsprechenden Freiräume zu schaffen, um dem Druck zu entgehen. „Then we have to study for school. But we do not really read our books. We just open them” [K 1.1 6-6]. Im Gegensatz zu den Handlungen, die unter sozialem Druck vollzogen wurden, erlebt Nazia die frei von ihr entschiedenen und vollzogenen Handlungen, wie etwa das Lernen aus freien Stücken heraus, als motivierendes Vergnügen [K 1.2 14-14]. Den sich im familiären Handlungsfeld entwickelnden Schwierigkeiten begegnet Nazia mit einer wachsenden Bedeutungszuschreibung zu Gunsten des sozialen Netzwerks der Freunde aus dem Handlungsfeld Schule „In the morning I meet with my friends. But after I go home I miss them so much” [K 1.1 8-8]. Dieses Handlungsfeld bietet ihr gerade in der interpersonellen Entwicklung neue Möglichkeiten, die sie mit dem familiären Handlungsfeld nicht mehr verbinden kann „I like to meet with my friends. Because I can share the most of my things with them” [K 4.1 8-8]. Ziele Ihre hohe Bedeutungszuschreibung gegenüber sozialen Handlungsfeldern schlägt sich auch in der von ihr angestrebten kulturell-sachlichen Entwicklung nieder: Nachdem sie sich zu einer erfolgreichen Ärztin entwickelt hat, will sie ihre Fähigkeiten dafür einsetzen, der von ihr empfundenen gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. „after I will be a successful doctor I will open a little hospital to where the poor people can come to stick their diseases“ [K 2.1 20-20]. Die von ihr angestrebten Tugenden Ehrlichkeit, Menschlichkeit und Vertrauen erkennt sie als Grundlage des sozialen Zusammenlebens. „Bangladesh can develop by honesty, humanity and the most important thing is trust” [K 2.2 40-40]. Handlungsoptionen und Zielrealisierung Ihre Zukunftsorientierung betrachtet sie als mehrstufige, aufeinander aufbauende Strategie, bei der die hohen und mit langem zeitlichem Vorlauf gesteckten Ziele 74 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch schrittweise verwirklicht werden. So beginnt die von ihr angestrebte kulturell-sachliche Entwicklung bereits in der Gegenwart. „From now on I think I have to prepare that thing” [K 3.1 22-22]. Nazias mehrstufige Strategie setzt etwa voraus, dass sie vor ihrem gesellschaftlichen Einsatz zunächst auf eigenen Beinen stehen muss „I first have to stand on my feet then I can help the people” [K 3.1 30-30] . Dem Erreichen dieses Schrittes geht wiederum die Fortführung ihrer hervorragenden Bildungslaufbahn voraus. Eine besondere Möglichkeit hierfür stellt für Nazia ein Studium im Ausland dar. „I actually want to go to a foreign university. Because there you can learn more than in bangla Universities” [K 3.1 30-30]. Von dem mit dem räumlichen Abstand zur Familie verbundenen Kontextwechsel verspricht sie sich auch eine interpersonelle Entwicklung hin zu mehr Selbstbestimmung. Dementsprechend ablehnend reagiert sie gegenüber der Option, in das von Familienmitgliedern bewohnte Canada auszuwandern; „he says I have to come to Canada. But I don’t want to go there for studying. Because then I would be dependent on them” [K 3.1 30-30]. Sie weiß jedoch, dass das dazu notwendige Finanzkapital untrennbar von der moralischen Unterstützung durch ihren Vater und ihren Großvater abhängig ist „the other thing I need is support I get from my grandfather and father“ [K 3.2 30-30]. Wenn sie die Zustimmung dieser beiden Personen erhält, stellt die Beschaffung des dazu notwendigen Kapitals durch deren Unterstützung keine Hürde dar; „(lachen) Oh I think this money will give me my father” [K 3.2 28-28]. Doch auch Nazia ist das Gefühl der eigenen Vulnerabilität vertraut: Sie kann ihr vielfältiges Humankapital nur dann längerfristig einsetzen und ihre Kapitalausstattung erweitern, wenn ihre Krankheit keine negative Entwicklung nimmt. Die Bewältigung ihrer Krankheit wird dabei von ihr als Grundvoraussetzung der Zukunftsorientierung erlebt „I have a disease called anaemia ... This is a main thing. So when I get sick or get distracted, then I don’t think I can study” [K 3.3 38-38]. Verfügt Nazia über diese Grundvoraussetzung, erwartet sie für ihre Entwicklung keinen weiteren Barrieren und kann optimistisch in die Zukunft blicken „But otherwise nothing should interrupt me [K 3.4 38-38]“ Soziale Einbindung von Handlungsoptionen Das bereits erläuterte soziale Handlungsfeld Nazias ist traditionell hierarchisch organisiert. So liegt ein großer Teil ihrer Zukunftsorientierung, wie auch die Zukunft 75 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch ihrer ganzen Familie, in der langfristigen Planungsverantwortung ihres Großvaters „But it also depends on my grandfather. Because he is the leader of my team” [K 4.2 28-28]. Nazia scheint dabei recht genau wahrzunehmen, wo Unterschiede zwischen dem für sie Entschiedenen und ihren eigenen Vorstellung liegen. Bei ihrer Einschätzung von Ehe wird dies besonders deutlich: „I don’t want to be married at that time. At least not in the next (leise:) ten years. (lachen)” [K 4.318-18]. Trotzdem bewertet sie die Bedeutung von sozialen Netzwerken positiv „I don’t like to be alone“ [K 4.1 8-8]. Darüber hinaus erkennt Nazia auch pragmatische Vorteile in der Wirksamkeit von sozialen Gruppen. Gerade bezüglich ihres Bestrebens, gestaltend in die Gesellschaft einzugreifen, rechnet sie einem kollektiven Handeln eine gesteigerte Wirksamkeit zu; „One can help anyone. But if we join together, for example to a group of ten. Then I think we can help them” [K 4.1 48-48]. Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen Gesellschaftlich sieht Nazia vor allem in der von ihr als gering entwickelt bewerteten Bildung in Bangladesch einen Missstand. In der Erfahrungswelt von Nazia trägt hierfür die Regierung die Verantwortung. Diese hat nach Nazias Meinung kein Interesse an der Bildung der Bevölkerung. „There are a lot of political positions which really don’t want Education for Bangladesh. That’s really bad. Because only for that, Bangladesh is so much back compared to other nations” [K 5.1 44-44]. Dieser Missstand ist nach Nazias Einschätzung jedoch veränderbar. Als vielversprechende Möglichkeit zur Überwindung der Armut bewertet sie organisierte Programme, wie etwa die Programme zur Grundbildung aus den letzten Jahren. „So I think that using different types of assistance, like education programs can help us to take steps forward. Then I think we will develop a lot” [K 5.2 40-40] Gesellschaftliche Nöte sieht sie auch in der schlechten Gesundheitsvorsorge des ärmsten Teils der Gesellschaft. „Because if they are living in Slums they are suffering of lack of care. But they also need care because they are also people” [K 5.1 18-18]. In diesem Feld sieht sie auch für sich Handlungsoptionen, um als spätere Ärztin zur Überwindung der Armut in Bangladesch beizutragen. „ I will take fees depending on the money of the people” [K 5.2 18-18]. 76 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 5.2.6 Nafees Zusammen mit Nazia besucht der 18-jährige Nafees die Abschlussklasse des Paramount- Colleges Rajshahi. Dort strebt auch er das Abitur nach den Maßstäben der Universität Cambridge an. Er lebt mit seinen Eltern in Rajshahi. Während seine Mutter sich um die Organisation Hausstandes kümmert, arbeitet der des Vater international als Business-Manager. Unser Kontakt entstand bei meinem ersten Besuch der Paramount School. Zu Beginn des von mir geleiteten Interviews war Nafees recht nervös. Auf Nachfrage diesbezüglich schilderte er mir die von ihm empfundene Ehre, als Vertreter seines Landes sprechen zu dürfen. Durch unser Vorgespräch bezüglich seiner späteren Hilfe als Übersetzer bei anderen Interviews war ihm die Thematik bereits vertraut. Dies ist bei einigen Antworten durch ihre überraschende Tiefe bemerkbar. Zwischen Nafees und mir besteht bis heute ein reger Kontakt. Handlungen und Handlungsfelder Nafees beschreibt seinen Alltag als von ihm sehr selbstständig und nach seinem Belieben gestaltbar „I usually wake up by 7 to 8 am. But because I studied in the night I woke up at 10 am”[K 1.1 11-11] Um sich bei seinen Hobbies und den zeitaufwendigen Schularbeiten den Tag sinnvoll zu gestalten, greift Nafees auf organisatorische Mittel zur Tagesplanung zurück „I write down what I have to do today. I write a list“ [K 1.1 13-13]. Neben dem Internet „I’m also an internet-freak“ [K 1.1 13-13] stellt die Schule derzeit ein wichtiges Handlungsfeld dar. Die Tatsache, dass sich Nafees derzeit in der Abschlussklasse befindet, und der von seinen Lehrern geweckte Enthusiasmus stellen für ihn eine große Motivation in diesem Handlungsfeld dar "They are enthusiastic, that is why they want to change us. I’m also part of this revolution” [K 1.2 17-17]. Bestärkt durch seine Lehrer versteht Nafees sein Handeln in diesem Handlungsfeld als gestaltende Veränderung seiner Gesellschaft. 77 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Ziele Aus diesem Enthusiasmus heraus formuliert er auch sein Bestreben: „I really want to change our society, our generation” [K 2.1 17-17]. Um derart große Ziele zu erreichen, betont Nafees neben der Verantwortung in besonderem Maße die Tugend der Disziplin „One important thing is discipline“ [K 2.2 37-37] Das beschriebene Engagement im kulturell-sachlichen Entwicklungsbereich geht für Nafees einher mit einer intrapersonellen Entwicklung. Der dabei von ihm angestrebte Beruf stellt einen Kompromiss zwischen den eigenen Wünschen und den Vorstellungen des Vaters dar. Handlungsoptionen und Zielrealisierung Die zur Realisierung seiner Ziele notwendigen Handlungsoptionen betrachtet Nafees mit großer zeitlicher Dringlichkeit, um schon in der Gegenwart die entsprechende Grundlage zu setzen. „Between ten to twenty this is the golden opportunity. This is the time to plant the seed” [K 3.1 45-45]. Neben dem gegenwärtigen Beitrag zur Realisierung seiner Ziele bewertet Nafees die Leidenschaft, mit der ein Ziel verfolgt wird, als besonders wichtig für zukunftsgerichtetes Handeln; „Before the formal education you need a dream, your desire“ [K 3.1 33-33]. Diese Bewertung erfolgt vor dem Hintergrund einer außerordentlichen Kapitalausstattung „our school is one of the most established in this nation. Our clans are the most established ones in that Rajshahi Division” [K 3.2 33-33]. Auch die Erschließung weiterer Ressourcen ist durch die Verfügbarkeit von Finanzkapital sichergestellt „my parents will have, inschallah, the money to give me a high education“ [K 3.2 41-41]. Zwar kann Nafees derzeit noch keinen Bildungsabschluss vorweisen, doch hegt er, unterstützt durch positive Entwicklungserfahrungen, keinen Zweifel an der Machbarkeit seines Ziels. „If you go perhaps three years back in my life, I was not able to say one word. It was a lot of work and discipline” [K 3.2 37-37]. Aufbauend auf diese Selbstwirksamkeitserfahrung kann Nafees optimistisch in seine Zukunft blicken „if I have that vision and work hard for it, everything is possible“ [K 3.4 37-37]. Nafees kommt zwar, wie von ihm erwähnt, seiner muslimischen Pflicht des täglichen Gebets nach [K 3.5 13-13], doch geht er selbst nicht näher auf die damit verbundene subjektive Bedeutung des Glaubens ein. 78 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Soziale Einbindung von Handlungsoptionen Wie bereits beschrieben, verbringt Nafees einen Teil seines sozialen Lebens im Internet „facebooking, social networks, blogs and forums. I moderate some of them. I also have my own site. So I just enjoy” [K 4.1 13-13]. Globale Netzwerke und internationale Musikforen stellen für ihn eine Welt dar, in der er sich, wie im Rahmen seines Facebook-Auftritts, aus dem bangladeschischen Kontext herausheben und sich als Weltbürger identifizieren kann. Ein Teil der Entscheidungskraft für die längerfristige Zukunftsorientierung von Nafees liegt bei seinem Vater. Dennoch gestaltet Nafees seine Zukunft aktiv mit. Die dazu notwendigen Entscheidungen versteht er als mit seinen Autoritäten verhandelbar. Etwa diskutiert er die Frage der zukünftigen beruflichen Identität mit seinem Vater, macht dabei gezielt Zugeständnisse und findet letztlich einen Kompromiss; „my father wishes that I will be a doctor. I wish that I will be an engineer. So I will combine the doctor of my father and my thing into biological engineering.” [K 4.2 29-29]. Die für seine selbstständige Zukunftsorientierung notwendige moralische Unterstützung erfährt Nafees im schulischen Kontext „here are professors who are very committed and enthusiastic about teaching us“ [K 4.1 17-17]. Wenn er weitere oder persönlichere Hilfe benötigt, fordert er diese bei ihm vertrauten Menschen ein. So steht ihm etwa sein Bruder als Mentor zur Seite „So I ask a person who can help me with these things. My brother is such a mentor of mine” [K 4.1 33-33]. Eine inter-personelle Entwicklung in der Form von neuen Beziehungsformen erachtet Nafees als erstrebenswert „A girlfriend? (lachen) Oh yeah I hope so. (lachen“) [K 4.3 27-27], doch hält er eine Eheschließung in den nächsten fünf Jahre für nicht relevant [K 4.3 2525]. Dies begründet er mit der Unvereinbarkeit der Verantwortung für Familie und der Verantwortung für die Gesellschaft. „If you have a family you have this responsibility for your children. But nation is not going to remember you” [K 4.1 33-33]. Sein Bestreben, durch gestaltende Veränderung in die Geschichte seines Landes einzugehen, ist von einem starken Verantwortungsgefühl für seine Gesellschaft motiviert; „I have this big motivation and responsibility towards my nation, towards my society and towards my generation” [K 4.1 21-21]. 79 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen Veränderungsbedarf sieht er insbesondere in den Auswirkungen der Armut auf die Kinder seiner Gesellschaft; „there are working children in the age of four and five by serving tea and bread. Why? Because they are poverty striken.” [K 5.1 41-41]. Auch die von Nafees erlebte Perspektivlosigkeit vieler Gleichaltriger seiner Gesellschaft belastet seine Einschätzung der bangladeschischen Gesellschaft [K 5.1 41-41]. Dennoch attestiert er der bangladeschischen Gesellschaft eine bereits vollzogene und in Zukunft weiter forcierte Entwicklung aus der Massenarmut heraus; „you have to see the change between the now-bangladesh and the Bangladesh ten years before“ [K 5.1 41-41]. Obwohl sich Nafees seiner im bangladeschischen Vergleich außerordentlich großen Ressourcenausstattung bewusst ist, belegt er die Entwicklung am eigenen Bispiel: „Each year under this Cambridge Colleges hundreds of students achieve this world highest and country highest education. And I’m a part of them. Definitely this is a sign of improvement” [K 5.1 41-41]. Aufbauend auf die Erfolge im Bildungsbereich in Bangladesch sieht Nafees seine Handlungsoption zur Überwindung der Armut in der technologischen Entwicklung des Landes [K 5.2 17-17]. Aus diesem Selbstverständnis heraus fühlt er sich als Elite seiner Gesellschaft zu deren Führung und Autorität berufen „We need an authority. That’s what I try to. That’s my vision” [K 5.2 33-33]. 5.3 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch – eine fallübergreifende Auswertung Ergänzend zu den in der fallspezifischen Auswertung aufgezeigten Begründungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsstrukturen greift die fallübergreifende Auswertung deren inhaltliche Horizonte auf und analysiert dort, wo sich Auffälligkeiten ergeben, die beobachteten Muster und Tendenzen. Die beiden Auswertungen können also nicht getrennt voneinander verstanden werden. So kann die fallübergreifende Analyse nur vor dem Hintergrund der fallbezogenen voll durchdrungen werden. Andererseits stellt die fallübergreifende Analyse mehr als eine Zusammenfassung der vorausgegangenen Analyse dar. An einigen Punkten der Analyse wird auf eine skalierende Strukturierung (Mayring, 2007) zurückgegriffen. Auf Basis der bestehenden Kategorien werden die Codings der fallspezifischen Analyse als Prädiktoren einer Intensitätsanalyse herangezogen (ebd.). Zur besseren Nachvollziehbarkeit sind die 80 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Einschätzungsdimensionen und die damit verbundenen Ankerzitate dem Anhang beigefügt. In einer anschließenden Interpretation soll das Antwortverhalten der befragten Jugendlichen in den Kontext der räumlichen Lebensbedingungen gestellt werden. Lebenseinstellung Prädiktor: [K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?] Das Schema ist im Anhang beigefügt, Beim vorausschauenden Blick der befragten Jugendlichen in ihre persönliche Zukunft sind alle Wahrnehmungen vertreten. Dabei fällt auf, dass sich die Begründung ihres Empfindens auf wenige Ressourcen beschränkt. Ausschlaggebend sind dabei das Humankapital in Form von Bildung und Arbeitskraft, das Finanzkapital und ein Entscheidungsfreiheit ermöglichendes soziales Netzwerk. Der Charakter ihrer Zukunftsperspektive ist aber letztlich davon abhängig, für wie nachhaltig sie die Erschließung der notwendigen Ressource einschätzen. Zu einer optimistischen Zukunftsperspektive gelangen diejenigen Jugendlichen, nach deren Einschätzung sie langanhaltend über eine von ihnen als wichtig erachtete Ressource verfügen. Darüber hinaus bewerten sie eine Mobilisierung weiterer Ressourcen durch die Hilfe der vorhandenen Ressource als wahrscheinlich. Pessimistisch bewerten diejenigen Jugendlichen ihre Zukunft, denen der Einsatz ihrer bestehenden Ressource durch eine Restriktion ihres Handelns langfristig untersagt ist oder die aufgrund eines Mangels an Finanzkapital keine neuen Ressourcen erschließen können. Übergangsbereiche ergeben sich dort, wo eine Ressource die Voraussetzung für eine positive Zukunftsperspektive darstellt und deren Mobilisierung entweder als wahrscheinlich oder aber als unwahrscheinlich eingeschätzt wird. Auffällig ist, dass gleich in zwei Fällen junge Frauen trotz der von ihnen verfügten Ressourcen aufgrund von autoritärer Einschränkung ihre Zukunft negativ bewerten. Dies gibt Hinweis auf die große Bedeutung der Entscheidungsfreiheit für die Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch. 81 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Religion: Im festen Glauben an eine gerechtere Zukunft Prädiktoren: [K 3.5 Welchen Stellenwert verleiht der Jugendliche dem Glauben an einen Gott?] [K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?] [K 1.1 Wie beschreibt der Jugendliche seinen Tagesverlauf?] Das Schema der Intensitätsanalyse ist im Anhang beigefügt. Was kann den Jugendlichen mit pessimistischer Zukunftsperspektive bei ihrem Leben in der oft als übermächtig und unveränderbar wahrgenommenen Umwelt Hoffnung geben? Bei der Untersuchung des Stellenwerts, dem die Jugendlichen dem Glauben an Gott verleihen, ergibt sich diesbezüglich eine bemerkenswerte Überschneidung. Gerade bei denjenigen drei Jugendlichen, die der Verwirklichung ihrer Ziele pessimistisch entgegen sehen, ließ sich eine besonders hohe Bedeutungszuschreibung gegenüber einer transzendenten Instanz herausarbeiten. So verknüpfen sie die Verwirklichung ihrer Ziele unmittelbar mit dem Glauben an eine göttlich bewirkte Wende in ihrem Leben. Diese Wende bedeutet für die Jugendlichen sowohl die Verfügbarkeit notwendiger Ressourcen als auch eine Befreiung aus restriktiven Zwängen. Die Jugendlichen mit optimistischer Zukunftsprognose gaben ein solches Gottesverständnis nicht an. Bei zwei dieser Jugendlichen konnte aber ein alltäglicher Kontakt zur religiösen Praxis herausgearbeitet werden. Fleiß und Leistung: Rudern gegen den Strom Prädiktor: [K 2.2 Welche Tugenden betont der Jugendliche?] Obwohl sich die Ressourcenausstattung der Jugendlichen und die daraus von ihnen abgeleiteten Handlungsoptionen sehr stark unterscheiden, so verfügen sie doch bezüglich ihrer Handlungsstrategie über eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit: Alle befragten Jugendlichen geben an, dass Fleiß und Leistung in ihrer Zukunftsorientierung eine wichtige Bedeutung zukommt, ohne die sie ihre Ziele in Zukunft nicht verwirklichen können. Gerade die befragten Jugendlichen mit geringer oder durch Restriktion eingeschränkter Ressourcenausstattung betonen, dass Fleiß und Leistung die einzigen Ressourcen ihrer Zukunftsorientierung darstellen. Die starke Betonung dieser pragmatischen Tugenden deutet darauf hin, dass das Bestreben, sich wirtschaftlich und sozial zu emanzipieren, tief im Verständnis der Jugendlichen verankert ist. 82 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Entwicklungsziel: Prädikator: [K 2.1 Was strebt der Jugendliche in seinem Leben an?] Diese Beobachtung einer pragmatischen und zielorientierten Jugend bestätigt sich beim Blick auf die Entwicklungsziele. Diese können aus den durch die Jugendlichen formulierten Zielen herausgearbeitet werden. Der Weg zur gesicherten Existenz führt für die befragten Jugendlichen über die Realisierung von Zielen im kulturell-sachlichen Entwicklungsbereich. Demgemäß stellt bei allen befragten Jugendlichen der Aufbau einer beruflichen Perspektive ein Ziel mit hoher Bedeutungszuschreibung dar. Oft haben die Jugendlichen einen bestimmten Beruf vor Augen, dessen Ausübung in ihrer Zukunftsorientierung einen hohen Stellenwert genießt. Im Gegensatz dazu spielt die Entwicklung im inter- und intrapersonellen Entwicklungsbereich beim Aufbau ihrer Identität eine untergeordnete Rolle. Beziehung, Familie, Eigenverantwortung – gut ausgebildete Frauen im Aufbruch Prädikatoren: [K 2.1 Was strebt der Jugendliche in seinem Leben an?] [K 4.2 Inwiefern ist der Jugendliche in seinem Handeln abhängig von den Entscheidungen anderer Personen?] [K 4.3 Welche Einstellung hat der Jugendliche gegenüber Ehe und Partnerschaft?] Das Schema der Zusammenhangsanalyse ist im Anhang beigefügt. Die nähere Untersuchung der Zukunftsorientierung der drei weiblichen Jugendlichen soll hier um zwei weitere Aspekte erweitert werden. Zur Beschreibung des Unabhängigkeitsstrebens der weiblichen Jugendlichen wird sowohl deren Einstellung gegenüber der Ehe als auch die Ausprägung ihres Familienwunsches in Betracht gezogen. Die drei weiblichen Jugendlichen unterscheiden sich insbesondere bezüglich ihres sozio-ökonomischen Hintergrunds und ihrer Ressourcenausstattung, ähneln sich jedoch grob in der von ihnen erfahrenen Restriktion ihres Handelns. Bezüglich ihres Unabhängigkeitsstrebens ergeben sich überraschende Parallelen zwischen Nazia und Prija. Beide formulieren ihre klare Abneigung gegenüber einer baldigen Ehe und ihr deutliches Unabhängigkeitsstreben. Da Nazia und Prija einzig im punkto Bildung über weitere Gemeinsamkeiten verfügen, liegt die Deutung nahe, dass sich diese neben der Abneigung gegen die empfundene Restriktion als wichtiger Faktor auf das 83 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Werteempfinden der beiden jungen Frauen auswirkt. Die Sprengkraft, die sich daraus in einer traditionell restriktiven Umgebung ergibt, lässt sich in der fallbezogenen Auswertung von Prijas Zukunftorientierung nachvollziehen. Zukunftsperspektiven für Bangladesch Prädikatoren: [K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?] [K 5.1 Wie empfindet der Jugendliche die gesellschaftliche Entwicklung Bangladeschs?] Das Schema der Zusammenhangsanalyse ist im Anhang beigefügt. Bezüglich der Vorstellungen über ihre Zukunft und der Einschätzung der ihnen für deren Gestaltung zur Verfügung stehenden Ressourcen konnte bei den untersuchten Jugendlichen eine überraschende Klarheit nachgewiesen werden. Welches Bild der bangladeschischen Gesellschaft lässt sich jedoch aus der Sichtweise von so unterschiedlichen Jugendlichen heraus generieren? Auffallend ist zunächst, dass die jeweilige Einschätzung der bangladeschischen Gesellschaft in engem Zusammenhang mit der persönlichen Zukunftsperspektive steht. Die empfundene Lebenseinstellung scheint sich demnach auch auf die gesellschaftliche und politische Wahrnehmung auszuwirken. Im Rahmen der Studie hielten die Gesellschafts-Pessimisten den Gesellschafts-Optimisten die Waage. Gesellschaftsbestimmende Faktoren Prädikatoren: Basisdaten: Angestrebter Bildungsabschluss; Beruf der Eltern [K 5.1 Wie empfindet der Jugendliche die gesellschaftliche Entwicklung Bangladeschs?] Die angegebenen gesellschaftsbestimmenden Faktoren beschränken sich dabei im Kern auf nur zwei Faktoren: Zum einen ist dies der Anschluss der Bevölkerung an das Bildungssystem und die Etablierung von exzellenter Bildung, zum anderen ist dies das Verhalten der Regierung und der bestehenden Eliten der Gesellschaft. Auf diese Faktoren aufbauend entscheidet die jeweilige subjektive Gewichtung und Bewertung über die Ausprägung der jeweiligen gesellschaftlichen Zukunftsperspektive. Bei der Bewertung macht sich auch bemerkbar, inwiefern die Jugendlichen über die Ressource Bildung selbst verfügen und welchen sozio-ökonomischen Hintergrund sie haben. So geben die befragten Jugendlichen aus gesicherten Verhältnissen und mit guter Bildung 84 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch eine positivere gesellschaftliche Zukunftsprognose ab als diejenigen Jugendlichen, auf die diese Eigenschaften nicht zutreffen. Einigkeit unter den befragten Jugendlichen herrscht hingegen in der Bewertung der Regierung. Unabhängig vom sozio-ökonomischen Hintergrund und von der Ressourcenausstattung äußern alle Jugendlichen zum Teil heftige Kritik an der Regierung und den Eliten Bangladeschs. Demgemäß benennen die von Armut und Ressourcenmangel betroffenen Jugendlichen die bangladeschische Regierung als Verantwortliche für ihr persönliches Leiden. Dieses Unrecht wird auch von den Jugendlichen mit starkem ökonomischem Rückhalt so wahrgenommen, wenngleich aus einer distanzierteren Perspektive. Sie äußern ihre Kritik gegenüber der von der Regierung bewusst angestrebten Ungleichverteilung von Bildung und Gesundheitsversorgung. Die befragten Jugendlichen, die zwar über eine gute Bildung, aber über einen weniger etablierten sozio-ökonomischen Hintergrund verfügen, drücken ihre Kritik allgemeiner gegenüber der mangelnden moralischen Integrität politischen Handelns aus. Gesellschaftsverändernde Handlungsoptionen Prädikatoren: [K 5.2 Worin sieht der Jugendliche Beiträge zur Überwindung der Armut in Bangladesch und welche Rolle kommt ihm dabei zu?] Auch die Erfassung gesellschaftsverändernder Handlungsoptionen steht in engem Zusammenhang mit dem Anschluss an weiterführende Bildung. So empfinden die befragten Jugendlichen, die das College besuchen, ihre Umwelt als durch sie veränderbar. Hierzu wird die eigene Bildung von ihnen als wichtige Voraussetzung bewertet. Darüber hinaus sehen die Jugendlichen mit exklusiver Bildung und etablierter Herkunft ihre herausragende Stellung als Motivation, verändernd in die Gesellschaft einzugreifen. Mit der Ressourcenausstattung wächst unter den Befragten also auch die Größe der angestrebten gesellschaftverändernden Projekte und der für die Gesellschaft empfundenen Verantwortung. Folglich empfinden die Jugendlichen, die lediglich über eine Grundbildung verfügen, ihre gesellschaftliche Rolle als passiv und die darin bestehenden Bedingungen als durch sie nicht veränderbar. 85 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 6. Diskussion In diesem Kapitel sollen nun die bereits fallspezifisch wie auch zum Teil fallübergreifend strukturierten Ergebnisse der Studie in ein übergreifendes Bild eingefügt werden. Dies wurde bereits im Kapitel 4.2 über die Datensammlung hinaus als ein Ziel der Studie formuliert. Danach wird auch das gewählte entwicklungspsychologische und geographische Analyseraster nochmals in den Blick genommen. Ein Ausblick auf Ideen und Anregungen, die über diese Studie hinausgehen und Raum für Folgestudien geben, schließt sich an. 6.1 Zusammenfassende Interpretation der Ergebnisse Auf den ersten Blick könnte die analysierte Zukunftsorientierung der befragten Jugendlichen kaum unterschiedlicher ausfallen. Darin spiegeln sich recht eindrucksvoll die Ungleichheiten innerhalb der bangladeschischen Jugend wider, die von außen betrachtet leicht übersehen werden. Mit der Jugend in Bangladesch sind neben den Begriffen Armut, Existenzkampf und Abhängigkeit ebenso fest die Begriffe Bildung, Leistungsbereitschaft und der Mut zur Veränderung verbunden. Dennoch lassen sich auch innerhalb der enormen Spannbreite unter den befragten Jugendlichen neben Unterschieden auch Gemeinsamkeiten finden und interpretieren. Die befragten Jugendlichen schildern ihren gewöhnlichen Tagesverlauf als fest strukturiert. Ihre Freizeit verbringen sie im Aktionsfeld ihrer Familie. Ein institutionalisiertes Freizeitleben in Clubs und Vereinen, wie dies bei Jugendlichen in Mitteleuropa die Regel ist, schildern sie nicht. Große Bedeutung messen die Jugendlichen dagegen ihrer Arbeit beziehungsweise ihrer Schulbildung und dem für sie dazugehörenden Nachhilfeunterricht zu. Dies begründen sie mit der Einschätzung, dass ihre Zukunft abhängig von der von ihnen erbrachten Leistung ist. Dementsprechend erklären die Jugendlichen, dass Fleiß und Leistung auch in Zukunft von ihnen angestrebte Tugenden seien. Dieses Bild einer pragmatischen und zielorientierten Jugend konkretisiert sich in dem von ihnen stark betonten kulturell-sachlichen Entwicklungsziel der sozialen und ökonomischen Etablierung. Die in Deutschland bestimmenden Ziele der intra- und inter-personellen Entwicklung (vgl. Albert, 2010), wie beispielsweise die Entwicklung der eigenen Sexualität oder der Ablösung von der 86 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Familie, konnten bei den ökonomisch schwächeren Jugendlichen nicht festgestellt werden. Hingegen ist das Alltagsleben bereits in diesem frühen Alter sehr stark durch Erwerbstätigkeit und Verantwortung bestimmt, wie es bei westlichen Jugendlichen keineswegs erwartet wird. Lanoon arbeitet wie viele andere junge Menschen bereits seit frühester Jugend. Es zeigt sich, dass die von außen als prekär wahrgenommene Umwelt auch von den Jugendlichen als solche erkannt wird. Diese kann ihrer Meinung nach nur durch die eigene Entwicklung bewältigt werden. In diesem Zusammenhang nehmen die Jugendlichen die Vulnerabilität der gesundheitlichen Probleme und der Risiken ihrer Umwelt in besonderem Maße wahr. Dies wird daraus ersichtlich, dass alle befragten Jugendlichen, die über die entsprechende Schulbildung verfügen, den Arztberuf anstreben. Zumindest bezeichnen von den vier betroffenen Jugendlichen Nazia und Prija eine Verbesserung der prekären gesundheitlichen Situation für Teile der Gesellschaft als explizit notwendig. Vorsicht ist bei der verallgemeinernden Interpretation gleichwohl am Platz: Der Arztberuf könnte auch lediglich stellvertretend für den Wunsch nach einer besonderen sozialen Etablierung stehen. Die Entwicklung, die das Bildungssystem in Bangladesch in den letzen Jahren durchlaufen hat, zeichnet sich darin ab, dass die Jugendlichen dieser Ressource für ihre Zukunftsorientierung große Bedeutung zuschreiben. So wissen alle befragten Jugendlichen, auch diejenigen, die ausschließlich über eine Grundbildung verfügen, um den Wert von Bildung für die nachhaltige Erschließung von Sach- und Finanzkapital. Diejenigen Jugendlichen, die bereits über eine weiterführende Bildung verfügen, benennen diese als wichtigen Grundpfeiler ihrer bisherigen und zukünftigen Entwicklung. Den Wert von Bildung knüpfen die Jugendlichen über das Bildungszertifikat hinaus an eine für sie positiv belegte Handlungserfahrung. Aus dieser Erfahrung heraus gelingt es, eine Selbstwirksamkeit zu generieren, die einen großen Teil ihres personellen Kapitals ausmacht. Lanoon, der nur über eine abgebrochene Grundbildung verfügt, versteht dies als relativen Nachteil seiner Zukunftsorientierung. Durch diese Einschränkung hat er das Gefühl, an der Entwicklung des eigenen Landes nicht teilhaben zu können. Das könnte ein Beleg für den bestehenden Verteilungskampf sein, der trotz oder sogar wegen der Verbesserungen im Bildungssektor um die 87 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Erschließung der Ressource Bildung in Bangladesch geführt wird. Das Beispiel Lanoon zeigt die Sprengkraft, die in der Bildungsentwicklung liegen kann, weil offensichtlich nicht alle Jugendlichen daran teilhaben können. Die Erschließung der Ressource Bildung ist für alle befragten Jugendlichen eng gekoppelt an die Verfügbarkeit von Finanzkapital. Drei der befragten Jugendlichen erachten daher die Fortsetzung der bestehenden Bildungslaufbahnen, ob nun in der Sekundarstufe oder im Studium, als faktisch nicht möglich. Ihr eingeschränktes Finanzkapital hindert sie an dieser zukünftigen Handlungsoption. Für den anderen Teil der Jugendlichen entstehen aus der Finanzfrage zum Teil beträchtliche Dependenzen gegenüber den für sie verantwortlichen Familienangehörigen. Zur kulturell tradierten Abhängigkeit kommt also eine finanziell begründete Abhängigkeit hinzu. An diesen Punkt knüpfen die neueren Programme zur Grundbildung von Mädchen an. Wie bereits im dritten Kapitel beschrieben, wird im Rahmen dieser Programme während der Zeit der Primarbildung Geld auf ein externes, erst nachträglich belastbares Konto eingezahlt. Die finanzielle Abhängigkeit der Jugendlichen wird also gelöst, ohne sie dem Stützsystem ihres Sozialkapitals zu entziehen. Es lastet jedoch ein enormer emotionaler Druck auf den Jugendlichen, wenn sie eine erfolgreich begonnene Bildungslaufbahn nicht zufriedenstellend im Sekundärbereich weiterführen können. Dies lässt sich anhand der Aussagen von Prija belegen. Derartige Programme zur Begleitung von jungen Frauen sollten daher zumindest bei guten Leistungen über den gesamten Zeitraum ihrer Bildungslaufbahn verlaufen. Die Zahlen zur Bildungssituation in Bangladesch dokumentieren aber auch ein Zurückbleiben der finanziell nicht etablierten männlichen Jugendlichen gegenüber den weiblichen Jugendlichen bei der Schulbildung. Da, wie am Beispiel von Lanoon nachzuvollziehen, ihre Bildungslaufbahn auch bei sehr guten schulischen Leistungen oftmals durch die Notwendigkeit des Gelderwerbs im frühen Jugendalter abgebrochen wird, erscheinen auch für männliche Jugendliche derartige Programme sinnvoll. Als Auswirkung der kulturell tradierten Abhängigkeit lässt sich vor allem die Abneigung von Prija und Nazia gegenüber der Institution Ehe verstehen. Zu interpretieren ist diese Abneigung als Angst, die durch Berufstätigkeit und finanzielle Unabhängigkeit erlangte soziale Etablierung und Entscheidungsfreiheit zukünftig 88 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch wieder aufgeben zu müssen. Im Falle einer frühen Heirat besteht berechtigterweise die Befürchtung, die soziale Etablierung wegen einer möglichen Einschränkung der Handlungsoptionen durch ihren Ehemann erst gar nicht zu erreichen. Welche Spannungen und kulturellen Veränderungen sich durch eine Rebellion gut gebildeter Frauen gegen die bangladeschische Gesellschaft ergeben könnten, bleibt abzuwarten. Noch immer werden 66% aller weiblichen Jugendlichen vor dem 19. Lebensjahr verheiratet. Das Spannungsverhältnis, in dem sich wohl viele von ihnen bewegen, lässt sich am Beispiel von Fatima herausarbeiten. Auf der einen Seite bewirken die von ihrem sozialen Netzwerk ausgehenden Einschränkungen ihrer Handlungsoptionen eine mangelhafte Existenzsicherung. Das heißt, aufgrund des Verbots seitens ihrer Schwiegerfamilie, für den Gelderwerb zu arbeiten, ist ihre Zukunftsorientierung eingeschränkt. Auf der anderen Seite weiß Fatima auch um die ökonomische Bedeutung von sozialen Netzwerken für ihre zukünftige Existenzsicherung. Ihr ist bewusst, dass ihre Zukunft akut bedroht ist, wenn sie sich dem Verbot widersetzt. Die bestehende Abhängigkeit wird durch das zu zahlende Brautgeld weiter verstärkt. Dass Fatima ausgerechnet der Textilindustrie, die für ihre Dumpinglöhne und schlechten Arbeitsbedingungen in Bangladesch heftig kritisiert wird, eine hohe Bedeutung für ihre eigene Zukunftsorientierung zurechnet, wirft neues Licht auf diese Debatte. Die Textilindustrie positioniert sich dabei als Dreh- und Angelpunkt des Abhängigkeitsverhältnisses, in dem die weiblichen Jugendlichen in Bangladesch stehen: Auf der einen Seite vermag es die Textilindustrie vermutlich in der Wahrnehmung der jungen Frauen, angesichts der für sie anders nicht zugänglichen Berufstätigkeit Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und ihnen so unabhängige Zukunftsoptionen zu vermitteln. Auf der anderen Seite nutzt die Textilindustrie gerade diese kulturell bedingte Abhängigkeit aus, um schlecht bezahlte Arbeitskräfte zu gewinnen. Dass dies von Jugendlichen in Bangladesch ebenfalls wahrgenommen wird, zeigen die zunehmenden Proteste gerade von jungen Frauen aus der Textilindustrie. Der von den Jugendlichen empfundene Optimismus oder Pessimismus stützt sich in großem Maße auf ihre Prognose, ob das nötige Kapital nachhaltig zur Verfügung steht und ob sie mit dessen Hilfe ihre Kapitalausstattung insgesamt vergrößern können. Diese Einschätzung projiziert sehr exakt die jetzige Situation der Jugendlichen in ihre 89 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Zukunftsorientierung. Darin wird deutlich, wie realistisch sie ihre eigene Kapitalausstattung und ihre Abhängigkeiten einschätzen und wie wichtig positive Handlungserfahrungen für das personelle Kapital ihrer Zukunftsorientierung sind. Der festgestellte enge Zusammenhang zwischen persönlicher und gesellschaftlicher Zukunftseinschätzung könnte belegen, dass diese Erfahrungen auch Bedeutung für die Zukunft des ganzen Landes haben. Zwischen den Faktoren, welche sowohl die Jugendlichen mit pessimistischer als auch diejenigen mit optimistischer gesellschaftlicher Zukunftseinschätzung als relevant benennen, ergeben sich große Überschneidungen. Dreißig Jahre nach dem Kampf für die Unabhängigkeit Bangladeschs sind die befragten Jugendlichen politisiert und zum Teil äußerst kritisch gegenüber der Regierung und den Eliten des Landes. Die Jugendlichen teilen darin die Einschätzung, dass die Verantwortlichen Bangladeschs über weite Teile korrupt seien und nur zum Wohle einiger Weniger handeln. Die Kritik fokussiert sich auf die für weite Teile der Bevölkerung ausbleibende Infrastruktur im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Ob die Jugendlichen daraus für die Zukunftsaussichten des Landes den Schluss einer negativen oder einer positiven Einschätzung ziehen, hängt von ihrer subjektiven Gewichtung der Faktoren ab. Diese wird durch den Grad ihrer persönlichen Betroffenheit beeinflusst. Von den stärker negativ betroffenen Jugendlichen werden die Gründe für die bleibende Armut noch etwas deutlicher beschrieben. Hierbei werden auch die inflationär steigenden Lebensmittelpreise der sich verändernden Landwirtschaft genannt. Nicht zuletzt äußern die befragten Jugendlichen Kritik an der innenpolitischen Instabilität ihres Landes. Dabei kritisieren sie sowohl die mit ihr verbundene physische Gewalt als auch die Untätigkeit der Regierung gegenüber den Missständen in der Gesellschaft. Die Handlungsoptionen, die die Jugendlichen aus ihrer Wahrnehmung eines politisch schwachen Staates ableiten, erinnern überraschenderweise an jene Denkstrukturen, die in den neoliberalen Industriestaaten des Westens festgestellt werden konnten (Lemke, 2000). Die Selbstverantwortung, die der starke neoliberale Staat als sein Credo predigt, entwickelt sich gleichzeitig im schwachen Staat Bangladesch als Rückzugs- und Hoffnungslinie für die Handlungsoptionen von Jugendlichen. In dieser Hinsicht ist die 90 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch starke Betonung der kulturell-sachlichen Entwicklung durch die Jugendlichen erweitert zu interpretieren: Für die Jugendlichen eröffnet die soziale Etablierung die Hoffnung, für die Anstrengungen und Risiken ihrer Zukunftsorientierung finanziell kompensiert zu werden. Dies wirkt sich als Denkschema moralisch und disziplinierend auf die Zukunftsorientierung aus, indem es Fleiß und Leistung als Tugend etabliert. Das Denken speziell der befragten etablierten Jugendlichen, wonach die Armut anderer durch die betroffenen Jugendlichen selbst zu verantworten ist, geht aus einigen ihrer Aussagen hervor. Für sie scheint diese Einschätzung nicht im Widerspruch zur Kritik an der Regierung zu stehen. Vielmehr haben sie über die Handlungsunfähigkeit der Regierung resigniert und übertragen in der Folge deren Verantwortung auf sich selbst. Dies wird besonders in den Aussagen von Nafees deutlich. Es gilt vor allem für die gesellschaftlichen Risiken Armut, Krankheit und fehlende Bildung, die nach diesem Denken selbstverantwortlich gemeistert werden müssten. Auffällig ist, dass die von den befragten Jugendlichen genannten Risiken nur einen Teil des für den Untersuchungsraum objektiv geltenden Vulnerabilitätskontextes darstellen. Hingegen wurden die international sehr stark wahrgenommenen naturräumlichen Risiken Bangladeschs von den befragten Jugendlichen nicht erwähnt. Dies ist umso erstaunlicher, als die Jugendlichen etwa durch die Überschwemmungen am Fluss Padma oder durch die Dürren im Norden der Provinz Rajshahi selbst davon betroffen sind. Zumindest die Jugendlichen, die das College besuchen, dürften wohl über die Folgen des Klima- und Landnutzungswandels insofern in Kenntnis gesetzt sein, als dass sie diese für die Situation ihres Landes als relevant einschätzen müssten. Sollten sich selbst die gut gebildeten Jugendlichen als zukünftige Verantwortungsträger der bangladeschischen Gesellschaft dessen nicht bewusst sein, wäre dies für Bangladesch äußerst problematisch. Auch bei Fatima und Lanoon ist von der Kenntnis dieser Probleme auszugehen, leben sie doch unmittelbar am Fluss Padma. Eine Verteuerung der Lebensmittel in Folge von Dürren wirkt sich gerade auf sie spürbar aus. Wenn die Problematik trotzdem nicht explizit genannt wird, ist anzunehmen, dass diese latenten naturräumlichen Risiken von den alltäglich spürbaren Risiken ihrer Zukunftsorientierung überlagert werden. Tatsächlich stellt sich die Frage, durch welche Ressourcen sich Jugendliche wie Fatima und Lanoon vor solcherlei Risiken schützen sollten. Vermutlich liegt gerade in der Bewältigung der alltäglichen Existenzsicherung 91 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch in ihrem Denken die einzige Möglichkeit, ihre Resilienz gegenüber den naturräumlichen Risiken zu vergrößern. Die Unterstützung der Jugendlichen bei ihrer Zukunftsorientierung stellt damit eine wichtige Voraussetzung zur Bewältigung der gesellschaftlichen und naturräumlichen Risiken Bangladeschs dar. 6.2 Reflexion des Analyserasters Das Analyseraster, an dem die Interviews in Bangladesch und deren Auswertung ausgerichtet wurden, ist in den Kapiteln 4.2 und 4.3.1 dieser Arbeit beschrieben. Nach der Auswertung sowie der zusammenfassenden Interpretation liegt es nahe, im Rückblick das Analyseraster selbst einer Bewertung zu unterziehen. Grundsätzlich hat sich aus Sicht des Autors bestätigt, dass sich die Frage nach der spezifischen Ausstattung mit unterschiedlichen Kapitalien als Leitlinie für die Untersuchung der Handlungsoptionen jugendlicher Zukunftsorientierung geeignet hat. Das lässt sich insbesondere damit belegen, dass sich die persönlichen Aussagen der Jugendlichen sehr gut in die verschiedenen Kategorien des Rasters einordnen ließen, obwohl den Jugendlichen das Raster selbst nicht bewusst gemacht wurde. Das gilt insbesondere für die Aussagen im Zusammenhang mit der nachhaltigen Zukunftsorientierung, wie sie im Kapitel 2.5 formuliert sind. Auch die darin enthaltenen Fragestellungen finden sich in den Aussagen der Jugendlichen wieder. Schließlich hat sich auch gezeigt, dass der Sustainable-Livelihood-Approach, wie im Kapitel 2.1 angedacht, die Lücke zwischen Makro- und Mikroebene so zu schließen hilft, dass die Auswirkungen und Verbindungen der beiden Ebenen ihr eigenes Gewicht behalten. Dies wurde in Kapitel 6.1 an einigen Stellen illustriert. Allerdings muss noch auf eine spezielle Problematik hingewiesen werden, die beim Vergleich von Ergebnissen der Studie mit ähnlichen Analysen aus dem westlichen Raum beachtet werden muss (Albert et al., 2010): Wie vielfach angesprochen, stellt sich das Alltagsleben der Jugendlichen in Bangladesch wesentlich anders dar als in den westlichen Industrienationen. Genannt seien nur noch einmal der extrem frühe Beginn des Erwerbslebens und die ebenfalls extrem frühe Verheiratung von Mädchen. Von daher könnte man fragen, ob die Abgrenzung des Jugend-Stadiums mit einem Alter von 21 Jahren, wie es im Westen üblich ist, hier überhaupt sachgerecht war. Allerdings: 92 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Würde man aus den genannten Gründen in Bangladesch nur Jugendliche z.B. bis zum Alter von 14 betrachten, so würden in den Ergebnissen gerade die wesentlichen Unterschiede verdeckt, die in der Altersgruppe 15 bis 21 Jahren zwischen den verschiedenen Jugend-Welten festzustellen sind. Von daher kann nur daran festgehalten werden, für die Untersuchung der Zukunftsorientierung hier wie dort dasselbe AltersRaster zu verwenden. Allerdings erfordert dies auch, das Denken und Verhalten innerhalb der genannten Altersgruppe differenziert zu betrachten. 6.3 Ausblick Da die vorliegende Studie ein bisher wenig erforschtes Feld betrifft, bietet sich zum Abschluss ein Ausblick auf ihre Anwendungsfelder und auf mögliche Folgestudien an. Vorausgegangene Betrachtungen von Jugend in Entwicklungsländern differenzierten diese oftmals gar nicht oder nur nach sozio-ökonomischem Hintergrund. Dies steht im Gegensatz zur westeuropäischen Betrachtung von Jugend seit dem Ende der 1970er Jahre. Ausgehend von Bourdieu (2010) werden seitdem soziale Typen der Jugend eines Landes, wie etwa Milieus oder Cliquen, bezüglich ihres Habitus untereinander differenziert. Die festgestellten Differenzen im Denken und Verhalten innerhalb der Jugend Bangladeschs legen auch für dieses Feld eine solche differenzierte Betrachtung nahe. Die Dringlichkeit dessen ergibt sich insbesondere aus den beschriebenen Umbrüchen im Bildungsbereich und daraus folgend auch im Kulturbereich in der Jugend Bangladeschs. Die bisher eindimensionale ökonomische Betrachtung von Jugend wäre dabei um zusätzliche Achsen wie Werteausrichtung und Bildung zu einer Soziomatrix zu ergänzen. Anhand dieser könnte der gesellschaftliche Raum von Entwicklungsländern umfassender beschrieben werden. Um solch eine Typenbildung innerhalb der Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch vorzunehmen, bedarf es in Folgestudien einer weit größeren Anzahl an befragten Personen. Die qualitativ erhobenen Ergebnisse der vorliegenden Studie könnten ein darauf aufbauendes quantitatives Design der Datenerfassung zukünftig erleichtern. Wie bereits im Kapitel 6.1 beschrieben, wurden naturräumliche Veränderungen, wie etwa die Folgen des Klimawandels, von den befragten Jugendlichen nicht erwähnt. Um 93 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch die Auswirkung dieser Veränderungen auf die Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch explizit zu ermitteln, müsste man die Fragstellung von Folgestudien dahingehend forcieren und vermutlich auch auf andere Landesteile Bangladeschs ausweiten. Praktische Anwendung könnten die Ergebnisse der Studie zukünftig in der Entwicklungsarbeit von staatlichen Verantwortungsträgern wie auch von NGO’s finden. Gerade die schulische Vermittlung von Handlungsstrategien zur nachhaltigen Zukunftsorientierung kann eine Möglichkeit zur Förderung Jugendlicher darstellen. Hierbei kann zukünftig auf die Ergebnisse der Studie zurückgegriffen werden. Die Förderung kann dabei aber auch weit über die formelle Bildung hinausgehen. Ein praktisches Beispiel wären Programme zur begleiteten Vergabe von sehr gering verzinsten Minikrediten. Diese könnten den Jugendlichen helfen, das dann verfügbare Finanzkapital nachhaltig und strategisch sinnvoll für ihre Zukunftsorientierung einzusetzen. Die gewonnenen Erkenntnisse, etwa über die große Bedeutung von positiven Handlungserfahrungen, das Wirken autoritärer Einschränkungen der Handlungsoptionen oder den Wert sozialer Sicherungssysteme stellen eine Basis für solche Programme dar. Diese würden einen sinnvollen Gegensatz zur bisher weit verbreiteten Praxis der unbegleiteten, aber hochverzinsten Kreditvergabe darstellen. Die Evaluierung solcher Programme bietet darüber hinaus Raum für Folgestudien. Nicht zuletzt bieten sich aber die Ergebnisse der Studie auch für den Einsatz in deutschen Schulen konstruktivistische an. Einen passenden Ansatz Teaching-Through-Geography stellt Ansatz etwa (Leat, der moderat- 2008) dar. Beispielsweise bietet auf Grundlage der Studie entworfenes Material den Schülern die Möglichkeit, sich in die bestehenden Lebenswelten, Ressourcen, Herausforderungen und Risiken der sechs befragten Personen hineinzuversetzen und daraus für die Jugendlichen eine Zukunftsorientierung zu entwickeln. Ein Vergleich der durch die Schüler gezogenen Schlüsse mit denjenigen ihrer bangladeschischen Gleichaltrigen dürfte sich als sehr eindrucksvoll erweisen. Die Kenntnis der Zukunftsorientierung von Jugendlichen in anderen Lebenswelten regt darüber hinaus zur Reflexion der eigenen Zukunftsorientierung an. Beim Vergleich zwischen der eigenen und der bangladeschischen Zukunftsorientierung werden die Ähnlichkeiten und Unterschiede 94 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch klar vor Augen geführt. Sie stehen in engem Zusammenhang mit dem im badenwürttembergischen Bildungsplan (2004) formulierten Eine-Welt-Gedanken: Obwohl die Unterschiede der lokalen Handlungsmöglichkeiten sehr groß sind, stehen sie in unserer globalen Welt doch in einem inneren Zusammenhang. Alle bisher genannten Folgestudien und Anwendungsfelder gehen hinsichtlich Zeitbedarf, finanziellem Aufwand und Manpower weit über das hinaus, was im Rahmen einer Examensarbeit geleistet werden kann, und sind nur im Rahmen größerer Forschungsprojekte leitbar. Die Entstehung der vorliegenden Examensarbeit ist für mich mit vielen persönlichen Erfahrungen verbunden. Als Herausforderung und große Bereicherung empfand ich es, sich von einem wissenschaftlich zu bearbeitenden Feld intensiv und nachhaltig berühren zu lassen. Daher möchte ich selbst den Gedanken dieser Arbeit im Lebenslauf weiterverfolgen und auch Kolleginnen und Kollegen ermuntern, dies zu tun. 95 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Danksagung Diese Arbeit wäre ohne die große Hilfe von vielen Seiten nicht möglich gewesen. Zunächst möchte ich mich bei den sechs Jugendlichen bedanken, die mit ihrer offenen Gesprächsbereitschaft die Grundlage für diese Arbeit geschaffen haben. Wenn sie nicht den Mut dazu gehabt hätten, mir ihren Alltag und ihre Wünsche und Sorgen für die Zukunft in den Interviews anzuvertrauen, wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Auch meinen einheimischen Begleitern, die mir während meines Forschungsaufenthaltes mit ihrem Rat, ihrer Umsicht und ihrem sprachlichen Einfühlungsvermögen zur Seite standen, möchte ich hiermit danken. In der Zuversicht, dass sie ihre Zukunft meistern werden, wünsche ich ihnen allen Gottes Segen. Es sind dies: Fahim, Nafees, Nazia, Fatima, Lanoon, Wasil, Prija Besonders bedanken möchte ich mich bei Melina Korn, die mir während der aufregendsten Zeiten der Forschung für diese Arbeit zur Seite stand und durch ihre feinfühlige Interviewführung mit zwei der befragten weiblichen Jugendlichen wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beitrug. Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Gregor Falk. Er gab mir durch seine Bereitschaft, mich an seinem großen Wissen über Bangladesch und an seinen wertvollen Verbindungen dorthin teilhaben zu lassen, den Mut zur Forschung in diesem Feld. In diesem Zusammenhang gilt mein Dank auch Prof. Dr. Raquib Ahmed, der mir durch seine Gastfreundschaft und die Hilfe bei der Organisation in Rajshahi eine sichere Basis bot. Bei Prof. Dr. Karin Schleider und Michael Müller möchte ich mich für die Offenheit gegenüber meiner nicht unbedingt alltäglichen Themenwahl bedanken. Durch ihr offenes Ohr und ihr reichhaltiges Forschungswissen wurde das Design dieser Studie maßgeblich mitgeprägt. Schließlich gilt mein Dank auch Anne Joas. Sie begleitete mich während der Phase des schriftlichen Arbeitens, gab mir den Mut, in Durstphasen weiterzuarbeiten, und fing 96 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch nicht zuletzt auch meine Emotionen auf, die durch die Erfahrungen in Bangladesch ausgelöst wurden. 97 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Literaturverzeichnis Ahmed, Raquib; Falk, Gregor C. (2008): Bangladesh: Environment under pressure. In: Geographische Rundschau International Edition, Jg. 4, H. 1, S. 11–19. Albert, Mathias; Hurrelmann, Klaus; Quenzel, Gudrun (2010): Jugend 2010. Eine pragmatische Generation behauptet sich. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag (FischerTaschenbuch, 18857). 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Anhang 7.1 Interviewleitfaden Johannes Bertsch PH Freiburg Manual Future-orientation of adolescents in Bangladesh Code-Nummer:_____________________________________________ Place:__________________________ Provinz:_____________________________ Date/Time:______________________________________________________ Instruction: We are a group of scientists from a University of Education in Germany. In our Interviews we are interested in adolescents’ imaginations for the future. So we will ask about your feelings for the future and about the society of Bangladesh. This knowledge is useful for political decisions and general assessments. With your contribution you will be a part of a project of the University of Education in Freiburg. This would be very helpful. 102 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Warm-Up 1. What are you doing at a usual day? Perhaps yesterday was a usual day. Can you tell me what you have done yesterday? a. What was nice? b. Is there something which was not nice? What was your motivation to do it? Vision of future 2. Imagine that I will meet you again in five years. Can you tell me a story about a typical day, you’ll have then? Are you telling me about the future, you wish like? What about other wishes, like family, partnership, working or earning some money? Strategies (first step) 3. What do you have to do for realizing these wishes? Possibility: „I can’t do anything“ 4. But why? Can you explain me your problems? 5. Is your future depending on the decisions of other persons? Perhaps you can tell me a typical situation? Strategies (second step) 6. What do you need to realize your wishes? Which of these assumptions you have not yet? Do you see any possibility to get these assumptions? 7. Who can help you to make your wishes come true? Hope 8. Do you think your wishes will become true? Optimism 9. How do you assess the future of Bangladesh? What gives you some hope? What are you afraid of? 103 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Last question 10. Would you like to add something, which could be interesting for this subject? Allgemeine Daten Geschlecht: m:____ w:______ Alter: ___________ Tätigkeit:__________________________________________________ (wenn Schüler) welche Schulart:_______________________________ Welcher Schulabschluss wird angestrebt:___________ (wenn in Arbeit) Tätigkeitsfeld:_________________________________ Ausbildung: ja_____ nein______ Im Betrieb der Eltern: ja_____ nein______ Tätigkeit der Eltern: ______________________________________________ Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben: Kategorien müssen noch gefunden werden – Kodierung? ____________________________________________________________ ____________________________________________________________ ____________________________________________________________ ____________________________________________________________ ____________________________________________________________ 104 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 7.2 Transkriptionsregeln - Die Transkription erfolgt in englischer Standardorthographie. - Wo notwendig, darf das Textmaterial einer korrekten Grammatik angepasst werden. Dieser Fall ergibt sich genau dann, wenn der Sinn des Gesagten zwar im Kontext noch verständlich, als einzelnes Zitat jedoch unverständlich ist. - Bitte vollständig und wörtlich transkribieren. - Unvollständige und deshalb unverständliche Aussagen sowie Wiederholungen werden weggelassen. - Bei Pausen werden Gedankenstriche ( - ) verwendet, bei längeren Pausen können mehrere Gedankenstriche ( -- ) verwendet werden. Wenn der Grund der Pause bekannt ist, soll dieser mit angegeben werden. - Auffällige Betonungen sollen unterstrichen werden. - Auffälligkeiten wie Lachen oder Räuspern sollen als Kommentare in deutscher Sprache in Klammern wiedergegeben werden. - Die arabischen Redewendungen „inschallah“ (wenn Gott will), „allhambrullah“ (mit Gottes Hilfe) und „Donobat“ (Danke) werden entsprechend angegeben. 105 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 7.3 Transkriptionen und Kategorisierung 7.3.1 Prija 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 Code-Nr: Raj 3-2 Name: Prija Ort: Rajshahi , Adorsho School, Klassenzimmer Datum / Zeit: 12.12.2010 13.00 Uhr – 13.30 Uhr MK: Okay – Prija. First of all I want you to explain the subject of our Interviews. The subject is about your imagination of the future and so I want to ask you some questions. The first question I want to ask you is: What is your usual day like? Perhaps yesterday was such a usual day. How was it? Interpreter: I wake up mostly at 7.30 then I have first my breakfast. Then I have my coaching. Then I come back home about 10.00. Then I have my bath – something like that. Then I go to school at 11.00 and spent my time in school up to 4.30 pm, okay. I return to my house at 5.00. At this time I take my lunch. And then I go to another coaching. At 7.00 I come back to my parents and have a talk. Then I again start my study. At 9.30 I have to serve dinner. Then I again start study up to 1.30 am. Then I sleep. MK: Just a question in between. How many brothers and sisters do you have? And where are you living? Interpreter: I have one brother and I’m living next to the river. MK: Thank you for this first impression. I want to know now: What is nice at your usual day? Interpreter: School and class. MK: School and class? And why? Interpreter: When I’m in school and having my classes, my studying is more effective than studying in my house. MK: Are friends also important? Interpreter: Yes it is also important but not that much. School is more important than friends. MK: And is there something in your usual life which is not so nice? What do you not like to do? Prija: No. MK: Hm. I want to speak now about your visions of your future. And I would like you to imagine that I will meet you again in five years. Can you tell me a story about a typical day you will have then? Prija: Hmm? MK: Perhaps. What is about family? Do you think you will be married in five years? Interpreter: No! I will never get married! I don’t like to be married. I want to be someone. I want to be myself. I want to study. I want to be something. And not only a wife. MK: And what work you can imagine? Interpreter: I don’t know that. After my tenth grade examination I will think about that. MK: But you told me that you preferred subject is chemistry. So, do you want to be scientist? 106 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 Interpreter: No. That’s not possible for me. MK: Oh no. I don’t talk about possibilities. I’m talking about your wishes. What do you like to do? Interpreter: I wish to be a doctor. MK: Oh good! Do you think that that your wish will become true one day? Interpreter: I have to work hard. But I don’t have that opportunity. My family is very poor. So I have no financial support to become a doctor. So I also don’t have any moral support from my family or my parents. But I really like to be a doctor. But it depends on money. So I have no opportunity. MK: Can you think at any strategies to get that money although your family is poor? Interpreter: No. After my tenth grade I will think about the right strategy. MK: Is there something you can do now to realize your wish, to become a doctor? Interpreter: Schweigen No it’s too difficult. MK: And do you have another wish? If it doesn’t work with the wish to become a doctor? Interpreter: I want to have one of these good governmental jobs. But I really want to be a doctor. MK: And what’s your motivation to be a doctor? Interpreter: I’m good in studying. And doctor is a good job. So why should I think about anything else. And I also want to help other persons. MK: I also want to ask you about your future of your society. How do you assess the future of your society? Interpreter: I believe that Allah has given us the same thing, the same brain. But if the people of Bangladesh don’t train their brains they can’t get good jobs. But I want to use my brain to improve this Bangladesh society. Obviously Allah wants me to be a doctor. MK: What Allah needs to do? And what do you need to do? Interpreter: Allah has given me the main thing: my brain. And now I have to use it. I have to do everything to become a doctor. I have to study. MK: And do you think that by studying your wish will become true? Interpreter: I also have to listen to my parents. They want me to have a governmental job. So I have nothing else than studying very hard to become a doctor MK: I’m very impressed. I have also two last questions about the future of Bangladesh. What do you think about the future of Bangladesh? Interpreter: I don’t know pretty good about the government work. What the government want to do, that will happen with Bangladesh. I think that the future of Bangladesh is not so good. We usually have much of fights between the two groups here in Bangladesh. You know that there are two political groups. There are strikes and anything else. These affect Bangladesh. These are very bad things but they cannot be stopped. And because of that, Bangladesh will not be able to improve. The population really suffers from that. In this fights the families loose the sons. And when they lose their sons, nobody can give financial support to them. Everybody thinks about politics. But nobody thinks about science. They think: This party is doing this and we will stop them. Then one will die. Then the 107 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 44 45 46 47 48 49 50 51 52 families lose their fathers or sons. So, by this political thing the population suffers. This is a very bad thing. MK: And is there something that gives you hope. Interpreter: When this political things stop, then Bangladesh will improve. MK: And are there some things, which you can contribute to the future of Bangladesh? Interpreter: No I can’t do anything. I’m not in a political party. I’m too young to do anything. MK: Are there some smaller things we can do in our environment? Interpreter: No I don’t know. Is that a problem? MK: No, this is not a problem. But is there something else you want to say? Prija: You are very beautiful. MK: lachen. Thank you. You are also very beautiful. 53 Allgemeine Daten 54 Geschlecht: weiblich Alter: 15 Tätigkeit: Schüler 9. Klasse Schulart: College – Adorsho School Angestrebter Schulabschluss: A-Level National Standard Tätigkeit der Eltern: Mutter: Hausfrau Vater: Lastenträger in einer Ziegelei 55 56 57 58 59 60 61 62 Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben: 63 Prija wirkte während des Interviews sehr schüchtern. So nahm sie beispielsweise, trotz offensichtlichem Bedarf von der Interviewerin kein Taschentuch an. Auch die geringen Englischkenntnisse und die dadurch bedingte Abhängigkeit vom männlichen Übersetzer erschwerten den Kontakt zwischen Prija und der Interviewerin. Förderlich war vermutlich die Gesprächsführung durch eine weibliche Interviewerin. 108 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Passage Paraphrase I wake up mostly at 7.30 then I have first my breakfast. Then I have my coaching. Then I come back home about 10.00. Then I have my bath – something like that. Then I go to school at 11.00 and I spend my time in school up to 4.30 pm, okay. I return to my house at 5.00. At this time I take my lunch. And then I go to another coaching. At 7.00 I come back to my parents and have a talk. Then I again start my study. At 9.30 I have to serve dinner. Then I again start study up to 1.30 am. Then I sleep. 7.30 aufwachen und School and class... Schön am Tag ist: When I’m in school and having my classes, my studying is more effective than studying in my house. Wenn ich in der Schule Frühstück Bis 10.00 Nachhilfe Generalisierung Kategorisierung Tagesbeschäftigung geprägt durch hohen Arbeitsaufwand hoher Arbeitsaufwand wird positiv wahrgenommen Bad 11.00 bis 16.30 Schule 17.00 heimkommen und Mittagessen und Nachhilfe 19 .00 heimkommen, Gespräch mit Eltern und erneute Nachhilfe 21.30 Abendessen servieren und lernen 1.30 Bett bin und dort Unterricht Effektives Lernen wird als positiv wahrgenommen habe, dann kann ich effektiver lernen als daheim MK: Are also friends Freunde sind wichtig. Aber Schule ist wichtiger als Freunde Bildung wichtiger wie Freunde MK: And is there Es gibt keine negative Arbeit nicht negativ something in your Tagesbeschäftigung important? Interpreter: Yes it is also important but not that much. School is more important than friends Soziale Netzwerke (Freunde)werden dem untergeordnet usual life which is not 109 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch so nice? ... Prija: No. No! I will never get Nein! Ich will niemals Abneigung gegen Ehe: Ehe verhindert married! I don’t like heiraten. Ich möchte für Wunsch nach Unabhängigkeit to be married. I want mich als Person jemand Unabhängigkeit to be someone. I want sein. Ich möchte to be myself. I want to studieren und nicht nur study. I want to be eine Ehefrau sein. something. And not only a wife. No. After my tenth Nein. Nach dem Strategie zum Erreichen Strategie: die grade I will think Abschluss der 10. des Berufswunschs: Zielverwirklichung wird about the right Klasse werde ich Aufgeschoben aufgeschoben. Bis dahin strategy darüber nachdenken soll Leistung den Ressourcenmangel kompensieren Interpreter: Schweigen Handlungsoption jetzt: Geringe Selbst- Aber geringe Zuversicht No it’s too difficult. Nein, es ist zu schwierig wirksamkeits- in die Verwirklichung Wahrnehmung I want to have one of Alternative: Guter Alternative zum these good Regierungsjob. Aber Berufsziel governmental jobs. eigentlicher But I really want to be Wunschberuf: Arzt a doctor. I’m good in studying. Arzt weil: Ich bin ein And doctor is a good guter Schüler. Und Arzt job. So why should I zu werden ist ein guter think about anything Job. Weshalb sollte ich - Gute Bildung else. And I also want über etwas anders - Leistungsbereite to help other persons nachdenken. Und ich Zukunft durch Leistung Erstrebenswert ist: - Verwirklichung des Hilfe leisten Traumberufs Lebensführung will anderen Menschen helfen. I believe that Allah Allah hat uns allen den Faire Verteilung der Kognitive Ressourcen has given us the same selben Verstand kognitiven Ressourcen sind durch Allah fair thing, the same brain. gegeben. Aber wenn die durch Gott verteilt: But if the people of Bürger ihr Gehirn nicht Bangladesh don’t train nutzen, dann bekommen Also kann Armut durch Erfolg durch Leistung (eigene) Leistung 110 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch their brain they can’t sie keine guten Berufe. get good jobs. But I Ich will meinen want use my brain to Verstand einsetzen um improve this der Gesellschaft Biographie ist göttliches Leistung Bangladesh society. Bangladesch zu helfen. Schicksal Bildung Obviously Allah Offensichtlich will wants me to be a Allah dass ich Arzt Leistung = Entwicklung Religion: doctor werde. für das Land Großes Verantwortungs- überwunden werden Leistung ist Bildung Ressourcen: gefühl gegenüber der göttlichen Berufung (= Zielverwirklichung) Gott wird als Hilfe erkannt. I also have to listen to Abhängigkeit von Berufswahl: Fehlende Ressourcen: my parents. They Eltern. Deren Abhängigkeit von Eltern - finanzielle und want me to have a Vorstellung: Berufswahl: kein moralische governmental job. So Verwaltungsberuf i. d. Rückhalt durch Eltern Unterstützung I have nothing else Regierung. Einzige than studying very hard to become a - Entscheidungsfreiheit Berufswahl: Leistung Möglichkeit Arzt zu kompensiert fehlenden werden ist die eigene (Berufswahl von Eltern eingeschränkt) Rückhalt doctor Leistung I don’t know pretty - Wenig Wissen über Angabe von geringem Gesellschaftliche good about the Regierungsarbeit Wissen über Entwicklung negativ, government work. - In Bangladesch Gesellschaft weil: What the government passiert, was auch wants to do, that will immer die Regierung Abhängigkeit der von Regierung happen with möchte gesellschaftlichen - politische Instabilität Bangladesh. I think - Ich denke dass die Zukunft von der - Parteienstreit that the future of Zukunft Bangladeschs Regierung - Streiks Bangladesh is not so nicht gut ist. good. We usually - Streit der Negative Einschätzung have much of fights Regierungsparteien und der Zukunft des Landes Politische Partizipation against the two groups Streiks verhindern Politik nicht gut für here in Bangladesh. Entwicklung des - - Streit zw. Parteien Gesellschaft. You know that there Landes. Aber: keine - - Streik are two political Möglichkeit diese zu - groups. There are beenden - Demonstrationen strikes and anything Folgen: Familien - sind schlecht für - Abhängigkeit - Demonstrationen 111 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch else. These affect verlieren Väter und Entwicklung des Landes Bangladesh. These Söhne = Ernährer weil: are very bad things - - Alle denken an Politik- but they cannot be – niemand an stopped. And because Wissenschaft - of that, Bangladesh - - Sie denken, dass die - will not be able to Parteien gestoppt improve. The werden müssen, bei population really den Demonstrationen suffers from that. In sterben viele. Dann this fights the families verlieren viele ihre loose the sons. And Väter und Söhne. when they lose their Darunter leidet die sons, nobody can give Gesellschaft. Das ist financial support to wirklich schlecht. - zivile Opfer - Familien verlieren Ernährer - Vernachlässigung der Wissenschaft them. Everybody thinks about politics. But nobody thinks about science. They think: This party is doing this and we will stop them. Then one will die. Then the families lose their fathers or sons. So, by this political thing the population suffers. This is a very bad thing. When this political Wenn diese politischen Entwicklung durch things stop, then Dinge enden, dann kann politische Stabilität Bangladesh will Bangladesch sich improve entwickeln. No I can’t do Ich bin zu jung um Geringe Für sie ist eine anything. I’m not in a irgendetwas zu tun. Ich Selbstwirksamkeit bei Gestaltung der political party. I’m too bin in keiner Partei der politischen Gesellschaft unmöglich Mitgestaltung weil: young to do anything - Geringe Kenntnis 112 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch - Zu jung 7.3.2 Wasil 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 Code-Nr: Raj 3-2 Name: Wasil Ort: Rajshahi , Adorsho School, Klassenzimmer Datum / Zeit: 12.12.2010 12.30 Uhr – 13.00 Uhr Wassil: Hi, I’m Wassil. I’m the first in class! JB: Oh. That’s nice. I’m Hannes - you know. Thank you, that you are going to spend your time with us. With your contribution you will be part of our project I told you before. Do you want to use the Interpreter – perhaps than it is easier for you? Interpreter: He says also thank you. And he wants to use an interpreter. JB: Fine. Let’s start with the first question: What are you doing at a usual day? Can you tell me a story about it? Interpreter: At 5.30 in the morning I wake up and I use to take my prayer. Then I study by reading books. After that I take a walk at the Padba River. Then I come back to my house. After that I take the time to read books or something. Because I like to read books. I like to study. And at 8.30 or 9.00 I take my breakfast. Then I again study to prepare my classes. At 11.00 I go to the school because it starts. I stay there until 4.30. Then I again go back to my house. Have lunch and relax, watch TV. Or I do other things together with my family. JB: Is there also a time you spend with your friends? Interpreter: In school. Or in my holidays. JB: Who belongs to your family? Interpreter: My father died. So I have to stay with my mother. Two of my brothers study at Rajshahi University in the English Department. And I have one older sister. She is also at the Rajshahi University in the English Department. So I’m the youngest. JB: What do you like about reading books? Is this for relaxing or studying? Interpreter: I want to learn by reading. JB: And what’s your motivation to do this? Interpreter: Because I have that thing. I want to become a doctor. JB: Imagine: I will meet you again in five years. Can you tell me story about a typical day you will have then? Interpreter: When I’m five years older I have to study and different things to do and to work. I will make some sports, playing cricket and football. I will spent my time with a girlfriend. But not such a girlfriend. More a friend of a girl. I don’t want to have a girlfriend. That is too early for me. JB: Imagine: You have three free wishes. What would be your wishes? Interpreter: I want to help my family. Because I come from a poor family. For that I need a very good job. My second wish is to have a nice house. - - [10 Sekunden] My third wish is to have a nice garden with mango trees. JB: Very nice wishes. What do you have to do for realizing these wishes? Interpreter: I have to study very hard. Go to good university to get a good job. JB: Are there some assumptions to fulfil your wishes which you have not yet? 113 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 Wasil: Money (leise). Interpreter: He said that he has to be a rich person. Then he can fulfil his wishes. JB: Who can help you to make your wishes come true? Interpreter: My brother. He gives me some money to study at the college and at the university and he helps me also by studying. JB: Does your future also depend on his decisions? Interpreter: Yes, my future depends also on his decisions. JB: Are there some other persons on whose decision you future depend? Wassil: No. JB: Are you optimistic that your wishes will become true? Interpreter: I think so. JB: What gives you some hope? Wasssil: Because I’m good in my studies. I’m the first one in class. So I think it is possible for me. Because I’m a really hard worker. JB: How do you assess the future of Bangladesh’s society? Interpreter: Bangladesh will improve and increase with a slow rate. And most of us get educated. This is why Bangladesh will improve. JB: And is there something you are afraid of? Interpreter: One thing is corruption. The other thing is, that in this improving society there are some boys who touch the girls too early. Such an immoral society is not a good thing. JB: So thank you. Is there something else you want to say at the end of our interview? Wassil: No. Thank you. JB: Thank you! 43 Allgemeine Daten 44 Geschlecht: männlich Alter: 15 Tätigkeit: Schüler 9. Klasse Schulart: College – Adorsho School Angestrebter Schulabschluss: A-Level National Standard Tätigkeit der Eltern: Mutter: Hausfrau Vater: verstorben (früher: Arbeiter in einer Ziegelei) 45 46 47 48 49 50 51 52 Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben: 53 Das Interview verlief etwas zäh und schleppend. Wasil wirkte dabei zurückhaltend. Da Wasil sich trotz seiner vermutlich ausreichenden Englischkenntnisse für den Gebrauch eines Dolmetschers entschied , kommunizierten wir in diesem Interview in zwei Sprachen. 54 Spätere Anmerkung am darauffolgenden Tag: Als eindrucksvoll erwies sich ein zufälliges Treffen mit Wasil an der Promenade des Ganges zur Zeit des Sonnenuntergangs. Wasil vertrieb sich dort die Zeit in Gesellschaft zweier Cousins, bettelnden Straßenjungen im Alter von 10 Jahren, die mir bereits bei vorausgegangenen Stadtgängen aufgefallen waren. Hier zeigte 55 114 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch er sich offen und selbstbewusst. Passage Paraphrase Reduktion Hi, I’m Wassil. I’m the first in class! Ich bin Wasil. Ich bin Klassenbester Angabe von hohem Selbstwert At 5.30 in the morning I wake up and I pray. Then I study by reading books. After that I take a walk at the Padba River. Then , I come back to my house. After that I take the time to read books or something. Because I like to read books. I like to study. And at 8.30 or 9.00 I take my breakfast. Then I again study to prepare my classes. At 11.00 I go to the school because it starts. I stay there until 4.30. Then I again go back to my house. Have lunch and relax, watch TV. Or I do other things together with my family. - 5.30 h aufstehen - Lernen - Spazieren gehen - Lernen - 8.30 h Frühstück - Lernen - 11.00 – 16.30 h Schule - Abendessen und freie Abendgestaltung mit der Familie Hoher selbstständiger Arbeitsaufwand Mein Vater ist gestorben. Deshalb bleibe ich bei meiner Mutter. Ich habe 2 Geschwister. Zwei Brüder und eine Schwester. Sie sind alle an der Rajshahi Universität. Weil Vater verstorben. Verantwortung für Mutter Alle Geschwister studieren Warum ich Bücher lese Ich möchte aus Büchern lernen. Ressource: Lernen Time with friends: In school. Or in my holidays My father died. So I have to stay with my mother. Two of my brothers study at Rajshahi University in the English Department. And I have one older sister. She is also at the Rajshahi University in the English Department. So I’m the youngest. Why I like to read books: I want to learn by reading books Kategorisierung Hoher Arbeitsaufwand und große Selbstständigkeit. Motiviert durch Zielverwirklichung 115 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Motivation: Because I have that thing. I want to become a doctor. When I’m five years older I have to study and different things to do and to work. I will make some sports, playing cricket and football. I will spent my time with a girlfriend. But not such a girlfriend. More a friend of a girl. I don’t want to have a girlfriend. That is too early for me. Motivation: Ich will Arzt werden Zielverwirklichung prägt Tagesbeschäftigung Wenn ich fünf Jahre älter bin : - habe ich viel zu tun und zu arbeiten - Sport: Cricket und Fußball - Zeit mit Freundin (ohne Beziehung) verbringen - Werde ich noch keine Partnerin haben. Dazu bin ich dann zu jung. Ziel: - arbeitsreiches Leben - Angesehene Freizeitbeschäftigung I want to help my family. Because I come from a poor family. For that I need a very good job. My second wish is to have a nice house. - - [10 Sekunden] My third wish is to have a nice garden with mango trees. I have to study very hard. Go to good university to get a good job 1. Ich komme aus einer armen Familie. Deshalb brauche ich eine gute Arbeit. 2. Schönes Haus 3. Schöner Garten mit Mango Bäumen Familie helfen Ich muss ein hartes Studium hinter mich bringen. Dann zu einer guten Universität gehe um eine gute Stelle zu bekommen. Welche Voraussetzungen fehlen dir dafür? Mangel an Geld Hilfe durch Bruder: Mein Bruder gibt mir Geld für College- und später für den Universitätsbesuch. Er unterstützt mich außerdem beim Lernen Ressourcen: Leistung, Bildung, Geld Deshalb hängt meine Zukunft von den Entscheidungen meines Bruders ab. Ich bin optimistisch dass meine Wünsche wahr werden Ich habe Hoffnung, da ich gut beim Lernen bin. Ich bin der Beste der assumption which you have not yet: Wasil: Money (leise). Help: My brother. He gives me some money to study at the college and at the university and he helps me also by studying. Yes, my future depends also on his decisions Optimistic that wishes will become true: I think so Hope: Because I’m good in my studies. I’m the - selbstständig sein Ziele: - Sozialer Status bezüglich materiellen Gütern und Habitus - Selbstständigkeit - Familie unterstützen - Fleiß - Traditionelle Moralvorstellung Haus, Garten mit Ernte Geldmangel ist Hindernis Benötigte Ressource: Geld Finanzielle und inhaltliche Unterstützung bei der Bildungslaufbahn durch Bruder Hilfe durch Bruder Verantwortung für Mutter Familiäre Abhängigkeit Abhängig vom Bruder optimistisch bezüglich Zielverwirklichung Große Zuversicht die Ziele zu erreichen Hohe Selbstwirksamkeit Extrem positive Ressourcen: - Leistung, Bildung - Positive 116 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch first one in class. So I think it is possible for me. Because I’m a really hard worker. Bangladesh will improve and increase with a slow rate. And most of us will get educated. That is why Bangladesh will improve. Klasse. Weil ich hart arbeiten kann, ist es für mich möglich. Selbstevaluation Bangladesch wird sich langsam steigern. Die meisten bekommen Bildung. Deshalb wird sich Bangladesch verbessern. Positive Einschätzung der gesellschaftlichen Entwicklung One thing is corruption. The other thing is. That in this improving society there are some boys who touch the girls too early. Such an immoral society is not a good thing Das eine ist die Korruption. In einer sich verbessernden Gesellschaft kommt es zu unmoralischen Entwicklungen bezüglich einer zu früh ausgeübten Sexualität Faktoren - : Korruption Sich verändernde Moralvorstellungen in einer sich verändernden Gesellschaft Faktoren + : Verbesserte Bildung der Bevölkerung Selbstevaluation Positive Einschätzung Gesamteinschätzung der gesellschaftlichen Entwicklung Überwindung der Armut durch bereits verbesserte Bildungssituation Immer noch korrupte Regierung 7.3.3 Fatima 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Code-Nr: Raj 2-2 Name: Fatima Ort: Rajshahi (Haus in einer inoffiziellen Siedlung am Rand des Flusses), im Haus der Eltern, im Zimmer des Bruders Datum / Zeit: 10.12.2010 14.00 Uhr – 14.30 Uhr JB: Please say her that I’m very happy, that she is so tough that she is making this interview with me. Interpreter: She is saying that everybody is happy to give an interview when the interview is done on your way. JB: Donobat (Thank you) First of all I’m very interested, what she is doing at a usual day? Interpreter: She does all the household work like cleaning, cooking, taking care of the little ones or taking care of the parents. This is all she does at a usual day. JB: What is her motivation to do it? Interpreter: She asked, why do you ask this? She has to do it. JB: She should imagine that I will meet her again in five years. What will she tell me then? Interpreter: She is married. So it is usual that after five years she will have a baby and taking care of the baby and her husband. That is what she will do after five years. JB: Imagine that you have three free wishes. What would be your wishes? Interpreter: Her first wish is to live with her family happy and peaceful. Her second wish is, that she wants to have a good life in a good house. Her third wish is about the little shop she has together with her husband. She wants to have an income there and modify it to a bigger shop, so that her family can rely on it. Interviewer: Is she optimistic, that she can fulfill her wishes? 117 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 Interpreter: Yes. She is optimistic to fulfill her wishes. Interviewer: What gives her some hope? Interpreter: She is talking about that she is optimistic and she is auspicious. Because, if she is able to earn only a bit of money then her three wishes will be fulfilled. Interviewer: What do you have to do for realizing these wishes? Interpreter: Her first thing she has to do is to pray to Allah that he may help her to reach this aim. The second thing she talked about is the education which stopped right now, because she is married. She is completely depending on her husband. And she said that the society doesn’t allow girls to work on fields. So she can’t hope to have work there. But she said: I can do some handy work like in the textile-industry. She has that capability to work but she cannot wish to do it right now because she has not that opportunity. But if she would have that opportunity, if it would be allowed she would be able to fulfill her wishes. JB: Who can give you that opportunity? On whose decision is your future depending? Interpreter: She has this fear of the authority, based on her husband’s family. She is used to have a work somewhere. But since she is married her father in law may not permit it. So she didn’t ask for it. The work is really far away from here. And because she has that responsibility for her family she can’t go that far away. Interviewer: Who else can help you to make your wishes come true? Interpreter: No one. Her future totally depends on the decisions of her husband’s family. Interviewer: How do you assess the future of Bangladesh’s society? Interpreter: During her talk she was really ironic about what she was saying. She was saying: What is future about Bangladesh? There is no future for Bangladesh. Because there is no justice, there is only injustice, there is no judgement. There is only money, the grapping of money, the crime, the corruption. So how can we expect the future of Bangladesh? There isn’t a future at all. Only the human can take the Bangladesh up, not the government. Interviewer: Is there something which can give her some hope for the future of Bangladesh? Interpreter: She is asking: Don’t people see that we are suffering? We can’t buy clothes. Clothes are too expensive. Food is too expensive. Don’t they see that we can’t even buy clothes and food? That’s why she is seeking help from the government. Who can help rather than our government? The government has the opportunity but they are blind. They are not seeing them suffering. No there is nothing which can give her some hope. Interviewer: Thank you for your Interview. I think that you helped with your interview to open the eyes about your suffering, at least of them who will read this text. Would you like to add something, which can be interesting for this subject? Interpreter: For her it is very important to say something more. She told, that you have these eyes. You came here to seek the truth. But this is not what government is doing. They are not seeking the truth. You are seeking the truth –you got the answer. That’s why she is thankful for you. The government is not seeking the truth, that’s why they are suffering. That’s why she is also very thankful to you. You are from a foreign country, you are helping. But normally, when people 118 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 30 31 from other countries come to help Bangladesh they give the money to the very rich ones, to the governments, to the ministers. But what are they doing with the money? They distribute all the money and the poor don’t get the money. This is why the difference in the society gets much bigger. The poor would need the money to give it before the wedding. Also her family is feeling this pressure. If they cannot give the money to the in-law family, the family of the husband will beat the woman or divorce them. Finally they will force to give money by beating the woman brutally hard, rape or something like that. If the woman is divorced, she is alone without any help. And everyone can do with her what they want. Interviewer: Thank you for all this information. Sometimes it was pretty hard to hear about all this suffering. But I’m very thankful that you made this possible. Interpreter: Thank you. 32 Allgemeine Daten 33 Geschlecht: weiblich Alter: 17 (offiziell) / 13 (tatsächliches Alter) Tätigkeit: verheiratet, Hausfrau Abgeschlossener Schulabschluss: 4 Jahre schulische Grundbildung Tätigkeit der Eltern: Mutter: Hausfrau Vater: Invalide / Verdienstausfall 34 35 36 37 38 39 40 Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben: 41 Nachdem sich Fatima beim vorausgegangenen Besuch im Gegensatz zu ihren älteren Schwestern, die uns bewirteten und sich auf ein offenes Gespräch einließen, eher zurückhaltend verhielt kam sie beim zweiten Besuch offen auf mich zu und bat um ein Interview. Meiner Einschätzung nach wurde dies durch mein intensives Gespräch mit ihrer Mutter, der weiblichen Schlüsselrolle der Familie, gefördert. Dementsprechend war sie sehr offen und motiviert das Gespräch zu führen. Dies erstaunte mich umso mehr, als ich beim zweiten Besuch keine weibliche Begleitung dabei hatte. Wichtig war ihr jedoch die Anwesenheit und räumliche Nähe zu ihrer Mutter, die sich während des Interviews im gleichen Raum aufhielt. Fatima machte auf mich einen sehr konzentrierten, freundlich bestimmten Eindruck. Die Tiefe ihres Ausdrucks verdeutlichte die emotionale Bedeutung des von ihr Gesagten. Auffällig war auch ihre hohe emotionale Erregung bei politischen Themen. 119 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Passage Paraphrase Reduktion She does all the household work like cleaning, cooking, taking care of the little ones or taking care of the parents. This is all she does at a usual day. Ihr Tagesablauf ist geprägt durch Putzen, Kochen und die Fürsorge für die Kleinen und Alten der Gemeinschaft. Das ist alles, was sie an einem normalen Tag tut. Tagesablauf: Hausarbeit; Betreuung der Familienangehörigen Tagesablauf : Hausarbeit She asked, why do you ask this? She has to do it. Keine Angabe über eigene Motivation; Tagesablauf wird als Pflicht wahrgenommen Autoritäre Verordnung Keine Motivation: sondern autoritäre Stabilität. She is married. So it is usual that... Das ist der normale Tagesablauf wenn man verheiratet ist Zukunft durch Ehe vorbestimmt after five years she will have a baby and taking care of the baby and her husband. That is what she will do after five years. In 5 Jahren wird sie ein Kind haben und sich um Kind und Ehemann kümmern. Zukunft ist Fürsorge für die Familie Her first wish is to live with her family happy and peaceful. Her second wish is that she wants to have a good life in a good house. Her third wish is about the little shop she has together with her husband. She wants to have an income there and modify it to a bigger shop, so that her family can rely on it. 3 Wünsche: 1. Glückliches und friedliches Familienleben 2. Gutes Leben in gutem Haus 3. Finanzielle Absicherung durch das Einkommen und den Ausbau des eigenen Ladens, den sie zusammen mit ihrem Ehemann betreibt. Ihre Familie soll dadurch abgesichert werden. Zukunftswünsche: Yes. She is optimistic to fulfill her wishes. Sie ist optimistisch, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Optimistische Prognose der persönlichen Zukunft She is talking about that she is optimistic and she is auspicious. Because, if she is able to earn only a bit of Sie ist optimistisch und zuversichtlich. Wenn es ihr nur gelingt ein bisschen Geld zu verdienen, dann werden Verwirklichung der Wünsche durch einen geringen Geldbetrag; Emotional: glückliches Familienleben; materiell: eigenes Haus und Einkommen; Sicherheit Handlung: Ausbau des eigenen Ladens zuversichtliche und Kategorisierung Ziele Fürsorge und Existenzsicherung für die eigene Familie Hohe Selbstwirksamkeit aber: Bedingungen, Restriktionen trotzdem: Optimistische Einschätzung der eigene Zukunft, wenn Erlaubnis zu arbeiten Strategie: Kleinschrittige Zwischenziele; Ziele den geringen Ressourcen anpassen 120 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch money then her three wishes will be fulfilled. sich ihre Wünsche erfüllen. optimistische Einstellung Her first thing she has to do is to pray to Allah that he may help her to reach this aim. The second thing she talked about is the education which stopped right now, because she is married. She is completely depending on her husband. And she said that the society doesn’t allow girls to work on fields. So she can’t hope to have work there. But she said: I can do some handy work like in the textile-industry. She has that capability to work but she cannot wish to do it right now because she has not that opportunity. But if she would have that opportunity, if it would be allowed she would be able to fulfill her wishes. Zu allererst kann sie Allah bitten, ihr bei der Realisierung ihrer Ziele zu helfen. Die Schulbildung wurde gerade wegen Heirat beendet. Sie ist deshalb komplett abhängig vom Ehemann. Die Gesellschaft erlaubt Frauen nicht auf Feldern zu arbeiten, sie kann deshalb nicht auf eine Arbeit in diesem Gebiet hoffen. Sie hat die Möglichkeit Handarbeit in der Textilindustrie zu leisten, aber sie hat momentan nicht die Möglichkeit dazu. Wenn es ihr erlaubt wäre zu arbeiten, könnte sie ihre Wünsche verwirklichen Einschränkung bei der Existenzsicherung durch Ehe She has this fear of the authority based on her husband’s family . She uses to have a work somewhere. But since she is married her father in law may not permit it. So she didn’t ask for it. The work is really far away from here. Sie hat Angst vor der Autorität der Schwiegerfamilie. Früher ging sie arbeiten. Aber seit sie verheiratet ist, würde es ihr Schwiegervater nicht mehr erlauben. Daher fragt sie nicht. Die Arbeit ist weit entfernt von hier. Angst vor der Autorität der angeheirateten Familie And because she has that responsibility for her family she can’t go that far away. Aufgrund der Verantwortung für ihre Familie kann sie nicht weggehen Örtliche Bindung durch familiäre Verantwortung No one. Her future totally depends on the decisions of her husband’s family Niemand [kann helfen]. Volle Abhängigkeit der eigenen Zukunft von Entscheidungen der Schwiegerfamilie Keine Hilfe bei der Zielverwirklichung Notwendige aber fehlende Ressourcen: - Feldarbeit - Textilind. - Bildung - Entscheidungsfreiheit über den Einsatz ihres Humankapitals zur Existenzsicherung Keine Ressourcen verfügbar: Glaube an Gott gibt Hoffnung Keine Aussicht auf Erlaubnis zu arbeiten aufgrund von Ehe. Keine Hilfe sondern Restriktion bei der Existenzsicherung durch: - Ehemann und Schwiegerfamilie: Verbot zu arbeiten - Eigene Familie: Verantwortung verhindert Ortswechsel Gesellschaft: Normen Abhängigkeit von Familie 121 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch During her talk she was really ironic about what she was saying . She was saying: What is future about Bangladesh? There is no future of Bangladesh. Because there is no justice, there is only injustice, there is no judgment. There is only money, the grapping of money, the crime, the corruption. So how can we expect the future of Bangladesh? There isn’t a future at all. Only the human can take the Bangladesh up, not the government. Bangladesch hat keine Zukunft wegen Ungerechtigkeit und Rechtslosigkeit. Bedeutung hat hier ausschließlich Geld, das [stehlen] von Geld, Kriminalität und Korruption. Wie können wir also eine Zukunft für Bangladesch erwarten? Nur die Menschen, nicht die Regierung können Bangladesch da aufhelfen. Bangladesch hat keine Zukunft Don’t people see that we are suffering? We can’t buy clothes. Clothes are too expensive. Food is too expensive. Don’t they see that we can’t even buy clothes and food? That’s why she is seeking help from the government. Who can help rather than our government? The government has the opportunity but they are blind. They are not seeing them suffering. No there is nothing which can give her some hope. Sehen die Menschen denn nicht, dass wir leiden? Kleider und Essen ist zu teuer. Können sie nicht sehen, dass wir nicht mal Kleider und Essen einkaufen können? Deshalb ersucht sie Hilfe bei der Regierung. Die Regierung hat die Möglichkeit zu helfen. Aber sie ist blind gegenüber ihrem Leiden. Es gibt nichts, was ihr Hoffnung macht . Leiden aufgrund des Mangels an Essen und Kleidung You came here to seek the truth. But this is not what government is doing. They are not seeking the truth. You are seeking the truth – you got the answer. That’s why she is thankful for you. The government is not seeking the truth, that’s why they are Du kamst her um die Wahrheit zu finden und fandest die Wahrheit. Dafür ist sie dir dankbar. Die Regierung tut das nicht. Die Regierung sucht die Wahrheit nicht und deswegen müssen sie leiden. Aus folgendem Grund ist sie dir besonders dankbar: Du Dankbarkeit für ausländisches Interesse Problem der b. Gesellschaft: - Fixierung auf Geld - Kriminalität - Korruption Keine Hilfe durch Regierung Gesellschaft - schlechte Regierung - Moral - Korruption - Kriminalität - Armut - Schere zw. Arm und Reich - ineffiziente ausländische Hilfe Hilfe durch die Menschen in Bangladesch Hohe Betroffenheit durch gesellschaftliche Entwicklung Regierung kann helfen Regierung ignoriert die Bedürfnisse der Bevölkerung Keine Hoffnung auf Zukunft Regierung ignoriert die Bedürfnisse der Bevölkerung Ausländisches Geld erreicht die Armen nicht ; klagt Ungerechtigkeit an 122 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch suffering. That’s why she is also very thankful to you: You are from a foreign country, you are helping. But normally, when people from other countries come to help Bangladesh they give the money to the very rich ones, to the government, to the ministers. But what are they doing with the money? They distribute all the money and the poor don’t get the money. This is why the difference in the society gets much bigger. bist von einem fremden Land, und du hilfst. Aber normalerweise, wenn Ausländer helfen wollen, geben sie das Geld den Reichen, der Regierung, den Ministern. Was tun sie mit diesem Geld? Sie verschwenden es und geben es nicht den Armen. Deswegen wird die Kluft in der Gesellschaft immer größer. Kluft in der Gesellschaft wächst The poor would need the money to give it before the wedding. Also her family is feeling this pressure. If they cannot give the money to the in-law family, the family of the husband will beat the woman or divorce them. Finally they will force to give money by beating the woman brutally hard, rape or something like that. If the woman is divorced, she is alone without any help. And everyone can do with her what they want. Die Armen brauchen Geld zur Eheschließung. Auch ihre Familie verspürt diesen Druck. Wenn sie das Geld nicht der Schwiegerfamilie zahlen können, schlägt der Ehemann die Frau oder das Paar wird voneinander geschieden. Schlussendlich werden sie die Frau durch Schläge, Vergewaltigung oder ähnliches zum Zahlen zwingen. Wenn eine Frau geschieden ist, dann ist sie hilflos und alleine. Niemand wird ihr helfen. Jeder kann mit ihr machen was er will. Brautgeld bedeutet großen Druck Brutales Vorgehen beiZahlungsunfähigkeit Scheidung ist worst-case Szenario Negative Einschätzung von Ehe weil: - Einschränkend - großer Druck durch Brautgeld Aber: Schutz vor Rechtlosigkeit 7.3.4 Lanoon 1 2 3 Code-Nr: Raj 3-1 Name: Lanoon Ort: Rajshahi (Haus in einer inoffiziellen Siedlung am Rand des Flusses), im Haus der Eltern, im eigenen Zimmer Datum / Zeit: 10.12.2010 13.30 Uhr – 14.00 Uhr 123 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 Interviewer: First of all let me say thank you. It is great that he takes time for me. That is a great honour. My first question is: What are you doing at a usual working day? Interpreter: You know that I’m a Rickshaw-Driver. In the morning I’m driving to school. Then I’m doing the household and go shopping for a professor. When I come home I have my bath and take a rest. Then I work as a Rickshaw-Driver during the afternoon. At 10.00 o’clock in the evening I come home and go to bed. Interviewer: When you go to working in the morning: What is your biggest motivation to start a new working day? Interpreter: My father is wounded. So my family is dependent on my income. So I’m doing this for the stomachs of me and my family. Because I have to bring rice and all the necessary things. I have this huge desire of education. But I can not fulfil this desire because my father is injured and so I have to earn money. He can not earn money. Interviewer: Just imagine that we will meet again in five years. Can you tell me: What is a usual day you will have then? Interpreter: He said that he has these sisters. So he has the responsibility for his sisters. So right now he is not thinking about a wedding. The most important thing for him is to satisfy the stomachs of him and his family. If he is able to do that, than he is satisfied and he is trying that, if Allah permits, if Allah wills, he is satisfied and he will be satisfied. He just wants to satisfy all the responsibility over his family and especially for his sisters. Interviewer: Just imagine: You have three free wishes. What would be his wishes? Interpreter: First of all, his first wish is to get a better job. The second wish is to get a better house to live a beautiful life. The third thing he wants to get his sister married. Because there is a misery behind this thing. In Bangladesh we have this sad thing that the father of the wife has to give money to the future husband. That is illegal. But they have to do that, because it is a ritual kind of thing here. It is an illegal tradition. And it is very ironic that the girls have to give money. They have to give 100.000 Takka, that is too much for him. He earns only 200 Takka per day. That is why he is saving the money so that he can manage this much amount of money to get his sister married. This is one of the obstacles he is facing. That is his third wish. Interviewer: Did he say this? Is this his assess? Interpreter: Yes, this is his assess. Interviewer: So he is a really hard-working man. Which other things does he has to do to realize these wishes? Interpreter: He said that there is no other thing than his hard work which can fulfil his three wishes. If he would get a better job his wishes might be come true some day. And this is why he is asking for the governments help. He is searching for a government job or an authorised job so that he can help his family. Interviewer: Does he think his wishes will become true? Interpreter: First of all he said thanks to Allah. If Allah would like to, he might get a better job someday. And then, maybe, his life will be changed. He is confident that when he gets another job also his life will get changed. But if he doesn’t get any other job he has to find a different way but he doesn’t know, what 124 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 18 19 20 21 22 23 the other way could be. Then he talked about the misery he is facing right know. He is Rickshaw-Puller right now. The so called gentlemen of our society who are professors are looking down on him. They don’t have the right to scorn him. They don’t have the right to condemn him. They are building this wall of money around them. They don’t even touch him because they disgust him. But he is a human being. He said: I’m feeling dishuminated continuously by the so called gentlemen of the society. How they become those gentlemen? When the Riqusaw-Pullers go to the downtown, close to the Shiet-Bazar, the Police is beating them without any mercy, they don’t even listen to their voice. They don’t even listen to that what the Rickshaw-Pullers are saying. (- - ) He said: Right now government is talking about free education but government is not talking about the money, which we have to give the husbands before the wedding. When they join the free education in fact they have to give money. The Government is saying, that they will give free education but when you go to school the situation is completely different. The government is sucking money out of them. That is why he cannot call on education. Interviewer: So who can help you to make your wishes become true? Interpreter: No one can help me. My family is completely depending on me. Interviewer: How does he assess the future of Bangladesh’s society? Interpreter: He says that this country can’t even make a new thing. Our prime Minister acclaimed that Bangladesh will develop before 2021. But he says that he is mocking at this thing. He asked: How can our Prime Minister promise such a thing. For me nothing will change before 2021. The government people will only develop themselves. They will not develop the society. Before the elections the government says that they are close friends to them. But after they get elected they forget their words. He also talked about the high inflation of necessary things like vegetables and rice on the market. He says that he doesn’t need an delicious things like snacks. He only needs rice to stay alive. For this he is working. Yes he also wants education but how can he get this education in such a society? If he would go to school, who would give money to his sister and his parents? His sister would not be able to get married. So he is not looking optimistically in his future. Interviewer: I’m very impressed about this information and looking forward to bring it into German schools. Would you like to say anything more, which could be interesting for this subject? Lanoon: No. Thank you. 24 Allgemeine Daten 25 Geschlecht: männlich Alter: 20 Tätigkeit: Riqushafahrer Abgeschlossene Schulabschluss: 4 Jahre schulische Grundbildung Tätigkeit der Eltern: Mutter: Hausfrau Vater: Invalide / Verdienstausfall 26 27 28 29 30 31 32 Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben: 33 Zum Zeitpunkt des Interviews pflegte ich mit ihm ein vertrautes Verhältnis. Zwar 125 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch waren gemeinsame Gespräche bis dahin aufgrund der sprachlichen Barriere unmöglich, doch hatten wir uns durch Lachen und nonverbale Kommunika€tion während einiger Rickshafahrten gegenseitig bekannt gemacht. Das Interview wurde durch einen ihm und mir bekannten Übersetzer ermöglicht. Während unseres Besuchs in seiner vertrauten Umgebung herrschte ebenfalls eine offene Stimmung. 126 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Passage Paraphrase Reduktion You know that I’m a Rickshaw-driver. In the morning I’m driving to school. Then I’m doing the household and go shopping for a professor. When I come back home I have my bath and take a rest. Then I work as a Rickshawdriver during the afternoon. At 10.00 o’clock in the evening I come home and go to bed. Ich bin ein Rickschafahrer. Am Morgen (9.00h) fahre ich zur Schule. Dann mache ich den Haushalt und die Einkäufe für einen Professor. Wenn ich nach Hause komme nehme ich mir eine Pause und ein Bad. Bis 22.00 h arbeite ich wieder als Rickschafahrer. Dann gehe ich nach Hause und ins Bett. 13- stündiger Arbeitstag Hoher Arbeitsaufwand My father is wounded. So my family is dependent on my income. So I’m doing this for the stomachs of me and my family. Because I have to bring rice and all the necessary things. I have this huge desire of education. But I can not fulfill this desire because my father is injured and so I have to earn money. He can not earn money Mein Vater ist wegen einer Verwundung arbeitsunfähig. Meine Familie hängt also von meinem Einkommen ab. Ich arbeite, um meinen Hunger und den meiner Familie zu stillen. Ich muss das nötigste, wie Reis, heranschaffen. Ich habe dieses sehr große Verlangen nach Bildung. Aber ich kann das nicht erfüllen, weil ich das Geld für meine Familie verdienen muss. Motivation: Überleben der Familie Motivation: tägliches Überleben He said that he has these sisters. So he has the responsibility for his sisters. So right now he is not thinking about a wedding. The most important thing for him is to satisfy the stomachs of him and his family. If he is able to do that, than he is satisfied and he is trying that, if Allah permits, if Allah wills, he is satisfied and he will be satisfied. He just wants to satisfy all the responsibility for his family and Wegen der Verantwortung für seine 3 Schwestern denkt er zunächst nicht über eine Heirat nach. Das wichtigste ist die Ernährung für sich und seine Familie. Wenn er es leisten kann und Gott es zulässt, dieser Verantwortung für seine Familie, besonders für seine Schwestern, gerecht zu werden, dann ist er zufrieden. Verantwortung für Familie geht vor eigenen Zielen Große Verantwortung ggü. Familie Ziel: Bildung Verantwortung für Familie verhindert Verwirklichung eigener Ziele Kategorisierung Ziel: - Verantwortung für Familie gerecht werden. - Brautgeld für Schwestern - Bildung Keine Hoffnung auf Verwirklichung der persönlichen Ziele Strategie: Geld sparen; eigene Pläne auf unbestimmte Zeit verschieben Heiratspläne verschoben Ziel: Der Verantwortung für die Familie gerecht zu werden Große Verantwortung für das Überleben der Familie Verantwortung gegenüber der Verwirklichung persönlicher Ziele Vorrang. 127 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch especially for his sisters. First of all, his first wish is to get a better job. The second wish is to get a better house to live a beautiful life. The third thing he wants is to get his sister married. Because there is a misery behind this thing. In Bangladesh we have this sad thing that the father of the wife has to give money to the future husband. That is illegal. But they have to do that, because it is a ritual kind of thing here. It is a illegal tradition. And it is very ironic that the girls have to give money. They have to give 100.000 Takka, that is too much for him. He earns only 200 Takka per day. That is why he is saving , the money so that he can manage this much amount of money to get his sister married. This is one of the obstacles he is facing. 1. Besserer Verdienst 2. Schöneres Haus um ein besseres Leben zu führen 3. Schwester verheiraten Brautgeld ist eine traurige Sache: Vater der Braut muss Bräutigam Geld geben. Es ist sehr ironisch, dass die Braut Geld zahlen muss. Das ist zwar illegal aber es ist eine hier ein Ritual. Deswegen muss er die 100.000 Takka zahlen. Weil er nur 200 Takka am Tag verdient, muss er das Geld sparen um diesen großen Geldbetrag aufzubringen. Das ist seine Herausforderung. Ziel: Brautgeld für Schwestern Ressource: 2 Euro Lohn am Tag Heirat notwendig zur Existenzsicherung aber Kritik am Brautgeld = große Belastung Fehlende Ressource: Finanzkapital He said that there is no other thing than his hard work which can fulfill his three wishes. If he would get a better job his wishes might become true some day. And this is why he is asking for the governments help. He is searching for a government job or an authorized job so that he can help his family. Er hat nur eine Möglichkeit seine Ziele zu verwirklichen: Leistung und Arbeit. Um einen besseren Verdienst zu erreichen ersucht er die Regierung um Hilfe. Er suche nach einem Arbeitsplatz bei der Regierung oder einem anderen offiziellen Arbeitgeber. Einzige Ressource: Leistung und Arbeit, Fleiß Einzige Hilfe: Allah. Hofft auf Hilfe durch Regierung First of all he said thanks to Allah. If Allah would like to, he might get a better job someday And then, Zunächst dankt er Allah. Wenn Allah es möchte wird sein Leben eines Tage geändert sein. Er ist zuversichtlich, dass sich Hoffnung auf Allahs Hilfe Ersucht Hilfe von Regierung 128 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch maybe, his life will be changed. He is confident that, when he gets another job also his life will get changed. But if he doesn’t get any other job he has to find a different way but he doesn’t know what the other way could be. Then he talked about the misery he is facing right know. He is Rickshawpuller right know. The so called gentlemen of our society who are professors are looking down on him. They don’t have the right to condemn him. They are building this wall of money around them. They don’t even touch him because of scornfulness.. But he is a human being. He said: I’m feeling dishuminated continuously by the so called gentlemen of the society. How they become this gentlemen? When the Rickshaw pullers go to the downtown, close to the Shiet-Bazar, the Police is beating them without any mercy, they don’t even listen to their voice. They don’t even try to listen what the Rickshawpullers are saying. Right now government is talking about free education but government is not talking about the money, which we have to give the husbands before the wedding. When they join the free education in fact they have to give money. The government is mit einer anderen Arbeit auch sein Leben verändern wird. Wenn er keine andere Arbeit bekommt, muss er einen anderen, ihm unbekannten Weg finden. Da er Rikschafahrer ist, wird er von den sogenannten besseren Herren unserer Gesellschaft herablassend und unmenschlich behandelt. Sie haben nicht das Recht, ihn zu verachten. Sie bauen eine Mauer aus Geld um sich herum. Sie fassen ihn aus Verachtung nicht einmal an. Aber er ist ein menschliches Geschöpf. Wie konnten Sie also zu besseren Herren werden? In der Innenstadt, nahe des Shiet-Bazars werden die Rickschafahrer von der Polizei geschlagen. Sie interessieren sich nicht für ihre Stimme und das, was sie zu sagen haben. Herablassende Behandlung durch die sozial Bessergestellten geschieht durch€€ - Verachtung - Vermeidung von Körperkontakt - Körperliche Gewalt durch staatliche Organe Die Regierung redet über freie Bildung und nicht über das Brautgeld. Wenn sie die freie Bildung in Anspruch nehmen, müssen sie in Wahrheit Geld zahlen. Die Situation ist der totale Gegensatz zur freien Bildung. Die Regierung saugt das Geld aus ihnen heraus. Regierung sagt nicht die Wahrheit und regiert an ihren Bedürfnissen vorbei Kein Zugang zur Ressource Bildung wegen Gebühren 129 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch saying, that they will give free education but when they go to school the situation is completely different. The government is sucking money out of them. That is why he cannot call on education Deshalb kann er keine Bildung in Anspruch nehmen No one can help me. My family is completely depending on me. Niemand kann helfen. Meine Familie ist von mir komplett abhängig Keine Hilfe He says that this country can’t even make a new thing. Our prime Minister acclaimed that Bangladesh will develop before 2021. But he says that he is mocking at this thing. He asked: How can our Prime Minister promise such a thing. For me nothing will change before 2021. The government people will only develop themselves. They will not develop the society. Before the elections the government says that they are close friends to them. But after they get elected they forget their words. He also talked about the high inflation of necessary things like vegetables and rice on the market. He says that he doesn’t need delicious things like snacks. He only needs rice to stay alive. For this he is working. Yes he also wants education but how can he get this education in such a society? If he would go to school, who would give money to his sisters and his parents? His sister would not be able to Unser Premierminister kündigte eine Entwicklung bis 2021 an. Doch er lacht darüber. Er sagt für ihn wird sich nichts ändern. Die Regierung wird sich selbst und nicht die Gesellschaft entwickeln. Nach den Wahlen vergisst die Regierung ihre Versprechen. Er leidet unter der Inflation der Lebensmittelpreise von Reis und Gemüse. Er braucht keine köstlichen Dinge, sondern nur Reis um zu überleben. Dafür arbeitet er. Regierung lügt und ist auf ihren eigenen Vorteil bedacht Er will auch Bildung, doch wie soll das in solch einer Gesellschaft funktionieren. Wenn er zur Schule gehen würde, wer würde dann seiner Schwester und seinen Eltern Geld geben können. Daher schaut er Familiäre Verantwortung und Gesellschaft verhindert Bildung Verantwortung für Familie Kein Optimismus in gesellschaftliche Entwicklung hohe Betroffenheit durch gesellschaftliche Entwicklung Kein Optimismus für die gesellschaftliche Entwicklung, weil - Versagen der Regierung - Verachtung - Gewalt durch staatliche Organe Hohe Betroffenheit durch gesellschaftliche Situation, aber keine Handlungsoptionen für Veränderung Keine optimistische Zukunftssicht 130 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch get married. So he is not looking optimistically in his future. nicht optimistisch in die Zukunft. 7.3.5 Nazia 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Code-Nr: Raj 1-2 Name: Nazia Ort: Rajshahi, Paramount School, Biologieraum Datum / Zeit: 6.12.2010 13.00 Uhr – 12.40 Uhr Nazia: Let’s start. MK: Let’s start. Okay. First I want to ask you about your usual day. A student day. Can you tell me something. Nazia: Yesterday was special for me. Because I fought with my brother for at least one hour. It was about using the computer. But this is also usual. Hmm. My day starts with my grandfathers shouting. After the morning prayer. That means that he makes in mosque things, he prays, then he comes and shouts: How you were not wake up until yet? Get up, it’s almost six o’clock! So okay, we are getting up. Then when it is almost seven o’clock: Oh my god it’s too late. Then we fight each other. Then we have to study for school. But we do not really read our books. We just open them. But nowadays, when we have exams, oh I don’t like them. We need to have also some time to relax. Then we have breakfast. Then I also have to make my brother to get ready. Then I have to drop him at school. Then I come to my school. I really take care a lot of him in this month. Because our parents went to Mekka. When school is finished we gather together for a few minutes than we go home because my aunts come to take care of us. But before I fight with my brother, take a bath and watch TV. Then my aunts come and say: Hey you have to get up to your coaching. The coaching is a visit of our school teachers but at their home. When I come home from coaching I against fight with my brother then I study for almost 3 hours. Then I have dinner, watch TV, and go to sleep. MK: Thank you for that good overview. Can you tell me: What is nice about your day? Nazia: In the morning I meet with my friends. But after I go home I miss them so much. But in the evening we gather together. So I like to meet with my friends. Because I can share the most of my things with them. I don’t like to be alone. And I always have to fight with someone, just to have some fun. When you came to school you have seen Fahim and me fighting. I’m always beating him. That’s the same like with my brother. MK: So this is what you like. But is there something which is not nice in your usual day. Nazia: Not nice is to have too much pressure because of studying. Some of them are like beating my mind. I really don’t like overloaded things. But there is my grandfather. Hmm MK: Did you tell him? 131 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 Nazia: Oh yes. He gets so angry: You have to learn. You have to remember that. When I was a little girl I used to read the whole night. MK: You told me that you are not like becoming forced to learn. But even though you do it: What is your motivation to do it? Nazia: If I would not study I would not learn anything. I also like studying, I like learning. But not that: “You have to learn these or that. Read! Read!” I don’t like that. MK: So you gave me a good impression about your usual day. And now let imagine that we will meet again in five years. Can you tell me a story about a typical day you will have then? Perhaps we can start with the family. What could it be like in five years? Nazia: My father and mother will get old! (-) Our relationship will still be good. MK: Will you still living with them? Or will you be married? Nazia: I don’t want to be married at that time. At least not in the next leise: ten years. lachen. First I want to start with my fee. Then I will think about it. First of all I want to be a doctor so that I will help people. Especialyl the poor ones. They really don’t get that much care because of lack of money. So I will take fees depending on the money of the people. Because if they are living in Slums they are suffering of lack of care. But they need also care because they are also people. MK: Oh this is a really good aim. But what do you have to do to realize this aim to become a doctor? Nazia: At first I have to be a doctor. And after I will be a successful doctor I will open a little hospital to where the poor people can come to stick their diseases. MK: But what can you do today to realize these wishes? Nazia: Yeah. From now on I think I have to prepare that thing. Because if I don’t do that I think I cannot make true that thing. MK: What do you think you need to realize these wishes? Nazia: Humanity, but first of all money. If I don’t have the financial help I think I cannot help them. At least this is the most important thing. MK: Can you do that on your own or does that depend on anyone else? Nazia: When I will become a doctor, then I will get the money from the township. MK: But don’t you think you will need money to become a doctor? Nazia: lachen Oh I think this money will give me my father. So it depends on my father. But it also depends on my grandfather. Because he is the leader of my team. So whatever he tells us – we have to do that. Mk: Will he agree with your aim? Nazia: Actually I’m like my grandfather. He also wants to help people. But actually he can’t do this because he is really old; so I have got that from my grandfather. So the other thing I need is support I get from my grandfather and father. I first have to stand on my feet, then I can help the people. I actually want to go to a foreign university. Because there you can learn more than in bangla Universities. So I want to go to Germany or Finnland. My uncle is in Canada and he says I have to come to Canada. But I don’t want to go there for studying. Because then I would be dependent on them. But I want to be independent. MK: Do you think your wishes will become true? 132 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 Nazia: Yeah. If I work hard for it I think it will be true. Mk: Is there still something you are afraid of? Nazia: If you ask that in the context of Bangla. It’s mostly the political site. There are some people in the government who don’t want the poor people getting educated. Because if they get educated they would be possible to decide between good and bad, Then they will overcome them. I’m specially afraid of that. MK: But do you think these things can also influence your life? Nazia: No. Mk: Are there other things or persons who or which can interrupt you? Nazia: I have a disease called anaemia and two times I took blood, once in class six and one in A’s. This is a main thing. So when I get sick or get distracted, then I don’t think I can study. This is an obstacle. But otherwise nothing should interrupt me. Mk: This is very nice. You are very optimistic. So I come to my last point. How do you think about the future of Bangladesh? Nazia: Right now, you can see a lot of poor people here. Bangladesh is not that developed compared to other countries. So I think that using different types of assistance like education programs can help us to take steps forward. Then I think we will develop a lot. I want to see Bangladesh developing and I believe that this will be the case. Because lots of people really condemn Bangladesh because it is uneducated; it is not such a good country. Bangladesh can develop by honesty, humanity and the most important thing is trust. Because there are a lot of people, I mean at most from political site, they just tell people don’t be afraid we will help this and that. But they actually don’t do that. MK: And do you think that your personality can also contribute to the development of Bangladesh? Nazia: Yeah. If I do these things I think I can. If I help peoples by being a doctor. MK: Are there other things you are afraid of. You talked about honesty. Is there something else you are afraid of? Nazia: Politicians. There are a lot of political positions which really don’t want Education for Bangladesh. That’s really bad. Because only for that, Bangladesh is so much back compared to other nations. And not only that. Also the rich people of this country have to help them, because they have the financial background. The most important thing the poor need are honesty and humanity things. MK: Do you take part of these rich people. Are you one of them? Nazia: No. I don’t think so. If you ask me about this class thing, I would answer you: I’m from middle-class. MK: But do you think the middle-class has also to contribute. Nazia: Yeah. I can’t help them all by myself. One can help anyone. But if we join together, for example to a group of ten, then I think we can help them. MK: Usually we are done with the interview. So do you want to add something? Is there something you want to let us know? Nazia: No. Anything. Lachen 51 Allgemeine Daten 52 Geschlecht: weiblich 133 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 53 54 55 56 57 58 59 Alter: 15 (offizielles Alter) / 18 (tatsächliches Alter) Tätigkeit: Schüler Schulart: College – Paramount School Angestrebter Schulabschluss: A-Level Cambridge Standard Tätigkeit der Eltern: Mutter: Hausfrau Vater: Power-Developement Engineer (P.D.E) 60 Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben: 61 Nasia verhielt sich während des Interviews selbstbewusst und souverän. Mit besonders großem Interesse betrachtete sie das wissenschaftliche Arbeiten im Rahmen der Interviews. Sie pflegte einen freundschaftlich und verbindlichen Kontakt mit uns deutschen Studierenden. Die Konversation erfolgt auf Englisch. 134 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Passage Paraphrase Yesterday was special for me. Because I fought with my brother for at least one hour. It was about using the computer. But this is also usual. Hmm. My day starts with my grandfathers shouting. After the morning prayer. That means that he makes in mosque things, he prays, then he comes and shout: How you were not wake up until yet, get up, it’s almost six o’clock, get up. So okay, we are getting up. Then when it is almost seven o’clock: Oh my god it’s too late. Then we fight each other. Then we have to study for school. But we do not really read our books. We just open them. But nowadays, when we have exams, oh I don’t like them. We need to have also some time to relax. Then we have breakfast. Then I also have to make my brother to get ready. Then I have to drop him at school. Then I come to my school. I really care a lot for him in this month. Because our parents went to Mekka. When school is finished we gather together for few minutes than we go home because my aunts come to take care of us. But before Gestern kämpfte ich mindestens eine Stunde lang mit meinem Bruder um die Benützung des Computers. Das ist ziemlich normal. Mein Tag startet damit, dass mein Großvater uns laut schreiend weckt. Das ist um 6 h wenn er vom Morgengebet kommt. Um 7 Uhr stehen wir dann wirklich auf. Dann schimpft er und wir streiten. Dann müssen wir lernen. Aber wir tun nur als ob. Doch gerade haben wir Examen, da haben wir keine Zeit zum Ausruhen. Das mag ich gar nicht. Nach dem Frühstück richte ich meinen Bruder und bringe ihn zur Schule. Weil meine Eltern in Mekka sind, passe ich diesen Monat viel auf ihn auf. Dann gehe ich zur Schule. Nach der Schule bleiben wir noch ein bisschen beieinander. Dann gehe ich nach Hause, weil meine Tanten dann kommen um auf uns aufzupassen. Bevor sie uns zur Nachhilfe schicken, kämpfe ich mit meinem Bruder, nehme ein Bad und schau Fernsehen. Wenn ich heimkomme kämpfe ich wieder mit meinem Bruder und lerne so um die 3 Stunden. Dann esse ich zu Abend , schaue Fernsehen und gehe dann schlafen. Reduktion Ausgeprägtes soziales Netzwerk: - Bruder - Großvater - Tanten - Eltern Netz an gegenseitiger Verantwortung in der Familie Vertrautes Verhältnis zum Bruder Großvater ist große Autorität Aufstehen, lernen, fam. Pflichten, Schule, Freizeit, Nachhilfe, Lernen, Freizeit Kategorisierung Soziales Netzwerk Großes Bedürfnis nach verbaler und gefühlter Nähe Freunde: große Bedeutung zum Austausch von vertraulichen Dingen Familie Teilnehmer: - Autorität beim Großvater - Gegenseitige Verantwortung - Gute Beziehung auch in Zukunft wichtig Aber: - Wahrnehmung von altersmäßiger Distanz zu den Autoritäten - Abneigung gegenüber familiär verordneten Leistungsdruck 135 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch that I fight with my brother than I take a bath and watch TV. Then my aunts come and say: Hey you have to get up to your coaching. The coaching is a visit of our school teachers but at their home. When I come home of coaching I against fight with my brother then I study for almost 3 hours. Then I have dinner, watch TV and go to sleep. In the morning I meet with my friends. But after I go home I miss them much. But in the evening we gather together. So I like to meet with my friends. Because I can share the most of my things with them. I don’t like to be alone. And I always have to fight with someone, just to have some fun. When you came to school you have seen Fahim and me fighting. I’m always beating him. That’s the same like with my brother. Am Morgen treffe ich mich mit meinen Freunden. Daheim vermisse ich sie dann sehr. Am Abend kommen wir dann wieder zusammen. Ich mag das sehr, weil ich die meisten Dinge mit ihnen teilen kann. Und ich muss immer mit jemandem kämpfen, nur so zum Spaß. Ich kämpfe auch immer mit Fahim; wie mit meinem Bruder. Bedürfnis nach körperlicher (Bruder) und verbaler Nähe (Schulfreund) It is not nice is to have too much pressure because of studying. I don’t like that.Some of them are like beating my mind. I really don’t like overloaded things. But there is my grandfather.... He gets so angry: You have to learn. You have to remember that. When I was a little girl I used to read the whole night. Es ist nicht schön zu viel Druck beim Lernen zu haben. Ich mag solche zähen Dinge nicht. Aber da gibt es meinen Großvater. Er wird dann so wütend und sagt, dass ich lernen muss. Als ich klein war, las ich meist die ganze Nacht lang. Leistungsdruck durch familiäre Autorität If I would not study I would not learn anything. I also like Ich mag lernen, aber ohne Zwang Freude am zwanglosen Lernen Freudige Tagesbeschäftigungen: Ausruhen Zwangloses Lernen Zeit mit Freunden. Große Bedeutung des Freundeskreises Abneigung gegenüber Lernen mit Leistungsdruck Abneigung gegenüber zähem, zwanghaftem Lernen Motivation: Autorität und Zielverwirklichung 136 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch studying, I like learning. But not that: “You have to learn these or that. Read! Read!” I don’t like that. My father and mother will get old! (-) Our relationship will still be good Meine Eltern werden alt sein. Unsere Beziehung wird immer noch gut sein. Altersmäßige Distanz zu den Eltern Gute Beziehung zu Eltern auch in Zukunft wichtig I don’t want to be married at that time. At least not in the next leise: ten years. lachen. First I want to start with my fee. Then I will think about it. Ich will die nächsten 10 Jahre nicht verheiratet sein. Erst will ich etwas verdienen, dann werde ich darüber nachdenken. Selbstständigkeit vor Heirat First of all I want to be a doctor so that I will help people. At special the poor ones. They really don’t get that much care because of lag of money. So I will take fees depending on the money of the people. Because if they are living in Slums they are suffering a lack of care. But they need also care because they are also people. At first I have to be a doctor. And after I will be a successful doctor I will open a little hospital where the poor people can come to stick their diseases. Yeah. From now on I think I have to prepare that thing. Because if I don’t do that I think I cannot make true that thing. Humanity, but first of all money. If I don’t have the financial help I think I cannot help them. At least this is the most Ich möchte Arzt werden um Leuten, besonders den armen, helfen zu können. Weil sie nicht viel Geld haben, genießen sie eine nicht so gute Versorgung. Aber sie brauchen auch eine Vorsorge, sie sind doch auch Menschen. Wenn ich dann ein erfolgreicher Arzt bin, kann ich ein Krankenhaus eröffnen, wo die armen Leute hinkommen können um ihre Krankheiten zu heilen. Kritik an der mangelnder staatlicher Krankenversorgung Von nun an muss ich diese Dinge vorbereiten, um sie realisieren zu können. Wenn ich keine finanzielle Unterstützung habe, dann kann ich ihnen nicht helfen. Auch nicht mit Menschlichkeit. Das ist das Allerwichtigste. Zielverwirklichung bedarf gegenwärtiger Vorbereitung Berufsziel: Arzt Ziel: Krankenhaus eröffnen Ziele: - Arzt werden - Krankenhaus eröffnen - Armen helfen - Selbstständigkeit - Stabile soziale Netzwerke Moralische Grundwerte: (Ehrlichkeit, Menschlichkeit, Vertrauen) benötigte Ressource: Geld 137 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch important thing. Yeah. From now on I think I have to prepare that thing. Because if I don’t do that I think I cannot make true that thing. Humanity, but first of all money. If I don’t have the financial help I think I cannot help them. At least this is the most important thing. Von nun an muss ich diese Dinge vorbereiten, um sie realisieren zu können. Wenn ich keine finanzielle Unterstützung habe, dann kann ich ihnen nicht helfen. Auch nicht mit Menschlichkeit. Das ist das Allerwichtigste. Zielverwirklichung bedarf gegenwärtiger Vorbereitung Actually I am like my grandfather. He also wants to help people. But actually he can’t do this because he is really old so I have got that from my grandfather. I first have to stand on my feet then I can help the people. I actually want to go to a foreign university. Because there you can learn more than in bangla Universities. So I want to go to Germany or Finnland. My uncle is in Canada and he says I have to come to Canada. But I don’t want to go there for studying. Because then I would be dependent on them. But I want to be independent. Eigentlich bin ich wie mein Großvater. Er will auch Leuten helfen. Aber nun kann er das nicht mehr tun, deswegen übernehme ich das von ihm… ich muss erst auf eigenen Füßen stehen, dann kann ich anderen Leuten helfen. Ich möchte wirklich gerne in eine ausländische Universität, denn dort kannst du mehr lernen als hier. Daher möchte ich nach Deutschland oder Finnland gehen. Mein Onkel will, dass ich zu ihm nach Canada komme. Aber ich möchte nicht dort studieren. Denn dann wäre ich von ihm abhängig. Ich will aber unabhängig sein. Selbstständigkeit als Bedingung anderen zu helfen Yeah. If I work hard for it I think it will be true. Wenn ich hart dafür arbeite, denke ich, wird es wahr werden. Ressource: Leistung Hoher Optimismus diese Ziele zu erreichen There are some people in the government who don’t want the poor people getting educated. Because if they get educated they would be able to Da sind einige Leute in der Regierung, die nicht wollen, dass die arme Bevölkerung Bildung bekommt. Denn wären sie gebildet könnten sie zwischen gut und schlecht unterscheiden. Geringe Betroffenheit des eigenen Lebens durch gesellschaftliche Entwicklung gesellschaftliche Situation: Regierung: - will nicht, dass arme Bevölkerung ausreichend versorgt wird (Bildung / Medizin) benötigte Ressource: Geld Zeitweise Auswanderung zum Studium ist attraktiv. Räumliche Distanz (überkontinentaler Maßstab) von der Familie ist für Entwicklung der Selbstständigkeit wichtig Regierungskritik: - kein Interesse an der Bildung der armen Bevölkerung – Strategien: - Zeitlich befristete Auswanderung: - Herauszögen von Heirat (erst wenn Selbstständigkeit erreicht ist) - Gegenwärtige Vorbereitung Ressourcen: - Leistung - finanzieller - soziales Netzwerke - Bildung - Moralische Unterstützung 138 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch decide between good and bad, Then they will attack them. I’m especially afraid of that. Dann würden sie über sie herfallen. Darüber bin ich sehr besorgt. Aber es wird mein Leben nicht beeinflussen. mangelnde Bildung als Strategie zum Machterhalt – Bildung als Bedingung für gesellschaftliche Teilhabe I have a disease called anaemia and two times I took blood, in class six and one in A’s. This is a main thing. So when I get sick or get distracted, then I don’t think I can study. This is an obstruction. But otherwise nothing should interrupt me. Ich habe Blutarmut. Zweimal musste mir bereits Blut transferiert werden. Wenn ich also krank, oder abgelenkt werde dann werde ich wohl nicht studieren können. Dies ist ein Hindernis. Aber abgesehen davon sollte mich nichts abhalten. Krankheit als Hindernis bei der Zukunftsgestaltung You can see a lot of poor people here. Bangladesh is not that developed compared to other countries. So I think that using different types of assistance, like education programs can help us to take steps forward. Then I think we will develop a lot. I want to see Bangladesh developing and I believe that this will be the case. Because lots of people really condemn Bangladesh because it is uneducated; and not such a good country. Bangladesh can develop by honesty, humanity and the most important thing is trust. Because there are a lot of people, I mean at most from political site, they just tell people don’t be afraid we will help this and that. But they actually do not do In Bangladesch kann man viele arme Menschen sehen. Im Vergleich zu anderen Ländern ist Bangladesch nicht so weiterentwickelt wie andere Länder. Doch ich denke, dass Hilfsangebote etwa wie bei der Bildung Entwicklungsschritte darstellen. Ich möchte, dass sich Bangladesch entwickelt, und ich denke auch, dass es das tun wird. Viele verachten Bangladesch als ungebildetes, nicht so gutes Land. Bangladesch kann sich durch Ehrlichkeit, Menschlichkeit und Vertrauen entwickeln. Bisher halten viele Politiker ihre Verprechen an die Bevölkerung nicht ein. Ressourcen um Bangladesch weiterzuentwickeln - Bildung - Menschlichkeit - Ehrlichkeit - Gegenseitiges Vertrauen - hält Versprechen nicht ein Daher große Ungerechtigkeit in der Gesellschaft Influence your life: No. - Fehlende Ressourcen: Gesundheit Finanzielle Selbstständigkeit Benötigt medizinische Versorgung Optimistisch für die Verwirklichung der Ziele Armutsbeseitigung durch: - Bildung - Moralische Grundwerte - Gegenseitiges Vertrauen - Eigenen Beitrag Politik hält versprechen nicht 139 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch that. Contribute to the development: Yeah. If I do these things I think I can. If I help people by being a doctor There are a lot of political positions which don’t really want Education for Bangladesh .That’s really bad. Because only for that, Bangladesh is so much back compared to other nations. And not only that. Even the rich people of this country also need to help them because they have the financial background. The most important thing they need is honesty and humanity things. Indem ich mein Ziel, Leuten zu helfen, verwirkliche kann ich zur Entwicklung des Landes beitragen. Wunsch dem Land zu helfen hat auch Einfluss auf die Berufswahlentscheidung Viele der politischen Stellen wollen keine breite Bildung für Bangladesch. Das ist wirklich schlecht. Denn nur deswegen bleibt Bangladesch im Vergleich mit andern Ländern zurück. Und nicht nur das, sogar die reichen Menschen müssen Unterstützung leisten, denn nur sie haben den finanziellen Hintergrund. Das Wichtigste, was diese Menschen brauchen, ist Ehrlichkeit und Menschlichkeit. Politischer Unwille an der Verbreitung von Bildung ist verantwortlich für Entwicklungsbedarf Bangladeschs If you ask me about this class thing. I would answer you; I’m from middleclass. Ich gehöre der Mittelklasse an Zugehörigkeit zur Mittelschicht I can’t help them all by myself.One can help anyone. But if we join together, for example to a group of ten. Then I think we can help them. Ich alleine kann nicht helfen. Aber wenn wir uns zusammenschließen, beispielsweise zu einer Gruppe von 10 Menschen, dann denke ich, werden wir helfen können. Zur Entwicklung des Landes bedarf es sozialer Netzwerke 7.3.6 Nafees 1 2 3 4 Code-Nr: Raj 1-1 Name: Nafees Ort: Rajshahi, Paramount School, Biologieraum Datum / Zeit: 6.12.2010 12.10 Uhr – 12.50 Uhr JB: We are a group of scientists of the University of Education in Freiburg, Germany. In our Interviews we are interested in the future-imaginations of adolescents. So I will also ask you about your imaginations for the future and 140 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 about your feelings for the future of the society in Bangladesh. Your answers are useful for a better assessment for the future of Bangladesh. With your contribution you will become part of this science-project. Nafess: Oh I`m feeling honoured. JB: Let’s start with the first question: What are you doing at a usual day –a school day? Perhaps yesterday was such a usual school day? Can you tell me what you have done yesterday? Nafees: You know: I’m actually doing A-level. That means I`m doing my college at a CIA college which the University of Cambridge supports. So in my level I have taken three subjects: Physics, Biology and Mathematics. So yesterday there was my Biology-Class. It was my preparation time. But we usually do Mathematics. So yesterday, you know, in my evening time, at 7.30 pm we went to our private tutors to solve our problems. Hm... JB: Is it very intensive work? Nafees: Yeah. JB: So when you woke up yesterday, was there breakfast? Tell me! Nafees: I usually wake up by 7 to 8 am. But because I studied in the night I woke up at 10 am. Everyday I have breakfast, lunch and dinner. You know Rajshahi is a very peaceful place – there is no traffic. You have to see Dhaka or Chittagong everything is hectic but here it is very quiet. I have no preference, I come by microbus, I come by cycle and I also come by Rickshaw. JB: And what are you doing after coming back from school? Nafees: I write down what I have to do today. I write a list. First I have my bath, the lunch and afterwards I have a little sleep. Before sunset I have my prayer and I read books and I watch a lot of movies. I’m also an internet-freak. You know – facebooking, social networks, blogs and forums. I moderate some of them. I also have my own site. So I just enjoy. JB: Do you also practice some sports? Nafees: Unfortunately I have no brother in my age. So I have not the choice. But we are playing football and cricket at school. JB: When you are going to school: What is your feeling about it? Are you motivated to go to school? Nafees: lachen My attitude has changed. Now I’m 19 years old. When I was 15 years old I thought: Oh another day. But we are going to get graduated. So I really enjoy being here. Here are professors who are very committed and enthusiastic about teaching us. Why I’m saying this? I can try to give you an example: Many of the professors are very prestigious. They are enthusiastic , that is why they want to change us. I’m also part of this revolution. We want to change our generation. We want to make them closer to technology. I really want to change our society, our generation. JB: Do you feel some pressure in school? Nafees: No Interviewer: Imagine: I will meet you in five years again. What will be a typical day you will have then? What will be in the morning, afternoon and evening? JB: Okay. After five years. Since I have this goal I want to pursuit my approach. I expect that you will meet me in my own apartment. I will be very busy, because I have this big motivation and responsibility towards my nation, towards my 141 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 society and towards my generation. Interviewer: And what about other imaginations: Like family and partnership. JB: Oh you are talking also about my social network, my relatives? JB: Yes. Nafees: Oh I will not be married in five years. JB: And partnerships? Nafees: A girlfriend? lachen Oh yeah I hope so. lachen JB: What do you need to do for realizing these wishes? Nafees: You must have an aim. Whoever you ask in Bangladesh: What do you want to be in future? They will answer you: I want to be a doctor, I want to be a engineer. Nothing else. You are a geographer – I’m right? I mean that’s it. A good thing. I want to be something more than a doctor or an engineer. My father wishes that I will be a doctor. I wish that I will be an engineer. So I will combine the doctor of my father and my thing into biological engineering. JB: So what do you have to do for realizing this wish? Nafees: Oh. I will do this highschool diploma. So I can study in USA. That’s the condition I need. JB: Who can help you to make your wishes come true? Nafees: We are teenagers: We have not that experience. I mean you know much about these life things. So I ask a person who can help me with these things. My brother is such a mentor of mine. His name is Bonny. He used to teach me that you need this motivation, a dream, a vision. Because this can drive you to that thing. So he told me: Before the formal-education you need a dream, your desire. So he asked me: What is your desire? I told him: my desire is to be a Mathematician. But, what do you want to be? Don’t you want to help your society, don’t you want to help Bangladesh. He told me: You want to. So what are you going to give? Action is more powerful than words. I want to show it by action. If you have a family you have this responsibility for your children. But nation is not going to remember you. Nation will remember those who are responsible. So that’s my vision: I want to change my nation. Our school is one of the most established in this nation. Our clans are the most established ones in that Rajshahi Division. But we are responsible. So I want to go to the underprivileged people who have not that opportunity. Because, who is responsible for them? We need an authority. That’s what I try to. That’s my vision. JB: Is there an assumption for realizing your future imaginations which you have not yet? Nafees: This is true. I’m going to be frank here. We all are teenagers. We all have these problems, this stress, these family problems. We all have this, we all go through this. I have this problem, this procrastination. I delay a lot. But I will be straight. I’m podcastining a lot. JB: Do you think your wishes will become true? Nafees: I will give you a life example. I’m talking to you right now. If you go perhaps three years back in my life. I was not able to say one word. It was a lot of work and discipline. But what drove me to that position? We must have wishes. So I have this vision that, alhambrullah, that if I have that vision and work hard for it everything is possible. One important thing is discipline. 142 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 38 39 40 41 42 43 44 45 46 JB: So, do you believe this discipline will also help you in the future? Nafees: Yes. JB: How do you assess the future of Bangladesh? What gives you some hope and for what are you afraid of? Nafees: That’s a very nice question. I was like waiting for it. If you talk about Bangladesh you have to see the change between the now-Bangladesh and the Bangladesh ten years before. There is a lot of change. Bangladesh was like “dump” in English. Bangladesh has improved in education a lot. Why is that so: About my stage – Each year under this Cambridge Colleges hundreds of students achieve this world highest and country highest education. And I’m a part of them. Definitely this is a sign of improvement. I’m frank. We are much higher than the normal Bangladesh people. So this is not like the education of the regularbangladeshian people. When you go there, the education is not that good. The education is not provided. I’m afraid of that because. Hmm there is place, I want you to take to this place we used to hang out there. There are working children in the age of four and five by serving tea and bread. Why? Because they are poverty striken. They seek for money. They have nothing to do. Because they have this stomach. What will they do if they find no good will. They don’t have this food. So what will they do? That’s why are they abandoned of education, unfortunately. My parents will have, inschallah, the money to give me a high education. But what about them? They will go and marry one day, they will give their children some work. So the cyclone goes on. That’s I’m afraid of. JB: Expect that you would interview some other adolescents. What would you ask them for the imagination for their future? Nafees: Seriously I’m going to ask them one thing: What’s your purpose in life? Because I want to ask them: Do you want to deflect this forever? Do you think, these 10 Takka can bring prospect in your life? I want to ask this also their parents. You know education is much prior than money. There is a saying in Bangla. You know in a poverty area, the people in that society. If you give them fish - that will feed them one day. If you show them how to get that fish they will not ask you for providing the fish any more. I want to teach them. I want to be someone who can teach them. With this education nobody can snatch you. So I would ask them: What’s your purpose? JB: Have you ever asked them this question? Nafees: Yes I have asked them. But unfortunately I think they don’t feel that necessity. I think they are not mature enough. So I think it’s too late. They have everything left behind them. This is that opportunity. Between ten to twenty this is the golden opportunity. This is time to plan the seed. So when this opportunity has left behind. You know they smoke ganja. Thats why their heart is locked for one unknown reason. They don’t try to understand it. I want to be someone who can educate them these things. JB: I’m really impressed! I did not only talk to an adolescent. I talked to an expert in these things. Thank you for this interview. 47 Allgemeine Daten 48 Geschlecht: männlich Alter: 18 Tätigkeit: Schüler 49 50 143 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 51 52 53 54 55 Schulart: College – Paramount School Angestrebter Schulabschluss: A-Level Cambridge Standard Tätigkeit der Eltern: Mutter: Hausfrau Vater: Business Management 56 Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben: 57 Nafees schien mir zunächst sehr aufgeregt. Auf Nachfrage über den Grund seiner Unruhe äußerte er die von ihm wahrgenommene Ehre und Verantwortung, für die Jugend Bangladeschs sprechen zu dürfen. Während des Interviews legte sich seine Aufregung und er neigte dazu, die Gesprächsführung zu übernehmen. Seine guten Englischkenntnisse machten es möglich, auf Englisch zu kommunizieren. Aufgrund eines Vorgesprächs bezüglich seiner von ihm angebotenen Hilfe beim Übersetzen späterer Interviews war ihm die Thematik des Interviews bereits im Vorfeld bekannt. Dies äußerte sich zum Teil in seinen offensichtlichen Vorüberlegungen zu gesellschaftlichen Fragen. Meinem Eindruck nach werden jedoch die Antworten nicht verfälscht, sondern bieten stattdessen eine bemerkenswerte Tiefe. Positiv ist auch, dass er von den persönlicheren Fragen überrascht schien, die er offen beantwortete. Nafees pflegte mit uns deutschen Studierenden einen freundschaftlichen Umgang. 144 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Passage Paraphrase Reduktion Kategorisierung I’m actually doing Alevel. That means I`m doing my college at a CIA college which the University of Cambridge supports. So in my level I have taken three subjects: Physics, Biology and Mathematics. So yesterday there was my Biology-Class. It was my preparation time. But we usually do Mathematics. So yesterday, you know, in my evening time, at 7.30 pm we go to our private tutors to solve our problems. Ich mache gerade das Abitur an einem von der Universität Cambridge unterstützten College. In meiner Klassenstufe habe ich drei Fächer: Physik, Biologie und Mathematik. Gestern hatte ich meinen Biologieunterricht. Gestern Abend ging ich zu meinem privaten Nachhilfelehrer, um meine Probleme zu lösen. Normalerweise stehe zwischen 7h und 8h auf. Aber weil ich gestern Nacht gelernt hatte, stand ich um 10.00 h auf. Jeden Tag habe ich Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Weil Rajshahi eine friedliche Stadt ist, kann ich frei wählen, wie ich zur Schule komme: Mit dem Microbus, mit dem Fahrrad oder mit der Rikscha Wenn ich nach Hause komme schreibe ich mir eine To do-Liste. Dann nehme ich ein Bad, esse zu Mittag und mache einen Mittagschlaf. Vor Sonnenuntergang habe ich mein Gebet und schaue danach Fernsehen oder lese Bücher. Ich bin auch ein Internetfreak, vor allem in sozialen Internetnetzwerken wie Facebook. Ich habe auch meine eigene Internetseite. Viel Flexibilität im Tagesverlauf: Wird den Bedürfnissen angepasst. Tagesverlauf Zeit wird flexibel den Bedürfnissen angepasst und selbstständig gemanagt I usually wake up by 7 to 8 am. But because I studied in the night I woke up at 10 am. Everyday I have breakfast, lunch and dinner. You know Rajshahi is a very peaceful place – there is no traffic. You have to see Dhaka or Chittagong; everything is hectic but here it is very quiet. I have no preference, I come by microbus, I come by cycle and I also come by Rikshaw. When I come home: I write down what I have to do today. I write a list. First I have my bath, the lunch and afterwards I have a little sleep. Before sunset I have my prayer and then I read books and I watch a lot of movies. I’m also an internetfreak. You know – facebooking, 7 h und 8 h aufstehen, Schule, Ausruhen, Gebet, Zeitmanagement durch To-do-Listen Bewusste Freizeitgestaltung Gebet im Tagesverlauf verankert Soziale Netzwerke im Internet Tägliches Gebet 145 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch social networks, blogs, and forums. I moderate some of them. I also have my own site. So I just enjoy. Unfortunately I have no brother in my age. So I have not the choice. But we are playing football and cricket in school. Leider habe ich keinen Bruder in meinem Alter. Aber wir spielen Fußball und Cricket in der Schule. beklagt fehlende gleichaltrige Geschwister My attitude has changed. Now I’m 19 years old. When I was 15 years old I thought: Oh another day. But we are going to get graduated. So I really enjoy being here. Here are professors who are very committed and enthusiastic about teaching us. Why I’m saying this? I can try to give you an example: Many of the professors are very prestigious. So what are they doing here? They are enthusiastic, that is why they want to change us. I’m also part of this revolution. We want to change our generation. We want to make them closer to technology. I really want to change our society, our generation. After five years: Since I have this goal I want to pursuit my approach. I expect that you will meet me in my own appartment. I will be very busy, because I have this big motivation and responsibility towards my nation, towards my society and towards my generation. . Meine Einstellung hat sich geändert. Jetzt bin ich 19 Jahre alt. Als ich 15 war dachte ich: Na, das verschiebe ich auf einen anderen Tag. Aber wir machen gerade unseren Abschluss. Deswegen genieße ich es hier zu sein. Wir haben hier Lehrer, die sehr bemüht und enthusiastisch sind. Ein Beispiel: Viele der Lehrer sind sehr anerkannt. Sie sind hier wegen ihrem Enthusiasmus uns zu verändern. Ich bin Teil dieser Revolution. Wir wollen unsere Generation und Gesellschaft verändern und sie der Technologie näher bringen. Positive Selbstevaluation im Bezug auf eigene Entwicklung Da ich nun diese Vision verfolge wirst du mich in 5 Jahren sehr beschäftigt in meiner eigenen Wohnung vorfinden. Da ich die Verantwortung für meine Nation, Gesellschaft und Generation trage wird meine Motivation noch wachsen. Hohe Motivation für gesellschaftlichen Wandel Großes Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft Ziel: Gesellschaft verändern Oh I will not be married in five years A girlfriend? lachen In 5 Jahren: Verheiratet: nein Freundin: ja Verheiratet nein, Freundin ja Positive Selbstevaluation Große Selbstwirksamkeit Hilfe durch motivierte Lehrer Großes Verantwortungsgefühl für gesellschaftlichen Wandel Technologie als Faktor für positive Entwicklung Hohe Selbstwirksamkeit bezüglich gesellschaftlichen Wandel Motivation: gesellschaftliche Veränderung Ehe: hindert an der Verwirklichung der 146 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Oh yeah I hope so. lachen You must have an aim. ... I want to be something more than a doctor or an engineer. My father wishes that I will be a doctor. I wish that I will be an engineer. So I will combine the doctor of my father and my thing into biological engineering Oh. I will do this highschool diploma. So I can study in USA. That’s the condition I need. Ziele Du musst ein Ziel haben. Der Wunsch meines Vaters: Arzt Mein eigener Wunsch: Ingenieur Daraus entstand der Kompromiss: Bioingenieur Berufsziel: Bioingenieur Abhängig vom Vater: Kompromiss Benötigte Voraussetzung: Highschool Diplom Benötigte Ressource: Bildungsabschluss Benötigte Ressourcen: - Zielstrebigkeit - Abschluss We are teenagers: We have not that experience. I mean you know much about these life things. So I ask a person who can help me with these things. My brother is like a mentor for me. Wir sind Jugendliche und haben nicht so viel Lebenserfahrung. Deswegen hole ich mir bei solchen Dingen Rat. Mein Bruder ist ein Mentor für mich. Hilfe durch Mentor. Großem Bruder Soziales Netzwerk: Mentor (Bruder) Lehrer und Familie Soziale Netzwerke im Internet He used to teach me that you need this motivation, a dream, a vision. Because this can drive you to that thing. So he told me: Before the formaleducation you need a dream, your desire. So he asked me: What is your desire? I told him: My desire is to be a Mathematician. But, what you want to be? Don’t you want to help your society, don’t you want to help Bangladesh. He told me: You want to. So what are you going to give? Action is more powerful than words. I want to show it by action. If you have a family you have this Er zeigt mir, dass man noch vor der formellen Bildung eine Motivation, ein Verlangen, eine Vision braucht um sein Ziel zu erreichen. Er sagte mir, dass ich Bangladesch helfen möchte. Dies möchte ich durch Taten zeigen. Wenn du eine Familie hast, bist du für sie verantwortlich. Aber das Land wird sich nicht an dich erinnern. Die Nation wird sich an diejenigen erinnern, die für das Land Verantwortung übernehmen. Das ist meine Vision. Unsere Schule ist eine der Anerkanntesten des Landes und unsere Großfamilien gehören Abhängigkeit vom Vater Eigene Ziele sind nur Kompromiss Hilfe geht über Materielles hinaus und wird selbst gewählt Hilfe durch: Mentor, Lehrer, Ressourcen: Motivation / Leidenschaft hat hohen Stellenwert Familie steht der Zielverwirklichung eines veränderten Bangladeschs im Wege Ziel: durch die eigene Autorität die Verantwortung für die Unterprivilegierten des Landes übernehmen In die Geschichte des Landes eingehen Ziele: Gesellschaft verändern In der Geschichte des Landes eine wichtige Rolle spielen Bioingenieur werden (Kompromiss) Bildung weitergeben Ressourcen um Ziel zu erreichen: - Leidenschaft, Spitzen-Bildung - Fleiß - Leistung Bewusstsein über die eigene herausragende Stellung und Verantwortung in der Gesellschaft. 147 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch responsibility for your children. But nation is not going to remember you. Nation will remember those who are responsible. So that’s my vision: I want to change my nation. Our school is one of the most established in this nation. Our clans are the most established ones in that Rajshahi Division. But we are responsible. So I want to go to the underprivileged people who have not that opportunity. Because, who is responsible for them? We need an authority. That’s what I try to (establich). That’s my vision. zu den anerkanntesten im Distrikt Rajshahi. Dehsalb möchte ich meine Verantwortung wahrnehmen und den Unterprivilegierten der Gesellschaft zu Bildung verhelfen. Wir brauchen eine Autorität. Diese Vision versuche ich zu verwirklichen, We all have these problems, this stress, these family problems. We all have this, we all go through this. I have this problem, this procrastination. I delay a lot. But I will be straight. I’m podcastining a lot. I will give you a life example. I’m talking to you right now. If you go perhaps three years back in my life. I was not able to say one word. It was a lot of work and discipline. But what drove me to that position? We must have wishes. So I have this vision that, allahambrullah, that if I have that vision and work hard for it everything is possible. One important thing is discipline. Wir alle haben diese Probleme: Stress, Familienprobleme. Ich neige dazu die Dinge aufzuschieben. Aber ich werde zielstrebig sein. Probleme: Zögerlich, Ich gebe dir ein lebendes Beispiel. Wenn du vielleicht drei Jahre zurückgehst in meinem Leben, da war ich nicht fähig ein Wort zu sagen, heute rede ich mit dir. Ich habe diese Vision, mit der Hilfe Gottes, jedes Ziel durch harte Arbeit verwirklichbar ist. Eine wichtige Sache ist Leistung. Sie wird mir auch in Zukunft helfen meine Ziele zu verwirklichen. Positive Selbstevaluation Es macht mich Faktoren – für Will discipline also help in future? Yes! When you go there, the Benötigte Ressource: Zielstrebigkeit Ressouce: Fleiß, Leistung, Zielverwirklichung durch Gottes Hilfe Gesellschaft 148 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch education is not that good. The education is not provided. I’m afraid of that because. Hmm there is place, I want you to take to this place we used to hang out there. There are working children in the age of four and five by serving tea and bred. Why? Because they are poverty striken. They seek for money. They have nothing to do. Because they have this stomach. What will they do if they find not good will. They don’t have this food. So what will they do? That’s why they abandoned this education, unfortunately. My parents will have, inschallah, the money to give me a high education. But what about them? They will go and marry one day, they will give their children some work. So the cyclone goes on. That’s I’m afraid of. betroffen zu sehen, dass die Bildung einiger nicht gut ist. Da ist ein Platz, an dem wir gewöhnlich rum hängen. Da arbeiten 4und 5-jährige Kinder im Alter beim Servieren von Brot und Tee. Sie müssen sich ihr Geld verdienen, weil sie kein Geld aber einen leeren Bauch haben. Deshalb versäumen sie leider ihre Bildung. Meine Eltern haben, so Gott will, das Geld um mir eine höhere Bildung zu ermöglichen. Was ist jedoch mit ihnen? Sie werden eines Tages ihren Kindern auch Arbeit geben. So geht der Kreislauf weiter. Davor habe ich Angst. gesellschaftliche Entwicklung: - Kinderarbeit - Mangelnde Bildung Seriously I’m going to ask them one thing: What’s your purpose in life? Because I want to ask them: Do you want to deflect this forever? Do you think these 10 Takka can bring prospect in your life? I want to ask this also their parents. You know education is much prior than money. ... I want to teach them. I want to be someone who can teach them. With this education nobody can snatch you. Ich würde sie eine Sache fragen: Was ist eure Bestimmung im Leben? Wollt ihr dieser Frage für immer ausweichen? Denkt ihr, dass diese 10 Takka Sinn in euer Leben bringen? Dies will ich auch ihre Eltern fragen. Bildung ist mehr wert als Geld. Ich möchte fähig sein sie zu unterrichten. Mit dieser Bildung kann dir niemand etwas anhaben. Ziel: Bildung an arme Bevölkerung weitergeben Eigene Betroffenheit: Starkes Gefühl für Verantwortung und Berufung als Autorität für gesellschaftlichen Wandel legitimiert durch eigene Bildung, sozialen Status I think they are not matured enough. So I think it’s too late. They Ich denke sie sind nicht reif genug dafür. Ich denke es ist zu spät. Sie Alter zwischen 10 und 20 ist die beste Zeit zur Nutzung der Chancen Chancen müssen jetzt genutzt werden Angst vor einem undurchbrechbaren Armutskreislauf +Faktoren: Entwicklung im Bereich SpitzenBildung -Faktoren: mangelnde Bildung, Kinderarbeit, Kreislauf der Armut Bildung als Protektor vor äußeren Einflüssen 149 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch have everything left behind. This is that opportunity. Between ten to twenty this is the golden opportunity. This is time to plan the seed. You know they smoke ganja. That is why their heart is locked for one unknown reason. They don’t try to understand it. I want to be someone who can teach them these things. haben die goldene Zeit der Möglichkeiten, im Alter zwischen 10 und 20 Jahren verpasst. Ich möchte jemand sein, der ihnen diese Dinge beibringen kann. Armut aufgrund versäumter Chancen 7.3.7 Übergreifende Kategorisierung 150 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Kategorien Prija Fatima Wasil Nazia Nafees Lanoon hoher Arbeitsaufwa nd Hausarbeit Hoher selbstständiger Arbeitsaufwand Positiv: Ausruhen Zeit wird flexibel den Bedürfnissen angepasst und selbstständig gemanagt Hoher Arbeitsaufwand K 1: Tagesverlauf K 1.1 Wie beschreibt der Jugendliche seinen Tagesverlauf? Zwangloses Lernen negativ: Zähes, zwanghaftes Lernen K 1.2 Was motiviert den Jugendlichen bei der Gestaltung seines Tagesablaufs? Effektive Arbeit ist schön autoritäre Stabilität; Verwirklichung des Traumberufs Autorität und Zielverwirklichung gesellschaftliche Veränderung tägliches Überleben - Verwirklich ung des Traumberuf Fürsorge und Existenzsicherung für die eigene - Sozialer Status bezüglich materiellen - Arzt werden - Krankenhaus eröffnen -Gesellschaft verändern - Verantwortung ggü. der Familie K 2: Ziele K 2.1 Was strebt der 151 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Jugendliche in seinem Leben an? s; - Bildung - Unabhängig keit Familie Gütern und Habitus - Selbstständigkeit - Familie unterstützen - Armen helfen - Unabhängigkeit - Stabile soziale Netzwerke -In der Geschichte des Landes eine wichtige Rolle spielen -Bioingenieur werden (Kompromiss) gerecht werden. z.B. Brautgeld für Schwestern erwirtschaften - eigene Bildung -Bildung weitergeben K 2.2 Leistung Fleiß, Gerechtigkeit Fleiß, Traditionelle Moralvorstellungen Moralische Grundwerte, (Bsp. Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft, Vertrauen) Fleiß Verwirklichun g aufschieben. Bis dahin soll Leistung Ressourcenma ngel kompensieren Kleinschrittige Zwischenziele; Ziele den geringen Ressourcen anpassen Hoher Zeitlich befristete Auswanderung; Fleiß; gegenwärtige Vorbereitung Chancen müssen jetzt genutzt werden Welche Tugenden betont der Jugendliche? Fleiß; Verantwortung K 3: Realisierung K 3.1 Welche Strategien verfolgt der Jugendliche bei der Realisierung seiner Ziele? Arbeitsaufwand Geld sparen; Zielverwirklichung auf unbestimmte Zeit verschieben; Schwere Arbeit 152 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch K 3.2 Auf welche Ressourcen greift der Jugendliche bei der Realisierung seiner Ziele zurück - Bildung K 3.3 Welche Ressourcen vermisst der Jugendliche bei der Realisierung seiner Ziele? -Rückhalt aus der Familie K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele? gering - Leistung -Geld Entscheidungs freiheit Möchte gerne auf Humankapital: Arbeitskraft Leistung, Bildung Zurück greifen. Darf aber nicht. Sehr positive Selbstevaluation -Bildung Geld Entscheidungsfreihei t über den Einsatz ihres Humankapitals bei der Arbeit in der Textilindustrie, Landwirtschaft Positiv Sehr positiv - Leistung - finanzieller - soziales Netzwerke - Bildung - Moralische Unterstützung - Gesundheit Finanzielle Selbstständig keit positiv Positive Selbstevaluation 2 Euro Lohn am Tag Große Selbstwirksamkeit - Leidenschaft, Spitzen-Bildung - Fleiß - Leistung - Zielstrebigkeit - Abschluss Sehr positiv Finanzkapital Sehr gering 153 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch K 3.5 Welchen Stellenwert verleiht der Jugendliche dem Glauben an einen Gott? Hohes Verantwortun gsbewusstsein gegenüber Zielverwirklic hung, die als göttliche Berufung wahrgenomme n wird. Helfen kann nur Allah und das Gebet zu ihm Gott Keine Hilfe sondern Restriktion bei der Existenzsicherung durch: Redewendungen im Spachgebrauch Zielverwirklichung durch Gottes Hilfe Einzige Hilfe: Allah. Enges Soziales Netzwerk: Hilfe durch: - K 4: Soziale Netzwerke K 4.1 Von wem bekommt der Jugendliche Hilfe und für wen fühlt er sich verantwortlich? Verantwortung für Mutter; Mentor, Lehrer; Hilfe durch Bruder Ehemann und Schwiegerfamilie: Verbot zu arbeiten Eigene Familie: Verantwortung verhindert Ortswechsel K 4.2 Inwiefern ist der Jugendliche in seinem Handeln Eltern: Berufswahl Abhängig von Schwiegerfamilie und Ehemann - Freunde - Familie: Autorität bei Vater und Großvater Teamverständnis: gegenseitige Hilfe und Verantwortung Keine Hilfe Hohe Verantwortung Verantwortlich für die Gesellschaft Sehr hohe Bedeutung Abhängig vom Bruder - Sehr abhängig von Vater und Großvater - Abneigung Abhängig vom Vater: Kompromiss kann gefunden Verantwortung hat gegenüber persönlichen Zielen 154 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch gegenüber familiär verordnetem Leistungsdruck abhängig von den Entscheidungen anderer Personen? K 4.3 Welche Einstellung hat der Jugendliche gegenüber Ehe und Partnerschaft? negative Einstellung gegenüber Ehe, Behinderung der Selbstständigk eit Negative Einschätzung von Ehe weil: negativ: Sehr negativ, (auch in Zukunft): werden Vorrang. Partnerschaft erst dann, wenn man älter ist Herauszögern von Heirat: erst wenn Selbstständigkeit erreicht ist Die Ehe behindert die Verwirklichung der Ziele. Eigene Familiengründung behindert die Versorgung der Stammfamilie Positive Gesamteinschätzun g der gesellschaftlichen Entwicklung. Negativ: - Regierung will nicht, dass arme Bevölkerung ausreichend versorgt wird (Bildung und Medizin) - Regierung hält Versprechen nicht ein. Daher große Positiv: Negativ: Entwicklung im Bereich SpitzenBildung - Versagen der Regierung - Verachtung - Gewalt durch staatliche Organe - Hohe Betroffenheit durch gesellschaftliche Situation - Einschränkend -großer Druck durch Brautgeld Abhängigkeit durch drohende Rechtlosigkeit K 5: Gesellschaft K 5.1 Wie empfindet der Jugendliche die gesellschaftliche Entwicklung Bangladeschs? Abhängigkeit von Regierung - schlechte Regierung - Moral - politische Instabilität - - Korruption Teilweise negativ: - korrupte Negativ: - mangelnde 155 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Parteienstreit - Kriminalität - Streiks - Armut Demonstratio nen - Schere zw. Arm und Reich Regierung; - sich verändernde Moralvorstellung (Sexualität) Ungerechtigkeit in der Gesellschaft Bildung, - Kinderarbeit - Armut Und: Keine Hoffnung auf Verwirklichung der persönlichen Ziele Folgt: hohe Betroffenheit - ineffiziente ausländische Hilfe Hohe persönliche Betroffenheit durch gesellschaftliche Entwicklung und Normen K 5.2 Worin sieht der Jugendliche Beiträge zur Überwindung der Armut in Bangladesch und welche Rolle kommt ihm dabei zu? Kognitive Ressourcen sind fair verteilt: Also kann Armut durch (eigene) Leistung überwunden werden Hingegen ist die politische Überwindenden möglich: - Durch Hilfe aus dem Ausland an die Bevölkerung, nicht an die Regierung; - Durch eine gerechteres Zusammenleben der Menschen in durch bereits verbesserte Bildungssituation Helfen kann: - Bildung - Moralische Grundwerte - Gegenseitiges Vertrauen - Eigene Arbeit Bildung und autoritäre Führung. keine eigenen Handlungsoptionen für Veränderung Fühlt sich berufen als Autorität für gesellschaftlichen Wandel: Legitimiert durch eigene Bildung und sozialen Status Großer Anspruch 156 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Partizipation eine Bedrohung der Gesellschaft und für sie unmöglich weil: Bangladesch; Aber: keine eigenen Handlungsoptionen an die Eigenverantwortun g der Bevölkerung - Geringe Kenntnis - Zu jung 157 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch 7.4 Fallübergreifende Auswertung Lebenseinstellung [K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?] Optimismus… weil über Ressource verfügt wird Because I’m good in my studies. I’m the first one in class. So I think it is possible for me. Because I’m a really hard worker. [Wasil 3535] Pessimismus… wenn Ressource langfristig mobilisiert werden kann Mobilisierung Mobilisierung wahrscheinlich unwahrscheinlich if I have that vision and If he would go to work hard for it school, who would give everything is possible money to his sister and [Nafees 37-37] his parents? … So he is not looking If I work hard for it I optimistically in his think it will be true future. [Lanoon 21-21] [Nazia 32-32] But … if it would be allowed she would be able to fulfill her wishes [Fatima 19-19] weil über Ressource nicht verfügt wird I have no financial support to become a doctor. So I also don’t have any moral support from my family or my parents. … But it depends on money. So I have no opportunity [Prija 27-27] Religion: Im festen Glauben an eine gerechtere Zukunft [K 3.5 Welchen Stellenwert verleiht der Jugendliche dem Glauben an einen Gott?] [K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?] [K 1.1 Wie beschreibt der Jugendliche seinen Tagesverlauf?] Einschätzungsdimension Zukunft abhängig von göttlichem Einfluss Ankerzitate „Allah has given me the main thing: my brain. And now I have to use it” [Prija K 3.5 39-39] „Her first thing she has to do is to pray to Allah that he may help her to reach this aim.” [Fatima K 3.5 19-19] „If Allah would like to, he might get a better job someday. And then, maybe, his life will be changed” [Lanoon K 3.5 17-17] Erwähnung von Nähe zu religiöser Praxis im Alltag „before sunset I have my prayer” [Nafees K 3.5 13-13] Nicht erschließbar Wasil „After the morning prayer. That means that he makes in mosque things, he prays, then he comes and shout” [Nazia K 1.1 6-6] Beziehung, Familie, Eigenverantwortung – gut ausgebildete Frauen im Aufbruch [K 2.1 Was strebt der Jugendliche in seinem Leben an?] 158 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch [K 4.2 Inwiefern ist der Jugendliche in seinem Handeln abhängig von den Entscheidungen anderer Personen?] [K 4.3 Welche Einstellung hat der Jugendliche gegenüber Ehe und Partnerschaft?] Fatima Prija Nazia K 2.1 Her first wish is to live with her family happy and peaceful [13-13] I want to be someone. I want to be myself. I want to study. I want to be something [19-19] K 4.2 Her future totally depends on the decisions of her husband’s family [23-23] If the woman is divorced, she is alone without any help. And everyone can do with her what they want I also don’t have any moral support from my family or my parents [27-27] No! I will never get married! I don’t like to be married [19-19] At first I have to be a doctor. And after I will be a successful doctor I will open a little hospital [20-20] But it also depends on my grandfather. Because he is the leader of my team [28-28] I don’t want to be married at that time. At least not in the next leise: ten years [18-18] K 4.3 Zukunftsperspektiven für Bangladesch [K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?] [K 5.1 Wie empfindet der Jugendliche die gesellschaftliche Entwicklung Bangladeschs] K 3.4 K 5.1 Fatima But … if it would be allowed she would be able to fulfill her wishes [19-19] There isn’t a future at all [25-25] Prija I have no financial support to become a doctor. So I also don’t have any moral support from my family or my parents. … But it depends on money. So I have no opportunity [27-27] Bangladesh will not be able to improve [43-43] Nazia If I work hard for it I think it will be true [32-32] Then I think we will develop a lot [40-40] Nafees if I have that vision and work hard for it everything is possible [37-37] There is a lot of change [41-41] Wasil I’m the first one in class. So I think it is possible for me [35-35] Lanoon If he would go to school, who would give money to his sister and his parents? … So he is not looking optimistically in his future [21-21] And most of us get educated. This is why Bangladesh will improve [3737] The government people will only develop themselves. They will not develop the society [21-21] 159 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch Selbstständigkeitserklärung Hiermit erkläre ich, dass die Arbeit selbstständig angefertigt, nur die angegebenen Hilfsmittel benutzt und alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen Werken, gegebenenfalls auch elektronischen Medien, entnommen sind, durch Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht wurden. Im Falle der Aufbewahrung meiner Arbeit im Staatsarchiv erkläre ich mein Einverständnis, dass die Arbeit Benutzern zugänglich gemacht wird. 160