Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch

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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Erste Staatsprüfung für das Lehramt an
Realschulen
Wissenschaftliche Hausarbeit
Zukunftsorientierung von Jugendlichen
in Bangladesch – untersucht im
räumlichen Kontext der Provinzstadt
Rajshahi
Prüfungsfach: Geographie; Klinische Psychologie
Vergabe des Themas: Prof. Dr. Gregor C. Falk
vorgelegt von: Johannes Bertsch
Matrikelnr.: 1412654
1. Prüfer: Prof. Dr. Gregor C. Falk
2. Prüfer: Prof. Dr. Karin Schleider
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................. 1
Einleitung ................................................................................................................................. 4
1. Zukunftsorientierung aus entwicklungspsychologischer Perspektive ...................................... 6
1.1 Gegenwart ....................................................................................................................... 7
1.2 Entwicklungsaufgaben und Ziele ..................................................................................... 9
1.3 Pläne und Strategien ...................................................................................................... 12
1.4 Handlungstheoretisches Meta-Modell ............................................................................ 14
2. Zukunftsorientierung aus geographischer Perspektive .......................................................... 16
2.1 Sustainable Livelihood Approach: Der Ansatz der nachhaltigen Existenzsicherung........ 17
2.2 Kapitalausstattung ......................................................................................................... 18
2.3 Verwundbarkeitskontext................................................................................................ 20
2.4 Jugendliche als Entscheidungsträger .............................................................................. 21
2.5 Nachhaltige Zukunftsorientierung.................................................................................. 22
3. Jugend im räumlichen Kontext der Provinzstadt Rajshahi, Bangladesch .............................. 23
3.1 Bangladesch im globalen Kontext.................................................................................. 23
3.2 Geopolitische Einordnung von Bangladesch und der Provinzhauptstadt Rajshahi ........... 25
3.3 Umweltbedingungen in Bangladesch und der Provinzstadt Rajshahi .............................. 28
3.4 Gesundheit .................................................................................................................... 32
3.5 Bildung ......................................................................................................................... 32
3.6 Schulen – der Grundstein zur Bildung ........................................................................... 36
3.7 Sozialkapital.................................................................................................................. 38
3.8 Mikrokredite – Finanzkapital auf Pump? ....................................................................... 42
3.9 Naturkapital – Zukunft in der Landwirtschaft?............................................................... 43
3.10 Zusammenfassung ....................................................................................................... 46
4. Ausrichtung der Analyse .................................................................................................... 48
4.1 Fragestellung................................................................................................................. 48
1
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
4.2 Design und Prozess der Studie ....................................................................................... 49
4.3 Methodik....................................................................................................................... 50
4.3.1 Festlegung des Datenmaterials ................................................................................ 50
4.3.2 Formale Charakteristika des Datenmaterials ............................................................ 52
4.3.3 Materialien ............................................................................................................. 52
4.3.4 Analyse der Entstehungssituation ............................................................................ 53
5. Auswertung......................................................................................................................... 55
5.1 Kategorienbildung ......................................................................................................... 55
5.2 Fallbezogene Auswertung ............................................................................................. 58
5.2.1 Prija........................................................................................................................ 58
5.2.3 Fatima .................................................................................................................... 65
5.2.5 Nazia ...................................................................................................................... 73
5.3 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch – eine fallübergreifende
Auswertung......................................................................................................................... 80
6. Diskussion .......................................................................................................................... 86
6.1 Zusammenfassende Interpretation der Ergebnisse .......................................................... 86
6.2 Reflexion des Analyserasters ......................................................................................... 92
6.3 Ausblick........................................................................................................................ 93
Danksagung ............................................................................................................................ 96
Literaturverzeichnis ................................................................................................................ 98
Abbildungsverzeichnis .......................................................................................................... 101
7. Anhang ............................................................................................................................. 102
7.1 Interviewleitfaden ....................................................................................................... 102
7.2 Transkriptionsregeln.................................................................................................... 105
7.3 Transkriptionen und Kategorisierung ........................................................................... 106
7.3.1 Prija...................................................................................................................... 106
7.3.2 Wasil .................................................................................................................... 113
7.3.3 Fatima .................................................................................................................. 117
2
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
7.3.4 Lanoon ................................................................................................................. 123
7.3.5 Nazia .................................................................................................................... 131
7.3.6 Nafees .................................................................................................................. 140
7.3.7 Übergreifende Kategorisierung ............................................................................. 150
7.4 Fallübergreifende Auswertung ..................................................................................... 158
Selbstständigkeitserklärung ............................................................................................... 160
3
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Einleitung
Bei einem Besuch in einem Kaufhaus einer großen deutschen Warenhauskette im
Oktober 2010 entdeckte ich dort eine audiovisuelle Ausstellung über die Folgen des
Klimawandels. Eingezwängt zwischen Tüten voller neuer Kleidungsstücke und dem
Duft frischgebratener Shrimps folgte ich den traurigen Darstellungen eines Mädchens
aus Bangladesch über die Folgen des Klimawandels für ihre Zukunft. Mich beschlich
das Gefühl, dass diese Darstellungen einem erdachten Stereotyp folgten. Ich konnte mir
nicht vorstellen, dass all die scheinbar zufällig eingestreuten Daten und Fakten zum
Klimawandel tatsächlich der Wahrnehmung dieses Mädchens entsprachen…
„Denn dies scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in seinen
Zeitverhältnissen darzustellen und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt,
inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus
gebildet, und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist wieder nach außen
abspiegelt.“ (Goethe: „Dichtung und Wahrheit“, In: Fend, 2003, S. 208)
Mit diesen Worten aus Goethes Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ machte ich
mich im Dezember 2010 auf zu einer Reise nach Bangladesch. Ich hatte den festen
Willen, denjenigen Menschen zuzuhören, die sonst keine Gelegenheit dazu haben, ihre
Wahrnehmung darzustellen. Anders als im Goethe-Zitat brauchten sie dazu auch nicht
„Künstler, Dichter oder Schriftsteller“ sein, denn ich halte den Gedanken Goethes für
allgemein-menschlich. Ich wollte herausfinden, wie die Jugendlichen selbst die
Bedingungen ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft einschätzen und welche Ziele und
Wünsche sie mit ihr verbinden. Genau 30 Jahre, nachdem die Generation ihrer Eltern
und Großeltern die Unabhängigkeit ihres Landes erkämpften, interessierte mich, wie die
Jugendlichen die Hoffnungen, Herausforderungen und Risiken ihrer Zeit bewerten.
Die Studie untersucht die individuelle Handlungsebene vor dem Hintergrund vor allem
lokaler, aber auch globaler Handlungsbedingungen und greift somit den Eine-WeltGedanken auf. Da auch die Schüler 1 an deutschen Schulen Akteure ihrer
1
Aus Gründen der Übersichtlichkeit und besseren Lesbarkeit verwende ich hier und im Folgenden
ausschließlich die männliche Form. Die weibliche Form ist dem inbegriffen.
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Zukunftsorientierung sind, bietet ihnen die Studie besondere Anknüpfungspunkte. Die
Ergebnisse der Studie sollen daher auch für sie in Zukunft erfahrbar gemacht werden.
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
1. Zukunftsorientierung aus entwicklungspsychologischer
Perspektive
In diesem ersten Kapitel soll das Verständnis von der Rolle der Jugendlichen als
selbstverantwortliche Akteure ihrer Zukunft dargelegt werden. Dieses Verständnis liegt
dem in dieser Arbeit verwendeten Begriff der Zukunftsorientierung zugrunde.
Im geographischen Terminus gesprochen, könnte man gut am Beispiel der Orientierung
im dichten Nebel ansetzen. Ganz ähnlich stellt sich nämlich auch den Jugendlichen aus
entwicklungspsychologischer Perspektive ihr eigener Weg dar: Mit eingeschränkter
Sicht, mühsam, manchmal durch unwegsames Gelände führend und ohne Hilfe sehr
schwierig. Die sich orientierende Person ist dabei handelndes Subjekt. Dabei ist sie
jedoch nicht unbeeinflusst von ihrer Umwelt. Wie beim Navigieren mit Karte und
Kompass steht das handelnde Subjekt bei seiner Zukunftsorientierung in ständiger
Interaktion mit seiner Umwelt. Im Fall der Zukunftsorientierung ist dies die Interaktion
zwischen dem biologischen Entwicklungsstand des Jugendlichen selbst und den
Anforderungen seiner Umwelt.
Der Begriff der Zukunftsorientierung beinhaltet drei aufeinanderfolgende Aspekte
(Nurmi, 2002). Zunächst planen Jugendliche ihre Zukunft aus den Bedingungen ihrer
Gegenwart heraus. Ihr aktuelles Handeln und Erleben ist dafür ausschlaggebend, in
welchem Kontext sie sich verstärkt entwickeln wollen und welche Erfahrungen sie in
Zukunft vermeiden möchten. Die sich daraus ergebenden, von den Jugendlichen
angestrebten Veränderungen finden sich in den Zielen der Jugendlichen wieder. Um die
Differenzen zwischen dem Zustand der Gegenwart und den angestrebten Zielen zu
bewältigen, konstruieren Jugendliche
Pläne und Strategien. Die drei Aspekte der
Zukunftsorientierung, Erfahrung, Zielsetzung und Strategie sind aber nicht voneinander
getrennt zu betrachten. Vielmehr beeinflussen sie sich gegenseitig. Je anspruchsvoller
beispielsweise die Ziele eines Jugendlichen sind, desto sorgfältigere Planung verlangt
ihre Verwirklichung und umso stolzer ist er dann aber auch auf eine tatsächliche
Realisierung der Ziele. Diese positive Emotion wird zukünftig wiederum positiven
Einfluss auf seine spätere Zielsetzung haben. Er wird sich also in Zukunft noch
anspruchsvollere Ziele setzen. Ebenso kann sich jedoch das wiederholte Gefühl des
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Scheiterns negativ auf die Wahrnehmung der eigenen Wirksamkeit und dämpfend bei
der zukünftigen Zielsetzung auswirken.
Zukunftsorientierung ist also mehr als die Ziel- und Perspektivensetzung von
Jugendlichen. Zukunftsorientierung versteht Jugendliche als Akteure ihrer Zukunft. Sie
haben die Aufgabe, sich aus ihren eigenen Erfahrungen heraus in Richtung ihrer
Zukunft zu orientieren, diese aber in der Gegenwart zu gestalten. Dabei besteht der
Kern der Zukunftsorientierung darin, die inneren und äußeren Handlungsbedingungen
zu einer für ihre Lebensgestaltung erfolgreichen Strategie zu verarbeiten (Fend, 2003).
Im weiteren Verlauf möchte ich auf die einzelnen Aspekte der Zukunftorientierung
eingehen.
1.1 Gegenwart
Die Möglichkeit der freien Entfaltung, die das handlungstheoretische Paradigma für die
Jugendlichen vorsieht, gilt faktisch nur begrenzt. Zwar liegt es in ihrer Verantwortung,
die sie umgebenden Bedingungen erfolgreich zu verarbeiten, doch darf der Einfluss
ihrer
eigenen
endogenen
(biologischen)
Veränderungen
und
der
exogenen
(gesellschaftlichen) Bedingungen nicht unterschätzt werden. Vor diesem Hintergrund
setzte sich die Einsicht von einer interaktiven Entwicklung durch. So arbeitet etwa die
Schule als exogener Faktor beim Übergang zwischen unterschiedlichen Schularten und
im Rahmen von tausenden Stunden an der Entwicklung vieler Jugendlicher aktiv mit.
Die exogenen Bedingungen sind Produkt der historischen Lebensverhältnisse. Sie sind
aufgrund von etwa kulturellen oder ökonomischen Eigenarten der jeweiligen zeitlichen
und räumlichen Lebensverhältnisse nur für eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen
mit vergleichbaren Lebensverhältnissen gültig. Dabei betreffen sie aus psychologischer
Perspektive alle sozialen Felder des Aufwachsens, wie etwa Familie, Schule oder Peer Group. Die einzelnen Felder sind für den Jugendlichen als seine Lebenswelt sinnvoll
strukturiert und erfahren jeweils eine eigene Bedeutungszuschreibung. Das gilt
beispielsweise im Bereich von Werten, Entscheidungsfindungen, Beziehungen oder der
alltäglichen Lebensgestaltung. Zwischen den Feldern ergeben sich aber auch
Übergangsbereiche, zum Beispiel zwischen Elternhaus und Peer-Group. Die einzelnen
Felder können dabei gegenseitig unterstützend wirken. So können etwa die Eltern
bestärkend Einfluss auf die schulische Entwicklung nehmen. Die verschiedenen Felder
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
können aber für den Jugendlichen auch einen Konflikt darstellen, so können etwa die
Werte der Peer-Group mit denen, die von der Schule voraus gesetzt werden, keine
Passung erfahren. Den dabei entstehenden Rollenkonflikten begegnen die Jugendlichen
mit Bedeutungsverschiebungen der einzelnen Felder. Diese Felder haben also neben
ihrem eigenen Ursprung auch ihre jeweils eigene Geschichte, die für die Biographie des
einzelnen Jugendlichen maßgeblich ist. Obwohl die Felder durch die Jugendlichen aktiv
mitgestaltet werden, treten sie ihnen in ihrer Wahrnehmung häufig als quasi-natürliche
Umwelt entgegen. Das heißt, sie nehmen die Lebenswelt, in der sie sich befinden, nicht
als durch sie austauschbar wahr, sondern sehen sich einer scheinbar gegebenen Realität
gegenüber gestellt (Fend, 2003).
Um Einblicke in diese Lebenswelt zu erlangen, ist es sinnvoll, neben der ganzen
Bandbreite alltäglich beobachtbaren Handelns von Jugendlichen auch die diesem dabei
zugemessene Bedeutung zu erfassen. Das alltägliche Handeln beschreibt diese
Interaktion des jeweiligen Jugendlichen mit seiner Umwelt und den sich dabei
ergebenden Einflussstrukturen. Da diese nicht als festgefügt, sondern nur als
Momentaufnahme in der Entwicklung des Jugendlichen verstanden werden kann,
protokollieren erfasste Veränderungen im Alltagshandeln einzelne Entwicklungsschritte
des Jugendlichen. So wird etwa die Entwicklung zur ökonomischen Unabhängigkeit
durch die Verminderung der von den Jugendlichen in Freizeitbeschäftigung investierten
Zeit beschrieben. Eine hohe Aussagekraft hat die Bedeutung, die die Jugendlichen
ihrem Handeln zumessen. Neben Tätigkeiten, die mit geringer Motivation ausgeführt
werden, kann auch das Infrage stellen von Einflussstrukturen innerhalb eines Feldes
Hinweis auf einen möglichen Entwicklungsbedarf geben. Nicht immer reagieren
Jugendliche darauf mit einer tatsächlichen Veränderung ihrer Lebenswelt. Dies wäre
oftmals schon aus finanziellen Gründen oder aus der Angst heraus, sich sozial zu
isolieren, nicht möglich. Manchmal muss dafür auch erst der von den Jugendlichen und
den Personen aus dem entsprechenden Feld als richtig und natürlich wahrgenommene
Moment gefunden werden. Beispiele hierfür sind die Veränderung der Lebenswelt beim
Auszug aus dem Elternhaus zum/zur Lebenspartner /-in oder gebunden an einen
Ortswechsel zum Besuch von weiterführenden Bildungseinrichtungen wie Schule oder
Universität (Fend, 2003). Trotz alledem darf das Verständnis von Entwicklung nicht auf
die negativen Reaktionen Jugendlicher in Folge der von ihnen in Frage gestellten
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Gegenwart beschränkt werden. Daneben haben vor allem die von den Jugendlichen als
positiv
wahrgenommenen
Felder
der
Gegenwart
großen
Einfluss
auf
ihre
Zukunftsorientierung. Sie motivieren die Jugendlichen, sich in eine bestimmte Richtung
weiterzuentwickeln, um auf die positiven Erfahrungen in einem Feld aufzubauen und
diesem in Zukunft vielleicht noch einen größeren Einfluss in ihrer Lebenswelt
zuzuordnen.
Wie gezeigt, analysiert die handlungsorientierte Entwicklungspsychologie die ganze
Bandbreite
des
alltäglichen
Handelns
im
Hinblick
auf
differenzielle
Entwicklungsprozesse. Diese Handlungstendenzen werden ergänzt durch die Analyse
des mit dem Handeln in Verbindung stehenden subjektiven Erlebens. Daneben haben
auch die von der Gesellschaft an die Jugendlichen gestellten Anforderungen und die
endogenen Veränderungen der Jugendlichen selbst einen großen Einfluss auf ihre
Zukunftsorientierung.
1.2 Entwicklungsaufgaben und Ziele
Bei der Betrachtung des Agierens von Jugendlichen mit den von ihrer Umwelt
gestellten Anforderungen darf der Einfluss der von den Jugendlichen ausgehenden
biologisch determinierten (endogenen) Veränderungen nicht außer Acht gelassen
werden. Eben dieses Konzept des Aufeinandertreffens von exogenen, gesellschaftlichen
Erwartungen an die Entwicklung der Jugendlichen und ihre je eigene, innere (endogene)
Entwicklung beschreibt das Modell der altersspezifischen Entwicklungsaufgaben von
Havighurst (Oerter & Montada, 2006). Dieses findet beispielsweise in den vom
Soziologen Klaus Hurrelmann herausgegebenen Shell Jugendstudien Verwendung
(Albert, Hurrelmann, Quenzel, 2010). Ausgehend von der Vorstellung der produktiven
Bewältigung der einzelnen Aufgaben durch den einzelnen Jugendlichen geht das Modell
der Frage nach, wie sich die Kompetenz der Lebensbewältigung altersspezifisch
aufbaut. Vor dem Hintergrund der historischen Lebensverhältnisse wird also die von der
Gesellschaft erwartete Entwicklung während der Lebensphase Jugend in eine NormalBiographie übersetzt.
Modellgemäß reagiert die Umwelt auf die durch endogene Veränderungen geschaffenen
Handlungsmöglichkeiten mit neuen Erwartungen. Nicht immer verlaufen diese beiden
Prozesse parallel zueinander. Die Jugendlichen sind also in der zeitlichen Bewältigung
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
von Entwicklungsaufgaben nicht absolut frei. Vielmehr verspüren sie von Seiten ihrer
Umwelt einen gewissen Erwartungsdruck, sich mit bestimmten Aufgaben zu einem
bestimmten Zeitpunkt, also weder zu früh noch zu spät, auseinanderzusetzen. Die
Verweigerung gegenüber Entwicklungsaufgaben wird dabei deutlich negativer
wahrgenommen, als sie zu früh in Angriff zu nehmen. Dies zeigte sich beispielsweise in
der letzten Shell-Jugendstudie (Albert et al., 2010). Darin äußerten die befragten
Jugendlichen ihren Unmut über ihre späte ökonomische Selbstständigkeit, deren
Zeitpunkt sich durch die unsichere Stellensituation und zahlreiche lange Praktika kaum
definieren lässt.
Das genannte Beispiel soll auch zeigen, wie groß die Abhängigkeit des Modells der
Entwicklungsaufgaben von den historischen Lebensverhältnissen der Jugendlichen ist.
Bei einem etwaigen Vergleich der Zukunftsorientierung von Jugendlichen aus
verschiedenen Weltregionen dürfen also die jeweiligen Lebensverhältnisse nicht außer
Acht
gelassen
werden.
Was
von
den
verschiedenen
Altersgruppen
an
Entwicklungsanforderungen erwartet wird, ist nur kulturspezifisch zu verstehen. Wenn
beispielsweise im Rahmen der Entwicklungsaufgabe „Regeneration“ die Entwicklung
von „selbstständigen Verhaltensmustern für die Nutzung des Konsumwarenmarktes“
(Albert et al., 2010. S. 40) erwartet wird, so gilt dies für die Lebensphase Jugend in
modernen Industriegesellschaften. Trotzdem lassen sich bestimmte Aufgaben und die
Bereiche, in denen Entwicklung vollzogen wird, wieder erkennen (siehe Abb. 1). Die
Aufgaben des intrapersonalen Bereichs ergeben sich aus den inneren (endogenen)
Veränderungen, während sich die Aufgaben des interpersonalen Bereichs aus dem
sozialen Beziehungsgefüge und die kulturell-sachlichen Aufgaben aus den kulturellen
Ansprüchen und Möglichkeiten heraus ergeben. Die drei Entwicklungsbereiche lassen
sich jedoch nicht trennscharf voneinander abgrenzen, sondern werden von der
übergeordneten Anforderung, ein neues und bewusstes Verhältnis zu sich selbst und der
Welt zu entwickeln, zusammen gehalten (Fend, 2003).
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Entwicklungsbereiche
Entwicklungsaufgaben
Verarbeitung der biologischen Entwicklung
intrapersonal
Entwicklung einer neuen Identität
Reorganisation der Beziehung zu den Eltern
Aufbau neuer Beziehungsformen
interpersonal
Aufbau von Beziehungen zu Freunden
und Liebespartnern
Aufbau von kultureller Orientierung
kulturell-sachlich
Umgang mit der Leistungsanforderung
Erarbeitung einer Berufsperspektive
[Abb. 1] Orientierungsklassifikation von Entwicklungsaufgaben
Wie die ganze Entwicklung des Menschen Produkt des interaktiven Handelns zwischen
Subjekt und Umwelt ist, so geschieht auch die Vermittlung von Entwicklungsaufgaben
nicht etwa als passive Übernahme von Aufgaben und Vorschriften durch die
Jugendlichen. Vielmehr geschieht dies beim alltäglichen Handeln im sozialen Kontext
von Eltern, Freunden und Lehrern. Die persönliche Entwicklung schafft dabei neue
Handlungsmöglichkeiten, die von der Umwelt entweder bestätigt werden oder durch
Restriktionen gelenkt werden. Ich möchte dies an zwei Beispielen erläutern; in beiden
Beispielen reagiert jeweils eine andere Umwelt auf die sich entwickelnde biologische
Reproduktionsfähigkeit von weiblichen Jugendlichen. Die endogen geschaffene
Handlungsmöglichkeit
wird
jedoch
von
der
Umwelt
in
ihre
je
eigene
Entwicklungsaufgabe übersetzt und im Rahmen von alltäglichen Handlungen vermittelt.
So wird beispielsweise die eine Jugendliche stärker in die Erziehung der jüngeren
Geschwister eingebunden, um sie auf die Entwicklungsaufgabe der Reproduktion und
Erziehung von Nachkommen vorzubereiten. Währenddessen sammelt eine andere
Jugendliche aus einem anderen Kulturkreis beim Besuch eines Tanzkurses die ersten
Erfahrungen mit der Entwicklungsaufgabe der selbstständigen Partnerwahl. Im Rahmen
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
der Entwicklungsaufgaben werden die Jugendlichen also täglich zu Akteuren ihrer
Zukunftsorientierung.
Wie das Beispiel des Tanzkurses zeigt, geht es dabei nicht nur um das mit Druck
verbundene Bewältigen von Entwicklungsaufgaben, sondern um die Gesamtgestaltung
des
eigenen
Lebens
durch
das
tägliche
Handeln.
Um
beispielsweise
die
Entwicklungsaufgabe der ökonomischen Unabhängigkeit zu bewältigen, wird ein
Jugendlicher eine Vielzahl von Zielen formulieren, darunter etwa die Eröffnung eines
eigenen Kontos und das Erzielen von eigenem Einkommen. Durch das geschaffene
Eigenkapital möchte er den nächsten Urlaub unabhängig von den Eltern verbringen oder
später sein großes Ziel einer eigenen Wohnung verwirklichen. An diesem Beispiel
zeigen sich bereits drei prägnante Eigenschaften von Zielen (Grob & Jaschinski, 2003):
Ziele sind bereichsspezifisch, das heißt sie gelten für ein Ziel in einer ihm eigenen
Situation und beeinflusst durch meist eine bestimmte Entwicklungsaufgabe. Daneben
unterliegen sie einem gewissen Zeithorizont. Die Jugendlichen haben dabei eine
gewisse Annahme, in welcher Zeitspanne sie das Ziel erreichen möchten. Ziele sind
weiterhin hierarchisch geordnet. Dies gilt sowohl für die zeitliche Abfolge, in der sie
aufeinander aufbauen, als auch für die Bedeutung die ihnen zukommt. Je wichtiger den
Jugendlichen ein Ziel ist, umso mehr werden sie versuchen, die Zielerreichung selbst zu
kontrollieren. Dazu sind wiederum detaillierte Pläne notwendig, auf die ich im nächsten
Kapitel eingehen möchte.
Die dabei von den Jugendlichen entworfene Zukunftsorientierung hat jedoch meist
einen Versuchscharakter. Das heißt, die Jugendlichen entwickeln zwar Ziele und Pläne,
diese sind aber noch flexibel und werden häufig geändert (Ebd.). Die Übernahme von
verschiedenen Identitätskonzepten im Sinne eines Ausprobierens von Fähigkeiten,
Werten oder Umgebungen spielt bei dieser zukunftsgerichteten Identitätsarbeit eine
wichtige Rolle. Einen Rahmen für die Vielfältigkeit der denkbaren Identitätskonzepte
geben die Lebensverhältnisse der Jugendlichen und die darin verfügbaren Ressourcen
vor.
1.3 Pläne und Strategien
Den gerade erwähnten Ressourcen kommt bei handlungstheoretischen Modellen eine
wichtige Rolle zu: Wie bereits in den vorausgegangenen zwei Abschnitten vielfach
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
gezeigt, werden die sich entwickelnden Jugendlichen als Probleme erkennende und
Probleme aktiv bearbeitende Akteure verstanden. In diesem Sinne wird davon
ausgegangen, dass sie die Differenzen zwischen ihrer gelebten Realität und den Zielen,
die sie sich setzen, sowohl wahrnehmen als auch Strategien zur Bewältigung der
Differenzen planen und aktiv durchführen können. Die angesprochenen Ressourcen
vermögen es, die Jugendlichen bei dieser Bewältigung zu fördern (Albert et al., 2010).
Über je mehr Ressourcen der einzelne Jugendliche verfügt, desto größer wird sein
Handlungsspielraum, auf den er bei seinen Strategien der Zukunftsorientierung
zurückgreifen kann. Eine wichtige Bedeutung kommt diesen Ressourcen auch in der
Erforschung der Vulnerabilität von Jugendlichen zu. Darin geht der Resilienz-Ansatz,
auf den ich im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft eingehen kann, der Frage nach, mit
welchen Protektoren Jugendliche ausgestattet sein müssen, um existenziell negative
Erfahrungen soweit zu verarbeiten, dass es nicht zur Gefährdung der Jugendlichen
kommt (Grossmann & Grossmann, 2010).
Zur Erfassung der Ressourcenausstattung bietet die geographische Entwicklungsforschung geeignete Analyseverfahren, auf die ich später, im Rahmen der
geographischen Perspektive, eingehen möchte. Zunächst möchte ich mich auf die
emotionale Komponente der personalen Ressource beschränken. Von großer Bedeutung
ist die Evaluation vorausgegangener und gegenwärtiger Entwicklungsprozesse. Konnten
die Jugendlichen in der Vergangenheit ihre Ziele realisieren, so werden sie auch
zukünftigen Handlungsplänen optimistisch entgegentreten (Grob & Jaschinski, 2003).
Nach demselben Prinzip, jedoch mit größerer Bereichsspezifität, wird auch das mit der
Selbstwirksamkeit beschriebene Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verstärkt. Die
beiden genannten emotionalen Komponenten der personalen Ressourcenausstattung
werden im Wesentlichen in der Kindheit aufgebaut und dann in die jugendliche
Entwicklung transportiert. Dies ist eine mögliche Erklärung für den hohen
Zusammenhang zwischen dem Erleben in der Kindheit und der späteren Entwicklung
und betont die hohe Bedeutung von positiven Erfahrungsräumen für die (post-)
adoleszente Entwicklung (Fend, 2003).
Bemerkenswert ist, dass der sehr individuellen Ressourcenausstattung von Jugendlichen
eine geringe Zahl von Strategien gegenüber steht, mit denen die Jugendlichen die an sie
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
gerichteten Entwicklungsanforderungen bewältigen. In diesem Kontext betont die Shell
Jugendstudie (Albert et al., 2010) den Umgang der Jugendlichen mit dem auf ihnen
lastenden Druck, der sich durch die notwendige Bewältigung der Entwicklungsaufgaben
ergibt. Aus der Vielfalt der Wahrnehmung und des Umgangs mit diesem Druck
kristallisierten sich in der Shell Jugendstudie (Ebd.) für Deutschland vier Muster heraus.
Die Muster lassen sich als Handlungsoptionen verstehen, die sich hinsichtlich mehrerer
Merkmale unterscheiden lassen. Die Unterschiede lagen insbesondere darin, ob der
Druck überhaupt wahrgenommen wird. Falls dieser wahrgenommen wurde, unterschied
sich das Engagement in der Mobilisierung neuer Ressourcen in einer Spanne von
großem
Einsatz
bis
hin
zur
zeitweiligen
Verweigerung.
Der
Begriff
der
Handlungsoption unterstellt den Jugendlichen eine Wahlmöglichkeit, vereinzelten
Entwicklungsaufgaben mit anderen als den sonst von ihnen vertretenen Strategien zu
begegnen oder die Strategie im Laufe des Lebens zu verändern. Allerdings sind die
herausgestellten Optionen eng mit der bestehenden Ressourcenausstattung der
Jugendlichen verbunden, so dass für einige Jugendliche die Wahlmöglichkeit
eingeschränkt bleibt (Ebd.).
1.4 Handlungstheoretisches Meta-Modell
Das entwicklungspsychologische Verständnis von Zukunftsorientierung folgt der
inneren Logik des handlungstheoretisch fundierten Metamodells der psychologischen
Beratung (Schleider & Wolf, 2007). Auch dieses betrachtet eine umfassende
Bedingungsanalyse, welche die relevanten Bedingungsfaktoren erfasst, als ihre
Grundlage.
Das
handlungstheoretische
Modell
unterscheidet
dabei
die
prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Risikofaktoren von den
protektiv wirkenden Faktoren. Der Mittel-Weg-Analyse folgend gliedert sich daran mit
der Beschreibung des angestrebten Soll-Zustands die Zielanalyse an. Daran
anschließend richtet sich der Fokus der Beratung auf die Mittel anhand derer die Ziele
erreicht werden können. In der abschließenden Evaluation kann nun entweder die
Durchführungsphase analysiert werden, oder aber vor der Durchführung des
Handlungsplans
eine
Abschätzung
vorgenommen
werden,
mit
welcher
Wahrscheinlichkeit das Ziel erreicht wird.
14
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Das handlungstheoretisch fundierte Meta-Modell dieser Forschungsarbeit integriert in
seinem Verständnis unterschiedliche Ansätze der Beratung. So betont das Modell,
angelehnt an die die systemische Beratung, die subjektive konstruierte Wahrnehmung
der
Bedingungen
und
deren
Auswirkung
auf
die
individuelle
Persönlichkeitsentwicklung. Dagegen ist die starke Betonung von Ressourcen und
Risiken dem ressourcenorientierten Ansatz der Beratung entliehen.
Darüber hinaus bietet das handlungstheoretisch fundierte Meta-Modell (ebd.) die
Möglichkeit unterschiedliche
Bezugsdisziplinen in die
Bedingungsanalyse
zu
integrieren. Dies soll im weiteren Verlauf aus der geographischen Perspektive heraus
geschehen.
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
2. Zukunftsorientierung aus geographischer Perspektive
Ich möchte zu Beginn dieses Kapitels erneut das einführende Beispiel des sich im Nebel
orientierenden Jugendlichen aufnehmen. Auf Grundlage dessen Verständnisses von
Existenzsicherung und Risiko lässt sich der Begriff der Zukunftsorientierung um einige
Aspekte anreichern.
Risiko wurde lange Zeit als negative Rahmenbedingung für das Alltagshandeln und die
Existenzsicherung interpretiert. Dies galt auch für das Risiko der Existenzsicherung von
Jugendlichen, namentlich der Zukunftsorientierung. Im Gegensatz dazu betonen einige
jüngere Ansätze die Bedeutung des bewussten Umgangs mit Risiko als Vorbedingung
für eine wirksame Existenzsicherung. So stellt Müller-Mahn (2007) in ihrem
Risikoansatz etwa fest, dass erst indem beispielsweise Jugendliche mögliche Risiken
und ihre Eintrittswahrscheinlichkeit bei ihrem Handeln kalkulieren und sie sich diese
bewusst machen, die Bedingungen für eine erfolgreiche Lebensgestaltung entstehen.
Denn wenn ein sich im Nebel orientierender Jugendlicher die Gefahr des Nebels weder
wahrnehmen noch interpretieren kann, geschweige denn auf der Grundlage dieser
Interpretation angemessen reagieren (sich mit dem Kompass orientieren) könnte, dann
wäre er hochgradig verwundbar. Zur Verringerung der Verwundbarkeit ist ein
erfolgreicher Umgang mit Risiko also untrennbar mit der Wahrnehmung und
Interpretation von Gefahren oder Ressourcen verbunden (Krüger & Macamo, 200, S.
47). Dem Betroffenen wird somit im Beispiel aus dem geographischen Kontext eine
aktive Rolle im System von Gefahr und Existenzsicherung zugewiesen. Wenn zu
befürchten ist, dass die Zukunftsorientierung eines Jugendlichen im Falle des Scheiterns
eine Gefahr für seine Existenz darstellt, dann gilt dies in voller Tragweite auch im
entwicklungspsychologischen Bereich. Im Sinne der Handlungsorientierung kann also
eine erste Übereinstimmung der entwicklungspsychologischen und der geographischen
Auffassung von Zukunftsorientierung wahrgenommen werden.
Einer derart akteurzentrierten
Auffassung von Geographie, wie der gerade
beschriebenen, kann vorgeworfen werden, sie vernachlässige ihre dringlichste Aufgabe
einer Suche nach dem im geographischen Raum allgemeingültigen Verhalten.
Stattdessen verliere sie sich in der Erfassung von unzähligen einzelnen Geographien auf
der Ebene des einzelnen Akteurs (Werlen, 1999). Dieser Vorwurf ist ernst zu nehmen –
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
umso mehr gilt es aus geographischer Perspektive diejenigen Handlungsbedingungen zu
analysieren, die auf das Handeln aller oder zumindest einer Gruppe von Akteuren in
einem
geographischen
Raum
Einfluss
haben.
An
das
hier
vorgestellte
entwicklungspsychologische Modell von Zukunftsorientierung ergeben sich daher
gerade dort Anschlussmöglichkeiten, wo der Einfluss der Lebenswelt auf den sich
entwickelnden Jugendlichen besonders groß ist. Hier steht handlungstheoretisch
ausgerichteten Entwicklungspsychologie der Ansatz der handlungstheoretischen
Entwicklungsforschung zur Seite. Namentlich betrifft dies den Ansatz des Sustainable
Livelihoods, den Ansatz für nachhaltige Existenzsicherung.
2.1 Sustainable Livelihood Approach: Der Ansatz der nachhaltigen
Existenzsicherung
Im Zuge des Bedürfnisses,
die Existenzsicherung von Bevölkerungsgruppen zu
analysieren, hat in den letzten Jahren der Sustainable Livelihood Approach (SLA)
Bedeutung
erlangt.
Er
wurde
von
britischen
Organisationen
der
Entwicklungszusammenarbeit entworfen, darunter das Department for International
Development. Der SLA basiert auf der Überlegung, dass, wie bei den von mir bereits
erläuterten Ressourcen, materielle und immaterielle Vermögenswerte und Fähigkeiten
bei der Existenzsicherung eine zentrale Rolle spielen. Ziel des Ansatzes ist es, die
Gesamtheit der für die Existenzsicherung zur Verfügung stehenden Ressourcen zu
erfassen und sie auf ihren subjektiven Stellenwert hin zu untersuchen. Der Ansatz geht
hier von den Stärken und von den Bedürfnissen der Akteure aus und impliziert damit
die Anerkennung
der Fähigkeiten eines jeden Einzelnen, sein Leben zu meistern
(DFID, 1998). Desweiteren sind die Strategien, die die Akteure einsetzen, um ihre
Ressourcenausstattung zu verbessern und den Grad ihrer Verwundbarkeit möglichst zu
senken, ein Gegenstand des Ansatzes (Krüger & Macamo, 2003). Der SLA versucht
also die Lücke zwischen der Makroebene und der Mikroebene zu schließen, indem er
die
gegenseitigen
Auswirkungen
und
Verbindungen
von
„Maßnahmen
und
Veränderungen auf der geographischen Maßstabsebene und der Mikroebene der
Lebensgestaltung von Gemeinschaften und Individuen“ (Bohle, 2001) betont.
Den Ressourcen gegenüber stehen die im Verwundbarkeitskontext zusammengefassten
Herausforderungen der Lebensverhältnisse. Die Akteure müssen diese richtig
17
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
einschätzen und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen bewältigen.
Gelingt dies nicht, sei es aufgrund einer falschen Einschätzung, dem falschen Einsatz
oder schlicht aufgrund einer mangelhaften Ressourcenausstattung, ist die Existenz des
Akteurs gefährdet.
Ziel des britischen Department for International Development war die Schaffung eines
vielseitigen Instruments für die Erfassung und Strukturierung der Existenzsicherung und
ihrer Einflussfaktoren (DFID, 1998). Das Analyseraster ist jedoch nicht statisch,
sondern darf als flexibles Instrument angewendet und adaptiert werden. Dies trifft auch
für
die
Adaption
an
die
im
entwicklungspsychologischen
Modell
der
Zukunftsorientierung beschriebene Existenzsicherung von Jugendlichen in Bangladesch
zu. Auch in diesem Zusammenhang gelten die folgenden Fragen des SLA: Welche
Gefährdung nehmen die befragten Jugendlichen wahr? Welche Ressourcen stehen den
Jugendlichen zur Verfügung und welchen subjektiven Stellenwert nehmen sie bei ihrer
Zukunftsorientierung ein? Und durch welche Strategien soll die Ressourcenausstattung
verbessert werden?
2.2 Kapitalausstattung
Auf
die
Ressourcenausstattung
wurde
bereits
unter
1.3
aus
der
entwicklungspsychologischen Perspektive eingegangen. Dennoch soll sie hier noch
einmal aufgegriffen werden, um sie aus der besonderen Perspektive der Geographie
zwischen Sozial- und Naturwissenschaft analysieren zu können. Der SLA fasst die
Ressourcen von Akteuren als einzelne Bündel zusammen und bezeichnet diese als
Kapitalien. Es wird versucht, diese Kapitalausstattung möglichst umfassend zu ermitteln
und einen Überblick über die Strategien, in denen sie zur Existenzsicherung heran
gezogen wird, zu schaffen. Als Grundlage dienen fünf verschiedene Kategorien von
Kapitalien (DFID, 1998).
Das Humankapital repräsentieren die Fertigkeiten, das Wissen, die Arbeitsfähigkeit und
der Gesundheitszustand eines Menschen. Jede dieser Ressourcen wirkt sich auf die
Möglichkeit der Existenzsicherung, insbesondere in Form von Arbeitsleistung, aus. Da
der Begriff Humankapital in letzter Zeit eine Umdeutung in Richtung einer
Beschreibung der Verwertbarkeit eines Menschen für die Kapitalwirtschaft erfahren hat,
18
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
muss das ursprüngliche und hier verwendete Verständnis des Begriffs klar davon
abgegrenzt werden. Das hier verwendete Verständnis von Humankapital beschreibt die
Ressourcen, auf die ein Akteur im Sinne seiner eigenen Existenzsicherung
zurückgreifen kann. Das Humankapital ist von grundlegender Bedeutung um im
Rahmen von Existenzsicherungsstrategien von den nachfolgend beschriebenen vier
Kapitalien Gebrauch zu machen.
Sozialkapital: Die im Abschnitt 1.1 beschriebenen sozialen Bezugssysteme des
täglichen Lebens werden durch den SLA im Sozialkapital verortet. Dazu gehören
Stützsysteme wie etwa Familie, Freundeskreis oder Dorfgemeinschaft. Darüber hinaus
wird zwischen sozialen Netzwerken in horizontaler Kooperationsebene mit gleicher
Interessenverteilung und Netzwerken auf vertikaler Ebene, beispielsweise eines PatronKlient-Verhältnisses, unterschieden. Entscheidend für die Qualität eines Bezugssystems
ist seine Stabilität in den von ihm vertretenen Werten und im moralischen Rückhalt der
Jugendlichen (Albert, 2010, S. 56). Eine enge Einbindung in ein soziales Bezugssystem
kann sich dabei jedoch nicht nur als positive Ressource erweisen. Insbesondere in der
Wahl von Zielen und Strategien stellt eine Reglementierung der möglichen Optionen
durch das Bezugssystem oftmals einen Nachteil dar. Darauf wird im Abschnitt 2.4
„Jugendliche als Entscheidungsträger“ vertieft eingegangen.
Das Sachkapital beschreibt die für den Akteur zugängliche Basisinfrastruktur und seine
Investitionsgüter.
Die
Basisinfrastruktur
umfasst
die
Dienstleistungen
und
Einrichtungen, die von Menschen zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse und zur
Steigerung ihrer Produktivität benötigt werden. Dies umfasst beispielsweise
Krankenhäuser und Bildungseinrichtungen. Zu den Investitionsgütern zählen auch
produktivitätssteigernde Güter wie Maschinen oder Werkzeuge.
Im Naturkapital werden alle natürlichen Ressourcen zusammengefasst, zu denen
Akteure Zugang haben. Dazu zählen Land, Wasser, Wälder, Vieh, Luft und
Bodendiversität.
Das Finanzkapital gliedert sich in regelmäßiges Geldeinkommen und Spareinlagen.
Neben dem Sachkapital ist das Finanzkapital der wichtigste Faktor zur Bestimmung der
sozioökonomischen Stellung.
19
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Die personalen Ressourcen beinhalten soziokognitive Kompetenzen der Analyse- und
Urteilsfähigkeit des Jugendlichen. Gemeint sind damit die Möglichkeiten des
Jugendlichen, sich ihm bietende Handlungsspielräume zu erkennen und in seine
Zukunftsorientierung einzubinden, aber auch Probleme zu analysieren und bewältigen
zu können. Personale Kompetenzen beinhalten auch emotionale Komponenten, allen
voran eine positive Wahrnehmung der eigenen Wirksamkeit, um die eigene Zukunft
gestalten zu können. Zusammengefasst sind die personalen Ressourcen die wichtigste
Voraussetzung,
um
den
Grad
der
Verfügbarkeit
aller
Ressourcen
in
die
Zukunftsorientierung mit einzubeziehen.
Ausdrücklich muss darauf hingewiesen werden, dass die Erfassung von Kapitalien nur
einen Ausschnitt der gegenwärtigen Lebensverhältnisse zeigen kann und keinen
Einblick in die Genese dieser Kapitalausstattung geben kann. Dabei könnte man leicht
zu dem Schluss kommen, dass die Erschließung der Ressourcen für jeden dieselbe
Herausforderung darstellt und damit in der Macht eines jedes Einzelnen steht. Dies
würde der Realität unseres globalen Systems jedoch nicht gerecht werden (Zeller, 2004,
S. 66). Vielmehr muss in diesem Zusammenhang auf die Vielzahl verschiedenster
strukturalistischer Theorien verwiesen werden, wie beispielsweise die globale
Enteignungsökonomie von Zeller (2004).
2.3 Verwundbarkeitskontext
Wie bereits beschrieben, umfasst der Verwundbarkeitskontext diejenigen Risiken, die in
den Lebensverhältnissen des räumlichen Kontexts bestehen. Die Jugendlichen müssen
diese richtig einschätzen, ihre nachhaltige Zukunftorientierung wirksam an diese
anpassen
und
gegen
sie
bestehen.
Die
Analyse
der
Faktoren
des
Verwundbarkeitskontextes ist deswegen so bedeutend, weil sie die Möglichkeiten und
Ressourcen in der Zukunftsorientierung von Jugendlichen direkt beeinflussen. Eine
besondere Rolle kommt dabei Veränderungen der Lebensbedingungen in Form von
Schocks, Saisonalitäten oder Trends zu, da diese auch eine Veränderung der
Handlungsstrategie hervorrufen (Hertlein, 2008).
Die
im
Abschnitt
Zugangsbedingungen
zur
zu
Ressourcenausstattung
den
Ressourcen
erwähnten
wirken
sich
unterschiedlichen
auch
auf
den
20
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Vulnerabilitätskontext aus. Es müssen daher neben den für alle Akteure bestehenden
Risiken eines Raumes auch diejenigen Risiken in den jeweiligen Vulnerabilitätskontext
aufgenommen werden, die für einen Teil einer gesellschaftlichen, oft marginalisierten,
Gruppe bestehen. Dies kann auch ein für eine Gruppe bestehender Mangel an einer
bestimmten Ressource sein. Somit sind die Handlungsspielräume, um sich vor einer
Gefahr zu schützen, von Anfang an eingeschränkt (Krüger & Samimi, 2003).
2.4 Jugendliche als Entscheidungsträger
Der im vorausgegangenen Abschnitt beschriebene Sustainable Livelihood Ansatz zeigt
ein Analyseschema auf, mit dem es möglich ist, Ressourcen zu erfassen, die eine
nachhaltige Zukunftsorientierung gewährleisten. Darüber hinaus wird die Mobilisierung
neuer Ressourcen als Anpassungs- und Bewältigungsstrategie im Alltagshandeln
untersucht. Dabei ist zwar das menschliche Handeln in den Strategien ein wichtiger
Bestandteil des SLA, dies liefert aber noch keine Erklärung für die Soziologie der
Entscheidung zu diesem Handeln. Es erscheint daher notwendig, die Analyse des
Sustainable Livelihood mit einer Analyse der Entscheidungsinstanzen und der
Verteilung von Verantwortung zu ergänzen. Diese Beobachtungspunkte vereinen
Krüger
und
Macamo
(2003)
in
ihrem
Ansatz
der
handlungsorientierten
Entwicklungsforschung, der in ähnlicher Form auch im Analysekonzept der Weltbank
(2007)
verwendet
wird.
In
der
Terminologie
des
SLA
sind
diese
Entscheidungsinstanzen und Problemlöseautoritäten zwar in den Bereich des
Sozialkapitals einzuordnen. Doch analysiert der handlungsorientierte Ansatz darüber
hinaus, in welcher Häufigkeit und Intensität die Jugendlichen ihre Entscheidungsfreiheit
einer sozialen Dependenz unterordnen müssen oder ihnen Verantwortung abgenommen
wird. Folgende Fragen stellt der Ansatz also in das Zentrum seiner Analyse:
-
Wer beeinflusst wen bei welchen Entscheidungen?
-
Wann werden diese Entscheidungen im Bezug zum Handeln getroffen?
-
Wer trägt die Verantwortung für die Präventions-, Anpassungs- und
Bewältigungsmaßnahmen?
Normative Motivation dieser Analyse ist es, Jugendlichen zu unabhängigen
Lebensentscheidungen
zu
verhelfen
(Weltbank,
2007).
Hintergrund
dieser
Notwendigkeit ist die Annahme, dass sich die Anpassungsfähigkeit einer Gesellschaft in
21
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
dem Maße erhöht, in dem sie ihren Akteuren erlaubt, neue Rollen einzunehmen. Die
Akteure müssen also die Entscheidungsfreiheit haben, neue Handlungsweisen
auszuprobieren, um für ihre Zukunftsorientierung neue Problemlösungsansätze zu
entdecken (Krüger, 2003).
2.5 Nachhaltige Zukunftsorientierung
In
den
vorausgegangenen
Kapiteln
wurde
dargelegt,
wie
das
Livelihood
(Lebensgestaltung) Modell aus der geographischen Perspektive heraus zu einem
Erkenntnisgewinn über die Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
beitragen kann. Bisher wurde jedoch das im SLA beinhaltete Prädikat der Sustainability
(Nachhaltigkeit) noch nicht erläutert. Nachhaltigkeit kann im Zusammenhang mit der in
der
Zukunftsorientierung
beabsichtigten
Existenzsicherung
als
Gütekriterium
verstanden werden. Dabei wäre wenig hilfreich, sich im Sinne eines Outcomes auf
Eigenschaften zu konzentrieren, die im Erwachsenenalter erfüllt sein müssen. Vielmehr
sind bereits das Handeln und die Strategien der jugendlichen Zukunftsorientierung nach
Indikatoren der Nachhaltigkeit zu hinterfragen. Folgende Punkte können dabei aus dem
SLA (DFID, 1998) adaptiert werden:
-
Über welche Ressourcen verfügen die Jugendlichen längerfristig?
-
Wie gelingt es ihnen, neue Ressourcen zu mobilisieren?
-
Wie gewichten die Jugendlichen die für sie verfügbaren Ressourcen in ihren
Strategien der Zukunftsorientierung?
Sie münden in der Frage, ob es den Jugendlichen gelingt, die Gefährdungen, die sich
aus dem Verwundbarkeitskontext ergeben richtig einschätzen und bewältigen können.
Eine Bewertung der Zukunftsorientierung von Jugendlichen darf jedoch keinesfalls
vorgenommen werden, ohne sie dem geltenden Vulnerabilitätskontext und der
jeweiligen Ressourcenausstattung gegenüberzustellen. Es ist gerade bei marginalisierten
Jugendlichen nicht so, dass sie unfähig wären, ihre Zukunft nachhaltig zu gestalten.
Vielmehr erlaubt ihnen ihre Ressourcenausstattung oftmals keine geeignete Strategie,
um
dem
hohen
Druck
des
Vulnerabilitätskontextes
auf
eine
nachhaltige
Zukunftsorientierung zu widerstehen (Zander, 2010).
22
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
3. Jugend im räumlichen Kontext der Provinzstadt Rajshahi,
Bangladesch
Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Handlungsbedingungen der Jugendlichen
in Bangladesch. Es greift dazu exemplarische Phänomene auf, die vom Autor für die
Zukunftsorientierung von Jugendlichen als relevant eingeschätzt werden. Im Rahmen
dieser Arbeit können diese jedoch zum Teil nur stark verkürzt wiedergegeben werden.
Die Handlungsbedingungen sind zum Einen diejenigen Ressourcen, die wie im Fall
eines Schulabschlusses die Jugendlichen in ihrem Handeln stärken, auf der anderen
Seite stehen die im Vulnerabilitätskontext zusammengefassten Herausforderungen und
Risiken ihrer Umwelt. Als Beispiel für letzteres kann hier die Hochwassersituation
angeführt werden.
Bei der Analyse des räumlichen Kontexts sollen die Quellenarbeit über Zahlen und
Fakten und die Erfahrungen aus dem Aufenthalt des Autors im Land selbst miteinander
in Verbindung gebracht werden. Es muss also ausdrücklich darauf hingewiesen werden,
dass die subjektive Wahrnehmung des Autors einen Bestandteil der Analyse darstellt.
Gerade dort, wo bisher empirische Daten zur Erfassung der erlebten Realität von
Jugendlichen in Bangladesch noch nicht existieren, sollen diese Erfahrungen aus einem
vierwöchigen Aufenthalt bewusst die Analyse anreichern.
3.1 Bangladesch im globalen Kontext
Zwar können die Hintergründe der Armut in einem der ärmsten Länder der Erde, in dem
rund 82 % der Bevölkerung weniger als 2 USD pro Tag verdienen (Weltbank, 2007, S.
350), in dieser Arbeit nicht in ihrer wirtschafts-geographischen Tiefe erklärt werden.
Doch besitzen einige globale Strukturen und Prozesse für das Handeln und die Zukunft
der Jugendlichen so große Relevanz, dass sie in dieser Arbeit nicht unangesprochen
bleiben sollen. Bei der anschließenden Beschreibung der Lebensverhältnisse wird
darauf vereinzelt nochmals Bezug genommen.
Bangladesch leidet seit seiner Ausrufung als Republik im Jahr 1971 unter einem
drastischen Außenhandelsdefizit. Im Jahr 2009 überschritt der Import von 20,6 Mrd.
US-$ den Export um nicht weniger als 8,5 Mrd. US-$ (Statistisches Bundesamt
Deutschland, 2009). Um dieses Defizit auszugleichen, ist Bangladesch in hohem Maße
23
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
von
den
Krediten ausländischer Geldgeber,
wie
etwa
der
Weltbank,
von
Staatenverbünden wie der EU oder einzelnen Staaten abhängig. Die Kreditgeber sind
meist die Länder, die selbst in engen Handelsbeziehungen mit Bangladesch stehen.
Weil Bangladesch über keine nennenswerten Rohstoffe verfügt, müssen die hohen
Zinsen ebenso wie die Schuldentilgung mit Hilfe des durch Arbeit geschaffenen
Mehrwerts erwirtschaftet werden. Der daraus resultierende Druck auf die arbeitende
Bevölkerung erhöht sich in dem Maße, in dem neben der Erwirtschaftung des Zinses
auch die Steigerung des Profits der in- und ausländischen Unternehmen angestrebt wird.
Erscheinungsbilder dieses Drucks sind Reallohnsenkung, Arbeitsintensivierung,
Deregulierung der Arbeitsverhältnisse und mangelhafte soziale Absicherung (Zeller,
2006, S. 79). In der Folge arbeiten heute viele Arbeiter Bangladeschs als Tagelöhner im
informellen Sektor (Bangladesh Bureau of Statistics, 2010). Die schwierige Situation
verschärft sich zusätzlich durch die Inflationsrate: Diese belief sich in Bangladesch im
Jahr 2009 auf 5,42% (Statistisches Bundesamt Deutschland, 2009) bei einem
gleichbleibend sehr niedrigem BNE von
590 US-$ (Statistisches Bundesamt
Deutschland, 2009). Bemerkenswert ist der Anteil von rund 90% der Produktionsgüter
am Export (Weltbank, 2007, S. 356), ein Wert der für den sonst rohstofflastigen Export
von Entwicklungsländern ungewöhnlich ist. Er ist in Bangladesch verbunden mit
niedrigen Löhnen der Arbeiter und großen Gewinnmargen der Unternehmen. Dies gilt
auch für die in Bangladesch zahlreich vertretenen
westlichen Unternehmen der
Bekleidungsbranche.
Wie sich in einigen Beispielen zeigen wird, ist die Erschließung bisher nicht für die
Großproduktion
erschlossener
Bereiche
derzeit
ein
bedeutender
gesellschaftsbestimmender Prozess. Die kapitalistische Verwertung der Ressourcen
kann also auch hier nicht als geschlossenes System betrachtet werden, sondern dringt
immer weiter in neue Bereiche vor (Zeller, 2006). Stellvertretend und vorausgreifend
soll hier nur die Anlage neuer Shrimp-Farmen genannt werden. Hierzu werden die
ursprünglich zur Subsistenz genutzten Reisfelder nach der Vertreibung
der
Landbevölkerung durch international agierende Konzerne enteignet oder das Naturland
der Mangrovenwälder privatisiert und nachhaltig zerstört (Falk, 2011). Dies führt dazu,
dass weiterhin Millionen Menschen aus Lebenszusammenhängen herausgerissen und
24
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
auf den neu angelegten Großfarmen oder nach ihrer Abwanderung in die
Provinzhauptstädte Bangladeschs von extrem niedrigen Löhnen abhängig werden.
Dementsprechend gelten weiterhin 20% der Bevölkerung als extrem arm. Sie müssen
mit weniger als 1.840 kcal pro Tag auskommen (Netz, 2006). Die ausgelösten
Wanderungsbewegungen machen sich in einem rasanten Wachstum der Städte
bemerkbar. Zwischen 2001 und 2005 wuchs alleine im Stadtgebiet Rajshahi, dem
Untersuchungsgebiet der Studie, die Bevölkerung von 0,5 Mio. auf 0,8 Mio. Einwohner
(WASPA, 2006 a, S. 1). Dort leben 70% der Haushalte von einem Monatseinkommen
zwischen 25 und 45 Euro (WASPA, 2006 a, S. 2).
3.2 Geopolitische Einordnung von Bangladesch und der Provinzhauptstadt
Rajshahi
Bangladesch ist mit seinen 162 Millionen Einwohnern auf einer Fläche, die mit 130
Tausend Quadratkilometern nur doppelt so groß ist wie Bayern, das am dichtesten
besiedelte Flächenland der Erde. Zwar ist das Bevölkerungswachstum zwischen den
Jahren 2000 und 2005 auf 1,9% jährlich weiter gesunken (Statistisches Bundesamt
Deutschland, 2010). Dennoch wird die Verteilung der Ressourcen auch die Generation
der heutigen Jugendlichen im Alter zwischen 10 und 19 Jahren, die heute 21% der
Bevölkerung ausmachen, vor eine große Herausforderung stellen (Unicef, 2009).
Die Provinz Rajshahi ist eine von sechs Verwaltungsprovinzen Bangladeschs und
besteht aus
16 Bezirken, darunter der Bezirk Rajshahi mit der gleichnamigen
Provinzhauptstadt. In der Provinz Rajshahi leben rund 2,3 Millionen Menschen, 63%
von ihnen wohnen in den ländlichen Gebieten der Provinz. Die Stadt Rajshahi, das
Untersuchungsgebiet dieser Studie, liegt am Ostufer des Flusses Padma, der breiter
bekannt ist unter seinem indischen Namen Ganges. Dieser trennt mit seinen rund 8 km
Breite die 800.000 Einwohner der Stadt von ihren Nachbarn im Staat Indien. Zwar
verfügt die Stadt über keinen nennenswerten Hafen.
Doch sind die Vielzahl der
indischen Produkte ein Hinweis auf die intensiven Handelsbeziehungen der Stadt zu
ihrem Nachbarn.
25
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Religion und Kultur
In der Verfassung ist neben der Demokratie und dem besonderen Wert der eigenen
Nation auch die Säkularität als Ziel verankert. In der Bevölkerung bekennen sich rund
90% zum Islam. Daneben bekennen sich rund 8% zum Hinduismus, und je 1% zum
Christentum und Buddhismus. Regional kann dies jedoch sehr unterschiedlich ausfallen.
Eine große Mehrheit der Muslime fühlt sich in der moderaten Religions- und
Kulturtradition des Sufismus verwurzelt. Dabei gilt der Einfluss der intellektuellen
Kräfte des Landes auf Kultur und Religion traditionell als sehr groß (Auswärtiges Amt,
2011). Gruppen mit radikaler und extremistischer Glaubensausauslegung sind klein und
stehen am gesellschaftlichen Rand. So wird von staatlicher Seite auch gegen die
drakonische Fatwa, die islamische Rechtsprechung, massiv vorgegangen. Gerade in
ländlichen Gebieten, auch im Einzugsbereich des Untersuchungsgebietes, kommt es
dennoch vereinzelt zur Ausübung dieser Gerichtsform. Urteile wie die am 20.
Dezember 2010 rund 20 km nord-östlich der Stadt Rajshahi vollstreckte Steinigung
werden in den Medien geächtet. Von Seiten der staatlichen Justiz werden die
Verantwortlichen des Mordes drastisch bestraft (Shiraz, 2010).
Kulturell ist der traditionelle bengalische Einfluss gerade in ländlichen Gebieten und in
der armen Bevölkerung noch sehr groß. Dieser gibt den Jugendlichen vor allem bei
sexual-moralischen Themen und dem für Frauen vorgesehenen Handlungsrahmen klare
Vorgaben. In der Oberschicht hat sich die englische Tradition der Kolonialzeit erhalten.
Diese wird vor allem an den etablierten Privatschulen des Landes gepflegt (Auswärtiges
Amt, 2011).
Außenpolitik
Bangladesch pflegt konstruktive Beziehungen zu seinen außenpolitischen Nachbarn.
Dies trifft insbesondere für die wichtigsten Handelspartner Indien und China sowie die
Länder der arabischen Golfstaaten zu. Da Indien, neben Myarmar der einzige direkte
Nachbar, über die Oberläufe der großen Flüsse Bangladeschs verfügt, ist Bangladesch
bezüglich der Menge und der Qualität des Wassers, das Bangladesch erreicht, massiv
von Indien abhängig. Indien wurde seiner Verantwortung lange Zeit nicht gerecht,
indem es das Flusswasser in der Trockenzeit zur Energiegewinnung und zur
26
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Bewässerung aufgestaut hat. In der Folge kam es in Bangladesch zu Trockenzeiten und
Hungersnöten. Diese trafen als Anrainer des Ganges auch die Stadt Rajshahi. Die
Ergebnisse der bilateralen Gespräche zwischen beiden Ländern geben aber Hoffnung
für eine Verbesserung der Lage. Selbiges wäre auch dringend notwendig für eine
Verbesserung des schlechten Verhältnisses zu Myanmar, unter dem vor allem die rund
400.000 Flüchtlinge leiden, die auf bangladeschischem Boden Schutz suchen.
Weltpolitisch übernimmt Bangladesch im Bündnis des Commonwealth, in der
Islamischen Konferenz und in der internationalen Klimadebatte Verantwortung.
Desweiteren sichert Bangladesch als einer der größten Truppensteller bei UN-Einsätzen
neben dem Broterwerb von 10.000 Soldaten auch die außenpolitische Anerkennung des
Landes (alle Angaben diese Abschnittes: Deutsches Auswärtiges Amt, 2010).
Innenpolitik
Im Gegensatz zur außenpolitischen Verlässlichkeit des Landes erleben die Jugendlichen
innenpolitisch sehr große Unsicherheiten. Ausschlaggebend sind seit dem Jahr 1991 die
beiden unversöhnlich zerstrittenen Parteien, die „Bangladesh Nationalist Party“ unter
Khaled Zia und die „Awami Leaugue“ unter Sheikh Hasina. Sheikh Hasina wurde im
Dezember 2008 bei demokratischen Wahlen zur Premierministerin gewählt. Voraus
gegangen waren zwei Jahre der politischen Instabilität mit schweren und gewaltsamen
Unruhen im Dezember 2007, einer Übergangsregierung und deren Sturz durch das
Militär. Seit Sommer 2010 kam es auch in der laufenden Legislaturperiode zu
gewaltsamen
Demonstrationen
für
höhere
Löhne,
die
wiederum
gewaltsam
niedergeschlagen wurden (Deutsches Auswärtiges Amt, 2010).
In der Vergangenheit spielte die Jugend im Volksbewusstsein Bangladeschs eine
gewichtige Rolle. Schließlich war es die Jugend, die das blutigste Opfer für die heutige
Unabhängigkeit
des
früheren
Ost-Pakistan
zahlte.
Bereits
1952
in
der
„Sprachbewegung“ und später für die Formulierung eines 11-Punkte Plans gegen die
pakistanische Unterdrückung ließen viele Jugendliche ihr Leben. Nach bestehenden
Einschätzungen hat die Jugend
dieses hohe Ansehen mittlerweile verloren
(Chowdhurry, 2002). Die Kluft zwischen den beiden politischen Lagern zieht sich auch
durch die Bildungsinstitutionen und sorgt dort für fortlaufende Unruhe zwischen den
von ihnen instrumentalisierten Jugendorganisationen. Hinzu kommen radikal-
27
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
islamistische Gruppen, sowie entsprechende kommunistische Gruppierungen. Leider
sind
die
Proteste
weniger
produktiv
politisiert
als
blutig.
Gewalttätige
Auseinandersetzungen, gelegentlich mit Schusswaffengebrauch, bedrohen auch an den
Universitäten die Studenten und das akademische Lernklima (Chowdhurry, 2002).
[Abb. 2] Friedlicher Studentenprotest der
[Abb. 3] Eines der vielen Plakate einer
„Awami League“ auf dem Campus der
als extremistisch eingestuften K-
Universität Rajshahi.
Gruppe auf dem Campus
3.3 Umweltbedingungen in Bangladesch und der Provinzstadt Rajshahi
Klimawandel
Die Lage im Deltasystem der Flüsse Padma (Ganges) und Jamuna (Brahmaputra) macht
Bangladesch in hohem Maße abhängig von geomorphologischen und hydrologischen
Prozessen in dieser über weite Teile amphibischen und semi-amphibischen Landschaft.
Der direkt angrenzende Golf von Bengalen und die Tatsache, dass große Teile des
Landes nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen, sind zwei weitere prägende
Faktoren der Umwelt Bangladeschs. Sie führen die enorme Abhängigkeit von den
dortigen Umweltprozessen vor Augen.
Ihre Wirkung gewinnt mit dem aktuellen IPCC-Bericht an Dramatik: Er sieht das Land
durch den Meeresspiegelanstieg und eine wachsende Häufigkeit von tropischen
Wirbelstürmen unmittelbar bedroht (IPCC, 2007). Auch wenn der Landverlust durch
den Meeresspiegelanstieg in der komplexen Küstenmorphologie Bangladeschs
wissenschaftlich umstritten bleibt (Falk, 2011), muss doch angenommen werden, dass
28
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
es zu verstärkten Sturmfluten im Süden Bangladeschs kommen wird, wie zuletzt
geschehen im November 2007 im Zuge des Zyklons Sidr.
Ein weiteres Phänomen sind Flutereignisse entlang der Flüsse und damit einhergehende
spontane
Akkumulations-
und
Erosionsereignisse
an
den
fruchtbaren
Schwemmlandinseln (bengal.: chars). Diese Flutfolgen könnten ihre Auswirkung auf
weite Teile Bangladeschs in Zukunft weiter verschärfen. Verantwortlich dafür sind
mögliche Rückstaueffekte im Zuge des steigenden Meeresspiegels. Aber auch
gesteigerte Abflussmengen durch die voranschreitende Gletscherschmelze im Himalaya,
besonders aber im Zuge von monsunalen Regenfällen, könnten dabei eine Rolle spielen
(Ahmed & Falk, 2008).
Auswirkungen dieser Ereignisse auf die Jugendlichen im Untersuchungsgebiet der
Provinzhautstadt Rajshahi liegen auf der Hand: Der Fluss Padma (Ganges), auf dessen
alluvialer Flussterrasse die Stadt gebaut ist, steigt in der Regenzeit um bis zu 19 m an.
Knapp darunter liegt das Ballungszentrum von Rajshahi. Regelmäßige Überflutungen
sind dadurch saisonal die Regel (WASPA, 2006a). Tragischerweise trifft dies in
besonderem Maße den armen Bevölkerungsteil der Stadt, der dazu gezwungen ist, seine
unbefestigten Hütten direkt am Ufer des Flusses zu bauen. Diese informellen
Siedlungsstrukturen befinden sich oft weit weniger als 19 m oberhalb des
Niedrigwasserstandes. Das gilt auch für die Schwemmlandinseln, die nur ein bis zwei
Kilometer dem Stadtkern vorgelagert sind. Auf ihnen siedeln und arbeiten einzelne
Familien als Tagelöhner in der Landwirtschaft.
Dieses Beispiel veranschaulicht im Untersuchungsraum ein bangladeschweit geltendes
Phänomen: Flutereignisse gehören in Bangladesch seit jeher zum natürlichen
Jahresverlauf. Sie stellen durch die angeschwemmten Kleie und Schlicke die Grundlage
der Fruchtbarkeit des Landes dar (Ahmed &Falk, 2008). Daher wurden von den
Menschen über die Jahrhunderte Wege gefunden, mit dem Charakter dieser Landschaft
umzugehen. Dennoch erscheint die Zukunft der Menschen, die in dieser Umwelt leben
als hoch vulnerabel. Die weltweite Aufmerksamkeit diesbezüglich hat im Zuge der
großen Beachtung des Klimawandels und seiner Folgen stark zugenommen.
29
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
[Abb. 4 und 5] Leben am und mit dem Fluss Padma.
In Anbetracht der bereits beschriebenen globalen ökonomischen Prozesse, die dieses
sensible System beeinflussen, scheint aber eine rein umweltdeterministische Sichtweise
auf die bestehenden Probleme zu kurz zu greifen. So zwingt neben der
Überbevölkerung auch die Enteignung ihrer traditionellen Flächen die Menschen dazu,
in risikoreichen Gegenden zu siedeln. Hinzu kommt die Zerstörung natürlicher
Schutzeinrichtungen,
oft
vor
dem
Hintergrund
des
ökonomisch
motivierten
Landnutzungswandels. Dies geschieht etwa bei der Rodung der Mangrovenwälder und
der damit einhergehenden Zerstörung ihrer Funktion als natürlicher Deich.
Wasserversorgung, hygienische Situation und Böden
Rund
8%
der
Haushalte
im
Untersuchungsgebiet
Rajshahi
sind
an
das
Wasserleitungssystem angebunden, die meisten Haushalte versorgen sich aber weiter
durch die gemeinsam benutzten Pumpen mit Grundwasser. Dessen Qualität ist also für
die Menschen in Rajshahi von großer Bedeutung. Jedoch überschreitet das geförderte
Grundwasser, insbesondere im städtischen Bereich Rajshahis, mit hohen Mangan-,
Schwermetall-
und
Arsenanteilen
bei
weitem
die
Grenzwerte
der
Weltgesundheitsorganisation (WASPA, 2006a). Der Grund hierfür ist das natürliche
Vorkommen dieser Stoffe in den fluviatilen Sanden Bangladeschs. Ihre Konzentration
im Grundwasser verstärkt sich durch die zu starke Grundwasserentnahme in den
Ballungsgebieten. Gerade Arsen bewirkt in der vorkommenden Konzentration eine
schleichende
Vergiftung
des
Körpers.
Die
Folge
sind
Hautkrebs
und
Organerkrankungen.
30
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Weil in der Stadt Rajshahi nur rund 50% der Haushalte an die Kanalisation
angeschlossen sind und rund 10% der Haushalte keine Möglichkeit zur Nutzung einer
Toilette haben, ist auch das Oberflächenwasser von schlechter Qualität (ebd.). Das
Abwasser der Industrie, der Haushalte und aus den unzähligen Müllbergen fließt
oberflächlich und unkanalisiert ab und mündet in die angrenzenden Reisfelder der Stadt
(ebd.). Dort belastet es nachhaltig die Böden und die darauf wachsenden Feldfrüchte.
Ein Teil des Oberflächenwassers sammelt sich auch in den Hochwasserauffangbehältern
der Stadt. Diese werden heute kaum noch zur Trinkwasserentnahme, jedoch noch
immer als Waschgelegenheit genutzt. Bei Hochwasser entleert sich dieses Wasser dann
oft schwallartig in die Umgebung (WASPA, 2006b).
[Abb. 6]
Hochwasserauffangbehälter
im Stadtgebiet Rajshahi.
Unten: [Abb. 7]
Wasserversorgung mit Hilfe
der Grundwasserpumpe
[Abb. 8] Einer der unzähligen kleinen Müllberge im
Stadtgebiet Rajshahi.
31
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
3.4 Gesundheit
Die Lebenserwartung in Bangladesch beträgt für Frauen 64 Jahre, für Männer 63 Jahre
(Weltbank, 2007, S. 348). Rund 25% der heute 15-jährigen Jugendlichen werden
statistisch ihr 60. Lebensjahr nicht erreichen (Unicef, 2010).
Verantwortung für diese im internationalen Vergleich schlechten Werte trägt zum einen
die bereits erläuterte prekäre hygienische Situation und die darunter leidende Qualität
von Wasser und Lebensmitteln. Daneben ist es auch die mit der Armut einhergehende
fehlende Grundversorgung. So leiden immer noch 50% der unter 5-jährigen an
Unterernährung (ebd.). Die damit verbundenen Entwicklungsverzögerungen stellen für
das ganze restliche Leben eine große Beeinträchtigung dar. Auch die mangelhafte
medizinische Versorgung weiter Bevölkerungsteile trägt Verantwortung dafür.
Die Provinzhauptstadt Rajshahi setzt sich mit ihrem Zentralkrankenhaus und weiteren
Spezialkliniken von diesem Phänomen ab. Dazu kommen sieben Kinder- und
Frauenkliniken, die verstreut über das Umland die Versorgung von Kindern und
Müttern sicherstellen (WASPA, 2006a). Ihre Versorgung soll auch die in den letzten 20
Jahren von 14,8% auf 5,2% gesenkte Sterblichkeit der unter 5-jährigen weiter senken
(Unicef, 2010). Noch immer haben bangladeschweit 38% der Mütter keine ausreichende
medizinische
Versorgung
und
50%
keine
ausreichenden
Kenntnisse
über
Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt (ebd.). Vermutlich ist dies auch
dadurch bedingt, dass 45% der Mütter im Alter bis 25 ihr erstes Kind vor dem 19.
Lebensjahr geboren haben (ebd.).
3.5 Bildung
Wie die Befriedigung der meisten Grundbedürfnisse bleibt auch ein ausreichend langer
Schulbesuch für viele Jugendliche in Bangladesch noch unerreicht. Dabei ist wohl den
meisten Beteiligten des Bildungssystems, ob Politik, Lehrern, Eltern oder Schüler,
bewusst, dass diejenigen, die eine Schule besuchen, auch im Berufsleben mehr Geld
verdienen können (Richter, 2009).
Ermutigend sind der Wille und die Kraft, mit der sich die Ärmsten für Veränderung
einsetzen und trotz ihrer Hilflosigkeit bei den häufigen Demonstrationen ihre Rechte
einfordern. Mittlerweile ist das Ziel einer „Grundbildung für alle Kinder Bangladeschs
32
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
bis 2015“ in den UN-Milleniums-Entwicklungszielen auch politisch artikuliert worden
(UN Millenium Summit, 2000). So setzen sich neben der staatlichen Seite eine Vielzahl
von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO’S) und das für Bangladesch zuständige
UN-Department (UNDP) dafür ein, dieses Ziel zu erreichen. Tatsächlich wurde die
Einschulungsrate von früher 60,5% (im Jahr 1990) auf 87,2% (Jahr 2006) erhöht und
dem 100%-Ziel für 2015 somit deutlich näher gebracht (Richter&Wevelsiep, 2009). In
einigen Regionen besuchen heute sogar mehr Mädchen als Jungen die Grundschule,
was neben der verbreiteten Praxis, die Jungen als Arbeitskräfte einzusetzen, auch auf
die
vielfältigen
Förderprogramme
für
Mädchen
zurückzuführen
ist.
[Abb. 9 und 10] Indigene Kinder und Jugendliche im Nordosten Bangladeschs
Entmutigend ist jedoch, dass die hohe Anzahl von über 50% der Jugendlichen aufgrund
ihres Einsatzes als Arbeitskraft ihren Besuch an staatlichen Schulen vorzeitig abbricht.
Selbst die Grundschule wird landesweit von über 33% der Schüler frühzeitig beendet.
Zwar konnte im Rahmen der Programme anlässlich der Millenniums-Ziele auch der
Abbrecher-Anteil von 57% im Jahr 1990 auf die genannten 33% gesenkt werden Doch
dies ist nur ein schwacher Trost (Richter&Wevelsiep, 2009), denn diese Problematik
trifft weiterhin die ohnehin marginalisierten Kinder und Jugendlichen. Ein Beispiel
dafür sind Kinder in ländlichen Gebieten, von denen 67% die Grundschule vorzeitig
abbrechen. Besonders betroffen von der geringen Schulbildung sind Kinder und
Jugendliche der indigenen Minderheit, von denen rund 55,5% überhaupt keine Schule
besuchen (Richter & Wevelsiep, 2009). Für die Dalits, die im traditionellen Hinduismus
als „unberührbar“ geltenden Menschen, existieren noch nicht einmal annähernd
33
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
zuverlässige Zahlen. Ebenso wenig existieren diese für die Gruppe von Kindern mit
sich prostituierenden Müttern.
Es ist jedoch nicht nur so, dass die Programme zum Erreichen der Milleniums-Ziele
einige Gesellschaftsgruppen nicht ansprechen. Auch scheint zumindest die Qualität der
staatlichen Schulen unter den Programmen zur Masseneinschulung zu leiden. So
beklagte es zumindest die ehemalige Bildungsministerin Fakhruddin Ahmed in einem
Interview mit der deutschen Zeitschrift Netz (Masud, 2009). Sie verwies dabei auf eine
Studie aus dem Jahr 2006, die erst im Jahr 2009 veröffentlicht wurde. Danach konnten
70% der getesteten Kinder am Ende ihrer Grundschulzeit weder korrekt Lesen und
Schreiben noch Rechnen. So waren sie nicht in der Lage, die Überschriften in
Tageszeitungen zu entziffern, und beherrschten die grundlegenden Rechenregeln nicht.
Leider betrifft dies gerade die ohnehin marginalisierten Gebiete außerhalb der Städte
und die Slums der Großstädte in besonderem Maße. Experten benennen hierfür eine
Vielzahl von Gründen, darunter auch die unzureichende pädagogische Ausbildung der
Lehrkräfte oder den hohen Stundenausfall. So werden oftmals weniger als 500 Stunden
im Jahr unterrichtet (Richter, 2009, S. 10). Alle Experten nennen die Tatsache, dass ein
Lehrer meistens 60 bis 100 Mädchen und Jungen gleichzeitig unterrichten muss, als
großes Problem. Daneben führt eine geringe Bezahlung zu Demotivation und hohen
Ausfällen der Lehrkräfte.
Um jedoch den mit 52,2% heute immer noch sehr hohen Anteil von Analphabeten an
der Bevölkerung über 15 Jahre (Richter, 2009, S. 10) nachvollziehen zu können, bedarf
es einer intensiveren Betrachtung des traditionellen Phänomens der Kinderarbeit. Noch
heute ist es vielen Familien in Bangladesch nicht möglich, auf die Einkommenshilfe der
Kinder zu verzichten. Zu gering ist in vielen Fällen das Einkommen der Eltern, als dass
es zur Ernährung der Familie ausreichen würde.
So sind laut offiziellen Angaben heute immer noch 17,5% der Kinder und Jugendlichen
und 20,9% der Jungen unter 15 Jahren wirtschaftlich aktiv (Weltbank, 2007). Das heißt,
sie arbeiten innerhalb eines Referenzzeitraums von 7 Tagen mehr als eine Stunde
täglich meist im familieneigenen Betrieb oder im Billiglohnsektor, etwa in Ziegeleien
oder als Müllsammler. Jedoch ist auch diese Zahl aufgrund des mangelhaften Einblicks
in die von Kinder- und Jugendarbeit betroffenen Branchen mit Skepsis und eher als zu
34
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
niedrig zu betrachten. Zu dieser Skepsis bewegt den Autor die ständige Präsenz von
arbeitenden und bettelnden Kindern im Straßenbild Bangladeschs, wobei der Übergang
zwischen beiden Aktivitäten oft fließend ist.
Abb. 11 Die allgegenwärtige Kinderarbeit: Vater
Abb. 12
und Sohn arbeiten in der Garküche gemeinsam
Fest steht, dass das Entwicklungsziel der ökonomischen Selbstständigkeit unter den
gegebenen Umständen weit in das für Schulbildung relevante Alter hineinreicht. Dabei
müssen 36,7% der arbeitenden Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren Arbeit und
Schulbesuch unter einen Hut bringen (ebd. S. 334). Viele dieser Kinder und
Jugendlichen gehen also vormittags zur Schule und arbeiten den restlichen Tag über, oft
bis spät in die Nacht. Dass sich dies, wie von der Weltbank (ebd. S. 119) beklagt,
negativ auf den Übergang von der Grundschule auf eine weiterführende Schule und auf
das Erreichen eines Abschlusses der Sekundarschule auswirkt, liegt auf der Hand.
Letzteres ist anhand der geringeren Schulbildung von Jungen zwischen 12 und 14
Jahren, wie auch diejenige der 15 und 17 Jahren (ebd.) nachzuvollziehen (siehe: Abb.
11). Dass bei den Jugendlichen mit Schulbildung die Anzahl der Jungen die der
Mädchen in diesem Alter unterschreitet, liegt zum einen an der gesteigerten
Arbeitsfähigkeit der männlichen Jugendlichen in diesem Alter. Weiterhin ist diese
Umkehrung der traditionellen Beteiligung an Bildungsinstitutionen sicher auch eine
Folge des großangelegten staatlichen „Bangladesh Female Secondary School Stipend
Program“. Den Mädchen im Alter von 11 bis 14, denen bisher oftmals mit dem
Einsetzen der Pubertät der Schulbesuch untersagt wurde, wird im Rahmen des
Programms Geld auf ein für sie speziell eingerichtetes Konto überwiesen.
35
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Grundbedingungen hierfür sind gute Leistungen und der Verzicht auf eine Heirat in
diesem Alter.
Generell ist zur Thematik der Kinderarbeit anzumerken, dass nicht alleine die Tatsache
zu beklagen ist, dass Kinder und Jugendliche unter 15 arbeiten müssen. Dieser aus
heutiger, mitteleuropäischer Sicht verwerfliche Umstand relativiert sich durch die
dortigen, teils prekären Bedingungen der Existenzsicherung. Zu beklagen ist aber auch
der Umstand, dass den Ärmsten der Gesellschaft durch die unzureichende Erschließung
der Ressource Bildung des Humankapitals die Erschließung vieler anderer Ressourcen
verwehrt ist. Dieser relative Nachteil bei der Zukunftsorientierung führt dazu, dass die
Betroffenen nicht an der Entwicklung ihres Landes partizipieren können und Armut sich
vererbt.
3.6 Schulen – der Grundstein zur Bildung
Um den Jugendlichen die Ressource der Grundbildung in dem durch die MillenniumsZiele bis zum Jahr 2015 geforderten Maße zu gewährleisten, sind sowohl von staatlicher
als auch von nicht-staatlicher Seite Anstrengungen spürbar, das dazu notwendige
Sachkapital zu stellen. Zwar finanziert der Staat Bangladesch mit nur 2,8% seines BIP
sein Bildungssystem - dies ist nur rund die Hälfte der von den UN empfohlenen 6%.
Doch für Bangladesch sind dies immerhin 15,8% der gesamten Staatsausgaben
(UNESCO Institute for Statistics, 2009). Davon fließen 12% in die Hochschulbildung,
während die restlichen 88% je zur Hälfte in den Primar- und den SekundarBildungsbereich fließen. Dies soll in Zukunft zu Gunsten der Primarbildung verändert
werden.
Die staatlichen Einrichtungen finanzieren sich jedoch nicht ausschließlich aus
staatlichen Geldern. So stammt fast ein Drittel des Geldes für diese Infrastruktur aus
Schul- und Studiengebühren. Dies setzt sich trotz einer allmählichen Befreiung von
Schulgebühren in versteckten Gebühren, etwa für Bücher, Materialien, Prüfungen und
Verwaltung weiter fort. Diese Gebühren der staatlichen Schulen übersteigen jedoch die
Möglichkeit vieler armer Familien um ein Vielfaches (Richter & Wevelsiep, 2009). So
besuchen heute rund 40% der Grundschüler eine private Bildungseinrichtung (Richter,
2009). Weil diese Einrichtungen unentgeltlich sind, besuchen vor allem viele Kinder der
36
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
ärmsten Familien eine Schule einer Nichtregierungsorganisation (NGO). Dies gilt auch
für die Madrashas, die Koranschulen, deren Anzahl sich im Zeitraum von 1996 bis 2005
auf rund 26.000 verdoppelt hat. Sie machen heute
immerhin rund 30% aller
Bildungsinstitutionen aus (Bangladesh Bureau of Statistics, 2007).
[Abb. 13] Die vorschulische Bildung steckt
[Abb. 14] Allgegenwärtig ist auch die Werbung
noch in ihren Anfängen
für Privat-Schulen
[Abb. 15] Staatliches College in Rajshahi: Hier werden vor
[Abb. 16] In einem
allem Jugendliche aus ärmeren Familien unterrichtet.
Klassenzimmer der staatlichen
Grundschule in Puthia
Da die bereits erläuterten Qualitätsprobleme an staatlichen Bildungseinrichtungen von
vielen ökonomisch etablierten Familien nicht mehr akzeptiert werden, wächst die
Anzahl der privaten Bildungseinrichtungen. So existierten im Jahr 2005 eineinhalb Mal
37
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
so viele private Bildungseinrichtungen wie noch 1996-1997. Dies betrifft neben den
Colleges in besonderem Maße die Universitäten, deren Anzahl sich seitdem auf rund 60
im Jahr 2005 mehr als verdreifacht hat. In diesem Zusammenhang wächst auch die
Anzahl von fakultativen Nachhilfeinstitutionen, die zahlenmäßig heute immerhin 6,99%
aller Bildungsinstitutionen ausmachen und im Alltag der etablierten Jugendlichen eine
große Rolle spielen (Bangladesh Bureau of Statistics, 2007).
Die Folgen der fortschreitenden Erschließung der Spitzenbildung durch die
Privatwirtschaft bei gleichzeitigem Rückzug der staatlichen Institutionen aus diesem
Bereich sind in den kommenden Jahren noch empirisch zu evaluieren. Die Vermutung
liegt jedoch nahe, dass der ärmeren Bevölkerung der Zugang zur Spitzenbildung in
Folge dessen weiterhin verwehrt bleibt.
[Abb. 17] In einer zusätzlichen Grundschulklasse
[Abb. 18] Neubau des privaten Paramount
ermöglichen Schüler und Lehrer des privaten
Colleges: Ermöglicht wurde der Bau unter
Paramount-Colleges, Rajshahi, den extrem armen
anderem durch die Unterstützung der
Familien eine Grundbildung für ihre Kinder.
Deutschen Bank.
3.7 Sozialkapital
In der Großfamilie oder im nachbarschaftlichen Umfeld stehen die Jugendlichen und
ihre Angehörigen in engem Kontakt und in Verantwortung füreinander. Gerade bei der
oft prekären materiellen Kapitalausstattung scheint die Bedeutung des sozialen Kapitals
als umso bedeutsamer. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür belegten Boris Braun und
Tibor
Aßheuer
(2011)
in
ihrer
Forschungsarbeit
zu
Risikostrategien
von
Slumbewohnern in Dhaka gegenüber der Vulnerabilität durch die monsunal bedingten
38
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Überschwemmungsereignisse. Sie stellten fest, dass auch die Bevölkerungsteile mit
prekärer materieller Kapitalausstattung in der Lage waren, diese Gefahr in ein
kalkulierbares Risiko zu verwandeln und sie bewältigen. Dabei stützte sich ihre
Risikostrategie fast ausschließlich auf das System des sozialen Kapitals auf der
Handlungsebene der Haushalte.
Damit diese sozialen Stützsysteme eine Gefahr effektiv bewältigen können, müssen sie
im täglichen Leben stabil praktiziert und von Kind auf eingeübt werden. So sind die in
den Slums gemeinsam genützten Kochstellen neben der Funktion der Kostenersparnis
ein zentraler Treffpunkt der weiblichen Lebenswelt. Der männliche Teil der
Gesellschaft trifft sich hingegen, in seiner Freizeit von den Frauen meist getrennt, in der
zentralen Hütte der Nachbarschaft vor dem gemeinsam genutzten Fernseher oder zum
Brettspiel. Auf diese Art und Weise erfolgt die Erziehung der Kinder und Jugendlichen
in Familien mit geringer materieller Kapitalausstattung geschlechtergetrennt.
[Abb. 19] Großfamilie im ländlichen
[Abb. 20] Abendliches Brettspiel in einem Slum
Bangladesch.
entlang des Ganges, Rajshahi.
Patron-Klient-Verhältnisse sind innerhalb der sozialen Netzwerke weniger stark
ausgebildet, als aus den südamerikanischen Favelas bekannt. Sie beschränken sich auf
das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Tagelöhnern des informellen Sektors.
Die geschilderten familiären und nachbarschaftlichen sozialen Netzwerke dienen der
gemeinsamen Existenzsicherung. Innerhalb dieser Netzwerke besteht aber eine klare
Verteilung der Entscheidungsgewalt. Sie liegt, eine gesunde Geisteskraft vorausgesetzt,
bei den ältesten Mitgliedern der Familien. Ihre Verantwortungsbereiche sind je nach
Geschlecht voneinander getrennt. Die Frauen führen das Entscheidungsmonopol über
39
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
häusliche, wirtschaftliche und Erziehungsfragen. Die Männer tragen Verantwortung für
die strategischen Lebenswegentscheidungen wie Heirat oder Migration.
Wie
sehr
die
Entscheidungsgewalt
der
Jugendlichen
zu
Gunsten
der
Familienoberhäupter verlagert ist, beschreibt auch eine Studie der Weltbank (2007)
(siehe Abb. 21). Auffallend ist dabei die von den männlichen Jugendlichen als gering
wahrgenommene Entscheidungsfreiheit bei Bildungsfragen. Besonders erschreckend ist
jedoch das geringe Ausmaß an Entscheidungsfreiheit, das die weiblichen befragten 15bis 24-jährigen bezüglich ihrer Eheschließung angaben. Da arrangierte Heiraten in fast
allen gesellschaftlichen Milieus, von modern bis konservativ, eine anerkannte und
gewöhnliche Praxis sind, überrascht dieser Umstand aber kaum. Gerade in den ärmeren
Schichten der Gesellschaft bietet die Heirat den Mädchen die einzige Möglichkeit der
nachhaltigen sozialen Absicherung. Dies erklärt auch die immer noch erschreckend
hohe Zahl von 66% aller Mädchen, die vor dem Beginn des 19. Lebensjahrs heiraten
(Unicef, 2010). Von staatlicher Seite ist dies zwar, wie auch das an die Familie des
Bräutigams zu
zahlende Brautgeld, bereits
seit 1976 verboten, in
breiten
Gesellschaftsschichten aber trotzdem die Regel. Weil das zu zahlende Brautgeld mit
dem Alter der Braut steigt, entsteht zusätzlicher Druck auf eine frühe Verheiratung.
[Abb. 21] Prozentsatz der 15- bis 24-Jährigen, deren Antwort „ich“ (und nicht Eltern, Staat oder
anderes) lautete, als sie sinngemäß gefragt wurden: „Wer hatte den größten Einfluss auf
Entscheidungen im Bezug auf Ihren derzeit zuletzt ausgeübten Beruf, die Dauer Ihres
Schulbesuchs und Ihren Ehepartner?“
Leider macht die Weltbank (2007, S. 112) keine Angaben über Normgruppe und Sampling bei
dieser Studie. Zur besseren Einschätzung wurden hier Werte der Bezugsnormgruppen aus dem
Irak und Äthiopien beigefügt.
40
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Im Zusammenhang mit der geringen Entscheidungsfreiheit der Jugendlichen beklagt die
Weltbank den daraus hervorgehenden Innovationsnachteil der einzelnen Jugendlichen
bei ihrer Zukunftsorientierung. Daraus, so die Weltbank, würde sich auch ein
Innovationsnachteil für die bangladeschische Gesellschaft ergeben. Der Schluss,
inwiefern dieser Nachteil die Vorteile gewachsener sozialer Stützsysteme überwiegt, ist
auch von der Art der jeweils zu bewältigenden Gefährdung und der Nachhaltigkeit von
Veränderungen abhängig. Bei spontan eintretenden Schadensereignissen (Bsp.
Hochwasser) ist sicherlich die Stützfunktion der Netzwerke wesentlich. Bei
nachhaltigen Veränderungen kommt es hingegen auf Innovationsfähigkeit an.
Soziale Stützsysteme auf nationaler Ebene entstehen vermehrt seit 2008. Die Errichtung
solcher Systeme in einem Land mit 30 Millionen extrem armen Menschen und großer
Korruption ist besonders hinsichtlich einer fairen Verteilung der Gelder schwierig. Aber
neben neuen Programmen zur Alterssicherung zeigen auch die bereits beschriebenen
Programme zur Grundbildung für Mädchen, dass die Initiativen nicht wertlos sind.
Ein wichtiger finanzieller Beitrag für die sozialen Stützsysteme auf der Mikroebene
wird inzwischen gelegentlich auch durch Rücküberweisungen von ein oder mehreren im
Ausland arbeitenden Mitgliedern des Netzwerks geleistet. So übersteigt die Summe der
jährlichen Rücküberweisungen von 9 Milliarden US-$ seit einigen Jahren die Summe
der ausländischen Entwicklungshilfe und rangiert auf der Rangliste der wichtigsten
Deviseneinkünfte auf Platz zwei nach der Textilindustrie (ILO, 2005). Bangladesch hat
mit 10% Anteil am BIP eine der relativ höchsten Summen an Rücküberweisungen in
der Welt. Der Druck, den die Jugend auf sich verspürt, um im Ausland ihrem sozialen
Netzwerk Finanzkapital zu erarbeiten und auf diesem Weg zur Existenzsicherung
beizutragen, ist daher wohl in manchen Fällen groß.
So hätten sich, eine legale Option vorausgesetzt, im Jahr 2007 ca. 70% der männlichen
und 60% der weiblichen 15- bis 24- jährigen für eine zeitlich befristete Auswanderung
entschieden (Weltbank, 2007). In den gut ausgebildeten Bevölkerungsgruppen, ist der
Anteil jedoch weit höher. Zum Beispiel verließen nach der Angabe des International
Labour Office (ILO, 2005) im Jahr 2000 rund 223.000 Menschen das Land, von denen
knapp 45% studierte Fachkräfte waren. Ein Phänomen, das sich im Gespräch mit
Studierenden an den Universitäten nachvollziehen lässt. Haupteinwanderungsland für
41
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
die arbeitsuchenden Auswanderer war Saudi Arabien (ILO, 2005).
Neben der
Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten, ist auch die Aus- und Weiterbildung in den
Staaten Amerikas und Europas insbesondere für junge Akademiker hoch attraktiv.
Letztlich resultieren daraus für Bangladesch existenzielle Zukunftsfragen: Wie gelingt
es, die sozialen Stützsysteme über die räumliche Distanz hinweg aufrechtzuerhalten?
Und wie gelingt es, die jungen Bangladeschis mit Auslandserfahrung in ihrer Heimat so
wiedereinzugliedern, dass sowohl für sie eine Rückkehr in Frage kommt, als auch ihre
Mitmenschen davon profitieren können? Gelingt es nicht, diese Fragen positiv zu
klären, verliert Bangladesch die für seine nachhaltige Entwicklung unverzichtbaren gut
ausgebildeten Jugendlichen im Sinne eines „brain-drain“ zu Gunsten des wirtschaftlich
entwickelten Auslands. Dies hätte katastrophale Folgen für die bangladeschische
Gesellschaft und alle sich darin befindenden sozialen Netzwerke.
[Abb. 22] Die in dieser Runde zu sehenden
[Abb. 23] Die Braut am dritten und
bangladeschischen Doktoranden streben alle eine
letzten Tag ihrer Hochzeit. Ab der
zunächst zeitlich begrenzte Auswanderung in einen
nächsten Nacht wird sie ihr Leben auf
der westlichen Industriestaaten an.
ihren zukünftigen Ehemann auszurichten
haben, den sie 24 Stunden vorher
kennengelernt hat.
3.8 Mikrokredite – Finanzkapital auf Pump?
Seit der Etablierung von Kleinkrediten und der Gründung der Grameen-Bank durch den
Nobelpreisträger Mohammed Yunus ergibt sich seit 1983 neben der Auswanderung eine
weitere Handlungsoption in der Zukunftsorientierung. Da für die Jugendlichen der
42
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
armen Bevölkerung eine Auswanderung meist nicht denkbar ist, stellt diese in der
Heimat erschließbare Ressource eine wichtige Option dar.
Mikrokredite werden vornehmlich durch NGO’s im Rahmen von Gruppendarlehen
vergeben, um eine Risikoabfederung zu gewährleisten. Gerade armen Jugendlichen, die
über keine Besicherungen verfügen und denen so die traditionelle Kreditnahme nicht
möglich ist, wird dadurch ein Startkapital ermöglicht. So erhielten laut Angaben der
Weltbank (2007) bereits 17% der Kreditnehmer ihr erstes Darlehen vor dem 25.
Lebensjahr.
Jedoch greift bei jugendlichen Kreditnehmern das von den Kritikern der Mikrokredite
vorgetragene Argument der unverhältnismäßig hohen Verzinsung und insbesondere der
mangelnden Projektbegleitung in hohem Maße. Hohe Zinsen verlangten in letzter Zeit
ökonomisch motivierte Partnergesellschaften von international agierenden Banken. Die
Folgen der Erschließung dieses ursprünglich wohltätig motivierten Bereichs der
sozialen Netzwerke und NGOs durch den internationalen Kapitalmarkt sind bisher nicht
abzusehen. Beklagt werden muss jedenfalls die Gleichgültigkeit, die solche
Institutionen,
oft
auch
staatlich
gelenkter
Entwicklungszusammenarbeit,
den
empfindlichen bestehenden Systemen entgegenbringen. Wirken sich doch die mit der
Verschuldung
verbundenen
Probleme
einer
langfristigen
und
existenziellen
Abhängigkeit besonders nachhaltig auf die Zukunftsorientierung von Jugendlichen aus.
Gerade weil die Kreditvergabe an Jugendliche in der letzten Zeit intensiviert wurde, ist
eine erste Auswertung der bestehenden Erfahrungen überfällig.
3.9 Naturkapital – Zukunft in der Landwirtschaft?
Für drei Viertel der Bevölkerung Bangladeschs, die in einem der unzähligen Dörfer der
ländlichen Gebiete Bangladeschs leben, ist die Abhängigkeit von den im Naturkapital
zusammengefassten Faktoren wie Wasser, Bodendiversität, Land und Wälder immer
noch groß. Auch in der Provinz Rajshahi sind 39% der Haushalte nur von der
Landwirtschaft abhängig und selbst im städtischen Untersuchungsgebiet leben 61% der
Haushalte auch von landwirtschaftlichen Erträgen.
Das
Hauptanbauprodukt
der
Landwirtschaft
ist
Reis,
welches
auch
das
Hauptnahrungsmittel der einheimischen Bevölkerung darstellt. Dabei wird momentan in
Bangladesch nicht genug Reis im Land selbst erwirtschaftet, um die Bevölkerung zu
43
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
ernähren, so dass Reis teuer importiert werden muss. Verantwortlich dafür ist der
intensive Anbau anderer Erzeugnisse, die exportiert werden und für den heimischen
Absatzmarkt zu teuer sind. Ein Beispiel für solch eine „cash-crop“ ist etwa Tee, der in
einigen Regionen des Untersuchungsgebietes mit hoher Intensität angebaut wird.
links: [Abb. 24]Zwischen den großen Teeplantagen
muss sich der Anbau von „food-crops“ auf ein
Minimum an Platz beschränken (Srimangal,
Nordbangladesch).
oben: [Abb. 25] Teesäcke für den Export
[Abb. 26] Der Vergleich
zeigt den hohen
Da der Ertrag der Kleinbauern für eine vollständige Subsistenz oft nicht ausreicht, sind
Zusammenhang zwischen
sie gegenüber negativen Veränderungen ihres Naturkapitals wie etwa Dürreereignisse
der Verbreitung von
hoch vulnerabel. Unter solchen Umständen erzwingt der Schuldendienst
oftmals
den
Armut und
den Löhnen
der Landarbeiter.
Landverkauf. In der Folge hat die Anzahl der landlosen Landarbeiter
in jüngsterDiese
Zeit
Entwicklung
sich
stark zugenommen (Wilms, 2005, S. 61). Sie finden Anstellung
bei den zeigt
wenigen
besonders im District
Großgrundbesitzern, denen ein Großteil der landwirtschaftlichen Fläche gehört. Der
Rajshahi mit Tageslöhnen
Tageslohn beträgt dabei oft nur einen Teller Reis und einen Barbetrag von weit unter
von oft unter 60 Cent.
einem US-$ (siehe Ab. 27).
44
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
links: [Abb. 27] Arbeitende Mädchen in den Teeplantagen Srimangals
rechts: [Abb. 28] Der Kontrast zwischen dem von der Arbeit gezeichneten Jungen und dem
modernen Traktor auf einer Schwemmlandinsel könnte nicht größer sein: Der Traktor, das Land,
und das Haus seiner Familie gehören einem Großgrundbesitzer der Region. Der Junge arbeitet ca.
seit seinem fünften Lebensjahr und hat noch nie eine Schule von innen gesehen.
[Abb. 29] Damit mit dem Dung kein
[Abb. 30] Ein Kleinbauer mit seinem Sohn bei der
Heizmaterial verloren geht, muss der
Feldarbeit
Junge die Kuh schnell an Land treiben.
45
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Viele der Tagelöhner in der Landwirtschaft sind unterernährt und leiden unter der
mangelnden medizinischen Versorgung. Mit dem Verlust des Naturkapitals ihrer Eltern
verlieren die Kinder und Jugendlichen dieser Familien meist ihre letzte materielle
Ressource. Faktisch werden dadurch Abhängigkeiten geschaffen, die wie eine Fortdauer
der Sklaverei erscheinen. Es ist daher zu befürchten, dass die Vulnerabilität der
Jugendlichen besonders im ländlichen Bangladesch in Zukunft weiter steigt.
3.10 Zusammenfassung
Die sensible Umwelt Bangladeschs steht unter enormem Druck: Die Veränderung
natürlicher Faktoren im Zuge des Klimawandels und der immer weiter wachsende
Erschließungs- und Nutzungsdruck bewirken in ihr drastische und schnelle
Veränderungen, die ein Risiko für die Jugendlichen darstellen. Dadurch ist auch ihre
Gesundheit als wichtige Voraussetzung ihrer Zukunft akut bedroht. Aufgrund der
großen Abhängigkeit vieler ländlicher Familien vom Naturkapital wirkt sich dies
gravierend auf die Zukunft der Jugendlichen aus. Bisher scheint der Staat kaum
imstande zu sein dieses Risiko wirklich aufzufangen. Hier sind die Jugendlichen im
hohen Maß von ihrer eigenen Ressourcenausstattung abhängig. Dementsprechend
werden große Umbrüche im Bereich der Infrastruktur, wie etwa im Bildungsbereich,
zum Kampf um die Erschließung und Nutzung neuer Ressourcen und letztlich zur
sozialen Frage. Dabei sind die Jugendlichen fast immer eingebunden in das enge soziale
Netzwerk ihrer Großfamilie. Dieses beeinflusst durch Unterstützung, aber auch durch
Einschränkung das Handeln der Jugendlichen in großem Maße.
Die bisherige Betrachtung der Lebensverhältnisse von Jugendlichen im räumlichen
Kontext
der Provinzhauptstadt Rajshahi stellt – wie die meisten existierenden
Veröffentlichungen über die Lebensverhältnisse von Jugend in Bangladesch – eine
Beschreibung großräumiger Phänomene dar. Sie ist notwendigerweise durch die
Sichtweise des Außenbetrachters bestimmt. Darüber, wie die jugendlichen Akteure
selbst ihre Umwelt wahrnehmen, gibt es bisher keine zusammenhängenden empirischen
Erkenntnisse. Was nehmen die Jugendlichen als handlungsbestimmend wahr? Wie
bewerten sie ihre eigene Zukunft und die ihrer Gesellschaft? Und welche Schlüsse
ziehen sie daraus für ihr Handeln? Dies ist Gegenstand der folgenden Kapitel.
46
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
[Abb. 31] Welche Ressourcen werden der nächsten
Generation zur Verfügung stehen um sich, wie mit
einem Schirm, vor den Risiken der Zukunft zu
schützen?
47
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
4. Ausrichtung der Analyse
4.1 Fragestellung
Mit dem Verwundbarkeitskontext und der Ressourcenverteilung von Jugendlichen in
Bangladesch wurde auf die äußeren Handlungsbedingungen eingegangen. Dem
gegenüber steht die innere Verarbeitung dieser Bedingungen, die nun in besonderer
Hinsicht auf die Zukunftsorientierung untersucht werden soll. Hierzu dient eine
Befragung von Jugendlichen im Land, die der Verfasser initiiert und durchgeführt hat.
Um eine internationale Vergleichbarkeit zu erreichen, definiert die Studie Jugendliche
als junge Menschen zwischen 15 und 21.
Ziel der generierenden Fragestellung ist es, durch das Aufzeigen von unterschiedlichen
Verarbeitungsformen der äußeren Bedingungen die Merkmale der Zukunftsorientierung
von Jugendlichen in Bangladesch zu beschreiben. Dabei sollen erfolgversprechende
Strategien,
aber
auch
durch
schwierige
Bedingungen
und
mangelhafte
Zukunftsstrategien auftretende Probleme bei der nachhaltigen Zukunftsorientierung
aufgezeigt werden.
Die Fragestellung ist entwicklungspsychologisch ausgerichtet. So sollen anhand von
transkribierten Interviews Aussagen über den emotionalen, den kognitiven und den
Handlungs-Hintergrund der Befragten gemacht werden. Hinsichtlich der biographischen
Entwicklung sind dabei sowohl ihre gegenwärtige Situation als auch ihre Ziele und
Einschätzungen für die Zukunft Gegenstand der Analyse. Ein besonderes Augenmerk
legt die Analyse auf Handlungen und Handlungspläne zur Bewältigung von
Zukunftszielen. Die Analyse der Zukunftsorientierung folgt dabei dem Meta-Modell des
handlungstheoretisch fundierten Praxismodells (Schleider & Wolf, 2007).
Zunächst ist es von Interesse, mit welchen Handlungen und in welchen Aktionsfeldern
die Jugendlichen ihren Tag gestalten. Dies lässt sich anhand einer Beschreibung eines
aktuellen Tagesverlaufs durch den Jugendlichen erfassen. Um Hinweise auf sich
anbahnende Veränderungen zu ermitteln, wird der Frageschwerpunkt auf das mit dem
Handeln verbundene emotionale Erleben der Jugendlichen gelegt.
48
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Die in einem zweiten Frageabschnitt vorgenommene Analyse der Ziele und Wünsche
der Jugendlichen soll sich auf den überschaubaren Zeitrahmen der Verwirklichung von
"sofort" bis "in fünf Jahren" konzentrieren. Welche Aspekte dabei angesprochen
werden, ist den Jugendlichen selbst überlassen. Von besonderem Interesse sind aber
Familie, Partnerschaft und Berufsleben. Die übergeordneten Entwicklungsaufgaben sind
aus den Zielen interpretativ abzuleiten, liegen sie doch meist nicht auf der
Wahrnehmungsebene der Jugendlichen.
Auf die Diskrepanz zwischen aktueller Situation und Zukunftsvorstellungen aufbauend,
sollen die Jugendlichen in einem dritten Fragenkomplex nach den von ihnen bereits
gewählten und den in Zukunft angestrebten Handlungsoptionen befragt werden. Von
Interesse ist auch die Wahrnehmung von jenen Ressourcen, die die Jugendlichen für
ihre Zukunftsorientierung als notwendig erachten, über die sie aber nicht verfügen.
Bezüglich der forcierten Handlungsoption sind auch personale Dependenzen Teil der
Fragestellung. Abschließend ist mit dem Optimismus bezüglich der Zielverwirklichung
wieder der emotionale Hintergrund der Jugendlichen von Interesse.
Teil der Analyse ist schließlich auch die Einschätzung der Entwicklung der
bangladeschischen Gesellschaft durch die befragten Jugendlichen. Neben der kognitiven
Wahrnehmung der gesellschaftlichen Entwicklung sind hier besonders das Maß der
persönlichen Betroffenheit und die daraus abgeleiteten Handlungsoptionen der
Jugendlichen von Interesse.
4.2 Design und Prozess der Studie
Zur Bearbeitung dieser Fragen wird in der explorativen Studie auf qualitative
Befragungen zurück gegriffen. Durch eine hohe Varianz der untersuchten Fälle soll ein
möglichst umfassender Blick auf die Jugend in Bangladesch ermöglicht werden.
Da die Fragestellung nach der Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
bisher kaum wissenschaftlich aufgearbeitet ist, kann diese Studie inhaltlich nicht in
bereits vorhandene Theorien eingebunden werden. Lediglich der Analyseansatz und die
Analysemethode kann an bereits vorhandene Verfahren und deren Begründung
anknüpfen.
49
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Die Studie versteht sich als Momentaufnahme der bei den Jugendlichen unterschiedlich
ausgeprägten Ansichten und Einsichten in ihre jeweilige Zukunftsorientierung. Diese
Zustandsbeschreibung kann durch die Jugendlichen retrospektiv ergänzt werden. Etwa
können die Jugendlichen Beispiele vergangener Zielverwirklichungen in ihre
Zustandsbeschreibung
mit
einfließen
lassen.
Nach
der
Erhebung
dieser
Verarbeitungsformen innerer und äußerer Handlungsbedingungen werden diese im
kontrastierenden Vergleich analysiert (Flick, Von Kardoff & Steinke, 2005).
Vorrangiges Ziel der Studie ist also nicht das Erlangen von Daten mit allgemeiner
Gültigkeit und abgesicherter Repräsentativität. Vielmehr steht die Zukunftsorientierung
des einzelnen Jugendlichen im Vordergrund, die im persönlichen Gespräch ermittelt
wurde und hier in ein möglichst breites Bild eingefügt werden soll.
Eine größtmögliche Gültigkeit soll dabei durch die „Betonung der intersubjektiven
Nachvollziehbarkeit“ (Flick et al., 2005) gewährleistet werden. Die Dokumentation des
Forschungsprozesses ist daher ein zentrales Element der Studie. Diesem Anspruch soll
durch eine Beschreibung der Methodik und der einzelnen Analyseschritte, aber auch bei
der Reflexion der konkreten Erhebungssituation im Rahmen der Vorstellung der
einzelnen Jugendlichen nachgekommen werden.
Dies ist umso bedeutender, als dass die hier dargestellte Analyse nicht als linear, d.h.
von der Abfolge strikt vorgegeben, verstanden werden darf. Dies gilt sowohl für die
Fragestellung des Interviewleitfadens als auch für die einzelnen Schritte der qualitativen
Inhaltsanalyse von Mayring (2007). Vielmehr ist der in dieser Arbeit dargestellte Stand
bei jedem dieser Schritte in einigen Zirkeln mit den Einzelschritten der Formulierung,
Auswertung, Evaluation und Überarbeitung modelliert worden. Die Grenzen dieser
Modellierung sind durch das straffe Forschungsdesign vorgegeben (Flick et al., 2005),
dessen Methodik im Folgenden näher erklärt werden soll.
4.3 Methodik
4.3.1 Festlegung des Datenmaterials
Das hier vorgestellte
Material
wurde im Rahmen
der Examensarbeit
zur
„Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch“ erhoben. Die Datenerhebung
fand in der ersten Dezemberhälfte des Jahres 2010 statt. Das Material umfasst die
50
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Transkription, die Basisdaten und ein von der Leitung des Interviews erstelltes
Beobachtungsprotokoll aus sechs verschiedenen Interviews. Dabei wurde mit je einem
Interviewpartner ein Interview durchgeführt.
Der Stichprobenumfang von sechs befragten Personen wurde den in einer
Examensarbeit zur Verfügung stehenden Ressourcen und dem organisatorischen
Aufwand vor Ort ökonomisch angepasst. Grundbedingung war neben einer
repräsentativen Gleichverteilung der Geschlechter eine Varianzmaximierung bezüglich
der Faktoren Bildung, Alter und sozio-ökonomischer Hintergrund. Die Stichprobe
umfasst Jugendliche im Alter zwischen 15 und 20 Jahren. Für die Faktoren Bildung und
sozio-ökonomischer Hintergrund ist es gelungen, drei Fallgruppen zu gestalten (Flick et
al.,
2005).
Die
erste
Gruppe
umfasst
die
befragten
Jugendlichen
ohne
Bildungshintergrund und aus sehr armen Verhältnissen. Eine zweite Gruppe umfasst die
Jugendlichen aus armen Verhältnissen, jedoch mit Anschluss zur mittleren Bildung. Die
dritte Gruppe umfasst sowohl aus sozio-ökonomischer Sicht, als auch aus dem
Gesichtspunkt der Bildung die Jugendlichen aus der relativen Elite des Landes. Dabei
umfasst jede Gruppe zwei Jugendliche, und zwar jeweils ein Mädchen und einen
Jungen. Ob die interne Homogenität im Bereich der Bildung und des sozioökonomischen
Hintergrunds
ausreicht,
um
eine
konsistente
Replikation
der
gesellschaftlichen Gruppen zu gewährleisten, oder ob eine andere Typisierung für die
Beantwortung der Fragestellung sinnvoller erscheint, ist jedoch erst nach einer
strukturierten Analyse des Materials ersichtlich.
Um eine solch geartete Stichprobe zu erreichen, ist die Stichprobenziehung deduktiv
erfolgt (ebd.). Dabei ging es aber weniger darum, ein festes Raster einzuhalten, als mit
einer gezielten Auswahl der Varianzmaximierung nachzukommen. Ersteres wäre
organisatorisch kaum umsetzbar gewesen, da vom Leiter der Studie lediglich eine
Vorentscheidung über das soziale Feld der Stichprobe getroffen werden konnte. Die
eigentliche Fallauswahl wurde dann bei vier Stichproben durch den Gatekeeper (ebd.)
getroffen. Die Gatekeeper waren in je zwei Fällen die Schulleiter der von den
Jugendlichen besuchten Colleges. Beide Schulleiter gaben an, sie hätten die Wahl der
Stichproben aus den Gesichtspunkten der Zeitverfügbarkeit und der Fähigkeit zur
Reflektion und Artikulation heraus gezogen. Es liegt jedoch nahe, dass der Stolz auf
51
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
„ihre“ leistungsbereitesten Schüler die Stichprobenziehung ebenfalls beeinflusst hat.
Eine eventuelle Verschiebung der Ergebnisse muss daher bei deren Interpretation mit
einberechnet werden. Die Gatekeeper konnten mithilfe des bangladeschischen Betreuers
der Studie gewonnen werden. Schwieriger gestaltete sich die Stichprobenziehung für
die Fallgruppe der sowohl im Bildungsbereich als auch ökonomisch marginalisierten
Jugendlichen. Ihre Auswahl war letztlich durch eine sich ergebende persönliche
Bekanntschaft mit der Mutter der beiden Jugendlichen möglich.
4.3.2 Formale Charakteristika des Datenmaterials
Den Basistext der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2007) stellt eine
Transkription über die sechs Interviews dar. Da die Transkription nur das in englischer
Sprache Gesagte festhält, geben Transkriptionen der mit Übersetzer geführten
Interviews fast ausschließlich die Konversation zwischen dem Interviewer und dem
Übersetzer wieder. Zu Gunsten der besseren Lesbarkeit wurde das Transkript in
englischer Standardorthographie verschriftlicht und so wenig wie möglich, aber dort wo
nötig, grammatikalisch bearbeitet. Der Kritik der Veränderung des Materials muss
entgegengehalten werden, dass, wenn die Jugendlichen schon sinngemäß übersetzt
werden, diese auch ein Recht auf eine volle Verständlichkeit „ihrer“ Aussage haben.
Die zugrundgelegten Transkriptionsregeln finden sich im Anhang. Als Grundlage der
Transkription wurden die Interviews mit einem MP3-Recorder aufgezeichnet.
Ergänzend zum Interview wurden
auch
Basisdaten zu Geschlecht, Alter,
Bildungsstand, Tätigkeiten und Herkunft des befragten Jugendlichen festgehalten.
Darüber hinaus wurde durch den Interviewer ein kurzes Eindrucksprotokoll über die
Gesprächsatmosphäre angefertigt.
4.3.3 Materialien
Das zentrale Material bei der Durchführung der Interviews stellte der Interviewleitfaden
dar. Der Verlauf der Gespräche wurde halb-strukturiert gestaltet. Das heißt, der
Interviewer hat zwar einen thematisch strukturierten Leitfaden, in dessen Rahmen kann
er jedoch die Fragen frei ergänzen, verändern oder weglassen. Die Fragestellungen des
Leitfadens werden durch Nachfragen und Erzählaufforderungen vertieft. Mit einer
teilstrukturierten Fragestellung soll dem Interviewten die Möglichkeit zur subjektiven
52
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Bedeutungszuschreibung zu einem Themenkomplex gegeben werden. Die inhaltliche
Dimension, in der sich die Antworten bewegen, wird jedoch vorgegeben (Reinders,
2005). Sie basiert auf dem Verständnis des handlungstheoretisch fundierten (Schleider
& Wolf, 2007). Während in der Warm-Up-Phase dem Interviewten mit einer narrativen
Frage zur aktuellen Situation der Einstieg erleichtert wird, wird im Hauptteil die Zielund Mittel-Analyse prozesshaft nachgezeichnet. Dies betrifft sowohl die persönliche als
auch die gesellschaftliche Dimension. Mit dem Ausklang wird dem Interviewten die
Möglichkeit gegeben, bisher nicht genannte, aber ihm zur Thematik bedeutungsvoll
erscheinende Themen anzusprechen. Der Interviewleitfaden unterlag auch in seiner
Fragestellung einer „eingeschränkten und bewussten Prozesshaftigkeit“ (Reinders,
2005, S. 38). So wurde nach drei Interviews die Frage nach den Zielen der Jugendlichen
um die Frage nach ihren Wünschen ergänzt. Um innerhalb des Datenmaterials eine
Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurde aber darauf geachtet, in allen Interviews auch
alle inhaltlichen Dimensionen des Leitfadens anzusprechen.
4.3.4 Analyse der Entstehungssituation
Alle sechs Interviewpartner wohnen in der Stadt Rajshahi im gleichnamigen District im
Nordwesten Bangladeschs. Die Standortwahl wurde durch die organisatorische Hilfe im
Rahmen der Partnerschaft zwischen der PH Freiburg und der Rajshahi University
bedingt. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, innerhalb eines relativ kleinen Raumes
eine hohe sozio-ökonomische Varianz zu erreichen. Die Stadt mit 0,8 Mio. Einwohnern
(WASPA, 2006 a) verfügt über eine der größten Universitäten des Landes. Ihre 20.000
Studierenden und das akademische Personal prägen zwar die Stadt nachhaltig, dennoch
sind auch in Rajshahi die meisten Phänomene des Lebens unterhalb der Armutsgrenze
nachvollziehbar. Dies betrifft vor allem die äußeren Stadtbezirke, in denen sich, so vom
Verfasser der Studie wahrgenommen, viele Einwanderer aus der ländlichen Umgebung
von Rajshahi niedergelassen haben. Leider existieren dazu keine verlässlichen Zahlen.
Da aber der District Rajshahi zusammen mit dem District Barisal die ärmsten Districts
Bangladeschs darstellen (Bangladesh Bureau of Statistics, 2008), muss von einer
Wanderung in Richtung Provinzhauptstadt ausgegangen werden. Bewusst wurden die
als betroffen wahrgenommenen Stadtgebiete bei der Stichprobenziehung mit
einbezogen.
53
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Die Teilnahme an den Interviews war freiwillig und erfolgte auf Nachfrage durch die
Interviewer. Dazu wurde dem Interviewten der institutionelle Hintergrund der
Befragung, der Wert der Daten und ihre mögliche Verwendung kurz erläutert. Die
angebotene Anonymisierung der Daten wurde von den Interviewten abgelehnt. Ein
gewichtiger Grund hierfür war sicherlich der geäußerte Stolz und die Freude aller
Interviewten über das Interesse von ausländischen Wissenschaftlern an ihrer Person.
War es doch für alle sechs Befragten das erste Mal, dass sie mit einem Gast aus dem
viel bewunderten Europa kommunizierten; eine Gelegenheit, die vor allem für die
marginalisierten Interviewpartner
bisher
weit abseits des
Vorstellbaren
war.
Entsprechend groß war die Motivation, jedoch manchmal auch die Schüchternheit, mit
der sich die Jugendlichen äußerten. Sie schienen die Chance nutzen zu wollen, um mit
ihrer Aussage dem fernen Europa über ihre Lebensbedingungen und Zukunftswünsche
zu berichten. Dem kam der offene Charakter der Interviews sehr entgegen. Gerne
nahmen vier der Interviewten die Hilfe durch den Dolmetscher wahr. Bei diesen
Interviews wurde von drei Personen interagiert. Die Übersetzung fand immer nach der
Fragestellung und nach deren Beantwortung blockweise statt. Als Vorteil gestaltete sich
die Konstanz des durch die Universität Rajshahi organisierten Dolmetschers in allen
vier Interviews. Dadurch war es möglich, auch den Übersetzer in der Thematik zu
instruieren. Es dürfte sich daher kaum negativ auswirken, dass die Beantwortung der
Frage nicht direkt erfolgen konnte. Als positiv hat sich auch die Möglichkeit erwiesen,
je einen weiblichen und einen männlichen Interviewer einsetzen zu können. Dadurch
konnten fünf der sechs Interviews in geschlechter-homogenen Interviewsituationen
stattfinden. Dies wirkt sich bei dem sehr persönlichen Charakter der Thematik positiv
auf die Validität der Angaben aus und vermeidet Angaben nach Prämisse der sozialen
Erwünschtheit.
54
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
5. Auswertung
Das bereits vorgestellte Material soll nun anhand der Methode der qualitativen
Inhaltsanalyse von Mayring (2007) analysiert werden. Intention dieses Verfahrens ist
es, durch eine systematisch geordnete Reduktion das Datenmaterial zu analysieren. Ein
Vorgehen
in
vorgegebenen
Analyseschritten
hat
den
Vorteil,
dass
jedes
Zwischenergebnis „nachvollziehbar und intersubjektiv überprüfbar“ (ebd.) ist. Die
Materialien, aus denen die in diesem Kapitel vorgestellten Ergebnisse generiert wurden,
sind daher in umfassendem Maße dieser Arbeit angehängt.
5.1 Kategorienbildung
Die Kategorien, anhand derer das Datenmaterial strukturiert wird, stellen das zentrale
Element der Analyse dar. Sie werden nicht vorgegeben, sondern in einem
Wechselverhältnis zwischen der in der Fragestellung gebündelten Theorie und dem
konkreten Datenmaterial selbst entwickelt (Mayring, 2007).
Da sich die Analyse in einem bisher wenig erforschten Feld bewegt, ist es ein wichtiges
Anliegen, mögliche Erkenntnisgewinne nicht durch Verzerrungen und Vorannahmen
des Forschers zu verhindern. Daher wird das etwas umfangreichere Verfahren der
offenen Kodierung aus dem Ansatz der „Grounded Theory“ in das systematische
Vorgehen der qualitativen Inhaltsanalyse integriert (ebd.). Die Verfahrensweise folgt
dabei der Grundstruktur des wissenschaftlichen Arbeitens mit umfangreichen Texten.
Nach einer Sequenzierung des Materials in einzelne Kodiereinheiten werden diese in
eine auf den Inhalt beschränkte Paraphrasierung umgeschrieben. In diesem Schritt wird
im Fall der vorliegenden Studie die englische Transkription in eine teilweise
grammatikalisch verkürzte deutsche Form übersetzt. Die Paraphrasen werden
anschließend in eine weiter reduzierte Form generalisiert. Nach dieser ersten Reduktion
erfolgt
eine
Rücküberprüfung
der
erstellten
Zusammenfassung
mit
dem
Ausgangsmaterial. Um das Material noch weiter zusammenzufassen, werden nun die
mehrfachen oder ähnlichen Kategorien gebündelt und weiter generalisiert. Im Fall der
vorliegenden Studie war nach der zweiten Reduktion ein ausreichend verallgemeinertes
und übersichtliches Kategoriensystem erreicht. Nach einer weiteren Rücküberprüfung
55
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
mit dem Ausgangsmaterial muss dieses offene Kategoriensystem nun in ein geeignetes
Auswertungsinstrument überführt werden.
Im Fall dieser Studie werden dazu zunächst deduktive Analysekategorien aus der
Fragestellung heraus entwickelt. Darüber hinaus gehende Informationen in den
fallspezifischen Kategorien werden in induktive Analysekategorien übersetzt. Die sich
daraus
ergebende
Vielzahl
von
Analysekategorien
und
das
ursprüngliche
Kategoriensystem eines jeden Falles werden nun strukturiert in einem Raster aufgestellt
und mit den Befragungsergebnissen befüllt. Ziel dieses Rasters ist es, die
Analysekategorien auf ihre fallübergreifende Repräsentanz hin zu untersuchen. Sich
ergebende
Lücken
weisen
dabei
auf
die
mangelnde
Repräsentanz
einiger
Analysekategorien hin. Diese werden in der Folge verändert oder entfernt. Auch um bis
dahin nicht zuordenbare Informationen aus den fallspezifischen Kategorien zu erfassen,
müssen einige Analysekategorien verändert werden. Damit ist jedoch dieser
Analyseschritt nur vorläufig abgeschlossen. Mögliche Schwächen, die erst bei der
Verwendung des Instruments in Erscheinung treten, können dann rückwirkend
bearbeitet werden. Dies ist jedoch bei der vorliegenden Studie nicht erforderlich.
Da im weiteren Verlauf fallbezogen analysiert wird, fragen die Kategorien nach der
Ausprägung bei dem oder der einzelnen Jugendlichen. Die nachfolgende Beschreibung
beschränkt sich der Übersicht halber auf die männliche Form der Fragen. Im Rahmen
des Analyseschrittes der Kategorisierung wurden folgende Kategorien generiert:
K 1 Handlungen und Handlungsfelder
K 1.1 Wie beschreibt der Jugendliche seinen Tagesverlauf?
K 1.2 Was motiviert den Jugendlichen bei der Gestaltung seines Tagesablaufs?
K 2 Ziele
K 2.1 Was strebt der Jugendliche in seinem Leben an?
K 2.2 Welche Tugenden betont der Jugendliche?
56
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
K 3 Handlungsoptionen und Zielrealisierung
K 3.1 Welche Strategien verfolgt der Jugendliche bei der Realisierung seiner Ziele?
K 3.2 Auf welche Ressourcen greift der Jugendliche bei der Realisierung seiner Ziele
zurück?
K 3.3 Welche Ressourcen vermisst der Jugendliche bei der Realisierung seiner Ziele?
K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?
K 3.5 Welchen Stellenwert verleiht der Jugendliche dem Glauben an einen Gott?
K 4 Soziale Einbindung von Handlungsoptionen
K 4.1 Von wem bekommt der Jugendliche Hilfe und für wen fühlt er sich
verantwortlich?
K 4.2 Inwiefern ist der Jugendliche in seinem Handeln abhängig von den
Entscheidungen anderer Personen?
K 4.3 Welche Einstellung hat der Jugendliche gegenüber Ehe und Partnerschaft?
K 5 Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen
K 5.1 Wie empfindet der Jugendliche die gesellschaftliche Entwicklung Bangladeschs?
K 5.2 Worin sieht der Jugendliche Beiträge zur Überwindung der Armut in Bangladesch
und welche Rolle kommt ihm dabei zu?
Um die subjektive Konstruktion der Zukunftsorientierung einsichtig zu machen, sollen
die Jugendlichen selbst noch einmal zu Wort kommen. Dies soll in strukturierter Form
im nächsten Abschnitt ermöglicht werden.
57
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
5.2 Fallbezogene Auswertung
Nachdem die Kategorien definiert wurden, sollen im nächsten Analyseschritt
Textbestandteile des Datenmaterials zu einzelnen Kategorien zugeordnet werden. Die
qualitative Datenanalyse wird unterstützt durch die Computersoftware MAXQDA. Die
Zuordnung der Textbestandteile lässt sich anhand der Abschnittsnummerierung der
Interviewtranskripte im Anhang nachvollziehen.
Die thematische Strukturierung dieser Analyse erfolgt zunächst fallbezogen. Dazu
sollen Ankerzitate angeführt werden, die unter eine Kategorie fallen und die
Zukunftsorientierung
des jeweiligen Jugendlichen „beispielhaft repräsentieren“
(Mayring, 2007). Um die Fragestellung fallbezogen beantworten zu können, werden die
gewonnenen Ergebnisse inhaltlich strukturiert und in die im ersten Kapitel erläuterten
Analysetheorien eingeordnet. Dieser Aufarbeitung gehen jeweils ein Exposé der Person
und eine Reflektion der konkreten Interviewsituation voraus. Grundlage hierfür sind die
Ergebnisse der Basisdaten und das vom Interviewleiter erstellte Eindrucksprotokoll über
die Interviewatmosphäre.
5.2.1 Prija
Die 15-jährige Prija lebt in einer informellen
Siedlung am Ufer des Flusses Ganges. Sie besucht
die neunte Klasse des Colleges der Adorsho
School. Dort strebt sie den Abschluss des national
standardisierten Abiturs an. Gemäß den Angaben
des Schulleiters der staatlichen Adorsho School ist
es das Bestreben der Schule, auch Kindern und
Jugendlichen
finanziellen
aus
Familien
Ressourcen
mit
einen
geringen
guten
Schulabschluss zu ermöglichen. Er war es auch,
der
nach
unserer
Anfrage
nach
zwei
zu
befragenden Jugendlichen das Interview mit Prija
und Wasil ermöglichte. Die Mutter von Prija ist Hausfrau, ihr Vater geht einer Arbeit
als Lastenträger in einer Ziegelei nach. Als förderlich für die Interviewsituation
58
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
erwiesen sich die vertraute Lokalität des von anderen Personen ungestörten
Klassenzimmers und die weibliche Leitung des Interviews. Dennoch war Prija, nach
den Angaben von Melina Korn, die das Interview in Zusammenarbeit mit dem
Übersetzer Fahim Ahmed leitete, während des Interviews sehr aufgeregt
Handlungen und Handlungsfelder
Prijas Zeitplan ist voll ausgefüllt mit der Vor-und Nachbereitung ihres Schulunterrichts.
Um den hohen Arbeitsaufwand organisatorisch zu bewältigen, bedarf es eines straffen
Zeitrasters und eines großen Durchhaltevermögens während der langen Arbeitstage.
Dies umso mehr, da sie auch noch traditionelle Aufgaben im häuslichen Bereich
übernehmen muss „I wake up mostly at 7.30 then I have my first breakfast. Then I have
my coaching… Then I go to school at 11.00 and spent my time in school up to 4.30 pm.
… Then I again start my study. At 9.30 I have to serve dinner. Then I again start study
up to 1.30 am. Then I sleep.” [K 1.1 5-5]. Eine besonders positive Bedeutung schreibt
Prija dem Handlungsfeld der Bildungsinstitution zu [K 1.1 8-9]. Dieser Hinweis auf
eine in Zukunft wachsende Bedeutungszuschreibung gegenüber ihrer Bildungslaufbahn
lässt sich auch in ihrer Zielformulierung nachvollziehen.
Ziele
Bildung versteht sie dabei nicht ausschließlich als Selbstzweck, vielmehr verbindet sie
dieses Handlungsfeld mit einem von ihr angestrebten Lebensgefühl. So strebt sie in
bemerkenswertem Maße ihre Selbstständigkeit an. Das Studium und die Ausübung des
in Bangladesch hoch angesehenen und gut bezahlten Arztberufs repräsentieren dieses
kulturell-sachliche Entwicklungsziel einer unabhängigen Identitätsbildung besonders
deutlich „I want to be someone. I want to be myself. I want to study.” [K 2.1 19-19].
Die von ihr geschätzte und praktizierte Tugend der Leistungsbereitschaft auf der
Grundlage ihrer eigenen Fähigkeiten wird in Zukunft weiter befolgt und von ihr als
Legitimation für ihre eigene kulturelle Entwicklung betrachtet „I’m good in studying
and doctor is a good job.“[K 2.2 35-35].
59
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Handlungsoptionen und Zielrealisierung
Sie ist sich jedoch dessen bewusst, dass ihre Fähigkeiten und ihre Leistungsbereitschaft
die einzigen Ressourcen sind, über die sie längerfristig verfügt, und gewichtet diese in
ihrer Zukunftsorientierung entsprechend stark „I have nothing else than studying very
hard” [K 3.2 41-41]. Dem gegenüber besteht insbesondere ein Mangel an
Finanzkapital, aber auch an moralischer Unterstützung durch ihre ohnehin finanziell
belastete Familie [K 3.3 27-27]. Aus den ihr nur begrenzt zur Verfügung stehenden
Handlungsoptionen leitet sie ein Vorgehen ab, welches sie durch Etappenziele
schrittweise einer Zielrealisierung näher bringt. „After my tenth grade I will think about
the right strategy.” [K 3.1 29-29] Da eine übergeordnete, globale Strategie zur
Zielverwirklichung aus ihrer Sicht nicht existiert „ -- No it’s too difficult.“ [K 3.1 3131] beschränkt sie sich auf die von ihr steuerbaren Aktivitäten zur Verwirklichung des
nächsten Etappenziels „And now I have to use (my brain) it" [K 3.1 39-39]. Trotz ihres
engagierten Einsatzes für ihre Zukunftorientierung verfügt sie über keine optimistische
Zukunftsprognose: „I have no opportunity“ [K 3.4 27-27]. Ihre einzige Hoffnung in
eine positive Zukunftsorientierung begründet sich aus der von ihr empfundenen
göttlichen Berufung zum Arztberuf
[K 3.5 37-37]. Die zur Erfüllung dieser
Zukunftsmission notwendigen Ressourcen sieht sie als gottgegeben an und leitet daraus
eine Verantwortung gegenüber der adäquaten Nutzung dieser göttlichen Gabe ab „Allah
has given me the main thing: my brain. And now I have to use it.“[K 3.5 39-39]
Soziale Einbindung von Handlungsoptionen
Neben ihrer eingeschränkten Ressourcenausstattung wird die Vielfalt von Prijas
Handlungsoptionen auch durch ihre Entscheidungsabhängigkeit von den Eltern
eingeschränkt [K 4.2 41-41]. Dementsprechend empfindet sie gegenüber dem Gedanken
an eine Heirat aufgrund der damit verbundenen weiteren Einschränkung der
Handlungsoptionen große Abneigung „No! I will never get married! I don’t like to be
married ... I want to be something. And not only a wife.“ [K 4.3 19-19]. Die von ihr
wahrgenommenen gegenwärtigen und drohenden Abhängigkeiten scheint Prija als
Gegensatz zu ihren individuellen Leistungserfolgen zu erfahren. In der Folge ordnet sie
die Bedeutung von sozialen Kontakten ihrer individualisierten Zielverwirklichung unter
„School is more important than friends.” [K 4.1 13-13].
60
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen
„What the government wants to do, that will happen with Bangladesh. I think that the
future of Bangladesh is not so good. We usually have much of fights between the two
(political) groups here in Bangladesh. ... There are strikes and anything else. These
affect Bangladesh. These are very bad things but they cannot be stopped. And because
of that, Bangladesh will not be able to improve. The population really suffers from that”
[K 5.1 43-43] Die negative Zukunftsprognose Prijas für die Gesellschaft Bangladeschs
wird durch den anhaltenden Machtstreit zwischen den beiden Parteien der Awami
Leaugue und der Bangladesh Nationalist Party beeinflusst. Der Streit der beiden
Parteien erscheint stellvertretend und ausschlaggebend für alle politisch motivierten
Aktivitäten
der
Opposition
wie
etwa
Streiks
und
teilweise
gewalttätige
Demonstrationen. Diese politische Unsicherheit macht Prija für die bisher noch nicht
erfolgte Entwicklung Bangladeschs und das Leiden der Bevölkerung verantwortlich.
Dabei erlebt sie das Abhängigkeitsverhältnis von der Politik als unveränderlich. Umso
mehr ärgert sie sich darüber, dass dies die Menschen nicht erkennen und, statt die
Zukunft des Landes in der Wissenschaft voranzutreiben, die Lösung der Probleme
Bangladeschs weiterhin im politischen Bereich suchen. „Everybody thinks about
politics. But nobody thinks about science” [K 5.2 43-43]. Sie hingegen rechnet gerade
diesen Ressourcen eine besondere Bedeutung zur Überwindung der Armut in
Bangladesch zu. Die Bedeutung der Ressource Bildung sieht sie auch darin begründet,
dass nach ihrer Auffassung der Verstand als Grundvoraussetzung allen Menschen in
gleichem Maße durch Gott zuteil wurde. Darin hebt sich die Ressource Bildung in der
Erfahrungswelt von Prija von allen anderen Ressourcen ab. In der von ihr erschlossenen
Ressource sieht sie auch Handlungsoptionen, selbst gestaltend in die Entwicklung ihrer
Gesellschaft einzugreifen; „I believe that Allah has given us the same thing, the same
brain. But if the people of Bangladesh don’t train their brains they can’t get good jobs.
But I want to use my brain to improve this Bangladesh society.” [K 5.2 37-37]
61
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
5.2.2 Wasil
Wie die bereits vorgestellte Prija besucht auch der
15-jährige Wasil die neunte Klasse des Colleges
der Adorsho School. Dort strebt auch er den
Abschluss des national standardisierten Abiturs
an. Da sein Vater, der früher mit seiner Arbeit in
einer Ziegelei seine Familie versorgt hat vor
einigen Jahren verstorben ist, übernimmt nun sein
ältester Bruder die Verantwortung für die Familie.
Wasil wohnt mit seinen drei älteren, studierenden
Geschwistern und seiner Mutter in einem Haus.
Wasil verhielt sich während des Interviews
zurückhaltend und machte trotz seiner vermutlich ausreichenden Englischkenntnisse
vom Angebot der Übersetzung Gebrauch. Nach der von mir als zäh erlebten
Interviewsituation empfand ich ein weiteres zufälliges Treffen mit Wasil an der
abendlichen Promenade des Flusses Ganges als sehr gegensätzlich. Im Beisein seiner
beiden jüngeren Cousins, zweier uns bereits vertrauter bettelnder Straßenjungen, war
Wasils Zurückhaltung während des Interviews im Klassenzimmer einer offensiven und
verbindlichen Freundlichkeit gewichen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die
Interviewsituation im Rahmen des Schulbesuchs in diesem Fall als einschüchternd
empfunden wurde.
Handlungen und Handlungsfelder
Wasil gestaltet seinen Tagesverlauf mit großer Selbstständigkeit. Er setzt sich zwischen
seinen einzelnen Lerneinheiten bewusste Erholungseinheiten und gönnt sich die Zeit in
den Abendstunden zur freien Gestaltung. Bei der Vor- und Nachbereitung erhält er
keine Unterstützung durch professionelle Nachhilfe. Das Handlungsfeld für die Vorund Nachbereitung und für die Freizeit in den Abendstunden stellt in erster Linie das
elterliche Zuhause dar.“At 5.30 in the morning I wake up and I use to take my prayer.
Then I study by reading books. After that I take a walk at the Padba River. Then I come
back to my house. After that I take the time to read books or something. Because I like
to read books. I like to study. And at 8.30 or 9.00 I take my breakfast. Then I again
62
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
study to prepare my classes. At 11.00 I go to the school because it starts. I stay there
until 4.30. Then I again go back to my house. Have lunch and relax, watch TV. Or I do
other things together with my family.” [K 1.1 8-8] Als größten Antrieb für seine
Tagesgestaltung benennt Wasil die Realisierung seines Traumberufs „I have that thing.
I want to become a doctor“[K 1.2 16-16]
Ziele
Diese Entwicklung einer Berufsperspektive stellt jedoch nur einen kleinen Ausschnitt
aus Wasils recht genauen Vorstellungen seiner angestrebten Identitätsentwicklung dar.
In der von ihm angestrebten Zukunft werden Fleiß und Arbeit weiterhin wichtige
Tugenden für ihn darstellen [K 2.2 18-18]. Jedoch sind diese dann verbunden mit einem
wesentlich höheren Lebensstandard als dem Jetzigen „I will make some sports, playing
cricket and football“ [K 2.1 18-18] „For that I need a very good job. My second wish is
to have a nice house. - - [10 Sekunden] My third wish is to have a nice garden with
mango trees“ [K 2.1 20-20] Diese eher materiell ausgerichteten Ziele verbindet Wasil
mit
der Tugend der familiären Verantwortung, innerhalb der er seine Familie am
zukünftigen persönlichen Erfolg teilhaben lassen möchte „I want to help my family.
Because I come from a poor family“ [K 2.2 20-20]. Der von ihm angestrebten Tugend
und kulturellen Orientierung der familiären Verantwortung
stellt er die von ihm
wahrgenommene progressive Veränderung der gesellschaftlichen Werte kritisierend
gegenüber „in this improving society there are some boys who touch the girls too
early“ [K 2.2 39-39].
Soziale Einbindung von Handlungsoptionen
In seinem konkreten familiären Netzwerk fühlt er sich seit dem Tod seines Vaters für
seine Mutter verantwortlich. Neben der zukünftigen finanziellen Unterstützung möchte
er dieser Verantwortung auch durch ein Zusammenleben auf eine von ihm nicht
begrenzte Zeit gerecht werden „My father died. So I have to stay with my mother” [K
4.1 12-12]. Diese Hilfe und Verantwortung für die Familie wird Wasil durch seinen
älteren Bruder vorgelebt. So kann sich Wasil auf die moralische und finanzielle Hilfe
durch den älteren Bruder während seiner Schul- und Studienzeit verlassen. „My
brother. He gives me some money to study at the college and at the university and he
63
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
helps me also by studying.” [K 4.1 27-27] Dabei steht dem Bruder jedoch bei
längerfristig angelegten Entscheidungen auch ein großer Teil der Verantwortung zu [K
4.2 29-29].
Handlungsoptionen und Zielrealisierung
Um seine Ziele zu erreichen, verfolgt Wasil die Strategie der ausdauernden
Leistungsbereitschaft „I have to study very hard“ [K 3.2 22-22]. Dabei konzentriert er
sich auf die ihm zur Verfügung stehende Ressource Bildung [K 3.2 22-22]. Die Erfolge
in seiner bisherigen Bildungslaufbahn bestärken ihn, auf diese Ressource auch seine
weitere Zukunftsorientierung aufzubauen. Aus diesen Erfahrungen heraus gelingt es
ihm, nicht nur im Bereich der Ressource Bildung eine Selbstwirksamkeit zu generieren,
sondern darüber hinaus auch seinen positiven Selbstwert aufzubauen und sich mit
diesem selbstbewusst zu identifizieren “Hi, I’m Wassil. I’m the first in class” [K 3.2 44]. Dabei ist ihm sehr wohl seine eingeschränkte finanzielle Ressourcenausstattung
bewusst, die er auch vermisst: „JB: Are there some assumptions to fulfil your wishes
which you have not yet? Wasil: Money (leise).” [K 3.3 23-24] Doch kann er im
Vertrauen auf sein ausgeprägtes Humankapital auf eine Erweiterung seiner
Kapitalausstattung vertrauen und optimistisch seiner Zukunft entgegen blicken
“Because I’m good in my studies. I’m the first one in class. So I think it is possible for
me. Because I’m a really hard worker.” [K 3.4 35-35]
Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen
Die gesellschaftliche Entwicklung Bangladeschs betrachtet Wasil kritisch. Dabei
kritisiert er den mangelnden Anstand der Verantwortungsträger des Landes „One thing
is corruption“ [K 5.1 39-39]. Auch wird der von ihm wahrgenommene gesellschaftliche
Wandel nicht durchweg als positiv bewertet. Kritikpunkte sieht er dort, wo traditionelle
Werte und Praktiken aufgeweicht oder ignoriert werden: „That in this improving society
there are some boys who touch the girls too early. Such an immoral society is not a
good thing.” [K 5.1 39-39] Dennoch betrachtet er die Veränderung insgesamt als
positiv „Bangladesh will improve and increase with a slow rate [K 5.1 3 7-37]“. Dies
begründet er mit einer Überwindung des verbreitet geringen Lebensstandards und der
damit verbundenen Vulnerabilität durch bessere Bildungschancen für den armen
64
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Bevölkerungsteil. Er selbst betrachtet sich als Teil dieser Entwicklung „And most of us
get educated. This is why Bangladesh will improve” [K 5.2 37-37]
5.2.3 Fatima
Fatima ist 13 Jahre alt und lebt am Ufer des
Flusses Ganges in einer informellen Siedlung am
Rande der Stadt Rajshahi. Sie lebt dort im
schilfgedeckten Lehmhaus der Familie ihres
Mannes, mit dem sie seit einem Jahr verheiratet
ist. Das Haus befindet sich in der unmittelbaren
Nachbarschaft des Hauses ihrer Eltern und hat
keinen Stromanschluss. Die Wasserversorgung
erfolgt über eine öffentliche Grundwasserpumpe,
deren Wasserqualität dem Autor der Studie nicht
bekannt ist. Ihre vierjährige Schulbildung in einer
staatlichen Grundschule in Rikschafahrer wurde
durch ihre Heirat beendet. Seitdem arbeitet sie im Haus ihrer Schwiegereltern und bei
Bedarf auch im Haus ihrer Eltern. Ihr Vater kann seit einer Verletzung keinem Erwerb
mehr nachgehen und ihre Mutter arbeitet als Hausfrau. Die letzten Jahre vor ihrer Heirat
war sie daher vom Erwerb ihres älteren Bruders abhängig. Heute lebt sie vom Erwerb
ihres Mannes. Ihr Bruder Lanoon arbeitet als Riquschafahrer für die Frau des
bangladeschischen Professors, der diese Studie mit betreut. Durch sie kam der Kontakt
zu Fatima zustande. Bei dem ersten Besuch ihrer Familie durch mich und meine
bangladeschischen Begleiter (Fahim Ahmed und Nafees Masroor Salim) hielt sie sich
eher schüchtern im Hintergrund. Beim wiederholten Besuch und einem inzwischen
vertrauten Kontakt zwischen mir und ihrem Bruder sowie ihrer Mutter bat sie von sich
aus
um
ein
Interview.
Ich
reagierte
daraufhin
mit
zurückhaltender,
aber
unmissverständlicher Freude. Verstärkt durch die vertraute Atmosphäre im Zimmer
ihres Bruders verlief das Interview in großer emotionaler Ergriffenheit aller Beteiligten.
Während des Gesprächs war ihre Mutter ständig präsent, mischte sich aber nicht in das
Gespräch ein. Fatima gestaltete das Interview selbstbestimmt mit und antwortete mit
65
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
großer Konzentration und emotionaler Tiefe. Nach dem Interview zog sie sich schnell
wieder in das Haus ihres Mannes zurück.
Handlungen und Handlungsfelder
Das Handlungsfeld von Fatimas Tagesverlauf stellt in erster Linie der Haushalt der
Schwiegereltern und der ihrer eigenen Eltern dar. „She does all the household work like
cleaning, cooking, taking care of the little ones or taking care of the parents. This is all
she does at a usual day.” [K 1.1 7-7] Dieser Handlungsrahmen wird von ihr als
unveränderlicher Zwang wahrgenommen, der für eine freie Tagesgestaltung keine
Möglichkeiten lässt. Mit entsprechender Verständnislosigkeit entgegnet sie der Frage
nach der Motivation ihrer alltäglichen Handlungen „She asked, why do you ask this?
She has to do it” [K 1.2 9-9].
Ziele
Diesem durch die Ehe vorgegebenen Handlungsrahmen entspricht auch ihre
Zukunftsvorstellung. Als Ehefrau und Mutter sieht sie sich auch in Zukunft der
häuslichen Fürsorge verpflichtet. „She is married. So it is usual that after five years she
will have a baby and taking care of the baby and her husband.” [K 2.1 11-11]
Innerhalb dieses familiären Rahmens erhofft sie sich eine glückliche und friedliche
Zukunft. Darüber hinaus plant sie eine interpersonelle Entwicklung durch die eigene
kulturell-sachliche Entwicklung hin zu einer eigenen Berufsperspektive. Konkret soll
dies durch die Schaffung von Sachkapital in Form des Eigenheims und einer
Vergrößerung des eigenen Ladens umgesetzt werden. Diese Investitionen setzen
wiederum ein hohes Maß an Fleiß voraus. „Her first wish is to live with her family
happy and peaceful. Her second wish is, that she wants to have a good life in a good
house. Her third wish is about the little shop she has together with her husband. She
wants to have an income there and modify it to a bigger shop, so that her family can
rely on it.” [K 2.1 13-13]
Handlungsoptionen und Zielrealisierung
Grundsätzlich
möchte
Fatima
einem
Erreichen
ihrer
Zukunftsziele
positiv
entgegensehen, wählt sie diese doch angepasst an ihre Ressourcenausstattung. Von
66
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
dieser Strategie verspricht sie sich, auch mit dem von ihr nur begrenzt zu
erwirtschaftenden Finanzkapital ein zufriedenes Leben zu führen „Because, if she is
able to earn only a bit of money then her three wishes will be fulfilled”. [K 3.1 17-17]
Sowohl die Fortführung der mit ihrer Heirat nach vier Jahren beendeten Grundbildung
als auch eine Arbeit in der Landwirtschaft oder in einem handwerklichen Betrieb der
Textilindustrie stellen für sie weitere mögliche Ressourcen ihrer Zukunftsorientierung
dar. Doch sieht sie in ihrer derzeitigen sowohl ehelichen als auch gesellschaftlichen
Abhängigkeit keine Möglichkeit, ihre Arbeitskraft zur Erschließung dieser Ressourcen
einzusetzen und ihre Zukunft zu gestalten. „The second thing she talked about is the
education which stopped right now, because she is married…. And she said that the
society doesn’t allow girls to work on fields. So she can’t hope to have work there. But
she said: I can do some handy work like in the textile-industry. She has that capability
to work but she cannot wish to do it right now because she has not that opportunity. But
if she would have that opportunity, if it would be allowed she would be able to fulfill her
wishes.” [K 3.3 und K 3.4 19-19] Umso bedeutsamer wird für sie der Glaube an eine
transzendente Hilfe Gottes, um ihre verordnete Handlungslosigkeit überwinden zu
können und ihr Ziel zu erreichen „Her first thing she has to do is to pray to Allah that
he may help her to reach this aim.“ [K 3.5 19-19]
Soziale Einbindung von Handlungsoptionen
Vor diesem Hintergrund betrachtet sie ihre zukünftige Existenzsicherung auch
langfristig in der vollkommenen Abhängigkeit von ihrer Schwiegerfamilie „Her future
totally depends on the decisions of her husband’s family” [K 4.2 23-23]. Diese
Abhängigkeit ist ihr jedoch keinesfalls zure Gewohnheit geworden, sondern stellt für sie
weiterhin eine große Belastung dar; „She has this fear of the authority, based on her
husband’s family“ [K 4.2 21-21]. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrung und
mit großer eigener Betroffenheit bewertet sie das mit der Ehe in Bangladesch oft
verbundene Phänomen des Brautgelds auch für sich selbst als große Belastung; „Also
her family is feeling this pressure. If they cannot give the money to the in-law family, the
family of the husband will beat the woman or divorce them. Finally they will force to
give money by beating the woman brutally hard, rape or something like that. If the
woman is divorced, she is alone without any help. And everyone can do with her what
67
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
they want.” [K 4.3 29-29] Der von ihr verspürte Druck der ehelichen Abhängigkeit
verstärkt sich also weiter durch die drohenden katastrophalen Folgen im Falle eines
Scheiterns der Ehe. Eine Hilfe erhofft sie sich in ihrer Situation von niemandem
„Interviewer: Who else can help you to make your wishes come true? Interpreter: No
one” [K 4.1 22-23]. Vielmehr stellt für sie die Verantwortung für die eigenen Eltern
neben der ehelichen Restriktion eine weitere Einschränkung der Zukunftsorientierung
dar „because she has that responsibility for her family she can’t go that far away“ [K
4.1 21-21].
Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen
„Because there is no justice, there is only injustice, there is no judgment. There is only
money, the grapping of money, the crime, the corruption. So how can we expect the
future of Bangladesh? There isn’t a future at all.” [K 5.1 25-25] Neben den
beschriebenen dramatischen Abhängigkeiten empfindet Fatima die gesellschaftliche
Entwicklung ebenfalls als persönlich extrem belastend und sieht infolgedessen keine
Zukunft für die bangladeschische Gesellschaft. In diesem Fatalismus sieht sie sich und
die Menschen mit ähnlich hoher Vulnerabilität als Opfer der Habgier einiger weniger.
Als verantwortlich für diese Nöte benennt sie explizit die Regierung und deren
Desinteresse an der Lage der von ihr Abhängigen „who can help rather than our
government? The government has the opportunity but they are blind. They are not
seeing them suffering” [K 5.1 27-27]. Als vergebliche Mühe, die Armut in Bangladesch
zu überwinden, betrachtet sie auch die Bemühungen anderer Länder. Sie kritisiert die
Praxis, dass das dazu aufgewendete Geld an die Regierung geht und damit der
Veruntreuung preisgegeben wird. „But normally, when people from other countries
come to help Bangladesh they give the money to the very rich ones, to the governments,
to the ministers. But what are they doing with the money? They distribute all the money
and the poor don’t get the money. This is why the difference in the society gets much
bigger.” [K 5.2 29-29] Als einzigen Weg aus der verbreiteten und sie betreffenden
Armut betrachtet Fatima das selbstständige Engagement der Bewohner Bangladeschs
unabhängig von der versagenden Regierung. „Only the human can take the Bangladesh
up, not the government.” [K 5.2 25-25]
68
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
5.2.4 Lanoon
In
unmittelbarer
Nachbarschaft
zu
seiner
Schwester Fatima lebt der 20 jährige Lanoon mit
seinen Eltern und seiner jüngsten von vier
Schwestern (10 Jahre alt). Er lebt in einem
blechgedeckten Lehmhaus ohne Stromanschluss
und wird von der lokalen Grundwasserpumpe
versorgt. Seitdem er im Alter von zwölf seine
vierjährige
Grundbildung
staatlichen
Grundschule
in
einer
lokalen
abgeschlossen
hat,
arbeitet er. Da sein Vater vor einigen Jahren einen
Unfall erlitt, muss Lanoon mit der Arbeit als
Rikschafahrer
die
Familie
versorgen.
Die
Fahrradrikscha wird ihm von der Frau des Professors zur Verfügung gestellt, der diese
Studie vor Ort mit begleitete. Da Lanoon vornehmlich für sie arbeitete, hatte er im
Zeitraum der Studie gelegentlich die Aufgabe, uns, die deutschen Gäste des Professors,
bei Unternehmungen in der Stadt zu fahren. Zwar hatten wir bis zu unserem Besuch
keinen Übersetzer und damit keine Möglichkeit zur verbalen Kommunikation gehabt.
Doch hatten wir bereits vor der Befragung eine angehnehme non-verbale Beziehung
aufgebaut. Bei unserem Besuch empfingen uns Lanoon und seine Familie mit allen
ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu einem wahren Festmahl. Lanoon und ich
hatten große Freude bei unserer nun verbalen Kommunikation. Unterstützt wurden wir
dabei durch die Übersetzung von Nafees Maroor Salim. Während des Interviews war
auch seine Mutter anwesend, deren Einmischungen er aber forsch zurückwies. Nach
dem Gespräch informierte er mich darüber, dass ihm für seine politische Stellungnahme
in diesem Interview eine mehrtägige Gefängnisstrafe drohe. Das Angebot, seine Daten
nicht zu veröffentlichen oder wenigstens seine Person zu anonymisieren, lehnte er nach
meiner Erklärung und der Absicherung bei unserem Übersetzer, dass Lanoon das
Erklärte auch verstand, ab. Einer Realisierung seiner Befürchtung versuchte ich
während meines weiteren Aufenthaltes in Bangladesch wenigstens durch ein ständiges
Tragen des USB-Datensticks am Körper entgegenzuwirken. Unser weiterer Kontakt war
69
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
sehr herzlich. Seiner Bitte, ihm die Fotos unseres Besuchs als Farbbilder zu geben, kam
ich wenige Tage später nach.
Handlungen und Handlungsfelder
Lanoon verbringt den Tag, abgesehen von einer Pause am Mittag, mit der schweren
Arbeit als Fahrer eines Fahrradtaxis auf den Straßen Rajshahis. Da er außerhalb seiner
Festanstellung bei der Professorenfamilie von der Anzahl der zusätzlich getätigten
Fahrten abhängig ist, zieht sich sein Arbeitstag oft bis in die späten Abendstunden.
„You know that I’m a Rickshaw-Driver. In the morning I’m driving to school. Then I’m
doing the household and go shopping for a professor. When I come home I have my
bath and take a rest. Then I work as a Rickshaw-Driver during the afternoon. At 10.00
o’clock in the evening I come home and go to bed.” [K 1.1 5-5] Der Antrieb für diese
schwere Arbeit ist das Bedürfnis, seinen Hunger und den seiner Familie zu stillen und
damit das Überleben zu sichern. „I’m doing this for the stomachs of me and my family.
Because I have to bring rice and all the necessary things.” [K 1.2 7-7]
Ziele
Diesem Kampf um das Überleben entsprechend, formuliert er auch das von ihm als
erstrebenswert Empfundene auf einer existenziellen Ebene. „He says that he doesn’t
need delicious things like snacks. He only needs rice to stay alive.” [K 2.1 21-21] Dabei
steht das Bestreben nach dem Überleben der Familie seiner eigenen Existenzsicherung
um nichts nach. „The most important thing for him is to satisfy the stomachs of him and
his family.” [K 2.1 9-9] Eine Grundlage hierfür sieht er in der Heirat seiner
zehnjährigen Schwester und dem Aufbringen des damit verbundenen Brautgelds. „he
wants to get his sister married“ [K 2.1 11-11]. Auch aus diesem Bestreben der von ihm
stark empfundenen Tugend der Verantwortung heraus definiert Lanoon sein tägliches
Handeln. „He just wants to satisfy all the responsibility over his family and especially
for his sisters” [K 2.2 9-9] Diesem Ziel ordnet er seine eigene Entwicklung, wie etwa
das Verlangen nach Bildung „I have this huge desire of education” [K 2.1 7-7] und ein
durch materielle Güter bereichertes Leben unter „The second wish is to get a better
house to live a beautiful life” [K 2.1 11-11].
70
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Handlungsoptionen und Zielrealisierung
In dieser Situation befolgt Lanoon die Strategie, die Verwirklichung seiner eigenen
Entwicklung auf unbestimmte Zeit heraus zu zögern „he has the responsibility for his
sisters. So right now he is not thinking about a wedding” [K 3.1 9-9]. Um jedoch den
großen Geldbetrag für die baldige Verheiratung seiner Schwester zu erlangen, bleibt
ihm nichts anderes übrig, als diesen Betrag schon jetzt zu ersparen. „They have to give
100.000 Takka, that is too much for him. He earns only 200 Takka per day. That is why
he is saving the money so that he can manage this much amount of money to get his
sister married.” [K 3.1 11-11] Mit den 200 Takka (ca. 2 Euro) am Tag, mit denen er
auch seine Eltern und zwei Schwestern ernähren muss, bedeutet dies für ihn eine kaum
zu bewältigende Aufgabe und ein Leben unterhalb der definierten unteren
Armutsgrenze. Entsprechend groß ist sein Bedürfnis nach der mit einer anderen Arbeit
verbundenen Steigerung seines Finanzkapitals. „If he would get a better job his wishes
might become true someday” [K 3.3 15-15]. Bis dahin steht ihm zur Zukunftsgestaltung
nur sein Humankapital in Form von harter körperlicher Arbeit zur Verfügung. „He said
that there is no other thing than his hard work which can fulfil his three wishes” [K 3.2
15-15] Aufgrund der von ihm nicht als durch ihn veränderbar wahrgenommenen
Bedingungen sieht Lanoon nur einen geringen Spielraum für eine optimistische
Zukunftsprognose [K 3.4 21-21]. Den ihm verbleibenden Optimismus verleiht ihm der
Glaube an eine göttliche Hilfe, die ihm eines Tages zu einem besseren Verdienst
verhelfen und damit ein besseres Leben ermöglichen wird. „First of all he said thanks
to Allah. If Allah would like to, he might get a better job someday. And then, maybe, his
life will be changed.” [K 3.5 17-17]
Soziale Einbindung von Handlungsoptionen
Die Bedeutung dieses Glaubens an eine von Gott bewirkte Veränderung wächst in dem
Maße, in dem er von keiner anderen Seite Hilfe erwarten kann [K 4.1 19-19]. Vielmehr
ist die von ihm zu tragende Verantwortung noch um ein Vielfaches gewachsen, seitdem
sein Vater durch eine Verletzung nicht mehr zum Überleben der Familie beitragen kann
„My father is wounded. So my family is dependent on my income” [K 4.2 7-7].
Aufgrund der auf ihm lastenden Verantwortung betrachtet er die Entwicklung einer
neuen inter-personellen Beziehung in Form einer Ehe momentan als nicht relevant an
71
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
„right now he is not thinking about a wedding“ [K 4.3 9-9]. Doch bewertet er aus der
Erfahrung mit den Schwierigkeiten, seine eigenen Schwestern zu verheiraten, heraus die
traditionelle Ehe in Bangladesch zwar kritisch, aber als einen für ihn unveränderlichen
Zwang. „In Bangladesh we have this sad thing that the father of the wife has to give
money to the future husband. That is illegal. But they have to do that, because it is a
ritual kind of thing here. It is an illegal tradition. And it is very ironic that the girls have
to give money.” [K 4.3 11-11]
Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen
„The so called gentlemen of our society who are professors are looking down on him.
They don’t have the right to scorn him. They don’t have the right to condemn him. They
are building this wall of money around them. They don’t even touch him because they
disgust him. But he is a human being. He said: I’m feeling dishuminated continuously
by the so called gentlemen of the society” [K 5.1 17-17] In seiner Not, die eigene
Zukunft und die seiner Familie zu sichern, muss sich Lanoon als hoch vulnerables
Opfer seiner Gesellschaft wiederfinden. Doch die Verachtung, die ihm von seinen
Mitmenschen dabei entgegen gebracht wird, kann Lannon nicht ignorieren; er wird von
ihr in den Grundfesten seiner Menschenwürde verletzt. Seine Wut auf die Gewinner der
bangladeschischen Gesellschaft wächst weiter mit der physischen Gewalt, die ihm
durch Polizisten als Vertreter dieser Gesellschaft angetan wird. „When the RickshawPullers go to the downtown, close to the Shiet-Bazar, the Police is beating them without
any mercy, they don’t even listen to their voice. They don’t even listen to that what the
Rickshaw-Pullers are saying.” [K 5.1 17-17] Der Regierung, die Lanoon als
verantwortlich für seine Situation und die seiner Gesellschaft ansieht, bringt er
dementsprechend kein Vertrauen entgegen. „The government people will only develop
themselves. They will not develop the society” [K 5.2 21-21] Die Veruntreuung und die
Lügen
der Regierung
betrachtet Lanoon auch
im Bereich
seiner
eigenen
Zukunftsorientierung als verantwortlich dafür, sich seinen Wunsch nach Bildung nicht
verwirklichen zu können; „The Government is saying, that they will give free education
but when you go to school the situation is completely different. The government is
sucking money out of them.” [K 5.2 17-17] Daher hat Lanoon keine Hoffnung, dass die
72
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
ihn betreffende Armut, wie das Parteiprogramm der Awami League verspricht, bis 2021
überwunden ist „For me nothing will change before 2021“ [K 5.2 21-21]
5.2.5 Nazia
Die
18-jährige
Nazia
Abschlussklasse
des
Rajshahi.
besucht
derzeit
die
Paramount-Colleges
Dort strebt sie das Abitur nach den
Standards der Universität Cambridge an. Dieser
Abschluss gehört zu den höchsten Abschlüssen
Bangladeschs und wird nur an wenigen von der
Universität Cambridge ausgewählten Colleges
angeboten. Er ermöglicht ihr den Zugang zu
internationalen Universitäten. Nazia lebt mit ihrem
Bruder, ihren Eltern und Großeltern in einem Haus
am Rande Rajshahis. Während ihre Mutter für die
Organisation des Hausstandes zuständig ist, geht
ihr Vater einer Arbeit als Ingenieur in der Energiewirtschaft nach. Nazia verhielt sich
während des Interviews souverän und zeigte großes Interesse an unserem
wissenschaftlichen Arbeiten. Das Interview wurde von Melina Korn geleitet und
erfolgte in englischer Sprache. Ein Dolmetscher war hierfür nicht notwendig. Der erste
Kontakt zu ihr entstand bei einem Besuch der Schule durch Frau Korn und mich. Der
rege Kontakt blieb für die Zeit unseres Besuchs in Bangladesch bestehen.
Handlungen und Handlungsfelder
Dem familiären und häuslichen Handlungsfeld kommt in Nazias Erläuterungen ihres
Alltags eine große Bedeutung zu. Darin spielt sich ein großer Teil ihres sozialen Lebens
ab. Die darin bestehenden Beziehungen werden in einem engen Austausch und in
regelmäßigen Diskussionen ausgelebt. So erzählt sie etwa von der allmorgendlichen
Weckzeremonie durch ihren Großvater: „then he comes and shout: How you were not
wake up until yet, get up, it’s almost six o’clock, get up. So okay, we are getting up.
Then when it is almost seven o’clock: Oh my god it’s too late. Then we fight each
other” [K 1.1 6-6]. Das Leben unter der sich aus den engen Beziehungen ergebenden
73
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
starken autoritären Kontrolle wird von ihr zwiespältig erlebt. Einerseits schätzt sie, wie
später noch gezeigt werden soll, die darin bestehende Unterstützung, andererseits wird
die bestehende Autorität als Druck erlebt. „Not nice is to have too much pressure
because of studying” [K 1.1 10-10]. Zum Leben im Handlungsfeld ihrer Familie gehört
es für sie daher auch, sich darin die entsprechenden Freiräume zu schaffen, um dem
Druck zu entgehen. „Then we have to study for school. But we do not really read our
books. We just open them” [K 1.1 6-6]. Im Gegensatz zu den Handlungen, die unter
sozialem Druck vollzogen wurden, erlebt Nazia die frei von ihr entschiedenen und
vollzogenen Handlungen, wie etwa das Lernen aus freien Stücken heraus, als
motivierendes Vergnügen [K 1.2 14-14]. Den sich im familiären Handlungsfeld
entwickelnden
Schwierigkeiten
begegnet
Nazia
mit
einer
wachsenden
Bedeutungszuschreibung zu Gunsten des sozialen Netzwerks der Freunde aus dem
Handlungsfeld Schule „In the morning I meet with my friends. But after I go home I
miss them so much” [K 1.1 8-8]. Dieses Handlungsfeld bietet ihr gerade in der interpersonellen Entwicklung neue Möglichkeiten, die sie mit dem familiären Handlungsfeld
nicht mehr verbinden kann „I like to meet with my friends. Because I can share the most
of my things with them” [K 4.1 8-8].
Ziele
Ihre hohe Bedeutungszuschreibung gegenüber sozialen Handlungsfeldern schlägt sich
auch in der von ihr angestrebten kulturell-sachlichen Entwicklung nieder: Nachdem sie
sich zu einer erfolgreichen Ärztin entwickelt hat, will sie ihre Fähigkeiten dafür
einsetzen, der von ihr empfundenen gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu
werden. „after I will be a successful doctor I will open a little hospital to where the
poor people can come to stick their diseases“ [K 2.1 20-20]. Die von ihr angestrebten
Tugenden Ehrlichkeit, Menschlichkeit und Vertrauen erkennt sie als Grundlage des
sozialen Zusammenlebens. „Bangladesh can develop by honesty, humanity and the
most important thing is trust” [K 2.2 40-40].
Handlungsoptionen und Zielrealisierung
Ihre Zukunftsorientierung betrachtet sie als mehrstufige, aufeinander aufbauende
Strategie, bei der die hohen und mit langem zeitlichem Vorlauf gesteckten Ziele
74
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
schrittweise verwirklicht werden. So beginnt die von ihr angestrebte kulturell-sachliche
Entwicklung bereits in der Gegenwart. „From now on I think I have to prepare that
thing” [K 3.1 22-22]. Nazias mehrstufige Strategie setzt etwa voraus, dass sie vor ihrem
gesellschaftlichen Einsatz zunächst auf eigenen Beinen stehen muss „I first have to
stand on my feet then I can help the people” [K 3.1 30-30] . Dem Erreichen dieses
Schrittes geht wiederum die Fortführung ihrer hervorragenden Bildungslaufbahn
voraus. Eine besondere Möglichkeit hierfür stellt für Nazia ein Studium im Ausland dar.
„I actually want to go to a foreign university. Because there you can learn more than in
bangla Universities” [K 3.1 30-30]. Von dem mit dem räumlichen Abstand zur Familie
verbundenen Kontextwechsel verspricht sie sich auch eine interpersonelle Entwicklung
hin zu mehr Selbstbestimmung. Dementsprechend ablehnend reagiert sie gegenüber der
Option, in das von Familienmitgliedern bewohnte Canada auszuwandern; „he says I
have to come to Canada. But I don’t want to go there for studying. Because then I
would be dependent on them” [K 3.1 30-30].
Sie weiß jedoch, dass das dazu notwendige Finanzkapital untrennbar von der
moralischen Unterstützung durch ihren Vater und ihren Großvater abhängig ist „the
other thing I need is support I get from my grandfather and father“ [K 3.2 30-30].
Wenn sie die Zustimmung dieser beiden Personen erhält, stellt die Beschaffung des
dazu notwendigen Kapitals durch deren Unterstützung keine Hürde dar; „(lachen) Oh I
think this money will give me my father” [K 3.2 28-28]. Doch auch Nazia ist das Gefühl
der eigenen Vulnerabilität vertraut: Sie kann ihr vielfältiges Humankapital nur dann
längerfristig einsetzen und ihre Kapitalausstattung erweitern, wenn ihre Krankheit
keine negative Entwicklung nimmt. Die Bewältigung ihrer Krankheit wird dabei von ihr
als Grundvoraussetzung der Zukunftsorientierung erlebt „I have a disease called
anaemia ... This is a main thing. So when I get sick or get distracted, then I don’t think I
can study” [K 3.3 38-38]. Verfügt Nazia über diese Grundvoraussetzung, erwartet sie
für ihre Entwicklung keinen weiteren Barrieren und kann optimistisch in die Zukunft
blicken „But otherwise nothing should interrupt me [K 3.4 38-38]“
Soziale Einbindung von Handlungsoptionen
Das bereits erläuterte soziale Handlungsfeld Nazias ist traditionell hierarchisch
organisiert. So liegt ein großer Teil ihrer Zukunftsorientierung, wie auch die Zukunft
75
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
ihrer ganzen Familie, in der langfristigen Planungsverantwortung ihres Großvaters „But
it also depends on my grandfather. Because he is the leader of my team” [K 4.2 28-28].
Nazia scheint dabei recht genau wahrzunehmen, wo Unterschiede zwischen dem für sie
Entschiedenen und ihren eigenen Vorstellung liegen. Bei ihrer Einschätzung von Ehe
wird dies besonders deutlich: „I don’t want to be married at that time. At least not in
the next (leise:) ten years. (lachen)”
[K 4.318-18]. Trotzdem bewertet sie die
Bedeutung von sozialen Netzwerken positiv „I don’t like to be alone“ [K 4.1 8-8].
Darüber hinaus erkennt Nazia auch pragmatische Vorteile in der Wirksamkeit von
sozialen Gruppen. Gerade bezüglich ihres Bestrebens, gestaltend in die Gesellschaft
einzugreifen, rechnet sie einem kollektiven Handeln eine gesteigerte Wirksamkeit zu;
„One can help anyone. But if we join together, for example to a group of ten. Then I
think we can help them” [K 4.1 48-48].
Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen
Gesellschaftlich sieht Nazia vor allem in der von ihr als gering entwickelt bewerteten
Bildung in Bangladesch einen Missstand. In der Erfahrungswelt von Nazia trägt hierfür
die Regierung die Verantwortung. Diese hat nach Nazias Meinung kein Interesse an der
Bildung der Bevölkerung. „There are a lot of political positions which really don’t
want Education for Bangladesh. That’s really bad. Because only for that, Bangladesh is
so much back compared to other nations” [K 5.1 44-44]. Dieser Missstand ist nach
Nazias Einschätzung jedoch veränderbar. Als vielversprechende Möglichkeit zur
Überwindung der Armut bewertet sie organisierte Programme, wie etwa die Programme
zur Grundbildung aus den letzten Jahren. „So I think that using different types of
assistance, like education programs can help us to take steps forward. Then I think we
will develop a lot” [K 5.2 40-40] Gesellschaftliche Nöte sieht sie auch in der schlechten
Gesundheitsvorsorge des ärmsten Teils der Gesellschaft. „Because if they are living in
Slums they are suffering of lack of care. But they also need care because they are also
people” [K 5.1 18-18]. In diesem Feld sieht sie auch für sich Handlungsoptionen, um
als spätere Ärztin zur Überwindung der Armut in Bangladesch beizutragen. „ I will take
fees depending on the money of the people” [K 5.2 18-18].
76
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
5.2.6 Nafees
Zusammen mit Nazia besucht der 18-jährige
Nafees
die
Abschlussklasse
des
Paramount-
Colleges Rajshahi. Dort strebt auch er das Abitur
nach den Maßstäben der Universität Cambridge an.
Er lebt mit seinen Eltern in Rajshahi. Während
seine Mutter sich um die Organisation
Hausstandes
kümmert,
arbeitet
der
des
Vater
international als Business-Manager. Unser Kontakt
entstand bei meinem ersten Besuch der Paramount
School. Zu Beginn des von mir geleiteten
Interviews war Nafees recht nervös. Auf Nachfrage
diesbezüglich schilderte er mir die von ihm empfundene Ehre, als Vertreter seines
Landes sprechen zu dürfen. Durch unser Vorgespräch bezüglich seiner späteren Hilfe
als Übersetzer bei anderen Interviews war ihm die Thematik bereits vertraut. Dies ist bei
einigen Antworten durch ihre überraschende Tiefe bemerkbar. Zwischen Nafees und
mir besteht bis heute ein reger Kontakt.
Handlungen und Handlungsfelder
Nafees beschreibt seinen Alltag als von ihm sehr selbstständig und nach seinem
Belieben gestaltbar „I usually wake up by 7 to 8 am. But because I studied in the night
I woke up at 10 am”[K 1.1 11-11] Um sich bei seinen Hobbies und den
zeitaufwendigen Schularbeiten den Tag sinnvoll zu gestalten, greift Nafees auf
organisatorische Mittel zur Tagesplanung zurück „I write down what I have to do today.
I write a list“ [K 1.1 13-13]. Neben dem Internet „I’m also an internet-freak“ [K 1.1
13-13] stellt die Schule derzeit ein wichtiges Handlungsfeld dar. Die Tatsache, dass sich
Nafees derzeit in der Abschlussklasse befindet, und der von seinen Lehrern geweckte
Enthusiasmus stellen für ihn eine große Motivation in diesem Handlungsfeld dar "They
are enthusiastic, that is why they want to change us. I’m also part of this revolution” [K
1.2 17-17]. Bestärkt durch seine Lehrer versteht Nafees sein Handeln in diesem
Handlungsfeld als gestaltende Veränderung seiner Gesellschaft.
77
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Ziele
Aus diesem Enthusiasmus heraus formuliert er auch sein Bestreben: „I really want to
change our society, our generation” [K 2.1 17-17]. Um derart große Ziele zu erreichen,
betont Nafees neben der Verantwortung in besonderem Maße die Tugend der Disziplin
„One important thing is discipline“ [K 2.2 37-37] Das beschriebene Engagement im
kulturell-sachlichen Entwicklungsbereich geht für Nafees einher mit einer intrapersonellen Entwicklung. Der dabei von ihm angestrebte Beruf stellt einen Kompromiss
zwischen den eigenen Wünschen und den Vorstellungen des Vaters dar.
Handlungsoptionen und Zielrealisierung
Die zur Realisierung seiner Ziele notwendigen Handlungsoptionen betrachtet Nafees
mit großer zeitlicher Dringlichkeit, um schon in der Gegenwart die entsprechende
Grundlage zu setzen. „Between ten to twenty this is the golden opportunity. This is the
time to plant the seed” [K 3.1 45-45].
Neben dem gegenwärtigen Beitrag zur
Realisierung seiner Ziele bewertet Nafees die Leidenschaft, mit der ein Ziel verfolgt
wird, als besonders wichtig für zukunftsgerichtetes Handeln; „Before
the formal
education you need a dream, your desire“ [K 3.1 33-33]. Diese Bewertung erfolgt vor
dem Hintergrund einer außerordentlichen Kapitalausstattung „our school is one of the
most established in this nation. Our clans are the most established ones in that Rajshahi
Division” [K 3.2 33-33]. Auch die Erschließung weiterer Ressourcen ist durch die
Verfügbarkeit von Finanzkapital sichergestellt „my parents will have, inschallah, the
money to give me a high education“ [K 3.2 41-41]. Zwar kann Nafees derzeit noch
keinen Bildungsabschluss vorweisen, doch hegt er, unterstützt durch positive
Entwicklungserfahrungen, keinen Zweifel an der Machbarkeit seines Ziels. „If you go
perhaps three years back in my life, I was not able to say one word. It was a lot of work
and discipline” [K 3.2 37-37]. Aufbauend auf diese Selbstwirksamkeitserfahrung kann
Nafees optimistisch in seine Zukunft blicken „if I have that vision and work hard for it,
everything is possible“ [K 3.4 37-37].
Nafees kommt zwar, wie von ihm erwähnt, seiner muslimischen Pflicht des täglichen
Gebets nach [K 3.5 13-13], doch geht er selbst nicht näher auf die damit verbundene
subjektive Bedeutung des Glaubens ein.
78
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Soziale Einbindung von Handlungsoptionen
Wie bereits beschrieben, verbringt Nafees einen Teil seines sozialen Lebens im Internet
„facebooking, social networks, blogs and forums. I moderate some of them. I also have
my own site. So I just enjoy” [K 4.1 13-13]. Globale Netzwerke und internationale
Musikforen stellen für ihn eine Welt dar, in der er sich, wie im Rahmen seines
Facebook-Auftritts, aus dem bangladeschischen Kontext herausheben und sich als
Weltbürger identifizieren kann. Ein Teil der Entscheidungskraft für die längerfristige
Zukunftsorientierung von Nafees liegt bei seinem Vater. Dennoch gestaltet Nafees seine
Zukunft aktiv mit. Die dazu notwendigen Entscheidungen versteht er als mit seinen
Autoritäten verhandelbar. Etwa diskutiert er die Frage der zukünftigen beruflichen
Identität mit seinem Vater, macht dabei gezielt Zugeständnisse und findet letztlich einen
Kompromiss; „my father wishes that I will be a doctor. I wish that I will be an engineer.
So I will combine the doctor of my father and my thing into biological engineering.” [K
4.2 29-29]. Die für seine selbstständige Zukunftsorientierung notwendige moralische
Unterstützung erfährt Nafees im schulischen Kontext „here are professors who are very
committed and enthusiastic about teaching us“ [K 4.1 17-17]. Wenn er weitere oder
persönlichere Hilfe benötigt, fordert er diese bei ihm vertrauten Menschen ein. So steht
ihm etwa sein Bruder als Mentor zur Seite „So I ask a person who can help me with
these things. My brother is such a mentor of mine” [K 4.1 33-33]. Eine inter-personelle
Entwicklung in der Form von neuen Beziehungsformen erachtet Nafees als
erstrebenswert „A girlfriend? (lachen) Oh yeah I hope so. (lachen“) [K 4.3 27-27],
doch hält er eine Eheschließung in den nächsten fünf Jahre für nicht relevant [K 4.3 2525]. Dies begründet er mit der Unvereinbarkeit der Verantwortung für Familie und der
Verantwortung für die Gesellschaft. „If you have a family you have this responsibility
for your children. But nation is not going to remember you” [K 4.1 33-33]. Sein
Bestreben, durch gestaltende Veränderung in die Geschichte seines Landes einzugehen,
ist von einem starken Verantwortungsgefühl für seine Gesellschaft motiviert; „I have
this big motivation and responsibility towards my nation, towards my society and
towards my generation” [K 4.1 21-21].
79
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Politische und gesellschaftliche Einbindung von Handlungsoptionen
Veränderungsbedarf sieht er insbesondere in den Auswirkungen der Armut auf die
Kinder seiner Gesellschaft; „there are working children in the age of four and five by
serving tea and bread. Why? Because they are poverty striken.” [K 5.1 41-41]. Auch
die von Nafees erlebte Perspektivlosigkeit vieler Gleichaltriger seiner Gesellschaft
belastet seine Einschätzung der bangladeschischen Gesellschaft [K 5.1 41-41]. Dennoch
attestiert er der bangladeschischen Gesellschaft eine bereits vollzogene und in Zukunft
weiter forcierte Entwicklung aus der Massenarmut heraus; „you have to see the change
between the now-bangladesh and the Bangladesh ten years before“ [K 5.1 41-41].
Obwohl sich Nafees seiner im bangladeschischen Vergleich außerordentlich großen
Ressourcenausstattung bewusst ist, belegt er die Entwicklung am eigenen Bispiel:
„Each year under this Cambridge Colleges hundreds of students achieve this world
highest and country highest education. And I’m a part of them. Definitely this is a sign
of improvement” [K 5.1 41-41]. Aufbauend auf die Erfolge im Bildungsbereich in
Bangladesch sieht Nafees seine Handlungsoption zur Überwindung der Armut in der
technologischen Entwicklung des Landes [K 5.2 17-17]. Aus diesem Selbstverständnis
heraus fühlt er sich als Elite seiner Gesellschaft zu deren Führung und Autorität berufen
„We need an authority. That’s what I try to. That’s my vision” [K 5.2 33-33].
5.3 Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch – eine
fallübergreifende Auswertung
Ergänzend zu den in der fallspezifischen Auswertung aufgezeigten Begründungs-,
Wahrnehmungs- und Handlungsstrukturen greift die fallübergreifende Auswertung
deren inhaltliche Horizonte auf und analysiert dort, wo sich Auffälligkeiten ergeben, die
beobachteten Muster und Tendenzen. Die beiden Auswertungen können also nicht
getrennt voneinander verstanden werden. So kann die fallübergreifende Analyse nur vor
dem Hintergrund der fallbezogenen voll durchdrungen werden. Andererseits stellt die
fallübergreifende Analyse mehr als eine Zusammenfassung der vorausgegangenen
Analyse dar. An einigen Punkten der Analyse wird auf eine skalierende Strukturierung
(Mayring, 2007) zurückgegriffen. Auf Basis der bestehenden Kategorien werden die
Codings der fallspezifischen Analyse als Prädiktoren einer Intensitätsanalyse
herangezogen
(ebd.).
Zur
besseren
Nachvollziehbarkeit
sind
die
80
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Einschätzungsdimensionen und die damit verbundenen Ankerzitate dem Anhang
beigefügt. In einer anschließenden Interpretation soll das Antwortverhalten der
befragten Jugendlichen in den Kontext der räumlichen Lebensbedingungen gestellt
werden.
Lebenseinstellung
Prädiktor: [K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?]
Das Schema ist im Anhang beigefügt,
Beim vorausschauenden Blick der befragten Jugendlichen in ihre persönliche Zukunft
sind alle Wahrnehmungen vertreten. Dabei fällt auf, dass sich die Begründung ihres
Empfindens auf wenige Ressourcen beschränkt. Ausschlaggebend sind dabei das
Humankapital in Form von Bildung und Arbeitskraft, das Finanzkapital und ein
Entscheidungsfreiheit ermöglichendes soziales Netzwerk. Der Charakter ihrer
Zukunftsperspektive ist aber letztlich davon abhängig, für wie nachhaltig sie die
Erschließung der notwendigen Ressource einschätzen. Zu einer optimistischen
Zukunftsperspektive gelangen diejenigen Jugendlichen, nach deren Einschätzung sie
langanhaltend über eine von ihnen als wichtig erachtete Ressource verfügen. Darüber
hinaus bewerten sie eine Mobilisierung weiterer Ressourcen durch die Hilfe der
vorhandenen Ressource als wahrscheinlich. Pessimistisch bewerten diejenigen
Jugendlichen ihre Zukunft, denen der Einsatz ihrer bestehenden Ressource durch eine
Restriktion ihres Handelns langfristig untersagt ist oder die aufgrund eines Mangels an
Finanzkapital keine neuen Ressourcen erschließen können. Übergangsbereiche ergeben
sich dort, wo eine Ressource die Voraussetzung für eine positive Zukunftsperspektive
darstellt und deren Mobilisierung entweder als wahrscheinlich oder aber als
unwahrscheinlich eingeschätzt wird. Auffällig ist, dass gleich in zwei Fällen junge
Frauen trotz der von ihnen verfügten Ressourcen aufgrund von autoritärer
Einschränkung ihre Zukunft negativ bewerten. Dies gibt Hinweis auf die große
Bedeutung der Entscheidungsfreiheit für die Zukunftsorientierung von Jugendlichen in
Bangladesch.
81
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Religion: Im festen Glauben an eine gerechtere Zukunft
Prädiktoren:
[K 3.5 Welchen Stellenwert verleiht der Jugendliche dem Glauben an einen Gott?]
[K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?]
[K 1.1 Wie beschreibt der Jugendliche seinen Tagesverlauf?]
Das Schema der Intensitätsanalyse ist im Anhang beigefügt.
Was kann den Jugendlichen mit pessimistischer Zukunftsperspektive bei ihrem Leben
in der oft als übermächtig und unveränderbar wahrgenommenen Umwelt Hoffnung
geben? Bei der Untersuchung des Stellenwerts, dem die Jugendlichen dem Glauben an
Gott verleihen, ergibt sich diesbezüglich eine bemerkenswerte Überschneidung. Gerade
bei denjenigen drei Jugendlichen, die der Verwirklichung ihrer Ziele pessimistisch
entgegen sehen, ließ sich eine besonders hohe Bedeutungszuschreibung gegenüber einer
transzendenten Instanz herausarbeiten. So verknüpfen sie die Verwirklichung ihrer Ziele
unmittelbar mit dem Glauben an eine göttlich bewirkte Wende in ihrem Leben. Diese
Wende bedeutet für die Jugendlichen sowohl die Verfügbarkeit notwendiger
Ressourcen als auch eine Befreiung aus restriktiven Zwängen. Die Jugendlichen mit
optimistischer Zukunftsprognose gaben ein solches Gottesverständnis nicht an. Bei zwei
dieser Jugendlichen konnte aber ein alltäglicher Kontakt zur religiösen Praxis
herausgearbeitet werden.
Fleiß und Leistung: Rudern gegen den Strom
Prädiktor: [K 2.2 Welche Tugenden betont der Jugendliche?]
Obwohl sich die Ressourcenausstattung der Jugendlichen und die daraus von ihnen
abgeleiteten Handlungsoptionen sehr stark unterscheiden, so verfügen sie doch
bezüglich ihrer Handlungsstrategie über eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit: Alle
befragten Jugendlichen geben an, dass Fleiß und Leistung in ihrer Zukunftsorientierung
eine wichtige Bedeutung zukommt, ohne die sie ihre Ziele in Zukunft nicht
verwirklichen können. Gerade die befragten Jugendlichen mit geringer oder durch
Restriktion eingeschränkter Ressourcenausstattung betonen, dass Fleiß und Leistung die
einzigen Ressourcen ihrer Zukunftsorientierung darstellen. Die starke Betonung dieser
pragmatischen Tugenden deutet darauf hin, dass das Bestreben, sich wirtschaftlich und
sozial zu emanzipieren, tief im Verständnis der Jugendlichen verankert ist.
82
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Entwicklungsziel:
Prädikator: [K 2.1 Was strebt der Jugendliche in seinem Leben an?]
Diese Beobachtung einer pragmatischen und zielorientierten Jugend bestätigt sich beim
Blick auf die Entwicklungsziele. Diese können aus den durch die Jugendlichen
formulierten Zielen herausgearbeitet werden. Der Weg zur gesicherten Existenz führt
für die befragten Jugendlichen über die Realisierung von Zielen im kulturell-sachlichen
Entwicklungsbereich. Demgemäß stellt bei allen befragten Jugendlichen der Aufbau
einer beruflichen Perspektive ein Ziel mit hoher Bedeutungszuschreibung dar. Oft
haben die Jugendlichen einen bestimmten Beruf vor Augen, dessen Ausübung in ihrer
Zukunftsorientierung einen hohen Stellenwert genießt. Im Gegensatz dazu spielt die
Entwicklung im inter- und intrapersonellen Entwicklungsbereich beim Aufbau ihrer
Identität eine untergeordnete Rolle.
Beziehung, Familie, Eigenverantwortung – gut ausgebildete Frauen im Aufbruch
Prädikatoren:
[K 2.1 Was strebt der Jugendliche in seinem Leben an?]
[K 4.2 Inwiefern ist der Jugendliche in seinem Handeln abhängig von den Entscheidungen anderer
Personen?]
[K 4.3 Welche Einstellung hat der Jugendliche gegenüber Ehe und Partnerschaft?]
Das Schema der Zusammenhangsanalyse ist im Anhang beigefügt.
Die nähere Untersuchung der Zukunftsorientierung der drei weiblichen Jugendlichen
soll hier um zwei weitere Aspekte erweitert werden. Zur Beschreibung des
Unabhängigkeitsstrebens der weiblichen Jugendlichen wird sowohl deren Einstellung
gegenüber der Ehe als auch die Ausprägung ihres Familienwunsches in Betracht
gezogen. Die drei weiblichen Jugendlichen unterscheiden sich insbesondere bezüglich
ihres sozio-ökonomischen Hintergrunds und ihrer Ressourcenausstattung, ähneln sich
jedoch grob in der von ihnen erfahrenen Restriktion ihres Handelns. Bezüglich ihres
Unabhängigkeitsstrebens ergeben sich überraschende Parallelen zwischen Nazia und
Prija. Beide formulieren ihre klare Abneigung gegenüber einer baldigen Ehe und ihr
deutliches Unabhängigkeitsstreben. Da Nazia und Prija einzig im punkto Bildung über
weitere Gemeinsamkeiten verfügen, liegt die Deutung nahe, dass sich diese neben der
Abneigung gegen die empfundene Restriktion als wichtiger Faktor auf das
83
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Werteempfinden der beiden jungen Frauen auswirkt. Die Sprengkraft, die sich daraus in
einer traditionell restriktiven Umgebung ergibt, lässt sich in der fallbezogenen
Auswertung von Prijas Zukunftorientierung nachvollziehen.
Zukunftsperspektiven für Bangladesch
Prädikatoren:
[K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?]
[K 5.1 Wie empfindet der Jugendliche die gesellschaftliche Entwicklung Bangladeschs?]
Das Schema der Zusammenhangsanalyse ist im Anhang beigefügt.
Bezüglich der Vorstellungen über ihre Zukunft und der Einschätzung der ihnen für
deren Gestaltung zur Verfügung stehenden Ressourcen konnte bei den untersuchten
Jugendlichen eine überraschende Klarheit nachgewiesen werden. Welches Bild der
bangladeschischen Gesellschaft lässt sich jedoch aus der Sichtweise von so
unterschiedlichen Jugendlichen heraus generieren? Auffallend ist zunächst, dass die
jeweilige Einschätzung der bangladeschischen Gesellschaft in engem Zusammenhang
mit der persönlichen Zukunftsperspektive steht. Die empfundene Lebenseinstellung
scheint sich demnach auch auf die gesellschaftliche und politische Wahrnehmung
auszuwirken. Im Rahmen der Studie hielten die Gesellschafts-Pessimisten den
Gesellschafts-Optimisten die Waage.
Gesellschaftsbestimmende Faktoren
Prädikatoren:
Basisdaten: Angestrebter Bildungsabschluss; Beruf der Eltern
[K 5.1 Wie empfindet der Jugendliche die gesellschaftliche Entwicklung Bangladeschs?]
Die angegebenen gesellschaftsbestimmenden Faktoren beschränken sich dabei im Kern
auf nur zwei Faktoren: Zum einen ist dies der Anschluss der Bevölkerung an das
Bildungssystem und die Etablierung von exzellenter Bildung, zum anderen ist dies das
Verhalten der Regierung und der bestehenden Eliten der Gesellschaft. Auf diese
Faktoren aufbauend entscheidet die jeweilige subjektive Gewichtung und Bewertung
über die Ausprägung der jeweiligen gesellschaftlichen Zukunftsperspektive. Bei der
Bewertung macht sich auch bemerkbar, inwiefern die Jugendlichen über die Ressource
Bildung selbst verfügen und welchen sozio-ökonomischen Hintergrund sie haben. So
geben die befragten Jugendlichen aus gesicherten Verhältnissen und mit guter Bildung
84
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
eine positivere gesellschaftliche Zukunftsprognose ab als diejenigen Jugendlichen, auf
die diese Eigenschaften nicht zutreffen.
Einigkeit unter den befragten Jugendlichen herrscht hingegen in der Bewertung der
Regierung.
Unabhängig
vom
sozio-ökonomischen Hintergrund und
von der
Ressourcenausstattung äußern alle Jugendlichen zum Teil heftige Kritik an der
Regierung und den Eliten Bangladeschs. Demgemäß benennen die von Armut und
Ressourcenmangel betroffenen Jugendlichen die bangladeschische Regierung als
Verantwortliche für ihr persönliches Leiden. Dieses Unrecht wird auch von den
Jugendlichen mit starkem ökonomischem Rückhalt so wahrgenommen, wenngleich aus
einer distanzierteren Perspektive. Sie äußern ihre Kritik gegenüber der von der
Regierung
bewusst
angestrebten
Ungleichverteilung
von
Bildung
und
Gesundheitsversorgung. Die befragten Jugendlichen, die zwar über eine gute Bildung,
aber über einen weniger etablierten sozio-ökonomischen Hintergrund verfügen, drücken
ihre Kritik allgemeiner gegenüber der mangelnden moralischen Integrität politischen
Handelns aus.
Gesellschaftsverändernde Handlungsoptionen
Prädikatoren:
[K 5.2 Worin sieht der Jugendliche Beiträge zur Überwindung der Armut in Bangladesch und welche
Rolle kommt ihm dabei zu?]
Auch die Erfassung gesellschaftsverändernder Handlungsoptionen steht in engem
Zusammenhang mit dem Anschluss an weiterführende Bildung. So empfinden die
befragten Jugendlichen, die das College besuchen, ihre Umwelt als durch sie
veränderbar. Hierzu wird die eigene Bildung von ihnen als wichtige Voraussetzung
bewertet. Darüber hinaus sehen die Jugendlichen mit exklusiver Bildung und etablierter
Herkunft ihre herausragende Stellung als Motivation, verändernd in die Gesellschaft
einzugreifen. Mit der Ressourcenausstattung wächst unter den Befragten also auch die
Größe der angestrebten gesellschaftverändernden Projekte und der für die Gesellschaft
empfundenen Verantwortung. Folglich empfinden die Jugendlichen, die lediglich über
eine Grundbildung verfügen, ihre gesellschaftliche Rolle als passiv und die darin
bestehenden Bedingungen als durch sie nicht veränderbar.
85
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
6. Diskussion
In diesem Kapitel sollen nun die bereits fallspezifisch wie auch zum Teil
fallübergreifend strukturierten Ergebnisse der Studie in ein übergreifendes Bild
eingefügt werden. Dies wurde bereits im Kapitel 4.2 über die Datensammlung hinaus
als
ein
Ziel
der
Studie
formuliert.
Danach
wird
auch
das
gewählte
entwicklungspsychologische und geographische Analyseraster nochmals in den Blick
genommen. Ein Ausblick auf Ideen und Anregungen, die über diese Studie hinausgehen
und Raum für Folgestudien geben, schließt sich an.
6.1 Zusammenfassende Interpretation der Ergebnisse
Auf den ersten Blick könnte die analysierte Zukunftsorientierung der befragten
Jugendlichen kaum unterschiedlicher ausfallen. Darin spiegeln sich recht eindrucksvoll
die Ungleichheiten innerhalb der bangladeschischen Jugend wider, die von außen
betrachtet leicht übersehen werden. Mit der Jugend in Bangladesch sind neben den
Begriffen Armut, Existenzkampf und Abhängigkeit ebenso fest die Begriffe Bildung,
Leistungsbereitschaft und der Mut zur Veränderung verbunden. Dennoch lassen sich
auch innerhalb der enormen Spannbreite unter den befragten Jugendlichen neben
Unterschieden auch Gemeinsamkeiten finden und interpretieren.
Die befragten Jugendlichen schildern ihren gewöhnlichen Tagesverlauf als fest
strukturiert. Ihre Freizeit verbringen sie im Aktionsfeld ihrer Familie. Ein
institutionalisiertes Freizeitleben in Clubs und Vereinen, wie dies bei Jugendlichen in
Mitteleuropa die Regel ist, schildern sie nicht. Große Bedeutung messen die
Jugendlichen dagegen ihrer Arbeit beziehungsweise ihrer Schulbildung und dem für sie
dazugehörenden Nachhilfeunterricht zu. Dies begründen sie mit der Einschätzung, dass
ihre Zukunft abhängig von der von ihnen erbrachten Leistung ist. Dementsprechend
erklären die Jugendlichen, dass Fleiß und Leistung auch in Zukunft von ihnen
angestrebte Tugenden seien. Dieses Bild einer pragmatischen und zielorientierten
Jugend konkretisiert sich in dem von ihnen stark betonten kulturell-sachlichen
Entwicklungsziel der sozialen und ökonomischen Etablierung. Die in Deutschland
bestimmenden Ziele der intra- und inter-personellen Entwicklung (vgl. Albert, 2010),
wie beispielsweise die Entwicklung der eigenen Sexualität oder der Ablösung von der
86
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Familie, konnten bei den ökonomisch schwächeren Jugendlichen nicht festgestellt
werden. Hingegen ist das Alltagsleben bereits in diesem frühen Alter sehr stark durch
Erwerbstätigkeit und Verantwortung bestimmt, wie es bei westlichen Jugendlichen
keineswegs erwartet wird. Lanoon arbeitet wie viele andere junge Menschen bereits seit
frühester Jugend.
Es zeigt sich, dass die von außen als prekär wahrgenommene Umwelt auch von den
Jugendlichen als solche erkannt wird. Diese kann ihrer Meinung nach nur durch die
eigene Entwicklung bewältigt werden. In diesem Zusammenhang nehmen die
Jugendlichen die Vulnerabilität der gesundheitlichen Probleme und der Risiken ihrer
Umwelt in besonderem Maße wahr. Dies wird daraus ersichtlich, dass alle befragten
Jugendlichen, die über die entsprechende Schulbildung verfügen, den Arztberuf
anstreben. Zumindest bezeichnen von den vier betroffenen Jugendlichen Nazia und
Prija eine Verbesserung der prekären gesundheitlichen Situation für Teile der
Gesellschaft als explizit notwendig. Vorsicht ist bei der verallgemeinernden
Interpretation gleichwohl am Platz: Der Arztberuf könnte auch lediglich stellvertretend
für den Wunsch nach einer besonderen sozialen Etablierung stehen.
Die Entwicklung, die das Bildungssystem in Bangladesch in den letzen Jahren
durchlaufen hat, zeichnet sich darin ab, dass die Jugendlichen dieser Ressource für ihre
Zukunftsorientierung große Bedeutung zuschreiben. So wissen alle befragten
Jugendlichen, auch diejenigen, die ausschließlich über eine Grundbildung verfügen, um
den Wert von Bildung für die nachhaltige Erschließung von Sach- und Finanzkapital.
Diejenigen Jugendlichen, die bereits über eine weiterführende Bildung verfügen,
benennen diese als wichtigen Grundpfeiler ihrer bisherigen und zukünftigen
Entwicklung. Den Wert von Bildung knüpfen
die Jugendlichen
über das
Bildungszertifikat hinaus an eine für sie positiv belegte Handlungserfahrung. Aus dieser
Erfahrung heraus gelingt es, eine Selbstwirksamkeit zu generieren, die einen großen
Teil ihres personellen Kapitals ausmacht. Lanoon, der nur über eine abgebrochene
Grundbildung verfügt, versteht dies als relativen Nachteil seiner Zukunftsorientierung.
Durch diese Einschränkung hat er das Gefühl, an der Entwicklung des eigenen Landes
nicht teilhaben zu können. Das könnte ein Beleg für den bestehenden Verteilungskampf
sein, der trotz oder sogar wegen der Verbesserungen im Bildungssektor um die
87
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Erschließung der Ressource Bildung in Bangladesch geführt wird. Das Beispiel Lanoon
zeigt die Sprengkraft, die in der Bildungsentwicklung liegen kann, weil offensichtlich
nicht alle Jugendlichen daran teilhaben können.
Die Erschließung der Ressource Bildung ist für alle befragten Jugendlichen eng
gekoppelt an die Verfügbarkeit von Finanzkapital. Drei der befragten Jugendlichen
erachten daher die Fortsetzung der bestehenden Bildungslaufbahnen, ob nun in der
Sekundarstufe oder im Studium, als faktisch nicht möglich. Ihr eingeschränktes
Finanzkapital hindert sie an dieser zukünftigen Handlungsoption. Für den anderen Teil
der Jugendlichen entstehen aus der Finanzfrage zum Teil beträchtliche Dependenzen
gegenüber den für sie verantwortlichen Familienangehörigen. Zur kulturell tradierten
Abhängigkeit kommt also eine finanziell begründete Abhängigkeit hinzu.
An diesen Punkt knüpfen die neueren Programme zur Grundbildung von Mädchen an.
Wie bereits im dritten Kapitel beschrieben, wird im Rahmen dieser Programme während
der Zeit der Primarbildung Geld auf ein externes, erst nachträglich belastbares Konto
eingezahlt. Die finanzielle Abhängigkeit der Jugendlichen wird also gelöst, ohne sie
dem Stützsystem ihres Sozialkapitals zu entziehen.
Es lastet jedoch ein enormer emotionaler Druck auf den Jugendlichen, wenn sie eine
erfolgreich begonnene Bildungslaufbahn nicht zufriedenstellend im Sekundärbereich
weiterführen können. Dies lässt sich anhand der Aussagen von Prija belegen. Derartige
Programme zur Begleitung von jungen Frauen sollten daher zumindest bei guten
Leistungen über den gesamten Zeitraum ihrer Bildungslaufbahn verlaufen.
Die Zahlen zur Bildungssituation in Bangladesch dokumentieren aber auch ein
Zurückbleiben der finanziell nicht etablierten männlichen Jugendlichen gegenüber den
weiblichen Jugendlichen bei der Schulbildung. Da, wie am Beispiel von Lanoon
nachzuvollziehen, ihre Bildungslaufbahn auch bei sehr guten schulischen Leistungen
oftmals durch die Notwendigkeit des Gelderwerbs im frühen Jugendalter abgebrochen
wird, erscheinen auch für männliche Jugendliche derartige Programme sinnvoll.
Als Auswirkung der kulturell tradierten Abhängigkeit lässt sich vor allem die
Abneigung von Prija und Nazia gegenüber der Institution Ehe verstehen. Zu
interpretieren ist diese Abneigung als Angst, die durch Berufstätigkeit und finanzielle
Unabhängigkeit erlangte soziale Etablierung und Entscheidungsfreiheit zukünftig
88
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
wieder aufgeben zu müssen. Im Falle einer frühen Heirat besteht berechtigterweise die
Befürchtung, die soziale Etablierung wegen einer möglichen Einschränkung der
Handlungsoptionen durch ihren Ehemann erst gar nicht zu erreichen. Welche
Spannungen und kulturellen Veränderungen sich durch eine Rebellion gut gebildeter
Frauen gegen die bangladeschische Gesellschaft ergeben könnten, bleibt abzuwarten.
Noch immer werden 66% aller weiblichen Jugendlichen vor dem 19. Lebensjahr
verheiratet. Das Spannungsverhältnis, in dem sich wohl viele von ihnen bewegen, lässt
sich am Beispiel von Fatima herausarbeiten. Auf der einen Seite bewirken die von
ihrem sozialen Netzwerk ausgehenden Einschränkungen ihrer Handlungsoptionen eine
mangelhafte Existenzsicherung. Das heißt, aufgrund des Verbots seitens ihrer
Schwiegerfamilie,
für den Gelderwerb zu arbeiten, ist ihre Zukunftsorientierung
eingeschränkt. Auf der anderen Seite weiß Fatima auch um die ökonomische Bedeutung
von sozialen Netzwerken für ihre zukünftige Existenzsicherung. Ihr ist bewusst, dass
ihre Zukunft akut bedroht ist, wenn sie sich dem Verbot widersetzt. Die bestehende
Abhängigkeit wird durch das zu zahlende Brautgeld weiter verstärkt.
Dass Fatima ausgerechnet der Textilindustrie, die für ihre Dumpinglöhne und
schlechten Arbeitsbedingungen in Bangladesch heftig kritisiert wird, eine hohe
Bedeutung für ihre eigene Zukunftsorientierung zurechnet, wirft neues Licht auf diese
Debatte. Die Textilindustrie positioniert sich dabei als Dreh- und Angelpunkt des
Abhängigkeitsverhältnisses, in dem die weiblichen Jugendlichen in Bangladesch stehen:
Auf der einen Seite vermag es die Textilindustrie vermutlich in der Wahrnehmung der
jungen Frauen, angesichts der für sie anders nicht zugänglichen Berufstätigkeit
Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und ihnen so unabhängige Zukunftsoptionen zu
vermitteln. Auf der anderen Seite nutzt die Textilindustrie gerade diese kulturell
bedingte Abhängigkeit aus, um schlecht bezahlte Arbeitskräfte zu gewinnen. Dass dies
von Jugendlichen in Bangladesch ebenfalls wahrgenommen wird, zeigen die
zunehmenden Proteste gerade von jungen Frauen aus der Textilindustrie.
Der von den Jugendlichen empfundene Optimismus oder Pessimismus stützt sich in
großem Maße auf ihre Prognose, ob das nötige Kapital nachhaltig zur Verfügung steht
und ob sie mit dessen Hilfe ihre Kapitalausstattung insgesamt vergrößern können. Diese
Einschätzung projiziert sehr exakt die jetzige Situation der Jugendlichen in ihre
89
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Zukunftsorientierung.
Darin
wird
deutlich,
wie
realistisch
sie
ihre
eigene
Kapitalausstattung und ihre Abhängigkeiten einschätzen und wie wichtig positive
Handlungserfahrungen für das personelle Kapital ihrer Zukunftsorientierung sind. Der
festgestellte enge Zusammenhang zwischen persönlicher und gesellschaftlicher
Zukunftseinschätzung könnte belegen, dass diese Erfahrungen auch Bedeutung für die
Zukunft des ganzen Landes haben.
Zwischen den Faktoren, welche sowohl die Jugendlichen mit pessimistischer als auch
diejenigen mit optimistischer gesellschaftlicher Zukunftseinschätzung als relevant
benennen, ergeben sich große Überschneidungen. Dreißig Jahre nach dem Kampf für
die Unabhängigkeit Bangladeschs sind die befragten Jugendlichen politisiert und zum
Teil äußerst kritisch gegenüber der Regierung und den Eliten des Landes. Die
Jugendlichen teilen darin die Einschätzung, dass die Verantwortlichen Bangladeschs
über weite Teile korrupt seien und nur zum Wohle einiger Weniger handeln. Die Kritik
fokussiert sich auf die für weite Teile der Bevölkerung ausbleibende Infrastruktur im
Bildungs-
und
Gesundheitsbereich.
Ob
die
Jugendlichen
daraus
für
die
Zukunftsaussichten des Landes den Schluss einer negativen oder einer positiven
Einschätzung ziehen, hängt von ihrer subjektiven Gewichtung der Faktoren ab. Diese
wird durch den Grad ihrer persönlichen Betroffenheit beeinflusst. Von den stärker
negativ betroffenen Jugendlichen werden die Gründe für die bleibende Armut noch
etwas deutlicher beschrieben. Hierbei werden auch die inflationär steigenden
Lebensmittelpreise der sich verändernden Landwirtschaft genannt.
Nicht zuletzt äußern die befragten Jugendlichen Kritik an der innenpolitischen
Instabilität ihres Landes. Dabei kritisieren sie sowohl die mit ihr verbundene physische
Gewalt als auch die Untätigkeit der Regierung gegenüber den Missständen in der
Gesellschaft.
Die Handlungsoptionen, die die Jugendlichen aus ihrer Wahrnehmung eines politisch
schwachen Staates ableiten, erinnern überraschenderweise an jene Denkstrukturen, die
in den neoliberalen Industriestaaten des Westens festgestellt werden konnten (Lemke,
2000). Die Selbstverantwortung, die der starke neoliberale Staat als sein Credo predigt,
entwickelt sich gleichzeitig im schwachen Staat Bangladesch als Rückzugs- und
Hoffnungslinie für die Handlungsoptionen von Jugendlichen. In dieser Hinsicht ist die
90
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
starke Betonung der kulturell-sachlichen Entwicklung durch die Jugendlichen erweitert
zu interpretieren: Für die Jugendlichen eröffnet die soziale Etablierung die Hoffnung,
für die Anstrengungen und Risiken ihrer Zukunftsorientierung finanziell kompensiert zu
werden. Dies wirkt sich als Denkschema moralisch und disziplinierend auf die
Zukunftsorientierung aus, indem es Fleiß und Leistung als Tugend etabliert. Das
Denken speziell der befragten etablierten Jugendlichen, wonach die Armut anderer
durch die betroffenen Jugendlichen selbst zu verantworten ist, geht aus einigen ihrer
Aussagen hervor. Für sie scheint diese Einschätzung nicht im Widerspruch zur Kritik an
der Regierung zu stehen. Vielmehr haben sie über die Handlungsunfähigkeit der
Regierung resigniert und übertragen in der Folge deren Verantwortung auf sich selbst.
Dies wird besonders in den Aussagen von Nafees deutlich. Es gilt vor allem für die
gesellschaftlichen Risiken Armut, Krankheit und fehlende Bildung, die nach diesem
Denken selbstverantwortlich gemeistert werden müssten.
Auffällig ist, dass die von den befragten Jugendlichen genannten Risiken nur einen Teil
des für den Untersuchungsraum objektiv geltenden Vulnerabilitätskontextes darstellen.
Hingegen wurden die international sehr stark wahrgenommenen naturräumlichen
Risiken Bangladeschs von den befragten Jugendlichen nicht erwähnt. Dies ist umso
erstaunlicher, als die Jugendlichen etwa durch die Überschwemmungen am Fluss
Padma oder durch die Dürren im Norden der Provinz Rajshahi selbst davon betroffen
sind. Zumindest die Jugendlichen, die das College besuchen, dürften wohl über die
Folgen des Klima- und Landnutzungswandels insofern in Kenntnis gesetzt sein, als dass
sie diese für die Situation ihres Landes als relevant einschätzen müssten. Sollten sich
selbst die gut gebildeten Jugendlichen als zukünftige Verantwortungsträger der
bangladeschischen Gesellschaft dessen nicht bewusst sein, wäre dies für Bangladesch
äußerst problematisch. Auch bei Fatima und Lanoon ist von der Kenntnis dieser
Probleme auszugehen, leben sie doch unmittelbar am Fluss Padma. Eine Verteuerung
der Lebensmittel in Folge von Dürren wirkt sich gerade auf sie spürbar aus. Wenn die
Problematik trotzdem nicht explizit genannt wird, ist anzunehmen, dass diese latenten
naturräumlichen
Risiken
von
den
alltäglich
spürbaren
Risiken
ihrer
Zukunftsorientierung überlagert werden. Tatsächlich stellt sich die Frage, durch welche
Ressourcen sich Jugendliche wie Fatima und Lanoon vor solcherlei Risiken schützen
sollten. Vermutlich liegt gerade in der Bewältigung der alltäglichen Existenzsicherung
91
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
in ihrem Denken die einzige Möglichkeit, ihre Resilienz gegenüber den naturräumlichen
Risiken
zu
vergrößern.
Die
Unterstützung
der
Jugendlichen
bei
ihrer
Zukunftsorientierung stellt damit eine wichtige Voraussetzung zur Bewältigung der
gesellschaftlichen und naturräumlichen Risiken Bangladeschs dar.
6.2 Reflexion des Analyserasters
Das Analyseraster, an dem die Interviews in Bangladesch und deren Auswertung
ausgerichtet wurden, ist in den Kapiteln 4.2 und 4.3.1 dieser Arbeit beschrieben. Nach
der Auswertung sowie der zusammenfassenden Interpretation liegt es nahe, im
Rückblick das Analyseraster selbst einer Bewertung zu unterziehen.
Grundsätzlich hat sich aus Sicht des Autors bestätigt, dass sich die Frage nach der
spezifischen Ausstattung mit unterschiedlichen Kapitalien als Leitlinie für die
Untersuchung der Handlungsoptionen jugendlicher Zukunftsorientierung geeignet hat.
Das lässt sich insbesondere damit belegen, dass sich die persönlichen Aussagen der
Jugendlichen sehr gut in die verschiedenen Kategorien des Rasters einordnen ließen,
obwohl den Jugendlichen das Raster selbst nicht bewusst gemacht wurde.
Das gilt insbesondere für die Aussagen im Zusammenhang mit der nachhaltigen
Zukunftsorientierung, wie sie im Kapitel 2.5 formuliert sind. Auch die darin enthaltenen
Fragestellungen finden sich in den Aussagen der Jugendlichen wieder.
Schließlich hat sich auch gezeigt, dass der Sustainable-Livelihood-Approach, wie im
Kapitel 2.1 angedacht, die Lücke zwischen Makro- und Mikroebene so zu schließen
hilft, dass die Auswirkungen und Verbindungen der beiden Ebenen ihr eigenes Gewicht
behalten. Dies wurde in Kapitel 6.1 an einigen Stellen illustriert.
Allerdings muss noch auf eine spezielle Problematik hingewiesen werden, die beim
Vergleich von Ergebnissen der Studie mit ähnlichen Analysen aus dem westlichen
Raum beachtet werden muss (Albert et al., 2010): Wie vielfach angesprochen, stellt sich
das Alltagsleben der Jugendlichen in Bangladesch wesentlich anders dar als in den
westlichen Industrienationen. Genannt seien nur noch einmal der extrem frühe Beginn
des Erwerbslebens und die ebenfalls extrem frühe Verheiratung von Mädchen. Von
daher könnte man fragen, ob die Abgrenzung des Jugend-Stadiums mit einem Alter von
21 Jahren, wie es im Westen üblich ist, hier überhaupt sachgerecht war. Allerdings:
92
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Würde man aus den genannten Gründen in Bangladesch nur Jugendliche z.B. bis zum
Alter von 14 betrachten, so würden in den Ergebnissen gerade die wesentlichen
Unterschiede verdeckt, die in der Altersgruppe 15 bis 21 Jahren zwischen den
verschiedenen Jugend-Welten festzustellen sind. Von daher kann nur daran festgehalten
werden, für die Untersuchung der Zukunftsorientierung hier wie dort dasselbe AltersRaster zu verwenden. Allerdings erfordert dies auch, das Denken und Verhalten
innerhalb der genannten Altersgruppe differenziert zu betrachten.
6.3 Ausblick
Da die vorliegende Studie ein bisher wenig erforschtes Feld betrifft, bietet sich zum
Abschluss ein Ausblick auf ihre Anwendungsfelder und auf mögliche Folgestudien an.
Vorausgegangene Betrachtungen von Jugend in Entwicklungsländern differenzierten
diese oftmals gar nicht oder nur nach sozio-ökonomischem Hintergrund. Dies steht im
Gegensatz zur westeuropäischen Betrachtung von Jugend seit dem Ende der 1970er
Jahre. Ausgehend von Bourdieu (2010) werden seitdem soziale Typen der Jugend eines
Landes, wie etwa Milieus oder Cliquen, bezüglich ihres Habitus untereinander
differenziert.
Die festgestellten Differenzen im Denken und Verhalten innerhalb der Jugend
Bangladeschs legen auch für dieses Feld eine solche differenzierte Betrachtung nahe.
Die Dringlichkeit dessen ergibt sich insbesondere aus den beschriebenen Umbrüchen im
Bildungsbereich und daraus folgend auch im Kulturbereich in der Jugend Bangladeschs.
Die bisher eindimensionale ökonomische Betrachtung von Jugend wäre dabei um
zusätzliche Achsen wie Werteausrichtung und Bildung zu einer Soziomatrix zu
ergänzen. Anhand dieser könnte der gesellschaftliche Raum von Entwicklungsländern
umfassender beschrieben werden. Um solch eine Typenbildung innerhalb der
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch vorzunehmen, bedarf es in
Folgestudien einer weit größeren Anzahl an befragten Personen. Die qualitativ
erhobenen Ergebnisse der vorliegenden Studie könnten ein darauf aufbauendes
quantitatives Design der Datenerfassung zukünftig erleichtern.
Wie bereits im Kapitel 6.1 beschrieben, wurden naturräumliche Veränderungen, wie
etwa die Folgen des Klimawandels, von den befragten Jugendlichen nicht erwähnt. Um
93
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
die Auswirkung dieser Veränderungen auf die Zukunftsorientierung von Jugendlichen
in Bangladesch explizit zu ermitteln, müsste man die Fragstellung von Folgestudien
dahingehend forcieren und vermutlich auch auf andere Landesteile Bangladeschs
ausweiten.
Praktische Anwendung könnten die Ergebnisse der Studie zukünftig in der
Entwicklungsarbeit von staatlichen Verantwortungsträgern wie auch von NGO’s finden.
Gerade die schulische Vermittlung von Handlungsstrategien zur nachhaltigen
Zukunftsorientierung kann eine Möglichkeit zur Förderung Jugendlicher darstellen.
Hierbei kann zukünftig auf die Ergebnisse der Studie zurückgegriffen werden. Die
Förderung kann dabei aber auch weit über die formelle Bildung hinausgehen. Ein
praktisches Beispiel wären Programme zur begleiteten Vergabe von sehr gering
verzinsten Minikrediten. Diese könnten den Jugendlichen helfen, das dann verfügbare
Finanzkapital nachhaltig und strategisch sinnvoll für ihre Zukunftsorientierung
einzusetzen. Die gewonnenen Erkenntnisse, etwa über die große Bedeutung von
positiven Handlungserfahrungen, das Wirken autoritärer Einschränkungen der
Handlungsoptionen oder den Wert sozialer Sicherungssysteme stellen eine Basis für
solche Programme dar. Diese würden einen sinnvollen Gegensatz zur bisher weit
verbreiteten Praxis der unbegleiteten, aber hochverzinsten Kreditvergabe darstellen. Die
Evaluierung solcher Programme bietet darüber hinaus Raum für Folgestudien.
Nicht zuletzt bieten sich aber die Ergebnisse der Studie auch für den Einsatz in
deutschen
Schulen
konstruktivistische
an.
Einen
passenden
Ansatz
Teaching-Through-Geography
stellt
Ansatz
etwa
(Leat,
der
moderat-
2008)
dar.
Beispielsweise bietet auf Grundlage der Studie entworfenes Material den Schülern die
Möglichkeit, sich in die bestehenden Lebenswelten, Ressourcen, Herausforderungen
und Risiken der sechs befragten Personen hineinzuversetzen und daraus für die
Jugendlichen eine Zukunftsorientierung zu entwickeln. Ein Vergleich der durch die
Schüler gezogenen Schlüsse mit denjenigen ihrer bangladeschischen Gleichaltrigen
dürfte sich als sehr eindrucksvoll erweisen. Die Kenntnis der Zukunftsorientierung von
Jugendlichen in anderen Lebenswelten regt darüber hinaus zur Reflexion der eigenen
Zukunftsorientierung
an.
Beim
Vergleich
zwischen
der
eigenen
und
der
bangladeschischen Zukunftsorientierung werden die Ähnlichkeiten und Unterschiede
94
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
klar vor Augen geführt. Sie stehen in engem Zusammenhang mit dem im badenwürttembergischen Bildungsplan (2004) formulierten Eine-Welt-Gedanken: Obwohl
die Unterschiede der lokalen Handlungsmöglichkeiten sehr groß sind, stehen sie in
unserer globalen Welt doch in einem inneren Zusammenhang.
Alle bisher genannten Folgestudien und Anwendungsfelder gehen hinsichtlich
Zeitbedarf, finanziellem Aufwand und Manpower weit über das hinaus, was im Rahmen
einer Examensarbeit geleistet werden kann, und sind nur im Rahmen größerer
Forschungsprojekte leitbar.
Die Entstehung der vorliegenden Examensarbeit ist für mich mit vielen persönlichen
Erfahrungen verbunden. Als Herausforderung und große Bereicherung empfand ich es,
sich von einem wissenschaftlich zu bearbeitenden Feld intensiv und nachhaltig berühren
zu lassen. Daher möchte ich selbst den Gedanken dieser Arbeit im Lebenslauf
weiterverfolgen und auch Kolleginnen und Kollegen ermuntern, dies zu tun.
95
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Danksagung
Diese Arbeit wäre ohne die große Hilfe von vielen Seiten nicht möglich gewesen.
Zunächst möchte ich mich bei den sechs Jugendlichen bedanken, die mit ihrer offenen
Gesprächsbereitschaft die Grundlage für diese Arbeit geschaffen haben. Wenn sie nicht
den Mut dazu gehabt hätten, mir ihren Alltag und ihre Wünsche und Sorgen für die
Zukunft in den Interviews anzuvertrauen, wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.
Auch
meinen
einheimischen
Begleitern,
die
mir
während
meines
Forschungsaufenthaltes mit ihrem Rat, ihrer Umsicht und ihrem sprachlichen
Einfühlungsvermögen zur Seite standen, möchte ich hiermit danken. In der Zuversicht,
dass sie ihre Zukunft meistern werden, wünsche ich ihnen allen Gottes Segen. Es sind
dies:
Fahim, Nafees, Nazia, Fatima, Lanoon, Wasil, Prija
Besonders bedanken möchte ich mich bei Melina Korn, die mir während der
aufregendsten Zeiten der Forschung für diese Arbeit zur Seite stand und durch ihre
feinfühlige Interviewführung mit zwei der befragten weiblichen Jugendlichen
wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beitrug.
Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Gregor Falk. Er gab mir durch seine
Bereitschaft, mich an seinem großen Wissen über Bangladesch und an seinen
wertvollen Verbindungen dorthin teilhaben zu lassen, den Mut zur Forschung in diesem
Feld. In diesem Zusammenhang gilt mein Dank auch Prof. Dr. Raquib Ahmed, der mir
durch seine Gastfreundschaft und die Hilfe bei der Organisation in Rajshahi eine sichere
Basis bot.
Bei Prof. Dr. Karin Schleider und Michael Müller möchte ich mich für die Offenheit
gegenüber meiner nicht unbedingt alltäglichen Themenwahl bedanken. Durch ihr
offenes Ohr und ihr reichhaltiges Forschungswissen wurde das Design dieser Studie
maßgeblich mitgeprägt.
Schließlich gilt mein Dank auch Anne Joas. Sie begleitete mich während der Phase des
schriftlichen Arbeitens, gab mir den Mut, in Durstphasen weiterzuarbeiten, und fing
96
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
nicht zuletzt auch meine Emotionen auf, die durch die Erfahrungen in Bangladesch
ausgelöst wurden.
97
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
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100
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1-6: Johannes Bertsch
Abb. 7-8: Lisa Aubertin
Abb. 9-16: Johannes Bertsch
Abb. 17: Lisa Aubertin
Abb. 18: Johannes Bertsch
Abb. 19: Prof. Dr. Gregor C. Falk
Abb. 20–25: Johannes Bertsch
Abb. 26: Bangladesh Bureau of Statistics
Abb. 27–30: Johannes Bertsch
101
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
7. Anhang
7.1 Interviewleitfaden
Johannes Bertsch
PH Freiburg
Manual
Future-orientation of adolescents in Bangladesh
Code-Nummer:_____________________________________________
Place:__________________________ Provinz:_____________________________
Date/Time:______________________________________________________
Instruction:
We are a group of scientists from a University of Education in Germany. In our
Interviews we are interested in adolescents’ imaginations for the future. So we will ask
about your feelings for the future and about the society of Bangladesh.
This knowledge is useful for political decisions and general assessments.
With your contribution you will be a part of a project of the University of Education in
Freiburg. This would be very helpful.
102
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Warm-Up
1. What are you doing at a usual day? Perhaps yesterday was a usual day. Can you
tell me what you have done yesterday?
a. What was nice?
b. Is there something which was not nice? What was your motivation to do it?
Vision of future
2. Imagine that I will meet you again in five years. Can you tell me a story about a
typical day, you’ll have then?
Are you telling me about the future, you wish like?
What about other wishes, like family, partnership, working or earning some money?
Strategies (first step)
3. What do you have to do for realizing these wishes?
Possibility: „I can’t do anything“
4. But why? Can you explain me your problems?
5. Is your future depending on the decisions of other persons?
Perhaps you can tell me a typical situation?
Strategies (second step)
6. What do you need to realize your wishes?
Which of these assumptions you have not yet?
Do you see any possibility to get these assumptions?
7. Who can help you to make your wishes come true?
Hope
8. Do you think your wishes will become true?
Optimism
9. How do you assess the future of Bangladesh?
What gives you some hope? What are you afraid of?
103
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Last question
10. Would you like to add something, which could be interesting for this subject?
Allgemeine Daten
Geschlecht: m:____ w:______
Alter: ___________
Tätigkeit:__________________________________________________
(wenn Schüler) welche Schulart:_______________________________
Welcher Schulabschluss wird angestrebt:___________
(wenn in Arbeit) Tätigkeitsfeld:_________________________________
Ausbildung: ja_____ nein______
Im Betrieb der Eltern: ja_____ nein______
Tätigkeit der Eltern: ______________________________________________
Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben:
Kategorien müssen noch gefunden werden – Kodierung?
____________________________________________________________
____________________________________________________________
____________________________________________________________
____________________________________________________________
____________________________________________________________
104
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
7.2 Transkriptionsregeln
-
Die Transkription erfolgt in englischer Standardorthographie.
-
Wo notwendig, darf das Textmaterial einer korrekten Grammatik angepasst
werden.
Dieser Fall ergibt sich genau dann, wenn der Sinn des Gesagten zwar im
Kontext noch verständlich, als einzelnes Zitat jedoch unverständlich ist.
-
Bitte vollständig und wörtlich transkribieren.
-
Unvollständige und deshalb unverständliche Aussagen sowie Wiederholungen
werden weggelassen.
-
Bei Pausen werden Gedankenstriche ( - ) verwendet, bei längeren Pausen
können mehrere Gedankenstriche ( -- ) verwendet werden. Wenn der Grund der
Pause bekannt ist, soll dieser mit angegeben werden.
-
Auffällige Betonungen sollen unterstrichen werden.
-
Auffälligkeiten wie Lachen oder Räuspern sollen als Kommentare in deutscher
Sprache in Klammern wiedergegeben werden.
-
Die arabischen Redewendungen „inschallah“ (wenn Gott will), „allhambrullah“
(mit Gottes Hilfe) und „Donobat“ (Danke) werden entsprechend angegeben.
105
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
7.3 Transkriptionen und Kategorisierung
7.3.1 Prija
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5
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7
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9
10
11
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20
21
22
Code-Nr: Raj 3-2
Name: Prija
Ort: Rajshahi , Adorsho School, Klassenzimmer
Datum / Zeit: 12.12.2010 13.00 Uhr – 13.30 Uhr
MK: Okay – Prija. First of all I want you to explain the subject of our Interviews.
The subject is about your imagination of the future and so I want to ask you some
questions. The first question I want to ask you is: What is your usual day like?
Perhaps yesterday was such a usual day. How was it?
Interpreter: I wake up mostly at 7.30 then I have first my breakfast. Then I have
my coaching. Then I come back home about 10.00. Then I have my bath –
something like that. Then I go to school at 11.00 and spent my time in school up
to 4.30 pm, okay. I return to my house at 5.00. At this time I take my lunch. And
then I go to another coaching. At 7.00 I come back to my parents and have a talk.
Then I again start my study. At 9.30 I have to serve dinner. Then I again start
study up to 1.30 am. Then I sleep.
MK: Just a question in between. How many brothers and sisters do you have?
And where are you living?
Interpreter: I have one brother and I’m living next to the river.
MK: Thank you for this first impression. I want to know now: What is nice at
your usual day?
Interpreter: School and class.
MK: School and class? And why?
Interpreter: When I’m in school and having my classes, my studying is more
effective than studying in my house.
MK: Are friends also important?
Interpreter: Yes it is also important but not that much. School is more important
than friends.
MK: And is there something in your usual life which is not so nice? What do you
not like to do?
Prija: No.
MK: Hm. I want to speak now about your visions of your future. And I would
like you to imagine that I will meet you again in five years. Can you tell me a
story about a typical day you will have then?
Prija: Hmm?
MK: Perhaps. What is about family? Do you think you will be married in five
years?
Interpreter: No! I will never get married! I don’t like to be married. I want to be
someone. I want to be myself. I want to study. I want to be something. And not
only a wife.
MK: And what work you can imagine?
Interpreter: I don’t know that. After my tenth grade examination I will think
about that.
MK: But you told me that you preferred subject is chemistry. So, do you want to
be scientist?
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43
Interpreter: No. That’s not possible for me.
MK: Oh no. I don’t talk about possibilities. I’m talking about your wishes. What
do you like to do?
Interpreter: I wish to be a doctor.
MK: Oh good! Do you think that that your wish will become true one day?
Interpreter: I have to work hard. But I don’t have that opportunity. My family is
very poor. So I have no financial support to become a doctor. So I also don’t
have any moral support from my family or my parents. But I really like to be a
doctor. But it depends on money. So I have no opportunity.
MK: Can you think at any strategies to get that money although your family is
poor?
Interpreter: No. After my tenth grade I will think about the right strategy.
MK: Is there something you can do now to realize your wish, to become a
doctor?
Interpreter: Schweigen No it’s too difficult.
MK: And do you have another wish? If it doesn’t work with the wish to become
a doctor?
Interpreter: I want to have one of these good governmental jobs. But I really want
to be a doctor.
MK: And what’s your motivation to be a doctor?
Interpreter: I’m good in studying. And doctor is a good job. So why should I
think about anything else. And I also want to help other persons.
MK: I also want to ask you about your future of your society. How do you assess
the future of your society?
Interpreter: I believe that Allah has given us the same thing, the same brain. But
if the people of Bangladesh don’t train their brains they can’t get good jobs. But I
want to use my brain to improve this Bangladesh society. Obviously Allah wants
me to be a doctor.
MK: What Allah needs to do? And what do you need to do?
Interpreter: Allah has given me the main thing: my brain. And now I have to use
it. I have to do everything to become a doctor. I have to study.
MK: And do you think that by studying your wish will become true?
Interpreter: I also have to listen to my parents. They want me to have a
governmental job. So I have nothing else than studying very hard to become a
doctor
MK: I’m very impressed. I have also two last questions about the future of
Bangladesh. What do you think about the future of Bangladesh?
Interpreter: I don’t know pretty good about the government work. What the
government want to do, that will happen with Bangladesh. I think that the future
of Bangladesh is not so good. We usually have much of fights between the two
groups here in Bangladesh. You know that there are two political groups. There
are strikes and anything else. These affect Bangladesh. These are very bad things
but they cannot be stopped. And because of that, Bangladesh will not be able to
improve. The population really suffers from that. In this fights the families loose
the sons. And when they lose their sons, nobody can give financial support to
them. Everybody thinks about politics. But nobody thinks about science. They
think: This party is doing this and we will stop them. Then one will die. Then the
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families lose their fathers or sons. So, by this political thing the population
suffers. This is a very bad thing.
MK: And is there something that gives you hope.
Interpreter: When this political things stop, then Bangladesh will improve.
MK: And are there some things, which you can contribute to the future of
Bangladesh?
Interpreter: No I can’t do anything. I’m not in a political party. I’m too young to
do anything.
MK: Are there some smaller things we can do in our environment?
Interpreter: No I don’t know. Is that a problem?
MK: No, this is not a problem. But is there something else you want to say?
Prija: You are very beautiful.
MK: lachen. Thank you. You are also very beautiful.
53
Allgemeine Daten
54
Geschlecht: weiblich
Alter: 15
Tätigkeit: Schüler 9. Klasse
Schulart: College – Adorsho School
Angestrebter Schulabschluss: A-Level National Standard
Tätigkeit der Eltern:
Mutter: Hausfrau
Vater: Lastenträger in einer Ziegelei
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Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben:
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Prija wirkte während des Interviews sehr schüchtern. So nahm sie beispielsweise,
trotz offensichtlichem Bedarf von der Interviewerin kein Taschentuch an. Auch
die geringen Englischkenntnisse und die dadurch bedingte Abhängigkeit vom
männlichen Übersetzer erschwerten den Kontakt zwischen Prija und der
Interviewerin. Förderlich war vermutlich die Gesprächsführung durch eine
weibliche Interviewerin.
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Passage
Paraphrase
I wake up mostly at
7.30 then I have first
my breakfast. Then I
have my coaching.
Then I come back
home about 10.00.
Then I have my bath –
something like that.
Then I go to school at
11.00 and I spend my
time in school up to
4.30 pm, okay. I
return to my house at
5.00. At this time I
take my lunch. And
then I go to another
coaching. At 7.00 I
come back to my
parents and have a
talk. Then I again start
my study. At 9.30 I
have to serve dinner.
Then I again start
study up to 1.30 am.
Then I sleep.
7.30 aufwachen und
School and class...
Schön am Tag ist:
When I’m in school
and having my
classes, my studying
is more effective than
studying in my house.
Wenn ich in der Schule
Frühstück
Bis 10.00 Nachhilfe
Generalisierung
Kategorisierung
Tagesbeschäftigung
geprägt durch hohen
Arbeitsaufwand
hoher Arbeitsaufwand
wird positiv
wahrgenommen
Bad
11.00 bis 16.30 Schule
17.00 heimkommen und
Mittagessen und
Nachhilfe
19 .00 heimkommen,
Gespräch mit Eltern und
erneute Nachhilfe
21.30 Abendessen
servieren und lernen
1.30 Bett
bin und dort Unterricht
Effektives Lernen wird
als positiv wahrgenommen
habe, dann kann ich
effektiver lernen als
daheim
MK: Are also friends
Freunde sind wichtig.
Aber Schule ist
wichtiger als Freunde
Bildung wichtiger wie
Freunde
MK: And is there
Es gibt keine negative
Arbeit nicht negativ
something in your
Tagesbeschäftigung
important?
Interpreter: Yes it is
also important but not
that much. School is
more important than
friends
Soziale Netzwerke
(Freunde)werden dem
untergeordnet
usual life which is not
109
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
so nice? ... Prija: No.
No! I will never get
Nein! Ich will niemals
Abneigung gegen Ehe:
Ehe verhindert
married! I don’t like
heiraten. Ich möchte für
Wunsch nach
Unabhängigkeit
to be married. I want
mich als Person jemand
Unabhängigkeit
to be someone. I want
sein. Ich möchte
to be myself. I want to
studieren und nicht nur
study. I want to be
eine Ehefrau sein.
something. And not
only a wife.
No. After my tenth
Nein. Nach dem
Strategie zum Erreichen
Strategie: die
grade I will think
Abschluss der 10.
des Berufswunschs:
Zielverwirklichung wird
about the right
Klasse werde ich
Aufgeschoben
aufgeschoben. Bis dahin
strategy
darüber nachdenken
soll Leistung den
Ressourcenmangel
kompensieren
Interpreter: Schweigen
Handlungsoption jetzt:
Geringe Selbst-
Aber geringe Zuversicht
No it’s too difficult.
Nein, es ist zu schwierig
wirksamkeits-
in die Verwirklichung
Wahrnehmung
I want to have one of
Alternative: Guter
Alternative zum
these good
Regierungsjob. Aber
Berufsziel
governmental jobs.
eigentlicher
But I really want to be
Wunschberuf: Arzt
a doctor.
I’m good in studying.
Arzt weil: Ich bin ein
And doctor is a good
guter Schüler. Und Arzt
job. So why should I
zu werden ist ein guter
think about anything
Job. Weshalb sollte ich
- Gute Bildung
else. And I also want
über etwas anders
- Leistungsbereite
to help other persons
nachdenken. Und ich
Zukunft durch Leistung
Erstrebenswert ist:
- Verwirklichung des
Hilfe leisten
Traumberufs
Lebensführung
will anderen Menschen
helfen.
I believe that Allah
Allah hat uns allen den
Faire Verteilung der
Kognitive Ressourcen
has given us the same
selben Verstand
kognitiven Ressourcen
sind durch Allah fair
thing, the same brain.
gegeben. Aber wenn die
durch Gott
verteilt:
But if the people of
Bürger ihr Gehirn nicht
Bangladesh don’t train
nutzen, dann bekommen
Also kann Armut durch
Erfolg durch Leistung
(eigene) Leistung
110
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
their brain they can’t
sie keine guten Berufe.
get good jobs. But I
Ich will meinen
want use my brain to
Verstand einsetzen um
improve this
der Gesellschaft
Biographie ist göttliches
Leistung
Bangladesh society.
Bangladesch zu helfen.
Schicksal
Bildung
Obviously Allah
Offensichtlich will
wants me to be a
Allah dass ich Arzt
Leistung = Entwicklung
Religion:
doctor
werde.
für das Land
Großes Verantwortungs-
überwunden werden
Leistung ist Bildung
Ressourcen:
gefühl gegenüber der
göttlichen Berufung (=
Zielverwirklichung)
Gott wird als Hilfe
erkannt.
I also have to listen to
Abhängigkeit von
Berufswahl:
Fehlende Ressourcen:
my parents. They
Eltern. Deren
Abhängigkeit von Eltern
- finanzielle und
want me to have a
Vorstellung:
Berufswahl: kein
moralische
governmental job. So
Verwaltungsberuf i. d.
Rückhalt durch Eltern
Unterstützung
I have nothing else
Regierung. Einzige
than studying very
hard to become a
- Entscheidungsfreiheit
Berufswahl: Leistung
Möglichkeit Arzt zu
kompensiert fehlenden
werden ist die eigene
(Berufswahl von
Eltern eingeschränkt)
Rückhalt
doctor
Leistung
I don’t know pretty
- Wenig Wissen über
Angabe von geringem
Gesellschaftliche
good about the
Regierungsarbeit
Wissen über
Entwicklung negativ,
government work.
- In Bangladesch
Gesellschaft
weil:
What the government
passiert, was auch
wants to do, that will
immer die Regierung
Abhängigkeit der
von Regierung
happen with
möchte
gesellschaftlichen
- politische Instabilität
Bangladesh. I think
- Ich denke dass die
Zukunft von der
- Parteienstreit
that the future of
Zukunft Bangladeschs
Regierung
- Streiks
Bangladesh is not so
nicht gut ist.
good. We usually
- Streit der
Negative Einschätzung
have much of fights
Regierungsparteien und
der Zukunft des Landes
Politische Partizipation
against the two groups
Streiks verhindern
Politik
nicht gut für
here in Bangladesh.
Entwicklung des
-
- Streit zw. Parteien
Gesellschaft.
You know that there
Landes. Aber: keine
-
- Streik
are two political
Möglichkeit diese zu -
groups. There are
beenden
-
Demonstrationen
strikes and anything
Folgen: Familien
-
sind schlecht für
- Abhängigkeit
- Demonstrationen
111
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
else. These affect
verlieren Väter und
Entwicklung des Landes
Bangladesh. These
Söhne = Ernährer
weil:
are very bad things
- - Alle denken an Politik-
but they cannot be
– niemand an
stopped. And because
Wissenschaft
-
of that, Bangladesh
- - Sie denken, dass die -
will not be able to
Parteien gestoppt
improve. The
werden müssen, bei
population really
den Demonstrationen
suffers from that. In
sterben viele. Dann
this fights the families
verlieren viele ihre
loose the sons. And
Väter und Söhne.
when they lose their
Darunter leidet die
sons, nobody can give
Gesellschaft. Das ist
financial support to
wirklich schlecht.
- zivile Opfer
- Familien verlieren
Ernährer
- Vernachlässigung der
Wissenschaft
them. Everybody
thinks about politics.
But nobody thinks
about science. They
think: This party is
doing this and we will
stop them. Then one
will die. Then the
families lose their
fathers or sons. So, by
this political thing the
population suffers.
This is a very bad
thing.
When this political
Wenn diese politischen
Entwicklung durch
things stop, then
Dinge enden, dann kann
politische Stabilität
Bangladesh will
Bangladesch sich
improve
entwickeln.
No I can’t do
Ich bin zu jung um
Geringe
Für sie ist eine
anything. I’m not in a
irgendetwas zu tun. Ich
Selbstwirksamkeit bei
Gestaltung der
political party. I’m too
bin in keiner Partei
der politischen
Gesellschaft unmöglich
Mitgestaltung
weil:
young to do anything
- Geringe Kenntnis
112
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
- Zu jung
7.3.2 Wasil
1
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6
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9
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11
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22
23
Code-Nr: Raj 3-2
Name: Wasil
Ort: Rajshahi , Adorsho School, Klassenzimmer
Datum / Zeit: 12.12.2010 12.30 Uhr – 13.00 Uhr
Wassil: Hi, I’m Wassil. I’m the first in class!
JB: Oh. That’s nice. I’m Hannes - you know. Thank you, that you are going to
spend your time with us. With your contribution you will be part of our project I
told you before. Do you want to use the Interpreter – perhaps than it is easier for
you?
Interpreter: He says also thank you. And he wants to use an interpreter.
JB: Fine. Let’s start with the first question: What are you doing at a usual day?
Can you tell me a story about it?
Interpreter: At 5.30 in the morning I wake up and I use to take my prayer. Then I
study by reading books. After that I take a walk at the Padba River. Then I come
back to my house. After that I take the time to read books or something. Because
I like to read books. I like to study. And at 8.30 or 9.00 I take my breakfast. Then
I again study to prepare my classes. At 11.00 I go to the school because it starts. I
stay there until 4.30. Then I again go back to my house. Have lunch and relax,
watch TV. Or I do other things together with my family.
JB: Is there also a time you spend with your friends?
Interpreter: In school. Or in my holidays.
JB: Who belongs to your family?
Interpreter: My father died. So I have to stay with my mother. Two of my
brothers study at Rajshahi University in the English Department. And I have one
older sister. She is also at the Rajshahi University in the English Department. So
I’m the youngest.
JB: What do you like about reading books? Is this for relaxing or studying?
Interpreter: I want to learn by reading.
JB: And what’s your motivation to do this?
Interpreter: Because I have that thing. I want to become a doctor.
JB: Imagine: I will meet you again in five years. Can you tell me story about a
typical day you will have then?
Interpreter: When I’m five years older I have to study and different things to do
and to work. I will make some sports, playing cricket and football. I will spent
my time with a girlfriend. But not such a girlfriend. More a friend of a girl. I
don’t want to have a girlfriend. That is too early for me.
JB: Imagine: You have three free wishes. What would be your wishes?
Interpreter: I want to help my family. Because I come from a poor family. For
that I need a very good job. My second wish is to have a nice house. - - [10
Sekunden] My third wish is to have a nice garden with mango trees.
JB: Very nice wishes. What do you have to do for realizing these wishes?
Interpreter: I have to study very hard. Go to good university to get a good job.
JB: Are there some assumptions to fulfil your wishes which you have not yet?
113
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
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42
Wasil: Money (leise).
Interpreter: He said that he has to be a rich person. Then he can fulfil his wishes.
JB: Who can help you to make your wishes come true?
Interpreter: My brother. He gives me some money to study at the college and at
the university and he helps me also by studying.
JB: Does your future also depend on his decisions?
Interpreter: Yes, my future depends also on his decisions.
JB: Are there some other persons on whose decision you future depend?
Wassil: No.
JB: Are you optimistic that your wishes will become true?
Interpreter: I think so.
JB: What gives you some hope?
Wasssil: Because I’m good in my studies. I’m the first one in class. So I think it
is possible for me. Because I’m a really hard worker.
JB: How do you assess the future of Bangladesh’s society?
Interpreter: Bangladesh will improve and increase with a slow rate. And most of
us get educated. This is why Bangladesh will improve.
JB: And is there something you are afraid of?
Interpreter: One thing is corruption. The other thing is, that in this improving
society there are some boys who touch the girls too early. Such an immoral
society is not a good thing.
JB: So thank you. Is there something else you want to say at the end of our
interview?
Wassil: No. Thank you.
JB: Thank you!
43
Allgemeine Daten
44
Geschlecht: männlich
Alter: 15
Tätigkeit: Schüler 9. Klasse
Schulart: College – Adorsho School
Angestrebter Schulabschluss: A-Level National Standard
Tätigkeit der Eltern:
Mutter: Hausfrau
Vater: verstorben (früher: Arbeiter in einer Ziegelei)
45
46
47
48
49
50
51
52
Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben:
53
Das Interview verlief etwas zäh und schleppend. Wasil wirkte dabei
zurückhaltend. Da Wasil sich trotz seiner vermutlich ausreichenden
Englischkenntnisse für den Gebrauch eines Dolmetschers entschied ,
kommunizierten wir in diesem Interview in zwei Sprachen.
54
Spätere Anmerkung am darauffolgenden Tag:
Als eindrucksvoll erwies sich ein zufälliges Treffen mit Wasil an der Promenade
des Ganges zur Zeit des Sonnenuntergangs. Wasil vertrieb sich dort die Zeit in
Gesellschaft zweier Cousins, bettelnden Straßenjungen im Alter von 10 Jahren,
die mir bereits bei vorausgegangenen Stadtgängen aufgefallen waren. Hier zeigte
55
114
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
er sich offen und selbstbewusst.
Passage
Paraphrase
Reduktion
Hi, I’m Wassil. I’m the
first in class!
Ich bin Wasil. Ich bin
Klassenbester
Angabe von hohem
Selbstwert
At 5.30 in the morning
I wake up and I pray.
Then I study by
reading books. After
that I take a walk at the
Padba River. Then , I
come back to my
house. After that I take
the time to read books
or something. Because
I like to read books. I
like to study. And at
8.30 or 9.00 I take my
breakfast. Then I again
study to prepare my
classes. At 11.00 I go
to the school because it
starts. I stay there until
4.30. Then I again go
back to my house.
Have lunch and relax,
watch TV. Or I do
other things together
with my family.
- 5.30 h aufstehen
- Lernen
- Spazieren gehen
- Lernen
- 8.30 h Frühstück
- Lernen
- 11.00 – 16.30 h Schule
- Abendessen und freie
Abendgestaltung mit
der Familie
Hoher selbstständiger
Arbeitsaufwand
Mein Vater ist
gestorben. Deshalb
bleibe ich bei meiner
Mutter. Ich habe 2
Geschwister. Zwei
Brüder und eine
Schwester. Sie sind alle
an der Rajshahi
Universität.
Weil Vater verstorben.
Verantwortung für
Mutter
Alle Geschwister
studieren
Warum ich Bücher lese
Ich möchte aus Büchern
lernen.
Ressource:
Lernen
Time with friends:
In school. Or in my
holidays
My father died. So I
have to stay with my
mother. Two of my
brothers study at
Rajshahi University in
the English
Department. And I
have one older sister.
She is also at the
Rajshahi University in
the English
Department. So I’m
the youngest.
Why I like to read
books:
I want to learn by
reading books
Kategorisierung
Hoher Arbeitsaufwand
und große
Selbstständigkeit.
Motiviert durch
Zielverwirklichung
115
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Motivation:
Because I have that
thing. I want to
become a doctor.
When I’m five years
older I have to study
and different things to
do and to work. I will
make some sports,
playing cricket and
football. I will spent
my time with a
girlfriend. But not such
a girlfriend. More a
friend of a girl. I don’t
want to have a
girlfriend. That is too
early for me.
Motivation:
Ich will Arzt werden
Zielverwirklichung
prägt
Tagesbeschäftigung
Wenn ich fünf Jahre
älter bin :
- habe ich viel zu tun
und zu arbeiten
- Sport: Cricket und
Fußball
- Zeit mit Freundin
(ohne Beziehung)
verbringen
- Werde ich noch keine
Partnerin haben. Dazu
bin ich dann zu jung.
Ziel:
- arbeitsreiches Leben
- Angesehene Freizeitbeschäftigung
I want to help my
family. Because I
come from a poor
family. For that I need
a very good job. My
second wish is to have
a nice house. - - [10
Sekunden] My third
wish is to have a nice
garden with mango
trees.
I have to study very
hard. Go to good
university to get a
good job
1. Ich komme aus einer
armen Familie.
Deshalb brauche ich
eine gute Arbeit.
2. Schönes Haus
3. Schöner Garten mit
Mango Bäumen
Familie helfen
Ich muss ein hartes
Studium hinter mich
bringen. Dann zu einer
guten Universität gehe
um eine gute Stelle zu
bekommen.
Welche
Voraussetzungen fehlen
dir dafür?
Mangel an Geld
Hilfe durch Bruder:
Mein Bruder gibt mir
Geld für College- und
später für den
Universitätsbesuch. Er
unterstützt mich
außerdem beim Lernen
Ressourcen:
Leistung, Bildung, Geld
Deshalb hängt meine
Zukunft von den
Entscheidungen meines
Bruders ab.
Ich bin optimistisch dass
meine Wünsche wahr
werden
Ich habe Hoffnung, da
ich gut beim Lernen bin.
Ich bin der Beste der
assumption which you
have not yet:
Wasil: Money (leise).
Help:
My brother. He gives
me some money to
study at the college
and at the university
and he helps me also
by studying.
Yes, my future
depends also on his
decisions
Optimistic that wishes
will become true:
I think so
Hope:
Because I’m good in
my studies. I’m the
- selbstständig sein
Ziele:
- Sozialer Status
bezüglich materiellen
Gütern und Habitus
- Selbstständigkeit
- Familie unterstützen
- Fleiß
- Traditionelle
Moralvorstellung
Haus, Garten mit Ernte
Geldmangel ist
Hindernis
Benötigte Ressource:
Geld
Finanzielle und
inhaltliche
Unterstützung bei der
Bildungslaufbahn durch
Bruder
Hilfe durch Bruder
Verantwortung für
Mutter
Familiäre Abhängigkeit
Abhängig vom Bruder
optimistisch bezüglich
Zielverwirklichung
Große Zuversicht die
Ziele zu erreichen
Hohe Selbstwirksamkeit
Extrem positive
Ressourcen:
- Leistung, Bildung
- Positive
116
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
first one in class. So I
think it is possible for
me. Because I’m a
really hard worker.
Bangladesh will
improve and increase
with a slow rate. And
most of us will get
educated. That is why
Bangladesh will
improve.
Klasse. Weil ich hart
arbeiten kann, ist es für
mich möglich.
Selbstevaluation
Bangladesch wird sich
langsam steigern. Die
meisten bekommen
Bildung. Deshalb wird
sich Bangladesch
verbessern.
Positive Einschätzung
der gesellschaftlichen
Entwicklung
One thing is
corruption. The other
thing is. That in this
improving society
there are some boys
who touch the girls too
early. Such an immoral
society is not a good
thing
Das eine ist die
Korruption. In einer sich
verbessernden
Gesellschaft kommt es
zu unmoralischen
Entwicklungen
bezüglich einer zu früh
ausgeübten Sexualität
Faktoren - :
Korruption
Sich verändernde
Moralvorstellungen in
einer sich verändernden
Gesellschaft
Faktoren + :
Verbesserte Bildung der
Bevölkerung
Selbstevaluation
Positive Einschätzung
Gesamteinschätzung der
gesellschaftlichen
Entwicklung
Überwindung der Armut
durch bereits verbesserte
Bildungssituation
Immer noch korrupte
Regierung
7.3.3 Fatima
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
Code-Nr: Raj 2-2
Name: Fatima
Ort: Rajshahi (Haus in einer inoffiziellen Siedlung am Rand des Flusses), im
Haus der Eltern, im Zimmer des Bruders
Datum / Zeit: 10.12.2010 14.00 Uhr – 14.30 Uhr
JB: Please say her that I’m very happy, that she is so tough that she is making
this interview with me.
Interpreter: She is saying that everybody is happy to give an interview when the
interview is done on your way.
JB: Donobat (Thank you) First of all I’m very interested, what she is doing at a
usual day?
Interpreter: She does all the household work like cleaning, cooking, taking care
of the little ones or taking care of the parents. This is all she does at a usual day.
JB: What is her motivation to do it?
Interpreter: She asked, why do you ask this? She has to do it.
JB: She should imagine that I will meet her again in five years. What will she tell
me then?
Interpreter: She is married. So it is usual that after five years she will have a baby
and taking care of the baby and her husband. That is what she will do after five
years.
JB: Imagine that you have three free wishes. What would be your wishes?
Interpreter: Her first wish is to live with her family happy and peaceful. Her
second wish is, that she wants to have a good life in a good house. Her third wish
is about the little shop she has together with her husband. She wants to have an
income there and modify it to a bigger shop, so that her family can rely on it.
Interviewer: Is she optimistic, that she can fulfill her wishes?
117
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
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28
29
Interpreter: Yes. She is optimistic to fulfill her wishes.
Interviewer: What gives her some hope?
Interpreter: She is talking about that she is optimistic and she is auspicious.
Because, if she is able to earn only a bit of money then her three wishes will be
fulfilled.
Interviewer: What do you have to do for realizing these wishes?
Interpreter: Her first thing she has to do is to pray to Allah that he may help her
to reach this aim. The second thing she talked about is the education which
stopped right now, because she is married. She is completely depending on her
husband. And she said that the society doesn’t allow girls to work on fields. So
she can’t hope to have work there. But she said: I can do some handy work like
in the textile-industry. She has that capability to work but she cannot wish to do it
right now because she has not that opportunity. But if she would have that
opportunity, if it would be allowed she would be able to fulfill her wishes.
JB: Who can give you that opportunity? On whose decision is your future
depending?
Interpreter: She has this fear of the authority, based on her husband’s family. She
is used to have a work somewhere. But since she is married her father in law may
not permit it. So she didn’t ask for it. The work is really far away from here. And
because she has that responsibility for her family she can’t go that far away.
Interviewer: Who else can help you to make your wishes come true?
Interpreter: No one. Her future totally depends on the decisions of her husband’s
family.
Interviewer: How do you assess the future of Bangladesh’s society?
Interpreter: During her talk she was really ironic about what she was saying. She
was saying: What is future about Bangladesh? There is no future for Bangladesh.
Because there is no justice, there is only injustice, there is no judgement. There is
only money, the grapping of money, the crime, the corruption. So how can we
expect the future of Bangladesh? There isn’t a future at all. Only the human can
take the Bangladesh up, not the government.
Interviewer: Is there something which can give her some hope for the future of
Bangladesh?
Interpreter: She is asking: Don’t people see that we are suffering? We can’t buy
clothes. Clothes are too expensive. Food is too expensive. Don’t they see that we
can’t even buy clothes and food? That’s why she is seeking help from the
government. Who can help rather than our government? The government has the
opportunity but they are blind. They are not seeing them suffering. No there is
nothing which can give her some hope.
Interviewer: Thank you for your Interview. I think that you helped with your
interview to open the eyes about your suffering, at least of them who will read
this text. Would you like to add something, which can be interesting for this
subject?
Interpreter: For her it is very important to say something more. She told, that you
have these eyes. You came here to seek the truth. But this is not what government
is doing. They are not seeking the truth. You are seeking the truth –you got the
answer. That’s why she is thankful for you. The government is not seeking the
truth, that’s why they are suffering. That’s why she is also very thankful to you.
You are from a foreign country, you are helping. But normally, when people
118
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
30
31
from other countries come to help Bangladesh they give the money to the very
rich ones, to the governments, to the ministers. But what are they doing with the
money? They distribute all the money and the poor don’t get the money. This is
why the difference in the society gets much bigger. The poor would need the
money to give it before the wedding. Also her family is feeling this pressure. If
they cannot give the money to the in-law family, the family of the husband will
beat the woman or divorce them. Finally they will force to give money by beating
the woman brutally hard, rape or something like that. If the woman is divorced,
she is alone without any help. And everyone can do with her what they want.
Interviewer: Thank you for all this information. Sometimes it was pretty hard to
hear about all this suffering. But I’m very thankful that you made this possible.
Interpreter: Thank you.
32
Allgemeine Daten
33
Geschlecht: weiblich
Alter: 17 (offiziell) / 13 (tatsächliches Alter)
Tätigkeit: verheiratet, Hausfrau
Abgeschlossener Schulabschluss: 4 Jahre schulische Grundbildung
Tätigkeit der Eltern:
Mutter: Hausfrau
Vater: Invalide / Verdienstausfall
34
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40
Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben:
41
Nachdem sich Fatima beim vorausgegangenen Besuch im Gegensatz zu ihren
älteren Schwestern, die uns bewirteten und sich auf ein offenes Gespräch
einließen, eher zurückhaltend verhielt kam sie beim zweiten Besuch offen auf
mich zu und bat um ein Interview. Meiner Einschätzung nach wurde dies durch
mein intensives Gespräch mit ihrer Mutter, der weiblichen Schlüsselrolle der
Familie, gefördert. Dementsprechend war sie sehr offen und motiviert das
Gespräch zu führen. Dies erstaunte mich umso mehr, als ich beim zweiten
Besuch keine weibliche Begleitung dabei hatte. Wichtig war ihr jedoch die
Anwesenheit und räumliche Nähe zu ihrer Mutter, die sich während des
Interviews im gleichen Raum aufhielt. Fatima machte auf mich einen sehr
konzentrierten, freundlich bestimmten Eindruck. Die Tiefe ihres Ausdrucks
verdeutlichte die emotionale Bedeutung des von ihr Gesagten. Auffällig war auch
ihre hohe emotionale Erregung bei politischen Themen.
119
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Passage
Paraphrase
Reduktion
She does all the
household work like
cleaning, cooking,
taking care of the little
ones or taking care of
the parents. This is all
she does at a usual
day.
Ihr Tagesablauf ist
geprägt durch Putzen,
Kochen und die
Fürsorge für die
Kleinen und Alten der
Gemeinschaft. Das ist
alles, was sie an einem
normalen Tag tut.
Tagesablauf:
Hausarbeit; Betreuung
der
Familienangehörigen
Tagesablauf :
Hausarbeit
She asked, why do you
ask this? She has to do
it.
Keine Angabe über
eigene Motivation;
Tagesablauf wird als
Pflicht wahrgenommen
Autoritäre Verordnung
Keine Motivation:
sondern autoritäre
Stabilität.
She is married. So it is
usual that...
Das ist der normale
Tagesablauf wenn man
verheiratet ist
Zukunft durch Ehe
vorbestimmt
after five years she
will have a baby and
taking care of the baby
and her husband. That
is what she will do
after five years.
In 5 Jahren wird sie ein
Kind haben und sich
um Kind und Ehemann
kümmern.
Zukunft ist Fürsorge für
die Familie
Her first wish is to live
with her family happy
and peaceful. Her
second wish is that she
wants to have a good
life in a good house.
Her third wish is about
the little shop she has
together with her
husband. She wants to
have an income there
and modify it to a
bigger shop, so that
her family can rely on
it.
3 Wünsche: 1.
Glückliches und
friedliches
Familienleben 2. Gutes
Leben in gutem Haus 3.
Finanzielle
Absicherung durch das
Einkommen und den
Ausbau des eigenen
Ladens, den sie
zusammen mit ihrem
Ehemann betreibt. Ihre
Familie soll dadurch
abgesichert werden.
Zukunftswünsche:
Yes. She is optimistic
to fulfill her wishes.
Sie ist optimistisch,
dass ihre Wünsche in
Erfüllung gehen.
Optimistische Prognose
der persönlichen
Zukunft
She is talking about
that she is optimistic
and she is auspicious.
Because, if she is able
to earn only a bit of
Sie ist optimistisch und
zuversichtlich. Wenn es
ihr nur gelingt ein
bisschen Geld zu
verdienen, dann werden
Verwirklichung der
Wünsche durch einen
geringen Geldbetrag;
Emotional: glückliches
Familienleben;
materiell: eigenes Haus
und Einkommen;
Sicherheit Handlung:
Ausbau des eigenen
Ladens
zuversichtliche und
Kategorisierung
Ziele
Fürsorge und
Existenzsicherung für die
eigene Familie
Hohe Selbstwirksamkeit
aber: Bedingungen,
Restriktionen
trotzdem:
Optimistische
Einschätzung der eigene
Zukunft, wenn Erlaubnis
zu arbeiten
Strategie:
Kleinschrittige
Zwischenziele; Ziele den
geringen Ressourcen
anpassen
120
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
money then her three
wishes will be
fulfilled.
sich ihre Wünsche
erfüllen.
optimistische
Einstellung
Her first thing she has
to do is to pray to
Allah that he may help
her to reach this aim.
The second thing she
talked about is the
education which
stopped right now,
because she is married.
She is completely
depending on her
husband. And she said
that the society doesn’t
allow girls to work on
fields. So she can’t
hope to have work
there. But she said: I
can do some handy
work like in the
textile-industry. She
has that capability to
work but she cannot
wish to do it right now
because she has not
that opportunity. But if
she would have that
opportunity, if it
would be allowed she
would be able to fulfill
her wishes.
Zu allererst kann sie
Allah bitten, ihr bei der
Realisierung ihrer Ziele
zu helfen. Die
Schulbildung wurde
gerade wegen Heirat
beendet. Sie ist deshalb
komplett abhängig
vom Ehemann. Die
Gesellschaft erlaubt
Frauen nicht auf
Feldern zu arbeiten, sie
kann deshalb nicht auf
eine Arbeit in diesem
Gebiet hoffen. Sie hat
die Möglichkeit
Handarbeit in der
Textilindustrie zu
leisten, aber sie hat
momentan nicht die
Möglichkeit dazu.
Wenn es ihr erlaubt
wäre zu arbeiten,
könnte sie ihre
Wünsche verwirklichen
Einschränkung bei der
Existenzsicherung durch
Ehe
She has this fear of the
authority based on her
husband’s family . She
uses to have a work
somewhere. But since
she is married her
father in law may not
permit it. So she didn’t
ask for it. The work is
really far away from
here.
Sie hat Angst vor der
Autorität der
Schwiegerfamilie.
Früher ging sie
arbeiten. Aber seit sie
verheiratet ist, würde es
ihr Schwiegervater
nicht mehr erlauben.
Daher fragt sie nicht.
Die Arbeit ist weit
entfernt von hier.
Angst vor der Autorität
der angeheirateten
Familie
And because she has
that responsibility for
her family she can’t go
that far away.
Aufgrund der
Verantwortung für ihre
Familie kann sie nicht
weggehen
Örtliche Bindung durch
familiäre Verantwortung
No one. Her future
totally depends on the
decisions of her
husband’s family
Niemand [kann helfen].
Volle Abhängigkeit der
eigenen Zukunft von
Entscheidungen der
Schwiegerfamilie
Keine Hilfe bei der
Zielverwirklichung
Notwendige aber
fehlende Ressourcen:
- Feldarbeit
- Textilind.
- Bildung
- Entscheidungsfreiheit
über den Einsatz ihres
Humankapitals zur
Existenzsicherung
Keine Ressourcen
verfügbar: Glaube an
Gott gibt Hoffnung
Keine Aussicht auf
Erlaubnis zu arbeiten
aufgrund von Ehe.
Keine Hilfe sondern
Restriktion bei der
Existenzsicherung durch:
- Ehemann und
Schwiegerfamilie:
Verbot zu arbeiten
- Eigene Familie:
Verantwortung
verhindert Ortswechsel
Gesellschaft: Normen
Abhängigkeit von
Familie
121
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
During her talk she
was really ironic about
what she was saying .
She was saying: What
is future about
Bangladesh? There is
no future of
Bangladesh. Because
there is no justice,
there is only injustice,
there is no judgment.
There is only money,
the grapping of
money, the crime, the
corruption. So how
can we expect the
future of Bangladesh?
There isn’t a future at
all. Only the human
can take the
Bangladesh up, not the
government.
Bangladesch hat keine
Zukunft wegen
Ungerechtigkeit und
Rechtslosigkeit.
Bedeutung hat hier
ausschließlich Geld, das
[stehlen] von Geld,
Kriminalität und
Korruption. Wie
können wir also eine
Zukunft für
Bangladesch erwarten?
Nur die Menschen,
nicht die Regierung
können Bangladesch da
aufhelfen.
Bangladesch hat keine
Zukunft
Don’t people see that
we are suffering? We
can’t buy clothes.
Clothes are too
expensive. Food is too
expensive. Don’t they
see that we can’t even
buy clothes and food?
That’s why she is
seeking help from the
government. Who can
help rather than our
government? The
government has the
opportunity but they
are blind. They are not
seeing them suffering.
No there is nothing
which can give her
some hope.
Sehen die Menschen
denn nicht, dass wir
leiden? Kleider und
Essen ist zu teuer.
Können sie nicht sehen,
dass wir nicht mal
Kleider und Essen
einkaufen können?
Deshalb ersucht sie
Hilfe bei der
Regierung. Die
Regierung hat die
Möglichkeit zu helfen.
Aber sie ist blind
gegenüber ihrem
Leiden. Es gibt nichts,
was ihr Hoffnung
macht .
Leiden aufgrund des
Mangels an Essen und
Kleidung
You came here to seek
the truth. But this is
not what government
is doing. They are not
seeking the truth. You
are seeking the truth –
you got the answer.
That’s why she is
thankful for you. The
government is not
seeking the truth,
that’s why they are
Du kamst her um die
Wahrheit zu finden und
fandest die Wahrheit.
Dafür ist sie dir
dankbar. Die Regierung
tut das nicht. Die
Regierung sucht die
Wahrheit nicht und
deswegen müssen sie
leiden. Aus folgendem
Grund ist sie dir
besonders dankbar: Du
Dankbarkeit für
ausländisches Interesse
Problem der b.
Gesellschaft:
- Fixierung auf Geld
- Kriminalität
- Korruption
Keine Hilfe durch
Regierung
Gesellschaft
- schlechte Regierung
- Moral
- Korruption
- Kriminalität
- Armut
- Schere zw. Arm und
Reich
- ineffiziente
ausländische Hilfe
Hilfe durch die
Menschen in
Bangladesch
Hohe Betroffenheit durch
gesellschaftliche
Entwicklung
Regierung kann helfen
Regierung ignoriert die
Bedürfnisse der
Bevölkerung
Keine Hoffnung auf
Zukunft
Regierung ignoriert die
Bedürfnisse der
Bevölkerung
Ausländisches Geld
erreicht die Armen nicht
; klagt Ungerechtigkeit
an
122
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
suffering. That’s why
she is also very
thankful to you: You
are from a foreign
country, you are
helping. But normally,
when people from
other countries come
to help Bangladesh
they give the money to
the very rich ones, to
the government, to the
ministers. But what are
they doing with the
money? They
distribute all the
money and the poor
don’t get the money.
This is why the
difference in the
society gets much
bigger.
bist von einem fremden
Land, und du hilfst.
Aber normalerweise,
wenn Ausländer helfen
wollen, geben sie das
Geld den Reichen, der
Regierung, den
Ministern. Was tun sie
mit diesem Geld? Sie
verschwenden es und
geben es nicht den
Armen. Deswegen wird
die Kluft in der
Gesellschaft immer
größer.
Kluft in der Gesellschaft
wächst
The poor would need
the money to give it
before the wedding.
Also her family is
feeling this pressure. If
they cannot give the
money to the in-law
family, the family of
the husband will beat
the woman or divorce
them. Finally they will
force to give money by
beating the woman
brutally hard, rape or
something like that. If
the woman is
divorced, she is alone
without any help. And
everyone can do with
her what they want.
Die Armen brauchen
Geld zur
Eheschließung. Auch
ihre Familie verspürt
diesen Druck. Wenn sie
das Geld nicht der
Schwiegerfamilie
zahlen können, schlägt
der Ehemann die Frau
oder das Paar wird
voneinander
geschieden.
Schlussendlich werden
sie die Frau durch
Schläge,
Vergewaltigung oder
ähnliches zum Zahlen
zwingen. Wenn eine
Frau geschieden ist,
dann ist sie hilflos und
alleine. Niemand wird
ihr helfen. Jeder kann
mit ihr machen was er
will.
Brautgeld bedeutet
großen Druck
Brutales Vorgehen beiZahlungsunfähigkeit
Scheidung ist worst-case
Szenario
Negative Einschätzung
von Ehe weil:
- Einschränkend
- großer Druck durch
Brautgeld
Aber: Schutz vor
Rechtlosigkeit
7.3.4 Lanoon
1
2
3
Code-Nr: Raj 3-1
Name: Lanoon
Ort: Rajshahi (Haus in einer inoffiziellen Siedlung am Rand des Flusses), im
Haus der Eltern, im eigenen Zimmer
Datum / Zeit: 10.12.2010 13.30 Uhr – 14.00 Uhr
123
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
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Interviewer: First of all let me say thank you. It is great that he takes time for me.
That is a great honour. My first question is: What are you doing at a usual
working day?
Interpreter: You know that I’m a Rickshaw-Driver. In the morning I’m driving to
school. Then I’m doing the household and go shopping for a professor. When I
come home I have my bath and take a rest. Then I work as a Rickshaw-Driver
during the afternoon. At 10.00 o’clock in the evening I come home and go to bed.
Interviewer: When you go to working in the morning: What is your biggest
motivation to start a new working day?
Interpreter: My father is wounded. So my family is dependent on my income. So
I’m doing this for the stomachs of me and my family. Because I have to bring
rice and all the necessary things. I have this huge desire of education. But I can
not fulfil this desire because my father is injured and so I have to earn money. He
can not earn money.
Interviewer: Just imagine that we will meet again in five years. Can you tell me:
What is a usual day you will have then?
Interpreter: He said that he has these sisters. So he has the responsibility for his
sisters. So right now he is not thinking about a wedding. The most important
thing for him is to satisfy the stomachs of him and his family. If he is able to do
that, than he is satisfied and he is trying that, if Allah permits, if Allah wills, he is
satisfied and he will be satisfied. He just wants to satisfy all the responsibility
over his family and especially for his sisters.
Interviewer: Just imagine: You have three free wishes. What would be his
wishes?
Interpreter: First of all, his first wish is to get a better job. The second wish is to
get a better house to live a beautiful life. The third thing he wants to get his sister
married. Because there is a misery behind this thing. In Bangladesh we have this
sad thing that the father of the wife has to give money to the future husband. That
is illegal. But they have to do that, because it is a ritual kind of thing here. It is an
illegal tradition. And it is very ironic that the girls have to give money. They have
to give 100.000 Takka, that is too much for him. He earns only 200 Takka per
day. That is why he is saving the money so that he can manage this much amount
of money to get his sister married. This is one of the obstacles he is facing. That
is his third wish.
Interviewer: Did he say this? Is this his assess?
Interpreter: Yes, this is his assess.
Interviewer: So he is a really hard-working man. Which other things does he has
to do to realize these wishes?
Interpreter: He said that there is no other thing than his hard work which can
fulfil his three wishes. If he would get a better job his wishes might be come true
some day. And this is why he is asking for the governments help. He is searching
for a government job or an authorised job so that he can help his family.
Interviewer: Does he think his wishes will become true?
Interpreter: First of all he said thanks to Allah. If Allah would like to, he might
get a better job someday. And then, maybe, his life will be changed. He is
confident that when he gets another job also his life will get changed. But if he
doesn’t get any other job he has to find a different way but he doesn’t know, what
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
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the other way could be. Then he talked about the misery he is facing right know.
He is Rickshaw-Puller right now. The so called gentlemen of our society who are
professors are looking down on him. They don’t have the right to scorn him.
They don’t have the right to condemn him. They are building this wall of money
around them. They don’t even touch him because they disgust him. But he is a
human being. He said: I’m feeling dishuminated continuously by the so called
gentlemen of the society. How they become those gentlemen? When the
Riqusaw-Pullers go to the downtown, close to the Shiet-Bazar, the Police is
beating them without any mercy, they don’t even listen to their voice. They don’t
even listen to that what the Rickshaw-Pullers are saying. (- - ) He said: Right now
government is talking about free education but government is not talking about
the money, which we have to give the husbands before the wedding. When they
join the free education in fact they have to give money. The Government is
saying, that they will give free education but when you go to school the situation
is completely different. The government is sucking money out of them. That is
why he cannot call on education.
Interviewer: So who can help you to make your wishes become true?
Interpreter: No one can help me. My family is completely depending on me.
Interviewer: How does he assess the future of Bangladesh’s society?
Interpreter: He says that this country can’t even make a new thing. Our prime
Minister acclaimed that Bangladesh will develop before 2021. But he says that he
is mocking at this thing. He asked: How can our Prime Minister promise such a
thing. For me nothing will change before 2021. The government people will only
develop themselves. They will not develop the society. Before the elections the
government says that they are close friends to them. But after they get elected
they forget their words. He also talked about the high inflation of necessary
things like vegetables and rice on the market. He says that he doesn’t need an
delicious things like snacks. He only needs rice to stay alive. For this he is
working. Yes he also wants education but how can he get this education in such a
society? If he would go to school, who would give money to his sister and his
parents? His sister would not be able to get married. So he is not looking
optimistically in his future.
Interviewer: I’m very impressed about this information and looking forward to
bring it into German schools. Would you like to say anything more, which could
be interesting for this subject?
Lanoon: No. Thank you.
24
Allgemeine Daten
25
Geschlecht: männlich
Alter: 20
Tätigkeit: Riqushafahrer
Abgeschlossene Schulabschluss: 4 Jahre schulische Grundbildung
Tätigkeit der Eltern:
Mutter: Hausfrau
Vater: Invalide / Verdienstausfall
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28
29
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31
32
Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben:
33
Zum Zeitpunkt des Interviews pflegte ich mit ihm ein vertrautes Verhältnis. Zwar
125
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
waren gemeinsame Gespräche bis dahin aufgrund der sprachlichen Barriere
unmöglich, doch hatten wir uns durch Lachen und nonverbale Kommunika€tion
während einiger Rickshafahrten gegenseitig bekannt gemacht. Das Interview
wurde durch einen ihm und mir bekannten Übersetzer ermöglicht. Während
unseres Besuchs in seiner vertrauten Umgebung herrschte ebenfalls eine offene
Stimmung.
126
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Passage
Paraphrase
Reduktion
You know that I’m a
Rickshaw-driver. In the
morning I’m driving to
school. Then I’m doing
the household and go
shopping for a
professor. When I
come back home I
have my bath and take
a rest. Then I work as a
Rickshawdriver during
the afternoon. At 10.00
o’clock in the evening I
come home and go to
bed.
Ich bin ein
Rickschafahrer. Am
Morgen (9.00h) fahre ich
zur Schule. Dann mache
ich den Haushalt und die
Einkäufe für einen
Professor. Wenn ich
nach Hause komme
nehme ich mir eine
Pause und ein Bad. Bis
22.00 h arbeite ich
wieder als
Rickschafahrer. Dann
gehe ich nach Hause und
ins Bett.
13- stündiger
Arbeitstag
Hoher Arbeitsaufwand
My father is wounded.
So my family is
dependent on my
income. So I’m doing
this for the stomachs of
me and my family.
Because I have to bring
rice and all the
necessary things. I
have this huge desire of
education. But I can
not fulfill this desire
because my father is
injured and so I have to
earn money. He can not
earn money
Mein Vater ist wegen
einer Verwundung
arbeitsunfähig. Meine
Familie hängt also von
meinem Einkommen ab.
Ich arbeite, um meinen
Hunger und den meiner
Familie zu stillen. Ich
muss das nötigste, wie
Reis, heranschaffen. Ich
habe dieses sehr große
Verlangen nach Bildung.
Aber ich kann das nicht
erfüllen, weil ich das
Geld für meine Familie
verdienen muss.
Motivation: Überleben
der Familie
Motivation: tägliches
Überleben
He said that he has
these sisters. So he has
the responsibility for
his sisters. So right
now he is not thinking
about a wedding. The
most important thing
for him is to satisfy the
stomachs of him and
his family. If he is able
to do that, than he is
satisfied and he is
trying that, if Allah
permits, if Allah wills,
he is satisfied and he
will be satisfied. He
just wants to satisfy all
the responsibility for
his family and
Wegen der
Verantwortung für seine
3 Schwestern denkt er
zunächst nicht über eine
Heirat nach. Das
wichtigste ist die
Ernährung für sich und
seine Familie. Wenn er
es leisten kann und Gott
es zulässt, dieser
Verantwortung für seine
Familie, besonders für
seine Schwestern,
gerecht zu werden, dann
ist er zufrieden.
Verantwortung für
Familie geht vor
eigenen Zielen
Große Verantwortung
ggü. Familie
Ziel: Bildung
Verantwortung für
Familie verhindert
Verwirklichung eigener
Ziele
Kategorisierung
Ziel:
- Verantwortung für
Familie gerecht
werden.
- Brautgeld für
Schwestern
- Bildung
Keine Hoffnung auf
Verwirklichung der
persönlichen Ziele
Strategie: Geld sparen;
eigene Pläne
auf unbestimmte Zeit
verschieben
Heiratspläne
verschoben
Ziel: Der
Verantwortung für die
Familie gerecht zu
werden
Große Verantwortung
für das Überleben der
Familie
Verantwortung
gegenüber der
Verwirklichung
persönlicher Ziele
Vorrang.
127
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
especially for his
sisters.
First of all, his first
wish is to get a better
job. The second wish is
to get a better house to
live a beautiful life.
The third thing he
wants is to get his sister
married.
Because there is a
misery behind this
thing. In Bangladesh
we have this sad thing
that the father of the
wife has to give money
to the future husband.
That is illegal. But they
have to do that,
because it is a ritual
kind of thing here. It is
a illegal tradition. And
it is very ironic that the
girls have to give
money. They have to
give 100.000 Takka,
that is too much for
him. He earns only 200
Takka per day. That is
why he is saving , the
money so that he can
manage this much
amount of money to
get his sister married.
This is one of the
obstacles he is facing.
1. Besserer
Verdienst
2. Schöneres Haus
um ein besseres
Leben zu führen
3. Schwester
verheiraten
Brautgeld ist eine
traurige Sache: Vater der
Braut muss Bräutigam
Geld geben. Es ist sehr
ironisch, dass die Braut
Geld zahlen muss. Das
ist zwar illegal aber es ist
eine hier ein Ritual.
Deswegen muss er die
100.000 Takka zahlen.
Weil er nur 200 Takka
am Tag verdient, muss er
das Geld sparen um
diesen großen
Geldbetrag
aufzubringen. Das ist
seine Herausforderung.
Ziel: Brautgeld für
Schwestern
Ressource:
2 Euro Lohn am Tag
Heirat notwendig zur
Existenzsicherung aber
Kritik am Brautgeld =
große Belastung
Fehlende
Ressource:
Finanzkapital
He said that there is no
other thing than his
hard work which can
fulfill his three wishes.
If he would get a better
job his wishes might
become true some day.
And this is why he is
asking for the
governments help. He
is searching for a
government job or an
authorized job so that
he can help his family.
Er hat nur eine
Möglichkeit seine Ziele
zu verwirklichen:
Leistung und Arbeit.
Um einen besseren
Verdienst zu erreichen
ersucht er die Regierung
um Hilfe. Er suche nach
einem Arbeitsplatz bei
der Regierung oder
einem anderen
offiziellen Arbeitgeber.
Einzige Ressource:
Leistung und Arbeit,
Fleiß
Einzige Hilfe: Allah.
Hofft auf Hilfe durch
Regierung
First of all he said
thanks to Allah. If
Allah would like to, he
might get a better job
someday And then,
Zunächst dankt er Allah.
Wenn Allah es möchte
wird sein Leben eines
Tage geändert sein. Er ist
zuversichtlich, dass sich
Hoffnung auf Allahs
Hilfe
Ersucht Hilfe von
Regierung
128
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
maybe, his life will be
changed. He is
confident that, when he
gets another job also
his life will get
changed. But if he
doesn’t get any other
job he has to find a
different way but he
doesn’t know what the
other way could be.
Then he talked about
the misery he is facing
right know. He is
Rickshawpuller right
know. The so called
gentlemen of our
society who are
professors are looking
down on him. They
don’t have the right to
condemn him. They are
building this wall of
money around them.
They don’t even touch
him because of
scornfulness.. But he is
a human being. He
said: I’m feeling
dishuminated
continuously by the so
called gentlemen of the
society. How they
become this
gentlemen? When the
Rickshaw pullers go to
the downtown, close to
the Shiet-Bazar, the
Police is beating them
without any mercy,
they don’t even listen
to their voice. They
don’t even try to listen
what the
Rickshawpullers are
saying.
Right now government
is talking about free
education but
government is not
talking about the
money, which we have
to give the husbands
before the wedding.
When they join the free
education in fact they
have to give money.
The government is
mit einer anderen Arbeit
auch sein Leben
verändern wird. Wenn er
keine andere Arbeit
bekommt, muss er einen
anderen, ihm
unbekannten Weg
finden.
Da er Rikschafahrer ist,
wird er von den
sogenannten besseren
Herren unserer
Gesellschaft
herablassend und
unmenschlich behandelt.
Sie haben nicht das
Recht, ihn zu verachten.
Sie bauen eine Mauer
aus Geld um sich herum.
Sie fassen ihn aus
Verachtung nicht einmal
an. Aber er ist ein
menschliches Geschöpf.
Wie konnten Sie also zu
besseren Herren werden?
In der Innenstadt, nahe
des Shiet-Bazars werden
die Rickschafahrer von
der Polizei geschlagen.
Sie interessieren sich
nicht für ihre Stimme
und das, was sie zu
sagen haben.
Herablassende
Behandlung durch die
sozial Bessergestellten
geschieht durch€€
- Verachtung
- Vermeidung von
Körperkontakt
- Körperliche Gewalt
durch staatliche
Organe
Die Regierung redet über
freie Bildung und nicht
über das Brautgeld.
Wenn sie die freie
Bildung in Anspruch
nehmen, müssen sie in
Wahrheit Geld zahlen.
Die Situation ist der
totale Gegensatz zur
freien Bildung. Die
Regierung saugt das
Geld aus ihnen heraus.
Regierung sagt nicht
die Wahrheit und
regiert an ihren
Bedürfnissen vorbei
Kein Zugang zur
Ressource Bildung
wegen Gebühren
129
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
saying, that they will
give free education but
when they go to school
the situation is
completely different.
The government is
sucking money out of
them. That is why he
cannot call on
education
Deshalb kann er keine
Bildung in Anspruch
nehmen
No one can help me.
My family is
completely depending
on me.
Niemand kann helfen.
Meine Familie ist von
mir komplett abhängig
Keine Hilfe
He says that this
country can’t even
make a new thing. Our
prime Minister
acclaimed that
Bangladesh will
develop before 2021.
But he says that he is
mocking at this thing.
He asked: How can our
Prime Minister promise
such a thing. For me
nothing will change
before 2021. The
government people will
only develop
themselves. They will
not develop the society.
Before the elections the
government says that
they are close friends
to them. But after they
get elected they forget
their words. He also
talked about the high
inflation of necessary
things like vegetables
and rice on the market.
He says that he doesn’t
need delicious things
like snacks. He only
needs rice to stay alive.
For this he is working.
Yes he also wants
education but how can
he get this education in
such a society? If he
would go to school,
who would give money
to his sisters and his
parents? His sister
would not be able to
Unser Premierminister
kündigte eine
Entwicklung bis 2021
an. Doch er lacht
darüber. Er sagt für ihn
wird sich nichts ändern.
Die Regierung wird sich
selbst und nicht die
Gesellschaft entwickeln.
Nach den Wahlen
vergisst die Regierung
ihre Versprechen. Er
leidet unter der Inflation
der Lebensmittelpreise
von Reis und Gemüse.
Er braucht keine
köstlichen Dinge,
sondern nur Reis um zu
überleben. Dafür arbeitet
er.
Regierung lügt und ist
auf ihren eigenen
Vorteil bedacht
Er will auch Bildung,
doch wie soll das in
solch einer Gesellschaft
funktionieren. Wenn er
zur Schule gehen würde,
wer würde dann seiner
Schwester und seinen
Eltern Geld geben
können. Daher schaut er
Familiäre
Verantwortung und
Gesellschaft verhindert
Bildung
Verantwortung für
Familie
Kein Optimismus in
gesellschaftliche
Entwicklung
hohe Betroffenheit
durch gesellschaftliche
Entwicklung
Kein Optimismus für
die gesellschaftliche
Entwicklung, weil
- Versagen der
Regierung
- Verachtung
- Gewalt durch
staatliche Organe
Hohe Betroffenheit
durch gesellschaftliche
Situation, aber keine
Handlungsoptionen für
Veränderung
Keine optimistische
Zukunftssicht
130
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
get married. So he is
not looking
optimistically in his
future.
nicht optimistisch in die
Zukunft.
7.3.5 Nazia
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11
Code-Nr: Raj 1-2
Name: Nazia
Ort: Rajshahi, Paramount School, Biologieraum
Datum / Zeit: 6.12.2010 13.00 Uhr – 12.40 Uhr
Nazia: Let’s start.
MK: Let’s start. Okay. First I want to ask you about your usual day. A student
day. Can you tell me something.
Nazia: Yesterday was special for me. Because I fought with my brother for at
least one hour. It was about using the computer. But this is also usual. Hmm. My
day starts with my grandfathers shouting. After the morning prayer. That means
that he makes in mosque things, he prays, then he comes and shouts: How you
were not wake up until yet? Get up, it’s almost six o’clock! So okay, we are
getting up. Then when it is almost seven o’clock: Oh my god it’s too late. Then
we fight each other. Then we have to study for school. But we do not really read
our books. We just open them. But nowadays, when we have exams, oh I don’t
like them. We need to have also some time to relax. Then we have breakfast.
Then I also have to make my brother to get ready. Then I have to drop him at
school. Then I come to my school. I really take care a lot of him in this month.
Because our parents went to Mekka. When school is finished we gather together
for a few minutes than we go home because my aunts come to take care of us.
But before I fight with my brother, take a bath and watch TV. Then my aunts
come and say: Hey you have to get up to your coaching. The coaching is a visit
of our school teachers but at their home. When I come home from coaching I
against fight with my brother then I study for almost 3 hours. Then I have dinner,
watch TV, and go to sleep.
MK: Thank you for that good overview. Can you tell me: What is nice about
your day?
Nazia: In the morning I meet with my friends. But after I go home I miss them so
much. But in the evening we gather together. So I like to meet with my friends.
Because I can share the most of my things with them. I don’t like to be alone.
And I always have to fight with someone, just to have some fun. When you came
to school you have seen Fahim and me fighting. I’m always beating him. That’s
the same like with my brother.
MK: So this is what you like. But is there something which is not nice in your
usual day.
Nazia: Not nice is to have too much pressure because of studying. Some of them
are like beating my mind. I really don’t like overloaded things. But there is my
grandfather. Hmm
MK: Did you tell him?
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Nazia: Oh yes. He gets so angry: You have to learn. You have to remember that.
When I was a little girl I used to read the whole night.
MK: You told me that you are not like becoming forced to learn. But even
though you do it: What is your motivation to do it?
Nazia: If I would not study I would not learn anything. I also like studying, I like
learning. But not that: “You have to learn these or that. Read! Read!” I don’t like
that.
MK: So you gave me a good impression about your usual day. And now let
imagine that we will meet again in five years. Can you tell me a story about a
typical day you will have then? Perhaps we can start with the family. What could
it be like in five years?
Nazia: My father and mother will get old! (-) Our relationship will still be good.
MK: Will you still living with them? Or will you be married?
Nazia: I don’t want to be married at that time. At least not in the next leise: ten
years. lachen. First I want to start with my fee. Then I will think about it. First of
all I want to be a doctor so that I will help people. Especialyl the poor ones. They
really don’t get that much care because of lack of money. So I will take fees
depending on the money of the people. Because if they are living in Slums they
are suffering of lack of care. But they need also care because they are also
people.
MK: Oh this is a really good aim. But what do you have to do to realize this aim
to become a doctor?
Nazia: At first I have to be a doctor. And after I will be a successful doctor I will
open a little hospital to where the poor people can come to stick their diseases.
MK: But what can you do today to realize these wishes?
Nazia: Yeah. From now on I think I have to prepare that thing. Because if I don’t
do that I think I cannot make true that thing.
MK: What do you think you need to realize these wishes?
Nazia: Humanity, but first of all money. If I don’t have the financial help I think I
cannot help them. At least this is the most important thing.
MK: Can you do that on your own or does that depend on anyone else?
Nazia: When I will become a doctor, then I will get the money from the
township.
MK: But don’t you think you will need money to become a doctor?
Nazia: lachen Oh I think this money will give me my father. So it depends on my
father. But it also depends on my grandfather. Because he is the leader of my
team. So whatever he tells us – we have to do that.
Mk: Will he agree with your aim?
Nazia: Actually I’m like my grandfather. He also wants to help people. But
actually he can’t do this because he is really old; so I have got that from my
grandfather. So the other thing I need is support I get from my grandfather and
father. I first have to stand on my feet, then I can help the people. I actually want
to go to a foreign university. Because there you can learn more than in bangla
Universities. So I want to go to Germany or Finnland. My uncle is in Canada and
he says I have to come to Canada. But I don’t want to go there for studying.
Because then I would be dependent on them. But I want to be independent.
MK: Do you think your wishes will become true?
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
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Nazia: Yeah. If I work hard for it I think it will be true.
Mk: Is there still something you are afraid of?
Nazia: If you ask that in the context of Bangla. It’s mostly the political site. There
are some people in the government who don’t want the poor people getting
educated. Because if they get educated they would be possible to decide between
good and bad, Then they will overcome them. I’m specially afraid of that.
MK: But do you think these things can also influence your life?
Nazia: No.
Mk: Are there other things or persons who or which can interrupt you?
Nazia: I have a disease called anaemia and two times I took blood, once in class
six and one in A’s. This is a main thing. So when I get sick or get distracted, then
I don’t think I can study. This is an obstacle. But otherwise nothing should
interrupt me.
Mk: This is very nice. You are very optimistic. So I come to my last point. How
do you think about the future of Bangladesh?
Nazia: Right now, you can see a lot of poor people here. Bangladesh is not that
developed compared to other countries. So I think that using different types of
assistance like education programs can help us to take steps forward. Then I think
we will develop a lot. I want to see Bangladesh developing and I believe that this
will be the case. Because lots of people really condemn Bangladesh because it is
uneducated; it is not such a good country. Bangladesh can develop by honesty,
humanity and the most important thing is trust. Because there are a lot of people,
I mean at most from political site, they just tell people don’t be afraid we will
help this and that. But they actually don’t do that.
MK: And do you think that your personality can also contribute to the
development of Bangladesh?
Nazia: Yeah. If I do these things I think I can. If I help peoples by being a doctor.
MK: Are there other things you are afraid of. You talked about honesty. Is there
something else you are afraid of?
Nazia: Politicians. There are a lot of political positions which really don’t want
Education for Bangladesh. That’s really bad. Because only for that, Bangladesh
is so much back compared to other nations. And not only that. Also the rich
people of this country have to help them, because they have the financial
background. The most important thing the poor need are honesty and humanity
things.
MK: Do you take part of these rich people. Are you one of them?
Nazia: No. I don’t think so. If you ask me about this class thing, I would answer
you: I’m from middle-class.
MK: But do you think the middle-class has also to contribute.
Nazia: Yeah. I can’t help them all by myself. One can help anyone. But if we join
together, for example to a group of ten, then I think we can help them.
MK: Usually we are done with the interview. So do you want to add something?
Is there something you want to let us know?
Nazia: No. Anything. Lachen
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Allgemeine Daten
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Geschlecht: weiblich
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
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Alter: 15 (offizielles Alter) / 18 (tatsächliches Alter)
Tätigkeit: Schüler
Schulart: College – Paramount School
Angestrebter Schulabschluss: A-Level Cambridge Standard
Tätigkeit der Eltern:
Mutter: Hausfrau
Vater: Power-Developement Engineer (P.D.E)
60
Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben:
61
Nasia verhielt sich während des Interviews selbstbewusst und souverän. Mit
besonders großem Interesse betrachtete sie das wissenschaftliche Arbeiten im
Rahmen der Interviews. Sie pflegte einen freundschaftlich und verbindlichen
Kontakt mit uns deutschen Studierenden. Die Konversation erfolgt auf Englisch.
134
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Passage
Paraphrase
Yesterday was
special for me.
Because I fought with
my brother for at
least one hour. It was
about using the
computer. But this is
also usual. Hmm. My
day starts with my
grandfathers
shouting. After the
morning prayer. That
means that he makes
in mosque things, he
prays, then he comes
and shout: How you
were not wake up
until yet, get up, it’s
almost six o’clock,
get up. So okay, we
are getting up. Then
when it is almost
seven o’clock: Oh my
god it’s too late. Then
we fight each other.
Then we have to
study for school. But
we do not really read
our books. We just
open them. But
nowadays, when we
have exams, oh I
don’t like them. We
need to have also
some time to relax.
Then we have
breakfast. Then I also
have to make my
brother to get ready.
Then I have to drop
him at school. Then I
come to my school. I
really care a lot for
him in this month.
Because our parents
went to Mekka.
When school is
finished we gather
together for few
minutes than we go
home because my
aunts come to take
care of us. But before
Gestern kämpfte ich
mindestens eine Stunde
lang mit meinem
Bruder um die
Benützung des
Computers. Das ist
ziemlich normal. Mein
Tag startet damit, dass
mein Großvater uns laut
schreiend weckt. Das ist
um 6 h wenn er vom
Morgengebet kommt.
Um 7 Uhr stehen wir
dann wirklich auf. Dann
schimpft er und wir
streiten. Dann müssen
wir lernen. Aber wir tun
nur als ob. Doch gerade
haben wir Examen, da
haben wir keine Zeit
zum Ausruhen. Das
mag ich gar nicht. Nach
dem Frühstück richte
ich meinen Bruder und
bringe ihn zur Schule.
Weil meine Eltern in
Mekka sind, passe ich
diesen Monat viel auf
ihn auf. Dann gehe ich
zur Schule. Nach der
Schule bleiben wir noch
ein bisschen
beieinander. Dann gehe
ich nach Hause, weil
meine Tanten dann
kommen um auf uns
aufzupassen. Bevor sie
uns zur Nachhilfe
schicken, kämpfe ich
mit meinem Bruder,
nehme ein Bad und
schau Fernsehen. Wenn
ich heimkomme kämpfe
ich wieder mit meinem
Bruder und lerne so um
die 3 Stunden. Dann
esse ich zu Abend ,
schaue Fernsehen und
gehe dann schlafen.
Reduktion
Ausgeprägtes soziales
Netzwerk:
- Bruder
- Großvater
- Tanten
- Eltern
Netz an gegenseitiger
Verantwortung in der
Familie
Vertrautes Verhältnis
zum Bruder
Großvater ist große
Autorität
Aufstehen, lernen, fam.
Pflichten, Schule,
Freizeit, Nachhilfe,
Lernen, Freizeit
Kategorisierung
Soziales Netzwerk
Großes Bedürfnis nach
verbaler und gefühlter
Nähe
Freunde: große
Bedeutung zum
Austausch von
vertraulichen Dingen
Familie
Teilnehmer:
- Autorität beim
Großvater
- Gegenseitige
Verantwortung
- Gute Beziehung auch
in Zukunft wichtig
Aber:
- Wahrnehmung von
altersmäßiger Distanz
zu den Autoritäten
- Abneigung gegenüber
familiär verordneten
Leistungsdruck
135
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
that I fight with my
brother than I take a
bath and watch TV.
Then my aunts come
and say: Hey you
have to get up to your
coaching. The
coaching is a visit of
our school teachers
but at their home.
When I come home
of coaching I against
fight with my brother
then I study for
almost 3 hours. Then
I have dinner, watch
TV and go to sleep.
In the morning I meet
with my friends. But
after I go home I miss
them much. But in
the evening we gather
together. So I like to
meet with my friends.
Because I can share
the most of my things
with them. I don’t
like to be alone. And
I always have to fight
with someone, just to
have some fun. When
you came to school
you have seen Fahim
and me fighting. I’m
always beating him.
That’s the same like
with my brother.
Am Morgen treffe ich
mich mit meinen
Freunden. Daheim
vermisse ich sie dann
sehr. Am Abend
kommen wir dann
wieder zusammen. Ich
mag das sehr, weil ich
die meisten Dinge mit
ihnen teilen kann. Und
ich muss immer mit
jemandem kämpfen, nur
so zum Spaß. Ich
kämpfe auch immer mit
Fahim; wie mit meinem
Bruder.
Bedürfnis nach
körperlicher (Bruder)
und verbaler Nähe
(Schulfreund)
It is not nice is to
have too much
pressure because of
studying. I don’t like
that.Some of them are
like beating my mind.
I really don’t like
overloaded things.
But there is my
grandfather.... He
gets so angry: You
have to learn. You
have to remember
that. When I was a
little girl I used to
read the whole night.
Es ist nicht schön zu
viel Druck beim Lernen
zu haben. Ich mag
solche zähen Dinge
nicht. Aber da gibt es
meinen Großvater. Er
wird dann so wütend
und sagt, dass ich
lernen muss. Als ich
klein war, las ich meist
die ganze Nacht lang.
Leistungsdruck durch
familiäre Autorität
If I would not study I
would not learn
anything. I also like
Ich mag lernen, aber
ohne Zwang
Freude am zwanglosen
Lernen
Freudige
Tagesbeschäftigungen:
Ausruhen
Zwangloses Lernen
Zeit mit Freunden.
Große Bedeutung des
Freundeskreises
Abneigung gegenüber
Lernen mit
Leistungsdruck
Abneigung gegenüber
zähem, zwanghaftem
Lernen
Motivation:
Autorität und
Zielverwirklichung
136
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
studying, I like
learning. But not that:
“You have to learn
these or that. Read!
Read!” I don’t like
that.
My father and mother
will get old! (-) Our
relationship will still
be good
Meine Eltern werden alt
sein. Unsere Beziehung
wird immer noch gut
sein.
Altersmäßige Distanz zu
den Eltern
Gute Beziehung zu
Eltern auch in Zukunft
wichtig
I don’t want to be
married at that time.
At least not in the
next leise: ten years.
lachen. First I want to
start with my fee.
Then I will think
about it.
Ich will die nächsten 10
Jahre nicht verheiratet
sein. Erst will ich etwas
verdienen, dann werde
ich darüber
nachdenken.
Selbstständigkeit vor
Heirat
First of all I want to
be a doctor so that I
will help people. At
special the poor ones.
They really don’t get
that much care
because of lag of
money. So I will take
fees depending on the
money of the people.
Because if they are
living in Slums they
are suffering a lack of
care. But they need
also care because
they are also people.
At first I have to be a
doctor. And after I
will be a successful
doctor I will open a
little hospital where
the poor people can
come to stick their
diseases.
Yeah. From now on I
think I have to
prepare that thing.
Because if I don’t do
that I think I cannot
make true that thing.
Humanity, but first of
all money. If I don’t
have the financial
help I think I cannot
help them. At least
this is the most
Ich möchte Arzt werden
um Leuten, besonders
den armen, helfen zu
können. Weil sie nicht
viel Geld haben,
genießen sie eine nicht
so gute Versorgung.
Aber sie brauchen auch
eine Vorsorge, sie sind
doch auch Menschen.
Wenn ich dann ein
erfolgreicher Arzt bin,
kann ich ein
Krankenhaus eröffnen,
wo die armen Leute
hinkommen können um
ihre Krankheiten zu
heilen.
Kritik an der mangelnder
staatlicher
Krankenversorgung
Von nun an muss ich
diese Dinge
vorbereiten, um sie
realisieren zu können.
Wenn ich keine
finanzielle
Unterstützung habe,
dann kann ich ihnen
nicht helfen. Auch
nicht mit
Menschlichkeit. Das ist
das Allerwichtigste.
Zielverwirklichung
bedarf gegenwärtiger
Vorbereitung
Berufsziel: Arzt
Ziel: Krankenhaus
eröffnen
Ziele:
- Arzt werden
- Krankenhaus eröffnen
- Armen helfen
- Selbstständigkeit
- Stabile soziale
Netzwerke
Moralische Grundwerte:
(Ehrlichkeit,
Menschlichkeit,
Vertrauen)
benötigte Ressource:
Geld
137
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
important thing.
Yeah. From now on I
think I have to
prepare that thing.
Because if I don’t do
that I think I cannot
make true that thing.
Humanity, but first of
all money. If I don’t
have the financial
help I think I cannot
help them. At least
this is the most
important thing.
Von nun an muss ich
diese Dinge
vorbereiten, um sie
realisieren zu können.
Wenn ich keine
finanzielle
Unterstützung habe,
dann kann ich ihnen
nicht helfen. Auch
nicht mit
Menschlichkeit. Das ist
das Allerwichtigste.
Zielverwirklichung
bedarf gegenwärtiger
Vorbereitung
Actually I am like my
grandfather. He also
wants to help people.
But actually he can’t
do this because he is
really old so I have
got that from my
grandfather. I first
have to stand on my
feet then I can help
the people. I actually
want to go to a
foreign university.
Because there you
can learn more than
in bangla
Universities. So I
want to go to
Germany or Finnland.
My uncle is in
Canada and he says I
have to come to
Canada. But I don’t
want to go there for
studying. Because
then I would be
dependent on them.
But I want to be
independent.
Eigentlich bin ich wie
mein Großvater. Er will
auch Leuten helfen.
Aber nun kann er das
nicht mehr tun,
deswegen übernehme
ich das von ihm… ich
muss erst auf eigenen
Füßen stehen, dann
kann ich anderen
Leuten helfen. Ich
möchte wirklich gerne
in eine ausländische
Universität, denn dort
kannst du mehr lernen
als hier. Daher möchte
ich nach Deutschland
oder Finnland gehen.
Mein Onkel will, dass
ich zu ihm nach Canada
komme. Aber ich
möchte nicht dort
studieren. Denn dann
wäre ich von ihm
abhängig. Ich will aber
unabhängig sein.
Selbstständigkeit als
Bedingung anderen zu
helfen
Yeah. If I work hard
for it I think it will be
true.
Wenn ich hart dafür
arbeite, denke ich, wird
es wahr werden.
Ressource: Leistung
Hoher Optimismus diese
Ziele zu erreichen
There are some
people in the
government who
don’t want the poor
people getting
educated. Because if
they get educated
they would be able to
Da sind einige Leute in
der Regierung, die nicht
wollen, dass die arme
Bevölkerung Bildung
bekommt. Denn wären
sie gebildet könnten sie
zwischen gut und
schlecht unterscheiden.
Geringe Betroffenheit
des eigenen Lebens
durch gesellschaftliche
Entwicklung
gesellschaftliche
Situation:
Regierung:
- will nicht, dass arme
Bevölkerung
ausreichend versorgt
wird (Bildung /
Medizin)
benötigte Ressource:
Geld
Zeitweise Auswanderung
zum Studium ist
attraktiv.
Räumliche Distanz
(überkontinentaler
Maßstab) von der
Familie ist für
Entwicklung der
Selbstständigkeit wichtig
Regierungskritik: - kein
Interesse an der Bildung
der armen Bevölkerung –
Strategien:
- Zeitlich befristete
Auswanderung:
- Herauszögen von
Heirat (erst wenn
Selbstständigkeit
erreicht ist)
- Gegenwärtige
Vorbereitung
Ressourcen:
- Leistung
- finanzieller
- soziales
Netzwerke
- Bildung
- Moralische
Unterstützung
138
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
decide between good
and bad, Then they
will attack them. I’m
especially afraid of
that.
Dann würden sie über
sie herfallen. Darüber
bin ich sehr besorgt.
Aber es wird mein
Leben nicht
beeinflussen.
mangelnde Bildung als
Strategie zum
Machterhalt – Bildung
als Bedingung für
gesellschaftliche
Teilhabe
I have a disease
called anaemia and
two times I took
blood, in class six and
one in A’s. This is a
main thing. So when I
get sick or get
distracted, then I
don’t think I can
study. This is an
obstruction. But
otherwise nothing
should interrupt me.
Ich habe Blutarmut.
Zweimal musste mir
bereits Blut transferiert
werden. Wenn ich also
krank, oder abgelenkt
werde dann werde ich
wohl nicht studieren
können. Dies ist ein
Hindernis. Aber
abgesehen davon sollte
mich nichts abhalten.
Krankheit als Hindernis
bei der
Zukunftsgestaltung
You can see a lot of
poor people here.
Bangladesh is not that
developed compared
to other countries. So
I think that using
different types of
assistance, like
education programs
can help us to take
steps forward. Then I
think we will develop
a lot. I want to see
Bangladesh
developing and I
believe that this will
be the case. Because
lots of people really
condemn Bangladesh
because it is
uneducated; and not
such a good country.
Bangladesh can
develop by honesty,
humanity and the
most important thing
is trust. Because there
are a lot of people, I
mean at most from
political site, they just
tell people don’t be
afraid we will help
this and that. But they
actually do not do
In Bangladesch kann
man viele arme
Menschen sehen. Im
Vergleich zu anderen
Ländern ist
Bangladesch nicht so
weiterentwickelt wie
andere Länder. Doch
ich denke, dass
Hilfsangebote etwa wie
bei der Bildung
Entwicklungsschritte
darstellen. Ich möchte,
dass sich Bangladesch
entwickelt, und ich
denke auch, dass es das
tun wird. Viele
verachten Bangladesch
als ungebildetes, nicht
so gutes Land.
Bangladesch kann sich
durch Ehrlichkeit,
Menschlichkeit und
Vertrauen entwickeln.
Bisher halten viele
Politiker ihre
Verprechen an die
Bevölkerung nicht ein.
Ressourcen um
Bangladesch
weiterzuentwickeln
- Bildung
- Menschlichkeit
- Ehrlichkeit
- Gegenseitiges
Vertrauen
- hält Versprechen nicht
ein
Daher große
Ungerechtigkeit in der
Gesellschaft
Influence your life:
No.
-
Fehlende Ressourcen:
Gesundheit
Finanzielle
Selbstständigkeit
Benötigt medizinische
Versorgung
Optimistisch für die
Verwirklichung der Ziele
Armutsbeseitigung
durch:
- Bildung
- Moralische
Grundwerte
- Gegenseitiges
Vertrauen
- Eigenen Beitrag
Politik hält versprechen
nicht
139
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
that.
Contribute to the
development:
Yeah. If I do these
things I think I can. If
I help people by
being a doctor
There are a lot of
political positions
which don’t really
want Education for
Bangladesh .That’s
really bad. Because
only for that,
Bangladesh is so
much back compared
to other nations. And
not only that. Even
the rich people of this
country also need to
help them because
they have the
financial background.
The most important
thing they need is
honesty and humanity
things.
Indem ich mein Ziel,
Leuten zu helfen,
verwirkliche kann ich
zur Entwicklung des
Landes beitragen.
Wunsch dem Land zu
helfen hat auch Einfluss
auf die
Berufswahlentscheidung
Viele der politischen
Stellen wollen keine
breite Bildung für
Bangladesch. Das ist
wirklich schlecht. Denn
nur deswegen bleibt
Bangladesch im
Vergleich mit andern
Ländern zurück. Und
nicht nur das, sogar die
reichen Menschen
müssen Unterstützung
leisten, denn nur sie
haben den finanziellen
Hintergrund. Das
Wichtigste, was diese
Menschen brauchen, ist
Ehrlichkeit und
Menschlichkeit.
Politischer Unwille an
der Verbreitung von
Bildung ist
verantwortlich für
Entwicklungsbedarf
Bangladeschs
If you ask me about
this class thing. I
would answer you;
I’m from middleclass.
Ich gehöre der
Mittelklasse an
Zugehörigkeit zur
Mittelschicht
I can’t help them all
by myself.One can
help anyone. But if
we join together, for
example to a group of
ten. Then I think we
can help them.
Ich alleine kann nicht
helfen. Aber wenn wir
uns
zusammenschließen,
beispielsweise zu einer
Gruppe von 10
Menschen, dann denke
ich, werden wir helfen
können.
Zur Entwicklung des
Landes bedarf es sozialer
Netzwerke
7.3.6 Nafees
1
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3
4
Code-Nr: Raj 1-1
Name: Nafees
Ort: Rajshahi, Paramount School, Biologieraum
Datum / Zeit: 6.12.2010 12.10 Uhr – 12.50 Uhr
JB: We are a group of scientists of the University of Education in Freiburg,
Germany. In our Interviews we are interested in the future-imaginations of
adolescents. So I will also ask you about your imaginations for the future and
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Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
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about your feelings for the future of the society in Bangladesh. Your answers are
useful for a better assessment for the future of Bangladesh. With your
contribution you will become part of this science-project.
Nafess: Oh I`m feeling honoured.
JB: Let’s start with the first question: What are you doing at a usual day –a
school day? Perhaps yesterday was such a usual school day? Can you tell me
what you have done yesterday?
Nafees: You know: I’m actually doing A-level. That means I`m doing my college
at a CIA college which the University of Cambridge supports. So in my level I
have taken three subjects: Physics, Biology and Mathematics. So yesterday there
was my Biology-Class. It was my preparation time. But we usually do
Mathematics. So yesterday, you know, in my evening time, at 7.30 pm we went
to our private tutors to solve our problems. Hm...
JB: Is it very intensive work?
Nafees: Yeah.
JB: So when you woke up yesterday, was there breakfast? Tell me!
Nafees: I usually wake up by 7 to 8 am. But because I studied in the night I
woke up at 10 am. Everyday I have breakfast, lunch and dinner. You know
Rajshahi is a very peaceful place – there is no traffic. You have to see Dhaka or
Chittagong everything is hectic but here it is very quiet. I have no preference, I
come by microbus, I come by cycle and I also come by Rickshaw.
JB: And what are you doing after coming back from school?
Nafees: I write down what I have to do today. I write a list. First I have my bath,
the lunch and afterwards I have a little sleep. Before sunset I have my prayer and
I read books and I watch a lot of movies. I’m also an internet-freak. You know –
facebooking, social networks, blogs and forums. I moderate some of them. I also
have my own site. So I just enjoy.
JB: Do you also practice some sports?
Nafees: Unfortunately I have no brother in my age. So I have not the choice. But
we are playing football and cricket at school.
JB: When you are going to school: What is your feeling about it? Are you
motivated to go to school?
Nafees: lachen My attitude has changed. Now I’m 19 years old. When I was 15
years old I thought: Oh another day. But we are going to get graduated. So I
really enjoy being here. Here are professors who are very committed and
enthusiastic about teaching us. Why I’m saying this? I can try to give you an
example: Many of the professors are very prestigious. They are enthusiastic , that
is why they want to change us. I’m also part of this revolution. We want to
change our generation. We want to make them closer to technology. I really want
to change our society, our generation.
JB: Do you feel some pressure in school?
Nafees: No
Interviewer: Imagine: I will meet you in five years again. What will be a typical
day you will have then? What will be in the morning, afternoon and evening?
JB: Okay. After five years. Since I have this goal I want to pursuit my approach. I
expect that you will meet me in my own apartment. I will be very busy, because I
have this big motivation and responsibility towards my nation, towards my
141
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
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society and towards my generation.
Interviewer: And what about other imaginations: Like family and partnership.
JB: Oh you are talking also about my social network, my relatives?
JB: Yes.
Nafees: Oh I will not be married in five years.
JB: And partnerships?
Nafees: A girlfriend? lachen Oh yeah I hope so. lachen
JB: What do you need to do for realizing these wishes?
Nafees: You must have an aim. Whoever you ask in Bangladesh: What do you
want to be in future? They will answer you: I want to be a doctor, I want to be a
engineer. Nothing else. You are a geographer – I’m right? I mean that’s it. A
good thing. I want to be something more than a doctor or an engineer. My father
wishes that I will be a doctor. I wish that I will be an engineer. So I will combine
the doctor of my father and my thing into biological engineering.
JB: So what do you have to do for realizing this wish?
Nafees: Oh. I will do this highschool diploma. So I can study in USA. That’s the
condition I need.
JB: Who can help you to make your wishes come true?
Nafees: We are teenagers: We have not that experience. I mean you know much
about these life things. So I ask a person who can help me with these things. My
brother is such a mentor of mine. His name is Bonny. He used to teach me that
you need this motivation, a dream, a vision. Because this can drive you to that
thing. So he told me: Before the formal-education you need a dream, your desire.
So he asked me: What is your desire? I told him: my desire is to be a
Mathematician. But, what do you want to be? Don’t you want to help your
society, don’t you want to help Bangladesh. He told me: You want to. So what
are you going to give? Action is more powerful than words. I want to show it by
action. If you have a family you have this responsibility for your children. But
nation is not going to remember you. Nation will remember those who are
responsible. So that’s my vision: I want to change my nation. Our school is one
of the most established in this nation. Our clans are the most established ones in
that Rajshahi Division. But we are responsible. So I want to go to the
underprivileged people who have not that opportunity. Because, who is
responsible for them? We need an authority. That’s what I try to. That’s my
vision.
JB: Is there an assumption for realizing your future imaginations which you have
not yet?
Nafees: This is true. I’m going to be frank here. We all are teenagers. We all have
these problems, this stress, these family problems. We all have this, we all go
through this. I have this problem, this procrastination. I delay a lot. But I will be
straight. I’m podcastining a lot.
JB: Do you think your wishes will become true?
Nafees: I will give you a life example. I’m talking to you right now. If you go
perhaps three years back in my life. I was not able to say one word. It was a lot of
work and discipline. But what drove me to that position? We must have wishes.
So I have this vision that, alhambrullah, that if I have that vision and work hard
for it everything is possible. One important thing is discipline.
142
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
38
39
40
41
42
43
44
45
46
JB: So, do you believe this discipline will also help you in the future?
Nafees: Yes.
JB: How do you assess the future of Bangladesh? What gives you some hope and
for what are you afraid of?
Nafees: That’s a very nice question. I was like waiting for it. If you talk about
Bangladesh you have to see the change between the now-Bangladesh and the
Bangladesh ten years before. There is a lot of change. Bangladesh was like
“dump” in English. Bangladesh has improved in education a lot. Why is that so:
About my stage – Each year under this Cambridge Colleges hundreds of students
achieve this world highest and country highest education. And I’m a part of them.
Definitely this is a sign of improvement. I’m frank. We are much higher than the
normal Bangladesh people. So this is not like the education of the regularbangladeshian people. When you go there, the education is not that good. The
education is not provided. I’m afraid of that because. Hmm there is place, I want
you to take to this place we used to hang out there. There are working children in
the age of four and five by serving tea and bread. Why? Because they are poverty
striken. They seek for money. They have nothing to do. Because they have this
stomach. What will they do if they find no good will. They don’t have this food.
So what will they do? That’s why are they abandoned of education,
unfortunately. My parents will have, inschallah, the money to give me a high
education. But what about them? They will go and marry one day, they will give
their children some work. So the cyclone goes on. That’s I’m afraid of.
JB: Expect that you would interview some other adolescents. What would you
ask them for the imagination for their future?
Nafees: Seriously I’m going to ask them one thing: What’s your purpose in life?
Because I want to ask them: Do you want to deflect this forever? Do you think,
these 10 Takka can bring prospect in your life? I want to ask this also their
parents. You know education is much prior than money. There is a saying in
Bangla. You know in a poverty area, the people in that society. If you give them
fish - that will feed them one day. If you show them how to get that fish they will
not ask you for providing the fish any more. I want to teach them. I want to be
someone who can teach them. With this education nobody can snatch you. So I
would ask them: What’s your purpose?
JB: Have you ever asked them this question?
Nafees: Yes I have asked them. But unfortunately I think they don’t feel that
necessity. I think they are not mature enough. So I think it’s too late. They have
everything left behind them. This is that opportunity. Between ten to twenty this
is the golden opportunity. This is time to plan the seed. So when this opportunity
has left behind. You know they smoke ganja. Thats why their heart is locked for
one unknown reason. They don’t try to understand it. I want to be someone who
can educate them these things.
JB: I’m really impressed! I did not only talk to an adolescent. I talked to an
expert in these things. Thank you for this interview.
47
Allgemeine Daten
48
Geschlecht: männlich
Alter: 18
Tätigkeit: Schüler
49
50
143
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
51
52
53
54
55
Schulart: College – Paramount School
Angestrebter Schulabschluss: A-Level Cambridge Standard
Tätigkeit der Eltern:
Mutter: Hausfrau
Vater: Business Management
56
Eindrücke des Interviewers und weitergehende Angaben:
57
Nafees schien mir zunächst sehr aufgeregt. Auf Nachfrage über den Grund seiner
Unruhe äußerte er die von ihm wahrgenommene Ehre und Verantwortung, für die
Jugend Bangladeschs sprechen zu dürfen. Während des Interviews legte sich
seine Aufregung und er neigte dazu, die Gesprächsführung zu übernehmen. Seine
guten Englischkenntnisse machten es möglich, auf Englisch zu kommunizieren.
Aufgrund eines Vorgesprächs bezüglich seiner von ihm angebotenen Hilfe beim
Übersetzen späterer Interviews war ihm die Thematik des Interviews bereits im
Vorfeld bekannt. Dies äußerte sich zum Teil in seinen offensichtlichen
Vorüberlegungen zu gesellschaftlichen Fragen. Meinem Eindruck nach werden
jedoch die Antworten nicht verfälscht, sondern bieten stattdessen eine
bemerkenswerte Tiefe. Positiv ist auch, dass er von den persönlicheren Fragen
überrascht schien, die er offen beantwortete. Nafees pflegte mit uns deutschen
Studierenden einen freundschaftlichen Umgang.
144
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Passage
Paraphrase
Reduktion
Kategorisierung
I’m actually doing Alevel. That means I`m
doing my college at a
CIA college which the
University of
Cambridge supports.
So in my level I have
taken three subjects:
Physics, Biology and
Mathematics. So
yesterday there was my
Biology-Class. It was
my preparation time.
But we usually do
Mathematics. So
yesterday, you know,
in my evening time, at
7.30 pm we go to our
private tutors to solve
our problems.
Ich mache gerade das
Abitur an einem von der
Universität Cambridge
unterstützten College.
In meiner Klassenstufe
habe ich drei Fächer:
Physik, Biologie und
Mathematik. Gestern
hatte ich meinen
Biologieunterricht.
Gestern Abend ging ich
zu meinem privaten
Nachhilfelehrer, um
meine Probleme zu
lösen.
Normalerweise stehe
zwischen 7h und 8h
auf. Aber weil ich
gestern Nacht gelernt
hatte, stand ich um
10.00 h auf. Jeden Tag
habe ich Frühstück,
Mittagessen und
Abendessen. Weil
Rajshahi eine friedliche
Stadt ist, kann ich frei
wählen, wie ich zur
Schule komme: Mit
dem Microbus, mit dem
Fahrrad oder mit der
Rikscha
Wenn ich nach Hause
komme schreibe ich mir
eine To do-Liste. Dann
nehme ich ein Bad, esse
zu Mittag und mache
einen Mittagschlaf. Vor
Sonnenuntergang habe
ich mein Gebet und
schaue danach
Fernsehen oder lese
Bücher. Ich bin auch ein
Internetfreak, vor allem
in sozialen
Internetnetzwerken wie
Facebook. Ich habe
auch meine eigene
Internetseite.
Viel Flexibilität im
Tagesverlauf: Wird den
Bedürfnissen angepasst.
Tagesverlauf
Zeit wird flexibel den
Bedürfnissen angepasst
und selbstständig
gemanagt
I usually wake up by 7
to 8 am. But because I
studied in the night I
woke up at 10 am.
Everyday I have
breakfast, lunch and
dinner. You know
Rajshahi is a very
peaceful place – there
is no traffic. You have
to see Dhaka or
Chittagong; everything
is hectic but here it is
very quiet. I have no
preference, I come by
microbus, I come by
cycle and I also come
by Rikshaw.
When I come home:
I write down what I
have to do today. I
write a list. First I have
my bath, the lunch and
afterwards I have a
little sleep. Before
sunset I have my
prayer and then I read
books and I watch a lot
of movies. I’m also an
internetfreak. You
know – facebooking,
7 h und 8 h aufstehen,
Schule, Ausruhen,
Gebet,
Zeitmanagement durch
To-do-Listen
Bewusste
Freizeitgestaltung
Gebet im Tagesverlauf
verankert
Soziale Netzwerke im
Internet
Tägliches Gebet
145
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
social networks, blogs,
and forums. I moderate
some of them. I also
have my own site. So I
just enjoy.
Unfortunately I have
no brother in my age.
So I have not the
choice. But we are
playing football and
cricket in school.
Leider habe ich keinen
Bruder in meinem Alter.
Aber wir spielen
Fußball und Cricket in
der Schule.
beklagt fehlende
gleichaltrige
Geschwister
My attitude has
changed. Now I’m 19
years old. When I was
15 years old I thought:
Oh another day. But
we are going to get
graduated. So I really
enjoy being here. Here
are professors who are
very committed and
enthusiastic about
teaching us. Why I’m
saying this? I can try to
give you an example:
Many of the professors
are very prestigious. So
what are they doing
here? They are
enthusiastic, that is
why they want to
change us. I’m also
part of this revolution.
We want to change our
generation. We want to
make them closer to
technology. I really
want to change our
society, our generation.
After five years: Since
I have this goal I want
to pursuit my approach.
I expect that you will
meet me in my own
appartment. I will be
very busy, because I
have this big
motivation and
responsibility towards
my nation, towards my
society and towards my
generation. .
Meine Einstellung hat
sich geändert. Jetzt bin
ich 19 Jahre alt. Als ich
15 war dachte ich: Na,
das verschiebe ich auf
einen anderen Tag.
Aber wir machen
gerade unseren
Abschluss. Deswegen
genieße ich es hier zu
sein. Wir haben hier
Lehrer, die sehr bemüht
und enthusiastisch sind.
Ein Beispiel: Viele der
Lehrer sind sehr
anerkannt. Sie sind hier
wegen ihrem
Enthusiasmus uns zu
verändern. Ich bin Teil
dieser Revolution. Wir
wollen unsere
Generation und
Gesellschaft verändern
und sie der Technologie
näher bringen.
Positive Selbstevaluation
im Bezug auf eigene
Entwicklung
Da ich nun diese Vision
verfolge wirst du mich
in 5 Jahren sehr
beschäftigt in meiner
eigenen Wohnung
vorfinden. Da ich die
Verantwortung für
meine Nation,
Gesellschaft und
Generation trage wird
meine Motivation noch
wachsen.
Hohe Motivation für
gesellschaftlichen
Wandel
Großes
Verantwortungsgefühl
für die Gesellschaft
Ziel: Gesellschaft
verändern
Oh I will not be
married in five years
A girlfriend? lachen
In 5 Jahren:
Verheiratet: nein
Freundin: ja
Verheiratet nein,
Freundin ja
Positive
Selbstevaluation
Große
Selbstwirksamkeit
Hilfe durch motivierte
Lehrer
Großes
Verantwortungsgefühl
für gesellschaftlichen
Wandel
Technologie als Faktor
für positive Entwicklung
Hohe Selbstwirksamkeit
bezüglich
gesellschaftlichen
Wandel
Motivation:
gesellschaftliche
Veränderung
Ehe: hindert an der
Verwirklichung der
146
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Oh yeah I hope so.
lachen
You must have an aim.
... I want to be
something more than a
doctor or an engineer.
My father wishes that I
will be a doctor. I wish
that I will be an
engineer. So I will
combine the doctor of
my father and my thing
into biological
engineering
Oh. I will do this
highschool diploma. So
I can study in USA.
That’s the condition I
need.
Ziele
Du musst ein Ziel
haben.
Der Wunsch meines
Vaters: Arzt
Mein eigener Wunsch:
Ingenieur
Daraus entstand der
Kompromiss:
Bioingenieur
Berufsziel: Bioingenieur
Abhängig vom Vater:
Kompromiss
Benötigte
Voraussetzung:
Highschool Diplom
Benötigte Ressource:
Bildungsabschluss
Benötigte Ressourcen:
- Zielstrebigkeit
- Abschluss
We are teenagers: We
have not that
experience. I mean you
know much about these
life things. So I ask a
person who can help
me with these things.
My brother is like a
mentor for me.
Wir sind Jugendliche
und haben nicht so viel
Lebenserfahrung.
Deswegen hole ich mir
bei solchen Dingen Rat.
Mein Bruder ist ein
Mentor für mich.
Hilfe durch Mentor.
Großem Bruder
Soziales Netzwerk:
Mentor (Bruder)
Lehrer und Familie
Soziale Netzwerke im
Internet
He used to teach me
that you need this
motivation, a dream, a
vision. Because this
can drive you to that
thing. So he told me:
Before the formaleducation you need a
dream, your desire. So
he asked me: What is
your desire? I told him:
My desire is to be a
Mathematician. But,
what you want to be?
Don’t you want to help
your society, don’t you
want to help
Bangladesh. He told
me: You want to. So
what are you going to
give? Action is more
powerful than words. I
want to show it by
action. If you have a
family you have this
Er zeigt mir, dass man
noch vor der formellen
Bildung eine
Motivation, ein
Verlangen, eine Vision
braucht um sein Ziel zu
erreichen. Er sagte mir,
dass ich Bangladesch
helfen möchte. Dies
möchte ich durch Taten
zeigen. Wenn du eine
Familie hast, bist du für
sie verantwortlich. Aber
das Land wird sich nicht
an dich erinnern. Die
Nation wird sich an
diejenigen erinnern, die
für das Land
Verantwortung
übernehmen. Das ist
meine Vision. Unsere
Schule ist eine der
Anerkanntesten des
Landes und unsere
Großfamilien gehören
Abhängigkeit vom Vater
Eigene Ziele sind nur
Kompromiss
Hilfe geht über
Materielles hinaus und
wird selbst gewählt
Hilfe durch:
Mentor, Lehrer,
Ressourcen: Motivation /
Leidenschaft hat hohen
Stellenwert
Familie steht der
Zielverwirklichung eines
veränderten
Bangladeschs im Wege
Ziel: durch die eigene
Autorität die
Verantwortung für die
Unterprivilegierten des
Landes übernehmen
In die Geschichte des
Landes eingehen
Ziele:
Gesellschaft verändern
In der Geschichte des
Landes eine wichtige
Rolle spielen
Bioingenieur werden
(Kompromiss)
Bildung weitergeben
Ressourcen um Ziel zu
erreichen:
- Leidenschaft,
Spitzen-Bildung
- Fleiß
- Leistung
Bewusstsein über die
eigene herausragende
Stellung und
Verantwortung in der
Gesellschaft.
147
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
responsibility for your
children. But nation is
not going to remember
you. Nation will
remember those who
are responsible. So
that’s my vision: I want
to change my nation.
Our school is one of
the most established in
this nation. Our clans
are the most
established ones in that
Rajshahi Division. But
we are responsible. So
I want to go to the
underprivileged people
who have not that
opportunity. Because,
who is responsible for
them? We need an
authority. That’s what I
try to (establich).
That’s my vision.
zu den anerkanntesten
im Distrikt Rajshahi.
Dehsalb möchte ich
meine Verantwortung
wahrnehmen und den
Unterprivilegierten der
Gesellschaft zu Bildung
verhelfen. Wir brauchen
eine Autorität. Diese
Vision versuche ich zu
verwirklichen,
We all have these
problems, this stress,
these family problems.
We all have this, we all
go through this. I have
this problem, this
procrastination. I delay
a lot. But I will be
straight. I’m
podcastining a lot.
I will give you a life
example. I’m talking to
you right now. If you
go perhaps three years
back in my life. I was
not able to say one
word. It was a lot of
work and discipline.
But what drove me to
that position? We must
have wishes. So I have
this vision that,
allahambrullah, that if I
have that vision and
work hard for it
everything is possible.
One important thing is
discipline.
Wir alle haben diese
Probleme:
Stress,
Familienprobleme.
Ich neige dazu die
Dinge aufzuschieben.
Aber ich werde
zielstrebig sein.
Probleme: Zögerlich,
Ich gebe dir ein
lebendes Beispiel.
Wenn du vielleicht drei
Jahre zurückgehst in
meinem Leben, da war
ich nicht fähig ein Wort
zu sagen, heute rede ich
mit dir. Ich habe diese
Vision, mit der Hilfe
Gottes, jedes Ziel durch
harte Arbeit
verwirklichbar ist. Eine
wichtige Sache ist
Leistung. Sie wird mir
auch in Zukunft helfen
meine Ziele zu
verwirklichen.
Positive Selbstevaluation
Es macht mich
Faktoren – für
Will discipline also
help in future?
Yes!
When you go there, the
Benötigte Ressource:
Zielstrebigkeit
Ressouce: Fleiß,
Leistung,
Zielverwirklichung
durch Gottes Hilfe
Gesellschaft
148
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
education is not that
good. The education is
not provided. I’m
afraid of that because.
Hmm there is place, I
want you to take to this
place we used to hang
out there. There are
working children in the
age of four and five by
serving tea and bred.
Why? Because they are
poverty striken. They
seek for money. They
have nothing to do.
Because they have this
stomach. What will
they do if they find not
good will. They don’t
have this food. So what
will they do? That’s
why they abandoned
this education,
unfortunately. My
parents will have,
inschallah, the money
to give me a high
education. But what
about them? They will
go and marry one day,
they will give their
children some work. So
the cyclone goes on.
That’s I’m afraid of.
betroffen zu sehen, dass
die Bildung einiger
nicht gut ist. Da ist ein
Platz, an dem wir
gewöhnlich rum
hängen. Da arbeiten 4und 5-jährige Kinder im
Alter beim Servieren
von Brot und Tee. Sie
müssen sich ihr Geld
verdienen, weil sie kein
Geld aber einen leeren
Bauch haben. Deshalb
versäumen sie leider
ihre Bildung. Meine
Eltern haben, so Gott
will, das Geld um mir
eine höhere Bildung zu
ermöglichen. Was ist
jedoch mit ihnen? Sie
werden eines Tages
ihren Kindern auch
Arbeit geben. So geht
der Kreislauf weiter.
Davor habe ich Angst.
gesellschaftliche
Entwicklung:
- Kinderarbeit
- Mangelnde Bildung
Seriously I’m going to
ask them one thing:
What’s your purpose in
life? Because I want to
ask them: Do you want
to deflect this forever?
Do you think these 10
Takka can bring
prospect in your life? I
want to ask this also
their parents. You
know education is
much prior than
money. ... I want to
teach them. I want to
be someone who can
teach them. With this
education nobody can
snatch you.
Ich würde sie eine
Sache fragen: Was ist
eure Bestimmung im
Leben? Wollt ihr dieser
Frage für immer
ausweichen? Denkt ihr,
dass diese 10 Takka
Sinn in euer Leben
bringen? Dies will ich
auch ihre Eltern fragen.
Bildung ist mehr wert
als Geld. Ich möchte
fähig sein sie zu
unterrichten. Mit dieser
Bildung kann dir
niemand etwas anhaben.
Ziel: Bildung an arme
Bevölkerung
weitergeben
Eigene Betroffenheit:
Starkes Gefühl für
Verantwortung und
Berufung als Autorität
für gesellschaftlichen
Wandel legitimiert
durch eigene Bildung,
sozialen Status
I think they are not
matured enough. So I
think it’s too late. They
Ich denke sie sind nicht
reif genug dafür. Ich
denke es ist zu spät. Sie
Alter zwischen 10 und
20 ist die beste Zeit zur
Nutzung der Chancen
Chancen müssen jetzt
genutzt werden
Angst vor einem
undurchbrechbaren
Armutskreislauf
+Faktoren: Entwicklung
im Bereich SpitzenBildung
-Faktoren: mangelnde
Bildung, Kinderarbeit,
Kreislauf der Armut
Bildung als Protektor
vor äußeren Einflüssen
149
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
have everything left
behind. This is that
opportunity. Between
ten to twenty this is the
golden opportunity.
This is time to plan the
seed. You know they
smoke ganja. That is
why their heart is
locked for one
unknown reason. They
don’t try to understand
it. I want to be
someone who can teach
them these things.
haben die goldene Zeit
der Möglichkeiten, im
Alter zwischen 10 und
20 Jahren verpasst. Ich
möchte jemand sein, der
ihnen diese Dinge
beibringen kann.
Armut aufgrund
versäumter Chancen
7.3.7 Übergreifende Kategorisierung
150
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Kategorien
Prija
Fatima
Wasil
Nazia
Nafees
Lanoon
hoher
Arbeitsaufwa
nd
Hausarbeit
Hoher
selbstständiger
Arbeitsaufwand
Positiv: Ausruhen
Zeit wird flexibel
den Bedürfnissen
angepasst und
selbstständig
gemanagt
Hoher
Arbeitsaufwand
K 1: Tagesverlauf
K 1.1
Wie beschreibt der
Jugendliche seinen
Tagesverlauf?
Zwangloses Lernen
negativ:
Zähes, zwanghaftes
Lernen
K 1.2
Was motiviert den
Jugendlichen bei
der Gestaltung
seines
Tagesablaufs?
Effektive
Arbeit ist
schön
autoritäre Stabilität;
Verwirklichung des
Traumberufs
Autorität und
Zielverwirklichung
gesellschaftliche
Veränderung
tägliches Überleben
- Verwirklich
ung des
Traumberuf
Fürsorge und
Existenzsicherung
für die eigene
- Sozialer Status
bezüglich
materiellen
- Arzt werden
- Krankenhaus
eröffnen
-Gesellschaft
verändern
- Verantwortung
ggü. der Familie
K 2: Ziele
K 2.1
Was strebt der
151
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Jugendliche in
seinem Leben an?
s;
- Bildung
- Unabhängig
keit
Familie
Gütern und
Habitus
- Selbstständigkeit
- Familie
unterstützen
- Armen helfen
- Unabhängigkeit
- Stabile soziale
Netzwerke
-In der Geschichte
des Landes eine
wichtige Rolle
spielen
-Bioingenieur
werden
(Kompromiss)
gerecht werden.
z.B. Brautgeld für
Schwestern
erwirtschaften
- eigene Bildung
-Bildung
weitergeben
K 2.2
Leistung
Fleiß, Gerechtigkeit
Fleiß, Traditionelle
Moralvorstellungen
Moralische
Grundwerte, (Bsp.
Ehrlichkeit,
Hilfsbereitschaft,
Vertrauen)
Fleiß
Verwirklichun
g aufschieben.
Bis dahin soll
Leistung
Ressourcenma
ngel
kompensieren
Kleinschrittige
Zwischenziele; Ziele
den geringen
Ressourcen anpassen
Hoher
Zeitlich befristete
Auswanderung;
Fleiß;
gegenwärtige
Vorbereitung
Chancen müssen
jetzt genutzt
werden
Welche Tugenden
betont der
Jugendliche?
Fleiß;
Verantwortung
K 3: Realisierung
K 3.1 Welche
Strategien verfolgt
der Jugendliche bei
der Realisierung
seiner Ziele?
Arbeitsaufwand
Geld sparen;
Zielverwirklichung
auf unbestimmte
Zeit verschieben;
Schwere Arbeit
152
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
K 3.2 Auf welche
Ressourcen greift
der Jugendliche bei
der Realisierung
seiner Ziele zurück
- Bildung
K 3.3 Welche
Ressourcen
vermisst der
Jugendliche bei der
Realisierung seiner
Ziele?
-Rückhalt aus
der Familie
K 3.4 Wie
optimistisch
bewertet der
Jugendliche die
Verwirklichung
seiner Ziele?
gering
- Leistung
-Geld
Entscheidungs
freiheit
Möchte gerne auf
Humankapital:
Arbeitskraft
Leistung, Bildung
Zurück greifen. Darf
aber nicht.
Sehr positive
Selbstevaluation
-Bildung
Geld
Entscheidungsfreihei
t über den Einsatz
ihres Humankapitals
bei der Arbeit in der
Textilindustrie,
Landwirtschaft
Positiv
Sehr positiv
- Leistung
- finanzieller
- soziales
Netzwerke
- Bildung
- Moralische
Unterstützung
-
Gesundheit
Finanzielle
Selbstständig
keit
positiv
Positive
Selbstevaluation
2 Euro Lohn am
Tag
Große
Selbstwirksamkeit
- Leidenschaft,
Spitzen-Bildung
- Fleiß
- Leistung
- Zielstrebigkeit
- Abschluss
Sehr positiv
Finanzkapital
Sehr gering
153
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
K 3.5 Welchen
Stellenwert
verleiht der
Jugendliche dem
Glauben an einen
Gott?
Hohes
Verantwortun
gsbewusstsein
gegenüber
Zielverwirklic
hung, die als
göttliche
Berufung
wahrgenomme
n wird.
Helfen kann nur
Allah und das Gebet
zu ihm
Gott
Keine Hilfe sondern
Restriktion bei der
Existenzsicherung
durch:
Redewendungen im
Spachgebrauch
Zielverwirklichung
durch Gottes Hilfe
Einzige Hilfe:
Allah.
Enges Soziales
Netzwerk:
Hilfe durch:
-
K 4: Soziale
Netzwerke
K 4.1 Von wem
bekommt der
Jugendliche Hilfe
und für wen fühlt
er sich
verantwortlich?
Verantwortung für
Mutter;
Mentor, Lehrer;
Hilfe durch Bruder
Ehemann und
Schwiegerfamilie:
Verbot zu arbeiten
Eigene Familie:
Verantwortung
verhindert
Ortswechsel
K 4.2 Inwiefern ist
der Jugendliche in
seinem Handeln
Eltern:
Berufswahl
Abhängig von
Schwiegerfamilie
und Ehemann
- Freunde
- Familie:
Autorität bei
Vater und
Großvater
Teamverständnis:
gegenseitige Hilfe
und Verantwortung
Keine Hilfe
Hohe
Verantwortung
Verantwortlich für
die Gesellschaft
Sehr hohe
Bedeutung
Abhängig vom
Bruder
- Sehr abhängig
von Vater und
Großvater
- Abneigung
Abhängig vom
Vater: Kompromiss
kann gefunden
Verantwortung hat
gegenüber
persönlichen Zielen
154
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
gegenüber
familiär
verordnetem
Leistungsdruck
abhängig von den
Entscheidungen
anderer Personen?
K 4.3 Welche
Einstellung hat der
Jugendliche
gegenüber Ehe und
Partnerschaft?
negative
Einstellung
gegenüber
Ehe,
Behinderung
der
Selbstständigk
eit
Negative
Einschätzung von
Ehe weil:
negativ:
Sehr negativ, (auch
in Zukunft):
werden
Vorrang.
Partnerschaft erst
dann, wenn man
älter ist
Herauszögern von
Heirat: erst wenn
Selbstständigkeit
erreicht ist
Die Ehe behindert
die Verwirklichung
der Ziele.
Eigene
Familiengründung
behindert die
Versorgung der
Stammfamilie
Positive
Gesamteinschätzun
g der
gesellschaftlichen
Entwicklung.
Negativ:
- Regierung will
nicht, dass arme
Bevölkerung
ausreichend
versorgt wird
(Bildung und
Medizin)
- Regierung hält
Versprechen
nicht ein.
Daher große
Positiv:
Negativ:
Entwicklung im
Bereich SpitzenBildung
- Versagen der
Regierung
- Verachtung
- Gewalt durch
staatliche Organe
- Hohe
Betroffenheit
durch
gesellschaftliche
Situation
- Einschränkend
-großer Druck durch
Brautgeld
Abhängigkeit durch
drohende
Rechtlosigkeit
K 5: Gesellschaft
K 5.1 Wie
empfindet der
Jugendliche die
gesellschaftliche
Entwicklung
Bangladeschs?
Abhängigkeit
von
Regierung
- schlechte
Regierung
- Moral
- politische
Instabilität
-
- Korruption
Teilweise negativ:
- korrupte
Negativ:
- mangelnde
155
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Parteienstreit
- Kriminalität
- Streiks
- Armut
Demonstratio
nen
- Schere zw. Arm
und Reich
Regierung;
- sich verändernde
Moralvorstellung
(Sexualität)
Ungerechtigkeit
in der
Gesellschaft
Bildung,
- Kinderarbeit
- Armut
Und: Keine
Hoffnung auf
Verwirklichung der
persönlichen Ziele
Folgt: hohe
Betroffenheit
- ineffiziente
ausländische Hilfe
Hohe persönliche
Betroffenheit durch
gesellschaftliche
Entwicklung und
Normen
K 5.2 Worin sieht
der Jugendliche
Beiträge zur
Überwindung der
Armut in
Bangladesch und
welche Rolle
kommt ihm dabei
zu?
Kognitive
Ressourcen
sind fair
verteilt:
Also kann
Armut durch
(eigene)
Leistung
überwunden
werden
Hingegen ist
die politische
Überwindenden
möglich:
- Durch Hilfe aus
dem Ausland an
die Bevölkerung,
nicht an die
Regierung;
- Durch eine
gerechteres
Zusammenleben
der Menschen in
durch bereits
verbesserte
Bildungssituation
Helfen kann:
- Bildung
- Moralische
Grundwerte
- Gegenseitiges
Vertrauen
- Eigene Arbeit
Bildung und
autoritäre Führung.
keine eigenen
Handlungsoptionen
für Veränderung
Fühlt sich berufen
als Autorität für
gesellschaftlichen
Wandel:
Legitimiert durch
eigene Bildung und
sozialen Status
Großer Anspruch
156
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Partizipation
eine
Bedrohung der
Gesellschaft
und für sie
unmöglich
weil:
Bangladesch;
Aber: keine eigenen
Handlungsoptionen
an die
Eigenverantwortun
g der Bevölkerung
- Geringe
Kenntnis
- Zu jung
157
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
7.4 Fallübergreifende Auswertung
Lebenseinstellung
[K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?]
Optimismus…
weil über Ressource
verfügt wird
Because I’m good in
my studies. I’m the first
one in class. So I think
it is possible for me.
Because I’m a really
hard worker. [Wasil 3535]
Pessimismus…
wenn Ressource langfristig mobilisiert werden
kann
Mobilisierung
Mobilisierung
wahrscheinlich
unwahrscheinlich
if I have that vision and If he would go to
work hard for it
school, who would give
everything is possible
money to his sister and
[Nafees 37-37]
his parents? … So he is
not looking
If I work hard for it I
optimistically in his
think it will be true
future. [Lanoon 21-21]
[Nazia 32-32]
But … if it would be
allowed she would be
able to fulfill her wishes
[Fatima 19-19]
weil über Ressource
nicht verfügt wird
I have no financial
support to become a
doctor. So I also don’t
have any moral support
from my family or my
parents. … But it
depends on money. So I
have no opportunity
[Prija 27-27]
Religion: Im festen Glauben an eine gerechtere Zukunft
[K 3.5 Welchen Stellenwert verleiht der Jugendliche dem Glauben an einen Gott?]
[K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?]
[K 1.1 Wie beschreibt der Jugendliche seinen Tagesverlauf?]
Einschätzungsdimension
Zukunft abhängig von
göttlichem Einfluss
Ankerzitate
„Allah has given me the main thing: my brain. And now I have to use it”
[Prija K 3.5 39-39]
„Her first thing she has to do is to pray to Allah that he may help her to
reach this aim.” [Fatima K 3.5 19-19]
„If Allah would like to, he might get a better job someday. And then,
maybe, his life will be changed” [Lanoon K 3.5 17-17]
Erwähnung von Nähe zu
religiöser Praxis im Alltag
„before sunset I have my prayer” [Nafees K 3.5 13-13]
Nicht erschließbar
Wasil
„After the morning prayer. That means that he makes in mosque things, he
prays, then he comes and shout” [Nazia K 1.1 6-6]
Beziehung, Familie, Eigenverantwortung – gut ausgebildete Frauen im Aufbruch
[K 2.1 Was strebt der Jugendliche in seinem Leben an?]
158
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
[K 4.2 Inwiefern ist der Jugendliche in seinem Handeln abhängig von den Entscheidungen anderer
Personen?]
[K 4.3 Welche Einstellung hat der Jugendliche gegenüber Ehe und Partnerschaft?]
Fatima
Prija
Nazia
K 2.1
Her first wish is to live
with her family happy and
peaceful [13-13]
I want to be someone. I want to
be myself. I want to study. I
want to be something [19-19]
K 4.2
Her future totally depends
on the decisions of her
husband’s family [23-23]
If the woman is divorced,
she is alone without any
help. And everyone can do
with her what they want
I also don’t have any moral
support from my family or my
parents [27-27]
No! I will never get married! I
don’t like to be married [19-19]
At first I have to be a doctor.
And after I will be a successful
doctor I will open a little
hospital [20-20]
But it also depends on my
grandfather. Because he is the
leader of my team [28-28]
I don’t want to be married at
that time. At least not in the
next leise: ten years [18-18]
K 4.3
Zukunftsperspektiven für Bangladesch
[K 3.4 Wie optimistisch bewertet der Jugendliche die Verwirklichung seiner Ziele?]
[K 5.1 Wie empfindet der Jugendliche die gesellschaftliche Entwicklung Bangladeschs]
K 3.4
K 5.1
Fatima
But … if it would be allowed she would be able to
fulfill her wishes [19-19]
There isn’t a future at all [25-25]
Prija
I have no financial support to become a doctor. So
I also don’t have any moral support from my
family or my parents. … But it depends on
money. So I have no opportunity [27-27]
Bangladesh will not be able to
improve [43-43]
Nazia
If I work hard for it I think it will be true [32-32]
Then I think we will develop a lot
[40-40]
Nafees
if I have that vision and work hard for it
everything is possible [37-37]
There is a lot of change [41-41]
Wasil
I’m the first one in class. So I think it is possible
for me [35-35]
Lanoon
If he would go to school, who would give money
to his sister and his parents? … So he is not
looking optimistically in his future [21-21]
And most of us get educated. This is
why Bangladesh will improve [3737]
The government people will only
develop themselves. They will not
develop the society [21-21]
159
Zukunftsorientierung von Jugendlichen in Bangladesch
Selbstständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich, dass die Arbeit selbstständig angefertigt, nur die angegebenen
Hilfsmittel benutzt und alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen
Werken, gegebenenfalls auch elektronischen Medien, entnommen sind, durch Angabe
der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht wurden.
Im Falle der Aufbewahrung meiner Arbeit im Staatsarchiv erkläre ich mein
Einverständnis, dass die Arbeit Benutzern zugänglich gemacht wird.
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