Ausländer umgehen Autobahn
Transcription
Ausländer umgehen Autobahn
Roman-Debüt: Gut organisierter Krimi Petra Reski über die Mafia – und den Umgang der Deutschen damit ➤ Seite 13 FREITAG, 31. OKTOBER 2014 | WWW.TAZ.DE AUSGABE BERLIN | NR. 10552 | 44. WOCHE | 36. JAHRGANG € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND HEUTE IN DER TAZ Ausländer umgehen Autobahn-Maut! US-WAHLEN Am Dienstag geht es um die Macht im Kongress – und die Freigabe von Cannabis ➤ SEITE 4, 14 MUSIK Quälgeister mit ewiger Jugend: Mouse on Mars ➤ SEITE 15 BERLIN Drohung mit der Räumung: Monika Herrmann erklärt ihre Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik im taz-Interview ➤ SEITE 21 VERKEHR Minister Dobrindt führt Straßenmaut in Deutschland ein ➤ Seite 3 Russen fliegen einfach unangemeldet über Europa herum ➤ Seite 10 Fotos oben: reuters; Sven Simon/imago VERBOTEN Guten Tag, meine Damen und Herren! Es geht voran, so kann es weitergehen! Nach der lobenswerten Internetsteuer der Ungarn, die bald in ganz Europa Schule machen sollte, nun die nächste Maßnahme, die das Überleben der Printzeitung, damit das Überleben von verboten und das Überleben der Menschheit sichert: Die Maut für Ausländer (mindestens 10 Euro) wird dafür sorgen, dass es sich diese Leute nicht mehr leisten können, nach Deutschland zu fahren, um sich über Deutschland zu informieren. Internet geht ja auch nicht (dank Internetsteuer). Bleibt nur noch für läppische 2,10 Euro Auslandspreis: die taz. Danke, Dobrindt! TAZ MUSS SEIN Die tageszeitung wird ermöglicht durch 14.146 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. Infos unter [email protected] oder 030 | 25 90 22 13 Aboservice: 030 | 25 90 25 90 fax 030 | 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: 030 | 25 90 22 38 | 90 fax 030 | 251 06 94 [email protected] Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22 tazShop: 030 | 25 90 21 38 Redaktion: 030 | 259 02-0 fax 030 | 251 51 30, [email protected] taz.die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet: www.taz.de twitter.com/tazgezwitscher facebook.com/taz.kommune 50644 4 190254 801600 Zahlen nichts und reagieren nicht auf Ermahnungen: Russische Tupolew-Kampfflieger in der Nähe der Nato-Grenzen, hier aufmerksam verfolgt von einem norwegischen F-16-Jet Foto: reuters KOMMENTAR VON RICHARD ROTHER ZUR PKW-MAUT IN DEUTSCHLAND Betreuungsgeld für Dobrindt och ist die Pkw-Maut nicht beschlossen, aber wahrscheinlicher wird: Sie kommt. Nach neuerlichen Änderungen am Konzept hat BundesverkehrsministerAlexanderDobrindt(CSU) nun auch unionsinterne Kritiker ruhiggestellt; damit sind die größten Hindernisse aus dem Weg geräumt. Erstaunlich für ein Projekt, von dem es anfangs fast allerorten hieß, es gehe gar nicht und sei nicht europarechtskonform. Nun zeigt sich: Bayrische Sturheit setzt sich durch, und Dobrindt bekommt sein Betreuungsgeld – egal wie groß der bürokratische Aufwand und der Ansehensverlust in Europa sein mögen. Das ist nicht schön, aber es ist auch nicht schlimm. N Denn im Unterschied zum wirklichen Betreuungsgeld, das die CSU durchgesetzt hat, hält sich der Schaden bei der Maut in Grenzen. Zur Erinnerung: Das Betreuungsgeld erhalten Familien, wenn sie ihre Kleinkinder nicht in eine Kita schicken. Damit werden vorrangig Frauen belohnt, die wegen der Betreuung ihrer Kinder (vorübergehend) auf eine Berufstätigkeit verzichten. Durch das Betreuungsgeld werden nicht nur Mittel verschwendet, die sinnvoller für die frühkindliche Bildung ausgegeben werden könnten, sondern ein rückwärtsgewandtes Familienbild wird gefördert. Die geplante Maut hingegen bringt dem Staat Geld ein, auch wenn es am En- de nicht so viel sein mag, wie Dobrindt vorrechnet. In vielen europäischen Ländern gilt eine ähnliche Vignettenpflicht seit Langem, etwa in Deutschlands Nachbarstaaten Österreich und Tschechien. Daran stört sich niemand. Selbst das Ziel der Maut, auch Fahrzeughalter aus dem Ausland an den Infrastrukturkosten im größten Transitland Europas zu beteiligen, ist nicht verwerflich. Die von Umweltverbänden vehement geforderte Die CSU kann zufrieden sein. Das ist nicht schön, aber auch nicht schlimm Lkw-Maut wurde auch deshalb eingeführt, weil man ausländischen Lkw-Besitzern mit einer Erhöhung der Kfz- oder Mineralölsteuer in Deutschland nicht beikommen konnte. Unangenehm allerdings war der nationalistische Unterton, mit dem die CSU für ihre Mautpläne im Wahlkampf warb. Die CSU darf nun zufrieden sein. Sie wird wohl ihre Maut kriegen – so wie die CDU die Mütterrente und die SPD den Mindestlohn bekommen hat. Das entspricht der Arithmetik der Großen Koalition. Wer Münchner Leib-und-MagenVorhaben künftig verhindern will, muss dafür sorgen, dass es zu keiner Neuauflage dieser Koalition kommt. Volksaufstand in Burkina Faso Tempelberg zu UNRUHEN Präsident Blaise Compaoré scheitert mit dem Plan, per JERUSALEM Nach Gewalttaten lässt Israels Regierung Verfassungsänderung im Amt zu bleiben. Parlamentsgebäude angezündet das für Juden und Muslime heilige Gebiet abriegeln OUAGADOUGOU afp/taz | Im westafrikanischen Burkina Faso haben aufgebrachte Demonstranten am Donnerstag das Parlamentsgebäude angezündet und das Land an den Rand eines politischen Umsturzes gebracht. Sie protestierten mit ihrer Aktion in der Hauptstadt Ouagadougou gegen eine geplante Verfassungsänderung zugunsten von Staatschef Blaise Compaoré, die ihm eine erneute Präsident- JERUSALEM afp | Der Streit um den Tempelberg hat in Jerusalem zu neuen Gewalttaten, Unruhen und drastischen Maßnahmen der israelischen Regierung geführt. Nach dem Attentat auf einen jüdischen Ultranationalisten, der lebensgefährlich verletzt wurde, erschoss die israelische Polizei einen tatverdächtigen Palästinenser. Das Juden und Muslimen heilige Felsplateau wurde erstmals seit dem Sechstage- schaftskandidatur 2015 ermöglicht hätte. Die Regierung sagte das Votum ab, nachdem sie die Besetzung und Verwüstung des Parlaments nicht verhindern konnte. Teile der Armee solidarisierten sich mit den Protestierenden, die weitere Gebäude in Ouagadougou anzündeten. Am Nachmittag wurde spekuliert, dass die Armee Präsident Compaoré absetzen könnte, der Burkina Faso seit 27 Jahren regiert. Compaorés Pläne waren von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich sowie der EU und den USA kritisiert worden. Frankreich unterhält in Burkina Faso Spezialkräfte zum Einsatz in Mali. Am Donnerstag forderte die Regierung in Paris alle Seiten zur „Zurückhaltung“ auf, vermied es aber, sich explizit auf die Seite des Präsidenten zu stellen. ➤ Der Tag SEITE 2 ➤ Meinung + Diskussion SEITE 12 krieg von 1967 vollständig abgeriegelt. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sprach von einer „Kriegserklärung“. Rechtsradikale jüdische Gruppen mobilisierten zu einem Protestmarsch in Richtung Klagemauer, die den Tempelberg westlich abschließt. Daraufhin wurde das Felsplateau komplett von der Polizei abgeriegelt. ➤ Ausland SEITE 10 ➤ Meinung + Diskussion SEITE 12 02 www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DER TAG NACHRICHTEN EX-ARCANDOR-CHEF MIDDELHOFF HAMBURG Anklage fordert 39 Monate Haft Geplante HooliganDemo abgesagt ESSEN | Im Untreuprozess gegen den ehemaligen Arcandor-Chef Thomas Middelhoff hat die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten beantragt. Middelhoff habe seine Treuepflichten verletzt und die frühere Karstadt-Mutter „nach Gutdünken“ mit Kosten seiner zahlreichen externen Nebentätigkeiten belastet, sagte Staatsanwalt Helmut Fuhrmann gestern in seinem Plädoyer vor dem Essener Landgericht. Hauptsächlich geht es um Flüge mit Chartermaschinen, die von Arcandor bezahlt wurden, PORTRAIT nach Auffassung der Ankläger aber ganz oder teilweise privat veranlasst waren. So habe der Manager in New York regelmäßig sein Aufsichtsratsmandat bei der New York Times wahrgenommen. Mit einer einzigen Reise nach New York habe er etwa für einen Schaden in Höhe von rund 91.500 Euro gesorgt. Middelhoff hat die Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen. In der Anklageschrift hatte die Staatsanwaltschaft dem ehemaligen Manager insgesamt 49 Fälle von Untreue mit einem Gesamtschaden von 1,1 Millionen Euro vorgeworfen. (dpa) Auch Diebe wollen Hairstyle F.: dpa Die Frisur hält Vorne träumt der Trucker, hinten räumen Diebe ab: 12.000 Dosen Haarspray im Wert von 38.000 Euro haben Unbekannte aus einem Lkw auf einer Raststätte nahe Bakum an der A1 gestohlen. Der 49 Jahre alte Fahrer schlief währenddessen vorne in der Kabine und bekam von der Aktion gar nichts mit. HAMBURG | Eine für Mitte November angekündigte Demonstration von Hooligans in Hamburg findet nicht statt. „Der Anmelder hat die Versammlung ohne Begründung abgesagt“, sagte ein Polizeisprecher gestern. Die Demo unter dem Motto „Europa gegen den Terror des Islamischen Staates“ war von einer Privatperson angemeldet worden. Wegen befürchteter Ausschreitungen hatte die Polizei zuvor erklärt, sie prüfe „als allerletztes rechtliches Mittel“ auch ein Verbot der Veranstaltung. (dpa) taz intern DIE TAZ IM SOZIALEN NETZ: Kein Tag ohne taz taz.de/twitter taz.de/facebook taz.de/googleplus taz.de/youtube taz.de/vimeo Morgen, am 1.11. 14, ist Allerheiligen, Feiertag in weiten Teilen des Verbreitungsgebietes der taz in Westdeutschland. Die taz wird gedruckt, aber in vielen Fällen leider nicht an unsere AbonnentInnen ausgeliefert. Wer seine taz.am wochenende morgen nicht erhält, bekommt sie am Montag nachgeliefert, für das drohende taz-lose Wochenende bieten wir aber Hilfe: das PDF der Ausgabe gibt es kostenlos als Download. Vielleicht gefällt ja dem einen oder der anderen das digitale Lesen sogar ganz gut. Unter www.taz.de/feiertag kann ab 21 Uhr der Download starten. Folgen Liken Klicken www.taz.de Volksaufstand in Ouagadougou BURKINA FASO Demonstranten zünden das Parlament an und ziehen zum Palast von Präsident Blaise Campaoré VON DOMINIC JOHNSON Burkina Fasos Präsident Blaise Compaoré Foto: dpa Korrigierter Korrektor r kultiviert ein Image als Obercooler, der sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lässt. Aber wenn es drauf ankommt, ist der schweigsame Blaise Compaoré knallhart. Er hatte kein Problem damit, den in ganz Afrika verehrten Thomas Sankara umzubringen, der 1983 aus den schläfrigen Obervolta das selbstbewusste „Burkina Faso“ gemacht und die Emanzipation Afrikas gepredigt hatte. Nie ist restlos geklärt worden, welche Rolle Compaoré beim Putsch gegen seinen Freund und Vorgesetzten Sankara am 15. Oktober 1987 spielte. Aber seitdem hat er Burkina Faso als Präsident regiert. Geboren 1951 und in Marokko militärisch ausgebildet, war Compaoré immer Karrieresoldat gewesen. Anders als Sankara hing er keinen revolutionären Idealen nach, sondern regierte pragmatisch und ergebnisorientiert. Mit unzähligen kleinen Staudämmen und einer Diversifizierung der Landwirtschaft sorgte er dafür, dass Burkina Faso nicht mehr das Armenhaus der Region war. Später machte er mit dem Ausbau der Hauptstadt Ouagadougou Burkina Faso zu einer afrikanischen Kulturmetropole und auch für Touristen und Investoren attraktiv. Er mauserte sich vom Soldaten zum Zivilisten, ließ sich viermal wählen und führte eine Mehrparteiendemokratie ein, die ihm allerdings nie gefährlich wurde. Besonders erfolgreich war seine Außenpolitik, die gleichermaßen eng mit Frankreich und mit Gaddafis Libyen abgestimmt war. Er nahm westafrikanische Rebellen auf, aber auch französische Spezialkräfte; er unterstützte Warlords und betätigte sich als Friedensvermittler. Compaoré löscht mit großer Professionalität Feuer, deren Entstehungsgeschichte er kennt. Jetzt hat ihn seine Putschparole von 1987, wonach er lediglich eine „Korrektur“ der Revolution vornehme, eingeholt: Das burkinische Volk selbst nimmt eine „Korrektur“ vor. DOMINIC JOHNSON E BERLIN taz | Es begann als Protest gegen eine Verfassungsänderung durch das Parlament; es endete als breiter Volksaufstand, an dessen Ende der Sturz eines seit 27 Jahren amtierenden Staatschefs durch die eigenen Freunde im Raum stand. Der Aufenthaltsort von Blaise Compaoré, Präsident von Burkina Faso seit 1987, war am Donnerstagnachmittag unbekannt. Zuvor hatten Demonstranten zahlreiche offizielle Gebäude verwüstet, die Armee hatte sich mit ihnen solidarisiert. Berichten zufolge wurde Compaorés Bruder und mäch- tigster Berater, François Compaoré, beim Versuch, das Land zu verlassen, am Flughafen festgenommen. Am Nachmittag wurde stündlich eine Ansprache des Generalstabs der Armee an das Volk erwartet. Bereits am frühen Morgen hatten sich Zehntausende Demonstranten auf den Weg zum Parlament gemacht. Dort sollten die 127 Abgeordneten über einen Gesetzentwurf abstimmen, der dem Präsidenten die Kandidatur zu einer dritten Amtszeit bei den nächsten Wahlen 2015 ermöglicht hätte. Dieses Ansinnen treibt seit Monaten Oppositionelle auf die Straße. Am Dienstag hatte es Großdemonstrationen gegeben. Die waren mehrheitlich friedlich geblieben. Am Donnerstag kam es anders. Die Polizei versuchte, die Protestler mit Tränengas vom Parlament fernzuhalten. Sie schaffte es nicht. Bis zu 1.500 Menschen drangen ins Parlament ein, verwüsteten das Gebäude und legten Feuer. Die Regierung sagte umgehend die Parlamentsabstimmung ab – aber nicht ihren Plan zur Verfassungsänderung. Das reichte nicht. Während dichte Rauchwolken über der Stadt standen und Augenzeugen von verbreitetem Gewehrfeuer berichteten, zogen die Protestie- renden weiter: der Sitz des Staatsfernsehens wurde besetzt, die Zentrale der Regierungspartei CDP (Kongress für Demokratie und Fortschritt) verwüstet, die Residenzen zahlreicher wichtiger Politiker und Angehöriger des Präsidenten gingen in Flammen auf. Berichten zufolge gab es mindestens drei Tote. Der Flughafen wurde geschlossen. In der zweitgrößten Stadt des Landes, Bobo-Dioulasso, brannten öffentliche Gebäude. Lokale Offiziere erklärten, sie hätten die Macht übernommen. In Ouagadougou blieb den Menschenmengen nur der Zugang zum abgeschotteten Präsi- 150 km MALI NIGER BURKINA FASO Ouagadougou Bobo-Dioulasso BENIN GHANA TOGO ELFENAFRIKA BEINBurkina KÜSTE Faso taz.Grafik: Infotext/S. Weber dentenpalast mit Scharfschützen auf dem Dach verwehrt. Tausende Demonstranten sammelten sich auf dem zentralen Platz der Revolution. Zu ihnen stieß Armeegeneral Kwame Lougué, eine Stütze Compaorés seit 1987. Er verkündete, die Armee stehe auf der Seite des Volkes. Seitdem hängt der Umsturz in der Luft. Aber vorerst wagte sich niemand aus der Deckung. Es wurde verhandelt: zwischen der Die Zentrale der Regierungspartei ist verwüstet, die Residenzen zahlreicher Politiker stehen in Flammen Opposition, den hohen Generälen und dem traditionellen König der Mossi, der größten Volksgruppe des Landes. Offenbar ging es darum, im Konsens eine Lösung zu finden und Blutvergießen zu vermeiden. Auch der Botschafter Frankreichs war an den Gesprächen beteiligt, Präsident Compaoré anscheinend nicht. Gerüchte, er sei bereits von Frankreich außer Landes gebracht worden, ließen sich noch nicht bestätigen. Neues Programm: Demonstranten haben am Donnerstag das Studio des staatlichen TV-Senders in Ouagadougou besetzt Foto: Joe Penny/reuters THEMA DES TAGES „Schwarzer Frühling“ gegen Autokraten ANALYSE Mit dem Erfolg der Massenproteste wird Burkina Faso Vorreiter im Kampf gegen am Sessel klebende Präsidenten in Afrika BERLIN taz | Die „Republik der Aufrechten“, wie der zu Revolutionszeiten 1983 eingeführte Landesname Burkina Faso auf Deutsch heißt, hat es dem Rest Afrikas wieder einmal gezeigt. Auslöser der Massenproteste in Burkina Faso war ein politischer Streit, der zahlreiche andere Länder in Afrika zu destabilisieren droht: Burkinas Präsident Blaise Compaoré darf nach den Bestimmungen der geltenden Verfassung bei den nächsten Wahlen 2015 nicht mehr kandidieren, denn er hat schon zwei gewählte Amtszeiten von je fünf Jahren hinter sich – ganz zu schweigen von den zwei gewählten Amtszeiten von je sieben Jahren, die diesen unter einer anderen Verfassungsordnung vorhergingen. Das burkinische Parlament sollte jetzt per Verfassungsänderung eine Kandidatur des Amtsinhabers zu einer dritten Amtszeit ermöglichen. Das hat das Volk nicht akzeptiert. Sollten sich andere afrikanische Völker ebenso resolut gegen ihre Staatschefs stellen, sind die Tage zahlreicher Herrscher ge- zählt. Denis Sassou-Nguesso in Kongo-Brazzaville, Joseph Kabila in der Demokratischen Republik Kongo, Paul Kagame in Ruanda und Pierre Nkurunziza in Burundi stehen alle vor dem Ende ihrer verfassungsmäßig erlaubten zweiten gewählten Amtszeit – und alle wollen gerne weitermachen. In Burundi – nächste Wahlen 2015 – hat das Parlament das bereits abgelehnt, aber der Streit ist noch nicht vorbei. In Ruanda – nächste Wahlen 2017 – wird gerade eine Verfassungsänderung per Volksabstimmung ins Spiel gebracht, ebenso in der Demokratischen Republik Kongo, wo Ende 2016 gewählt wird. In Kongo-Brazzaville, wo 2016 Wahlen anstehen, ist noch nichts klar, aber an Sassous Willen zur Macht besteht kein Zweifel. Noch nie hat das Volk einen afrikanischen Präsidenten an einer solchen Verfassungsänderung gehindert; das schafften höchstens Richter oder Parteikollegen, zum Beispiel in Nigeria. Burkina Faso macht jetzt vor, dass auch Massenprotest einen Langzeitherrscher in die Knie zwingen kann. Deswegen wird diese Protestbewegung im Rest des Kontinents so aufmerksam studiert wie zuletzt die Umstürze von Ben Ali in Tunesien und Hosni Mubarak in Ägypten 2011. Die Proteste in Burkina Faso heißen bei manchen ihrer Akteure in Anlehnung an den „arabischen Frühling“ schon „schwarzer Frühling“. Ein anderes gern gebrauchtes Stichwort ist „Heuschreckenrevolution“. Die Heuschrecke frisst nämlich alles auf, was sich ihr entgegenDOMINIC JOHNSON stellt. SCHWERPUNKT www.taz.de [email protected] Pkw-Maut FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 03 Die CSU setzt sich durch. Ihre Maut soll eine halbe Milliarde Euro jährlich bringen. Die höchstmögliche Gebühr: 130 Euro im Jahr Der Maut-Minister STRASSENGEBÜHREN Verkehrsminister Alexander Dobrindt ändert schon wieder sein Konzept für eine Vignette. Diesmal soll sie wirklich kommen und alle unionsinternen Kritiker zufriedenstellen. Grüne sagen: Murks bleibt Murks AUS BERLIN RICHARD ROTHER che Ausweichstrecken beobachtet und gegebenenfalls nachträglich bemautet werden, so wie Es soll sein politisches Gesellendies beim Lkw-Verkehr bereits stück werden, und deshalb war gehandhabt wurde. Bundesverkehrsminister AleStatt an aufgeklebten Vignetxander Dobrindt (CSU) zu neuerten sollen Mautzahler über das lichen Änderungen bei der geNummernschild zu erkennen planten Pkw-Maut bereit. Nach sein. Dafür soll ein System Kenndem Widerstand von unionsgezeichen elektronisch lesen und führten Bundesländern, die um Mautpreller entdecken. Dieses Einnahmen aus dem kleinen Vorhaben dürfte datenschutzGrenzverkehr fürchteten, sollen rechtliche Bedenken hervorruHalter ausländischer Fahrzeuge fen. Wer keine Maut zahlt und ernun nur für die Benutzung von wischt wird, muss büßen – vorAutobahnen in Deutschland zahaussichtlich bis zu 150 Euro. Dies len müssen, während für Halter Geld soll auch bei Haltern im inländischer Fahrzeuge AutoAusland eingetrieben werden. bahnen und Bundesstraßen vigEU-Verkehrskommissar Siim nettenpflichtig werden. Dieses Kallas hatte ursprünglich BedenKonzept stellte Dobrindt am ken, das Vorhaben könne EUDonnerstag in Berlin vor. Bürger aus dem Ausland diskriDobrindt schlägt damit mehminieren. Da die Maut nun forrere Fliegen mit einer Klappe, mal für In- und Ausländer gelten um die von der CSU herbeigesoll, hatte er schon Zustimmung sehnte Maut zu retten: Fahren signalisiert. Das Vorhaben gehe beispielsweise Tagestouristen in die richtige Richtung, sagte er aus Frankreich oder Holland in dieser Woche. Die Regierung nach Deutschland zum EinkauÖsterreichs will dennoch klagen. fen, so sind sie dabei nicht unbeDie Pkw-Maut, die im Jahr dingt auf Autobahnen angewie2016 eingeführt werden soll, soll sen, brauchen also auch keine Videm Bund rund 500 Millionen gnette zu kaufen. Dies war den Euro pro Jahr einbringen. DobLandesregierungen von Nordrindt rechnet damit, dass für rhein-Westfalen und Rheinlandnicht in Deutschland zugelassePfalz wichtig. ne Wagen jährlich rund 700 MilGleichzeitig bewirkt die Viglionen Euro Maut gezahlt wernettenpflicht für Autobahnen den. Dem stehen Betriebs- und und Bundesstraßen, die für HalPersonalkosten für das Mautsyster von im Inland zugelassenen tem von 195 Millionen Euro gePkws gilt, dass es nicht zu dem genüber – unterm Strich ergeben gefürchteten Ausweichverkehr sich somit rund 500 Millionen in großem Umfang kommt. Dies Euro, die Dobrindt jedes Jahr zuwäre der Fall gewesen, wenn die sätzlich ausgeben kann. Die EinMaut für Inländer nur für Autonahmen sind zweckgebunden bahnen gelten würde. und können nur für InfrastrukViele Deutsche hätten sich in turprojekte verwendet werden. diesem Fall die jährliche VignetDer Autofahrerclub ADAC übtengebühr sparen wollen – mit te Kritik. „Es wird netto nichts dem Argument, nur Landstraßen übrig bleiben“, sagte ADAC-Verbefahren zu wollen. Ohnehin solkehrsexperte Jürgen Albrecht. len inländische Autobesitzer in Die Kosten der Verwaltung lägen dem Umfang bei der Kfz-Steuer bei etwa 300 Millionen Euro – entlastet werden, wie sie für die das sei in etwa so viel, wie die Vignette zahlen. Für sie ist das Maut einbringe. Ganze zunächst also ein NullEin kluger Verkehrsminister weiß: Wer nur demonstrativ vor seinem Ministerium rumparkt, spart sich jede Maut „Die Infrastrukturabgabe ist summenspiel. sinnvoll, fair und gerecht“, sagte Dass sich nun Autofahrer aus Foto: Werner Schuering Dobrindt. Sie beteilige alle diejedem Ausland in großem Umfang ........................................................................................................................................................................................................ nigen an der Finanzierung der die Vignette sparen und auf Die Kosten der Maut Straßen, die sie bislang kostenlos Landstraßen ausweichen, wie ........................................................................................................................................................................................................ nutzen konnten. Kritiker befürchten, ist kaum zu ■ Preise: Inländische Fahrer müs- ■ Besondere Fahrzeuge: Maut■ Behörden: Das KraftfahrtbunScharfe Kritik kam von den erwarten. Wer Deutschland als sen immer für ein Jahr bezahlen. pflichtig sind auch Wohnmobile. desamt soll die Maut berechnen, Grünen: „Auch wenn Dobrindts Transitland nutzt – also etwa Nie- Je angefangene 100 KubikzentiBerechnet werden 16 Euro für je dafür braucht es 74 zusätzliche Mautpläne zurechtgestutzt wurderländer gen Italien, Polen gen meter Hubraum für die Schad200 angefangene Kilo Gesamtge- Mitarbeiter. Ob Fahrer aus dem Großbritannien oder Dänen gen stoffklassen „Euro 4“ und „Euro 5“ wicht, maximal ebenfalls 130 EuAusland notorisch auf kostenlose den: Murks bleibt Murks“, so Parteichefin Simone Peter. Der WeÖsterreich –, wird wohl kaum zwei Euro (Ottomotor) oder fünf ro. Motorräder, Elektroautos, Wa- Straßen ausweichen, soll beobHunderte Kilometer über ver- Euro (Diesel). Höchstpreis: 130 Eu- gen von Behinderten und Kranachtet werden. Die Kontrollen soll gezoll für Pkws ergebe weder ökologisch noch ökonomisch eistopfte Landstraßen zuckeln, um ro. Für Ausländer gibt es daneben kenwagen sind mautfrei. Nur zeit- das Bundesamt für Güterverkehr nen Sinn und müsse eine EUein paar Euro für die Vignette zu die Zehntages- (10 Euro) und weise zugelassene Autos wie Cab- übernehmen. Benötigt werden sparen. Außerdem sollen mögli- Zweimonatsmaut (22 Euro). rios sollen anteilig Maut zahlen. dafür rund 400 neue Stellen. (dpa) Überprüfung noch bestehen. „Die Folge sind kaputte Straßen und Häuser“ schadet mehr als sie nutzt, sagt HansChristian Friedrichs vom alternativen Verkehrsclub. Sinnvoll wäre es, wenn das Fahren auf Landstraßen deutlich teurer wäre als auf Autobahnen taz: Herr Friedrichs, demnächst soll es zusätzlich zur Lkw-Maut noch eine Maut für Pkw geben. Was halten Sie davon? Hans-Christian Friedrichs: Wir lehnen sie ab, weil sie ineffizient und unökologisch ist. Wir fänden eine Pkw-Maut nur dann sinnvoll, wenn sie nachhaltige Effekte für den Umweltschutz hätte. So, wie die Pkw-Maut jetzt konzipiert ist, geht es nur darum, neue Geldquellen zu erschließen. Mit denen könnte das Straßennetz ausgebaut und ausgebessert werden. Das passiert aber nicht. Momentan weichen sehr viele Lkw von den Autobahnen auf Land- und Bundesstraßen aus, um die Mautgebühren zu sparen. In manchen Regionen ist der LkwVerkehr auf den Landstraßen um bis zu 70 Prozent gestiegen. Da donnern bis zu 1.000 Laster täglich durch die Dörfer. Hat die Pkw-Maut, die nur auf Autobahnen gelten soll, einen ähnlichen Effekt? Das ist zu erwarten, wenngleich etwas abgeschwächt. Die Folge werden noch mehr kaputte Straßen und Häuser sein. Die Anwohner klagen jetzt schon über Krach und Abgase, die Kinder können nicht mehr draußen spielen. Die lokale Wirtschaft vielerorts ist jetzt schon stark beeinträchtigt, das wird sich verstärken. Aber die lokale Wirtschaft soll durch Dobrindts neue Pkw- Maut gerade doch geschützt werden. In stark betroffenen Regionen, wie dem Wendland in Niedersachsen oder Landstrichen in Brandenburg, passiert das Gegenteil. Lokale, Cafés, Hotels, Geschäfte machen dicht, weil Gäste und Kunden wegbleiben. Denen ist es zu laut und zu dreckig. Wer kommt dafür auf? Ungerechterweise übernimmt die Kosten für die Reparatur der Straßen im ländlichen Raum nicht der Bund, der die Einnahmen aus der Maut bekommt. Die Straßen müssen die Kommunen und Landkreise aus eigener Tasche bezahlen, das belastet die Haushalte massiv. Von den Einschränkungen für die Anwohner und den Reparaturkosten für die Häuser und den Wertverlusten ganz zu schweigen. Fast alle Länder in Europa haben ein Mautsystem. Warum sollte Deutschland eine AusINTERVIEW: SIMONE SCHMOLLACK nahme machen? Sinnvoll ist ein hiesiges Mautsys.................................................................................... tem, bei dem die Kosten für die Hans-Christian Friedrichs Autobahnbenutzung geringer ............................................................... sind als die Kosten für Bundes- ■ Der 50-jährige EDV-Berater ist und Landstraßen. Das hätte zur VorsitzenderdesLandesverbandes Folge, dass es für die Lkw und Niedersachsen Schwerlaster keinen finanziellen des VerAnreiz mehr gäbe, auf die Landkehrsclubs straßen abzufahren. Das Gleiche Deutschland gilt für Pkw-Fahrer. (VCD), eines Wie teuer sollte die Maut sein? Lobbyverbands Die Gebühr sollte deutlich steifür „eine umweltgen, von derzeit durchschnitt- verträgliche, sichere und gesunde lich 15 Cent pro Kilometer auf 45 Mobilität“. Foto: privat FOLGEN Dobrindts Maut Cent pro Kilometer auf den Landes- und Bundesstraßen. Das wäre deutlich teurer als der Transport mit der Bahn, die dadurch einen Wettbewerbsvorteil hätte. Höchstes Ziel sollte nämlich sein, den Gütertransport über die Schiene zu leiten. Das ist ökologisch und ökonomisch der beste und sicherste Weg. 04 www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG Kongresswahlen in den USA Der Tag der ewig langen Wahlzettel SCHWERPUNKT Am 4. November wird ein Großteil des Parlaments neu gewählt. Das Ergebnis entscheidet über die Regierungsfähigkeit Obamas Obama, das Wahlkampfhindernis USA Demokratische KandidatInnen wollen nichts von ihrem Präsidenten wissen. Sein Image ist zu angekratzt. Bei dieser Wahl geht es ihnen vor allem um die Mehrheit im Senat. Das Ergebnis dürfte knapp werden MIDTERM ELECTIONS Was man über die Zwischenwahlen wissen sollte BERLIN taz | Die „Midterm Elections“, also die Wahlen in der Mitte einer Präsidentschaftsamtszeit, finden in der Regel weniger Beachtung als die Präsidentschaftswahlen, die Wahlbeteiligung ist meist niedriger. Dabei gibt es für die US-AmerikanerInnen kaum weniger zu entscheiden – die Stimmzettel sind oft unendlich lang. Gewählt wird zunächst für beide Kammern des Kongresses: Alle zwei Jahre stehen rund ein Drittel der 100 Senatoren zur Wahl – zwei pro Bundesstaat, Amtszeit sechs Jahre. Außerdem alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses. Sie müssen sich schon in zwei Jahren wieder zur Wahl stellen – der Wahlkampf hört für sie nie auf. Im Repräsentantenhaus halten seit 2010 die Republikaner die Mehrheit – und John Boehner, der republikanische Sprecher, wurde zum schärfsten Gegenspieler Präsident Obamas. Gewählt wird hier nach Abstimmungsbezirken, und niemand sieht auch nur den Hauch einer Chance, dass die Demokraten wieder die Mehrheit bekommen könnten. So gelten 228 republikanische und 185 demokratische Sitze als sicher – nur 22 sind überhaupt umkämpft. Das reicht für eine republikanische Mehrheit. Spannender wird es im Senat, wo die Demokraten derzeit 53, die Republikaner 45 Sitze halten – plus zwei unabhängige Senatoren, die oft mit den Demokraten stimmen. 36 der 100 Sitze werden am Dienstag gewählt, und von den zehn hart umkämpften werden sieben derzeit von Demokraten gehalten – sechs Zugewinne würden den Republikanern reichen, um die Mehrheit zu übernehmen. Gut möglich also, dass Obama in den letzten zwei Amtsjahren einem komplett oppositionellen Kongress gegenübersteht. Eigene Vorhaben durchzubringen kann er dann vergessen, mit seiner Vetomacht allerdings auch republikanische Vorstöße verhindern. Die Blockade wäre vollkommen. Außerdem stimmen die USAmerikanerInnen über die Gouverneure in 36 Bundesstaaten und drei Überseegebieten ab, über Tausende Bürgermeister, Richter, Schulräte – und über mehrere Volksentscheide. Darunter am prominentesten: Initiativen zur Freigabe von Cannabis und zur Anhebung des Mindestlohnes. BERND PICKERT Gesellschaft + Kultur SEITE 14 Fabrikarbeiter in Russellville (Kentucky) auf einer Wahlkampfveranstaltung des Republikaners Mitch McConnell. Seine demokratische Gegenkandidatin Alison Grimes hat gute Chancen gegen ihn, weil sie sich entgegen Obamas Linie für Kohleförderung starkmacht Foto: J. Scott Applewhite/ap AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN Das verflixte sechste Jahr. Es trifft jetzt auch den strahlenden Sieger von einst. Vor den Halbzeitwahlen ist Barack Obama seinen ParteifreundInnen zu einem Handicap geworden. In ihren Kampagnen sind sie auf Distanz zu dem Präsidenten gegangen und vermeiden selbst seine namentliche Erwähnung. Die RepublikanerInnen hingegen versuchen, die Wahlen, zu einem Referendum über ihn zu machen. In ihren Werbespots ist er der Buhmann, der auf der ganzen Linie versagt hat: von der Staatsverschuldung über die Bekämpfung des Terrorismus bis hin zu Ebola. Sämtliche MeinungsforscherInnen geben ihnen recht. Sie prognostizieren, dass die RepublikanerInnen am kommenden Dienstag mit dem Senat auch die zweite Kammer des Kongresses erobern werden. Damit würde die seit Jahren massive Blockade in Washington total. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Partei des Präsidenten bei Halbzeitwahlen von der Opposition abgestraft wird. Das haben Obamas Amtsvorgänger erfahren und das hat er selbst bei den vorausgegangenen Halbzeitwahlen von 2010 erlebt. Doch Obamas Popularität ist auf knapp über 40 Prozent abgesackt und nicht nur die Republikane- rInnen – deren Verantwortliche schon vor Jahren die Blockade seiner Politik zu ihrer obersten politischen Linie gemacht haben – sondern auch traditionelle demokratische WählerInnen haben sich von ihm abgewandt: Latinos sind enttäuscht darüber, dass die seit Jahren versprochene umfassende Einwanderungsreform nicht stattgefunden hat und in diesem Wahlkampf – auf Druck von WahlkämpferInnen in der Demokratischen Partei – erneut verschoben worden ist. UmweltschützerInnen verübeln ihm, dass er immer noch keine Entscheidung gegen die Ölpipeline Keystone XL gefällt hat, die ein schwerer Schlag gegen jede Klimapolitik wäre. Und AfroamerikanerInnen betrachten Obama zwar weiterhin als Identifikationsfigur, können aber nicht feststellen, dass sich ihre Lage verbessert hat. Im Gegenteil: In den zurückliegenden Jahren haben republikanische Bundesstaaten quer durch das Land Dutzende bürokratische Hindernisse eingeführt, die das Wahlrecht zuungunsten von „Minderheiten“ verändern. Und soziale Ungerechtigkeiten sowie die Polizeigewalt trifft weiterhin ganz überproportional die „Minderheiten“. Am schwersten für die Demokratische Partei, die bei ihren zurückliegenden Wahlkämpfen die Mehrheiten der jungen WählerInnen für sich gewinnen konn- te, dürfte die Kehrtwende der jungen Generation wirken. Nur 43 Prozent der JungwählerInnen sind mit der Politik Obamas einverstanden. Und eine Mehrheit jener, die am Dienstag wählen wollen, favorisieren einen republikanisch geführten Kongress. Unschön für die DemokratInnen ist auch, dass die Wahlbeteiligung für eine Halbzeitwahl nicht besonders niedrig zu werden scheint. Das zeigen zumindest jene Bundesstaaten, in denen die Wahllokale bereits seit mehreren Tagen geöffnet sind und die teilweise schon jetzt höhere Wahlbeteiligungen als 2010 melden. Diese landesweit relativ einheitlichen Trends kontrastieren mit einem Wahlkampf, der sich durch Themenvielfalt auszeichnet. Außer der Opposition gegen Obama haben die Republikaner kein einheitliches Kampagnenthema. Je nach Bundesstaat variieren die Themen von der Cannabislegalisierung bis hin zur Anhebung des Mindestlohns. In Kentucky macht sich die demokratische Senatskandidatin Alison Grimes für Kohleförderung stark. Mit dieser Positionierung, die im Widerspruch zur Linie ihres Präsidenten steht, hat sie Chancen, den langjährigen Chef der republikanischen Fraktion im Senat, Mitch McConnell, zu Fall zu bringen. Thematisch war 2010 völlig anders, als die RepublikanerIn- In den Werbespots der RepublikanerInnen ist Obama der Buhmann, der auf der ganzen Linie versagt hat: von der Staatsverschuldung über die Bekämpfung des Terrorismus bis hin zu Ebola nen mit ihrer Fundamentalopposition gegen eine Gesundheitsreform die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobert haben. Dieses Mal wirbt eine Republikanerin in Iowa als „Mutter. Soldatin. Konservative“ in einem Stall mit grunzenden Schweinen um ihre Entsendung nach Washington. Joni Ernst hält sich für qualifiziert, weil sie mit Schweinen umgehen kann und sagt über Washington, es ist „laut, dreckig und stinkt“. Im Bundesstaat Minnesota fordert ein Republikaner und Football-Trainer seine Schützlinge auf: „Rennt los und rammt jemanden.“ Während ein Spieler ihn ohne erkennbaren Grund unter die Gürtellinie schlägt, sagt der Kandidat: „Ich bin Mike McFadden und ich billige diese Botschaft“. „Bauernlümmelei“, nennt die New York Times diesen Ton im Wahlkampf. Mit einer erneut starken republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus haben sich die DemokratInnen längst abgefunden. Sie konzentrieren ihre geballte Kraft darauf, ihre knappe Mehrheit im Senat zu verteidigen. Und andererseits die Gouverneurssitze in ein paar Bundesstaaten zu erobern. Die Verteidigung des Senats wird eine Zitterpartie werden. In fünf Bundesstaaten – Georgia, Kansas, Iowa, New Hampshire und North Carolina – liegen die konkurrierenden KandidatInnen weniger als 3 Prozentpunkte auseinander. Das ist zu wenig, um ein klares Ergebnis vorherzusagen. Die endgültige Entscheidung über die künftige Mehrheit im Senat könnte sich sogar bis Anfang 2015 verzögern. In Bundesstaaten wie Georgia und Louisiana könnte es Stichwahlen geben, die erst im Januar stattfinden. Während demokratische Senats-KandidatInnen Obama für ein Wahlkampfhindernis halten, riefen solche, die GouverneurInnen werden wollen, den Präsidenten im Endspurt ihres Wahlkampfes doch noch zu Hilfe. In Wisconsin, wo der radikal rechte Gouverneur Scott Walker gewerkschaftliche und betriebliche Rechte wie auch die Löhne zusammengestrichen hat, forderte Obama gezielt afroamerikanische WählerInnen zur Unterstützung von Demokratin Mary Burke auf. An diesem Wochenende fährt er in ähnlicher Mission nach Detroit. Im Bundesstaat Michigan hat Gouverneur Rick Snyder in den letzten Jahren mehrere bankrotte Städte unter Zwangsverwaltung gestellt. All diese Städte haben mehrheitlich afroamerikanische Bevölkerungen. Die DemokratInnen hoffen, dass diese WählerInnen am Dienstag Snyder zu Fall bringen. REPORTAGE www.taz.de [email protected] Rumänien FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 05 Bis zu 30 Kilo Altmetall klauben sie täglich zusammen. Ein gefährlicher Job. Andere gibt es in Petrila kaum noch DasLebender Magneten Als 1997 die ersten Bergleute aus dem siebenbürgischen Schiltal entlassen werden, gibt die Regierung vor, mit den Abfindungsgeldern ließen sich Kleinunternehmen gründen. Doch daraus wurde nichts. Dorel Ciuci gräbt seither nach Alteisen. Er ist einer der vielen Menschen in der Region, die sie „Magneten“ nennen Oberhalb der Mine in Petrila: Die Bewohner des Armenviertels Bosnia kommen hierher und graben, um Altmetall und Kohle zu finden AUS PETRILA SILVIU MIHAI UND GEORGE POPESCU (FOTOS) Kurz vor dem Ortsschild von Petrila hält der Kleinbus bei den Bahnschienen. Täglich verkehren nur noch zwei Züge zwischen Petrosani und Petrila, deswegen nehmen die Fußgänger den Bahntunnel, der hier beginnt, als Abkürzung. Es ist dunkel, und die Menschen laufen im Gänsemarsch über die Schwellen oder durch den Kohlenstaub daneben. Nur noch ein knappes Jahr werden die Züge die Steinkohle aus den Minen von Petrila und Lonea transportieren. IWF und EU haben darauf gedrungen, dass die Minen geschlossen werden. Nach 2018 darf der Staat den Bergbau nicht mehr subventionieren, und die Produktion wird vielerorts bereits jetzt zurückgefahren. Jenseits des Hügels, am anderen Ende des Tunnels, wird gearbeitet. Das vierstöckige Gebäude, das früher zum Bergwerk gehörte, hatte als Lagerraum gedient. Aus einem Fenster werfen zwei Jungen einen Metallträger herunter. Drei andere übernehmen und schmeißen ihn auf den Anhänger ihres Dacias. Im Gebäude arbeiten 15 bis 20 Menschen. Die Alteisensammler: „Magneten“, wie die Einheimischen sie nennen. Sie kommen früh und bleiben, bis es dunkel wird. Alle kaufen Altmetall an, vor allem Eisen und Kupfer, aber auch Plastikbehälter, „Kanister“, wie die Einheimischen sagen. Nichts bleibt ungesammelt in Petrila. Die Arbeitskräfte, die man in Rumänien in den 1990er Jahren entsorgte, sammeln nun alles, was im Schiltal noch verwertbar ist. Die ehemalige Lagerhalle hier wurden von der Mine Petrila nach der Wende veräußert, sie gehört jetzt einem insolventen Unternehmen. „Heute früh waren wir über 50 Mann, jeder hat sein Team“, sagt Marius Iancu, ein Junge mit roter Regenjacke und kurzer Hose, die oberhalb der Tätowierung auf dem Bein aufhört. Er arbeitet hier, um seine Freundin im Gymnasium zu unterstützen. Manchmal organisieren die Kollegen eine Säge, doch das Gros der Arbeit wird mit dem Hammer erledigt. Wenn ein Eisenträ- „Hätte ich dieses Handy nicht dabeigehabt, wäre ich jetzt tot“, erzählt Dorel Ciuci zwei Wochen später ger fällt, klopfen sie den Beton ab, bis das Skelett frei liegt. Sie schauen, ob jemand unten steht, und werfen das Teil aus dem Fenster. Helm oder Handschuhe trägt keiner, die sind zu teuer für ein Magnetenleben. Arbeitet ein Magnet allein, kann er täglich 20 bis 30 Kilogramm Alteisen auf seiner Karre oder im Sack auf den Recyclinghof bringen. Dafür bekommt er höchstens fünf Euro, die er in ein aufgeschnittenes Brot und eine Plastikflasche mit zwei Litern Bier investiert. Die Recyclinghöfe übernehmen die Ware, ohne viele Fragen zu stellen. Letztes Jahr hat die Regierung die Auflagen für diese Unternehmen verschärft, nachdem der rumänische Zugverkehr öfter einmal wegen geklauter Kabel, Einfahrtssignale lahmgelegt worden war. Betreiber der Wertstoffsammelstellen sind jetzt verpflichtet, die persönlichen Daten ihrer Alteisen- und Kupferlieferanten aufzunehmen. Das liegt nicht nur an der fragwürdigen Herkunft des Materials – die ganze Branche hinterzieht Steuern. Doch sowohl Regierung wie auch Medien kritisieren in der Regel die Magneten, das letzte Glied der Kette. Einige Meter weiter arbeiten drei Männer mit Spitzhacken in einem Graben. Heute haben sie nichts gefunden. „Wir schuften wie die Zuchthäusler“, sagt der Älteste und Gesprächigste der Gruppe. „Ich grabe hier nach Alteisen, seitdem ich bei der Restrukturierung entlassen wurde. Das war 1997.“ Er heißt Dorel Ciuci und trägt eine dunkelrote Arbeitshose und eine schwarze Mütze, die seine Halbglatze versteckt. Geboren ist er in Petrosani und aufgewachsen in Petrila. Er hat eine Maurerausbildung. Lange war Ciuci bei der Mine angestellt, wo er Schachtwände befestigte und alte Galerien zumauerte. Nach der Kündigung war sei- ne Abfindung schnell weg – ebenso wie seine Frau mit den Kindern. Ciucis einzige übrig gebliebene Verwandte ist seine Schwester, die Zeitungen in einem Kiosk an der Hauptstraße in Petrosani verkauft und damit 100 Euro im Monat verdient. „Wenn du mit 54 Jahren Arbeit suchst, guckt dich der Patron an und sagt dir – du bist schon alt, Mann! Oder er stellt dich schwarz ein, und nach zwei Monaten fängt er an, dir was vom Pferd zu erzählen, statt dir den Lohn zu zahlen.“ Für Ciuci blieb nur die Alternative, sein eigener „Patron“ zu werden und auf eigene Faust Alteisen zu sammeln. Ihm fehlte das Geld für Miete und Nebenkosten, so verlor er auch seine Einzimmerwohnung in Petrila. Seitdem wohnt er bei einer Frau, die ihn „nach Hause mitnahm“. Jeden Tag steht er früh auf und geht seiner Beschäftigung nach, selbst sonntags und an Feiertagen wird gegraben und geklopft. Plötzlich gab die Betonwand nach Dem Gebäude, das die Jungen gerade demontieren, möchte er lieber fernbleiben. Er hat Angst, dass die tragende Struktur auf die Menschen herunterbrechen könnte – da hat er schlechte Er- fahrungen gemacht. Stattdessen sucht er mit den beiden jüngeren Kollegen weiter nach Altmetall in Löchern und Gräben. Letztendlich war es der Staat, der für die Demontagen die Richtung vorgab, glaubt Ciuci, nicht die Magneten. Das Aufbereitungswerk der Mine in Petrila, bei dem früher viele Menschen aus der Gegend arbeiteten, wurde letztes Jahr abgerissen. „Wenn du auf Kupfer stößt, machst du mehr Geld“, sagt Dorel Ciuci. „Aber auch mit Eisen kannst du Glück haben. Vor zwei Jahren habe ich riesige Zahnräder ausgegraben. Da hatte ich über 100 Euro in einer Stunde.“ Das Problem sei, dass bei den Recyclinghöfen die Waagen manipuliert seien. Und dass die Polizei die Magneten schikaniere. Obwohl die Situation allgemein als „unbeherrschbar“ gilt, verteilt die Polizei ab und an Strafzettel, die niemand zahlen kann. Dementsprechend können die Magneten keine Bankkonten mehr eröffnen, weil sie unbezahlte Geldstrafen angesammelt haben. An einem Tag – Dorel Ciuci arbeitete an einer Baracke aus Backstein – verließ ihn sein Glück. Er hatte in dem Gebäude gegenüber einen zwölf Meter langen Betonbalken gefunden und versuchte, das Eisen heraus- zubekommen. Die Frau, bei der er lebt, hatte ihn am Morgen gefragt, wohin er gehe, es war ja Feiertag. „Unser Essen reicht für heute, was ist mit morgen?“, hatte er erwidert. Knapp einen halben Meter war es noch bis zum Ende des Trägers, als das Betonstück plötzlich nachgab und auf ihn fiel. Er blieb stecken und verletzte sich am Arm, an den Rippen, seine Beine blieben stecken. Er fing an, vor Schmerz zu schreien. Die anderen Magneten, die in der Nähe arbeiteten, liefen weg, später operiert wurde. Man implantierte ihm eine Metallstange in den Arm und eine andere oberhalb des Knies, das andere Bein wurde eingegipst. Die Frau klopfte mit den Jungen das Eisen aus dem Balken frei, fand dort noch ein Kabel aus Kupfer und brachte alles zum Recyclinghof, wo sie für 80 Kilo Metall knapp elf Euro einkassierte. Nach der OP fragte der Arzt, ob Ciuci eine Versicherung hätte. Nein, hatte er nicht und auch kein Geld für die Behandlung. aus Angst, dass jemand kommen und Fragen stellen würde. „Hätte ich dieses Handy nicht dabeigehabt, wäre ich jetzt tot“, erzählt Dorel Ciuci zwei Wochen später. Noch unter dem Betonbalken hatte er es hinbekommen, die Notrufnummer 112, danach auch seine Lebensgefährtin anzurufen. Fünf oder sechs Jungen kamen schnell mit einem Auto und zogen ihn heraus, noch ehe der Krankenwagen kam. Sie brachten ihn ins Krankenhaus nach Petrosani, wo er drei Tage Man sagte ihm, in diesem Fall müsse er das Krankenhaus verlassen. „Wie soll ich jetzt gehen, wenn ich nicht mal aufstehen kann?“, fragte er. „Ihr hättet ein Implantat aus Alteisen nehmen sollen, das wäre billiger gewesen.“ Schließlich gewährte ihm die Klinik einen zweiwöchigen Aufenthalt. Er bräuchte jeden Tag eine Spritze mit einem Medikament gegen Blutgerinnung, sonst würde er sterben, sagte man ihm. Eine Dosis kostet zwei Euro. Die Kosten der dreimonatigen Behandlung werden nicht vom Krankenhaus übernommen. „Sie werden mich wahrscheinlich verklagen und in den Knast stecken, weil ich den Krankenhausaufenthalt nicht bezahlen kann“, befürchtet Dorel Ciuci. „Vielleicht ist es auch besser so, denn aus dem Knast können sie mich nicht rausschmeißen.“ Eine Woche später besorgte ihm seine Schwester einen Rollstuhl, in dem er schließlich entlassen wurde. Er rollte zur Agentur für Arbeitskräfte und meldete sich arbeitsunfähig. Das Geld vom Amt reicht für vierzehn Spritzen im Monat. Die Kollegen, die in der Nähe des Tunnels graben und klopfen, bringen ihm ab und an etwas zu essen oder ein paar Lei. Aus der ehemaligen Lagerhalle haben die Magneten inzwischen das ganze Alteisen abtransportiert. Die Magneten klopfen den Beton ab, bis das Metallskelett der Balken frei liegt 06 www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG INLAND NACHRICHTEN MUTMASSLICHER IS-KÄMPFER RASSISMUS IN HALLE NIGERIA KAPITALERTRÄGE DAS WETTER Verdächtiger wünscht sich Märtyrertod Kinderattacke auf Dunkelhäutige Entführter Deutscher wieder frei CDU-Wirtschaftsrat gegen hohe Steuern Ein goldenes Oktoberende HALLE | Ein dunkelhäutiges Mädchen ist am Mittwoch in Halle von Kindern verprügelt und ausländerfeindlich beleidigt worden. Die Zehnjährige wurde laut Polizei zunächst bei einem Streit auf einem Spielplatz im Stadtteil Silberhöhe von einem einzelnen Kind als Nigger beschimpft. Danach sei eine Gruppe von sieben bis acht Kindern erschienen und habe das Mädchen geschlagen und im Gesicht verletzt. Danach sei die Gruppe geflüchtet. Das Opfer ist laut Polizei in Halle geboren, der Vater stammt aus dem afrikanischen Staat Niger. (epd) WIESBADEN | Der vor knapp einer Woche im Südwesten Nigerias entführte deutsche Mitarbeiter eines Wiesbadener Bauunternehmens ist wieder frei. Das bestätigte eine Sprecherin der Firma Julius Berger gestern. Einzelheiten zu der Befreiung nannte sie nicht. Ob ein Lösegeld an die Entführer gezahlt wurde, wurde ebenfalls nicht gesagt. Der Mitarbeiter war am Freitag im Bundesstaat Ogun von Bewaffneten verschleppt worden. Ein zweiter deutscher Mitarbeiter eines Berger-Subunternehmens wurde erschossen. (dpa) BERLIN | Der CDU-Wirtschaftsflügel stellt sich gegen neue Forderungen der SPD für eine höhere Besteuerung von Kapitalerträgen. Der Wirtschaftsrat warnte gestern vor einer Abschaffung der Abgeltungsteuer und warf dem Koalitionspartner vor, „immer neue Steuererhöhungsdebatten“ loszutreten. Generalsekretär Wolfgang Steiger nannte die Abgeltungsteuer unter anderem „eines der besten Beispiele für eine gelungene Vereinfachung für alle Steuerzahler“. Aus SPD-Sicht ist die Abgeltungsteuer nicht mehr nötig. (dpa) Es sieht ganz so aus, als würde der Oktober doch noch golden und gar nicht so kalt ausklingen. Im Norden sieht es zwar anfangs nicht so gut aus, dort regnet es noch aus dichten Wolken. Im Landesrest macht der Morgennebel bald der Sonne Platz, und besonders im Westen und Südwesten scheint sie dann reichlich bei 16 bis 20 Grad. Sonst erreichen die Werte 13 bis 16 Grad. Nur ganz im Südosten hält sich der Nebel zäh, und im Dauergrau ist schon bei 10 Grad Schluss. FRANKFURT/M. | Im ersten deutschen Prozess gegen einen mutmaßlichen Kämpfer der Terrormiliz IS hat der Angeklagte nun auch selbst ausgesagt. Er sei nach Syrien gereist, „um meine Geschwister zu unterstützen“. Ziel sei der Sturz des Assad-Regimes gewesen, sagte der 20-Jährige gestern vor dem OLG Frankfurt. Er sei bei Kampfeinsätzen dabei gewesen, aber „meistens hinten“. „Ich habe nicht auf Leute geschossen“, sagte er. Kreshnik B. ist wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat im Aus- Afrikaner in Limburg totgeprügelt LIMBURG dpa | Ein in Limburg zu Tode geprügelter Mann aus Ruanda könnte nach Ansicht der Ermittler aus Fremdenfeindlichkeit umgebracht worden sein. Das teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Der 55-jährige Afrikaner war in der vergangenen Woche in einer städtischen Unterkunft von drei Männern getötet worden. Die Tatverdächtigen im Alter zwischen 22 und 43 Jahren wurden kurze Zeit später wegen des Verdachts auf Totschlag verhaftet. Vor den tödlichen Schlägen soll das Trio mit dem späteren Opfer in Streit geraten sein. Die Männer sollen ihr Opfer abwechselnd so lange geschlagen und getreten haben, bis der Mann aus Ruanda an inneren Blutungen starb. Der mutmaßliche IS-Kämpfer Kreshnik B. Foto: ap land angeklagt. Er wünsche sich noch immer, als Märtyrer im Kampf gegen das Assad-Regime zu sterben, sagte der Deutsche mit Wurzeln im Kosovo vor dem Staatsschutzsenat. Dies werde er aber nicht schaffen. (dpa) Eliteunis dürfen weiter hoffen WISSENSCHAFT Bund und Länder einigen sich darauf, die Exzellenzinitiative fortzusetzen. Wer von den zusätzlichen Milliarden profitiert, ist aber noch offen. Hochschulrektoren reagieren erleichtert auf die Finanzzusagen VON ANNA LEHMANN BERLIN taz | Die Politiker von Bund und Ländern wollen die milliardenschwere Förderung von Spitzenforschung und Eliteunis fortsetzen. Von 2017 an soll mindestens noch einmal der gleiche Betrag wie bisher – insgesamt 2,7 Milliarden Euro – in die sogenannte Exzellenzinitiative fließen. Des Weiteren erneuerten Bund und Länder in ihrer Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) den Hochschulpakt. Sie wollen auch künftig zusätzliche Studienplätze finanzieren und die Hochschulen ermuntern, die Zahl der Studienabbrecher zu senken. Die Unis sollen ein Zehntel der Paktmittel dafür nutzen, die Studienqualität zu verbessern. Die GWK-Vorsitzenden, Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) und die rheinlandpfälzische Wissenschaftsministerin Doris Ahnen (SPD), stellten das 25-Milliarden-Paket am Donnerstag in Berlin in seltener Eintracht vor. „Ein guter Tag für die Studierenden“, sagte Wanka. „Ein superguter Tag für die Wissenschaft“, ergänzte Ahnen. Mit dem Anspruch, wissenschaftliche Leuchttürme in der gleichförmigen deutschen Hochschullandschaft zu schaffen, startete die damalige Bundesregierung 2006 den Exzellenzwettbewerb für die besten Forschungsverbünde, Doktorandenkollegs und Unis. Aktuell werden 99 Exzellenzeinrichtungen gefördert, darunter 11 sogenannte Eliteunis. Ihre Förderung läuft 2017 aus. Wie es dann weitergeht, ist offen. Bund und Länder wollen zunächst die Ergebnisse der von ihnen eingesetzten Kommission abwarten, die die Exzellenzinitative gerade evaluiert und 2016 ihren Bericht vorlegt. Erst danach soll dann die nächste Runde starten. Der Präsident der Berliner Humboldt-Universität, Jan-Hendrik Olbertz, sagte der taz, er sei dennoch erleichtert. „Das ist ein sehr wichtiges Signal, und ich kann damit leben, dass die Form der Formate noch nicht feststeht.“ Auch die Fortsetzung des Hochschulpakts sei zu begrüßen. Der Uni-Wettstreit um die kreativsten Köpfe wird fortgesetzt Foto: Michaela Rehle/reuters Allerdings mahnte Olbertz, das Grundgerüst der neuen Exzellenzinitiative bis Mitte nächsten Jahres auszuarbeiten, damit die neue Ausschreibung Anfang 2016 starten könne. „Wir können uns keine Hängepartie leisten“, sagte Olbertz. Das ist zwar bisher nicht vorgesehen, aber Olbertz ist optimistisch, dass die Zeitabläufe noch nachjustiert werden. Die Humboldt-Universität war 2012 in der zweiten Runde in den Kreis der Eliteunis aufgenommen worden. Für die Gruppe der Nachrücker fühle man sich in besonderer Verantwortung, beruhigte Wissenschaftsministerin Ahnen. Kritik kam allerdings von Studierenden. Vertreter des Dachverbands der Studierenden (fzs) monierten gestern: „Bevor wir uns überhaupt über Exzellenz und Spitzenforschung unterhalten, sollte eine auskömmliche Finanzierung des gesamten Hochschulsystems sichergestellt sein.“ Die Beschlüsse müssen die Ministerpräsidenten der Länder auf ihrer Sitzung am 11. Dezember noch absegnen. Die Zustimmung gilt allerdings als sicher, da die Wissenschaftskonferenz im Einvernehmen mit den Finanzministern tagte. Osten ist nicht mehr Sorgenkind Verfahren eingestellt JOBS Die Beschäftigung nimmt weiter zu, trotz schwächeren Wachstums. Es gibt noch mehr offene Lehrstellen als unversorgte junge Bewerber PROZESS Nach Besetzung der Grünen-Zentrale in BERLIN taz | Auch wenn die Konjunkturprognosen für Deutschland nicht mehr so rosig sind – die Arbeitslosenzahlen sind im Oktober weiter gesunken, und es gibt noch keine Anzeichen, dass sich der Jobmarkt in Kürze drastisch verschlechtern könnte. „Die aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheiten zeigen sich auf dem Arbeitsmarkt nicht“, erklärte Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), am Donnerstag. Im Oktober waren 2,733 Millionen Menschen ohne Beschäftigung, 68.000 weniger als im Oktober 2013. Fast 21.000 Jugendliche waren noch ohne Ausbildungsplatz, ihnen standen aber 37.100 offene Ausbildungsstellen gegenüber. In Ostdeutschland „entwickeln sich Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung tendenziell günstiger als in Westdeutschland“, heißt es im aktuellen Monatsbericht der BA. Im Osten ging die Zahl der Arbeitslosen im Oktober im Vergleich zum Vorjahresmonat um 6 Pro- KÖLN taz | Die sechs Ökoaktivisten, die sich vor dem Amtsgericht Düsseldorf wegen der Besetzung der Grünen-Landesgeschäftsstelle verantworten mussten, werden nicht belangt. „Das Gericht hat das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft wegen geringer Schuld und keinem öffentlichen Interesse an einer Verfolgung eingestellt“, sagte Richter Mihael Pohar am Donnerstag. Jugendliche und junge Erwachsene hatten das Büro im August vergangenen Jahres besetzt, um auf die Klimapolitik der Grünen aufmerksam zu machen. Sie verlangten, dass die Grünen eine Pressemitteilung mit Kritik am weiteren Abbau und der Verstromung von Braunkohle in NRW über ihren Verteiler verschicken sollten. Die Grünen boten stattdessen den BesetzerInnen Gespräche unter anderem mit Umweltminister Johannes Remmel an. Nachdem die AktivistInnen das Angebot nicht annahmen, erstatteten die Grünen Anzeige zent zurück, im Westen nur um 1 Prozent. Die höchsten Zuwächse an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gab es im August – neuere Zahlen liegen nicht vor – in den technischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen und in der Immobilienbranche, in Heimen und im Sozialwesen, in der Metall-, Elektro- und Stah- Im EU-Vergleich liegt Deutschland hinter Österreich auf Platz zwei lindustrie und im Gesundheitswesen. Frühere Trends, dass vor allem Zeitarbeitsunternehmen neue Jobs anbieten, lassen sich durch die Statistik nicht mehr bestätigen. Es gebe nicht immer eine direkte Korrelation zwischen der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und der Arbeitslosig- keit, sagte Weise. So seien in einigen Dienstleistungsbereichen neue Arbeitsplätze entstanden, die aber nicht stark zum Wirtschaftswachstum beitragen. Die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt allerdings bleiben, wie Brigitte Pothmer (Grüne) rügte. So sank die Zahl der Langzeitarbeitslosen im Vergleich zum Vorjahr nur um 1 Prozent, während sich die Arbeitslosigkeit insgesamt stärker reduzierte. Insbesondere ältere Erwerbslose über 55 Jahren haben es schwer, wieder einen Job zu finden. Im Vergleich zu anderen EULändern allerdings bleibt Deutschland ein Jobwunderland. Die niedrigsten Arbeitslosenquoten in der EU im August – neuere Zahlen liegen nicht vor – gab es in Österreich mit 4,7 Prozent, dann folgt Deutschland mit 5 Prozent. Großbritannien hat 6, Schweden 8, Frankreich 10,5, Spanien 24,4 und Griechenland 26,4 Prozent Arbeitslose. BARBARA DRIBBUSCH Düsseldorf: Gericht lässt Klimaaktivisten straffrei wegen Hausfriedensbruchs und ließen das Büro räumen. In den vergangenen Wochen hatten die AktivistInnen und Umweltverbände die Ökopartei aufgefordert, die Anzeige zurückzunehmen. Doch die Grünen blieben hart. „Wir können mit dem Ausgang der Verhandlung gut leben“, sagte Andrea Rupprath, Pressesprecherin der NRW-Grünen. „Es war aber notwendig, den Strafantrag zu stellen, weil es leider keine Aussicht darauf gab, dass die Besetzerinnen und Besetzer trotz verschiedener Gespräche und Angebote sich freiwillig aus unserer Landesgeschäftsstelle zurückziehen.“ Die Grünen lehnten Erpressung als Mittel politischer Auseinandersetzung ab. Die ÖkoaktivistInnen finden es immer noch erschreckend, dass die Grünen an der Anzeige festhielten, obwohl Staatsanwalt und Gericht die Parteivertreter noch in der Verhandlung auf die Möglichkeit der Rücknahme hingeANJA KRÜGER wiesen hätten. INLAND www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 07 gegen CDU nach Flüchtlingsschule vor Showdown Shitstorm Zuwanderer-Konferenz PROTEST Bis zum Wochenende sollen alle Flüchtlinge die Schule in Berlin-Kreuzberg verlassen, sonst will der Bezirk polizeilich räumen lassen. Widerstand ist bereits geplant AUS BERLIN MALENE GÜRGEN Die besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße in Kreuzberg steht kurz vor der Räumung. Der Bezirk hatte den etwa 45 Flüchtlingen und UnterstützerInnen in der Schule ein Ultimatum gestellt: Bis Ende Oktober, also Freitag um Mitternacht, müssen diese die Schule verlassen. Tun sie das nicht freiwillig, werde der Bezirk räumen lassen, bekräftigte die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) am Mittwochabend: „Wir haben im Bezirksamt entschieden, in diesem Fall die Amtshilfe der Polizei in Anspruch zu nehmen“, sagt die Grünen-Politikerin in der Bezirksverordnetenversammlung. Sie gehe aber davon aus, dass die BesetzerInnen die Schule freiwillig verlassen. Die sehen das allerdings anders: Bei einer Pressekonferenz vor der Schule machten die Flüchtlinge am Donnerstagnachmittag deutlich, dass sie das Gebäude auf keinen Fall freiwillig verlassen wollen. „Wir werden hierbleiben und weiterkämpfen“, sagte ein Bewohner, „wir wollen nicht gehen, sondern mit dem Bezirk über eine Lösung verhandeln.“ Gleichzeitig gibt es Blockadeankündigungen aus der UnterstützerInnenszene: „Wir erklären hiermit, dass wir uns einer Räumung der Schule entgegenstellen werden“, heißt es in einem am Donnerstag verbreiteten Aufruf des Bündnisses „Zwangsräumung verhindern“. Am Mittwoch kam es bei einer Solidaritätskundgebung vor der Schule bereits zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Für vier Wochen sollen die BewohnerInnen Hostelgutscheine vom Bezirk bekommen. „Ob sie danach in die für sie zuständigen Bundesländer oder nach Italien zurückgehen oder nicht, ist ihre Entscheidung“, so die grüne Bezirksbürgermeisterin. In Berlin „Wir werden weiterkämpfen“, kündigen die Flüchtlinge aus der Ohlauer Straße in Berlin an Foto: Christian Mang Die Flüchtlinge sollten sich „Perspektiven entwickeln“, rät die grüne Bürgermeisterin könnten sie mit keinerlei Unterstützung mehr rechnen. Innensenator Frank Henkel (CDU) habe ihr signalisiert, dass es „ganz sicher keine Ausnahmen geben wird“. Sie rate den Betroffenen dringend, „Perspektiven zu entwickeln“. „Sich irgendwo zu verstecken, ist nicht hilfreich.“ Die Flüchtlinge wollen das Haus als selbst verwaltetes „Sozial-, Kultur- und Flüchtlingszentrum“ nutzen, neben Wohnplätzen soll es auch Raum für Projekte und einen Nachbarschaftstreff geben. Das Berliner GripsTheater arbeitet bereits mit den Flüchtlingen an Theaterprojekten, auch die Zusammenarbeit mit einer im Sommer gegründeten Nachbarschaftsinitiative läuft laut der Beteiligten gut. Auf den ersten Blick sehen die Pläne des Bezirks ähnlich aus: Er möchte das Haus zu einem „Internationalen Flüchtlingszen- trum“ umbauen, 140 Menschen sollen hier unterkommen. Allerdings: Dieser Plan sieht keine Selbstverwaltung vor, das Heim wäre eine reguläre Flüchtlingsunterkunft unter der Regie des Landesamts für Gesundheit und Soziales. Als Träger sind der Paritätische Wohlfahrtsverband sowie die Diakonie im Gespräch. „Damit die Umbauarbeiten beginnen können, muss das Gebäude leer sein“, sagt Bezirkssprecher Sascha Langenbach. Die jetzigen BewohnerInnen hätten keinen Anspruch auf eine Unterbringung in dem neuen Heim. Mit einer Räumung der Hauptmann-Schule würde die Flüchtlingsbewegung einen weiteren wichtigen Ort in Berlin verlieren. Nach der Räumung des Oranienplatzes im April wurden die CampbewohnerInnen auf verschiedene Heime verteilt und die Prüfung ihrer Asylverfahren vereinbart. Für gut 500 von 550 Personen ist diese Prüfung mittlerweile offiziell abgeschlossen. In nahezu allen Fällen wurden die Ersuchen abgelehnt, woraufhin die Betroffenen den Anspruch auf Unterbringung verloren und die Heime verlassen mussten. Offiziell gibt es kaum Angaben über ihren Verbleib, viele sind offenbar bei UnterstützerInnen untergekommen und leben weiter in Berlin. Der Bezirk hatte bereits Ende Juni versucht, die Schule zu räumen. Die BewohnerInnen besetzten damals das Dach des Gebäudes, in einem zweiwöchigen Großeinsatz sperrte die Polizei den Kiez ab. Am Ende unterschrieben Flüchtlinge und Bezirksvertreter eine Einigung. Dort war festgehalten, dass die rund 45 Menschen in der Schule bleiben können, wenn sie den Nachzug weiterer Personen verhindern. Bewohner und der Bezirk werfen sich nun gegenseitig vor, nicht ernsthaft an dem in der Vereinbarung festgehaltenen Dialog interessiert zu sein. ISLAMGEGNER CDU-Generalsekretär Tauber entsetzt über „blanken Hass“ aus sozialen Netzwerken BERLIN afp | CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat sich nach der Integrationskonferenz seiner Partei über feindselige Reaktionen in den sozialen Netzwerken beklagt. „Mir ist in manchen Beiträgen blanker Hass entgegengetreten, den ich in dieser Form noch nie erlebt hatte“, sagte Tauber der Welt vom Donnerstag. „Diejenigen, die im Netz so massiv reagieren, erreicht man nicht mehr mit rationalen Argumenten.“ Die Vorstellung, dass ein Moslem Deutscher sein könne, sei manchen offenbar nicht nahezubringen. Tauber will die CDU stärker für Einwanderer öffnen. In der vergangenen Woche hatte er deshalb CDU-Mitglieder und -Sympathisanten mit Migrationshintergrund zu einer Konferenz in die CDU-Zentrale in Berlin geladen. Auch Parteichefin Angela Merkel (CDU) sprach vor den Anwesenden. Der CDU-Generalsekretär wies die offenbar massive Kritik in den sozialen Netzwerken zurück. „Christsein bedeutet, offen auf Menschen zuzugehen“, sagte Tauber. „Chauvinistisch-nationalistische Abgrenzung kann niemals christlich sein.“ In den Reaktionen sieht Tauber den Versuch rechter Gruppierungen, die CDU in eine linke Ecke zu drängen. Seine Vaterlandsliebe lasse er sich aber von niemandem absprechen: „Mein persönlicher Zugang zur CDU war ein patriotischer. SchwarzRot-Gold sind für mich keine beliebigen Farben.“ Patriotismus schließe jedoch Zuwanderer nicht aus. Für Zuwanderer in der CDU müsse aber eine Absage an den extremistischen Islam selbstverständlich sein. Salafist in Flughafen-Crew SICHERHEIT Mitglied der „Scharia-Polizei“ arbeitete in der Gepäckabfertigung. Opposition kritisiert Jäger DÜSSELDORF dpa/taz | Ein radikaler Islamist soll trotz Sicherheitsüberprüfungen in der besonders geschützten Gepäckabfertigung des Düsseldorfer Flughafens gearbeitet haben. Das sagte ein Sprecher der Wuppertaler Polizei und bestätigte Medienberichte. Der 27-Jährige wird zum Umfeld des deutschen Salafisten Sven Lau gerechnet und soll zu jenen Männern gehören, die Anfang September in Wuppertal als „Scharia-Polizei“ aufgetreten waren. Zurzeit laufe ein Ermittlungsverfahren gegen ihn, sagte der Polizeisprecher. Die Salafistenszene wird vom Staatsschutz und dem NRW-Verfassungsschutz beobachtet. Die Opposition im Düsseldorfer Landtag reagierte empört: „Es ist ein unfassbarer Skandal, dass ein polizeibekannter Salafist über Monate unbehelligt im Sicherheitsbereich des Düsseldorfer Flughafens arbeiten durfte“, sagte der integrationspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion Joachim Stamp. Vor zwei Monaten habe Innenminister Ralf Jäger (SPD) ein entschlossenes Vorgehen gegen die SchariaPolizei versprochen, trotzdem habe ein Mitglied dieser Gruppe bis jetzt Zugang zum Sicherheitsbereich des Düsseldorfer Flughafens gehabt. Der Flughafen Düsseldorf bestätigte lediglich, dass der 27-Jährige „bei einem am Airport ansässigen Unternehmen“ gearbeitet habe. Um in den Sicherheitsbereich zu gelangen, habe er aber jeden Tag eine Schleuse passieren müssen und sei durchleuchtet worden. ANZEIGE DGB vereint im Schweigen TARIFEINHEIT Weder der Gewerkschaftsdachverband noch die IG Metall und Ver.di wollen sich zurzeit zum Gesetzesentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles äußern. Piloten drohen mit Verfassungsklage BERLIN taz | Der Dachverband gibt sich zugeknöpft, die beiden größten Einzelgewerkschaften ebenso. „Wir machen dazu zurzeit nichts“, sagt eine DGB-Sprecherin. „Wir werden das erst kommentieren, wenn der Gesetzentwurf in seiner endgültigen Fassung vorliegt“, sagt eine Sprecherin der IG Metall. Auch in der Berliner Ver.di-Zentrale will man sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zum geplanten Tarifeinheitsgesetz äußern. Der derzeit kursierende Referentenentwurf von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), aus dem die taz zitiert hat, sei noch nicht die endgültige Version, heißt es zur Begründung. Das kann man so sehen, muss es aber nicht. Tatsächlich gibt es nach taz-Informationen an dem endgültigen Gesetzesentwurf, der am heutigen Freitag in die Ressortabstimmung gehen soll, noch Änderungen – aber die sollen nur kleinerer, eher redaktioneller Natur sein. Es bleibt also dabei: Künftig soll im Falle einer Tarifkollision nur noch die im Betrieb mitgliederstärkste Gewerkschaft zum Zuge kommen. Von ihrem Wohlwollen wird es abhängen, welcher Spielraum Ver.di für die Krankenschwester, Marburger Bund für den Arzt – so soll es nach dem Willen der Ärztegewerkschaft bleiben Illustration: Eléonore Roedel kleinere Spartengewerkschaften noch bleiben wird. Dem Marburger Bund, der Vereinigung Cockpit oder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) dürfte die Alternative Unterordnung oder Untergang bleiben. Der Grund für das Schweigen des DGB, der IG Metall und von Ver.di dürfte denn auch nicht in den kleinen Versionsänderungen des Gesetzesentwurfs liegen. Hinter den Kulissen ringen die Gewerkschaftsspitzen vielmehr um eine gemeinsame Linie. Wäh- rend die IG Metall die Pläne von Nahles unterstützt, lehnt sie Ver.di entschieden ab. Während die Bundesspitze noch um eine diplomatische Lösung bemüht ist, spricht die nordrhein-westfälische Ver.di-Landesleiterin Gabriele Schmidt Tacheles. Das Gesetzesvorhaben sei eine nicht hinnehmbare „indirekte Einschränkung des Streikrechts“, sagte Schmidt. „Eine einheitliche und solidarische Interessenvertretung aller Beschäftigten eines Betriebs muss von den Gewerk- schaften in eigener Autonomie realisiert werden, wenn sie erfolgreich sein soll.“ Staatliche Eingriffe seien „Gift für die Tarifautonomie“. Bei anderen DGB-Gewerkschaften wird das anders gesehen. So begrüßt der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, ausdrücklich die Gesetzespläne von Nahles als „gutes Signal“. Auch der neue DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, ein IG-BCE-Mann, gilt als glühender Befürworter. Anfang der Woche traf er sich mit Andrea Nahles sowie Innenminister Thomas de Maizière, Justizstaatssekretärin Stefanie Hubig sowie Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer im Kanzleramt zum freundlichen Tête-à-tête über den Referentenentwurf. Unterdessen bereitet sich die Pilotenvereinigung Cockpit auf eine Verfassungsklage vor. Ihr zur Seite steht dabei die Kanzlei von Exbundesinnenminister Gerhart Baum. „Klar, lege ich Verfassungsbeschwerde ein“, sagte Baum dem Handelsblatt. Das geplante Gesetz wäre „ein erheblicher Eingriff in GrundrechPASCAL BEUCKER te“. THOMAS PIKETTY »Das Ende des Kapitalismus im 21. Jahrhundert ?« DEMOCRACY LECTURE der »Blätter für deutsche und internationale Politik« FREITAG, 7.11.2014, 19 UHR im Haus der Kulturen der Welt, Berlin Eintritt frei www.blaetter.de 08 FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG www.taz.de [email protected] WIRTSCHAFT + UMWELT NACHRICHTEN URBANE AMPHIBIEN FRANKREICH Neue Froschart in New York City entdeckt Willkommen in Big Apple, Rana kauffeldi Foto: Feinberg LONDON | Forscher haben in den Feuchtgebieten von Staten Island in New York City eine neue Froschart entdeckt – dank des außergewöhnlichen Quakens. Jeremy Feinberg von der Rutgers Universität in New Jersey bemerkte den neuen Leopardenfrosch Rana kauffeldi. „Frösche haben sehr stereotypische Paarungsrufe“, sagte der Ökologe der britischen Rundfunkanstalt BBC, „ich wusste, dass dieser hier anders ist.“ Feinberg hat den Fund mit Genetikexperten überprüft und nun im US-Fachmagazin Plos One veröffentlicht. Es ist die erste neue Froschart in der Region seit 30 Jahren. (taz) Völkerrechtler gegen EUHandelsvertrag mit Kanada GLOBALISIERUNG Ceta-Abkommen verstoße gegen das Grundgesetz, warnt Professor Fischer-Lescano MÜNCHEN taz | Ein neues Rechtsgutachten unterstützt die Kritiker der geplanten Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA (TTIP) sowie Kanada (Ceta). Völkerrechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano und sein Mitarbeiter Johan Horst von der Universität Bremen kommen in der von Attac München in Auftrag gegebenen Studie zu dem Ergebnis: Ceta ist rechtswidrig. Die Kritik gilt auch dem noch zu verhandelnden TTIP-Abkommen mit den Vereinigten Staaten, da sich dieses stark an Ceta orientiert. Der Vertrag mit Kanada verstoße sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen Unionsrecht, sagte Horst. Etwa bei den internationalen Schiedsgerichten: Vor ihnen können dem Vertrag zufolge ausländische Konzerne klagen, wenn sie ihre Investitionen gefährdet sehen, zum Beispiel durch Umweltauflagen. Dabei würden die privaten Schiedsgerichte auch über EURecht entscheiden. Dies stünde aber ausschließlich dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu, argumentierte Horst. Außerdem verstoße Ceta gegen die „im Grundgesetz verankerte Garantie der kommunalen Selbstverwaltung“. Hat eine Kommune ihre Wasserversorgung privatisiert, könnte sie dies laut Ceta nicht mehr rückgängig machen. Dazu kommt, dass das Abkommen eine Negativliste vorsehe. Alle Bereiche, die nicht ausdrücklich ausgenommen sind, unterlägen damit den Liberalisierungsvorschriften von Ceta. Die Kommunen wären verpflichtet, fast alle Aufträge aus- zuschreiben, und könnten mittelständische Unternehmen vor Ort nicht mehr unterstützen. Ginge es nach der Europäischen Kommission, würde Ceta schon bald in Kraft treten, nur das EU-Parlament und der Rat der Mitgliedstaaten müssten noch zustimmen. Doch auch das sei nicht rechtens, so die Juristen, da es sich bei Ceta um ein „gemischtes Abkommen“ handle, bei dem auch die nationalen Parlamente ihr Einverständnis geben müssten. Damit würde es noch „mindestens zwei Jahre“ dauern, bis Ceta in Kraft tritt. Zu dem gleichen Schluss war ein Gutachten gekommen, das Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Auftrag gegeben hatte. Nach massiver Kritik aus den eigenen Reihen äußerte der SPD-Politiker auch Bedenken in Bezug auf die umstrittenen internationalen Schiedsgerichte. Mit seiner Forderung, Ceta neu zu verhandeln, stieß er aber auf Kritik beim Koalitionspartner CDU/CSU. Fischer-Lescano geht jedoch davon aus, dass nicht Parlamente, sondern das Bundesverfassungsgericht und der EuGH über die finale Version von Ceta und TTIP entscheiden werden. Dazu müsste ein Mitgliedstaat der Europäischen Union oder das EUParlament klagen. Laut Ceta sollen 98 Prozent aller Zölle wegfallen, die Exportquoten steigen, Unternehmen leichteren Zugang zu öffentlichen Aufträgen bekommen, Investitionen angekurbelt und die Freizügigkeit hochqualifizierter Arbeitnehmer verbessert LISA SCHNELL werden. MEERESSCHUTZ AUTOBAUER ZAHL DES TAGES Unbekannte Drohnen Abkommen für den überfliegen 7 AKWs Südpol auf der Kippe Volkswagen mit Gewinnsprung Spanien erholt sich langsam PARIS | Drohnen unbekannter Herkunft haben in den vergangenen Wochen sieben französische Atomkraftwerke überflogen. Der AKW-Betreiber EDF erstattete deswegen Anzeige. Er betonte zugleich, die Überflüge seien „ohne Folgen für die Sicherheit oder den Betrieb der Anlagen“ geblieben. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace zeigte sich „sehr besorgt“. In Frankreich ist es verboten, Atomkraftwerke in einem Umkreis von fünf Kilometern und unter 1.000 Metern Höhe zu überfliegen. (afp) WOLFSBURG | Europas größter Autobauer Volkswagen hat mit einem Gewinnschub im Sommerquartal merklich Schwung geholt. Neben den traditionellen Renditebringern Audi und Porsche sorgten die tschechische Tochter Skoda und die brummenden Geschäfte in China für kräftigen Schub. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) stieg im dritten Jahresviertel im Vergleich zum Vorjahresquartal um gut 16 Prozent auf 3,23 Milliarden Euro. Der Konzernumsatz legte um 4 Prozent auf 48,9 Milliarden Euro zu. (dpa) „Es grünt so grün, wenn Spaniens Wiesen blühn“, heißt es bei „My Fair Lady“, Helmut Kohl würde von „blühenden Landschaften“ sprechen. Wir wissen, dass es längst nicht so weit ist, dennoch bemerkenswert: Spaniens Wirtschaft erholt sich nach Jahren des Niedergangs. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs von Juli bis September um 0,5 Prozent zum Vorquartal, immerhin bereits das fünfte Quartal in Folge mit positivem Vorzeichen. WELLINGTON | Die Pläne zur Schaffung des weltgrößten Meeresschutzgebietes drohen zum vierten Mal zu scheitern. Die USA und Neuseeland wollen in der Antarktis ein 1,34 Millionen Quadratkilometer großes Gebiet für die Fischerei weitgehend sperren. Doch werde dies wohl keine Zustimmung erhalten, sagte USDelegationsleiter Evan Bloom im australischen Hobart. Eine kleine Zahl von Staaten stelle sich dagegen. Damit wäre die Konferenz der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis ein Fehlschlag. (ap) 0,5% Vattenfall verliert Lust auf Kohle ENERGIE Der schwedische Staatskonzern denkt laut über einen Rückzug aus Tagebauen und Kraftwerken in Ostdeutschland nach – die Anlagen sind nicht mehr profitabel VON BERNWARD JANZING FREIBURG taz | Vattenfall hat keine Lust mehr auf die Braunkohle. Der schwedische Energiekonzern teilte gestern mit, er erwäge einen Verkauf der betreffenden Sparte. Oder wie es VattenfallChef Magnus Hall formulierte: Vattenfall prüfe „Optionen für eine nachhaltige und neue Eigentümerstruktur seines Braunkohlegeschäfts“. Dieses umfasst fünf Braunkohletagebaue und vier Kraftwerke in Ostdeutschland. Dort sind mehr als 8.000 Mitarbeiter beschäftigt. Auch als Auftraggeber für die dortige In- „Eine neue Eigentümerstruktur des Braunkohlegeschäfts“ VATTENFALL dustrie ist der Konzern wichtig. 2013 erhielten über 1.700 Firmen in Brandenburg und Sachsen Aufträge von Vattenfall. Die Entscheidung war im Verwaltungsrat des schwedischen Konzerns gefallen, seit gut zwei Jahren gab es entsprechende Spekulationen. Am Donnerstag nannte das Unternehmen vor allem zwei Gründe: Zum einen wolle man die CO2-Emissionen des Konzerns senken. Bereits 2011 hatte Vattenfall eine Broschüre über erneuerbare Energien mit dem Satz begonnen: „Die Bekämpfung des Klimawandels gehört zu den größten Aufgaben unserer Zeit“ – damals noch eine Überraschung. Noch 2013 erzeugte Vattenfall 72,8 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Kohle, davon allein 57,2 Milliarden oder etwa 10 Prozent des in Deutschland produzierten Soll verkauft werden: Vattenfall-Braunkohlekraftwerk Boxberg in der Lausitz Foto: Paul Langrock/Zenit Stroms aus Braunkohle, dem klimaschädlichsten Brennstoff überhaupt. Noch wichtiger als der Klimaschutz dürfte die schwindende Wirtschaftlichkeit der Anlagen sein. „Wie andere Energieversorger auch leidet Vattenfall unter schwierigen Marktbedingungen, die durch eine schwache Nachfrage, ein Überangebot an Erzeugungskapazitäten und historisch niedrige Großhandelsprei- se bei Strom gekennzeichnet sind“, sagte Firmenchef Hall. Ein Blick auf die deutsche Stromerzeugung macht diese Aussage nachvollziehbar: In den ersten neun Monaten 2014 wurden in Deutschland rund 5 Prozent weniger Strom aus Braunkohle und 15 Prozent weniger aus Steinkohle erzeugt als im Vorjahr. Gleichzeitig fuhr Vattenfall insgesamt umgerechnet einen Verlust von 2 Milliarden Euro ein. Vor diesem Hintergrund fragen sich Experten nun: Wer soll die Anlagen kaufen? Zumal die Braunkohle als Erste aus dem Markt gedrängt wird, wenn eines Tages ein funktionierendes Klimaschutzprogramm kommt. Vattenfall nennt keine Namen. Auch Mitbewerber RWE, selbst stark im Braunkohlegeschäft, lässt das Angebot unkommentiert. Entscheiden wird über den Verkauf nicht alleine der Preis. Vattenfall untersteht als schwedischer Staatskonzern auch der Politik, weshalb auch das schwedische Parlament zustimmen muss. Deswegen ist derzeit alles offen – der Zeitplan ebenso wie die Frage, ob Vattenfall komplett aus der Braunkohle aussteigen oder nur einen Teil des Geschäfts verkaufen wird. Am Ende könnte die Braunkohle für den Konzern der zweiten Energieträger werden, von dem er sich in Deutschland verabschiedet. Den Ausstieg aus der hiesigen Atomstromerzeugung hat er nämlich schon – gezwungenermaßen – hinter sich: Weil die störanfälligen Meiler Brunsbüttel und Krümmel nach der Fukushima-Katastrophe endgültig vom Netz mussten, verfügt das Unternehmen heute in Deutschland nur noch über eine 20-Prozent-Beteiligung am EonKraftwerk Brokdorf. Als einen Rückzug aus Deutschland will Vattenfall den Verkauf der Braunkohle nicht verstanden wissen. Man bleibe den übrigen Geschäftsaktivitäten „weiterhin vollauf verpflichtet“, teilte das Unternehmen mit. Dazu zählen unter anderem die Fernwärme, die erneuerbaren Energien, der Betrieb von Verteilnetzen sowie der Handel und Vertrieb – alles Bereiche mit mehr Profit als die Braunkohle. US-Notenbank stellt Konjunkturspritzen ein KRISE Fed lässt Wertpapierankaufprogramm zum Monatsende auslaufen. Insgesamt vier Billionen US-Dollar geflossen. Niedrige Zinsen sollen noch „geraume Zeit“ beibehalten werden. Wenig Arbeitslose WASHINGTON rtr | Die US-Notenbank Federal Reserve stellt ihre milliardenschweren Konjunkturspritzen ein und verspricht weiter niedrige Zinsen. Die Zentralbank entschied am Mittwoch, ihr Ankaufprogramm für Wertpapiere zum Monatsende auslaufen zu lassen. Zuletzt hatte sie den Erwerb von Staatsanleihen und Hypothekenpapieren bereits auf 15 Milliarden Dollar pro Monat gedrosselt. Mit dem Ende der Geldspritzen wird die Bilanz nun nicht mehr ausgeweitet. Die Fed hat sie mit mehreren Programmen zum Ankurbeln der Konjunktur in den Jahren nach Ausbruch der Finanzkrise 2008 auf mehr als 4 Billionen Dollar aufgebläht. Den Leitzins hält sie seit Ende 2008 auf dem rekordniedrigen Niveau von 0 bis 0,25 Prozent. Die Fed erneuerte zugleich ihr Bekenntnis, ihre sehr lockere Geldpolitik noch „geraume Zeit“ beizubehalten. An den Märkten wird für Mitte 2015 mit der Zinswende gerechnet, einige Investoren tippen so- gar auf einen noch späteren Termin im kommenden Jahr. Die Fed legte sich indes nicht fest. Sie betonte, sie werde sich beim Zeitpunkt künftiger Zinserhöhungen davon leiten lassen, wie die Daten zur Wirtschaftsentwicklung ausfielen. Falls es etwa größere Fortschritte auf dem Weg zu Vollbeschäftigung und stabilen Preisen geben sollte als erwartet, könnten „Zinserhöhungen wahrscheinlich früher kommen als derzeit angenommen“. Derzeit macht den Notenbankern allein die etwas zu niedrige Teuerung Sorgen, zuversichtlich sind sind sie beim Arbeitsmarkt. Eine Reihe von Anzeichen deute darauf hin, dass sich die Auslastung schrittweise verbessere. Zuvor hatte die Notenbank stets betont, die Ressourcen am Jobmarkt seien noch nicht ausgeschöpft. Im September entstanden fast eine Viertelmillion neue Jobs, deutlich mehr als von Ökonomen erwartet. Zudem fiel die Arbeitslosenquote auf 5,9 Prozent – der niedrigste Stand seit Juli 2008. WIRTSCHAFT + UMWELT www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG Der neue kalte Krieg wird teuer EUROPA Sanktionen gegen Russland zeigen auch unerwünschte Wirkungen im Westen. Sie kosten viele Länder der EU Wachstum und Arbeitsplätze – auch Gasstreit schlägt zu Buche 09 LESERINNENBRIEFE taz. die tageszeitung|Rudi-Dutschke-Str. 23|10969 Berlin [email protected]|www.taz.de/Zeitung Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor. Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder. VON ERIC BONSE BRÜSSEL taz | Die westlichen Sanktionen gegen Russland zeigen Wirkung – allerdings auch unerwünschte. Während sich in vielen Supermärkten rund um Moskau langsam die Regale leeren, könnte der Handelskrieg einige EU-Länder zurück in die Rezession treiben. Dies geht aus neuen Schätzungen der EU-Kommission hervor. Hohe Kosten drohen der EU auch im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine. Nach den bisher geheim gehaltenen Schätzungen, über die das Wall Street Journal berichtet, dürften die Sanktionen das Wirtschaftswachstum in der EU in diesem und im kommenden Jahr um 0,2 oder um 0,3 Prozentpunkte dämpfen. Für Länder wie Italien oder Frankreich, die bereits jetzt große Konjunktursorgen haben, könnte dies einen Russland leidet unter den Sanktionen – auch zu merken bei der Agrargütermesse in Moskau Foto: dpa Rückfall in die Rezession bedeuten. Allerdings sei Russland weit Agrarprodukte verhängt. Die Irohauptet, die Sanktionen würden stärker betroffen, so die EU-Kom- nie der Geschichte: Das Embargo „Unglaublich! Wir nur die russische Wirtschaft trefmission: Dort soll das Wachstum trifft vor allem die russischen fen. Doch nicht nur diese Ein2015 um 1,1 Prozentpunkte ab- Verbraucher, die Sanktionen haben frischen schätzung wird nun in Brüssel schmieren. Im laufenden Jahr schaden auch westlichen Fir- Brokkoli gefunden“ scheibchenweise revidiert. Auch sollen die Sanktionen einen men. Die russischen Medien be- RUSSISCHE BLOGGERIN die Hoffnung, wenigstens beim Rückgang um 0,6 Punkte bewir- schönigten die Lage, kritisiert die Gasstreit zwischen Russland und ken. Allerdings leide Russland Bloggerin Eva Mala, die auf Faceder Ukraine ungeschoren davonzudem unter dem Verfall des Öl- book die Folgen des russischen Wir haben frischen Brokkoli ge- zukommen, zerrinnt. Zwar melpreises, so die Brüsseler Behörde. Einfuhrstopps beschreibt. Be- funden“, meldete sie am 24. Okto- dete die EU-Kommission am Die genaue Wirkung der Straf- sonders betroffen sei das Ange- ber. Wer ihren Blog liest, wird al- Donnerstag, eine Einigung sei in maßnahmen lasse sich daher bot von frischem Fleisch, Brot, lerdings auch feststellen, dass in Reichweite. Am Abend wollte nicht beziffern. Käse und manchen Obst- und Russland noch keine Not Noch-Energiekommissar GünFest steht, dass die Sanktionen Gemüsesorten. „Unglaublich! herrscht. ther Oettinger (am 1. November ihrer Hauptziel bisher verfehlt Schwer getroffen hat der übernimmt er das Digitalres..................................................................................................................... haben – Russlands Präsident Handelskrieg hingegen viele sort) eine neue, womöglich letzte Frankreich liefert nicht Wladimir Putin im Konflikt um ............................................................... deutsche Firmen. Die Exporte Verhandlungsrunde leiten. Noch die Ukraine zum Rückzug zu be- Laut Finanzminister Michel Sapin nach Russland sind zwischen vor Ende der Gespräche zeichnewegen. Putin bleibt stur bei sei- kann Frankreich einen für RussJanuar und August um 16,6 Pro- te sich jedoch ab, dass auf die EU ner Linie: Die brüchige Waffen- land gebauten Hubschrauberträzent auf 20,3 Milliarden Euro ein Großteil der Zeche zukommt. ruhe in der Ukraine sei ein An- ger der Mistral-Klasse derzeit nicht gesunken. Für das Jahr 2014 solNach Angaben aus Brüssel hat fang, nun müsse sich der Westen ausliefern. Die Situation in der len sich die Verluste auf Exporte die Ukraine zugesagt, bis Ende bewegen. Doch der EU reicht das Ukraine habe sich noch nicht geim Wert von 7 Milliarden Euro des Monats 1,45 Milliarden Dollar nicht. Sie beschloss daher am nügend stabilisiert, um eine Ausbelaufen. Relativ wenig im und bis Ende des Jahres dann Dienstag, die Sanktionen zu ver- lieferung zu ermöglichen, sagte Vergleich zu einem Gesamtvolu- noch einmal 1,65 Milliarden Dollängern. Durch die Strafmaß- Sapin am Donnerstag. Russland men der deutschen Exporte von lar zu zahlen. Das Geld reicht nahmen, die zuletzt im Septem- hatte am Vortag angegeben, das in diesem Jahr wahrscheinlich jedoch nicht aus, um über den ber verschärft worden waren, 1,2 Milliarden Euro teure Schiff sol- etwa 1 Billion Euro. Dennoch lei- Winter zu kommen. Außerdem werden viele russische Banken le am 14. November übergeben det die Stimmung. Der Ost-Aus- fordert Russland Garantien von und Konzerne vom westlichen werden. Frankreichs Staatspräsischuss der Deutschen Wirtschaft der EU. Insgesamt könnten die Markt ausgeschlossen. warnt schon, dass 60.000 Jobs Europäer bis zu 2 Milliarden Eudent François Hollande hatte im Im Gegenzug hat Putin ein September die Auslieferung geim Land gefährdet sein könnten. ro vorstrecken – so viel hat Kiew Embargo gegen europäische stoppt. (afp) Bisher hatte die EU immer be- angefragt. Nahles’ Plan ist abzulehnen ■ Seit Beginn meines Arbeitslebens bin ich in einer sogenannten großen (DGB-)Gewerkschaft organisiert. Während dieser sehr langen Zeit habe ich oft gelitten und mich enorm geärgert über die Nachgiebigkeit gegenüber den Arbeitgebern und der erfolgreichen politischen Einflussnahmen von außen. Trotz häufiger Gedanken über einen Austritt habe ich diesen nie vollzogen, da Gewerkschaften für abhängig Beschäftigte meines Erachtens eine Art Versicherung darstellen und deshalb, trotz aller Mängel, immer noch unverzichtbar sind. Ich war schon immer begeistert von der Nachdrücklichkeit, Frechheit und Einsatzfreude der kleinen Spartengewerkschaften, die immer versuchen das Optimum für ihre Mitglieder zu erreichen, notfalls auch mit längeren Streiks. Was nun die Arbeitsministerin vorhat, ist bodenlos und von Grund auf abzulehnen. Ich hoffe sehr, dass sie mit dem geplanten, angeblich solidarischen Gesetz nicht durchkommt und das Bundesverfassungsgericht ihr die Grenzen politischer Einflussnahme auf demokratische Grundrechte, wie das Streikrecht und die freie Wahl, sich in Gewerkschaften zu organisieren, aufzeigt. Dem Inhalt des Interviews mit Heiner Dribbusch („Gravierender Eingriff in das Streikrecht“) ist in Gänze zuzustimmen. WOLFGANG WEDEL, Nürnberg Pilotenstreik ist unangemessen ■ WOVOR WIR UNS ZU HALLOWEEN GRUSELN SOLLTEN Keine Angst ist auch keine Lösung verhindert in Deutschland Inür meinen Sohn, damals fünf Abend vor Allerheiligen veranWIR RETTEN DIE WELT Jahre alt, war es ein unver- staltet wird. Ein sinnleeres Ritu- ....................................................... vestitionen und treibt den Rest VON der EU ins Chaos. Spüren Sie die gesslicher Abend: Nach ei- al, wenn kleine Teufel „Süßes unsichtbare Hand des freien nem Streifzug durch die Nach- oder Saures“ plärren oder ihre BERNHARD PÖTTER Marktes eiskalt an Ihrer Gurgel? barschaft seines Onkels im New Mütter sich zu Buhfrauen verDie permanente Ausrottung Yorker Stadtteil Queens am Hal- kleiden. Jeder Harry-Potter-Film er- ....................................................... von vielen Tier- und Pflanzenarloween-Abend war die Beute an ten, die wir kaum kennen und Schokoscheiß und Zuckerbom- zeugtmitderDarstellungdesabben gewaltig. Überall öffneten grundtief Bösen in Lord Volde- städte untergehen. Das ist wohl die für den biologischen Kreissich uns die Türen, wenn wir mort mehr Gänsehaut als noch kaum noch zu stoppen. Höre ich lauf oder unser eigenes Über„Trick or treat“ riefen. Ein lächer- so ausgefeilter Halloween- da jemanden erschreckt krei- leben vielleicht wichtiger sind, als wir ahnen – schlottern da jelich als Gespenst verkleidetes Kitsch. Dabei gibt es genügend schen? Kindergartenkind und sein neu- Dinge, bei denen es uns wirklich Saures statt Süßes kommt mandem die Knie? Und wenn Facebook und Pigeborener Cousin gaben eine ex- kalt den Rücken runterlaufen auch aus anderen Fachgebieten: trem wirkungsvolle Drohkulisse sollte. Bei den Bildern von Ebola Immer häufiger sind Krank- casa Fotos so scannen können, ab. Die Plastiktüte, die der New und IS-Terror bekommen wir ei- heitserreger resistent gegen An- dass sie auch bei schlecht ausgeYork Times am Morgen extra für ne Ahnung von echtem Grauen. tibiotika. Der Grund: sorgloser leuchteten Fotos die Menschen diese Klientel beigelegt worden Aber es gibt auch die versteck- Umgang mit den Keimkillern in erkennen, aus 2-D-Fotos locker war, riss unten auf und verstreu- ten Schrecken, die wir mit einem der Landwirtschaft und überall. 3-D-Profile machen können und te die Beute auf dem Gehweg. Ich Schulterzucken abtun: etwa am Wie viel Horror empfinden Sie diesen Bildern von Unbekannbekam ernste Zweifel an den anderen Ende der Welt, wo gera- bei der Vorstellung, dass Ihre ten Namen und Identitäten zujournalistischen Qualitäten des de wichtige Teile der Antarktis Tochter auf der Intensivstation ordnen – wo bleibt die hysteriauseinanderbröckeln – ein Zu- liegt und die Ärztin sagt: „Gegen sche Schreiattacke? Blattes. Klar, Angst ist ein schlechter Das Gruseln hielt sich näm- stand, den manche Wissen- diese Infektion sind unsere MeRatgeber. Aber keine Angst ist lich in engen Grenzen. Das ist schaftler als „holy shit moment“ dikamente leider unwirksam“? noch heute so. Auch wenn das des Klimawandels bezeichnen: Ein kalter Wind aus der Gruft auch keine Lösung. Und sei es Halloween-Fieber samt Plastik- Was erst mal nicht die Pinguine umweht auch die Finanzpolitik nur die Furcht, dass Sie mit der kürbissen und Hexenkostümen stört, wird mit ziemlicher Si- der schwarzen Null. Eine toxi- Google-Datenbrille bald auch inzwischen zu uns geschwappt cherheit den Meeresspiegel sche Mischung aus richtiger noch hinter dergrauenhaftesten ist, fürchtet sich natürlich nie- über die nächsten Jahrzehnte so Haushaltssanierung und fal- Halloween-Maske zu entlarven mand vor irgendwas, was da am anheben, dass viele Küsten- scher Sparschwein-Ideologie sind. ......................................................................................................................................................................................................................................... F betr.: „Lufthansa am Boden“ u.a., taz vom 22. 10. 14 Bei der Diskussion um den Streik der Lufthansa-Piloten für den Erhalt der gültigen Vorruhestandsregeln (Rente mit 55 Jahren und 160.000 Euro/Jahr) zielt alles auf die Rechtmäßigkeit ab und darauf, ob sich die Piloten mit ihrem Streik nicht selbst das Wasser abgraben. Mir fehlt eindeutig der gesellschaftliche Vergleich: Warum kann ein unter 60-jähriger, also sehr berufserfahrener Arbeitnehmer nicht seine Kenntnisse in anderer Weise für die Branche nutzbar machen und so außerhalb des bisherigen Arbeitsplatzes (hier: im Cockpit) tätig werden? In anderen Berufen, die sicher nicht weniger anstrengend sind wie der des Piloten, ist ein deutlich späteres Rentenalter an der Tagesordnung und die politische Diskussion geht dahin, dieses Rentenalter weiter nach hinten zu schieben. Ich finde, die Piloten, mit ihren ohnehin privilegierten Jobs, sollten bei ihren Forderungen die Arbeitsverhältnisse anderer Menschen hierzulande stärker berücksichtigen und so ein Stück gesellschaftlicher Verantwortung übernehmen. THORSTEN WILLIG, Bad Schwalbach Hohle Phrasen ■ betr.: „Zufrieden, strebsam, unpolitisch“, taz vom 29. 10. 14 Politikverdrossenheit macht sich nicht einzig unter Studenten breit. Nicht die Studenten sind das Problem, die PolitikerInnen müssen sich selbst hinterfragen. Hohle Phrasen und schwammige Formulierungen sind oft das Hauptproblem in politischen Diskussionen. Man versteht den Standpunkt der PolitikerInnen nicht, deshalb gehen weniger Leute wählen. JULIA ENGELS, Elsdorf Nicht vergessen ■ .................................................................................................................................................................................................................................... betr.: „Nahles will Gewerkschaften einhegen“, taz vom 29. 10. 14 betr.: „Mehr Ökostrom, mehr Klimagase“, taz vom 29. 10. 14 Wenn sich die EU für verminderte CO2-Emissionen feiert, sollte man nicht vergessen, dass ein großer Teil unserer Umweltverschmutzung in andere Regionen ausgelagert ist, in denen für uns Nahrung, Elektronik und Kleidung hergestellt werden. KAI BROKOPF, Berlin Gruppenbild mit Dame ■ betr.: „Die emanzipierte Redaktion“, taz vom 29. 10. 14 Wie gern würden ich und sicher auch viele andere Zuschauer bei all den TV-Talkshows mehr Frauen sehen und von ihnen hören! Außer beim Presseclub wird dort die Dominanz der Männer besonders deutlich, was mich immer wieder empört. Zählen erübrigt sich, denn allzu oft befindet sich nur eine einzige Frau in der Männerrunde. Ich wundere mich, dass die Frauen sich das gefallen lassen. Warum zeigen nicht Frauen eine Solidarität untereinander, indem sie eine Einladung nur annehmen, wenn eine einigermaßen befriedigende Genderausgewogenheit gewährleistet ist? Meinen Sie nicht, dass sich dann sehr schnell etwas ändern würde, was dann auch auf andere Gebiete ausstrahlen könnte? DAGMAR REEMTSMA, Hamburg Atomkraftwerke sofort abschalten! ■ betr.: „Aktenzeichen Super-GAU“, taz vom 25. 10. 14 In Deutschland wurden zwischen 1957 und 2004 etwa 110 kerntechnische Anlagen in Betrieb genommen. Das AKW Grohnde, an dem die Stadt Bielefeld nach dem Zukauf der Anteile von Bremen heute über Stadtwerke mit 16,67 Prozent beteiligt ist, läuft schon seit dem 1. Februar 1985. Aber erst 2013 haben Bund und Länder sich verpflichtet gefühlt, einmal einen Atomunfall in einem deutschen AKW und den Umgang mit einer solchen Katastrophe zu simulieren! Hat da jemand aus „Blackout – Morgen ist es zu spät“ von Marc Elsberg gelernt? Was ist zu tun? Wir müssen so schnell wie möglich mehr Energie einsparen, die Nutzung von Erneuerbaren Energien zügig ausbauen und schnellstens alle Atomkraftwerke abschalten, ehe es möglicherweise zu spät ist! MARTIN SCHMELZ, Bielefeld 10 www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG AUSLAND NACHRICHTEN KAMPF GEGEN EBOLA MENSCHENRECHTE SYRIEN Die USA sehen erste Erfolge Übertriebenes Urteil wegen Protest USA verurteilen Französischer Soldat Säkularer Wahlsieg Angriff auf Flüchtlinge bei Gefechten getötet bestätigt STRASSBURG | Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist eine zehntägige Inhaftierung für einen politischen Protest übertrieben. Die Richter stimmten damit am Donnerstag der Klage einer Ukrainerin zu, die sich in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt fühlte. Die Frau, Anhängerin von Exregierungschefin Julia Timoschenko, hatte am Unabhängigkeitstag der Ukraine am 24. August 2011 aus Protest gegen die politische Führung ein Band von einem Gedenkkranz gerissen. (kna) WASHINGTON | Nach Berichten über einen Luftangriff auf das syrische Flüchtlingscamp Abedin mit mindestens zehn Toten hat sich die US-Regierung entsetzt über das „Blutbad an unschuldigen Zivilisten“ geäußert. „Die Attacke auf das Lager Abedin war nichts weniger als barbarisch“, sagte US-Außenamtssprecherin Jen Psaki. Sollte sich bestätigen, dass die Armee von Machthaber Baschar al-Assad gezielt Fassbomben auf das Camp abwerfen ließ, wäre dies „nur der jüngste brutale Akt dieses Regimes gegen sein eigenes Volk“. (afp) MONROVIA | Die Ebola-Hilfe zeigt nach Einschätzung der USA in Liberia erste Erfolge. So fänden Beerdigungen vermehrt unter sicheren Bedingungen statt, und Ebola-Tests würden deutlich schneller ausgewertet, sagte die US-Botschafterin bei der UN, Samantha Power, am Dienstagabend in Monrovia. Selbst in entlegenen Gebieten sei die Auswertungszeit von fünf Tagen auf fünf Stunden reduziert worden. So würden auch Betten für die Behandlung schneller wieder frei. Power: „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, aber wir sind auf dem richtigen.“ (rtr) Ebola-Tagebuch auf www.taz.de Die US-Botschafterin bei der UNO: Samantha Power Foto: dpa MALI PARIS | Im Norden Malis ist ein französischer Soldat bei Gefechten mit einer bewaffneten Gruppe getötet worden. Mehrere weitere Soldaten seien verletzt worden, als eine Armeeeinheit in der Nacht zu Mittwoch auf ein „Terroristenlager“ in den TighargharBergen gestoßen sei, erklärte der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian am Mittwoch. Er hatte zuvor erklärt, es habe „heftige Zusammenstöße“ mit einer „bewaffneten Terrorgruppe vom Typ Aqim“ gegeben. Aqim steht für al-Qaida im Islamischen Maghreb. (afp) TUNESIEN TUNIS | Bei der Parlamentswahl in Tunesien haben die säkularen Kräfte über die Islamisten gesiegt. Laut dem am Donnerstag von der Wahlkommission vorgelegten vorläufigen Ergebnis bekommt die weltliche Allianz Nidaa Tounes 85 der 217 Sitze im Parlament. Die islamistische Ennahda erhält demnach 69 Sitze, die liberale Freie Patriotische Union des Unternehmers Slim Riahi 16 Mandate. Ennahda hatte ihre Niederlage bereits am Montagabend eingeräumt. Das Endergebnis soll am 24. November bekanntgegeben werden. (dpa) Misstrauensbildende Maßnahme ÜBER DEN WOLKEN Nato stellt über Europas internationalen Luftraum ungewöhnlich viele Manöver der russischen Luftwaffe fest – zum Teil unter Missachtung vereinbarter Regeln Der Tempelberg wird für Muslime und Juden gesperrt ISRAEL Ein Anschlag auf einen religiösen jüdischen Aktivisten erhöht die Spannungen in Jerusalem AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL Der mutmaßliche Schütze, der ein Attentat auf den jüdischen rechtsreligiösen Aktivisten Jehuda Glick verübt haben soll, ist tot. Sicherheitskräfte stellten am Donnerstag früh den 32-jährigen Moatas Hidschasi in seinem Elternhaus und erschossen den Palästinenser offenbar bei einer Schießerei. Die Polizei vermutet, dass Hidschasi am Mittwochabend Glick im Anschluss an eine Diskussionsveranstaltung lebensgefährlich verletzte. Augenzeugen berichteten von einem Motorradfahrer, der Glick auf Hebräisch mit arabischen Akzent ansprach, mehrere Kugeln auf ihn abfeuerte und floh. Der Tod Hidschasis löste erneut schwere Unruhen in Ostjerusalem aus. Die Sicherheitskräfte sperrten alle Zugänge zum Tempelberg mit der Begründung, weitere Gewalt zu verhindern. Jehuda Glick ist Gründer und Chef der LIBA ( Jüdische Freiheit auf dem Tempelberg) und gilt als treibende Kraft im Kampf um Gebetsrechte für Juden auf dem Tempelberg. Bei der Veranstaltung im Begin-Kulturerbe-Zentrum am Mittwoch gehörte er zu den zentralen Rednern. Hidschasi, der im Restaurant des Zentrums arbeitete, kannte Glick offenbar persönlich. Auf der Agenda der Diskussionsveranstaltung stand die Veränderung des bisherigen Status quo. Laut eines Berichts der liberalen Haaretz war unter den Teilnehmern auch eine Gruppe vertreten, die den Abriss der Al-Aksa-Moschee propagiert, um an ihrer Stelle einen dritten jüdi- schen Tempel zu errichten. Von dem zweiten Tempel, der im ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung zerstört wurde, steht nur noch die westliche Mauer, die heute als wichtigstes jüdisches Heiligtum gilt. Der Tempelberg wird von beiden Religionen beansprucht. Immer wieder kommt es hier zu Auseinandersetzungen. Im September 2000 löste der Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg die zweite Intifada aus. Die Zugänge zum Gelände des Tempelberges stehen unter strikter Sicherheitskontrolle der israelischen Armee. Zuständig ist die Waqf, eine Stiftung des islamischen Rechts, wobei das letzte Wort beim jordanische Königshaus liegt. Zentraler Grund der sich seit Wochen zuspitzenden Anspannung in Jerusalem ist der Versuch von radikal-jüdischen Gruppen, das Alleinrecht von Muslimen, auf dem Tempelberg zu beten, zu durchbrechen. Mustafa Abu Sway, Islamwissenschaftler an der Al-Kuds-Universität, hält Israel dafür verantwortlich, sicherzustellen, „dass nur Muslime in der Al-Aksa-Moschee beten dürfen“. Die Besatzungsmacht habe dafür zu sorgen, dass der Status quo erhalten bleibe, meinte Abu Sway auf telefonische Anfrage. Die Schließung des Gebetshauses empfindet der Islamwissenschaftler als „Staatsterrorismus“ und „Religionskrieg“. Auch der palästinensische Präsident Mahmud Abbas nannte die Sperrung des Tempelbergs eine „Kriegserklärung“. Meinung + Diskussion SEITE 12 Undatiertes Foto der norwegischen Luftwaffe auf das Heck eines russischen Bombers vom Typ Tu-95 Foto: reuters VON ANDREAS ZUMACH GENF taz | Die russischen Luftstreitkräfte haben nach Angaben der Nato seit Dienstagnachmittag „ungewöhnlich umfangreiche“ Manöver im internationalen europäischen Luftraum über der Nord- und Ostsee, dem Atlantik und dem Schwarzen Meer durchgeführt. Ursprüngliche Meldungen, russische Kampfflugzeuge hätten dabei auch den Nato-Luftraum über Großbritannien verletzt, wurden von der Nato später dementiert. Seit Beginn dieses Jahres registrierte die Nato bereits 100 Flüge russischer Militärflugzeuge im internationalen europäischen Luftraum, dreimal so viel wie 2013 vor der Eskalation des Ukraine-Konflikts. Das westliche Militärbündnis hat seinerseits in Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland im März und auf den von Moskau geführten hybriden Krieg in der Ostukraine die Zahl seiner militärischen Flüge im Luftraum entlang der östlichen Außengrenzen in den letzten Monaten verfünffacht sowie verstärkte Seemanöver im Schwarzen Meer durchgeführt. Am Mittwochnachmittag waren den Nato-Angaben zufolge acht russische Flugzeuge über der Nordsee, mehrere über der Ostsee sowie vier über dem schwarzen Meer identifiziert worden. Am Vortag identifizierte die Nato demnach sieben Flugzeuge der russischen Luftstreitkräfte über der Ostsee. Die russischen Flugzeuge flogen laut Nato bis west- „Potenzielles Risiko für die zivile Luftfahrt“ NATO-SPRECHER ZUM ABSCHALTEN DER TRANSPONDER DER RUSSISCHEN JETS lich von Portugal und Großbritannien. Eine Meldung der Deutschen Presseagentur (dpa) vom frühen Morgen, die russischen Flugzeuge seien „bis in den Luftraum Großbritanniens vorgestoßen“ wurde nach einem Dementi der Nato von der Agentur später korrigiert. In der letzten Woche hatte sich ein russisches Aufklärungsflugzeug kurzzeitig im Luftraum über Estland befunden. Die Nato kritisierte, die russischen Flugzeuge hätten bei ihren Flügen teilweise weder Flugpläne übermittelt noch Funkkontakt mit der zivilen Flugsicherung gehalten. Zum Teil seien zudem die Transponder abgeschaltet gewesen. Diese übermitteln als automatische Signalgeber den Fluglotsen wichtige Angaben zu einem Flugzeug wie etwa die Kennung oder den Typ. Dieses Verhalten stelle „ein potenzielles Risiko für die zivile Luftfahrt dar“, beklagte die Nato. Zudem waren diese und andere Maßnahmen zur frühzeitigen Erkennung ausländischer Flugzeuge Teil des „Open Sky“-Abkommens über vertrauensbildende Maßnahmen im Luftraum. Das hatte die Nato 1990 mit dem damals noch existierenden östlichen Militärbündnis des Waschauer Paktes unter Führung der Sowjetunion vereinbart. Ein Nato-Sprecher erklärte, es geben „keinen besonderen Anlass zur Sorge darüber, dass russische Militärflugzeuge ihr Recht zum Flug durch internationalen Luftraum wahrnehmen“. Doch da es die seit Dienstagnachmittag von der Nato registrierten insgesamt 26 russischen Kampflugzeuge Maßnahmen zu ihrer Früherkennung teilweise unterließen, seien „vorsorglich“ unter anderem norwegische, britische, portugiesische sowie deutsche und türkische Kampfjets aufgestiegen, um die russischen Flugzeuge aufzuspüren und bis zum Verlassen des Nahbereichs zum Nato-Luftraum zu begleiten. Dabei wurden aber keineswegs russische Flugzeuge abgefangen, wie die deutschsprachigen Dienste von Reuters und Agence France Press fälschlicherweise berichtet hatten. Boko Haram wieder auf dem Vormarsch NIGERIA Die Islamisten besetzen die strategisch wichtige Stadt Mubi im Nordosten des Landes. Von dem Waffenstillstand, den die Regierung vor zwei Wochen verkündete, ist anscheinend nichts mehr übrig Bild der Felsendom-Moschee auf dem Tempelberg Foto: reuters BERLIN taz | Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram hat erneut eine Stadt im Norden Nigerias erobert. Seit Mittwochnachmittag steht Mubi, zweitgrößte Stadt im Bundesstaat Adamawa an der Grenze zu Kamerun, unter Beschuss. Die Kämpfer sollen in mindestens 14 Lastwagen gekommen sein. Sie griffen unter anderem die Polizeistation und das Gefängnis an. In nigerianischen Zeitungen heißt es, dass dort inhaftierte Boko-Haram-Kämpfer fliehen konnten. Wie viele Menschen seit dem Einmarsch der Kämpfer ums Leben gekommen sind, steht noch nicht fest. Es könnten mehrere hundert sein. Tausende sind außerdem auf der Flucht. Auch in der Nachbarstadt Uba ist es zu einem Überfall gekommen. Die in Mubi stationierten Soldaten sollen Richtung Kamerun auf der Flucht sein. Dabei herrscht seit fast zwei Wochen eigentlich ein Waffenstillstand zwischen Boko Haram und Nigerias Regierung. Das hatten zumindest Regierungsvertreter am 17. Oktober verkündet. Doch zu spüren ist davon offenbar nichts im Norden Nigerias. Denn neben den Überfällen war es in den vergangenen Wochen erneut zu einer Welle an Entführungen gekommen. Alleine am Wochenende hatten die Terroristen in einem Dorf rund 30 Mädchen und Jungen in ihre Gewalt gebracht. Auch in der Woche zuvor hatte es mehrere solche Vorfälle gegeben. Deshalb werden immer stärkere Zweifel am Wirklichkeitsgehalt des Waffenstillstandsabkommens laut. Zu den Zweiflern gehört auch Augustine Alegeh, Präsident der nigerianischen Anwaltskammer. „Aufgrund der vielen Angriffe frage ich mich mittlerweile, ob es tatsächlich ein solches Abkommen gibt“, sagte er am Donnerstag in einem Interview. Falsche Informationen hat es auch in der Vergangenheit mehrfach gegeben. So hieß es beispielsweise häufig von der Regierung, dass die Schulmädchen, die Boko Haram im April in Chibok entführt hatten, bald freigelassen werden würden. Am heutigen Freitag 31. Oktober befinden sie sich nun seit 200 Tagen in den Händen ihrer Entführer. KATRIN GÄNSLER AUSLAND www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG Kein Dach mehr über dem Kopf ÄGYPTEN Die Armee richtet nach einem Anschlag eine Pufferzone zum Gazastreifen ein. Über 10.000 Menschen sollen umgesiedelt werden. Ihre Zukunft ist ungewiss Canberra will Internet-Daten länger speichern lassen AUSTRALIEN Internetprovider sollen Nutzungsdaten zwei Jahre lang aufbewahren müssen AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY AUS CANBERRA URS WÄLTERLIN „Es sind laute Explosionen zu hören, es herrscht komplettes Chaos, manche haben ihr Hab und Gut in Autos gepackt, andere campieren auf der Straße und kaum einer weiß wohin.“ So beschreibt eine Einwohnerin des ägyptischen Teils des Ortes Rafah an der Grenze zum Gazastreifen die Lage. Die ägyptische Armee schafft dort eine Pufferzone. Sie soll sich zunächst 300 Meter und später 500 Meter vom Grenzzaun zum Gazastreifen erstrecken. Insgesamt sollen 800 Familien, also über 10.000 Menschen, umgesiedelt werden. Sie bekamen eine Frist von 48 Stunden, um ihre Häuser zu verlassen, bevor diese in die Luft gesprengt werden. Am Donnerstag wurde mit der Sprengung der Häuser begonnen. Die Armee rechtfertigt den Schritt damit, dass sie den Schmuggel von Waffen und Sprengstoff vom Gazastreifen in den Nordsinai unterbinden will, indem die dortigen Tunnel zerstört und in der Pufferzone ein Wassergraben angelegt werden soll, der das Bauen weiterer Tunnel schwerer macht. „Es wird Blut fließen und jemand wird den Preis dafür zahlen“, hatte Präsident Abdel Fattah al-Sisi nach einem Anschlag in der Nähe von Rafah am Wochenende erklärt. Dabei kamen 33 Soldaten ums Leben, als eine Autobombe an einer Straßensperre hochging. Den Preis zahlen jetzt die Einwohner des ägyptischen Teils von Rafah, die direkt am Grenzstreifen leben. „Es ist ein Kampf um die Herzen und Köpfe der Bevölkerung“, schreibt der ägyptische Journalist Amr Khalifa. Die lokale Bevölkerung im Nordsinai sei derzeit Terroristen, Kinderschändern und Internet-Piraten soll das Leben schwerer gemacht werden. Australiens konservative Regierung hat ein Gesetz vorgelegt, mit dem die Anbieter von Internet-Diensten, sogenannte Internet Service Provider (ISPs), verpflichtet werden sollen, bestimmte Daten ihrer Kunden zwei Jahre lang aufzubewahren. „Der Zugang zu Metadaten spielt eine zentrale Rolle in fast jeder Ermittlung bei Terrorismus, Spionage, Sexualverbrechen, Drogenhandel oder Geiselnahmen“, sagte Kommunikationsminister Malcolm Turnbull am Donnerstag. Unter Metadaten versteht man generell Zeit, Datum, Herkunftsort eines Anrufs oder einer Email sowie weitere Nutzerinformationen. Die Gesetzesvorlage, deren Verabschiedung dank der Unterstützung der oppositionellen Labor Party praktisch garantiert ist, formuliert jedoch nicht explizit, was die Regierung unter dem Begriff versteht. Laut Turnbull würden die ISPs nicht verpflichtet werden, die Inhalte von Emails und Anrufen, die Browserverläufe und die Namen von besuchten Web-Adressen zu speichern. Die Behörden seien in erster Linie an der sogenannten IP-Adresse interessiert, über die der Besitzer eines Com- Palästinenser im Gazastreifen fliehen vor dem Rauch der Explosionen in Ägypten Foto: reuters eingezwängt zwischen der Armee und den Terroristen, ohne irgendeinen Raum, sich zu bewegen oder zurückzuziehen, schildert er die Lage zwischen der Stadt Arisch im Norden der Sinaihalbinsel und Rafah an der Grenze zum Gazastreifen. Ob der neuste Schritt der ägyptischen Armee geeignet ist, die Herzen der lokalen Beduinenbevölkerung zu gewinnen, ist mehr als fraglich. Es ist schwer, unabhängige Informationen von vor Ort zu bekommen. Der gesamte Nordsinai ist abgeriegelt. Journalisten werden bereits an der Brücke über den Suezkanal zurückgewiesen. Das ägyptische Fernsehen zeigt Einwohner in Rafah, die der neusten Maßnahme freudig zustimmen. Aber in den sozialen Medien und bei den wenigen Malen, in denen man telefonisch in „Glauben Sie wirklich, dass die Menschen hier anfangen, die Armee zu lieben?“ HAMMAM EL-AGHA, NORDSINAI den Nordsinai durchkommt, ergibt sich ein anderes Bild. Hammam El-Agha, einer der betroffenen Bewohner im Grenzstreifen, erzählt der ägyptischen Internet Plattform Mada Masr, er habe sich zunächst geweigert, sein Haus zu verlassen, nachdem ein Armeeoffizier an seine Tür geklopft und gesagt habe, wenn er sich weigere, werde man das Haus notfalls auch mit ihm im Innern zerstören. „Glauben Sie wirklich, dass die Menschen hier anfangen, die Armee zu lieben und der Terrorismus damit vorbei geht? Das Gegenteil ist der Fall“, erklärt Agha wütend. Unklar ist, wie die Einwohner für ihre zerstörten Häuser kompensiert werden. Umgerechnet 90 Euro erhalten sie zunächst, um mit ihren Familien eine andere Unterkunft zur Miete zu finden. Dann will man ein Entschädigungsverfahren für ihre Häuser ausarbeiten. Präsident al-Sisi erklärte, er habe Anweisung gegeben, dass die Menschen möglichst schnell kompensiert werden sollen. Tatsache bleibt, dass nun Hals über Kopf Tausende Menschen umgesiedelt werden, ohne dass klar ist, was mit ihnen geschehen soll. PräsidentenSprecher Alaa Seif, lässt die Einwohner von Rafah jedenfalls von seinem Boss grüßen: Al-Sisi, so sagte er, „wird nicht vergessen, welches Opfer die Menschen im Sinai geleistet haben“. Wähler wurden massiv unter Druck gesetzt UKRAINE Beobachter sprechen von zahlreichen Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag. Betroffen seien vor allem Wahlbezirke im Donbass in der Nähe der Front Stimmabgabe bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag in Konstantinowka im Gebiet Donezk Foto: ap AUS KIEW BERNHARD CLASEN Knapp eine Woche nach den Parlamentswahlen in der Ukraine reißen Berichte ukrainischer Medien und Wahlbeobachter über Unregelmäßigkeiten nicht ab. Besonders schwerwiegend, so Sergej Tkatchenko, Vorsitzender des Donetzker Verbandes des Komitees der Wähler, seien diese in Wahlkreisen direkt an der Front gewesen. Just in dem Augenblick, als das Wahlprotokoll im Wahlkreis 59 Kurachovo im Gebiet Donezk gestempelt und unterschriftsreif war, fiel der Strom aus. Gleichzeitig zwang eine Bombendrohung alle Anwesenden zum Verlassen des Saales. In diesem Wahlkreis konkurrierten der populäre Bürgermeister von Kurachovo, Sergej Saschko, und Valentin Manko, Vize-Kommandeur der Freiwilligeneinheit Dnepr-1, um ein Direktmandat und den Einzug in das Parlament. Bis zum Stromausfall hatte der Bürgermeister mit 3.000 Stimmen vor seinem Konkurrenten gelegen. Danach hatte sich der den Abstand zum Bürgermeister auf 1.100 Stimmen reduziert. „Gerade in den Wahllokalen, in denen Angehörige des Freiwilligenbataillons Dnepr-1 Druck auf die Wahlkommission ausgeübt haben, hat Manko die meisten Stimmen erhalten. Und ausgerechnet in diesen Wahllokalen war die Wahlbeteiligung mit 85–90 Prozent sehr hoch, während sie in allen anderen Orten der Gebiete Donezk und Lugansk nur bei 30–35 Prozent lag“, sagt der Soziologe Wjatscheslaw Kovtun. Auch die ukrainische Tageszeitung Segodnja berichtet, bewaffnete Angehörige einer Freiwilligeneinheit hätten Druck auf die Wahlkommission von Wahlkreis 59 ausgeübt. Noch ist der Konflikt dort nicht ausgestanden. Die Wahlkommission hat entschieden, die Stimmen neu auszuzählen. Wahlbeobachter halten das Vorgehen, nur die Stimmen eines Kandidaten erneut zu zählen, für rechtswidrig. Dabei, so fürchten Anhänger von Saschko, könnten Stimmzettel ungültig gemacht werden. „In den Wahlkreisen direkt an der Front sind die Verletzungen so zahlreich, dass man dort nicht mehr von fairen und transparenten Wahlen sprechen kann“, sagt Sergej Tkachenko. In einigen Stimmbüros sei die Wahlkommission 15 Minuten vor Schließung des Wahllokals ausgewechselt worden. In manchen Stimmbezirken, so Tkachenko, habe die Wahlbeteiligung bei über 70 Prozent gelegen, während sie in den meisten Wahllokalen in den Gebieten Donezk und Lugansk nur bei gut 30 Prozent gelegen hat. „Man hat sich den Umstand zu Nutze gemacht, dass dort in unmittelbarer Nähe gekämpft wird und deswegen weder internationalen noch nationalen Beobachtern ermöglicht, auch dort den Wahlen beizuwohnen.“ „Die niedrige Wahlbeteiligung in Donezk und Lugansk ist nicht unbedingt Desinteresse an den Wahlen selbst“, so Olga Aivazovska von der Nichtregierungsorganisation Opora, die seit Jahren Wahlen in dem Land beobachtet. „Uns liegen Flugblätter der Volksrepublik Lugansk vor, in denen Mitgliedern von Wahlkommissionen die Erschießung angedroht wurde. Wählern drohte man mit Geldstrafen. Auch im Gebiet Dnepropetrowsk kam es zu Fälschungen. So berichtete Gennadij Korban, Vize-Chef der Bezirksverwaltung von Dnepropetrowsk, im ukrainischen Fernsehsen von Unregelmäßigkeiten in den Städten Dnepropetrowsk, Kriwoj Rog und Pawlograd. Dort seien Stimmen gekauft, Wahlprotokolle gefälscht sowie Druck auf Wähler ausgeübt worden. Unterdessen hat Innenminister Arsen Awakow Verfahren gegen alle angekündigt, denen eine Mitwirkung bei Wahlfälschungen nachgewiesen werden könne. Ihnen drohe bei einer Verurteilung eine Haftstrafe, zitiert das ukrainische Internetportal lb.ua den Minister. 11 puters identifiziert werden kann. Polizei und Geheimdienste streben seit Längerem eine gesetzlichen Verankerung der Speicherung von Daten durch ISPs an. Der Zugang dazu sei entscheidend bei der Fahndung nach Kriminellen, sagt der Chef der australischen Bundespolizei, Andrew Colvin. Die Daten könnten von der Polizei auch verwendet werden, um wegen illegalem Herunterladen von Musik oder Filmen zu ermitteln. Bisher waren Internet-Dienstleister nicht verpflichtet, die Daten zu speichern. Aus Kostengründen verzichten viele Firmen darauf, umfangreiche Speicherkapazitäten einzurichten. In einem Fall habe das Fehlen der Besitzerdaten von IPAdressen dazu geführt, dass 165 Verdächtige in einem Kinderpornoring nicht identifiziert werden konnten. Laut Turnbull sollen Internetfirmen mit Steuergeldern kompensiert werden, um die Kosten decken zu können. Wie hoch diese sein werden, konnte er nicht sagen. Mehrere australische Internet-Anbieter lehnen solche Gesetzesvorschläge ab. Sie wollen nicht als verlängerter Arm der Strafverfolgungsbehörden gesehen werden. Auch argumentieren sie, dass Kriminelle durch die Verwendung so genannter Proxy-Server ihre Identität verheimlichen können. 12 [email protected] facebook.com/taz.kommune FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG MEINUNG + DISKUSSION ........................................................................................................................................................................................................ SUSANNE KNAUL ÜBER DEN MORDANSCHLAG IN JERUSALEM Tempelberg und Terror ........................................................................................................................................................................................................ er Mordanschlag auf den jüdischen Tempelberg-Aktivisten Jehuda Glick zeugt von einer neuen Qualität des palästinensischen Widerstands gegen die israelische Besatzung. Bislang folgten fast alle Terroranschläge in zwei Punkten einem wiederkehrenden Muster: zum einen die Willkür bei der Wahl der Opfer, zum anderen die Bereitschaft, selbst mit in den Tod zu gehen. Die Schüsse am Mittwochabend aber galten niemand anderem als Jehuda Glick. Sein Tod sollte die radikal jüdischen Kräfte stoppen oder jedenfalls einschüchtern, denen der Sturm des Tempelbergs vorschwebt. Und: Der Anschlag war geplant, der Schütze hoffte, unerkannt zu entkommen. Die Methode des Überfalls, bei dem der Täter auf einem Motorrad kam und dann die Pistole zückte, um aus unmittelbarer Nähe mehrere Schüsse abzugeben, erinnert eher an Bandenkriege als an den palästinensischen D Widerstand. Schon kommt Hoffnung auf, die radikalen Siedler und die palästinensischen Kämpfer könnten, ähnlich wie Kriminelle und Polizei, die Sache unter sich ausmachen und den Rest der Leute außen vor lassen. Man wünscht sich, dass nur keine Babys mehr überfahren werden, wie vor wenigen Tagen aus vermutlich denselben terroristischen Gründen. Doch in beiden Fällen ging es bei der Gewalt um politische Ziele, in beiden fühlten sich die Täter als vom eigenen Volk beauftragt. Terror ist Terror. Die einzige Hoffnung, dem Terror ein Ende zu machen, ist, den Nährboden für die politische Gewalt auszudörren. Für Besatzungsmacht und besetztes Volk gelten zweierlei Recht, was besonders schmerzlich für die PalästinenserinJerusalemspürbarwird. In der de facto geteilten Stadt der beiden Völker, die Israel gänzlich für sich beansprucht, sind Muslime und Christen Bürger zweiter Klasse. Ausland SEITE 10 Die große Verharmlosung ........................................................................................................................................................................................................ DOMINIC JOHNSON ÜBER DEN VOLKSAUFSTAND IN BURKINA FASO HOOLIGANS Medien, Politik, Fußballfans – alle sind von dem Aufmarsch Der Frühling lebt überrascht. Doch keiner ........................................................................................................................................................................................................ ls2011 der „Arabische Frühling“ in Tunesien und Ägypten verkrustete Regime hinwegfegte, wurde in ganz Afrika das Geschehen mit Spannung verfolgt. Wenn am Nordrand des Kontinents einige der stärksten Diktaturen durch Volksaufstände gestürzt werden können, sind dann nicht auch die viel instabileren Unrechtsstaaten südlich der Sahara reif für die Revolution? Es gab am Ende keinen Domino-Effekt, wohl aber das Aufblühen eines neuen politischen Bewusstseins in der afrikanischen Jugend. In Burkina Faso ist dieser Tage aus Unzufriedenheit und sporadischem Protest eine Volksbewegung geworden, die auch ein scheinbar festgefügtesRegimeausdemSattelhebenkann. Nicht Armut, Korruption oder Vetternwirtschaft brachte in OuagadougouundanderenStädtendieMenschen zu Hunderttausenden gegen den Präsidenten auf die Straße, sondern das Ansinnen, die Verfassung zu A verändern, damit der Staatschef bei den nächsten Wahlen erneut antreten kann. Zwei Drittel der Menschen in Burkina Faso kennen keinen anderen Präsidenten als Blaise Compaoré, der seit 1987 regiert. Das Land hat von seiner Regierungszeit eher profitiert, aber es zeigt sich: Das aufstrebende junge Afrika will keine Dauerherrscher, die zu Lebzeiten nicht mehr von der Macht lassen wollen – und die aufgeklärte städtische Elite ist empfindlich, wenn es darum geht, Verfassungstexte zu verbiegen. Es gibt viele Langzeitherrscher, denen jedes Mittel recht ist, um ihre Macht zu behalten. Immer wieder lassen internationale Partner sie im Namen der „Stabilität“ gewähren. Aber diese Stabilität ist langfristig keine, wenn die Herrschenden die Gesetze nach Gutdünken brechen. Die zornigen Jugendlichen in Ouagadougou haben das begriffen. Der Rest der Welt sollte ihnen dankbar sein. Der Tag SEITE 2 er Aufmarsch der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) am vergangenen Sonntag in Köln war mit 4.800 Teilnehmern eine der größten Demonstrationen der extremen Rechten innerhalb der vergangenen zehn Jahre. An den Reaktionen von Medien und Politik, aber auch an der völlig unzureichenden Vorbereitung der Polizei zeigte sich eine erschreckende Ahnungslosigkeit über den Charakter dieser Veranstaltung. Doch was hätte man anderes erwarten können, wenn sich eine per se gewaltbereite Hooliganszene mit rechten Ideologen verbindet, als eine aggressive Artikulation von Nationalismus und Rassismus? Überraschend, selbst für viele Szenekenner, war lediglich die Masse der Teilnehmer an der ausschließlich über soziale Netzwerke beworbenen Veranstaltung. D gibt sich so naiv wie der Innenminister HooNaRa nicht mehr, andererseits sind wir in einer halben Stunde da.“ Das gilt bis heute. Nahezu an allen Standorten der deutschen Fußballlandschaft existieren Gruppen von Hooligans, teilweise integriert in die aktive Fanszene, oft auch nur noch als Beobachter von Sitzplatztribünen oder außerhalb der Stadien. Während Ultras die Hoheit über die Fanszenen übernommen haben, nicht selten mit einem antifaschistischen Konsens, konnten die Hooligans ihr Gewaltmonopol verteidigen. Wenn ihnen die junge Fangeneration politisch zu sehr über die Stränge schlägt, melden sie sich zurück. Beispiele hierfür fanden sich in Aachen, Braunschweig, Duisburg oder Düsseldorf, wo linke Ultras massiv attackiert wurden und teilweise zum Rückzug aus den Stadien gezwungen wurden. Eine generelle Gleichsetzung von Hooligans und Rechtsextremismus führt jedoch in die Irre; zu wenig verstanden sich die Fußballrowdys in ihrer Mehrheit je als politische Akteure. Doch Attribute wie übersteigerter Regional-/Nationalstolz, Gewaltaffinität und aggressive Männlichkeit machen sie seit jeher anschlussfähig und interessant für die extreme Rechte. Auf die Frage, wo er Gesinnungsgenossen rekrutiere, antwortete 1983 der mittlerweile verstorbene Anführer der Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationaler Aktivisten (ANS/NA) und später der Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP), Michael Kühnen: „Unter Skinheads und Fußballfans, die uns sehr helfen, aber politisch noch nicht ganz zu uns gehören.“ Als sein immer noch aktiver Nachfolger kann Siegfried Borchardt gelten, bekannt als „SS-Siggi“, ehemaliger Anführer der Dortmunder Hooligans „Borussenfront“ und heute Aktivist der Bewegungspartei Die Rechte. Bereits seit 2012 treibt er den Zusammenschluss der Hooligans voran. Jetzt sind die Ultras gefordert Doch ob sich der „Erfolg“ von Köln auf Dauer erhalten lässt, ist fraglich. Die fehlende ideologische Standfestigkeit übers Stammtischdenken hinaus wird einer dauerhaften politischen Bewegung im Wege stehen. Schon nach der Machtdemonstration vom Sonntag kam es zu internen Streitereien. So hetzte etwa der Hamburger Rechtsextremist Thorsten de Vries gegen die „besoffenen Spastis“ auf der Veranstaltung. Hooligans aus dem Umfeld des HSV kündigten ihre Zusammenarbeit „Wir sind in 30 Minuten da“ mit den HoGeSa bereits auf. In einer Erklärung verwiesen sie auf die InstruEin erschreckendes Beispiel für die Namentalisierung durch „NPD- und bürivität vieler Beobachter bot ausgerechgerliche rechte Dauerversager“. net Bundesinnenminister Thomas de Aber darauf vertrauen, dass sich der Maizière (CDU), als er den Teilnehrechte Mob schon selbst zerlegt, sollte mern in einem ARD-Interview unterDas junge Afrika will keine Dauerherrscher, die die Linke und insbesondere die antifastellte, dass für sie „Politik nur ein Vezu Lebzeiten nicht von der Macht lassen können schistische Fußballfanszene nicht. hikel ist, um eine Massenschlägerei Schon aus Eigeninteresse daran, nicht anzuzetteln“. Damit verkennt er den bald mit dem neuen Selbstbewusstexplizit politischen Charakter, der sich ........................................................................................................................................................................................................ sein der Kameraden konfrontiert zu auf den Straßen rund um den Kölner werden, muss die politisch bewusste Hauptbahnhof zeigte, und wiederholt ANNE FROMM ÜBER DIE ENTLASSUNGEN BEI „BRIGITTE“ Ultraszene auf das massive Auftaudamit den Kardinalfehler der Politik chen der Hooligans reagieren. im Umgang mit Rechtsextremismus: Keine einzige Fangruppe hatte zu seine Verharmlosung. Schon bei oberGegenprotesten in Köln aufgerufen. flächlicher Betrachtung hätte auffal........................................................................................................................................................................................................ Das Bündnis Aktiver Fußballfans len müssen, dass sich das braune Spek(BAFF) sprach in einer Stellungnahme trum dort in ganzer Breite zeigte. in „House of content“ möchte Gru- mal. Reportagen zu Frauenthemen, zu der HoGeSa-Manifestation zu Recht Neben der Rechtsrockband „Katener+Jahrsein.WiewichtigderVer- Porträts und Interviews mit starken von einem „Armutszeugnis“ und dagorie C – Hungrige Wölfe“ waren Verlagsspitze die Leute sind, die die- Frauen waren die Kernkompetenz des von, dass die Radikalität der Ultratreter von Pro NRW über NPD, Die sen „Content“ produzieren, beweist Heftes. Die ist in den letzten Jahren gruppen offenbar nicht ausreiche, Rechte, Autonome Nationalisten bis Hools sind nicht immer die neueste Nachricht aus dem Haus: immer mehr verloren gegangen. Zwi„sich gegen die eigenen alten Herren hin zu Rockerclubs in Köln zugegen. Gruner + Jahr entlässt alle Textredak- schenModestrecken,Styling-undKulzu wenden“. Hitlergrüße, „Ausländer raus“-Parolen rechtsextrem, aber ihre teurInnen der Brigitte. Elf der insge- turtipps, Rezept- und Einrichtungsund Jagd auf Linke und Migranten wa- aggressive Männlichkeit Dabei können die Hooligans auf der samt 71 Angestellten müssen gehen. ideen findet man kaum noch anren die Folge. Salafisten als Gegner Straße das intensive Bemühen der UlDas interne Papier zu den Kündi- spruchsvolle Texte. Das mag daran lietras um eine Deutungshoheit in den fanden sich in Köln keine, aber um die und Gewaltaffinität gungenliestsich wiederblanke Hohn: gen,dass„Frauenthemen“längstauch geht es den deutschen Jungs auf ihrer machen sie seit jeher Kurven konterkarieren. Wer jahrelanvon „einem „agilen, kreativen und fle- in anderen Magazinen stattfinden. Suche nach einem einenden Identige Arbeit geleistet hat, um seinen Verxiblen Kompetenzteam“, das die Zeit- Dasliegtaberauchdaran,dassBrigitte anschlussfähig und ein und die eigene Fanszene vom tätsmoment sowieso nicht. schriftinZukunft„denkenundprodu- schon bisher dünn besetzt war. Schon Zwar sind Hooligans in den Stadien interessant für die Image eines Rechten-Klubs zu befreizieren“ soll, ist da die Rede. Die Texte jetzt kommen zwei Drittel der Texte der Republik seit den 1990er Jahren extreme Rechte en, sollte nicht einfach zusehen, wenn werden von freien AutorInnen kom- von freien AutorInnen. die eigenen Farben auf einer neonazisauf dem Rückzug und haben in Sachen men, das bringe „Vielfalt und PotenziUnd trotzdem braucht es eine feste Nachwuchswerbung der bunten und tischen Demonstration zur Schau geal von außen rein“. Redaktion, die Themen entwickelt, kreativen Jugendkultur der Ultras stellt werden. Die Kündigungen seien „betriebs- Ideen spinnt, Schwerpunkte setzt und Es bleibt abzuwarten, ob die Ultras kaum noch etwas entgegenzusetzen, bedingt“, heißt es in dem Papier. Dabei an Texten feilt. Das wird das „Kompe........................................................................................... doch verschwunden sind die Hools daaus ihrer Passivität erwachen, wenn geht es der Brigitte gar nicht so tenzteam“, und mag es noch so „agil“ Erik Peter die HoGeSa wie geplant Mitte Novemmit noch lange nicht. Exemplarisch ...................................................................... schlecht.Nach dem Stern ist sie immer sein, nicht leisten können. Die Kündidafür steht die Aussage von Thomas ■ ist Sozialwissenschaftler und schrieb ber in Berlin auf die Straße gehen. Ihnoch die zweitwichtigste Publikation gung der TextredakteurInnen wird nen eine weitere Demonstration der Haller, Gründungsfigur der rechtsex- seine Abschlussarbeit über die Ultrabedes Verlags. Mit den Glanzzeiten der aus dem ehemals wichtigsten FrauenStärke zu erlauben oder sich ganz auf tremen Chemnitzer Gruppe „Hooli- wegung im deutschen Fußball. Als Vo1970er Jahre können diese Zahlen magazin ein Werbeblättchen machen. die sicherlich anders als in Köln agiegans, Nazis, Rassisten“ (HooNaRa), der lontär der taz beschäftigt er sich insbenicht mithalten: Damals verkaufte Ein „House of Content“ stellen sich rende Polizei zu verlassen, wäre ein fasich die Brigitte rund 1,5 Millionen viele LeserInnen aber anders vor. 2008, ein Jahr nach ihrer offiziellen sondere mit Bewegungsthemen und ERIK PETER taler Fehler. Auflösung, sagte: „Eigentlich gibt es dem Spektrum der extremen Rechten. .................................................................................................................................... House of Cards E 2 GESELLSCHAFT KULTUR MEDIEN CANNABIS MUSIK Stoned Home Am Dienstag wird in mehreren USBundesstaaten über die Freigabe von Cannabis abgestimmt – und zwar nicht nur zu medizinischen Zwecken, sondern einfach nur, um high zu sein. „Recreational Marihuana“ nennt sich das, also Kiffen zur Erholung. In Oregon stehen die Chancen nicht schlecht SEITE 14 Die Musikerin Holly Herndon hat einen Song über den Verlust der Privatsphäre gemacht. „Home“ heißt die künstlerische Antwort auf die NSA-Ausspähung und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Skandal. Damit muss auch Herndon sich arrangieren, singt sie doch ausschließlich in ihren Laptop SEITE 15 Foto: Promo www.taz.de | [email protected] 31. OKTOBER 2014 13 Es ist auch ein Buch über deutsche Verhältnisse, insbesondere die im Journalismus Italien“ der Bundeszentrale für politische Bildung kommt zu dem Ergebnis, dass selbst die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem angeblichen Sehnsuchtsland der Deutschen sehr mau ausfällt. Politthriller leben aber davon, dass die realen Hintergründe der teils fiktiven Handlung dem Publikum in den Grundzügen vertraut sind. Dass in Palermo seit einiger Zeit ein Prozess läuft, der klären soll, ob staatliche Organe zu Beginn der 1990er Jahre mit den Chefs der sizilianischen Cosa Nostra verhandelten wie mit einer ganz normalen (Staats-)Macht; dass die von der Mafia ermordeten Richter Borsellino und Falcone vom italienischen Staat möglicherweise geopfert wurden, weil sie durch ihre Ermittlungen die Verhandlungen mit der Mafia gefährdeten; dass die italienische Justiz die Bänder eines als sogenannter Beifang abgehörten Telefonats von Staatspräsident Giorgio Napolitano mit dem Anfang der 1990er Jahre amtierenden Innenminister Nicola Mancino vernichten musste und der Verdacht im Raum steht, es gehe dabei nicht um Napolitanos Recht auf privacy, sondern um Vertuschung der sogenannten trattativa, des Pakts von Staat und Mafia: Aus diesem Material hat Petra Reski einen Kriminalroman geformt; und man kann es beinahe verstehen, dass es manchem Rezensenten zu mühsam ist, herauszufiltern, was Fantasie, was Recherche in „Palermo Conncetion“ ist, und so zu einer Würdigung der Kunstfertigkeit der Autorin zu kommen. Und doch: Reskis Buch ist auch ein Buch über deutsche Verhältnisse, insbesondere die im Journalismus. Ein Buch über Moral, übers würdevolle Älterwerden, über Männer und Frauen und was sie so miteinander tun. Zudem hat die Autorin mit der palermitanischen Staatsanwältin Serena Vitale eine Protagonistin geschaffen, von der man froh sein darf, dass sie das furiose Ende des Romans überlebt. Sie umbringen zu lassen, erzählt Petra Reski bei einem Treffen in Berlin, sei ihr ursprünglicher Plan gewesen, von dem sie Donna Leon abgebracht habe mit dem unschlagbaren Argument: Erst machst du dir die Mühe, eine Figur mit Tiefe zu schaffen, und dann willst du sie gleich wieder loswerden? Weitere Serena-Vitale-Romane werden also folgen. Die Staatsanwältin, DeutschItalienerin, Single mit einer Vorliebe für Blond („keine Haarfarbe, sondern eine Lebenseinstellung“), schöne Dinge und schöne Bullen („wenn er die Bizepse anspannte, sah es aus, als würde ein kleines Tier unter seiner Haut entlanglaufen“), ist Anklägerin in einem Prozess in Palermo. Der packenden Thriller geschrieben, vor dem realen Hintergrund der italienischen Politik Es ist schon eine kleine Sensation, wenn der erste literarische Thriller einer deutschen Autorin sich vor großen Vorbildern wie Graham Greene und Jörg Fauser nicht verstecken muss. Eigentlich. Aber wirklich beachtet wurde Petra Reskis vor Kurzem erschienenes Romandebüt „Palermo Connection“ in den Medien noch nicht. Und das ist einfach schade, einerseits. Andererseits ist diese relative Flaute merkwürdig, weil die Journalistin und Sachbuchautorin Petra Reski keine schlecht vernetzte Debütantin ist, und keine Geringere als Donna Leon das Buch warm empfiehlt. Liegt es am Ende am Thema? Ja, klar. Petra Reski, die seit vielen Jahren in Venedig lebt, gilt als Expertin für die italienische Mafia. Das ist ein problematischer Job – aus vielen, sich überlappenden Gründen: Erstens gilt die Mafia (Cosa Nostra, Camorra, ’Ndrangheta etc.) trotz des Massakers von Duisburg 2007 und Günther Oettingers Pizzabäckeraffäre immer noch als undeutsches Phänomen. Zweitens hat allein die Beschäftigung mit „organisierter ‚ausländischer‘ Kriminalität“ nach dem NSU-Ermittlungsskandal hierzulande völlig zu Recht einen sehr üblen Beigeschmack bekommen – prima Job, Verfassungsschutz, Justiz und Polizei! Drittens wird weder die Relevanz der globalen mafiösen Ökonomie gesehen noch die flächendeckende Durchdringung der italienischen Gesellschaft durch die organisierte Kriminalität – und das, obwohl Italien immer noch zu den größten Volkswirtschaften der Welt und zu den wichtigsten der EU gehört. Viertens – und damit sind wir mitten in Petra Reskis Roman – funktionieren seriöse Erzählungen über die Mafia nur im Kontext der italienischen Geschichte und Politik, die hierzulande in wesentlichen Teilen unbekannt sind. Nur mal als Beispiel: In seinem kürzlich erschienenen ZeitText „Antisemiten sind mir egal“ nennt Maxim Biller Israel die „zweite verspätete Nation der postnapoleonischen Zeit nach Deutschland“. Nun gibt es gewiss noch mehr Spätzündernationen, aber eine der wichtigsten – immerhin die mit der höchsten Dichte an Unesco-Welterbestätten – ist eben Italien, mit seinen Einigungskriegen von 1859– 1918. Auch der „Länderbericht MAFIA Wer hier keinen Stoff findet, ist selbst schuld: Die Journalistin Petra Reski hat einen VON AMBROS WAIBEL Scheitern als Struktur 2.665 Jahre Freiheitsstrafe: Akten des Prozesses gegen die Cosa Nostra (1986–1987) Foto: Tommaso Bonaventura/Alessandro Imbriaco Vorwurf gegen den Exinnenminister Enrico Gambino lautet: „Mitwirkung in einer mafiösen Vereinigung und Mittäterschaft bei Attentaten“. Dieser Prozess und sein letztliches Scheitern strukturieren das Buch. Das ist kein Spoiler, denn ein noch nachzutragender Grund für das Desinteresse an der Mafia ist ja, dass die Sache kein Ende findet, der Kriegszustand ist permanent – und der Roman stellt auch die Frage, wer von ihm profitiert. Eine Antwort liefert die Figur des alternden deutschen „Fakt“Journalisten Wolfgang W. Wieneke und dessen zwischen Hamburg und Sizilien pendelnder Fotograf und Zuarbeiter Francesco, in denen jeder, wer mag, das Pärchen Francesco Sbano und Andreas Ulrich vom Spiegel wiedererkennen kann. Insbesondere mit Sbano, der als Fotograf und Musikproduzent in Hamburg und Kalabrien arbeitet, verbindet Reski eine langjährige Auseinandersetzung. Sie und viele andere Bürgerrechtler in Italien werfen Sbanos Fotos, Büchern und „Mafia-Musik“-Sammlungen Romantisierung der Killer und ihrer Taten vor. Aber an einer Abrechnung ist Reski in ihrem Roman nicht interessiert. Vielmehr zeigt sie an Wieneke und seinem Fotografen, die den Prozess covern sollen, wie die Aufmerksamkeitsmaschine funktioniert, welche Mafia-Geschichten man schreiben kann und was „nicht sexy genug“ ist, wie Wienekes lässiger „Fakt“Chefredakteur Tillmanns sagt. „Auf dem Schreibtisch des Chefredakteurs stand eine Teekanne. Daneben lag das Buch, das er mit dem Außenminister geschrieben hatte. Wieneke wollte Minister stürzen, und sein Chef machte Bücher mit ihnen.“ Ein komplizierter Prozess in Palermo, wo eine einfache Staatsanwältin sich an Ministern und Präsidenten vergreift, ist nicht sexy. Das pseudoabenteuerliche Treffen mit einem untergetauchten Mafia-Boss, der seine Märchen erzählen darf, hingegen schon. Und Wieneke, der eigentlich aus der alten Schule kommt, kann der Versuchung nicht widerstehen, an solchen falschen, aber gefragten Heldengeschichten mitzuschreiben. Und scheitert damit bitterlich. Und eben jetzt, am Dienstagmittag, während die Arbeit an diesem Text hier ihrem Ende zugeht, findet im Quirinalspalast in Rom eine ausgelagerte Vernehmung des Gerichtshofs von Palermo statt. Zeuge ist kein Geringerer als der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano. Thema ist ein Brief, den ihm sein Rechtsberater Loris D’Ambrosio vor zwei Jahren schrieb und in dem er von „unaussprechbaren Abkommen“ zwischen Staat und Mafia sprach, damals 1992–93, als der Zusammenbruch des italienischen Parteiensystems den Mob ohne politischen Ansprechpartner gelassen hatte und er mit Bombenterror diesen WaisenStatus beenden wollte. D’Ambrosio starb kurz darauf. An einem Infarkt. Mit 64 Jahren. Wer hier keinen Stoff für einen Roman findet, ist selbst schuld. Petra Reski kann man diesen Vorwurf nicht machen. Am Schluss von „Palermo Connection“ ist Serena Vitale von ihrem Prozess abgezogen worden und hat wieder Zeit für Sport. Fit muss sie sein, denn: „Sie hatte es versäumt, Allianzen zu bilden. Aufgabe Nummer eins im neuen Leben: Strategisches Denken.“ Ihr nächster Fall wird sie nach Deutschland führen. Petra Reski: „Palermo Connection – Serena Vitale ermittelt“, Hoffmann und Campe 2014, 20 Euro ■ 14 www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG GESELLSCHAFT+KULTUR „Legalize it“ wird Mainstream DER SPECHT DER WOCHE Behindertengerechte Züge KIFFEN In weiteren US-Bundesstaaten wird am Dienstag über die Freigabe von Cannabis abgestimmt. Was dabei herauskommt, könnte weltweit positive Folgen haben VON BERND PICKERT Zeichnung: Christian Specht ■ Christian Specht, 45, ist politisch engagiert und unter anderem Mitglied im Behindertenbeirat in Berlin-FriedrichshainKreuzberg sowie im Kulturausschuss. Er hat ein Büro in der taz und zeichnet. Wenn er es zulässt, zeigt die taz sein Bild der Woche. Ich habe einen ICE gemalt. Im ICE müssen Behinderte den vollen Preis zahlen, während sie mit Regionalzügen umsonst fahren können. Im ICE zahlt nur die Begleitperson nichts. Ich bin auch neulich mit dem ICE gefahren und musste den vollen Preis zahlen. Aber manchmal muss man einen schnellen Zug nehmen. Behinderte sollten nichts bezahlen müssen, wenn sie Zug fahren, auch nicht in den schnellen Zügen. Das kann eine Ausgrenzung bedeuten. Außerdem gibt es immer noch viele Züge, die für Rollstuhlfahrer ungeeignet sind. Das finde ich nicht richtig. Vielleicht haben die Angst, dass jemand mit einem Rollstuhl im Zug zu viel Platz wegnehmen würde. Ich finde, die GDL, die die Bahnstreiks organisiert hat, sollte sich mehr für Barrierefreiheit an Bahnhöfen und in Zügen und generell für Behinderte einsetzen. Ich bin dafür, dass die GDL einen Behindertenvertreter einsetzt, der für solche Fragen zuständig ist. Barrierefreiheit ist auch im Stadtverkehr ein Problem. Beim Bus müssen zum Beispiel meistens die Busfahrer aussteigen und für Rollstuhlfahrer eine Rampe ausklappen. Währenddessen sind die anderen Fahrgäste genervt, weil sie warten müssen. Mit automatischen Rampen würde das nicht passieren. Meiner Meinung nach brauchen wir eine neue Verkehrspolitik, die solche Dinge mehr berücksichPROTOKOLL: MIEP tigt. DIE LISTE Sie, Bud Spencer, werden heute 85 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch! Wir fanden Sie schon immer großartig, besonders … Foto: Franka Bruns/ap 1 als Alf in „Alf – Der Film“ 2 als Balletttänzer in „Black Swan“ 3 als Mutter von Regina George in „Mean Girls“ 4 als Chucky in „Chucky – Die Mörderpuppe“ 5 als blaues Männchen in „Avatar“ 6 als Brummbär in „Schneewittchen“ 7 als Erzähler in „Die fabelhafte Welt der Amélie“ 8 als Miranda Hillard in „Mrs. Doubtfire“ 9 als Frau Meineke in „Das Leben der Anderen“ 10 als Mutter in „Alien“ 11 als Gärtner in „Clueless“ 12 als Big Sam in „Vom Winde verweht“ 13 als Honey Bunny in „Pulp Fiction“ 14 als John Coffey in „The Green Mile“ 15 als Arielle in „Arielle, die Meerjungfrau“ 16 als Lucky Luke in „Lucky Luke“ 17 als Bertie in „Manta Manta“ 18 als Maggie Fitzgerald in „Million Dollar Baby“ 19 als Marley in „Marley & ich“ 20 als Al Gore in „Eine unbequeme Wahrheit“ 21 als Leonardo in „Die Turtles“ 22 als Handmodell ausderScheibenszene in „Titanic“ 23 als Tutti Bomowski in „Stop! Oder meine Mami schießt!“ 24 als Barbara Kopetski in „Barb Wire“ Bei den sogenannten Midterm Elections am kommenden Dienstag entscheidet sich nicht nur, wie der nächste US-Kongress zusammengesetzt sein wird – auf dem Spiel steht auch, ob die Debatte über eine entkriminalisierte Drogenpolitik Fahrt aufnimmt oder einen Dämpfer bekommt. Denn in gleich mehreren parallel abgestimmten Volksentscheiden geht es um die Freigabe von Cannabis. In Alaska und Oregon stehen Gesetzentwürfe zur Abstimmung, die sich stark an dem orientieren, was in den Bundesstaaten Colorado und Washington seit diesem Jahr praktiziert wird. Der Besitz von Marihuana ist dort nicht nur legal, sondern der Verkauf ist staatlich lizensiert, kontrolliert und besteuert. Und zwar nicht nur – wie in rund 20 weiteren Bundesstaaten – zu medizinischen Zwecken, sondern einfach zum High sein. Recreational Marihuana – Kiffen zu Erholungszwecken,heißt dasoffiziell. Das wollen die entsprechenden Initiativen auch in Oregon und Alaska erreichen, und zumindest in Oregon scheinen die Chancen dafür gar nicht schlecht zu stehen. In Alaska ist das knapper. In Florida ist es noch nicht so weit – hier steht die Freigabe für medizinische Zwecke zur Abstimmung, Medical Marihuana. Aber was erst recht chancenreich aussah, hat inzwischen in den Umfragen deutlich verloren – nicht zuletzt durch einen plötzlichen Finanzschub der Gegner, zu denen vor allem führende Republikaner gehören wie Gouverneur Rick Scott und Senator Marco Rubio, dem Präsidentschaftsambitionen nachgesagt werden. Fünf Millionen Dollar haben die Gegner in den letzten Wochen für Wahlkampf erhalten – von Sheldon Alderson. Das ist jener konservative Casinobesitzer, der in den Präsidentschaftswahlen 2012 mit 20 Millionen Dollar Bislang hat die Regierung Obama den Verstoß gegen Bundesgesetze nicht nur hingenommen, sondern auch die Rügen der Drogenkontrollkommission abgewehrt zugunsten von Newt Gingrich erst in den Vorwahlen das Image von Mitt Romney zerstörte, um es dann, als Romney schließlich doch republikanischer Kandidat wurde, mit weiteren Millionen wieder notdürftig zu reparieren. Dass Alderson sich so engagiert, ist ein klares Zeichen für die Republikaner, in der Antifront zu bleiben – Leute wie er sind wichtige Geldgeber republikanischer Kandidaten im ganzen Land. Anders sieht es in Washington DC aus, der Hauptstadt. Dort ist schon seit diesem Jahr der Besitz von bis zu 28 Gramm Marihuana (1 ounce) zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft worden (Bußgeld: 25 Dollar). Per Referendum soll jetzt erreicht werden, dass der Besitz auch der doppelten Menge einfach vollkommen legal wird. Eigentlich würden die Initiatoren gern weitergehen und Gesetze wie in Colorado und Washington erreichen – das klappt aber nicht, weil Regulierung und Besteuerung Ausgaben nach sich ziehen, und darüber dürfen die Bürge- rInnen in der Hauptstadt nicht entscheiden. Wohl aber Bürgermeister und Stadtrat – und beide Kandidaten für das Bürgermeisteramt, über das ebenfalls am Dienstag abgestimmt wird, sind klareLegalisierungsbefürworter. Die Referenden in diesem Jahr bilden nach Einschätzung vieler nur den Auftakt für weitere Abstimmungen und mögliche Änderungen auch in der US-Bundespolitik 2016. Bislang hat die Regierung Obama den Verstoß der Legalisierungsstaaten gegen Bundesgesetze nicht nur hingenommen, sondern auch die Rügen der Internationalen Drogenkontrollkommission wegen mutmaßlicher Verletzung der UN-Drogenkonventionen abgewehrt. Der nächste Schritt könnte sein, diese Konventionen, zumindest in Bezug auf Cannabis, einfach zu ändern. Und so hat, was am Dienstag in Alaska, Oregon, Washington DC und Florida geschieht, womöglich große Auswirkungen auch außerhalb der USA. Kampagnenplanung mit Exel-Tabelle: Shannon und Rica aus Washington Foto: Jacquelyn Martin/ap ............................................................................................................................................................................................................................................. WIE WIR IN DIE DIGITALE ECHOKAMMER HINEINRUFEN, SO SCHALLT ES AUCH ZURÜCK: BESTÄTIGUNG. FESTIGUNG. VERSTÄRKUNG Stand so im Internet in hübsches kleines Experiment: 48 Stunden lang hat der US-amerikanische Wired-Journalist Mat Honan für einen Artikel einmal alles auf Facebook geliked, was ihm dort präsentiert wurde. Auch wenn er es ganz grauenvoll fand. Einfach, um mal zu sehen, wie der Algorithmus darauf reagiert. Ergebnis: Am Tag zwei rückten die Posts, die er angezeigt bekam, politisch immer weiter nach rechts außen. Und gleichzeitig auch nach links außen. Sich selbst verstärkender TimelineExtremismus. Das Netz steckt voller Echokammern:Dasichjederdortsein Medienmenü selbst zusammenstellen kann, tendieren die meisten Menschen dazu, gezielt zu konsumieren, was ihren Interessen und ihrem Weltbild entspricht. Filterblasen, in denen man sich schnell und zielgenau informieren kann. Auch ich nutze Twitter, konsumiere großarti- E ge Blogs und Podcasts. Nur: Wie wir in die digitale Echokammer hineinrufen, so schallt es auch zurück. Bestätigung der eigenen Position. Festigung. Verstärkung. Neu daran: Anders als im massenmedialen Umfeld findet man für jede noch so abstruse Ansicht Gleichgesinnte. In meiner persönlichen Echokammer zum Beispiel habe ich erst diese Woche gemerkt, dass Teaparty-Posterboy und US-Talker Glenn Beck ja überhaupt nicht in der Versenkung verschwunden ist, sondern jetzt, nachdemerbeiFoxNewsaufhörte, einfach ins Internet reinpolemisiert. Direkter Draht zu über 300.000 Abonnenten, die dafür 100 US-Dollar im Jahr zahlen. Inzwischen soll Beck damit häufiger geklickt werden als Nachrichtendienste wie Bloomberg oder Reuters. Zu weit weg? Geht auch näher: Ich weiß schon, dass einer Theorie zufolge alle Menschen dieser NULLEN UND EINSEN ....................................................... MEIKE LAAFF Foto: privat ....................................................... Welt über sieben Ecken miteinander in Verbindung stehen. Trotzdem war ich kürzlich wirklich überrascht: Ich kenne offenbar über zwei Ecken Menschen, die auf Facebook begeistert diese wirren Thesen von Ex-RadioFritz-Moderator und Montagsdemo-EinheizerKenJebsenüber die Ukraine beklatschen. Interessant daran finde ich vor allem die Vertrauenskrise. Spätestens nach einem Sommer voller Ukrainekrise höre und lese ich immer häufiger Menschen, die sich von „klassischen“ oder „etablierten“ Medien (welche auch immer genau dazu ge- hören mögen) falsch informiert fühlen. Die Journalisten, Sender und Verlage wegen Kuscheln mit politischen Entscheidungsträgern oder organisatorischen Verflechtungen kritisieren. Und je mehr Menschen das so ähnlich sehen, desto mehr wird die aktuelle Medienkrise von einer finanziellen zu einer Vertrauenskrise. Spannend wird außerdem, welche alternativen Informationskanäle die Kritiker wählen. Das Netz hat Möglichkeiten geschaffen, um das Publizieren zu demokratisieren. Auch Jebsen und Beck profitieren nun davon, heften sich die Labels des unabhängigen Journalismus und der freien Presse ans Revers, wenn sie zu ihren langen Erklärungsketten ansetzen, wie die Welt tatsächlich funktioniert. Und finden ein Publikum. Echokammern zum Reinschreien. Ohne die Notwendigkeit, Gegenpositionen diskutieren zu müssen. DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | [email protected] Montag Josef Winkler Wortklauberei Dienstag Jacinta Nandi Die gute Ausländerin Mittwoch Matthias Lohre Konservativ Donnerstag Margarete Stokowski Luft und Liebe Freitag Jürn Kruse Fernsehen GESELLSCHAFT+KULTUR www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 15 Alchemistisches Pulver fürs antifatalistische Manifest ELEKTRONIK Clevere Quälgeister zwischen Avantgarde, Dancefloor und Pop: Mouse on Mars gönnen sich zum 21. Jahrestag ihrer Gründung das Doppelalbum „21 Again“. Seine ewige Jugend feiert das ElektronikDuo mit einer zweitägigen Sause im Berliner Theater Hebbel am Ufer Werden gern auf eine Bedeutungsebene mit Kraftwerk gehoben: Jan St. Werner und Andi Toma alias Mouse on Mars Foto: Promo VON STEPHANIE GRIMM „Veteranen – so werden wir in letzter Zeit oft genannt. Was uns das Gefühl gibt, etwas falsch gemacht zu haben, weil das so militärisch klingt.“ Ein bisschen Koketterie darf’s schon sein. Jan St. Werner, eine Hälfte des Elektronik-Duos Mouse on Mars, weiß genau, was sein Bandprojekt alles richtig gemacht hat. Die Schnittmenge aus Pop, Avantgarde und Dancefloor haben er und sein Kollege Andi Toma zu ihrer eigenen Nische ausgebaut. So sind Mouse on Mars zu einflussreichen Klangforschern geworden. Ihr cleverer, bisweilen anstrengender Sound wird besonders im Ausland auf eine Bedeutungsebene mit Kraftwerk gestellt. Beim Besuch in ihrem Studio im Berliner Funkhaus Nalepastraße, ehemals Heimstätte des DDR-Rundfunks, übernimmt St. Werner den Job, zu erklären, wie Mouse on Mars funktionieren – und prognostiziert, dass ihnen auch im dritten Jahrzehnt ihres Bestehens die Ideen nicht ausgehen werden. Das macht er ausführlich, obwohl er und sein Mitstreiter an diesem Nachmittag noch proben müssen. Andi Toma bleibt derweil im Hintergrund, bastelt an Gerätschaften und schaltet sich nur gelegentlich ein. Bis zu „21 Again“, der Geburtstagssause, die sie gemeinsam mit Wegbegleitern und befreundeten Künstlern heute und morgen feiern, bleibt wenig Zeit. Zur Veröffentlichung des gleichnamigen Doppelalbums haben sich Mouse on Mars Kollaborationen gegönnt, mit Musikern, die sie bewundern. Vom Berliner Party-Technoprojekt Modeselektor, den Chefs ihres Labels Monkeytown, bis hin zur Chicagoer Postrock-Combo Tortoise gibt es Gastbeiträge auf dem Album. Und auch im Berliner Theater Hebbel am Ufer werden Gäste dabei sein. Werk für Orchester Unter anderem wird „Paeanumnion“ aufgeführt, ein von Mouse on Mars komponiertes, bislang unveröffentlichtes Orchesterwerk. Nun lässt es sich zum zweiten Mal überhaupt live erleben, umgesetzt mit dem Ensemble Musikfabrik und dirigiert von Andre de Ridder. Mouse on Mars werden natürlich auch spielen, unterstützt von Schlagzeuger Dodo NKishi und Laetitia Sadier, der ehemaligen Sängerin der britischen Band Stereolab. „21 Again“ heißt das Unternehmen auch deshalb, weil Toma und St. Werner im besten Flegelalter 21 waren, als sie sich kennenlernten, der Legende nach bei einem Metal-Konzert. „Die gute Chemie hat dafür gesorgt, dass man sich aufeinander verlassen kann, sich geistig auch immer wieder verwirrt“, erklärt St. Werner. Was die beiden auf musikalischer Ebene – seinerzeit noch in Köln und Düsseldorf – entwickelten, dem konnten er und Toma zunächst keinen Namen geben. Doch ihre ganz eigene Vorstellung von Klangforschung traf einen Nerv und sorgte für Anerkennung in unterschiedlichsten Szenen. Grußbotschaften zwischen den Tracks auf „21 Again“ vermitteln eine Vorstellung davon, was Kollegen an den freundlichen akustischen Quälgeistern finden – besonders hübsch ist da der bekiffte Monolog des US-Experimental-HipHop-Produzenten Scott Herren alias Prefuse 73, der Mouse on Mars in den Neunziger Jahren im fernen Atlanta auf dem Schirm hatte. St. Werner und Toma bedienen sich bei Techno, Funk, Noise, Dub, Ambient und Jazz, zerhackstücken Sounds und setzen sie neu zusammen. Erstaunlicherweise ist aus diesem kleinteiligen Eklektizismus mitunter richtiger Pop entstanden. Oft führte die experimentierfreudigen, leicht streberhaften Nerds in Klangwelten, die fordernd vor sich hin dengelten, dank eines wohldosierten Quäntchens Albernheit aber doch Spaß machen. Und sich rhizomatisch verzweigen. „Wir sehen uns als Kollektiv – auch wenn wir nur zu zweit sind. Es kommen immer neue Leute hinzu, die etwas beitragen oder herausziehen.“ Mouse on Mars suchen nicht nur mit Musikern nach Synergieeffekten, sondern versuchen auch den Brückenschlag zu anderen Kulturdisziplinen, etwa mit der Ausstellung „doku/fiction“, die 2004 in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen war: Dort wurden ihre Tracks gemixt – von bildenden Künstlern. Auch die zweitägige „21 Again“ ist interdisziplinär angelegt: Kunst wird da zu sehen sein und „Wir sind wie Handwerker, die aufpassen, dass die Lichtschalter richtig montiert werden“ JAN ST. WERNER, MOUSE ON MARS ein von Künstlern gekochtes synästhetisches Abendessen soll serviert werden. St. Werner und Toma schaffen als Duo die Bedingungen, unter denen der Track sich seinen Weg suchen kann. Sie selbst sehen sich – darauf legt St. Werner Wert – nicht als „Komponisten“, eher als „Handwerker, die aufpassen, dass alles passt. „Man kann Lichtschalter ja auch nur an bestimmte Stellen setzen.“ Dass die 23 Tracks auf „21 Again“ übers Ziel hinaus schießen, gehört bei Mouse on Mars aber auch dazu: Die Tracksammlung deckt trotz der unterschied- lichen Mitstreiter das Klangspektrum ab, das man von den beiden kennt: „Metaloona Swamp“, eine apokalyptisch galoppierende Polka-Nummer mit Candie Hank alias Patric Cantani etwa klingt erst mal anstrengend, andere Tracks, etwa das radiokompatibel swingende, in Zusammenarbeit mit dem HouseProduzenten Eric D. Clark entstandene „Lost And Found“, haben richtigen Pop-Appeal. „Das Album ist ein Versuch, offene Baustellen zu schließen“, erklärt St. Werner. „Wir sind beide eher unruhig und unkonzentriert“, so dass über die Jahre einiges liegenblieb. Noch aus der Zeit vor ihrem Umzug nach Berlin 2010 hatten sie einige „Featuring“-Stücke begonnen. Was St. Werner als „unfokussiert“ bezeichnet, ist ein offener, durchlässiger Arbeitsansatz, der dafür sorgt, dass Mouse on Mars es sich in den Szenen und Blasen, an die sie andocken, nie gemütlich machen. Während er ihre Arbeitsweise erläutert, macht St. Werner sich und Toma ganz nonchalant ein fettes Kompliment: „Im Grunde sind wir alchemistisches Pulver: ein Katalysator, der Dinge in Gang bringt. Wir haben ganz viel von dem Zeug – und wissen, wie man mehr davon herstellt.“ In der zweiten Hälfte der Nuller Jahre war es jedoch still geworden um Mouse on Mars. Alben, die angekündigt waren, er- Schmerzhafte Trennung PROTEST In den USA wird NSA-Ausspähung bislang kaum künstlerischverarbeitet. Nun beklagt die kalifornische Musikerin Holly Herndon in ihrem Song „Home“ das Ende der Privatsphäre Holly Herndon Foto: Promo Eigentlich ist es eine gute Voraussetzung für Kunst, nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein. Dann wartet das Unheimliche hinter dem Duschvorhang oder im Betriebssystems des Laptop. So ist es zumindest bei der Computermusikerin Holly Herndon aus San Francisco. „Home“ heißt ihr Kunstwerk über den Verlust der Privatsphäre. „I feel like I’m home on my own / And it feels like you see me“ singt sie. Es ist ein Lied über die Trennung von einem alten Freund – ihrem Computer. Es muss eine schmerzhafte Trennung sein, denn ohne ihren Computer gäbe es Holly Herndon nicht. Live steht sie vor ihrem Laptop, singt in ihn hinein, und ihre Stimme vervielfältigt und überlagert sich – Herndon klingt auf diese Weise empathisch und entkörperlicht fremd zugleich. Die elektroakustischen Effekte ihrer Musik berechnet sie aus den Datenspuren ihrer Digitalexistenz, egal ob es sich dabei um das elektrische Brummen ihres Macbooks handelt, dass sie mit Kontaktmikrofonen aufnimmt, oder die Chronik ihres Browsers: Herndons Musik ist das Produkt einer vokalelektrischen MenschMaschine. Ihre Arbeiten sollen den „angenommenen Dualismus zwischen Menschen und Computern“ aufheben, hat Holly Hern- don einmal geschrieben. Nun trennt sie sich also von ihrem Computer, weil er sich von ihr getrennt hat – er hat jemanden Drittes in ihre Symbiose gelassen – per Gesetz musste er dies sogar. Dieser Dritte legt sich im Video zu „Home“ wie ein Filter zwischen Herndons Gesicht und die Kamera. Herndon schaut wie ihr biometrisches Passbild geradeaus, davor fliegen die Logos der neuen Herren über Herndons Rechner: die Logos von NSA, Prism und XKeyscore. Aber so sehr Herndon über den Verlust der Heimeligkeit singt, so wenig singt sie davon. „Home“ unterscheidet sich nicht von den Songs, die sie auf ihrem Rechner produziert hat, bevor sie der digitalen Totalüberwachung gewahr wurde. Vielleicht ist es eine Allegorie auf die Gleichgültigkeit gegenüber dem NSA-Skandal, vielleicht ist es aber auch einfach nur ein Zeichen der Zeit: Bei einem Vortrag auf dem letzten CCCKongress wurde eine Powerpoint-Folie von der Electronic Frontier Foundation gezeigt. Auf ihr ist zu sehen, was sich aus der Kenntnis von Metadaten alles ablesen lässt: Sexgewohnheiten, Selbstmordabsichten, eine HIVInfektion. Bislang kann kein Popsong den Verlust der digitalen Heimeligkeit so schauderhaft zeigen wie diese Folie – auch Holly Herndons „Home“ nicht. CHRISTIAN WERTHSCHULTE Holly Herndon „Home“ (RNVG Int) Videoclip: vimeo.com/106282943 ■ schienen nicht – mit Ausnahme von „Tromatic Reflexxxions“ (2007), einer gelungenen Zusammenarbeit mit Mark E. Smith, dem alten Grantler von The Fall. Erschienen war das Ganze unter dem Projektnamen Von Südenfed. Der Umzug nach Berlin habe dem Duo gut getan, erklärt St. Werner. 2012 erschien „Parastrophics“, ihr Berlin-Album. Es handelt davon, „sich einen neuen Ort zu erschließen, der noch voller Geheimnisse steckt“. Sie entwickelten eine Musik-App fürs iPhone namens WretchUp und landeten beim Label Monkeytown. Egal wie es um die Halbwertszeit ihres alchemistischen Pulvers bestellt ist – für den Moment formuliert St. Werner ein sympathisches Manifest: „Wir rebellieren gegen den Fatalismus, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind.“ Und fügt hinzu: „Musik ist keine Skulptur, die für ewig da steht. Man muss sie immer wieder dekonstruieren und für sich erwecken.“ Mouse on Mars: „21 Again“ (Monkeytown/Rough Trade) ■ Live: „21 Again“, heute und morgen im Berliner HAU ■ ANZEIGEN 16 www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG GESELLSCHAFT+KULTUR ZWISCHEN DEN RILLEN Das Paradies birgt keinen Star ■ Dan Bodan: „Soft“ (DFA/ Infectious/ Cooperative Music/PIAS) Ein bisschen Milchbubi, ein wenig schüchterner Teenie und eine Prise Smart Ass – Dan Bodan posiert für ein Foto in die Kamera, und so recht weiß man nicht, wer dieser schmächtige, hohlwangige Junge in pink-rosa Batikjeans, glitzernder PolyesterJacke und einem Dunkin’Donuts-Kaffeebecher vor sich sein soll. Als ihren „heartthrob“, ihren Schwarm, bezeichneten die Macher vom New Yorker Discopunk-Label DFA-Records Dan Bodan, als sie 2012 Bodans EmoSoftpop-Hits „Aaron“ und „DP“ als Single veröffentlichten. Beides sind sehnsüchtelnde Befindlichkeitssongs, unterwandert von einer dicken Portion Selbstironie. „Soft“ heißt nun das erste reguläre Album des Sängers und Produzenten, wieder erschienen bei DFA. Darauf finden sich Elemente von R&B, HipHop und Jazz, ja selbst Noise. Nur ist Dan Bodans Musik eben – ganz dem Titel nach – zu superweichem Elektropop vermengt, der so buttrig zerfließt wie das dahinschmelzende Mangagesicht auf dem Albumcover. Bodan singt auf allen Songs wunderbar: Warm, soulig und voluminös ist seine Stimme. Impulsiv kann Bodan zwischen den Tonlagen springen, sanft- oder rautönig bewegt er sich in den Melodien. Der süße Dan ist ein souveräner Sänger. Und als solcher besingt er auf „Soft“ eine musikalische Landschaft, die sich über seinen Heimatort Montréal in Kanada, über New York bis zum grauen Horizont Berlins erstreckt, wo er seit acht Jahren lebt. Ein Jazzsong ist auch dabei: Bei „Let’s Fall in Love“ klingt Bodan geschmeidig wie einst Ella Fitzgerald, begleitet nur von Gitarre und einem Klavier. Manieriert zieht er seine Stimme in die Höhe, lässt sie wieder chromatisch sinken oder auf einer Septime enden, wie es die Jazz-Ikone auch machte. Doch die große Geste löst sich im Laufe des Songs auf, selbstbewusst verfehlt Bodan Töne, ein ver- schwommenes Posaunensolo erklingt im Hintergrund. „Let’s fall in love for Heaven’s sake“ lautet die Refrainzeile vollständig. „Soft“ ist ein musikalisches Spiel mit Widersprüchen. Das macht die Musik so herrlich ironisch. Denn Bodens Elektropop ist ins Slicke überspannt. „Jaws of Life“ hat er im Stil der späten Achtziger aus verschleppten Keyboards und einem glatten Schnipps-Groove gebaut, dazu ein überschwängliches SaxofonSolo, wie man es auch bei einem George Michael finden würde. Bodans Songaufbau entspricht der Klangphilosophie im Hitradio: Intro, Strophe, exaltierter Refrain, Fade-out. Experimentelle Passagen bringen jedoch eine Dissonanz in diesen mittigen Sound. „Jaws of Life“ etwa endet in einem wilden Saxofonspiel. „Catching fire“ klingt düster. Erst haucht Bodan, dann ruft er über einem rummenden Bass, und ein schwerer, blecherner Rhythmus sowie sphärische Synthiemelodien brechen die Hookline des Songs auf. Wattebauschig sanfte Keyboards, zuckrige, flirrende Patterns und flauschiger Bass – so klingt „Soft as Rain“, der Hit aus Bodans Album. Im dazugehörigen Video fährt eine Kamera langsam über eine behaarte, schmächtige Männerbrust. „You fall on me soft as rain, when I am holding you“, heißt es im Refrain. Körper, die wie Regen fallen und sich halten – die Aneinanderreihung romantischer Reizwörter klingt schmalzig, ist aber ziemlich sinnfrei. Abgewandelt singt er später weiter: „I fall on you soft as rain when I am holding you / And wash out these feelings.“ Wie Weichspüler fließt dieser Kitsch schließlich ins Nüchterne. Sentimentalität und selbstironische Abgeklärtheit, dieses Missverhältnis legt Dan Bodan in die Rhetorik seiner Texte. „This paradise“, singt er mit langsamem Vibrato an anderer Stelle und fügt hinzu: „This paradise can’t see a star.“ „Meine Musik sollte wie ein Schlüsselroman sein“, kommentiert er, „als würdest du das Tagebuch deiner älteren Schwester lesen“. SOPHIE JUNG Live: 1. November, „Berghain Kantine“, Berlin ■ Gegendemonstranten schlagen auf ein Fahrzeug von proeuropäischen Protestierenden auf dem Maidan ein Foto: Vasily Fedosenko/reuters Geteilt, nicht gespalten SCHRIFTEN ZU ZEITSCHRIFTEN Die europäische Revue „Transit“ nimmt den Maidan als „unerwartete Revolution“ und als entscheidend für die Zukunft Europas in den Blick VON TIM CASPAR BOEHME Entscheidet sich die Zukunft Europas in der Ukraine? Der USamerikanische Historiker Timothy Snyder sieht das Schicksal der Europäischen Union aufs Engste mit den Entwicklungen in der Ukraine verknüpft. Nur ein vereintes Europa könne angemessen auf einen „aggressiven russischen Petrostaat“ reagieren und dem „Eurasien“-Projekt Putins entgegentreten, in dem die Ukraine enger Verbündeter Russlands wäre und kein Teil Europas. „Die Ukraine hat keine Zukunft ohne Europa, aber Europa hat auch keine Zukunft ohne die Ukraine“, lautet seine These in der Zeitschrift Transit, deren aktuelle Ausgabe unter dem Titel „Maidan: Die unerwartete Revolution“ steht. Das Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen, das Transit herausgibt, hat sich seit seiner Gründung im Jahr 1982 um den intellektuellen Austausch zwischen Ost und West bemüht. Snyder gehört zum Redaktionskomitee, Gastherausgeberin der Ausgabe ist die ukrainische Politikwissenschaftlerin Tatiana Zhurzhenko. Ursprünglich hatte man ein Heft zu zehn Jahren Orangene Revolution geplant, schreibt sie im Editorial. Kurz darauf begannen die Proteste des Euromaidan. BERICHTIGUNG Das Jazzfest Berlin wird 50. Wir berichteten gestern, was sich anhand dessen für steinzeitliche antiamerikanische Reflexe eingestellt haben. Dafür, dass afroamerikanische Musiker die Rassentrennung in ihrem Heimatland hautnah erlebt und bekämpft hatten, wurden sie zum Dank vom Publikum als Agenten des Klassenfeinds bezeichnet und von der Bühne gebuht. Nein, der linke deutsche Jazzmichel hat kein Taktgefühl. Mit dem Heft soll die Erinnerung an den Maidan wachgehalten werden. So beschreibt die ukrainische Autorin Kateryna Mishchenko in einem Interview mit Snyder und Zhurzhenko die Rolle der rechtsextremistischen Partei Swoboda auf dem Maidan, die die Proteste am Anfang zu dominieren schien. Bald schon habe sich jedoch gezeigt, dass die Anhänger der Swoboda keine Revolution wollten, sondern lediglich „nationalistische Provokateure“ waren. Der Politologe Anton Shekhovtsov erkennt im Maidan gar den „Schwanengesang“ der Swoboda und sieht sie als „Verlierer der Revolution“. Besonders ihr Spagat zwischen der nationaldemokratischen Opposition und rechtsextremen Organisationen wie der Neonazi-Bewegung C14 habe sich als zerstörerisch für die Partei erwiesen. Die Wahlergebnisse der Parlamentswahlen vom Sonntag scheinen seine Einschätzung zu bestätigen. An eine grundlegendere Zäsur, die mit dem Maidan einherging, erinnert die Autorin Oksana Forostyna: Die mehrtägigen Straßenkämpfe im Januar 2014 hätten eine Konfliktsituation hervorgebracht, die in der Nachkriegsgeschichte der Ukraine einmalig gewesen sei: „Morde, Übergriffe, Explosionen und Schüsse im Zentrum von Kiew.“ Die Ukrainer hätten sich plötz- lich „Aug in Aug mit dem absoluten, irrationalen und bodenlosen Bösen“ gesehen. Wie Oksana resigniert resümiert, sei „Hass die einzige Ideologie der ukrainischen staatlichen Gewaltorgane“. Nach den Folgen des Maidan fragt der Politologe Mykola Riabchuk in seinem Beitrag „Hat der Maidan das Land gespalten“? Wobei er festhält, dass die Ukraine „tatsächlich (zwei)geteilt, aber nicht wirklich gespalten“ sei. So Anton Shekhovtsov erkennt im Maidan gar den „Schwanengesang“ der Swoboda und sieht sie als „Verlierer der Revolution“ korrespondiere höhere Bildung mit einer prowestlichen und prodemokratischen Ausrichtung, auch seien jüngere Wählerschichten dem Westen gegenüber aufgeschlossener als ältere Generationen. Eine Versöhnung der „beiden Ukrainen“ mit ihren zwei gesellschaftlichen Realitäten, einer sowjetischen und einer nicht sowjetischen, die zwei Jahrzehnte lang im Staat nebenher existiert hätten, sei problematisch. Riabchuk setzt auf „schrittweise Versöhnung“. Auf Riabchuks Essay reagiert Zhurzhenko mit der Frage „Im Osten nichts Neues?“, um genauer zu untersuchen, was aus der „angeblichen Ost-West-Spaltung“ des Landes geworden ist und ob der „Osten“ sich inzwischen auf den Donbas beschränkt. In der aktuellen Situation sieht Zhurzhenko im Osten der Ukraine keine sowjetische Ideologie am Werk, sondern eine „negative Identität“, etwa in den Reaktionen auf gestürzte LeninStatuen: „Aus der Perspektive der prorussisch eingestellten Bürger sind es die ‚Banderisten‘ und ‚Nationalisten‘ aus Kiew, die ‚unsere Denkmäler‘ stürzen und ‚unsere Vergangenheit‘ stehlen. Die Lenin-Denkmäler verkörpern eben nicht mehr die Sowjetunion, sondern sie sind ein Ort und ein Symbol prorussischer Mobilisierung geworden – ‚leere Zeichen‘, die keinen ideologischen Inhalt transportieren, sondern die lokale Identität als ‚antiKiew‘ markieren.“ Zhurzhenko will den Osten allerdings nicht verloren geben, der Donbass sei just zu einem Boden geworden, „auf dem die ukrainische Unabhängigkeit, Demokratie und Zukunft verteidigt werden, und deshalb gehört er von nun an zur Ukraine“. „Transit. Europäische Revue“, Heft 45, Sommer 2014, 14 Euro ■ UNTERM STRICH Ironie der Geschichte? Oder wie soll man es sonst nennen, dass im kommenden Mai der letzte, unveröffentlicht gebliebene Film von Orson Welles in die Kinos kommt. Dann nämlich würde der US-Filmemacher und Schauspieler 100 Jahre alt. „The Other Side of the Wind“ heißt der bis zu Welles Tod 1985 unvollendet gebliebene Film, an dem er mehr als 15 Jahre gearbeitet hatte. Er hinterließ aber nur eine 45minütige Arbeitsfassung. In dem Film spielt John Huston einen Regisseur, der sich mit HollywoodProduzenten streitet, die ihn daran hindern, einen Film fertigzustellen. An seiner Seite sind Susan Strasberg, Lilli Palmer, Dennis Hopper und Peter Bogdanovich zu sehen. Wie der ehemalige Herstellungsleiter Frank Marshall der New York Times sagte, gibt es Notizen von Orson Welles und unvollendete Szenen, die noch mit Musik unterlegt werden müssen. Für das millionenschwere Bild „Triple Elvis“ von Andy Warhol soll erst nach der umstrittenen Auktion in New York eine endgültige Ausfuhrgenehmigung durch das Land NRW erteilt werden, sagt der Sprecher des Eigentümers, Christof Schramm. Die Ausfuhr von mehr als 50 Jahre alten Kunstwerken muss das NRW-Kulturministerium genehmigen. Die Versteigerung der Warhol-Werke war gestern Thema im Düsseldorfer Landtag. FLIMMERN + RAUSCHEN DAS SOLLTEN SIE SEHEN www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 17 MEDIENTICKER Woodyallenesk REPORTER OHNE GRENZEN „GEO“ 20.15 Uhr, Einsfestival, „Frances Ha“, USA 2012, R.: Noah Baumbach, D.: Greta Gerwig, Mickey Sumner Frances ist 27, Tänzerin und genießt das Leben in New York. Ihr Freund Dan würde gern mit ihr zusammenziehen, aber Frances will in der WG mit ihrer besten Freundin Sophie bleiben. Als Sophie erzählt, dass sie ausziehen will, und Frances auch noch ihren Job in einem Tanzensemble verliert, gerät ihre fragile Existenz ins Straucheln. Tänzelnd zieht sie durch die Stadt auf der Suche nach einer neuen Heimat. Mehr Engagement gefordert Auch Entlassungen BERLIN | Im vergangenen Jahr wurden mindestens 80 Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet. In diesem Jahr seien es bislang 56, teilt die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (RoG) gestern in Berlin mit. Einige von ihnen seien in Krisenregionen wie Syrien, dem Irak oder der Ostukraine ermordet worden, die meisten aber außerhalb von Kriegsgebieten – oft weil sie über Themen wie Machtmissbrauch, Korruption, organisierte Kriminalität oder Men- BERLIN | Nach den Entlassungen bei Brigitte, hat Gruner + Jahr auch 14 Mitarbeitern von Geo, Geo Saison und Geo Special gekündigt. Grund seien die veränderten Marktbedingungen im Printgeschäft. Die bisher getrennt erstellten Geo Saison und Geo Special werden künftig von einer Reiseredaktion erarbeitet. Das Mutterheft Geo schließt die Abteilungen Bildforensik, Kartografie, Titelgrafik und Infografik. Einen Sozialplan gibt es noch nicht. (epd) ■ Frances Ha (G. Gerwig) F.: Einsfestival schenrechtsverletzungen berichtet hätten. Reporter ohne Grenzen fordert deswegen mehr internationales Engagement gegen Verbrechen an Journalisten. In zahlreichen Ländern würden schwere Übergriffe gegen Reporter wie Morde oder Entführungen nicht glaubwürdig verfolgt, erklärte die Organisation. Am 2. November findet auf Beschluss der UN-Vollversammlung erstmalig der Welttag gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten statt. (epd) „Ich bin woanders“ FILM Hanno Koffler spielte sich früh nach vorn, ging dann in die Lehre und ist nun einer der gefragtesten Fernsehschauspieler. Am Samstag ist er in „Besondere Schwere der Schuld“ zu sehen (20.15 Uhr, ARD) VON JÜRN KRUSE Eigentlich hätte Hanno Koffler damals einfach weitermachen können. Lief doch. Er hatte 2003 in „Anatomie 2“ mitgespielt, kurz darauf in Marco Kreuzpaintners „Sommersturm“, in „Hallesche Kometen“, im „Tatort“. Koffler war gerade einmal 25 – und plötzlich weg vom Schirm. Er machte nicht einfach weiter. Er wollte zum Theater. Schon als kleiner Junge hatte er im Schiller- und im Renaissancetheater im alten West-Berlin gespielt. Die Schauspielschule Ernst Busch in Berlin hatte ihn trotzdem abgelehnt. Also warum nicht weitermachen mit den Filmen? Läuft doch. Doch laufen ist blöd, wenn man rennen will. Er wurde am Es war nicht das erste Mal, dass Koffler einen überraschenden Weg ging. 1990 zog er – während sich der halbe Osten gen Westen aufmachte – von WestBerlin nach Stendal, Sachsen-Anhalt, damals 50.000 Einwohner. „Mein Vater ist die Karriereleiter von ganz oben bis ganz unten hinuntergepurzelt“, sagte er mal dem Berliner Stadtmagazin Zitty. Koffler sitzt in einem Berliner Hotel, er macht Werbung für den ARD-Film „Besondere Schwere der Schuld“, in dem der jahrzehntelang inhaftierte Komalschek (Götz George) in das Ruhrgebiet heimkehrt. Koffler spielt den jungen Polizisten Tom Barner, der ihn überwachen soll. Doch bald kommen Barner Zweifel an Komalscheks Schuld. Koffler ist in der Rolle fast zurückhaltend, lässig, mit weniger Körpereinsatz als man es sonst von ihm kennt, der seriöse Polizist. Koffler fand das Drehbuch „wahnsin- nig gut“. Außerdem lockte die Zusammenarbeit mit George. Koffler, mittlerweile 35, Vater einer Tochter, erzählt von Stendal. Wie es war, auf der Schule der „Scheiß-Wessi“ zu sein. Die Schule war auch nicht so ein Backsteingebäude wie die SchlüterGrundschule, auf der er zuvor war, sondern ein Plattenbau, aus dem die Klasse bald darauf rausmusste, weil die Asbestplatten entfernt wurden. Koffler lernte, sein Herz zu bilden und den eige- Von Klaus Maria Brandauer lernte Koffler „sein Herz zu bilden“ Max Reinhadt Seminar angenommen und zog 2005 nach Wien. Zwei Jahre lernte er das Schauspiel, lernte von Klaus Maria Brandauer, dass es darum gehe, „sein Herz zu bilden“, zitiert er. „Die Eindrücke füllen den eigenen emotionalen Erfahrungsschatz. Gepaart mit emotionaler Intelligenz bilden sie ein Reservoir, auf das man als Schauspieler zurückgreifen kann.“ Polizist Barner (Hanno Koffler) schützt seine Mutter (Hannelore Elsner) vor einem entlassenen Straftäter Foto: ARD nen Erfahrungsschatz zu füllen. „Ich hab es damals total verflucht, nach Stendal ziehen zu müssen“, erzählt Koffler, „aber gerade die Momente, in denen man durch Krisen gegangen ist, erweisen sich ja dann häufig als sehr wertvoll.“ Stendal ging vorbei, Wien auch. 2007 endete die Ausbildung. Er hatte unter Brandauer in „Hamlet“ und im „Sommernachtstraum“ gespielt. Jetzt begann er wieder in Filmen mitzuspielen: „Der Rote Baron“, „Krabat“. Dann ging er wieder. Nicht nach Berlin, wo junge Kino- und Fernsehschauspieler eigentlich zu wohnen haben, sondern nach Braunschweig. „Man macht ja manchmal die Sachen, die Fragen aufwerfen“, sagt Koffler, „dann reagiert man fast schon trotzig stolz darauf: Bei mir ist es halt so, ich bin woanders.“ In Braunschweig wurde am Staatstheater ein neues Ensemble um einen neuen Intendanten herum aufgebaut, „tolle Kollegen, tolle Rollen“. Und er konnte weiter in Filmen mitwirken, unter anderem in „Freier Fall“, wo er einen Polizisten spielte, der sich in einen Kollegen verliebt. Dafür bekam er den Deutschen Filmpreis. Mittlerweile lebt Koffler wieder in Berlin. Der Film „Coming in“, in dem er eine Nebenrolle spielt, ist gerade in den Kinos. Auf der Besetzungsliste von „Besondere Schwere der Schuld“ steht er hinter Götz George an zweiter Stelle. Vor Hannelore Elsner. Läuft doch. Sky ohne Abonnenten KURSWECHSEL Der Pay-TV- Sender bietet seine Inhalte nun auch zum Online-Abruf an – und plant eigene TV-Box Sky-Abonnenten bekamen am Dienstagabend eine Mail: Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen hätten sich geändert, hieß es. Die neuen Passagen sahen fast alle so aus: Das Wort „Abonnent“ ist gestrichen worden. Stattdessen steht da jetzt „Kunde“. Am Tag darauf präsentierte der Pay-TV-Anbieter dann, warum aus Abonnenten nun Kunden geworden sind. Sky ändert seine Strategie: Nicht jeder Kunde muss mehr Abonnent sein. „Sky Online“ heißt die neue Plattform, auf der – monatlich kündbar – verschiedene Sky-Programme, Serien und Filme gestreamt werden können. 9,99 Euro pro Monat soll das „Starter Paket“ kosten, 19,99 Euro das „Film Paket“. Bislang ist das Ganze allerdings nur über einen Browser oder mithilfe von iPad oder iPhone zu nutzen. Demnächst will man den Abruf über andere Plattformen ermöglichen. Außerdem plant Sky eine eigene TV-Box, die aus jedem Fernseher einen Smart-TV machen soll. Sky, das sich vor dem Einstieg des Streamingkonkurrenten Netflix in den deutschen Markt im September betont lässig gab, schießt nun schon zum zweiten Mal scharf. Kürzlich war schon der monatliche Preis für das eigene Streaming-Angebot Snap auf vier Euro gesenkt worden. Snap soll für die neuen SkyOnline-Kunden gleich mit drin sein – im Gegensatz zum Livesport. Der kann nur zu den Paketen hinzugebucht werden: Ein Sport-Tagespass kostet 19,99 Euro. Klingt wenig verlockend, ist doch manches Stadionticket in der Bundesliga günstiger. Sky-Chef Brian Sullivan, der schon vor Monaten durchblicken ließ, dass er Online-Videoportale derzeit für nur bedingt profitabel hält, preist Sky Online dementsprechend zurückhaltend an: „Unser klassisches Abo-Modell bleibt das Angebot mit der größten Programmauswahl, besten Bild- und Tonqualität und mit dem größten Mehrwert für unsere Kunden.“ Na dann. JÜRN KRUSE DER KANADISCHE SCHAUSPIELER WILL ARNETT WAR BEI „WETTEN DASS..?“. SEIN FAZIT: „I’M FASCINATED BY GERMAN MENTALITY – JOKES DON’T WORK AT ALL!“ ARD Tagesschau ARD-Buffet ZDF-Mittagsmagazin Tagesschau Rote Rosen Tagesschau Sturm der Liebe Tagesschau Seehund, Puma & Co. Tagesschau Brisant Verbotene Liebe Dating Daisy Tagesschau Das Traumhotel – Marokko Tagesthemen Tatort: Heimatfront. D 2011 23.30 KommissarWallander–Mörder ohne Gesicht 1.00 Nachtmagazin 1.20 Töte Amigo. Italowestern, I 1966. Regie: Damiano Damiani. Mit Gian Maria Volonté, Klaus Kinski 12.00 12.15 13.00 14.00 14.10 15.00 15.10 16.00 16.10 17.00 17.15 18.00 18.45 20.00 20.15 21.45 22.00 ZDF 12.00 12.10 13.00 14.00 14.15 15.05 16.00 16.10 17.00 17.10 17.45 18.05 heute drehscheibe ZDF-Mittagsmagazin heute – in Deutschland Die Küchenschlacht Deutschlands bester Bäcker heute – in Europa SOKO Kitzbühel: Eiskalt. A/D 2004 heute hallo deutschland Dietrich Grönemeyer – Leben ist mehr! SOKO Wien: Schöne neue Welt. D/A 2013 19.00 heute 19.25 Dr. Klein 20.15 Der Kriminalist: Der letzte Flug. D 2014 21.15 SOKO Leipzig: Dumm gelaufen. D 2014 22.00 heute-journal 22.30 heute-show 23.00 aspekte 23.45 Ray Donovan 0.35 heute nacht 0.50 heute-sho RTL 12.00 14.00 15.00 17.00 17.30 18.00 18.30 18.45 19.05 19.40 20.15 23.00 0.00 0.30 1.30 Punkt 12 – RTL-Mittagsjournal Verdachtsfälle Verdachtsfälle Spezial Betrugsfälle Unter uns Explosiv – Das Magazin Exclusiv – Das Star-Magazin RTL Aktuell Alles was zählt Gute Zeiten, schlechte Zeiten 5 gegen Jauch Geht's noch?! Kayas Woche RTL Nachtjournal Hotel Zuhause – Bitte stören! Die Trovatos 23.30 The Voice of Germany 1.30 Sechserpack PRO 7 12.20 13.15 13.45 14.15 15.35 17.00 18.00 18.10 19.05 20.15 22.10 0.45 2.15 2.25 SAT.1 Richter Alexander Hold Auf Streife Im Namen der Gerechtigkeit Anwälte im Einsatz Mein dunkles Geheimnis Schicksale In Gefahr Navy CIS: Wettlauf mit demTod. USA 2006 19.55 SAT.1 Nachrichten 20.15 The Voice of Germany 22.30 Schwarz Rot Pink 12.00 14.00 15.00 16.00 17.00 17.30 18.00 19.00 Two and a Half Men 2 Broke Girls New Girl The Big Bang Theory How I Met Your Mother taff Newstime Die Simpsons Galileo Das gibt Ärger. Komödie, USA 2012. Regie: McG. Mit Reese Witherspoon, Chris Pine Constantine. Comicverfilmung, USA/D 2005. Regie: Francis Lawrence. Mit Keanu Reeves, Rachel Weisz Wrong Turn. Horrorfilm, USA/D 2003. Regie: Rob Schmidt. Mit Desmond Harrington, Eliza Dushku Steven liebt Kino – Spezial: Love Rosie – Für Immer Vielleicht Trick 'r Treat – Die Nacht der Schrecken. Fantasyfilm, USA 2007. Regie: Michael Dougherty. Mit Quinn Lord, Leslie Bibb KI.KA 8.00 8.30 8.50 9.00 9.25 9.45 9.55 10.25 10.50 11.15 11.35 Sesamstraße Zigby, das Zebra Löwenzähnchen Kleine Prinzessin Raumfahrer Jim Dreckspatzplatz Au Schwarte! Tabaluga Ben & Hollys kleines Königreich Das Dschungelbuch Hexe Lilli 12.00 12.30 12.50 13.15 13.40 14.10 15.00 15.25 15.50 16.20 17.10 17.35 18.00 18.15 18.40 18.50 Heidi Garfield Raymond Die Wilden Kerle Die Pfefferkörner Schloss Einstein – Erfurt Lenas Ranch Wendy Tracey McBean Die Schule der kleinen Vampire Monster Allergy Hexe Lilli Der kleine Nick Ben & Hollys kleines Königreich Zoés Zauberschrank Unser Sandmännchen 8.30 8.55 10.55 11.20 12.05 12.50 13.20 13.40 X:enius Hunger! Durst! (1/2) Die Spur der Steine Wasserwelten (5/5) 360° Geo Reportage Frankreichs mythische Orte ARTE Journal Der Mann der Friseuse. Melodram, F 1990. Regie: Patrice Leconte. Mit Anna Galiena, Jean Rochefort Zwischen Himmel und Erde Das Glück liegt auf dem Teller Die Welt der Oliven X:enius Die Dino-Cowboys Die Donau – Lebensader Europas ARTE Journal Grenzenloses Frankreich (5/5) Akte Grüninger. Kriegsdrama, CH/A 2013. Regie: Alain Gsponer. Mit Stefan Kurt, Max Simonischek Alkoholsucht: Wundermittel Baclofen? Der stärkste Mann 23.30 0.20 0.50 2.25 3SAT 18.30 19.00 19.20 20.00 20.15 21.00 21.30 22.10 22.35 ARTE 15.25 15.50 16.20 17.05 17.30 18.25 19.10 19.30 20.15 21.45 22.40 Kurzschluss – Das Magazin Solange uns Pumpguns bleiben Lilyhammer (1/8) Track 0.25 0.55 1.40 3.20 nano heute Kulturzeit Tagesschau Überfall am Arbeitsplatz makro: Neue Macht am Main? auslandsjournal extra ZIB 2 Ein Jahr in der Hölle. Politdrama, AUS 1982. Regie: Peter Weir.MitMelGibson,Sigourney Weaver 10vor10 extra 3 Leergut. Komödie, CZ/GB/DK 2007. Regie: Jan Sverák. Mit Zdenek Sverák, Daniela Kolárová Ein Jahr in der Hölle BAYERN 18.00 18.45 19.00 19.45 20.15 21.00 21.45 22.00 22.45 23.15 23.25 0.15 0.45 1.45 Abendschau Rundschau Unser Land Landfrauenküche Hubert und Staller: Finger im Brot. A/D 2012 Lebenslänglich Mord Rundschau-Magazin Heißmann & Rassau Die Komiker Rundschau-Nacht Vereinsheim Schwabing PULS Heimatsound Concerts – Dreiviertelblut / Ganes Umzug! SWR 18.00 SWR Landesschau aktuell 18.15 Fahr mal hin 18.45 SWR Landesschau RheinlandPfalz 19.45 SWR Landesschau aktuell 20.00 Tagesschau 20.15 Expedition in die Heimat 21.00 Unsere schönsten Vereine 21.45 SWR Landesschau aktuell 22.00 Nachtcafé 23.30 Alfons und Gäste 0.00 Hannes und der Bürgermeister 0.30 SWR3latenight 1.00 StandUpMigranten – Comedy mit allem und scharf 1.45 Alfons und Gäste 2.15 Nachtcafé 3.45 SWR3 New Pop Festival 2014 – Nico & Vinz HESSEN 18.00 18.20 18.45 19.15 19.30 20.00 20.15 21.00 21.45 22.00 0.00 0.30 1.15 2.45 maintower Brisant Hessentipp alle wetter! hessenschau Tagesschau Deutsche Urlaubsparadiese: Sachsens schönste Seiten Verrückt nach Meer hessenschau kompakt Tietjen und Hirschhausen strassen stars Dings vom Dach Wer weiss es? Deutsche Urlaubsparadiese: Sachsens schönste Seiten WDR 18.05 Hier und Heute 18.20 Servicezeit Reportage 23.30 0.15 0.45 1.10 1.40 2.10 2.40 3.00 Aktuelle Stunde Lokalzeit Tagesschau Heimatabend Bonn Lichters Schnitzeljagd (4/7) Kölner Treff Bus mit lustig – Die Aftershow zum Comedy Festival Heimatabend Siegen Besuch aus dem Jenseits Lebendig begraben Die Außerirdischen kommen Das Grauen kommt über Nacht Die Invasion der Körperfresser Erlebnisreisen-Tipp Lokalzeit 18.00 18.15 18.45 19.30 20.00 20.15 21.15 21.45 22.00 0.00 1.00 3.50 Ländermagazine Lust auf Norden DAS! Ländermagazine Tagesschau die nordstory – Alte Berufe Die Reportage NDR aktuell Tietjen und Hirschhausen NDR Comedy Contest Der Norden rockt Tagesschau – Vor 20 Jahren 18.50 19.30 20.00 20.15 21.00 21.45 23.15 NDR RBB 18.00 rbb um sechs – Das Ländermagazin 18.30 zibb 19.30 Abendschau 20.00 Tagesschau 20.15 Kesslers Expedition 21.45 rbb aktuell 22.00 Tietjen und Hirschhausen 0.00 Auf los geht's los 2.05 Berliner Abendschau 2.30 Abendschau 3.00 Brandenburg aktuell 3.30 zibb MDR 18.05 19.00 19.30 19.50 20.15 21.45 22.00 0.00 0.20 1.35 2.20 3.50 Heute im Osten unterwegs MDR Regional MDR aktuell Elefant, Tiger & Co. André Rieu – Das große Jubiläumskonzert MDR aktuell Unter uns Kino Royal spezial Ausgerechnet Bananen Heute im Osten unterwegs Sagenhaft – Der Thüringer Wald SachsenSpiegel PHOENIX 12.00 14.30 15.15 16.00 17.05 17.15 17.30 18.00 18.30 20.00 20.15 22.30 23.00 0.00 0.35 0.45 3.00 3.30 Vor Ort Katharina von Bora China auf zwei Rädern maybrit illner Augstein und Blome Hoffen auf ein neues Leben Vor Ort Was vom Leben übrig bleibt Bruce Parry: Abenteuer am Polarkreis Tagesschau Bruce Parry: Abenteuer am Polarkreis Die Hurtigruten Der Tag Im Dialog Das Tal von Jiuzhai Bruce Parry: Abenteuer am Polarkreis Die Hurtigruten Planet der Drachen 18 www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG WISSENSCHAFT Argwohn gegen Zahlen: Wenn die Statistik schief ist ZAHLENSPIELE Drei Wissenschaftler haben sich zur Aufgabe gemacht, auf windiger Statistik beruhende Aussagen zu hinterfragen Auch Ausländerfeinde untermauern ihre Argumente gern mit Zahlen, zum Beispiel mit der polizeilichen Kriminalstatistik. Der zufolge ist in Städten mit einem hohen Ausländeranteil die Kriminalität nun mal höher. Diese Beweisführung verwechselt allerdings eine Korrelation – das heißt Gleichzeitigkeit – mit einer Kausalität. Denn Bevölkerungsgruppen mit hohem ausländischem Hintergrund wohnen meist in Großstädten. Dort werden ohnehin mehr Straftaten verübt als in kleinen Gemeinden. Viele Migranten haben auch viel Nachwuchs. In aller Welt aber ist die Kriminalität unter Menschen Anfang zwanzig sehr viel höher als unter älteren Erwachsenen. Last not least begehen Verbrechen in einem Gemeinwesen nicht nur dessen Bewohner, sondern auch Besucher, wie Touristen und Taschendiebe. Deshalb wäre der weltweit kriminellste Staat nach dieser Beweisführung der Vatikan. Im Jahre 2011 waren dort 492 BürgerInnen gemeldet, es gab aber immerhin 866 Zivilund Strafverfahren. Viele solcher kurioser und bedenklicher Beispiele führt nun ein Buch über Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik auf, sein Titel: „Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet“ (Campus-Verlag). Autoren sind Thomas Bauer, Professor für Empirische Wirtschaftsforschung in Bochum, der Psychologe Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, und Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund. Sie hatten sich schon wiederholt am Rande von Konferenzen über unsinnige Statistiken mokiert, als sie sich vor zweieinhalb Jahren fragten: „Weshalb ziehen wir nicht regelmäßig vor einer dieser Desinformationen den Unschuldsschleier weg?“ Dies war die Geburtsstunde der „Unstatistik des Monats“ im Internet (www.unstatistik.de). Da geht es um Forschungsresultate der Pharmaindustrie, um Arbeitslosenzahlen, Armutsgrenzen, Zahlen zur Situation der Frau und immer wieder um Faktoren, die dumm und dick machen sollen. Dabei werden gern Prozentpunkte zueinander in Relation gesetzt, um beeindruckende Ergebnisse zu erzielen. Beispiel: In einem Test an über 3.500 älteren Spaniern mit hohem Infarktrisiko erkrankten im Laufe von vier Jahren 6,9 Prozent von einer Versuchsgruppe an Diabetes-Typ-2-Personen, welche pro Woche je einen Liter natives Olivenöl zu sich nahmen. In der ölarm ernährten Kontrollgruppe waren es 8,8 Prozent, also um 1,9 Prozentpunkte mehr. Doch die Initiatoren setzten die Anzahl der Prozentpunkte zueinander in Relation: 1,9 Prozentpunkte machen 21 Prozent von 8,8 Prozentpunkten aus – und mit ein paar Korrekturen im Hinblick auf Alter und Geschlecht kommt man so schnell auf 30 Prozent: eine sensationell wirkende relative Risikoreduktion durch die Öldiät. So kann man nicht nur große Ängste erzeugen, sondern auch unrealistische Hoffnungen. Es ist das Verdienst der Verfasser, diesen und andere Tricks in ihrem Buch systematisch vorzustellen. Ihr wichtigster Rat: Fragen Sie sich bei jeder Untersuchung, was zuerst da war: das statistische Material oder die These? Bauer, Gigerenzer und Krämer übertreiben es selbst aber auch. Als statistisch nicht signifikant können sie Versuchsresultate des Franzosen Gilles-Éric Séralini entlarven, denen zufolge mit gentechnisch modifiziertem Mais gefütterte Ratten häufiger an Krebs starben. Um diese Ergebnisse aber einordnen zu können, wäre es nötig, sich auch einmal die Versuchsreihen der Gentech-Lobby und -Industrie anzuschauen. Dort werden ähnlich „designte“ Studien genutzt, um die Unbedenklichkeit der Gentech-Nahrung zu beweisen. BARBARA KERNECK APPELL FÜR MEHR VORBEUGENDE MASSNAHMEN Turnschuhe statt Tabletten Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) hat an die Ärzte appelliert, ihre Patienten mehr vorbeugend zu behandeln. Das Motto „Turnschuhe verordnen statt Tabletten“ müsse mehr in den beruflichen Alltag der Mediziner integriert werden, sagte Professor Michael Hallek auf der Tagung „Vorbeugen oder Behandeln – Wohin geht die Innere Medizin?“. Gerade bei Wohlstandskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Beschwerden, Übergewicht und Bluthochdruck könnten einfache Dinge wie mehr Sport oder eine gesündere Ernährung viel bewirken. Auch bei Krebserkrankungen könne die Begleitung mit Sport die Lebenszeit verlängern. Dieses Bewusstsein müsse bei Ärzten und bei medizinischen Fachgesellschaften immer wieder erneuert werden. DPA STUDIE WEIST MIKROPLASTIK IN KLÄRANLAGEN NACH Verspeiste Plastikteilchen Unsere Kläranlagen können die Belastung des Abwassers mit Mikroplastik nur zum Teil verhindern. Das ergab eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung im Auftrag des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbands (OOWV) und des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Es geht dabei um Plastikteilchen von weniger als 5 Millime- ter Größe, wie sie etwa in gebräuchlichen Körperpflegeprodukten enthalten sind. Die Partikel sind ein Problem, weil sie leicht Schadstoffe an sich binden und von Lebewesen im Wasser rasch aufgenommen werden. Je nach Anlagengröße gelangen pro Jahr zwischen 93 Millionen und 8,2 Milliarden Partikeln in die Vorfluter und damit in unsere Flüsse. Auch im Klärschlamm wurden große Mengen MikroDPA plastik gefunden. Lieber Fußfall als Krieg: Türkische Roboter stehen neben einem deutschen Roboter beim „Robogol 2014“ Foto: dpa Revolution der Maschinenwesen ROBOTER Autonom agierende Maschinen werden in vielen Bereichen den Menschen ersetzen. Sie sollen nicht nur Pflege- und Haushalts-dienste übernehmen. Investiert wird auch in die Entwicklung von Kampfmaschinen für zukünftige Kriege VON FRANK HEINZ DIEBEL „Er fühlt weder Mitleid noch Reue noch Schmerz, und er wird vor nichts haltmachen, vor gar nichts, solange Sie nicht tot sind“, hörte das staunende Kinopublikum 1984 Michael Biehn alias Kyle Reese in dem Kult-ScienceFiction-Film „Terminator“ sagen. Die Rede war vom „Terminator“, einem von dem Computernetzwerk Skynet konstruierten Cyborg, dessen Aufgabe – nomen est omen – darin bestand, zu „terminate“, sprich zu beenden. Was in den 1980er Jahren als spinnerte Kopfgeburt von Sci-Fi-Geeks galt, kommt der Realität inzwischen näher, als Otto Normalverbraucher lieb sein dürfte. Schon jetzt werden Roboter zum Entschärfen von Minenfeldern, als Wachleute oder als Helfer im Haushalt eingesetzt. Die japanische Regierung will bis zum Jahr 2020 eine „Roboter-Revolution“ initiieren: Die Bots sollen in Hotels, Pflegeheimen und für Lieferdienste eingesetzt werden. Amerikanische und japanische Unternehmen wie Boston Dynamics und Schaft stellen heute bereits leistungsfähige und geschickte Roboter her, die im Vergleich zum Schweißbot an der Fertigungsstraße eines Automobilherstellers durchaus als Tausendsassas gelten dürfen. Die Maschinenwesen steigen Treppen, räumen Geröll beiseite, machen Kniebeugen, rennen schneller als Menschen und schleppen Hunderte von Kilo durch unwegsames Terrain. Mit dem technologischen Fortschritt erwacht aber auch das Interesse von Wirtschaft und Industrie an den vielseitig einsetzbaren Blechdroiden. Anfang des Jahres ging der Internetkonzern Google nach der Präsentation des „Google Driverless Car“ (fahrerloses bzw. autonom fahrendes Auto) einen weiteren Schritt in Richtung Roboter-Revolution „Made in America“: Der Internetgigant erwarb die im USamerikanischen Waltham beheimatete Robotikfirma Boston Dynamics, deren geschickte Roboter mit klangvollen Namen wie Big Dog, Petman, Cheetah und Atlas bereits auf YouTube Furore gemacht haben. Das 1992 als Ableger des Massachusetts Institute of Technology von Professor Marc Raibert gegründete Forschungsunternehmen bildet die technologische Speerspitze bei der Herstellung von autonomen Robotiksystemen. Finanziert wurden die Forschungstätigkeiten von Boston Dynamics bislang in erster Linie von den amerikanischen Streitkräften, genauer gesagt der US Defence Advanced Research Projects Agency (Darpa), der US-Armee, der US-Marine und der USMarineinfanterie. Als eines der technologisch innovativsten Produkte aus dem Hause Boston Dynamics dürfte der 2005 entwickelte „BigDog“ gelten. Wie der Name bereits nahelegt, handelt es sich hier um einen vierbeinigen, hundeartigen Laufroboter, der ohne fremde Hilfe und mit bis zu 155 Kilogramm beladen Steigungen von bis zu 35 Grad hinaufklettern kann. „BigDog“ ist mit einem Verbrennungsmotor, einem hochentwickelten Computersystem und zahlreichen Sensoren ausgestattet, die es der Maschine ermöglichen, sich auch in unwegsamem Gelände mit Geschwindigkeiten von bis zu 6 Stundenkilometern autonom fortzubewegen. Wem das zu langsam ist, für den haben die Roboter-Geeks aus Massachusetts „Cheetah“ im Programm. Der einem Geparden nachempfundene Laufroboter erreicht Geschwindigkeiten bis 46 Stundenkilometer und gilt als schnellster Blechdroide der Welt. Aber Boston Dynamics macht nicht bei vierbeinigen Maschi- nenwesen halt. 2012 wurden die Robotik-Freaks von Darpa beauftragt, humanoide Roboter zu entwickeln. 10,8 Millionen US-Dollar wendeten die US-Streitkräfte für das Forschungsprojekt auf und die Erfolge können sich sehen lassen. Der menschenähnliche Roboter „Petman“ (Protection Ensemble Test Mannequin, auf Deutsch: Puppe zum Testen von Schutzkleidung) steht auf eigenen Füßen, kann die Arme recken und Kniebeugen machen. Aus „Petman“ wurde 2013 „Atlas“, der zwar nicht das Himmelsgewölbe auf den Schultern trägt, aber sehr wohl in der Lage ist, freistehend durch unwegsames Terrain zu spazieren und zu klettern. In naher Zukunft sollen die Hände des „künstlichen Menschen“ mit Sensoren bestückt werden, die es ihm ermöglichen, für Menschenhand entworfene Werkzeuge zu benutzen. Neben Boston Dynamics hat sich Google bereits sechs weitere Roboterhersteller einverleibt. Dazu gehören zum Beispiel das japanische Unternehmen Schaft, dessen Bots Leitern hoch- und herunterklettern können, Redwood Robotics, die einen vollfunktionsfähigen Roboterarm (inklusive Daumen und Fingern) im Programm haben, und Industrial Perception, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Robotern mithilfe eines Infrarotsystems dreidimensionale, visuelle Wahrnehmung beizubringen. Will Google Roboter für den zivilen Einsatz als Massenprodukt vermarkten, ähnlich wie Bill Roboter sind die perfekten Kontrollund Tötungsmaschinen, und wer sie beherrscht, der beherrscht vielleicht dereinst die Welt Gates dereinst den Personal Computer? Müssen wir uns auf einen Blechkameraden in jedem Haushalt gefasst machen? Das japanische Unternehmen Softbank hat bereits für 2015 angekündigt, seinen Haushaltsroboter „Pepper“ in den USA auf den Markt zu bringen. Laut Hersteller soll der humanoide Helfer in der Lage sein, Emotionen zu lesen. Branchenkenner sind zwar skeptisch, weil „Peppers“ Funktionsumfang aufgrund des geringen Verkaufspreises von 2.000 Dollar relativ gering sein dürfte, aber es kommt Bewegung in den Markt der Haushaltsroboter – für Google anscheinend Grund genug, massiv in den Bereich der Robotik zu investieren. Angesichts der immensen Herstellungskosten dieser Maschinen dürfte bis dahin noch eine Weile vergehen, aber die britische und amerikanische Presse befindet sich bereits in Angst und Schrecken, was angesichts von Schlagzeilen wie „I, Frankenstein“ (Slate), „Google‘s drive into robotics should concern us all“ (The Guardian) deutlich wird. Die Argumente, die gegen einen weit verbreiteten Einsatz von halbwegs intelligenten Bots sprechen, sind dabei nicht aus der Luft gegriffen: Roboter geben hervorragende Befehlsempfänger und Untergebene ab – wie bereits eindrücklich in den Terminator-Filmen oder Sci-Fi-Klassikern wie Stanley Kubriks „2001: Odyssee im Weltraum“ thematisiert: die künstlichen Menschen besitzen keine Gefühle, keinen eigenen Willen, kein Gewissen, keine Skrupel, werden nicht krank und können repariert werden – sprich: die perfekten Kontroll- und Tötungsmaschinen, und wer sie beherrscht, der beherrscht vielleicht dereinst die Welt. Was ebenfalls gegen Roboter im Alltagseinsatz, zum Beispiel als Haushaltshilfe, spricht, ist die Frage, wer die Maschinen letzten Endes kontrolliert bzw. was mit den Daten geschieht, die das Maschinenwesen im Verlauf seiner Tätigkeit sammeln kann. Der beunruhigendste Gedanke gilt vielleicht weniger den Blechdroiden, die eines Tages autonom die Weltherrschaft an sich reißen könnten, als vielmehr den Strippenziehern, die hinter der „Roboter-Revolution“ stecken. LEIBESÜBUNGEN www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG Aufklärung light 19 SAN FRANCISCO GEWINNT DIE WORLD SERIES Gigantische Giants DAILY DOPE (681) Die Universität Freiburg drängt auf ein schnelles Ende der Aufarbeitung ihrer Dopingvergangenheit. Erkenntnisverluste nimmt man dafür bereitwillig in Kauf VON JOHANNES KOPP Seit Mittwochabend ist nun endgültig klar: Die Lage ist so verfahren, dass eine unabhängige Instanz eingreifen muss. Der schon lange währende Streit um die Aufarbeitung der Dopingvergangenheit an der Freiburger Universität ist in den letzten Wochen immer weiter eskaliert. Genau genommen geht es gar um die Aufarbeitung der westdeutschen Dopingvergangenheit, dessen Zentrum Freiburg gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wurde. Die Uni Freiburg und die von ihr 2007 mit einem Aufklärungsauftrag versehene Evaluierungskommission finden keinen gemeinsamen Nenner mehr. Wegen der Behinderungen ihrer Arbeit, die sie in einem über hundertseitigen Rechenschaftsbericht dokumentiert hat, hatte die Kommissionsvorsitzende, Letizia Paoli, unlängst ein Ultimatum gestellt. Falls sich nichts ändert, will sie am 7. November zurücktreten. Am Mittwochabend drängte nun der Senat der Albert-Ludwigs-Hochschule die Kommission in einer Stellungnahme zum „unverzüglichen“ Abschluss der Arbeit und beharrte damit auf einer Position, die eine Lösung des Konflikts sehr unwahrscheinlich werden lässt. Denn ein schnelles Ende ihrer Untersuchung hatte Paoli zuletzt aufgrund der Datenmenge für unmöglich erklärt. Nach ihren Klagen hatte etwa die Stadt Freiburg 18.000 Seiten Akten über den früheren Doping-Arzt Ar- min Klümper herausgerückt, um welche die Kommission schon 2012 gebeten hatte. Im Freiburger Dopingsumpf scheint die gebürtige Italienerin Paoli, eine renommierte MafiaExpertin, an ihre Grenzen zu stoßen. Im Zusammenhang mit ihrem Ultimatum warnte sie, mit einer voreiligen Beendigung der Kommissionsarbeit würde alles wichtige nicht bearbeitete Mate- „Was da passiert, ist systematische Vertuschung krimineller Straftaten“ DOPINGEXPERTE WERNER FRANKE rial gelöscht werden müssen. Das ginge aus einem Gutachten hervor, das die Uni in Auftrag gegeben hätte. Dieser Darstellung konnte der Uni-Rektor Hans-Jochen Schiewer nur bedingt widersprechen. Er sagte, die Behauptung von Paoli sei „in dieser Allgemeinheit unzutreffend“. Im Umkehrschluss stellt sich die Frage, wieso sich die Uni mit einer möglichen Teilvernichtung von wichtigem Beweismaterial arrangieren kann? Auch die Rolle der badenwürttembergischen Wissenschaftsministerin Theresa Bauer (Grüne) wirft Fragen auf. Zuerst stellte sie sich nach Paolis Ultimatum mit der Forderung nach einem baldigen Abschlussbericht hinter die Position der Universität Freiburg. Dann lud sie die Streitparteien zu einem Schlichtungstermin. Ein solches Treffen bei der Ministerin hatte es aber bereits vor einem Jahr gegeben, ohne dass sich an den Problemen etwas geändert hätte. Paoli erklärte deshalb, sie wolle erst wichtige Fragen mit Theresa Bauer klären, bevor sie sich an einen runden Tisch setzen würde. Inwieweit die politische Ebene in Baden-Württemberg zum Schlichten des Konflikts taugt, ist indes auch zu hinterfragen. Die Akten, die der Kommission zugänglich sind, beinhalten laut Paoli „Informationen über die Rolle damaliger CDU-Landesregierungen, CDU-Minister, Angehöriger der Freiburger Staatsanwaltschaft sowie der Universitätsund Klinikumsleitung“ im Zu- sammenhang mit Ermittlungen gegen Prof. Klümper. Die Gefahr, dass bei dieser brisanten Gemengelage politischer Seilschaften ihre Wirkung entfalten, ist groß. Dopingexperte Werner Franke, der bis 2012 selbst der Kommission angehörte, sagte: „Da kommen noch kriminelle Hämmer, brutale Sachen raus.“ Recht behält er aber wohl nur, wenn die Landesregierung entsprechend reagiert. Die gegenwärtige Situation deutet eher auf einen anderen Ausgang des Geschehens hin. So wetterte Franke: „Was da passiert, ist systematische Vertuschung krimineller Straftaten.“ Auch das noch aktuelle Kommissionsmitglied Eberhard Treutlein äußerte sich deutlich: „Der Wunsch nach dem Platzen der Evaluierungskommission“ sei bei der Uni größer als „der nach einer sinnvollen Beendigung“. Dabei hat Paoli mit ihrem Mitarbeiterstab gar so nebenbei interessante Unregelmäßigkeiten aufgedeckt. Die Habilitationen von sechs Freiburger Sportmedizinern stehen derzeit wegen Plagiatsverdacht auf dem Prüfstand. Uni-Rektor Hans-Jochen Schiewer versteht sich derweil weiter als Aufklärer. Er kündigte an, dass man eine Forschungsstelle einrichten wolle, die sich mit der Aufarbeitung der Freiburger Dopingvergangenheit auf Grundlage der Arbeit der Kommission befassen soll. Paoli entgegnete: Eine hauseigene Forschung könne naturgemäß „keine Aufklärungsarbeit universitätsinterner“ Belange leisten. So spannend ging es schon lange nicht mehr zu in einem Endspiel einer nordamerikanischen Profiliga. Das Baseballteam der San Francisco Giants konnte mit einem knappen 3:2 im entscheidenden Duell gegen die Kansas City Royals die World Series gewinnen. Bereits im sechsten Spiel gab es für die Giants die Chance, die Meisterschaft vorzeitig für sich zu entscheiden. Doch die Kansas City Royals erzwangen vor heimischer Kulisse eine weitere Begegnung. Sie scheiterten jedoch vor allem am Most Valuable Player (MVP) der Saison, Madison Bumgarner (Foto: dpa). In der Regel benötigen Starting Pitcher mindestens drei Tage Pause zwischen den Spielen, um nicht an Wurfgewalt einzubüßen – doch nicht Bumgarner, der maßgeblich zum Sieg beitrug. Sein entscheidender Wurf sorgte dafür, dass Royals-Schlagmann Perez den Ball nicht optimal traf. Die dritte Meisterschaft innerhalb von fünf Jahren für die Giants war perfekt. Im Mission District feierten einige Fans die Meisterschaft sehr exzessiv. Es kam zu schweren Ausschreitungen. Pyrotechnik wurde gezündet und Polizisten wurden attackiert. Diese erwiderten die Angriffe mit Schlagstöcken und Tränengas. DFB-POKAL 2. Runde Hamburg - Bayern München 1:3 Hoffenheim - FSV Frankfurt 5:1 Bielefeld - Hertha BSC 4:2 i.E. Wolfsburg - Heidenheim 4:1 Offenbach - Karlsruhe 1:0 Eintracht Frankfurt -Gladbach 1:2 Chemnitz - Bremen 0:2 Aalen - Hannover 2:0 Dresden - Bochum 2:1 n.V. ACHTELFINALE Duisburg - Köln 1:4 i.E. Bayer Leverkusen - 1. FC Kaiserslautern, Kaiserslautern - Fürth 2:0 Kickers Offenbach - Mönchengladbach, St. Pauli - Dortmund 0:3 Bayern München - Eintracht Braunschweig, Magdeburg - Leverkusen 4:5 i.E. VfR Aalen - 1789 Hoffenheim, RB Leipzig - Würzburg - Braunschweig 0:1 VfL Wolfsburg, Arminia Bielefeld - Werder Bremen, 1860 München - Freiburg 2:5 SC Freiburg - 1. FC Köln, Dynamo Dresden - Leipzig - Aue 3:1 n.V. Borussia Dortmund Kräutertopf Evergreen Mit diesem Topf bewässern sich die Pflanzen über einen eingehängten Filzstreifen selbst. Aus Terrakotta. Maße: 8 x 8 x 19 cm. Von Cult Design, Schweden. Allein 18.000 Seiten Akten über Doping-Guru Prof. Armin Klümper (Mitte) gilt es zu analysieren Foto: imago WAS ALLES NICHT FEHLT Eine Erhöhung: Die Nationale Antidopingagentur (Nada) plant für 2015 das Budget von 7,7 Millionen auf 10 Millionen zu erhöhen. Die Aufstockung ist notwendig, weil das Abkommen der Welt-Antidopingagentur, das 2015 in Kraft tritt, eine solche vorschreibt. Nada-Vorsitzende Andrea Gotzmann sagte: „Es kommengroßeAufgabenaufdie Nada zu. Es ergibt sich eine Vielzahl von international geforderten Auflagen. An der Finanzierung müssen sich Politik und Sport beteiligen.“ Ein Sieg: Im WM-Testspiel gewann die DFB-Elf gegen Schweden mit 2:1 (0:0). Nachdem die Schwedinnen durch Lotta Schelin (68.) in Führung gingen, gelang es Dzsenifer Marozsan (76.) und Alexandra Popp (79.) in drei Minuten, das Spiel zu drehen. Eine Sanktion: Der VfL Bochum muss eine Geldstrafe von 4.000 Euro zahlen. Das entschied das Sportgericht des DFB. In der Zweitligapartie gegen Fortuna Düsseldorf hatten Bochumer Fans gegen Ende des Spiels Feuerzeuge auf den Platz geworfen. € 2790 , 10 % Rabatt für taz-AbonnentInnen & taz-GenossInnen taz Shop Rudi-Dutschke-Straße 23 | 10969 Berlin T (0 30) 25 90 2138 | F (030) 25 90 2538 [email protected] | www.taz.de FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DAS WETTER: MYSTERIENMIX Doch Resomation ist beileibe nicht der letzte Trend der Beseitigungsszene. Dass Tote zu Diamanten gepresst oder gefriergetrocknet werden, ist in Kanada allmählich Standard. Wem das zu unspektakulär ist, der lässt sich in Karbonit einfrieren und lebt als Wandschmuck bei der Sippe fort. Eine weitere, extravagante Konkurrenz: Die Sprengbestattung, sie begeistert wohl vor allem Extremsportler, moderne Performer und religiöse Fundamentalisten. „Viele haben für ihren letzten Gang nur einen Wunsch: mit einem Knall ins Jenseits gleiten und dabei möglichst viele Unschuldige mitnehmen“, weiß Kim Kevorkian-Kusch von TNT/RIP in Montreal. Das explo- sive Verfahren ist nicht ganz billig. Aus Sicherheitsgründen werden die Zeremonien nur auf abgelegenen, eigens angemieteten Freiflächen durchgeführt; zudem braucht es Schutzbrillen, Ohropax und Regencapes. Auch der Sprengstoff kostet – logisch, dass Hinterbliebene von fülligeren Personen mehr zahlen. Auch in anderen Teilen der Welt gibt es morbide Innovationen. Das „Newspaper funeral“ des britischen Nicht-nur-Kochs Jamie Oliver ist auf der Insel Kult! Der Leichnam wird mit Knoblauch und Olivenöl eingerieben, mit Koriander, Zitronengras und rotem Chili bestreut und in Zeitungspapier eingewickelt. Dreißig Minuten auf glimmender Holzkohle liegen lassen, auswi- DIE RELIGION DER FUSSBALLISTEN Bisher dachte ich immer, Fußball sei eine tolerante und friedliche Religion. Fußball, dachte ich, existiere in Harmonie mit anderen Glaubensrichtungen. Auch wenn seine Anhänger es sich nicht verkneifen können, auf vergleichbares Gehampel wie Handball oder Volleyball mitleidig herabzuschauen. In Sure 23 heißt es: „Er ist Sport,außerdemeskeinenSport gibt. Er ist der hochheilige König, dem das Heil innewohnt. Er ist es, der Sicherheit und Gewissheit gibt, der Mächtige, Gewaltige und Stolze. Fußball sei gepriesen!“ Regelmäßig besuchen die fußballfürchtigen Gläubigen ihre Gottesdienste in Stadien: „Und ihr Gebet beim Haus ist Pfeifen und Klatschen“ (Sure 8). Ganz offensichtlich aber hat der Fußball ein Gewaltproblem. Und das nicht erst, seit 6.000 ANZEIGE Hooligans „mehrheitlich friedlich“ die Innenstadt von Köln in Schutt und Asche gelegt haben. Nein, die Gewalt gehört zum Fußball wie der Fußball zu Deutschland. Was selbstverständlich längst nicht für alle Fußballgläubigen gilt. Ich kenne mich aus, einige meiner besten Freunde sind welche. Fans von Mainz, Wolfsburg oder München, die sich für aufgeklärt halten und dennoch von den archaischen Ritualen nicht lassen können. In ihrer Bequemlichkeit machen sie sich vor, die Gewalt auf und neben dem Platz sei ein „Auswuchs“ ihrer ansonsten fairen bis barmherzigen Religion. Dabei ist sie ihr Kern. Kein Wunder, dass diese Gewalt gerade jetzt aus dem Stadion ausbricht. Gesellschaftliche Grabenkämpfe sind eben auch Grabenkämpfe. Und Freunde Der Sensenmann gibt sich in dieser Saison ein ganz neues Kleid Foto: reuters ckeln, mit Kaffernlimette beträufeln – lecker! (Serves four mourners.) Und in Südostasien spielen jetzt, in Anlehnung an die Riten der Parsen, die ihre Toten zur Vertilgung durch Geier auf VON ARNO FRANK des Ersten Weltkriegs wissen, dass sich aus dem Graben keine Gebietsgewinne machen lassen. DieInfanteriehocktdumpfinihren Unterständen, während die gegnerischen Gesinnungsgeschütze einander beharken. In Leitartikeln oder Talkshows tobt ein lähmender Meinungsstellungskrieg wie weiland 1915, als Oberstleutnant Willy Rohr den Stoßtrupp erfand. Damit brachte er wieder Bewegung in den Krieg und verhalf nebenbei dem Fußball zu seinem Siegeszug. Rohrs legendäres „Sturm-Bataillon Nr. 5“ war ein effizientes und dizipliniertes Team von Spezialisten am Maschinengewehr, Minen- und Flammenwerfer. Mithilfe konsequenten Pressings und der richtigen mentalen Einstellung sollte das zweikampfstarke Team rechtzeitig seine Leistungen abrufen und die Lücken in der gegenerischen Abwehrdurchbrechen.Undfortan war nicht mehr Schwimmen, Rudern oder Klettern angesagt. Offizieller Wehrsport wurde das Fußballspiel, dem sogar „die Offiziere sich anschließen“, wie die französischen Spione staunten. Schließlich ging es um „Kameradschaft“ und darum, „an die Stelle der Masse die Elite zu setzen“, wie SS-Obergruppenführer Felix Steiner 1939 betonte. Es ist „die Idee der Spontaneität, des schnellen Angriffs“, mit der allein sich die Verhältnisse auf dem Schlachtfeld, dem Platz oder im gesellschaftlichen Diskurs aufbrechen lassen. Ist so. Steht alles bei Friedrich Kittler. Ich will nicht fußballophob klingen. Aber ich finde, dass moderate Fans sich deutlicher von ihren radikalen Glaubensgenossen distanzieren sollten. Schweigetürmen ablegen, bei Gutbetuchten Tiere eine Rolle. Deren sterbliche Überreste jagt man durch einen Gartenhäcksler; eine seltene Schleichkatzenspezies frisst sie und scheidet sie taz.die tageszeitung Hausanschrift: Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin Postanschrift: Postf. 610229, 10923 Berlin Telefon: 030 | 25 902-0 | Internet: www.taz.de Fingerprint: 96:78:2F:71:74:A5:4E:A8:A2:39: B5:98:46:B4:4F:D0:E7:8B:63:9D Chefredaktion: Ines Pohl, Andreas Rüttenauer Chefreporter: Peter Unfried Lokalredaktionen: Nord-Hamburg: Harkortstraße 81, 22765 Hamburg, 040 | 38 90 17-0 Bremen: Pieperstraße 7, 28195 Bremen, 0421 | 96026 0 Berlin: Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin, 030 | 25 902 0 Verantwortliche i.S. des Pressegesetzes: Ines Pohl LeserInnenbriefseite: Gabriele v. Thun Anzeigen Gesamtausgabe: Margit Jöhnk Berliner Lokalteil: Bert Schulz | alle Berlin Regionalteil Nord: Jan Kahlcke | Hamburg Anzeigen: Andrea Bodirsky | Bremen Manfred Frenz | Hamburg LeserInnenbriefe E-Mail: [email protected] Fax: 030 | 25 902 516 Die Redaktion übernimmt keine Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen. Die taz und alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Alle Anbieter von Beiträgen, Fotos und Illustrationen stimmen der Nutzung in den taz-Ausgaben im Internet, auf DVD sowie in Datenbanken zu. TORSTEN GAITZSCH erscheint tägl. Montag bis Samstag, Herausgeb.: taz.die tageszeitung. Verlagsgenossenschaft eG taz Shop | Telefon: 030 | 25 902 138 Anzeigenverkauf: Überregional und Berlin taz-Anzeigenabteilung, Rudi-Dutschke-Straße 23 Tel.: 030 | 25 902 238 |-290 |-289 Fax: 030 | 25 106 94 | E-Mail: [email protected] Lokalteil Hamburg | taz Entwicklungs GmbH & Co Harkortstr. 81, 22765 Hamburg, 040 | 38 90 17 12 Lokalteil Bremen taz Entwicklungs GmbH & Co | Pieperstraße 7, 28195 Bremen, 0421 | 9 60 26 10 Verlag: taz Verlags- und Vertriebs GmbH Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin Geschäftsführer: Karl-Heinz Ruch Gesellschafter | 99,96%: taz Verlagsgenossenschaft eG, Berlin Vorstand: Andreas Bull, Kaufmann | Ulrike Herrmann, Journalistin | Jörg Kohn, Schriftsetzer | Tania Martini, Redakteurin | Karl-Heinz Ruch, Kaufmann | alle Berlin Aufsichtsrat: Astrid Prange de Oliveira, Journalistin, St. Augustin | Johannes Rauschenberger, Wirtschaftsprüfer/ Steuerberater, Stuttgart | HermannJosef Tenhagen, Journalist, Berlin Druck: Henke Pressedruck GmbH & Co. KG | 13053 Berlin | A. Beig Druckerei GmbH & Co. | 25421 Pinneberg MDV GmbH | 35390 Gießen Abo-Service: 030 | 25 902 590 9.00–1 6.30 Uhr | Mo.–Fr. Fax: 2 59 02-680 E-Mail: [email protected] Abo-Nummer nicht vergessen! Kleinanzeigen: Überregional und Berlin taz-Kleinanzeigen, Rudi-Dutschke-Straße 23 telefonisch: Mo.–Fr. 9-15 Uhr 030 | 25 902 222 Fax: 030 | 2 59 02 444 | E-Mail: [email protected] Mtl. Mindestpreis regulär 25,90 € CMY 30 Es tot sich was. Die Niederlande und Belgien diskutieren jetzt die Zulassung einer in den USA bereits praktizierten chemischen Bestattungsform namens Resomation. Wie hierzulande auch sind in unseren Nachbarländern bisher nur Erd-, Feuer- und Musealbestattung erlaubt. Die Resomation gilt bei Befürwortern als „schnelle, günstige und umweltfreundliche“ Alternative, wie die Welt schrieb. Dabei wird der tote Körper in einen dampfgarerartigen Hochdruck-Apparat gelegt und mit Kaliumhydroxid und Heißwasser besprüht. „Am Ende bleibt weißes Pulver, das in einer Urne aufbewahrt oder als Pflanzendünger eingesetzt werden kann“, erklärt Resomator-Designer John Heskes. CMY 50 FRIEDHÖFE IM HERBST Die neuen Bestattungstrends sind endlich da! aus. Die so veredelten Leichenteile kosten bis zu 1.200 Dollar pro Kilo und werden fürderhin im Haus der zahlungswilligen Familie gelagert (Tupperdose). Die deutsche Bestattungszunft steht bei diesen Entwicklungen nicht hintan, wartet bloß noch auf Gesetzesanpassungen. „Ich habe ein Patent eingereicht, das Pietät mit Nachhaltigkeit verbindet“, verspricht Unternehmer Dr. Leo Fink. „Diese ganzen alten Wäschemangeln, die im Land verstauben, will ich nachnutzen, um die sogenannte Plättungsbestattung zu etablieren. Die Idee dafür kam mir bei einem Tom-und-Jerry-Cartoon.“ Und das ist nicht Finks einzige Idee. „Für die lieben Kleinen, die ja leider auch manchmal abnippeln, sollen es ausrangierte Schrotmühlen sein“, lacht das Schwein. „Aus den Körnern lassen sich dann die Konturen der Racker nachbilden.“ Tod, wo ist dein Stachel? CMY 70 Gevatter Tod mal anders ment mit sich zu führen. Glüht der Herd, Vater anrufen und nach dem Rezept für Waldmeisterbowle fragen. Nach dem Ferngespräch Reine in die Feuerstätte schieben, dabei Altgriechisch für Anfänger studieren. Falls gutes Schuhwerk vergessen, Koffer umpacken und ein Paar Treter zuführen. So tun, als ob man Waldmeister im Haus hätte, und das Kraut zügig ins bereitgestellte Goldfischglas geben. Nicht vergessen vor der Abreise: Vater testamentarisch bedenken. Bei Abreise: Messer, Gabel, Schere, Licht ausmachen und auf Los! OneVision Software AG • Druckkontrollkeil v2.1 • ISOnewspaper26v4 Man nimmt eine feuerfeste Reine, mariniert sie beherzt mit ausgelassener Vorfreude, verkleidet sie mit allerlei Fallobst aus aller Herren Länder und überlegt sich dann, wohin die Reise geht. Anschließend üppig Baiser obenauf geben und Kofferpacken nicht vergessen. Dabei beachten: Sperrgut nach unten, Seidenblusen on top und Pullunder rollen. Den Umluftherd auf volles Rohr schalten, sich der mit Fallobst und Baiser aufgehübschten Reine erinnern, außerdem nicht vergessen, auf der Reise stets ein Ausweisdoku- K 30 Was alles so auf deutschen Autobahnen landet, wenn Laster einen Unfall haben: Gestern verlor erst ein Lkw „auf der A7 in Unterfranken 17 Tonnen Speisequark“, dann „rollten in Nordrhein-Westfalen tonnenweise Speisezwiebeln über die A30“. Hätte man das nicht besser koordinieren können? Und mittendrin noch einen Hänger mit Speisekartoffeln verunglücken lassen? Dann wäre ein ganz großes Gericht beisammen: Pellkartoffeln mit Quark und Zwiebeln. Deutsche Autobahnen: auch ohne Maut einfach lecker. K 50 GURKE DES TAGES DIE WAHRHEIT K 70 20 www.taz.de [email protected] FACEBOOK Die Sammlerin taz.berlin Lilian Masuhr hat eine Website ins Leben gerufen, auf der gepostet Geschichten des sozialen Netzwerkes erzählt werden SEITE 23 16 SEITEN TAZPLAN AM DONNERSTAG Lilian Masuhr Foto: Julia Baier FREITAG, 31. OKTOBER 2014 www.taz.de | [email protected] | fax 25 18 67 4 „Der Bezirk ist jetzt am Ende“ ANZEIGE Kottbusser Damm 72 10967 Berlin Tel. 612 60 74 Fax: 618 30 11 www.bildungswerk-boell.de FLÜCHTLINGE Monika Herrmann vollzieht die Kehrtwende: Wenn die Besetzer die ehemalige Gerhart-Hauptmann- Schule nicht verlassen, werde sie die Polizei um Räumung bitten, erklärt die grüne Kreuzberger Bürgermeisterin INTERVIEW ALKE WIERTH UND SUSANNE MEMARNIA taz: Frau Herrmann, die Besetzer sollen bis zum heutigen Freitag die Schule verlassen. Wann wird geräumt? Monika Herrmann: Wir haben das Amtshilfeersuchen an die Polizei noch nicht gestellt. Wir haben angeboten, dass sich die Leute am heutigen Freitag Hostelgutscheine abholen. Wir bieten auch Beratung dazu, was es für Möglichkeiten über das Jobcenter gibt. Es wohnen ja einige Leute dort, die eine Duldung oder eine Aufenthaltserlaubnis haben. Unsere Wohnungsangebote haben sie aber abgelehnt. Ihr Sprecher hat angedeutet, es werde diese Woche geräumt. Nein. Man muss ja so ein Amtshilfeersuchen erst einmal unterschreiben. Und wir sind immer noch sehr optimistisch, dass wir das gar nicht machen müssen. Aber wenn doch? Wenn alle Angebote abgelehnt werden, dann werden wir die Polizei um Amtshilfe bitten. Wer denn genau? Ob ich unterschreibe oder die Immobilienstadträtin, ist egal. Wir haben einen einstimmigen Beschluss des Bezirksamts. Das war im Sommer anders. Als Stadtrat Hans Panhoff damals die Polizei rief, waren Sie „Wir haben alles getan“: Bürgermeisterin Herrmann Foto: Wolfgang Borrs dagegen.Washatsichgeändert? ..................................................................................................................... Damals standen Leute auf dem Widerstand gegen Räumung Der Senat hat seine Versprechen gegenüber den FlüchtDach und haben gedroht, herun- ............................................................... lingen nicht erfüllt. Könnte der terzuspringen. Damit waren wir ■ Gleich zwei Solidaritätserkläim Bezirksamt überfordert, das rungen mit den Flüchtlingen wur- Bezirk ihnen ein Refugium lassen? ist nicht unser Alltagsgeschäft. den am Donnerstag veröffentDas ist eine Illusion. Der Bezirk Meine Einschätzung war, dass licht: Der Aufruf des Bündnisses hat über zwei Jahre sein Optiwir eventuell mit Toten zu rech- „Zwangsräumung verhindern“ mum geleistet und ist jetzt am nen haben, wenn die Polizei da kündigt Widerstand gegen eine reinmarschiert. Da habe ich ge- mögliche Räumung an. Auch in ei- Ende. Wir können das nicht finanzieren, ihnen keine Wohsagt, wir frieren den Status quo ner unter anderem vom Maxim erst mal ein, um die Eskalation zu Gorki Theater unterzeichneten Er- nung geben, keine legale Arbeit und keine Papiere verschaffen. verhindern. klärung heißt es, man werde Sie bleiben, solange ihr Status so Auch jetzt könnten Menschen „nicht tatenlos zusehen“. Die Bezu Schaden kommen. wohnerInnen erklärten am Nach- ist, wie er ist, in der sogenannten Illegalität. Alle, die sich solidaDas kann passieren, ja. Aber wir mittag, dass sie die Schule nicht risch erklären, kann ich nur aufhaben inzwischen alles getan, freiwillig verlassen werden. was man tun kann, haben alle ■ Am Mittwochabend fanden eine fordern, die Leute aufzunehmen. Angebote gemacht, die wir ma- Kundgebung und ein Solidaritäts- Würden Sie rückblickend die Besetzung des Oranienplatzes chen können. Wenn Leute da drin konzert vor der Schule statt. 170 sind, die einfach maximal kämp- Polizisten waren im Einsatz, sechs und der Schule noch einmal erlauben – wie es Ihr Vorgänger fen wollen, dann ist das ihre Ent- KundgebungsteilnehmerInnen Franz Schulz getan hat? scheidung. wurden festgenommen. (mgu) 21 Damals, ohne das Wissen von heute, war das ein logischer Schritt. Auf dem Oranienplatz lag Schnee, die Leute haben gefroren und wir hatten dieses leer stehende Gebäude, das beheizt wurde. Der Fehler, den ich im Nachhinein selbstkritisch sehe, war, dass wir es dann haben laufen lassen. Wir haben die Menschen lange sich selbst überlassen, sie sollten sich selbst organisieren. Das war auch der Anspruch der Unterstützer. Aber jeder, der WG-Erfahrung hat, weiß, wie schwierig Selbstverwaltung ist. Und vielen Bewohnern der Schule ging es nicht darum, die wollten weg von der Straße. Als Panhoff später regelmäßig hingegangen ist, hat er gesagt: Leute, ich brauche Ansprechpartner, wir brauchen ein Plenum, dies und jenes sind unsere Angebote. Aber eine richtige Zusammenarbeit war nicht möglich. Käme bei der bevorstehenden Räumung jemand zu Schaden, was wäre dann die Konsequenz? auf dem Gelände eingeplant. Es finden derzeit Gespräche mit dem Lageso und Trägern statt, denn wir können als Bezirk nicht Träger der Einrichtung sein. Was für Projekte? Mir ist wichtig, dass eine medizinische Erstversorgung in das Haus kommt. Und ich hätte gerne ein Angebot, bei dem es um Beschäftigung geht. Und gemeinnützige Träger bekämen Kredite, um das Haus entsprechend auszubauen? Ja, aber nur, was das Wohnen betrifft. Für die Projekte müssen wir andere Lösungen finden. Trotzdem wird das in den Augen der jetzigen Bewohner eins der Lager sein, die sie ablehnen. Lager ist ein politischer Kampfbegriff, den ich vom Grundsatz her auch nicht falsch finde. Es gibt Einrichtungen, die einen solchen Charakter haben. Die zwei, die wir bislang in Kreuzberg haben, unterscheiden sich aber davon. Und das, was wir hier jetzt aufbauen, unterscheidet sich noch einmal. Die Schule soll eine Art Vorzeigeeinrichtung werden? Den Ehrgeiz habe ich nicht. Aber ich möchte, dass das eine Einrichtung wird, wo die Menschen sich willkommen fühlen und sich nicht zu Tode langweilen müssen, weil sie sich nicht beschäftigen können. Und es wäre gut, wenn das Haus sich in den Kiez hinein öffnet. Der ist ja sehr solidarisch, auch wenn sich jetzt manchmal Leute aufregen. Was passiert mit den Leuten vom Oranienplatz und der Schule? Sie müssen entscheiden, ob sie zurück in das Bundesland gehen, wo ihr Verfahren läuft, oder nach Italien, wenn sie dort Aufenthalt haben. Oder sie versuchen, hier Fuß zu fassen. Das können sie aber nur, wenn ihnen Leute privat helfen. Anders haben sie keine Chance. Demokratiedefizit soziale Gerechtigkeit? Ein feministischer und verteilungspolitischer Blick auf die Krise der repräsentativen Demokratie Nancy Fraser (New School, New York City) und Uta Ruppert (Goethe Universität, Frankfurt a.M.) im Gespräch mit Ulrike Baureithel Montag, 3. November 2014, 19.00 Uhr im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin Die Teilnahme ist kostenfrei Weitere Infos unter: www.bildungswerk-boell.de Von Bullen und Ziegen KREUZBERG Tiergehege im Viktoriapark gerettet Kreuzberger Nächte sind lang und unterhaltsam, und zwar ganz besonders dann, wenn die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) tagt. Am Mittwochabend fand diese unter Polizeischutz statt. Zwei Hundertschaften sowie ein gutes Dutzend Security-Männer kontrollierten mit strenger Miene Ausweise und schickten BesucherInnen auf dem Weg zur Toilette konse„Wenn Leute da drin quent in die falsche Richtung. sind, die einfach Die letzte BVV musste schließlich vorzeitig abgebrochen wermaximal kämpfen den, weil ein Flüchtlingsunterwollen, dann ist das stützer erst laut pöbelte und dann nicht gehen wollte. ihre Entscheidung“ Dieses Mal war also vorgeWenn man ein Amtshilfeersusorgt. Gepöbelt wurde allerdings chen stellt, ist man nicht mehr trotzdem, wenn auch nicht von Herr des Verfahrens. Die Polizei Flüchtlings-, sondern von Zieentscheidet dann darüber, wie genunterstützerInnen: Ein Dutweiter vorgegangen wird. Ich zend BesucherInnen protestierte gehe davon aus, dass sie so prolautstark gegen die Schließung fessionell und mit Augenmaß des Tiergeheges im Viktoriapark, agiert, dass nichts passiert. durfte aber trotzdem bleiben. Was passiert mit der Schule „Bezirk lässt Ziegenfreunde räunach der Räumung? men“ – diese Schlagzeile wollte Wir haben ein Konzept, das für man sich wohl doch ersparen. das Haupthaus eine Frauen-, eine Stattdessen überboten sich die Männer- und eine Familienetage Bezirksverordneten gegenseitig für Flüchtlinge vorsieht. Da solin ihrer möglicherweise erst len aus den recht großen Klaskürzlich entdeckten, dafür aber senzimmern abgeschlossene umso flammenderen Ziegenlie.............................................................................. Wohneinheiten mit Appartebe. Am Ende wurde ein Antrag Monika Herrmann mentcharakter, also jeweils mit ................................................................................... auf Rettung des Geheges angeeigenem Bad und eigener Koch- ■ Jahrgang 1964, ist seit gut einommen, der Bezirk muss die gelegenheit, entstehen. Projekte nem Jahr Bürgermeisterin von Tiere nun aus ihrem Marzahner sind im Haupthaus sowie im Pa- Friedrichshain-Kreuzberg. AufgeExil auf den Kreuzberg zurückMGU villon und in mobilen Einheiten wachsen ist die Grüne in Rudow. holen. Mäh! ANZEIGE Woidke fordert Klarheit von Vattenfall AUF DER HÖHE ENERGIE Greenpeace kritisiert möglichen Verkauf der Braunkohlesparte, Gewerkschaft freut sich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat vom schwedischen Energiekonzern Vattenfall schnelle Entscheidungen zu den Verkaufsabsichten beim Braunkohlegeschäft in der Lausitz gefordert. „Offenbar bestehen in der Unternehmensführung als auch beim Eigentümer weiterhin nur vage Vorstellungen zur zukünftigen Ausrichtung des Unternehmens“, kritisierte Woidke. Vattenfall hatte angekündigt, einen Verkauf seiner Kraftwerke und Braunkohletagebaue in Brandenburg und Sachsen zu prüfen. Dafür gebe es aber noch keinen bestimmten Zeitplan, so ein Sprecher. Vattenfall betreibt alle Braunkohletagebaue in Brandenburg: Welzow-Süd, Reichwalde, Nochten und Jänschwalde. Laut Statistischem Landesamt verursachen die Kraftwerke 65 Prozent aller CO2Emissionen in Brandenburg. Greenpeace kritisierte die Verkaufsabsichten. Es sei zwar zu begrüßen, dass Vattenfall klimafreundlicher werden wolle, sagte Greenpeace-Mitarbeiter Karsten Smid. Aber dafür könne der Konzern das klimaschädliche Geschäft nicht einfach abstoßen: „Ein Verkauf löst das Problem nicht, sondern reicht es lediglich weiter.“ Nach Zählung von Greenpeace hat der Abbau von Braunkohle in Brandenburg bis- her zu 135 zerstörten Dörfern und über 27.000 umgesiedelten Menschen geführt. Ein Ausstieg aus der Braunkohle kommt für Ministerpräsident Woidke allerdings nicht in Frage. Er teilte mit, die Braunkohleverstromung bleibe nach dem Atomausstieg ein unverzichtbarer Baustein der Energiewende. Die Tagebaue seien für Wirtschaft und Arbeitsmarkt in der Lausitz auch weiterhin von größter Bedeutung. Woidke begrüßte, dass Vattenfall einen Dialog mit der Politik angekündigt hatte: „Meine Erwartung ist, dass die Unternehmensführung zügig zu Beratungen in die Lausitz kommt.“ Nach Ansicht der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie kann der Verkauf „eine neue Chance für die Beschäftigten und die betroffenen Regionen“ eröffnen. Die Bedingung dafür sei aber, dass das Braunkohlegeschäft von Vattenfall mit voller Leistungskraft, Zukunftsfähigkeit und Investitionsstärke erhalten bleibe, so der Gewerkschaftsvorsitzende Michael Vassiliadis. Er warnte Vattenfall vor einer Zerschlagung der Braunkohlesparte. Die Gewerkschaft werde sich einer „etwaigen Filetierung des Unternehmens zur Kaufpreismaximierung widersetzen“. SEBASTIAN HEISER Wirtschaft + Umwelt SEITE 8 Diagnosen zur Zeit #E Empörung Wie der Skandal im digitalen Zeitalter funktioniert Mit Bernhard Pörksen Klassische Medien büßen ihr Monopol auf Meinungsproduktion ein, politische Diskussionen verlagern sich in Blogs und Soziale Netzwerke. Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit macht aber Skandalisierung zur Pflicht. Bernhard Pörksen seziert Mechanismen der Empörungsdemokratie. Montag, 3. November 2014, 19.30 Uhr Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin I Stephan Depping, [email protected] www.boell.de 22 L FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG LOKALPRÄRIE www.taz.de [email protected] BERLIN NACHRICHTEN SONSTIGES WOHNEN SUCHE ■ Beiladungen, Umzüge, Umzugsmaterial, BRDweit, Standby, sofort umzugsbahnhof, zapf.de ☎ 0800 61 61 612 ■ taz-Mitarbeiterin sucht 1 bis 2 Zimmerwohnung gerne mit Balkon. Bevorzugte Bezirke: Schöneberg, Tempelhof, Wedding. ☎0176-72446664 ARBEITSLOSENQUOTE KUNDGEBUNG VON HOOLIGANS AM BRANDENBURGER TOR Zahl weiter gesunken Henkel ist für ein Verbot der Demonstration Die zuletzt gedämpfte konjunkturelle Stimmung hat sich noch nicht auf den Berliner Arbeitsmarkt niedergeschlagen: Die Arbeitslosenquote sank im Oktober auf den niedrigsten Stand seit 1997 gemäß der aktuellen Berechnungsgrundlage. Die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit meldete am Donnerstag 195.425 Erwerbslose. Das entspricht einer Quote von 10,7 Prozent. Im Vormonat lag die Quote noch bei 10,8 Prozent, vor einem Jahr bei 11,2 Prozent. Damit waren im Oktober 2.575 Berliner weniger ohne Beschäftigung als im September und 6.387 weniger als im Oktober 2013. (dpa) Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) will nach den Hooligan-Krawallen in Köln eine ähnliche Demonstration in der Hauptstadt verhindern. „Wir werden jedenfalls alles tun, um zu einem Verbot zu kommen“, sagte er am Donnerstag im ZDF„Morgenmagazin“. Die Versammlungsbehörde solle intensiv prüfen, ob ein Verbot möglich sei. „Ich möchte vor allem solche Bilder wie in Köln nicht noch einmal erleben.“ Die rechte Hooligan-Szene will nach den Ausschreitungen in Köln mit vielen Verletzten auch in Berlin gegen Islamisten auf die Straße gehen. Laut Behör- den wurde für den 15. November eine Kundgebung mit rund 1.000 Teilnehmern am Brandenburger Tor angemeldet. In sozialen Medien verabreden sich laut Senator Henkel jedoch deutlich mehr Teilnehmer für das Treffen. Er sei sich der juristischen Risiken und der Debatten in Deutschland bewusst, sagte Henkel. Man laufe Gefahr, dass solche Gruppierungen aufgewertet werden, sollte ein Verbot scheitern. Zudem sei das Versammlungsrecht ein hohes Gut. Andererseits stelle sich die Frage, ob die Ereignisse in Köln etwas mit Demonstrationsfreiheit zu tun gehabt hätten. (dpa) URTEIL ZUR KASTANIENALLEE Freie Fahrt für Radler Das Verwaltungsgericht hat in einer am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung die Radwegebenutzungspflicht für die Kastanienallee in Prenzlauer Berg aufgehoben. Immer wieder war es dort zu Konflikten gekommen, weil Radfahrer im Bereich der Tram-Haltestellen vorschriftsmäßig den Fahrradweg benutzten. Der rund ein Meter breite Radweg verläuft genau zwischen Wartehäuschen und Bordsteinkante – schnell fahrende Radler erschreckten oft auf die Tram wartende Fahrgäste. Wird das Urteil rechtsgültig, können die Radfahrer hier wieder auf der Straße fahren. (ah) Internetverbot für Ordnungsamt DATENSCHUTZ Das Verbot von Ferienwohnungen steht auf der Kippe: Die Bezirke dürfen nicht auf den einschlägigen Internetportalen nach illegalen Angeboten suchen 21. Internationales Theaterfestival Potsdam 28.Oktober -- 01.November 2014 unidram Die Bezirke werden in Zukunft wohl nach neuen Wegen suchen müssen, um illegalen Vermietern auf die Spur zu kommen Foto: Paul Langrock/Zenit VON RAINER BALCEROWIAK Tickets unter 0331-719139 | www.unidram.de | www.t-werk.de Bezirken zu melden, um eine befristete Übergangsgenehmigung für zwei Jahre zu erhalten. Von dieser Möglichkeit machten allerdings nur rund ein Drittel der Betreiber Gebrauch. Bis Ende September gab es insgesamt 6.000 Meldungen, teilweise in Form von Bürgerhinweisen, aber auch durch Antragsteller, die um eine Nachfrist baten. Daher wollten die Bezirke nunmehr die einschlägigen Internetportale systematisch durchforsten, um ille- „Die ganze Welt nutzt das Internet, und wir dürfen das nicht“ Mit einem Paukenschlag durchkreuzt der Landesdatenschutzbeauftragte das Verbot von Ferienwohnungen, das Berlin nach STADTRAT STEPHAN VON DASSEL jahrelanger Debatte beschlossen hatte: Er hat verfügt, dass die Bezirke nicht im Internet nach den galen Anbietern auf die Spur zu dort angebotenen Ferienwohkommen. Von Dassel hatte daher angeregt, dass ein Auftrag für ein nungen suchen dürfen. Damit können die Bezirke das Verbot Programm ausgeschrieben werfaktisch nicht mehr durchsetzen, de, das diese Daten ermittelt und erklärte der im Bezirk Mitte für zuordnet, da bei vielen Angeboten Vermittler wie AirBnB und Soziales und Bürgerdienste zu............................................................................ HouseTrip zwischengeschaltet ständige Stadtrat Stephan von Ferienwohnungen Dassel (Grüne) am Donnerstag. .................................................................. werden. Jetzt muss das Abgeordneten- ■ Das Gesetz über das Verbot der Doch Paragraf 5 des Gesetzes, das die Ferienwohnungen verhaus das Gesetz nachbessern. Zweckentfremdung von WohnMit dem Gesetz sollte vor al- raum trat am 1. Januar 2014 in bietet, erlaubt nur die Datenablem die Nutzung von Mietwoh- Kraft und wurde am 1. Mai rechts- frage bei Bürger-, Wirtschaftsnungen als Ferienwohnungen wirksam. und Grundbuchämtern, im Hanunterbunden werden. Dies sollte ■ Mit dem Gesetz werden sowohl delsregister und bei der Investiden Mietmarkt entspannen und die Nutzung von Miet- als Ferientionsbank Berlin. Auf Nachfrage, so der Stadtrat, habe man ihm Preissteigerungen entgegenwir- wohnungen als auch längerer bei der Senatsverwaltung erklärt, ken. Senat und Bezirke gehen da- Wohnungsleerstand untersagt. diese Aufzählung sei „abschlievon aus, dass es in Berlin rund Restriktionen gibt es auch für anßend“, eine Nutzung von Inter12.000 Wohnungen gibt, die un- dere Formen gewerblicher Nutnetdaten scheide daher aus. ter das Verbot fallen. Rund 4.000 zungen. Von Dassel stellt sich jetzt die sollen es allein im Bezirk Mitte ■ Für Besitzer, die die Zweckentsein, auch in Friedrichshain- fremdung anzeigten, gilt ein zwei- Frage, ob dies „Absicht oder DiKreuzberg, Pankow und Charlot- jähriger Bestandsschutz, allen an- lettantismus“ bei der Formulietenburg-Wilmersdorf gibt es deren kann die Nutzung untersagt rung des Gesetzes gewesen sei. „Die ganze Welt nutzt das Interüberdurchschnittlich viele sol- werden. net, um Ferienwohnungen zu becher Angebote für Touristen. ■ Erfasst wurden bislang rund Bis zum 31. Juli hatten die Feri- 6.000 Meldungen über Zweckent- treiben und zu nutzen, und wir enwohnungsanbieter die Mög- fremdungen, die Dunkelziffer wird dürfen das nicht.“ Nicht einmal Printmedien könnten herangelichkeit, die Wohnungen bei den auf 50 Prozent geschätzt. zogen werden. Das sei „bizarr“. Während die illegalen Anbieter nun darauf hoffen könnten, bis auf Weiteres unentdeckt zu bleiben, seien diejenigen, die ihre Wohnungen gemeldet haben und lediglich eine zweijährige Übergangsfrist erhalten, „die Gelackmeierten“. Der Stadtrat hat sich in dieser Angelegenheit schriftlich an den zuständigen Senator für Stadtentwicklung, Michael Müller (SPD), sowie an die wohnungspolitischen Sprecher aller Fraktionen im Abgeordnetenhaus gewandt, bislang aber keine Rückmeldung erhalten. Von Dassel fordert, dass das Gesetz so schnell wie möglich rechtssicher nachgebessert wird, da andernfalls das Verbot von Ferienwohnungen faktisch nicht möglich sei. Eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bestätigte auf taz-Nachfrage den Eingang des Schreibens. Man werde die Problematik prüfen, teilte sie mit. Dabei gehe es sowohl um mögliche Hemmnisse bei der Durchsetzung des Verbots als auch um Belange des Datenschutzes. Für die Betreiber von illegalen Ferienwohnungen dürfte dies eine gute Nachricht sein: Sie haben erst mal nichts zu befürchten. BERLIN www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 23 „Was macht Facebook im Alltag mit uns?“ WORLD WIDE WEB Lilian Masuhr hat mit bluestory.de eine Website ins Leben gerufen, auf der Menschen Geschichten über sich erzählen, die ohne das soziale Netzwerk nie passiert wären. Sie will damit zeigen, wie sehr das Unternehmen unser aller Leben beeinflusst INTERVIEW KLAAS-WILHELM BRANDENBURG taz: Frau Masuhr, Sie schreiben auf bluestory.de: „Liebes Facebook, seit 10 Jahren bin ich in Dich verliebt.“ Geht es Ihnen wirklich so? Lilian Masuhr: Die 10 Jahre kommen daher, weil es Facebook mittlerweile so lange gibt. Aber sonst ist das ja eine fiktive Lilian, die da schreibt: „Ich wache morgens auf, und manchmal bin ich direkt am Rechner dran, noch bevor ich mir einen Kaffee mache.“ Weil das ja viele Leute auch so machen. Das heißt: Man ist so nah mit einer Sache, als ob es eine Person wäre. Und man will unbedingt wissen, was da alles passiert, dass es fast wie ein Verliebtsein ist: Man will alles miteinander teilen, man hat diese Glücksgefühle und es hat so einen wahnsinnigen Stellenwert, und es ist ja auch die ganze Zeit in unseren Gedanken. Auch in Ihren? Ich habe da eine Entwicklung durchgemacht: Ich war am Anfang sehr fasziniert von Facebook, denn ich mag es, mich auszutauschen. Aber ich habe sehr schnell für mich entdeckt, was mir da gefällt und was nicht. Ich würde zum Beispiel keine zu persönlichen Sachen erzählen, sondern mache mehr auf der neutralen, informativen Ebene. Ich habe auch Zeiten, wo ich so gut wie nie auf Facebook bin, am Wochenende zum Beispiel. Und ich gehe auch mit meinem Smartphone nur selten ins Internet. Wie kamen Sie auf die Idee, ausgerechnet über die Webseite Facebook eine Webseite zu machen? Mir schwirrte schon lange die Frage im Kopf: Was macht Facebook eigentlich im Alltag mit uns? Mit Freunden und Bekannten habe ich darüber unglaublich viele Gespräche geführt. Im Januar gab es dann die Konferenz „Einbruch der Dunkelheit“ in der Volksbühne, da ging es um Snowden und die NSA. Viele Wissenschaftler, Aktivisten, Experten für Netzpolitik waren da, und alle sagten am Ende: Wir müssen jetzt was machen, wir müssen unsere Daten schützen! Aber wir sind ja immer noch weiter auf Facebook – und das blieb dann so im Raum stehen. Dann kam zufällig auch noch das zehnjährige Jubiläum von Facebook, und da dachte ich: Jetzt müssen wir, bevor die Leute doch letztendlich aus Facebook austreten, noch schnell alle Geschichten sammeln, die wir dort erleben! Was macht Facebook für Sie so interessant? Ich bin seit sechs Jahren bei Facebook, und bei meiner aktuellen Arbeit für Leidmedien.de bin ich quasi auch Social-Media-Managerin, wie man das so nennt. Da nutze ich Facebook als Raum, um Menschen mit und ohne Behinderung zusammen zu bringen, und finde das eine große Chance. Vielleicht habe ich durch mein Kulturwissenschaftsstudium angefangen, auch nochmal die Metaebene zu reflektieren. Und es ist mir einfach aufgefallen, dass in jedem Gespräch, das ich mit irgendwem führe, Facebook immer das Thema ist, immer! Und es stellen sich durch Facebook natürlich ganz neue Fragen. Welche denn? Mein Exfreund und ich, zum Beispiel, wir haben uns nach der Trennung auch auf Facebook die Freundschaft gekündigt, aber gleichzeitig haben wir immer noch 50 gemeinsame Freunde. Unsere Freunde kriegen jeweils das aus dem Leben der oder des einen mit, aber wir nicht voneinander. Und das gab es halt früher nicht. Früher hat man den Exfreund vielleicht irgendwo getroffen, aber auf Facebook kriegen jetzt alle meine Freunde jeden Tag mit, was er macht. Und „Ich sammle Alltagsgeschichten, Emotionen, Begegnungen“ LILIAN MASUHR, BLUESTORY.DE das ist irgendwie absurd: Der Schnitt ist da, zwischen ihm und mir, aber nicht zwischen allen Freunden. Und ich würde auch nie sagen: Hey, kündigt dem mal die Freundschaft oder so! Auf Ihrer Webseite sammeln Sie Geschichten, die ohne Facebook so nicht passiert wären. Welche ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? Eine, wo ein Mädchen eigentlich bloß einem alten Freund, mit dem sie schon länger keinen Kontakt mehr hatte, auf Facebook zum Geburtstag gratulieren wollte. Also schreibt sie ihm an die Pinnwand. Als sie am nächsten Tag wieder auf Facebook ist, hat sie eine private Nachricht von einem Unbekannten: Er schreibt, das Geburtstagskind sei schon Anfang des Jahres gestorben, in der Dusche gestürzt. Das ist natürlich ziemlich heftig. Was sind das für Menschen, die Ihnen solche Geschichten schicken? Die meisten wollen anonym bleiben, auf Wunsch ändere ich auch den Namen. Aber ich habe jetzt auch drei Leute gehabt, Freunde .......................................................................................... und Bekannte von mir, die gesagt Bluestory.de ...........................................................haben: Ich möchte es mit meinem Namen. Die teilen es dann ■ Seit Anfang dieses Jahres samwieder auf ihren Kanälen. Ich melt Lilian Masuhr auf bluestoglaube, jede und jeder einzelne ry.de Geschichten, in denen das kann eine Blue Story erzählen. soziale Netzwerk Facebook eine Das sind ja keine großen RomaRolle spielt. Außerdem gibt es Videos, Texte von anderen Medien ne, sondern Situationen, die jede und jeder mal erlebt hat. und kurze Gedanken, die sich kriSind Sie manchmal erstaunt, tisch mit Apps, sozialen Netzwerwie freimütig Menschen über ken und ihrer Wirkung auf unser sehr intime Sachen erzählen, alltägliches Leben auseinandersobaldesaufFacebookpassiert? setzen. Ja. Und witzig ist, dass die Leute, ■ Die Macherin Lilian Masuhr (29) die jeden kleinen Gedanken, den ist Journalistin und arbeitet seit sie haben, auf Facebook posten, zwei Jahren für die NGO „Sozialdiejenigen sind, die mir keine helden“. Dort ist sie ProjektleiteBlue Story schreiben wollen. Die, rin von Leidmedien.de – einer Webseite, die sich kritisch mit der die die ganze Zeit da drin sind, Berichterstattung über Menschen schaffen es also nicht, rauszutremit Behinderungen auseinander- ten. Oder sie wollen es einfach setzt. Nebenbei studiert sie Kultur- nicht. Wenn Sie Leute auffordern, Ihwissenschaft und französische nen Geschichten zu schicken, Philologie an der Uni Potsdam. machen Sie damit nicht genau dasselbe wie Facebook: Intimität ins Öffentliche tragen? Es ist ja in dem Sinne nicht ganz so intim, weil es anonym ist. Und es ist ja nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Leben einer Person. Namen anderer Leute werden auch nicht erwähnt. Dadurch geht es eher um das Gefühl und die Situation, die Atmosphäre, die Gedanken – die ja lustigerweise so viele von uns haben! Wenn ich selbst diese Geschichten lese, denke ich manchmal: Das ist mir auch schon mal passiert! Und das ist eigentlich das, was ich möchte: dass man nicht so das Individuelle sieht, sondern sich selber wiedererkennt und sagt: Da geht’s mir genauso wie der oder dem anderen. Haben Sie nicht Angst davor, dass Sie mit bluestory.de letztendlich selbst Werbung für Facebook machen? Nein. Die Geschichten sind bisher meist eher negativ – da geht es viel um Sachen, die Leute sehr bewegt haben, und die eben nicht Facebook glorifizieren. Neben den Geschichten sammle ich auch Artikel und Videos, die kritisch sind. Mich hat mal jemand per E-Mail gefragt, der nicht bei Facebook arbeitet, ob ich Lust habe, für Facebook zu arbeiten, und ob es das ist, was ich eigentlich will. Das ist aber gar nicht meine Absicht. Mir geht es darum, diese Geschichten zu sammeln, die eigentlich die Gefühle von Menschen zeigen, wenn sie auf Facebook sind. Facebook hat selber auch eine Webseite, wo Geschichten gesammelt werden, und ich möchte mich echt davon abgrenzen, weil die Geschichten, die dort erzählt werden, Erfolgsstorys sind: wie Facebook geholfen hat, Menschen wieder zusammenzubringen, zum Beispiel. Ich dagegen will die Alltagsgeschichten, die kleinen Emotionen, die kleinen Begegnungen zeigen. Also haben Sie eine Mission? Nein, gar nicht! Und wenn ich ein Video poste, heißt das auch nicht, dass ich das gut finde. Ich sammle das einfach und stelle das zur Diskussion. Ich fühle mich da eher wie eine Kuratorin. Wie soll es mit bluestory.de weitergehen? Ich möchte auf jeden Fall noch viel mehr Geschichten sammeln. Und ich wünsche mir, dass mehr Leute von dem Projekt erfahren, damit auch unterschiedlichste Leute und nicht nur Menschen, die ich auch irgendwie kenne, Geschichten schreiben. Geld verdienen will ich damit auf jeden Fall nicht. Das ist für mich einfach eine Sache, die mich interessiert. Es kann auch sein, dass das Projekt irgendwann vorbei ist. Aber die Idee ist da, das Projekt steht da, die Geschichten sind gesammelt, darum geht es eigentlich, und im Moment glaube ich noch nicht, dass es aufhört. Selbst ich könnte wahrscheinlich noch ganz viele Geschichten erzählen, die ich irgendwann noch alle aufschreiben werde. Und wenn irgendwann keine neuen Geschichten mehr kommen? Dann soll bluestory.de einfach weiter im Internet stehen. Facebook provoziert das ja so, dass man ständig was Neues bringen muss und sich da fast schon Druck macht. Aber diesen Druck will ich mir gar nicht machen. Die Sachen, die da sind, sind ja auch weiter da. Gibt nichts Persönliches auf Facebook preis, sucht dort aber Geschichten: Lilian Masuhr Foto: Julia Baier ANZEIGE GASTRO GUIDE Neu: Der Gastro Guide für jede Tageszeit Jetzt am Kiosk oder online unter www.tip-berlin.de/shop NUR 9,90 € tip-berlin.de 24 www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG BERLIN | kultur Dada Tribalismus KONZERT Super in Sachen Style und Stimmführung – Dakha Brakha aus Kiew im proppevollen Badehaus VE RWEIS No Signs of Crime Der Kehrer Verlag aus Heidelberg unterhält inzwischen eine schöne Galerie in der Potsdamer Straße 100. Dort ist noch bis zum 30. November „Postcards from Europe 10/ 14“ von Eva Leitolf zu sehen, ihre fotografische Langzeituntersuchung zum Umgang der europäische Staaten mit den Außengrenzen der Europäischen Union und den damit verbundenen Konflikten im Inneren. Im Künstlergespräch mit dem Konstanzer Literaturwissenschaftler und ausgewiesenen Fotospezialisten Bernd Stiegler heute Abend um 19 Uhr fragt sie, wo die Grenzen der Darstellbarkeit in Bild und Text liegen können oder gar müssen: Welches Bild ist adäquat, welcher Text informativ und wo beginnt die mediale Manipulation? BERLINER SZENEN FUTTERLUKE REUTERKIEZ Samstags im Sudan Der junge Mann hinter der Theke ist vielsprachig. „Sandwich Makali? Come with grilled tofu and vegetables“ – „Si, hay fritz-kola“ – „Cinq euros fifty, danke.“ Der Neuköllner Imbiss mit Gastrofokus Sudan ist an diesem fortgeschrittenen Sonnabend Futterluke für Kiezbewohner und Touristen. Sie machen Selfies vor einem Dattelpalmenplakat oder fotografieren eine beige Pappkiste mit der Aufschrift „Luxus-Servietten, 33cm x 33cm – 1/4-Falz“. Zwei astreines Hinglish sprechende Youngsters sprechen über ihre akute Wohnsituation. „It’s so cold, it’s so cold in our flat, is the heater on?“, fröstelt der eine. „No, but sooner or later – yes“, stellt der andere lakonisch fest. Während er isst, wischt er jedes einzelne Stück Tofu mit einer Serviette ab, bevor es in den Mund kommt und anschließend sehr lange gekaut wird. Der eine ist derweil schon fertig und flirtet mit seinen glänzenden Augen eine Ganzkörpertätowierte an. Die betrachtet ihn mit dem Blick eines hurtigen Eichhörnchens, das eine kurze Verschnaufpause auf dem Sprung von Ast zu Ast macht, dann tippt sie auf ihrem Telefon It’s so cold, it’s so cold in our flat, is the heater on? herum. Der Getränkekühlschrank röhrt vor sich hin, die Luft im Imbiss nimmt ab. Ein Spanisch sprechender, graubärtiger Gartenzwerg mit Baumwollzipfelmütze sucht nach der passenden Grundierung für eine Leinwand; der lienzo sei widerspenstig, widersetze sich im Atelier seinen Zähmungsversuchen. Und im Übrigen sei ihm zum 1. Januar gekündigt worden, ob man was wisse, einen Arbeitsraum unter 500 Euro hier im Reuterkiez? Sein Gegenüber zieht die Augenbrauen hoch, es sieht aus wie eine versuchte Grimasse. Am Nebentisch hat sich eine vom zeitgenössischen Styling her alles richtig machende Frau niedergelassen. „Er ist witzig, der Ben“, textet sie in ein Headset hinein, „wenn er so ist, wie er ist, nicht er, also sozusagen situativ. Schon ein krasHARRIET WOLFF ser Typ.“ Szene aus „Rosa de Areia“ (1989), einem völlig abstrakten, experimentellen und antinarrativen Film Foto: Arsenal Entrückte Welt hinter nordöstlichen Bergen FILMREIHE Das Kino Arsenal zeigt „Im Zeit-Kontinuum – Die Filme von António Reis und Margarida Cordeiro“ und damit fünf ganz wesentliche Werke des portugiesischen Cinema Novo VON LUCAS FOERSTER Wovon die Filme von António Reis und Margarida Cordeiro, denen das Kino Arsenal ab morgen eine Retrospektive widmet, handeln, kann man nach dem Verlassen des Kinos nicht immer exakt ausmachen. Eines jedoch bleibt stets deutlich in Erinnerung: eine Landschaft. Trás-osMontes, wörtlich übersetzt „hinter den Bergen“, heißt die bis heute nur dünn besiedelte, landwirtschaftlich geprägte Gegend im Nordosten Portugals, der Reis und Cordeiro ihr schmales, aus lediglich drei Langfilmen bestehendes Hauptwerk gewidmet haben. Der erste der drei (entstanden 1976) trägt gleich denselben Namen wie die Region, auch die beiden Nachfolger, „Ana“ (1982) und „Rosa de Areia“ (1989) werden dominiert von Panoramaaufnahmen einer grünbräunlichen Weite, in der die wenigen Menschen, die sie bewohnen, wie kaum signifikante Besucher wirken. Reis und Cordeiro bedienen sich dabei zwar des Modus der Fiktion, ihre Filme fügen sich jedoch nicht in die geschlossene Form des Spielfilms, führen einen nicht zügig von A nach B, sondern versetzen einen in tranceartig entschleunigte Möglichkeitsräume. Ana zum Beispiel beschreibt in Bildern von fast schon majestätischer (dabei aber nie prunkvoll verkitschter) Schönheit die letzten Tage im Leben einer alten Frau, die Erinnerungen der Sterbenden vermischen sich mit ethnologischen Diskursen und Rilke-Gedichten. Insbesondere „Trás-os-Montes“ und „Ana“ zählen zu den Schlüsselwerken des sogenannten Cinema Novo, einer Erneuerungsbewegung, die eng verbunden ist mit dem politischen Umbruch im Portugal der 1970er Jahre. Politisch besonders explizit ist „Jaime“, die erste gemeinsame filmische Arbeit des Duos. Dieser mittellange Dokumentarfilm entstand unmittelbar vor der sogenannten Nelkenrevolu- tion, die 1974 ein totalitäres Regime beseitigte, das zuvor 48 Jahre lang die Politik des Landes bestimmt hatte. Reis und seine hier noch als Regieassistentin geführte Ehefrau Cordeiro porträtieren einen unlängst verstorbenen Insassen einer psychiatrischen Klinik, auf den Cordeiro während ihrer Arbeit als Psychiaterin gestoßen war. Genauer gesagt, macht der Film sich auf die Suche nach Spuren, die dieses eine periphere Leben in der Welt hinterlassen hat – und findet dabei ANZEIGE Nur noch 3 Ta ge unter anderem bizarre, klaustrophobisch anmutende Zeichnungen, in denen der psychisch Erkrankte über Jahrzehnte hinweg seine Isolation verarbeitet hatte. Sehr unmittelbar sprechen diese Zeichnungen, spricht Jaime auch von den endlosen, bleiernen Jahren der Diktatur. Auch die späteren, längeren Arbeiten sind politisch ambitio- Auch die späteren, längeren Arbeiten sind politisch ambitioniert – aber emphatische Zeitgenossenschaft und die Teilhabe an aktuellen Kämpfen interessieren sie kein bisschen niert – aber emphatische Zeitgenossenschaft und die Teilhabe an aktuellen Kämpfen interessieren sie kein bisschen. Den Filmen ab „Trás-os-Montes“ geht es gerade nicht darum, zu zeigen, was nach der Revolution kommt; die (inzwischen wieder krisenhafte) urbane Moderne jenes Portugals, das nach der Nelkenrevolution schnell den Weg in die Europäische Union gefunden hatte, ist dem Kino von Reis und Cordeiro zutiefst fremd. Stattdessen bleiben Reis und Cordeiro der archäologischen Methode von „Jaime“ treu, auch wenn sie in den späteren Werken nicht mehr von einzelnen Menschen, sondern eben von einem Ort ausgehen: Sie tasten den damals von allen Modernisierungsantrengungen noch weitgehend unberührten portugiesischen Nordosten, diese weltabgewandte Welt hinter den Bergen, nach Spuren verschütteter Erzählungen, Erinnerungen, Mythen, historischer wie individueller Leiden ab, nach Spuren, die teilweise weit hinter die Salazar-Diktatur zurückreichen. Diese Methode findet ihre Entsprechung in den Landschaftsaufnahmen. Die offenbaren weniger einen Ort, der aus der Zeit gefallen ist, als dass sie dem Betrachter eine eigene Zeitlichkeit aufdrängen, die mit der Zeitlichkeit der Moderne, insbesondere mit deren Gegenwartsbesessenheit, wenig gemein hat. Und der man auch ansonsten ansieht, dass sie auf die Menschen im Zweifelsfall gut verzichten könnte. Etwas Schroffes hat diese Landschaft, wenn der Wind durch die Gräser weht, erinnert sie mit ihren Hügeln und nackt aus der sonst üppigen Vegetation ragenden Felskuppen an ein wildes, unschiffbares Meer. Immer wieder filmen Reis und Cordeiro diese Wiesen und Felsen von oben, entrücken sie damit erst recht jeglichem menschlichen Maßstab. ■ Bis 9. 11., www.arsenal-berlin.de/ kino-arsenal/programm Man sieht es auf den ersten Blick, die Band Dakha Brakha hat was Spektakuläres. Man kann diesen Schauwert sogar messen. Schätzungsweise sechzig Zentimeter hoch sind die riesenhaften Fellmützen, die sich die drei Frauen bei den Auftritten des Ensembles auf den Kopf stülpen. Ein echtes Ausrufezeichen. Ein ins Extrem gesteigerter Fingerzeig auf einen folkloristischen Fundus genauso wie schieres Dada. In Sachen Stylefragen ist das vor zehn Jahren gegründete und auch mit einem Avantgardetheater verbandelte Ensemble also schon mal weit vorn. Nur der Mann des Quartetts verzichtet auf dieses traditionell mal wohl eher den Männern zugeordnete Mützenaccessoire. Mit einem trockenen „We are Dakha Brakha from free Ukraine“ begrüßte er am Mittwochabend das Publikum im dicht gedrängten Badehaus auf dem RAW-Gelände. Und das war so proppevoll, weil es sich doch herumgesprochen hat, dass man es bei den Vieren nicht einfach nur mit einem netten neuen Musikantenstadl aus dem Weltmusikregal zu tun hat. Allein im vergangenen Jahr wurde Dakha Brakha (oder auch – in anderer Transkription aus dem Kyrillischen – Dracha Bracha) bei so Bescheidwisseroder einfach großen Popfestivals wie Sziget, Transmusicales Rennes, Roskilde oder dem FusionFest herumgereicht. Wilde Schönheit Diese Bandbreite an Auftrittsorten zeigt aber schon an, dass man es bei Dakha Brakha mit einer Band zu tun hat, die alle, die sich vielleicht mit Le Mystère des Voix Bulgares als Einstiegsdroge am liebsten mit den wilden Schönheiten der Balkanmusiken beschäftigen, interessieren muss – und eben auch die, die sich eigentlich mehr mit experimentellem HipHop beschäftigen. „Minimal Ethno“ oder „Psycho-Folk“ und „Acoustic TripHop“ sind so Stichworte, mit de- nen man versucht hat, die Musik des Ensembles einzufangen. Eine Stilvielfalt, die erst mal die traditionellen ukrainischen Lieder und Melodien zum Ausgangspunkt nimmt, und auch ernst genug, als Material, um nicht nur beim Ausgangspunkt stehen zu bleiben und in einer irgendwie getreuen Wiedergabe dieser Lieder und Melodien zu verharren. Dakha Brakha wollen sich keineswegs ins Folkloremuseum singen – obwohl sie auch da, wie im Badehaus zu hören war, allemal einen höchst respektablen Platz einnehmen könnten. Hier geht es um Anverwandlungen und Einverleibungen, um Allianzen und Ausblicke. Mit einem in der Tradition rückversicherten Instrumentarium – Akkordeon, traditionelle Tröten, ein Cello. Im Schlagen der Trommel hörte man im Badehaus tribale Musiken genauso wie Four-to-thefloor-Markierungen. Archaik und moderner Tanzboden, vor allem im Gesang. Da war dieser kehlige Gesang, die strahlenden und sehnsüchtigen Melodien der slawischen Folklore, man hörte wilde Jauchzer, ein Glucksen und Schnattern. Das konnte mal nach dem eigenartigen Gesang der Pygmäen klingen, nach einem ausgelassenen Kindergeburtstag oder eben nach einer überdrehten HipHop-Session. Ein singendes Schwatzen. Rede. Widerrede. Anrufungen. Bestätigende oder auch bestreitende Erwiderungen, die sich um die stimmführende Melodie rankten, wie man das auch vom Barbershop-Gesang oder Gospel kennt, diese kommunikative Struktur des Singens. Mit dem Auskosten dieses Prinzips kommt man eben wie bei Dakha Brakha auch ohne fades Crossover von Folklore zum HipHop. Und wieder zurück zu einer soghaften Musik, in der man sich im Badehaus ganz gegenwärtig verlieren konnte. Vergangenheitsgesättigt, der Zukunft nicht bang. THOMAS MAUCH ANZEIGE taz.nord WIE MUSIK ENTST EHT WIE MIKROPLAST IK DAS WASS ER VERGIF TET Ehrgeizige Jugend Gefährliche Teilchen In Bremen erarbeiten sich 90 jugendliche MusikerInnen aus 13 Ländern in nur einer Woche ein äußerst anspruchsvolles Programm – mit Schostakowitsch statt Beethoven. Ein Probenbesuch beim Internationalen Jugendsinfonieorchester Selbst über das Zähneputzen muss man sich heutzutage aus ökologischer Sicht Gedanken machen. Einige Pasten enthalten schmirgelnde Plastik-Partikel, die die meisten Kläranlagen nicht herausfiltern können. Das Mikroplastik gelangt ins Wasser und schadet den Organismen, die es trinken SEITE 22 Foto: dpa SEITE 23 FREITAG, 31. OKTOBER 2014 21 Abo 030 - 259 02 - 590 | Hamburg 040 - 38 90 17 - 0 | [email protected] | [email protected] | Bremen 0421 - 960 26 - 0 | Hannover 0511 - 89 70 05 - 20 | [email protected] Bei der Bremer Tafel wird das Brot nicht immer mit allen geteilt, so der Vorwurf: Flüchtlinge kommen jetzt aber nur noch vereinzelt Foto: dpa Almosen doch nicht nur für Deutsche NOTHILFE Eine Mitarbeiterin der Tafel Bremen hat über einen Aufnahmestopp von Flüchtlingen an den Ausgabestellen berichtet. Der Vorstand dementiert dies. Der Fall verweist auf Versorgungsprobleme und Grundsatzfragen der Armutsbekämpfung VON GARETH JOSWIG Verteilt die Bremer Tafel Almosen zuerst an Deutsche? Unter der Berufung auf eine Mitarbeiterin berichtete die dpa, dass die Tafel bis zum Jahresende einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge verhängt habe. Der Vorstand der Tafel dementiert das. Wegen des erhöhten Andrangs hätten seine Mitarbeiter mit der Leitung der FlüchtlingsErstunterkunft in Bremen gesprochen, sagt Oskar Splettstößer, der Vorsitzende der Bremer Tafel. Dabei sei vereinbart worden, dass die Flüchtlinge von der Tafel keine Unterstützung erhielten, da sie in der Unterkunft voll versorgt würden. Seitdem den Asylbewerbern dort erklärt worden sei, dass es bei der Tafel für sie keine Unterstützung gebe, habe sich die Situation beruhigt, sagt Splettstößer. Die Tafel verteilt Lebensmittelspenden von Supermärkten und Großhändlern an Bedürftige. Dabei sei es in jüngster Zeit zu Konflikten zwischen „alten und neuen Kunden“ gekommen, sagt der Landesvorstand der Tafeln Niedersachsens und Bremens, Karl-Heinz Krüger. Es gebe eine „erkennbar steigende Tendenz von Flüchtlingen“ an den Ausgabestellen, sagte er der dpa. Wegen sprachlicher Barrieren sei es nicht einfach, den Flüchtlingen zu erklären, dass die Tafeln keine staatlichen Einrichtungen seien, in denen Ansprüche geltend gemacht werden könnten. Der taz bestätigte er seine Aussagen. Im Leitsatz der Tafeln heißt es: „Die Tafeln helfen allen Menschen, die der Hilfe bedürfen.“ Offiziell ist dieses Bedürfnis allerdings nachweispflichtig: Um eine Berechtigungskarte für die Lebensmittelausgabe zu erhal- ten, benötigt man beispielsweise eine Bescheinigung über Hartz IV. Über diesen Weg seien allein seit August 180 Asylbewerber und ihre Familien bei der Bremer Tafel aufgenommen worden, sagt Splettstößer. Wenn überhaupt, gebe es in Notlagen einen generellen Aufnahmestopp. Und selbst dann würde niemand ohne Lebensmittel nach Hause geschickt, versichert der 80-jährige Ehrenamtler. Wie der dpa-Bericht zustande gekommen sei, könne er sich nur mit der Formel „stille Post“ erklären. Die dpa betont allerdings die Richtigkeit der Aussage. Wie Splettstößer sagt, kommen die Flüchtlinge jetzt nur noch vereinzelt. Spricht es nicht für deren Bedürftigkeit, wenn Flüchtlinge an den Ausgabestellen Lebensmittel verlangen? „Viele denken, sie seien bedürftig“, antwortet Splettstößer. „Das heißt nicht, dass sie es tatsächlich sind. Wir sind verpflichtet, das zu überprüfen.“ Zudem verfügten die Flüchtlinge in der Erstunterbringung mangels einer Kochstelle nicht über die Möglichkeit, selbst Essen zuzubereiten. Daher hätten sie ohnehin keine Verwendungsmöglichkeit für Lebensmittel an der Ausgabestelle. Auch beim Bundesverband der Tafel wiegelt man ab: „Es wäre falsch, die Tafel jetzt in eine rassistische Ecke zu drängen“, sagt dessen Sprecherin Stefanie Bresgott. Auch sie sagt nach einer internen Prüfung, es habe lediglich Absprachen mit dem Flüchtlingsheim vor Ort gegeben, „um die Kapazitäten der Tafeln nicht weiter zu belasten“. In den Zentralen Erstaufnahmestellen für Flüchtlinge (Zast) wie der Unterkunft in Bremen werden Asylbewerber nach ih- ........................................................................................ rem Antrag maximal drei MonaKritik an der Tafel ............................................................................................... te untergebracht. Sie sollen dort voll versorgt werden. FlüchtOrganisationen wie das Kritische lingsinitiativen kritisieren jeAktionsbündnis 20 Jahre Tafeln oder der Deutsche Caritasverband doch, dass die Verpflegung in haben folgende Kritik am Konzept den Erstaufnahmeeinrichtungen oft unzureichend bis unzuder Tafel: mutbar sei. ■ Die Tafeln sind ungeeignet, Angesichts der prekären Verstrukturelle und individuelle Ursasorgungslage stellt sich die Frachen von Armut zu bekämpfen. ge, ob hier durch Almosen geleis■ Die Tafeln tragen dazu bei, sozitet wird, was eigentlich Sache des ale Ungleichheiten zu verschärfen, in dem die eigentliche Hilfe in Staates wäre. Aus Sicht des Soziologen Stefan Selke verbessern die der Not als institutionalisierte mildtätigen Ausgabestellen zwar Dauereinrichtungen und Lückengrundsätzlich die Lage von Arbüßer für sozialstaatliche Sichemen. Damit entlasteten sie aber – rung missbraucht wird. wenn auch ungewollt – die Poli■ Die Tafeln werten es als Erfolg, tik von der Aufgabe, die Armut dass immer mehr Menschen ihre Dienste in Anspruch nehmen. Da- nachhaltig zu bekämpfen. Ein stärkeres Engagement des bei sei genau das ein Symbol manStaates fordert auch der Landesgelhafter Armutsbekämpfung. vorstand der Tafeln: „Wir können nicht alles tun und vor allem den Staat nicht aus seiner Verantwortung entlassen“, sagt Krüger. Schlechter Gastgeber Sicherheitskonzept wird verschärft Der Hamburger SV hat gegen den Flitzer beim DFB-Pokalspiel gegen Bayern München (1:3) am Mittwochabend Strafanzeige gestellt. Zudem wird der Bundesligist gegen den Täter ein Stadionverbot verhängen. Ein Fan war in den Schlussminuten der Partie auf den Rasen gelaufen und hatte Bayern-Profi Franck Ribéry mit einem Schal ins Gesicht geschlagen. Außerdem zeigte er dem Franzosen beide Stinkefinger. Der Mann wurde der Polizei übergeben. „Das geht ja wohl gar nicht“, ereiferte sich ein Vereinsvertreter gegenüber dem südwester. „Da geben sich die Sportsfreunde Westermann und Drobny alle Mühe, gute Gastgeber zu sein und schenken den Bayern jeder ein Tor – und dann macht dieser Typ alles wieder kaputt!“ Nachdem zwei Männer aus dem niedersächsischen Maßregelvollzug ausgebrochen sind, werden nun die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. „Wir brauchen eine genaue Begutachtung des Konzeptes“, sagte Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) am Donnerstag. Erste Konsequenzen seien bereits gezogen worden. Bei Hofgängen werde künftig mehr Sicherheitspersonal eingesetzt und auf dem Dach der Anstalt in Moringen sei Nato-Draht angebracht worden. „Und man wird sicherlich sehr genau und in Zukunft vermutlich noch genauer schauen müssen, für wen der Freigang geeignet ist“, sagte Rundt. Generell müsse aber am Freigang als Teil des Maßregelkonzeptes festgehalten werden. SÜDWESTER KNAST Drei Männer sind in den letzten Wochen aus Niedersachsens Maßregelvollzug geflohen. Nun zieht die Sozialministerin Konsequenzen und will auch über die FreigangRegel nachdenken Auch CDU und FDP forderten verschärfte Sicherheitskonzepte als Konsequenz aus den Fluchtaktionen. Immer mehr Straftäter, die früher in den Regelvollzug gekommen wären, würden nun in den drei Kliniken für den Maßregelvollzug in Niedersachsen untergebracht, kritisierte Sylvia Bruns (FDP). „Die Landesregierung muss dafür sorgen, dass die Einrichtungen so ausgestattet werden, dass Fluchtversuche deutlich erschwert werden“, sagte CDU-Fraktionschef Björn Thümler. Da die Insassen gefährlich seien, müssten an deren Bewachung genau so hohe Anforderungen gestellt werden wie im Justizvollzug. Das sieht Sozialministerin Rundt auch so. Die Gerichte würden inzwischen auch bei schwe- ren Straftätern wegen Suchtproblemen oder psychischen Erkrankungen eine Unterbringung im Maßregelvollzug anordnen, sagte sie. Dem müsse zum Schutz der Bevölkerung auch durch entsprechende Sicherheitsmaßnahmen Rechnung getragen werden. In den vergangenen sechs Wochen sind drei Männer aus dem niedersächsischen Maßregelvollzug geflohen. Einer der Entflohenen konnte wieder festgesetzt werden, aber zwei junge Männer sind noch auf freiem Fuß. Flüchtige Straftäter bereiten der Justiz in Niedersachsen seit einigen Wochen Probleme. Insgesamt waren zum Stichtag 1. Juni in Niedersachsen 1.262 Patienten im Maßregelvollzug untergebracht, etwas mehr als in den Vorjahren. (dpa) Schweinswale gezählt Nord- und Ostsee sind wichtige Aufenthalts- und Durchzugsgebiete für Schweinswale. Das ist das Ergebnis des diesjährigen Monitorings des Bundesamtes für Naturschutz (BfN). Im deutschen Teil der Nordsee hielten sich im Frühjahr rund 54.000 Schweinswale auf, zumeist im Bereich Sylter Außenriff, wo sie sich zur Paarung treffen. Zurzeit schwimmen vor Deutschlands Nordseeküste immer noch 15.000 Schweinswale. Experten halten einen Bestand von etwa 300.000 Schweinswalen in der gesamten Nordsee für realistisch. Die aktuelle Bestandsschätzung für die deutsche Ostsee beträgt lediglich 960 Schweinswale. (dpa) 22 www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG UND HEUTE … startet eine ComicTagung an der Uni Comics sind ja eigentlich nichts für die Wissenschaft – und schon gar nicht für die Sprachwissenschaft, sind ja schließlich nur Bildchen. Doch langsam setzt ein Umdenken ein und an der Uni Hildesheim startet heute um 13 Uhr eine interdisziplinäre Tagung, die sich ganz dem Comic widmet. „Übersetzungen und Adaptionen von Comics“ heißt sie und es werden rund 100 Teilnehmer aus aller Welt erwartet. Gesprochen wird bis zum 2. November zum Beispiel über spezielle Sprechblasen-Probleme bei der Übersetzung von Comics und es gibt einen Vortrag der Asterix-Übersetzerin. NACHRICHTEN Für seinen Einsatz für ausländische Werkvertragsarbeiter ist der Betriebsrat der Meyer Werft mit dem Sonderpreis des Deutschen Betriebsrätepreises ausgezeichnet worden. Die Auszeichnung sei in der Kategorie „Fair statt prekär“ erfolgt, teilte die IG Metall Küste mit. Gewerkschaft und Betriebsrat hatten nach dem Tod zweier rumänischer Arbeiter in ihrer Unterkunft einen Tarifvertrag für Werkarbeiter durchgesetzt. +++ Die Industrie in Norddeutschland bleibe wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung, hat Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) gestern vor den Teilnehmern einer Gewerkschaftskonferenz in Hamburg gesagt. Er forderte ein positives Bekenntnis zur Industrie, auch wenn sie nicht nur po- PORTRAIT Die Dolmetscherin Ausgezeichnnet für ihr Engagement: Autofan Melanie Dabelstein ür Melanie Dabelstein ist Gebärdensprache ganz normal. Schließlich ist die Chefin einer Hamburger Fahrzeugreinigungsfirma die Tochter gehörloser Eltern. Sie weiß, wie es ist, schon im Kindergarten für die Mutter zu dolmetschen. Ja, sagt sie, etwas isoliert sei sie aufgewachsen, „aber ich will das nicht überbewerten“. Allerdings spricht sie mit einer gewissen Ehrfurcht vom „Gut des Hörens“. Sie findet, dass man zwischen Hörenden und Gehörlosen vermitteln muss. Deshalb hat sie zur Firmengründung vor 15 Jahren nur Gehörlose eingestellt. Heute sind es vier von zwölf Mitarbeitern, und Dabelstein hat gerade den Hamburger Inklusionspreis bekommen. Sie hat sich darum nicht beworben, und sie spricht auch nicht groß über ihren Inklusi- F onsbetrieb. „Generell werbe ich nicht damit, möchte aber anregen, dass jeder seinen Beitrag leistet“, sagt sie. Ihre Philosophie lautet: Normalität und Toleranz – weshalb ihre hörenden Mitarbeiter bereit sein müssen, sich auf die Gehörlosen einzustellen. Gebärdensprache brauchen sie nicht. „Man kann vieles zeigen oder aufschreiben“, sagt Dabelstein. „Und wenn Größeres zu besprechen ist, dolmetsche ich.“ Diese Geduld ist für Kunden nicht immer selbstverständlich, weshalb im Hol- und Bringservice Hörende arbeiten. Und natürlich fährt Dabelstein selbst oft den LKW, der die Autos der Kunden transportiert. Diese Branche ist ihr Traum: „Schon als Kind hatte ich Spaß an Fahrzeugen und wusch Autos, um mein Taschengeld aufzubessern.“ Dieses Blitzsaubermachen bereitet ihr Vergnügen, bis heute – dabei waren die ersten Jahre als junge Frau in der Branche nicht leicht. „Ich musste deutlich mehr beweisen als ein Mann.“ Und die Arbeit selbst, das Dreck-Wegmachen? „Finde ich nicht schlimm“, sagt sie. „Jeder Job ist wichtig, solange man einen Beitrag für die Allgemeinheit leistet.“ Dazu gehört nicht nur, dass ihr Betrieb „Umweltpartner Hamburgs“ ist, sondern auch, dass er den Mitternachtsbus für Obdachlose mal günstig reinigt. PS Diaspora unter Druck RELIGION Weil es in Niedersachsen immer weniger Katholiken gibt, reformieren die Bistümer ihre Strukturen Die katholische Kirche in Niedersachsen befindet sich auf Schrumpfkurs: Binnen zehn Jahren hat das Bistum Hildesheim die Zahl der Kirchengemeinden um fast zwei Drittel reduziert. Einschnitte derselben Größenordnung will das Bistum Osnabrück bis 2018 abschließen. Wie das Bistum Hildesheim gestern mitteilte, wird die Zahl der Kirchengemeinden Anfang November nur noch 119 betragen. 2004 gab es noch 350 Gemeinden. Die Strukturreform mit einer Reduzierung war zunächst bis 2020 ins Auge gefasst worden und wird nun deutlich früher abgeschlossen. Die Zahl der Katholiken sank von 2004 bis Ende 2013 von 657.000 auf NORD 614.000. Nach den Plänen des Bistums werden Priester künftig für größere Gebiete mit mehreren Gemeinden zuständig sein. Laien – darunter auch Frauen – sollen mehr Aufgaben erhalten. Im Bistum Osnabrück sieht eine 2008 begonnene Strukturreform eine Reduzierung der Gemeindezahl von über 250 auf 72 im Jahr 2018 vor. Bei 50 davon soll es sich um Verbünde mehrerer Gemeinden mit nur noch einem Pfarrer handeln, 22 der künftigen Gemeinden sollen durch Fusionen entstehen. Hintergrund der Reformen ist nicht alleine der Versuch, auf die sinkende Zahl von Gläubigen und Priestern sowie mittelfristig schrumpfende Steuereinnahmen zu reagieren. Die Kirche will auch verhindern, dass sie in die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit abrutscht. Mit der Zahl der Gemeinden sinkt auch die Zahl der benötigten Kirchen: Seit 2002 hat allein das Bistum Hildesheim 53 Gebäude aufgegeben. (dpa) sitive Auswirkungen habe. +++ Das christliche „Radio Paradiso“ sendet künftig auch in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Der Evangelische Presseverband Norddeutschland erhält freie UKW-Übertragungskapazitäten in Rostock, Schwerin und Stralsund. In Hamburg wird der Berliner Sender für ein 24-stündiges Vollprogramm im Digitalradio zugelassen. +++ SchleswigHolsteins Polizisten sollen nach dem Willen von Innenminister Stefan Studt (SPD) mehr Geld für Nachtdienste bekommen. Die sogenannte Erschwerniszulage für Nachtdienste bei der Schutzund der Kriminalpolizei solle in zwei Schritten angehoben werden, sagte ein Ministeriumssprecher in Kiel. Davon sollen 3.900 Polizisten profitieren. +++ KONTROLLE IN TRAVEMÜNDE JADE-WESER-PORT KRIEGT VIELLEICHT MAL KUNDSCHAFT Polizei stößt auf Tchibo testet Wilhelmshaven Export-Elektroschrott Das Handelsunternehmen Tchi- und Hamburg an. Der Jade-WeDen illegalen Export von Elektonikschrott nach Afrika hat die Polizei in Lübeck-Travemünde verhindert. Bei der Kontrolle eines Lastwagens fanden die Beamten gestern auf der Ladefläche einen Kleinbus, der mit rund 450 Kilogramm gebrauchter Elektrogeräte beladen war – vom Fernseher bis zum Bügeleisen. Darunter seien rund 150 Kilogramm als Elektroschrott geltende, defekte Geräte gewesen, sagte ein Polizeisprecher. Gegen den aus Nigeria stammenden Versender wird wegen des unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen ermittelt. (dpa) bo will den Warenimport künftig möglicherweise über den JadeWeser-Port in Wilhelmshaven abwickeln. Derzeit laufen nach Angaben des Terminalbetreibers Eurogate Testverladungen. Es seien aber noch keine Entscheidungen gefallen. Bisher kommen die Container für Tchibo in Bremerhaven ser-Port ist Deutschlands einziger Tiefwasserhafen. Seit Eröffnung im September 2012 versuchen die Betreiber händeringend, Schiffe und Ladung nach Wilhelmshaven zu bekommen. Während in Hamburg und Bremerhaven jedes Jahr mehrere Millionen Container umgeschlagen werden, waren es 2013 in Wilhelmshaven nur einige Zehntausend. (dpa) Containerfoto: dpa Die unsichtbare Gefahr MIKROPLASTIK Kunststoffpartikel aus Zahnpasta und Fleece belasten zunehmend Flüsse und Meere und gefährden Tiere und Menschen. Kläranlagen sind wenig effektiv Ist, wenn sie Plastikrohre hat, Teil des Problems: Kläranlage VON SVEN-MICHAEL VEIT Die deutschen Kläranlagen sind mit Mikroplastik im Abwasser überfordert. Nur eine teure Schlussfiltration könne die Belastung deutlich reduzieren, ergab eine Untersuchung des Alfred-Wegener-Instituts für Polarund Meeresforschung (AWI), die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Dafür waren Proben aus dem Ablauf von zwölf Kläranlagen entnommen worden. Die Belastung durch Partikel lag zwischen 86 und 714 je Kubikmeter und bei Fasern zwischen 98 bis 1.479 pro Kubikmeter. Einzig die Kläranlage in Oldenburg verfügt über eine Schlussfiltration (Tuchfilter). Diese reduzierte die Gesamtfracht von Mikroplastikpartikeln und -fasern um 97 Prozent, sagte der AWI-Mikrobiologe Gunnar Gerdts, der die Proben untersucht hat. Mikroplastik sind fast unsichtbare Teilchen von weniger als fünf Millimetern Größe vor allem aus Polyethylen, Polypropylen, Polyester und Polyamid. Viele dieser winzigen Partikel stammen direkt aus Duschgels, Zahnpasta oder anderen Artikeln mit Peeling-Effekt. Andere sind Bruchstücke und Fasern, die durch Abrieb und Zersetzung von Plastikgegenständen oder Foto: dpa Fleecekleidung entstehen (siehe Kasten). Mikroplastik ist ein ökologisches Problem, weil es Schadstoffe an sich bindet und in die Nahrungskette gelangt. Nach Angaben der Umweltorganisation BUND wurde Mikroplastik in Flüssen und im Meer in Kleinstorganismen, Muscheln, Fischen und Seehunden nachgewiesen. Über die Nahrungskette kommt das Material zurück zum Menschen – in den Menschen, mit unklaren gesundheitlichen Folgen. Das sei „besorgniserregend und in den Auswirkungen kaum abzuschätzen“, sagt der BUND. Er fordert ein Verbot von Mikroplastik in Hygiene- und Kosmetikartikeln sowie von Plastiktüten. Ein Einkaufsführer, der über alle Produkte mit Mikroplastik informiert, kann auf der Homepage des BUND heruntergeladen werden. Von einem „riesigen Problem“ spricht auch Kim Detloff, Meeresexperte des Naturschutzbundes (Nabu). Er ist Leiter des Nabu-Projekts „Fishing for Litter“ auf der Nord- und Ostsee, in dem Fischer den Müll, der sich in ihren Netzen findet, in die Häfen zurückbringen. Dort kümmern sich die Umweltschützer um dessen Entsorgung oder Recycling. Jährlich gelangen 20.000 Tonnen Müll in die Nord- und Ostsee. ............................................................................... An den Stränden der Nordsee Das ist Mikroplastik ................................................. wird seit 2001 der Müll systemaMikroplastik sind kleinste Kunststoffteilchen von weniger als fünf Millimeter Größe. ■ Zusatz: Mikroplastikperlen sind in synthetischen Kleidungsstücken sowie in vielen Hygiene- und Kosmetikprodukten wie Zahnpasta oder Peeling-Produkten enthalten. ■ Zerfall: Zudem entstehen sie beim Verfall von größeren Produkten wie Plastikflaschen oder Plastiktüten. ■ Menge: Im Abwasser von Waschmaschinen wurden bis zu 1.900 Mikroplastikteilchen pro Waschgang gefunden. tisch untersucht. Im niederländisch-deutschen Wattenmeer liegen auf 100 Metern Küstenlinie im Schnitt 236 Müllteile. Auf Fehmarn wurde eine Müllbelastung von etwa 90 Teilen pro 100 Meter Strandabschnitt nachgewiesen, auf Rügen waren es demnach sogar fast 200 Teile. Vor allem die Kunststoffe sind eine Gefahr für Fische, Seevögel und Meeressäuger: Sie zerbröseln, sind häufig giftig und beim Verschlucken nicht selten tödlich. Die Sedimente hochbelasteter Abschnitte „bestehen bis zu 25 Prozent aus Textilfasern“, sagt Detloff. Fleecestoffe drohen zu einem ökologischen Desaster zu führen. Der erste Schritt wäre es, Waschmaschinen mit sehr viel effektiveren Fusselsieben als bisher auszustatten, sagt Detloff. In den Kläranlagen müssten die Abwässer noch strenger gesäubert werden. Und eigentlich, sagt Detloff, „darf der Klärschlamm nicht als Dünger auf die Äcker kommen, sondern muss als Sondermüll in die Verbrennungsanlage gebracht werden“. Und ein weiteres großes Problem seien die Kläranlagen selbst. Denn deren Rohrleitungen bestünden fast ausschließlich – aus Kunststoff. NORD www.taz.de [email protected] FREITAG, 31. OKTOBER 2014 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 23 VON BENJAMIN MOLDENHAUER Der Probensaal der Bremer Philharmoniker ist schon am Vormittag von Licht durchflutet, ein Raum mit hervorragender Akustik, man hört jedes kleinste Geräusch. Normalerweise bereiten hier gestandene Profis ihre Konzerte vor. Heute allerdings sind die Musiker, die sich, teilweise noch nicht ganz wach, auf ihren Plätzen einfinden und routiniert Celli, Violinen und Bratschen auspacken, um einiges jünger: Seit 15 Jahren kommen alljährlich Jugendliche aus der ganzen Welt nach Bremen, um für knapp zwei Wochen als „Internationales Jugendsinfonieorchester“ – kurz IYSO – gemeinsam zu musizieren und zwei Konzerte in der Stadt und im Umland zu spielen. Knapp 90 Jugendliche aus einem Dutzend Ländern sind in diesem Jahr in der Stadt, die meisten zwischen 13 und 17 Jahren. Eine so große Gruppe zusammenzuhalten ist nicht immer leicht. Katharina Wienke, bis vor zwei Jahren selbst Musikerin im IYSO und heute eine der Organisatoren, kommt abgehetzt in den Raum. Die MusikerInnen sind in Bremer Gastfamilien untergebracht, gestern hätte eine Mutter aus Polen angerufen, sagt sie. Der Sohn hatte sich in der Stadt verlaufen, den musste man erstmal wiederfinden. Andere Probleme wiegen schwerer. Drei Musiker, die aus Syrien anreisen sollten, fehlen. Sie haben kurzfristig kein Visum mehr bekommen. Eine weitere Musikerin, die Cellistin Hadil Mirkhan aus Damaskus, hat 2013 nach einem Gastspiel in Deutschland einen Asylantrag gestellt und lebt jetzt in einem Bremer Flüchtlingswohnheim. Wenn man in diesen Tagen Gäste aus Konfliktherden wie Ägypten und eben Syrien einlädt, wäre eine „Ode an die Freude“ im Konzertprogramm da wohl eher fehl am Platze. Deshalb hat Martin Lentz, Dirigent und Leiter des Jugendsinfonieorchesters Bremen-Mitte, Schostakowitschs 10. Symphonie, das Violakonzert von William Walton und Einojuhani Rautavaaras „Cantus Arcticus, Konzert für Vögel und Orchester, op. 61“ ausgewählt. Gemeinsam ist den Stücken eine melancholische Schwere und, im Falle der Schostakowitsch-Symphonie, eine Beklemmung, die angesichts der Weltlage angemessen scheint. Gerade die Wahl Schostakowitschs zeigt, dass hier jemand Am Anfang ist nur Chaos, aber plötzlich wird Struktur draus: Probe des Jugendsinfonieorchesters in Bremen Foto: Michael Bahlo „Das eiert noch total“ WIE MUSIK ENTSTEHT In Bremen erarbeiten sich 90 junge Sinfoniker aus 13 Ländern in nur einer Woche ein äußerst anspruchsvolles Programm – mit Schostakowitsch statt Beethoven. Ein Probenbesuch seinen Leuten unbesehen einiges zutraut. Das Programm ist auch deswegen ungewöhnlich für ein Jugendklassik-Konzert, weil die Musik moderner anmutet als die Stücke, die man normalerweise bei solchen Anlässen zu hören bekommt. Dass es gewagt ist, mit jungen MusikerInnen, die sich zum ersten Mal treffen und oft verschiedene Sprachen sprechen, innerhalb so kurzer Zeit derart komplexes Material einzustudieren, ist Martin Lentz bewusst. „Ich hab das immer so gehalten“, sagt er. „Diese Klassikradio-Programme im Jugendbereich haben mich nie interessiert.“ Aber es sei schon immer wieder ein Risiko, „schließlich weiß man nie, wer da kommt“. Dass da nicht von Anfang an alles glatt geht, wundert nicht. „Einige von unseren Musikern haben noch nie Schostakowitsch gespielt. Die erste Probe am Samstag war die Chaosprobe, da lernte man sich dann erst einmal kennen“, erzählt Lentz lachend. Und die Musiker? Torstein Kleveland zum Beispiel spielt zum ersten Mal mit einem so großen Orchester zusammen. Für den 17-jährigen Cellisten aus dem norwegischen Lillehammer ist das Konzert „eine besondere Herausforderung“. Die Kommunikation untereinander wiederum sei überhaupt kein Problem, das laufe schon über die Musik selbst ganz wunderbar. Schon routinierter wirkt die Hornistin Sara Morgante Piano aus dem italienischen Udine, die mit ihren 22 Jahren zu den ältesten Mitgliedern des Internationalen Jugendsinfonieorchesters zählt. Aber auch sie betont den hohen Anspruch des Dirigenten Lentz: „Manchmal verlangt er etwas, das schwer zu leisten ist“, sagt sie. Die Atmosphäre und das Miteinander seien aber so gut, dass davon auch die Musik profitiere. Und ein Orchester, das ein- fach nur routiniert seine Arbeit mache, würde auch nicht gut klingen, findet sie. Man merkt, dass die Beteiligten mehr aus dem Projekt ziehen, als nur eine gelungene Konzertvorbereitung. Denn dass Musik verbindet und die Vorahnung einer glücklichen Kooperation zwischen Menschen bedeuten kann, klingt wie ein Klischee, beschreibt aber eine reale soziale Erfahrung. Denn die zweite Gesamtprobe vier Tage vor dem ersten Konzert zeigt, die Sache funktioniert: Ein Haufen Musiker spielt sich warm, es entsteht ein wüst dissonanter Klangwirrwarr – der sich fast magisch in einen einzigen klaren Ton auflöst, als der Dirigent ans Pult tritt. Die schwierige Dynamik der Streichersätze Schostakowitschs bekommen die Celli und der Kontrabass anfangs aber nur schwer in den Griff. Immer wieder unterbricht Lentz freundlich, aber bestimmt, manchmal auf Deutsch, manchmal auf Englisch: „Die Töne sind ja kein Problem für euch, aber das eiert noch total, der Rhythmus stimmt nicht.“ Die Musiker auf das richtige Tempo einzuschwören und ihnen ein Gespür für den richtigen Ausdruck zu vermitteln, ist nicht leicht: „Hier, das ist eine Stimmung von Angst, da müsst ihr nicht hetzen“, sagt er zum Beispiel. Nach etwa einer Stunde sind aber plötzlich alle beieinander: Die stakkatohaften Schläge kommen präzise, und die Musiker bekommen ein Gespür für die Wut, die aus der 10. Schostakowitsch-Sinfonie spricht. Da entsteht in kürzester Zeit etwas, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Und das eigentliche Kunstwerk ist das Orchester selbst. Konzerte: 1.11., 19.30 Uhr, Bruchhausen-Vilsen, Schulzentrum 2.11., 20 Uhr, Bremen, Glocke ........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... DIE MILCHKÜHE IN MEINER NACHBARSCHAFT SIND NICHT SO GLÜCKLICH, WIE ICH DACHTE Becher in Kuheuterform „Die,mitdenTierversuchen?“ ein sahneverschmiert Stall, schwer hängen sie unter ....................................................... spiegelt sich in einem Arlamil- Brüllen, zum Brüllen komisch ist VOGELFLUGLINIE ....................................................... frage ich, mein Mann zeigt mir glückliches, schaden- ausgemergelten Bäuchen. Zwicheuterbecher. „Wenn sie bei ih- das!“ sagt er dabei. REBECCA CLARE Mir kommen die Tränen und das kleine Inselchen manchmal freudig, schadenglück- schen ihren Melkzeiten machen ren Müttern blieben, bekämen SANGER ich esse zum Trost ein großes, wenn wir über die Brücke drüber sie nicht genug Milch.“ lich „Wer kriegt sonst schon Jer- sie sich das Kratzrad und das Nun sehe auch ich verwirrt sahneschweres Eis. Mein Jersey- fahren. Ich halte dann immer seyrohmilch zu trinken“-Milch- Kraftfutter zum Programm oder milchbauer, mein Roh- nach U-Booten Ausschau und aus. gesicht wird mir vom „Tag der of- sie schlafen auf ihren ZementkoTraurigkeit und Verlust gibt milchtrumpf, steht neben den fühle mich ganz wie bei James fenen Tür“ der Landwirtschaft jen. Bevor er nach Dänemark es überall auf der Welt, nicht nur Arlarepräsentanten und den Eu- Bond. Der Öffentlichkeit ist vom Gesicht gewischt. Quer kam, hatte der Tierpfleger noch Foto: privat auf dem Bauernhof. Im hinteren terbechern herum. Die Käse- nämlich der Zutritt der Insel verdurch Dänemark haben Bauern- gar nicht gewusst, dass es Kühe höfe ihre Pforten geöffnet, bei mit halb-amputierten Eutern ander lecken. Das ist behördliche Teil des Stalles hängt der Mut- häppchen schmecken immer wehrt und Mitarbeiter dort dürterkuh nach der Geburt ein Teil noch nicht, der Joghurtdrink soll fen zuhause keine Haustiere haluns ist es die Milchfarm von Ben- gäbe, einem Euterbruch folgt die Auflage. jamin, der sich mit Eis aus eige- Amputation, der Zementboden Es gibt kein einziges Kalb, wel- vom Kuchen halb vertrocknet versauern und ihnen rosabraun ten. „Ach so“, sage ich zu Finn. ner Produktion ganz gut etab- tut in manchen Fällen das seine. ches Lust hat, ein anderes Kalb zu zum Popo hinaus. Ihrem Kalb aus den Petflaschen ins Gesicht liert hat. DieKälberstehenauchzurBe- lecken. Sie stehen schließlich hängt 50 Meter weiter in einer schießen. „Hallo Finn“, sage ich. „Was Rebecca Clare Sanger pendelt mit Die Sonne scheint. Repräsen- sichtigung aus. Verwirrt stehen nichtineinerScharaufderWeide halb aufgeschnittenen Plastiktanten des Milchkonzerns Arla die tagesalten Kälber einzeln in neben den Kühen und suchen tonne die Nabelschnur zum machst du eigentlich mit deinen Mann und Kindern zwischen haben vor dem Kuhstall Becher halb aufgeschnittenen Plastik- die Gesellschaft von Gleichaltri- Bauch herunter. Sie werden ein- Kälbern?“ Jerseykälber schme- Hamburg und der dänischen Inin Kuheuterform zum Verschen- tonnen, ihre Ration Milch darf gen. Sie suchen etwas anderes. anderniewiedersehen,obgleich cken nicht. Deshalb ist die Jer- selMøn;wassiedabeierlebt,steht ken aufgestellt. Sie bieten eine nicht versehentlich vom ver- Sie saugen mit einer derartigen sie auf dem gleichen Hof gehal- seyzucht auch so beschwerlich. alle zwei Wochen an dieser Stelle. Wo soll man mit dem Nebenpro- Einen Sammelband mit ihren Verkostung von Joghurtdrinks wirrten Nachbarkalb getrunken Inbrunst an meinen Fingern, ten werden. Ein stolzer Familienvater dukt der Milchproduktion bloß „Hamburger Szenen“ aus der und individuell verpackte Käse- werden. Der artgerechten Hal- dass ich erwäge, ihnen meine eihäppchen an. tung zuliebe stehen die Plastik- gene Brust zu reichen. Kein Kalb macht mit seinem Mobiltelefon hin? Finn hat da eine gute Lö- taz.hamburg hat der Verlag Michason & May unter dem Titel Die Kühe sind geduldig. Ihre tonnen nebeneinander und bleibt länger als 24 Stunden bei Bilder von einem Kalb, welches sung gefunden. „Du kennst doch die Insel „Hamburg Walking“ veröffentEuter sind sehr viel größer als die durch ein wenig Maschendraht der Mutter. „Ist auch gesünder versucht seinem Sohn Milch aus licht. Euterbecher draußen vor dem hindurch können die Kälber ein- so“, sagt Benjamin, sein Gesicht den Fingern zu saugen. „Zum Lindholm?“ .............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. M Das Fahrtauglichkeits-Wetter taz.bremen „Ein kompaktes Parkhaus-Fahrtraining“ bietet am Samstag der Parkhaus-Betreiber Brepark an, das „ganz konzentriert das Fahren sowie das Ein- und Ausparken im Parkhaus trainiert“. Wer weder fahren noch parken kann, sollte vielleicht eher zur BSAG wechseln – oder aufs Rad steigen bei meist sonnigen 10 bis 17 Grad FREITAG, 31. OKTOBER 2014 www.taz.de | [email protected] | Pieperstraße 7 | 28195 Bremen | Tel. 960 260 | Trägerdienst 35 42 66 24 Germanistik aus Togo Wir sind traurig und nehmen Abschied von KOLONIALISMUS Ein Wissenschaftler aus Togo forscht im Staatsarchiv zur Geschichte der Kolonialzeit. Dort lagern Autobiographien von Schülern Norddeutscher Missionsschulen Eva Ehrenberg VON JAN-PAUL KOOPMANN Im Bremer Staatsarchiv sucht ein Wissenschaftler aus Lomé in Togo nach Spuren deutsch-afrikanischer Geschichte. Dort liegen Autobiographien von Missionsschülern aus dem 19. JahrVorstand und Geschäftsführung hundert – und Kokou Azamede gehört zu den wenigen, die sie der Heinrich Böll Stiftung Bremen auch tatsächlich lesen können. Denn die handschriftlichen Dokumente sind in der Ewe-Sprache verfasst, die in Teilen von Togo und Ghana gesprochen wird. Die Papiere liegen nicht zufällig ........................................................................................................................................................................................................ in Bremen. TJA, FREIMARKT (10): GRUMI STRUNK Gesammelt wurden sie von der Norddeutschen Missionsgesellschaft, die in Afrika einheimische Missionshelfer ausgebildet ........................................................................................................................................................................................................ hat. Diese Schüler sollten in ihEinmal im Jahr ist Freimarkt – der Nordseeküste“ erfüllten, ren Texten Zeugnis ablegen vom aber muss man darüber schrei- standen die Leute auf den Ti- Weg aus der „Finsternis ins Licht“, ben? Kommt auf die Perspektive schen und weinten fast vor Be- sagt Azamede. Das sei die Ideoloan, beweist die taz.bremen-Serie. geisterung. Harte Klänge an der gie der Missionare gewesen. Die Grenze des Erlaubten. Dokumente sind damals direkt Ich trank in jeder sich bieten- nach Bremen geschickt worden Ideologie und Bildung: Schüler einer Missionsschule in der damaligen Kolonie Togo Bild: Norddeutsche Mission Bremen ch muckte das erste Mal mit der Tanzband „Tiffany’s“ im Bay- den Pause Bier. Die Wirkung ließ und hier archiviert worden. ernzelt des Freimarkts. Schon allerdings sehr zu wünschen übWissenschaftler wie Azamade che besonders gründlich maAzamede hat in Lomé studiert versteht. Die heute gebräuchlibeim ersten Song war mir klar, rig: Zeltplörre. Irgendwann – Germanistik. Ein Studiengang, che Schrift der Ewe-Sprache wur- betonen diese Wechselwirkun- chen will. was die Stunde geschlagen hatte: musste ich mal. Im Toilettenwa- den es in vielen ehemaligen Ko- de erst in den Missionsschulen gen, um zu verhindern, dass sich An der Bremer Uni wird schon Der Bandleader musste sich gen stand neben mir ein sehr, lonien gibt. Dort wird allerdings entwickelt. in der Forschung Sichtweisen der seit einigen Jahren in dieser Richenorm konzentrieren, um die sehr alter Mann. Er stierte mich nicht nur Goethe gelesen, sonDamit haben die Europäer ei- Kolonialzeit unter anderen Vor- tung geforscht. Erste Ergebnisse Melodie einigermaßen fehler- an und sagte mit unbewegter dern auch die deutschsprachi- nerseits die Grundlage einer ei- zeichen wiederholen: Hier böse waren auf Ausstellungen im frei zu spielen. Bassist und Miene: „Ach ... die Musik.“ – „Ja, gen Texte über Togo. Sie werden genen afrikanischen GeschichtsÜbersee-Museum oder in der Schlagzeuger rumpelten unbe- äh, ja, genau.“ – „Jaja ... die Mu- in die Landessprache übersetzt schreibung geschaffen und Bürgerschaft zu sehen. Auch Azholfen vor sich hin. Dabei guck- sik.“ – „Hmm ...?“ Mir war nicht und der Bevölkerung somit erst gleichzeitig Dokumente von dort amedes Dissertation ist so entten sie sich angestrengt an und recht klar,was erwollte. Ermach- zugänglich gemacht. Promoviert in Europa lesbar gemacht. Solche Diese Schüler sollten in standen. taten so, als ob es richtig grooven te noch eine lange Pause und hat Azamede dann aber an der positiven Aspekte der ersten Mis- ihren Texten Zeugnis Er will diese neuen Materiawürde. Der Keyboarder hatte bei mümmelte dann bedächtig: Uni Bremen. Ein Vierteljahr wird sionsjahre sind bedeutend für lien auch übersetzen, um sie der ablegen von ihrem seinem Polysix-Synthesizer ei- „Viel Afrika und wenig Bavaria.“ er nun hier im Archiv verbrin- Azamedes Forschung. Es ist ihm deutschen Wissenschaft und Öfnen abscheulich Streichersound Da muss man erst mal drauf gen. Anschließend geht es zu- daher auch wichtig, die Ideologie Weg aus der fentlichkeit zugängig zu machen eingestellt und griff mit seinen kommen. – ganz ähnlich wie die Germanisrück nach Togo. Die Forschungs- der Missionare von der wirt- „Finsternis ins Licht“ Gegen zwei leerte sich das ergebnisse wird er dort im Semi- schaftlichen Ausbeutung der KoWurstfingern ständig daneben. tik es in Togo macht. Den GrundZelt. Am Tresen wurden nun ein- nar mit StudentInnen diskutie- lonialherrschaft zu unterschei- Kolonialherren, dort arme Op- stein dafür haben die Missionare Schrammelschrammelschrammel, matschmatsch- schlägige Lieder skandiert: das ren. den. Damit ist das Projekt gera- fervölker. Anhand der Biographi- gelegt. „Die Missionierung war matsch. Der Sound: eine Kata- Niedersachsen-Lied, das HorstDie Missionsschüler, deren Bi- dezu mustergültig für die For- en lasse sich beispielsweise auch nichts Gutes“, sagt Azamede. strophe. Katzenmusik. Dem Pu- Wessel-Lied und noch allerlei an- ographien er im Archiv unter- schungsrichtung der „entangled zeigen, wo die Missionierten die Aber um solche Urteile geht es blikum war es seltsam egal. Ent- dere Weisen, die man erst singt, sucht, waren Bauern und Fischer. history“, der verknoteten Ge- Ideologie übernommen hätten. ihm auch gar nicht. Er sieht die weder,weilsieesnichtandersge- wenn es später ist. Wir spielten Größtenteils arme Leute. Die schichte. Gemeint ist damit, dass Oder aber, wo sie mit zunehmen- Dokumente als Möglichkeit, die wohnt waren, oder, weil das di- zum sechsten Mal an der Nord- Missionsgesellschaft war luthe- die Geschichte der Kolonialisie- der Bildung auch Widerständiges eigene Position zu reflektieren. lettantische Geklöter bewies, seeküste und der Korn wurde di- rianisch und wollte, dass in der rung nicht nur in den Kolonien enthalten. Aufgeregt politisch Und die Parallelen zu verstehen, dass die Band wirklich live spiel- rekt aus der Flasche getrunken. Landessprache gepredigt wird, selbst, sondern auch hier in Eur- klingt er dabei nicht – eher wie die zwischen der Kolonialzeit Dann, endlich, das Abschluss- damit die Bevölkerung sie auch opa Spuren hinterlassen hat. te. ein Wissenschaftler, der seine Sa- und ihrer Erforschung bestehen. In einiger Entfernung zur lied: Blue spanish Eyes. Als nach dem zweiten Refrain Bühne stand eine Rotte Freimarktbesucher, die uns argwöh- mein Saxofon-Solo an der Reihe nisch beäugte. Aus ihren Reihen war, überkam mich eine seltsalöste sich plötzlich ein schwit- me Lust zu spielen: Tröttröttröt. IN ALLER KÜRZE zender Teigbrocken und quoll Ich holte alles aus der Rotzkanne uns erstaunlich behände entge- raus. Bei geschlossenen Augen Zeit, ihre Beiträge einzureichen, Beiräte-Studie gen: „Sag mal, Klaus und Klaus, hätte man denken können, da teilte die Stiftung am Donners- FLÜCHTLINGE Der Sozialstaatsrat weist Kritik an der stehe der Saxofonist von Marius unter Verschluss nä – das habt ihr jawohl drauf?“ tag mit. Inhaltlich und formal Betreuung minderjähriger Flüchtlinge zurück Bei den ersten Takten von „an Müller-Westernhagen oder Tina Die Bremer Beiräte versuchen of- seien keine Grenzen gesetzt. Alle der Nordseeküste“ ging ein Ruck Turner auf der Freimarktschen fenbar vergeblich, Einblick in die politischen und religiösen Spiel- Bremens grüner Sozialstaatsrat gendliche Flüchtlinge aufgedurchs Zelt. Die Leute waren von Festzeltbühne. Mindestens. Die von Lothar Probst herausgegebe- arten des Extremismus könnten Horst Frehe weist die Vorwürfe nommen als alle fünf neuen ihren Bänken aufgestanden, hat- Kollegen guckten staunend zu ne Studie zum Beirätegesetz (die Gegenstand der Auseinanderset- der Flüchtlingsinitiativen hin- Bundesländer zusammen. Im ten sich eingehakt und sangen mir herüber und als ich mit dem taz berichtete) durch den Senat zung sein. Die drei besten Plätze sichtlich der Betreuung von min- Jahr 2014 seien bis zum verganbegeistert mit. Trotz der einfa- Solo fertig war, bekam ich doch zu erhalten. In einer Mitteilung sind mit 1.500, 1.000, und 500 derjährigen Flüchtlingen zu- genen Mittwoch 319 unbegleitete chen Melodie ein Festival der tatsächlich Szenenapplaus. Ich der Linken heißt es, Michael Euro dotiert. (epd) rück. Die hatten kritisiert, dass minderjährige Flüchtlinge angeschiefenTöne.Egal. DieLeutewa- verbeugte mich. Was für feine Horn, Beirätekoordinator der Jugendliche viel zu lange in der kommen, davon 180 allein in den Menschen das doch waren. Soll- Linken, habe unter Berufung auf Nordwestbahn fährt noch Zentralen Erstaufnahmestelle vergangenen drei Monaten. ren total aus dem Häuschen. Als wir zum dritten oder vier- ten sich andere über sie lustig das Informationsfreiheitsgesetz (Zast) verbrächten und die JuEs sei daher derzeit unverbis mindestens 2026 ten Mal den Musikwunsch „an machen, ich nicht. gendhilfe zu schlecht ausgestat- meidbar, dass Jugendliche länmehrmals schriftlich die Senatsger in der Zast betreut würden als kanzlei gebeten, den Stadtteilpo- Die Nordwestbahn (NWB) wird tet sei (taz berichtete). Das Jugendhilfesystem, so wünschenswert. Trotz des starlitikerInnen die Evaluation von auch künftig die von ihr bislang ANZEIGE Juli zur Verfügung zu stellen. Bis gefahrenen Eisenbahnlinien be- Frehe, sei mit hoch qualifizier- ken Zugangs seien von rund 500 heute sei das aber nicht erfolgt. dienen. Sie setzte sich in einem tem Personal über viele Jahre Jugendlichen derzeit rund 90 Europäische Gespräche Es sei unverständlich, so Horn, europaweiten Wettbewerbsver- darauf eingerichtet gewesen, Prozent in einer Einrichtung des Eine Zusammenarbeit von Helga Trüpel (MdEP) und dem Theater Bremen „dass der Senat die Studie über fahren durch, heißt es in einer monatlich drei oder vier jugend- Jugendhilfesystems angekomMonate in seinen Händen hält, Mitteilung der Landesnahver- liche Flüchtlinge aufzunehmen. men. Die Zahl der Plätze sei in während die Beiräte noch nicht kehrsgesellschaft Niedersachsen In einzelnen Monaten kämen den letzten zwei Jahren um das 25 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs mal das Deckblatt gesehen ha- (LNVG), der Zweckverband Nah- aber jetzt 60 bis 80: „Kein Ju- Fünffache erweitert worden. Von der friedlichen Revolution zur „Leider werden wir beim Ausben“. (taz) verkehr Westfalen-Lippe (NWL) gendhilfesystem der Welt kann Europäischen Integration und Bremens Verkehrssenator diesen Anstieg in so kurzer Zeit bau der Kapazitäten nicht überStiftung schreibt Preis aus Joachim Lohse (Grüne). Der neue bewältigen, ohne dass es zu Eng- all mit offenen Armen empfanVortrag und Diskussion mit gen“, sagte Frehe mit Blick auf die Die Konrad-Adenauer-Stiftung Verkehrsvertrag umfasst ein pässen kommt.“ György Dalos, Schriftsteller und Historiker Wie viele andere Großstädte Debatten in Borgfeld und ReJaroslav Šonka, Autor und Publizist Fahrtenprogramm in Bremen hat bundesweit Ju- jährliches gendliche dazu aufgerufen, sich von knapp fünf Millionen Zugki- auch, werde Bremen derzeit von kum. Die Gespräche mit Beiräten Sonntag, 2. November 2014, um 11.30 Uhr kreativ mit dem Thema „Mutig lometern, beginnt zum Fahr- allein geflohenen Jugendlichen und der Bevölkerung seien notTheater am Goetheplatz (noon/Foyer Kleines Haus) gegen jeden Extremismus“ aus- planwechsel am 11. Dezember in besonders hohem Maße auf- wendig, machten aber auch Eintritt frei einanderzusetzen. Bis Ende Feb- 2016 und gilt für zehn Jahre mit gesucht. Das Land Bremen habe deutlich, dass dem Ausbautemim vergangenen Jahr mehr ju- po Grenzen gesetzt seien. (taz) ruar haben die TeilnehmerInnen Option auf Verlängerung. (taz) Viel Afrika, wenig Bavaria I Frehe wehrt sich das wetter taz.hamburg Es gibt viele Wolken und mit Glück kommt am Nachmittag die Sonne auch mal raus. Es wird bis zu 15 Grad warm und dazu weht ein bisschen Wind aus Richtung Süden FREITAG, 31. OKTOBER 2014 www.taz.de | [email protected] | Harkortstraße 81 | 22765 Hamburg IN ALLER KÜRZE Für Kitas demonstriert Rund 4.000 Menschen haben gestern unter dem Motto „Ohne 25% mehr gehen Hamburger Kitas unter!“ in der Innenstadt demonstriert. Sie forderten etwa 25 Prozent mehr Personal in den Kindertagesstätten. Nach Angaben des Bündnisses Kita-Netzwerk Hamburg, das zu der Demonstration aufgerufen hatte, fehlen in den 1.088 Kitas rund 4.000 Erzieher. Unterdessen haben die Grünen angekündigt, dass es im Familienausschuss eine öffentliche Anhörung zur Kita-Qualität geben soll. Darauf hätten sich alle Oppositionsfraktionen verständigt. (dpa) ANZEIGE BEN HOWARD I FORGET WHERE WE WERE TOUR Gespräch verweigert Die Geschäftsführung der Mopo weigert sich, den Betriebsrat in Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern über Entlassungen und Umstrukturierungen zu informieren. Ein für Mittwoch vereinbarter Termin wurde abgesagt. Bei der Mopo stehen im Rahmen eines konzernweiten Programms Entlassungen an. Die Gewerkschaften DJU und DJV wollen einen Sozialtarifvertrag abschließen. (taz) Anwohner kritisiert Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) ist empört über Anwohnerklagen gegen ein geplantes Flüchtlingsheim in Harvestehude. Lebe man in einer privilegierten Wohnsituation, sagte er der Zeit, müsse „man hinnehmen, dass es durch eine solche Unterbringung vielleicht ein wenig enger oder lauter wird“. Die Stadt möchte im Ex-Kreiswehrersatzamt an der Sophienterrasse 220 Menschen unterbringen. (dpa) Moscheen gewünscht 25.11. SPORTHALLE TICKETS UNTER: WWW.FKPSCORPIO.COM 01806570 000* / WWW.EVENTIM.DE 0,20 €/Anruf aus dem dt. Festnetz, max. 0,60 €/Anruf aus dem dt. Mobilfunknetz Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter wünscht sich mehr repräsentative Moscheen in der Stadt. Standorte seien die geplante Neue Mitte Altona oder in Wilhelmsburg neben der Umweltbehörde, sagte er am Mittwoch bei einer Diskussion. Es gibt in Hamburg rund 50 Moscheen, viele davon in Gewerberäumen oder Hinterhöfen. (epd) HEUTE IN HAMBURG „Eine breite Klaviatur“ WORKSHOP Aktivisten zeigen, wodurch friedliche Demonstrationen zum Erfolg werden können 24 Uni kann sich kaum retten WAHLKAMPF CDU verspricht Hochschulen höhere Grundfinanzierung aus Bafög-Millionen. Bildungssenatorin Stapelfeldt trumpft mit 405 Millionen aus neuem Hochschulpakt auf VON KAIJA KUTTER Mit Wissenschaft, so hört man in Rathauskreisen, lasse sich keine Wahl gewinnen. Dennoch scheint dies eines der Themen zu sein, das im Wahlkampf Fahrt gewinnt. Die CDU legte am Donnerstag einen Zehn-Punkte-Plan vor, mit dem sie Hamburg zur „führenden Wissensmetropole Nordeuropas“ machen möchte. Anders als vom SPD-Senat geplant, würde sie die rund 30 Millionen Euro, die Hamburg spart, weil der Bund für das Bafög aufkommt, den Hochschulen geben. „Der Haushalt muss nach der Wahl ohnehin ganz neu aufgestellt werden“, sagt CDU-Spitzenkandidat Dietrich Wersich. Die insgesamt die 150 Millionen Euro, die so in der fünfjährigen Legislaturperiode zusammenkämen, würde die CDU nutzen, um den Hochschulen die Tarif- und Versprechungen von allen Seiten: Studierende im Hörsaal Foto: dpa Preissteigerungen voll zu erset............................................................................ Das Thema ist ohnehin verzen. Gegenwärtig erhalten sie daDer Hochschulpakt mint. Wie berichtet, hat der früfür nur die 0,88 Prozent im Jahr, .................................................................. um die der gesamtstädtische Mit dem Hochschulpakt 2020 ha- here Uni-Präsident Lüthje angeHaushalt wachsen darf. ben Bund und Länder bereits 2007 boten, im Namen der PatriotiDamit habe die SPD den Hoch- auf die steigenden Studienanfän- schen Gesellschaft einen Wissenschulen „die schärfsten Spar- gerzahlen in Folge der doppelten schaftskonsens zu vermitteln. maßnahmen seit Jahrzehnten Abiturjahrgänge reagiert: Nach taz-Informationen haben aufgezwungen“, behauptet der ■ Der bisherige Hochschulpakt Uni-Präsident Dieter Lenzen und CDU-Hochschulpolitiker Thilo brachte Hamburgs Hochschulen Wissenschaftssenatorin DoroKleibauer. Das solle sich ändern. zwischen 2013 und 2015 insgethee Stapelfeldt (SPD) ihm inzwiDas nach dem Tarif- und Inflati- samt über 60 Millionen Euro. schen einen gemeinsamen abonsausgleich übrige Geld werde ■ Davon erhielten die Uni-Hamlehnenden Brief geschrieben. Beman für eine höhere For- burg und die Hochschule für Ange- hörde und Hochschulen wollten schungsförderung verwenden. wandte Wissenschaften (HAW) je- zunächst selbst den Dialog fortIn Anknüpfung an die jüngs- weils rund 25 Millionen Euro, die führen. Die Landeshochschulten Vorstöße des Ex-Bürgermeis- Technische Uni Harburg rund siekonferenz arbeitet derweil an eiters Klaus von Dohnanyi und des ben Millionen, die Hafencity-Uni ner eignen Zukunftsskizze. früheren Uni-Präsidenten Jür- rund zwei Millionen, die KunstDer Theologie-Professor gen Lüthje würde die CDU zu- hochschule 0,6 und die MusikHans-Martin Gutmann sieht in dem eine „Zukunftskommissi- hochschule 0,4 Millionen Euro. der Art und Weise wie dieses Theon“ für eine „Wissenschaftsme- ■ Für den Hochschulpakt III gibt es ma in den Medien bewegt wird, tropole 2025“ einsetzen. Mit den 405 Millionen Euro für die fünf eine „Kampagne“, die den gegenNamen für deren Besetzung hielt Jahre von 2016 bis 2020. Wie die wärtigen Uni-Präsidenten Lensich Wersich zurück. Es sollten Mittel verteilt werden, wird jetzt zen als „Raufbold abstempelt, schon die „Pioniere“ der Debatte mit den Hochschulen vereinbart. der zur Räson gebracht werden dabei sein, aber nicht unbedingt Ferner gibt es Geld für Forschung. muss“. Dabei habe Lenzens 2010 „elder statesman“. begonnene Präsidentschaft nach taz: Herr Schüller, sind traditio- Ist Ihnen ein Protest bekannt, nelle Protestzüge nicht mehr at- der unmittelbare Folgen nach traktiv genug, um Aufmerk- sich zog? Es gab in Osnabrück einen Fall zisamkeit zu erregen? Jochen Schüller: Inhalte müssen vilen Ungehorsams. Das war eiin irgendeiner Weise transpor- ne Sitzblockade, um eine Abtiert werden. Je ansprechender schiebung zu verhindern. Und und provozierender ein Inhalt das hat funktioniert. Sitzblockaverbreitet wird, desto eher er- den werden seit Jahren von antireicht man die Menschen, Medi- rassistischen Netzwerken, die en und Politiker. Traditionelle sich gegen Abschiebungen wenFormen des Protests, sei es der zi- den, als Instrument eingesetzt. RANDALE Nach Antifa-Mobilisierung: In Hamburg vile Ungehorsam, widerspre- Welche Formen des kreativen werden Hools nicht gegen Salafisten marschieren chen sich nicht mit neuen, krea- Protests gibt es noch? tiven Formen. Sie sind Teil einer Die „Bonzendemo“ in Köln kari- Die „Hooligans gegen Salafisten“ chen Mittel dagegen prüfen – bis breiten Klaviatur, die rauf und kierte Ende der neunziger Jahre (HoGeSa) kommen doch nicht hin zu einem Verbot. Am Donnerstagvormittag runter gespielt werden sollte, je die Versuche eines Zusammen- ins Schanzenviertel. Wie die Polinach Zielgruppe, Thema oder schlusses Kölner Geschäftsleute, zei mitteilte, ist die für den 15. meldete das „Hamburger Bündeine Innenstadt ohne Bettler, Ob- November geplante Demonstra- nis gegen Rechts“ eine GegendeGegner. Gibt es ein Rezept für eine „er- dachlose und Straßenmusiker tion unter dem Motto „Europa monstration an – „auch aus der durchzusetzen. Mit Slogans wie gegen den Terror des Islami- Erfahrung, dass Verbote keinen folgreiche“ Demo? Nein, es gibt Methoden und For- „Bettler besteuern“ oder „Junk- schen Staates“ abgesagt worden. Bestand haben müssen“, sagte Femen des Protests, die besser food statt Junkies“ zogen als Ge- Dem sei ein Gespräch mit dem lix Krebs vom Bündnis. Antifafunktionieren als andere. Man- schäftsleute verkleidete De- Anmelder Benjamin K. voraus- schistische Initiativen riefen im che Methoden müssen aller- monstranten durch die Innen- gegangen, sagte Polizeipresse- Internet zum Protest auf: „Lasst dings an die jeweilige Situation stadt. Das wesentliche Element sprecher Andreas Schöpflin der nicht zu, dass sich RassistInnen und FaschistInnen den Kampf und das Thema angepasst wer- der „Bonzendemo“ war die soge- taz. nannte subversive Affirmation, Anfang der Woche war be- gegen den IS aneignen!“ den. Diese Ankündigungen haben also eine überdeutliche Zustim- kannt geworden, dass das NetzWann zum Beispiel? Im Rahmen des antirassisti- mung, in der sich die Kritik an werk HoGeSa in dem links-alter- offenbar Wirkung gezeigt: „Ihr nativen Szeneviertel gegen die habt doch überhaupt keine Ahschen Netzwerks „Kein Mensch dem Sachverhalt offenbart. vermeintlich islamistische Be- nung davon, was hier in Hamist illegal“ gab es die sogenannte INTERVIEW: SHN drohung aufmarschieren wollte. burg los ist“, warnte die Aktions„Lufthansa Deportation Class“, Nach der gewalttätigen Demons- gruppe Hamburg der HoGeSa, eine Kampagne gegen Abschie- Seminar zu kreativen Formen des tration der HoGeSa in Köln wur- „wenn der FC Sankt Pauli und seibungen auf Lufthansa-Flügen. Protests, 18 Uhr, Haus Drei, Hospiden über Facebook Aktionen in ne Antifa-Szene gegen Euch moDamals war ein Sudanese bei der talstraße 107 Berlin und Hamburg angekün- bilisiert, wenn die autonome Flogewaltsamen Abschiebung in ei.......................................................................................... digt. Mehr als 5.000 Leute aus ra-Szene mobilisiert und die Linner Lufthansa-Maschine ums LeJochen Schüller der Hooliganszene gaben an, sie ken mal in voller Besatzung anben gekommen. In Folge dessen ............................................................ wurden traditionelle Demons- ■ 51, ist Journalist, Pädagoge, Ak- wollten an dem Protest an der El- treten“. Die Polizei werde hier zudem anders agieren als in Köln. be teilnehmen. trationen durch Auftritte von fal- tivist und freier MitarDie Route sollte in dem alter- „Wir unterstützen eure Sache schen Stewardessen an Flughä- beiter des Bildungsnativ-mulikulturellen Stadtteil deshalb nicht mehr und haben fen oder bei Tourismusmessen projektes „Peace beginnen. Die Polizei hatte ange- uns aufgelöst“, teilte die Gruppe ergänzt, die dort gegen Abschie- Brigades Internatikündigt, sie werde alle rechtli- mit. AS bungen protestierten. onal“. Hooligans blasen Demo ab den schwierigen Jahren unter dessen Vorgängerin Monika Auweter-Kurtz der Uni sehr gut getan, und zu „aufrechtem Gang und offener Diskurs- und Lernkultur“ beigetragen. Die Konfliktlinien laufen also kreuz und quer. Gute Nachrichten konnte gestern Dorothee Stapelfeldt aus Berlin überbringen. Der Hochschulpakt für zusätzliche Studienplätze wird um eine dritte Phase verlängert. Von 2016 bis 2020 erhält Hamburg 405 Millionen Euro. Das gebe den Hochschulen Planungssicherheit, sagte Stapelfeldt. „Damit kann das sehr hohe Niveau der Studienanfängerzahlen in Hamburg weiterhin beibehalten werden“, ergänzt ihr Sprecher. Die Grüne Eva Gümbel widerspricht. Ohne den Berliner Geldsegen müssten die Hochschulen „zusätzlich zum Schrumpfkurs der SPD“ 2.000 Anfängerplätze abbauen, sagt sie. „Nicht für Menschen“ ASYL Flüchtlinge gehen gegen „unwürdige Zustände“ in der Erstaufnahme auf die Straße Rund 150 Flüchtlinge und Unterstützer haben am Donnerstag vor der Innenbehörde am Johanniswall gegen die „menschenverletzenden Zustände“ in der Erstaufnahmeeinrichtung an der Schnackenburgallee protestiert. Die Demonstranten forderten, alle Lager abzuschaffen und den Flüchtlingen Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Die Flüchtlinge kostete es einige Überwindung, sich an dieser Protestaktion zu beteiligen. Denn der vom städtischen Träger der Erstaufnahmeeinrichtung engagierte Sicherheitsdienst hatte nach Aussagen einiger Flüchtlinge vor einer Teilnahme gewarnt. Das könne sich negativ auf ihr Asylverfahren auswirken, so die Drohung. „Die Sicherheitsleute haben ein rigides System der Einschüchterung eingeführt“ MARTIN DOLZER, SOZIOLOGE Etwa 1.400 Menschen sind zurzeit in der Erstaufnahmeeinrichtung neben dem HSV-Stadion in Containern und 32-BettenZelten untergebracht. Die meisten von ihnen müssen länger als die vorgesehenen drei Monate dort bleiben, bis sie Wohnungen zugewiesen bekommen. „Wir sind nicht hierher gekommen, um in Zelten zu sitzen“, sagte einer der Flüchtlinge. Auf der Demonstration hielt ein Mann ein Schild mit der Aufschrift „Wir leben in herstellerdefinierten Boxen für Waren und nicht für den Menschen“ hoch. Auf einem anderen stand: „Wir lieben arbeiten, helfen sie uns zu beginnen“. Die Zustände sind dort kurz vor dem Winter tatsächlich äußerst prekär, sagte der Soziologe Martin Dolzer, der sich vor zwei Wochen einen Überblick in der Einrichtung verschaffen konnte. Die Sicherheitsleute hätten dort ein „rigides System der Einschüchterung“ eingeführt, sagt Dolzer. „Wir wollen auch leben, lasst uns nicht hängen“, ergänzte einer der Flüchtlinge. KVA