Landesverrat: Der Fall des 1944 in der Schweiz hingerichteten
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Landesverrat: Der Fall des 1944 in der Schweiz hingerichteten
LANDESVERRAT: DER F A L L DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN A L F R E D QUADERER PETER GEIGER Inhalt 1. EINLEITUNG 111 Fragestellung, Quellengrundlagen III Verrat, Spionage, Landesverrat 112 2. LANDESVERRÄTER-URTEILE IN DER SCHWEIZ IM ZWEITEN WELTKRIEG 113 Übersicht und Liechtensteiner Anteil 113 Todesurteile und Hinrichtungen 113 3. DER FALL «QUADERER, ROOS UND KONSORTEN» 115 Alfred Quaderer und sein Umfeld 115 Die konkreten Straftaten 118 Der Militärgerichtsprozess 120 Warum das Todesurteil? 121 Warum keine Begnadigung? 123 Die Hinrichtung am 7. Juni 1944 128 4. INFORMATION DER ÖFFENTLICHKEIT UND REAKTIONEN 131 5. FRAGEN ZUM FALL QUADERER 137 Rechtsstaatliches Verfahren? 137 Strafzwecke: Abschreckung, Sühne, Gerechtigkeit? 137 Was hätte Quaderer vor einem liechtensteinischen Gericht erwartet? 137 Landesverräter auch gegenüber Liechtenstein? 138 Verhältnismässigkeit: Den Kleinen gehängt? 139 6. ZEIT UND MENTALITÄT 140 Quellen und Literatur 141 110 LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER 1 Einleitung Am 6. Juni 1944 begann an der französischen Westküste in der Normandie die grosse westalliierte Invasion. In jenen folgenden Junitagen entschied sich nicht nur das Schicksal Hitlerdeutschlands, sondern endete auch das Leben unzähliger einzelner Soldaten und Personen in der Schlacht, wie es etwa der Spielfilm «Saving Private Ryan» (1998) veranschaulicht. Am zweiten Invasionstag, dem 7. Juni 1944, wurde auch das Leben des 24jährigen Liechtensteiners Alfred Quaderer aus Schaan beendet: Er wurde in der Schweiz als Spion und Landesverräter erschossen. Damals erfuhr man im Fürstentum von der Hinrichtung Quaderers. Sie wurde in den Radionachrichten mitgeteilt. Doch wusste man schon seinerzeit nur Vages zur ganzen Sache. Seither hat sich auch das Wenige fast ganz verloren. Im Folgenden soll der ausserordentliche Fall des Alfred Quaderer detailliert dargelegt und analysiert werden, mit Blick auch auf sein Umfeld, den Fakten folgend, aus den Quellen dokumentiert. FRAGESTELLUNG, QUELLENGRUNDLAGEN Die einen Liechtensteiner betreffende Landesverräter-Hinrichtung gibt Anlass zu einer Reihe von Fragen. Was bedeutete Landesverrat damals in der Schweiz? Warum erfasste die Todesstrafe auch Liechtensteiner? War er der einzige? Was hatte er konkret verübt? Welches waren seine Motive? War er sich der Schwere und der Konsequenzen seines Handelns bewusst? Wie lief das Strafverfahren ab? Hätte man ihn nicht begnadigen können? Unternahm man von Liechtenstein aus etwas für ihn? Unter was für Umständen erfolgte die Hinrichtung? Was erfuhr die Öffentlichkeit und wie reagierte sie? Wäre Quaderer in Liechtenstein auch als Landesverräter abgeurteilt worden? Hat man mit ihm den sprichwörtlichen Kleinen exekutiert? Die Quellengrundlagen für die nachfolgenden Ausführungen sind vielfältig. Sie sind am Ende des Beitrags im Einzelnen aufgeführt. Daher wird auf Anmerkungen verzichtet, diese wären sehr zahlreich und würden sich ständig wiederholen. Alle Aussagen, puzzleartig gewonnen, sind aus den angegebenen Quellen überprüfbar. Zu nennen sind insbesondere die Archivakten im Bundesarchiv in Bern - für die der Oberauditor der Schweizer Armee dem Verfasser die Einsichtnahme speziell erlaubt hat - , im Landesarchiv in Vaduz und im Staatsarchiv St. Gallen. Das gerichtliche Hauptdossier zu Alfred Quaderer ist zwar gegenwärtig im Bundesarchiv in Bern nicht auffindbar, doch lässt sich praktisch alles aus den Akten der übrigen Prozessbeteiligten, welche drei grosse Aktenbündel füllen, erschliessen. Vieles enthielten auch die 1945 und 1946 gedruckten offiziellen Berichte von General Guisan, des Schweizer Generalstabschefs, des Armeeauditors und des Sicherheitsdienstes der Schweizer Armee über die Aktivdienstzeit von 1939 bis 1945. Für schweizerische Zeitungsmitteilungen von 1944 sind der «Werdenberger & Obertoggenburger», das «St. Galler Tagblatt» und die «Ostschweiz» genutzt, ebenso das «Liechtensteiner Volksblatt» und das «Liechtensteiner Vaterland» durchgesehen worden. Zeitzeugen haben dem Verfasser Auskünfte zum Thema gegeben, so vorab Fürst Franz Josef II. und der damalige Schaaner Pfarrer Johannes Tschuor sowie einige weitere Personen. Doch ausser Episodischem wussten und wissen die Zeitzeugen wenig zum Fall Quaderer, vor allem nicht die konkreten Einzelheiten, Taten und Zusammenhänge. Der Zürcher Strafrechtler Peter Noll hat 1980 sein Buch «Landesverrat, 17 Lebensläufe und Todesurteile» publiziert. Darin analysiert er die Gerichtsakten der in der Schweiz hingerichteten Landesverräter im Hinblick auf das rechtsstaatliche Verfahren. Allerdings hat Noll - als Bedingung für Akteneinsicht - alle Namen geändert, selbst in Quellenzitaten. So ist auch der bei Noll aufscheinende «Max Gisinger, Schwyz» blosses Pseudonym, dem Leser allerdings kaum als solches erkennbar und zu unliebsamen Verwechslungen geeignet. In Wirklichkeit verbirgt sich darunter nämlich der damals in Zug lebende Alfred Quaderer. Dennoch ist Nolls Buch für die Kernfrage der Rechtsstaatlichkeit des Gerichtsverfahrens zentral und auch zu vielen Detailfragen aufschlussreich. Schliesslich 111 hat Nikiaus Meienbergs faktenmässig sehr gut recherchierte, kritisch wertende Reportage von 1975, «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.», einige wertvolle Hinweise auch zum Fall Quaderer geliefert. Das Problem der Namen: Mit Pseudonymen hat Noll 1980 die Täter anonymisiert. Selbst der sonst so ungenierte Meienberg nennt 1975 Verräternamen nur mit Anfangsbuchstaben, so «Ernst S.» für den von ihm beschriebenen Ernst Schrämli, «Q.» für den einmal beiläufig angesprochenen Alfred Quaderer, «R.» für dessen Komplizen Kurt Roos. In der Kriegszeit hingegen waren Namen und Personalien von Verurteilten und Hingerichteten am Schweizer Radio verlesen und als amtliche Mitteilungen mehrfach in den Zeitungen veröffentlicht worden. Ebenso sind die wichtigeren verurteilten Spione in den offiziellen Berichten des Generalstabschefs und des Armeeauditors von 1945/46 offen genannt, damals und seither für jedermann zugänglich. Setzt man, wie es hier im Folgenden geschehen soll, die zahlreichen Fakten und Daten aus allen oben genannten Quellen zusammen, so ergibt sich ein recht dichtes und klares Bild des Falles. Dabei werden die realen Namen der Handelnden genannt - sie waren seinerzeit schon öffentlich - , nicht um ihr Andenken zu schmälern, sondern um die historische Wirklichkeit objektiv wiederzugeben, Verwechslungen zu vermeiden und auch um ihnen selber und den damals Lebenden und Handelnden gerecht zu werden. Der Verfasser dankt: Dem Personal des Bundesarchivs, speziell dem Oberauditor der Armee für die Einsichtnahme in die Prozessakten im Bundesarchiv Bern; dem Personal des Landesarchivs in Vaduz, jenem des Staatsarchivs St. Gallen, hier Dr. Silvio Bucher, sowie des Staatsarchivs Zürich; des Stadtarchivs Zug, hier Dr. Christian Raschle; den Zeitzeugen, insbesondere Fürst Franz Josef IL, Pfarrer Johannes Tschuor, Schaan, Professor Armin Linder, St. Gallen, und Ing. Meinrad Lingg, Schaan; für Einzelmitteilungen weiteren Personen, besonders auch Hermann Quaderer, Schaan, und Erich Quaderer, Vaduz, Neffen von Alfred Quade112 rer; ebenso Professor Ernst Nigg, Vaduz, für Einsicht in nachgelassene Papiere seines Vaters, des damaligen Regierungssekretärs Ferdinand Nigg; für Einzelauskünfte verschiedenen Behördenstellen in Liechtenstein und in der Schweiz, so Hans Meier von der Landespolizei, Vaduz, dem Zivilstandsamt in Vaduz, dem Zivilstandsamt der Stadt Zug, hier Irene Schwendimann, dem Zivilstandsamt der Stadt Zürich; dem Kommandanten der Festung Sargans, Oberst Ulrich Bär; schliesslich dem Liechtenstein-Institut in Bendern und dessen Personal, insbesondere der Bibliothekarin Eva Rückstätter. Für die Besorgung der Abbildungsvorlagen sei dem Jahrbuch-Redaktor lic. phil. Klaus Biedermann, der Buchgestalterin Silvia Ruppen sowie der Schaaner Gemeindearchivarin lic. phil. Eva Pepic gedankt. Der vorliegende Beitrag erwächst als Nebenprodukt aus dem umfassenden Forschungsprojekt «Liechtenstein im Zweiten Weltkrieg», welches der Verfasser am Liechtenstein-Institut in Arbeit hat. VERRAT, SPIONAGE, L A N D E S V E R R A T Verrat wurde und wird in allen Gemeinschaften als schlimmstes, schändlichstes Vergehen eingestuft. Durch die Verratshandlung verbündet sich die Verräterperson mit dem Feind. Verraten kann man Geheimnisse oder Personen oder die Gemeinschaft als Ganzes. Geheimnisverrat wird landläufig als Spionage umschrieben. Auseinanderzuhalten sind hierbei militärischer, wirtschaftlicher und politischer Nachrichtendienst, ebenso die Länder, gegen welche dieser sich richtet oder denen er dient. Die Begriffe «Verrat», «Verräter» wurden seinerzeit im Sprachgebrauch unscharf umgrenzt. In Liechtenstein rief man den Hitleranhängern als Schimpfwort «Verröter!» nach. Damit meinte man den Verrat an der Gemeinschaft als Ganzem, im Sinne von Landesverrat. Nicht alle Spionage ist Landesverrat. Als Landesverrat wurden in der Schweiz Verratshandlungen gewertet, die gegen das existentielle Landesinteresse, nämlich das Überleben der Schweiz im LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADER ER / PETER GEIGER 2 Landesverräter-Urteile in der Schweiz im Zweiten Weltkrieg Zweiten Weltkrieg, gerichtet waren. Spionage, die ein fremdes Land betraf und sich nicht gegen die Schweiz richtete, war nicht Landesverrat, sondern verbotener Nachrichtendienst. Im politischen Bereich galt auch das Bemühen nationalsozialistischer Schweizer, die Schweiz ans Dritte Reich anzuschliessen, als Landesverrat. Doch war die Todesstrafe gegen politische Landesverräter in der Schweiz nicht möglich; gegen solche Schweizer sprach man lange Gefängnisstrafen aus, ab 1943 konnte man sie, wenn sie im Reich weilten, ausbürgern. Um diesen politischen Landesverrat geht es hier aber nicht. Die schweizerischen Landesverräter-Urteile ergingen wegen militärischer Spionage und Sabotage zum Nachteil der Schweiz. So auch im Fall des Alfred Quaderer und der mit ihm in der Schweiz Verurteilten. Besonders merkwürdig erscheint der Umstand, dass mit Quaderer ein Liechtensteiner als schweizerischer Landesverräter hingerichtet wurde. Der Tatbestand des Landesverrats war nicht auf Schweizerbürger beschränkt, er betraf auch Personen, welche in enger Verbindung zur Schweiz standen. Hier war Liechtenstein inbegriffen, gerade in der Kriegszeit. Man mag schliesslich fragen, wozu die folgende Ausbreitung der Einzelheiten, bis hin zu den sehr konkreten Hinrichtungsmomenten, denn diene. Alfred Quaderers Einzelschicksal wirft Lichtkegel in dunkle Ecken, in Verwicklungen und Zusammenhänge der Kriegszeit, auf das soziale Umfeld, auf parallele Lebensläufe, auf Mentalitäten, auf banale Motive für Verratshandlungen ebenso wie auf existentielle Staatsinteressen, auf Politikfelder der Schweiz, Liechtensteins und des Dritten Reiches. Schärfe und Nähe der Lichtkegel machen erst die realen Details sichtbar, aus denen die Einzelleben bestehen und das Ganze der Geschichte sich webt. Ü B E R S I C H T UND LIECHTENSTEINER ANTEIL In der Schweiz wurden wegen militärischen Landesverrats im Laufe des Krieges und bis zum Ende des Aktivdienstes - das heisst bis zum 20. August 1945 - insgesamt 33 Todesurteile ausgesprochen, daneben noch 50 lebenslange Zuchthausstrafen sowie weitere 218 zeitliche Zuchthausstrafen. Todesurteile gab es danach keine mehr, wohl aber weitere lebenslange und zeitliche Zuchthausstrafen wegen Landesverrats. Nicht alle Verurteilten waren Eidgenossen. Die 33 gefällten Landesverräter-Todesurteile ergingen gegen 22 Schweizer, sieben Deutsche, drei Liechtensteiner und einen Franzosen. Die gegen Liechtensteiner gefällten Todesurteile machten somit immerhin neun Prozent aus. Unter den 50 mit lebenslangem Zuchthaus bestraften Landesverrätern figurierte ein Liechtensteiner. Die 218 zeitlichen Zuchthausstrafen für Landesverrat betrafen neben 140 Schweizern und 59 Deutschen auch 13 Liechtensteiner, daneben vier Italiener, einen Belgier und einen Franzosen. Schweizerische Spionage-Urteile, die nach dem 20. August 1945 ergingen, erfassten nochmals weitere Personen aus Liechtenstein. Die in der Schweiz gegen die Liechtensteiner, darunter einige wenige Frauen, ausgesprochenen Zuchthausstrafen wegen Landesverrats und wegen Nachrichtendienstes für fremde Staaten waren lang. Allein nach den bis zum 31. Januar 1945 gefällten Urteilen waren es für 13 liechtensteinische Personen zusammen 89 Strafjahre. Mit später dazu kommenden Urteilen ergaben sich weit über 100 Jahre Zuchthaus für Personen aus Liechtenstein wegen Spionagedelikten gegen die Schweiz zugunsten Hitlerdeutschlands. T O D E S U R T E I L E UND HINRICHTUNGEN Hier interessieren wegen des Falles Quaderer speziell die Todesurteile. Von den insgesamt 33 schweizerischen Todesurteilen wurden sieben im Jahre 1942,zehn im Jahre 1943,13 im Jahre 1944 113 - darunter zwei gegen Liechtensteiner, nämlich Alfred Quaderer und Willy Kranz - sowie noch drei im Jahre 1945 gefällt, davon eines wiederum gegen einen Liechtensteiner, nämlich Theo Wolfinger. Insgesamt 17 Todesurteile gegen Landesverräter wurden in der Schweiz vollstreckt, und zwar in den Jahren 1942 bis 1944, darunter jenes an Alfred Quaderer. Ein Verurteilter wurde 1945 begnadigt. 15 Todesurteile wurden in contumaciam gefällt, in Abwesenheit der Angeklagten, so dass sie nicht vollstreckt werden konnten. Unter diesen abwesend zum Tod Verurteilten waren die zwei erwähnten Liechtensteiner Kranz und Wolfinger. Im bürgerlichen Strafrecht, das heisst im nichtmilitärischen Bereich, war die Todesstrafe in der Schweiz abgeschafft, und zwar durch das neue Strafgesetzbuch von 1937, das 1938 in der Volksabstimmung angenommen wurde und auf den 1. Januar 1942 in Kraft trat. Daher gab es im Zweiten Weltkrieg auch keine Schweizer Todesurteile wegen politischen Landesverrats. Dagegen blieb im 1927 neu gefassten schweizerischen Militärstrafgesetz die Todesstrafe - trotz Einwänden von sozialdemokratischer Seite - beibehalten, wenn auch eingeschränkt auf «Kriegszeiten» oder «unmittelbar drohende Kriegsgefahr». Solche bestand von 1939 bis 1945. Zur Anwendung kamen vorab die Artikel 86 und 87 des schweizerischen Militärstrafgesetzes (MStG) von 1927. Nach Artikel 86 MStG galt die Verletzung militärischer Geheimnisse als «Verräterei», nämlich das Ausspähen und Weitergeben von «Tatsachen, Vorkehren, Verfahren oder Gegenständen, die mit Rücksicht auf die Landesverteidigung geheimgehalten werden», an einen fremden Staat, an dessen Agenten oder an die Öffentlichkeit. Als Strafe war Zuchthaus vorgesehen, in Zeiten des aktiven Truppenaufgebots nicht unter drei Jahren. Störte oder gefährdete der Täter durch seine Verratshandlungen die Unternehmungen des schweizerischen LIeeres, so konnte in Zeiten des Aktivdienstes lebenslängliches Zuchthaus, in Kriegszeiten gar die Todesstrafe verhängt werden. Nach Artikel 87 MStG wiederum galten als «militärischer Landesverrat» Sabotagehandlungen, 114 durch welche in Zeiten aktiven Truppenaufgebots Unternehmungen des schweizerischen Heeres direkt und indirekt gestört oder gefährdet wurden, insbesondere durch Beschädigung oder Vernichtung von Heereseinrichtungen sowie durch Behinderung von deren Betrieb. Als Strafen war in schweren Fällen ebenfalls lebenslängliches Zuchthaus, in Kriegszeiten die Todesstrafe möglich. Nachdem Hitler am 10. Mai 1940 seine westlichen Nachbarstaaten überfiel, auch die Schweiz sich unmittelbar militärisch gefährdet sah, zudem deutlich wurde, wie verheerend sich beim deutschen Einbruch in den Niederlanden, in Belgien, Luxemburg und Frankreich Spionage und Sabotage auswirkten, erliess der Bundesrat zweieinhalb Wochen darauf, am 28. Mai 1940, eine Verordnung, gemäss welcher bei militärischem Geheimnisverrat nach den Artikeln 86 und 87 MStG generell auf lebenslängliches Zuchthaus oder Todesstrafe erkannt werden konnte. Dies bedeutete eine Verschärfung der Strafandrohung für militärischen Landesverrat und sollte klar abschreckend wirken. Auffällig ist indes der Umstand, dass das erste Todesurteil erst über zwei Jahre später, am 25. September 1942, gefällt wurde und die erste Hinrichtung erst im November 1942 geschah, es war jene des St. Gallers Ernst Schrämli. Die Gerichte hatten 1939, 1940 und 1941 bei Spionagefällen noch verhältnismässig milde Strafen verhängt. Als sich aber 1941 und 1942 die von Deutschland gegen die Schweiz gerichtete und in der Schweiz verübte Spionage verstärkte und schliesslich ganze einheimische Spionageringe aufgedeckt wurden, sah man es für notwendig an, härter zu urteilen, um drastisch darzutun, dass die Verräter die Existenz des Landes und das Leben der Bewohner gefährdeten. In diesen zeitlichen und rechtlichen Rahmen im Kriegsverlauf fügen sich Handlungen und Schicksal Alfred Quaderers ein. Quaderer handelte nicht allein, er gehörte zu einem verzweigten Spionagenetz. Im betreffenden Prozess im März 1944 wurden zwei Dutzend Personen abgeurteilt. LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER 3 Der Fall «Quaderer, Roos und Konsorten» A L F R E D Q U A D E R E R UND SEIN U M F E L D Alfred Quaderer, am 20. April 1920 geboren, war Liechtensteiner Bürger von Schaan. Er wuchs hier bis zur fünften Klasse Primarschule auf. Er sei da glücklich gewesen, sagte Alfred später. Familie und Freunde riefen ihn «Fredy». Dann zog die Familie nach Zug, dort arbeitete der Vater, Josef Alfred, bei Landis und Gyr, er war Elektroingenieur und ein Erfinder. Die Familie Quaderer wohnte an der Schwertstrasse 22. 1933 starb die ältere Schwester von Alfred an Tuberkulose, 17-jährig. Die verbleibende Schwester Klara war ein Jahr jünger als Alfred. Der Vater wurde magenkrank, was Geld verschlang. Der Junge fühlte sich in Zug isoliert. Er durchlief die Sekundärschule und absolvierte eine Lehre als Maler für Dekorationen und Schriften. Nach der Lehre wechselte er oft die Stelle, die Malerarbeit gefiel ihm nicht. Zeitweilig war er ohne Arbeit. Alfred Quaderer hatte in Zug bei den Pfadfindern den zwei Jahre jüngeren Kurt Roos, geboren 1922, kennengelernt. Die zwei Freunde verbrachten fortan die ganze Freizeit miteinander. Quaderer hatte später eine Freundin in Uster. Roos kam aus unerfreulichen Familienverhältnissen, war Gymnasiast, trat aber vor der Matura aus und arbeitete als kaufmännischer Angestellter. Gemeinsam verübten Quaderer und Roos schliesslich die Verratshandlungen, ab 1941. Leitend war dabei der etwas ältere Quaderer. Von sich aus wären sie wohl nicht auf die Idee gekommen, Spionage zu treiben. Die beiden bewunderten zwar die deutschen Waffenerfolge, aber sie waren im Grunde unpolitische Burschen, verkehrten im Zuger Tanzclub, fuhren Ski, suchten Vergnügen. Und etwas Geld. Nationalsozialisten im ideologischen Sinne waren sie nicht, auch wenn Quaderer später im Verhör aussagte, er sei «sehr für die Deutschen eingenommen» gewesen. Vielmehr spannen sich die Fäden über die liechtensteinische Herkunft und die verwandtschaftlichen Beziehungen. In Feldkirch lebte nämlich ein etwas älterer Cousin von Alfred Quaderer, der 1911 geborene Willy Als Bub in Schaan sei er glücklich gewesen: Alfred Quaderer. Ausschnitt aus dem Klassenfoto (siehe übernächste Seite), um 1930 115 Weh, dessen Mutter eine Quaderer aus Schaan war. Weh war Österreicher, seit 1938 Deutscher. Als Nationalsozialist hatte er vor 1938 schon der illegalen NSDAP angehört. Weh war Baumeister im Feldkircher Baugeschäft Hilty. Alfred Quaderer verbrachte 1939 Ferien bei Weh in Feldkirch und fuhr mit ihm auf Baustellen und unter anderem auf den Brenner. Weh vermittelte dem 19-Jährigen ein positives Bild des Dritten Reiches. Im Krieg wurde Weh dann 1941 von der deutschen «Abwehrstelle Bregenz» der deutschen M i litärspionage beauftragt, Spionageergebnisse aus der Schweiz zu beschaffen. Weh sagte später, er sei dazu gezwungen worden, sonst wäre er in den Krieg einberufen worden. Willy Weh kam im Frühjahr 1941 zu Besuch zu den Verwandten nach Zug, mit Hintergedanken. Er sass mit der Familie Quaderer im Garten, man plauderte. Alfred begleitete ihn noch durch die Stadt zum Bahnhof, da gab Weh ihm plötzlich 50 Franken und forderte ihn auf, gegen mehr Geld militärisch Interessantes zu liefern. Vom Geld verlockt, sagte Alfred zu. Den Vater Quaderer hatte Weh bei jenem Besuch in Zug ebenfalls zur Spionage gedrängt, unabhängig vom Sohn. Widerstrebend spähte auch der Vater in der Folge einiges für Weh aus. Alfred begann im Frühsommer 1941, an Weh militärische Informationen zu liefern. Weh wiederum bewog ihn, weitere Personen in der Schweiz anzuwerben. Alfred zog sonach bald seinen Freund Roos ins Vertrauen und im Sommer 1941 ins Geschäft. Er nahm Roos mit nach Liechtenstein, zum Volksfest in Vaduz am 15. August 1941, dem Vorabend des Fürstengeburtstages. Bei der nächsten Liechtensteinfahrt, wenig später, führte Quaderer Roos nach Schaan. Hier trafen sie sich mit Quaderers Cousin, der auf der Schaaner Post arbeitete. Dieser lud sie zum Mittagessen ins mütterliche «Bierhüsle» und führte sie nachher zu Weh in ein Schaaner Privathaus. Quaderer übergab dort gestohlenes schriftliches Militärmaterial an Weh, und Weh seinerseits überredete nun auch Roos zur Spionage. Weh, der bei dieser Unterredung die Ziele des Nationalsozialismus pries, instruierte Quaderer und den Neuspion Roos, was sie zu tun und 116 wie sie vorzugehen hätten-. Sie sollten schweizerische Festungsanlagen ausmachen, Truppeneinheiten und Truppenbewegungen notieren, militärisches Instruktionsmaterial sowie topographische Karten beibringen. Als Zwischenträger für Quaderer/Roos und Weh fungierte zeitweilig der erwähnte Schaaner Cousin, indem er als Postangestellter Aufträge von Weh telefonisch nach Zug übermittelte oder Wehs Briefe an sie in Buchs zur Post brachte - was schliesslich die Schweizer Ermittlungen erleichterte. Zur Rolle von Weh sagte Alfred Quaderer im späteren Gerichtsverfahren im März 1944 dann aus: «Bei meinen ganzen Vorgehen war der Angeklagte Weh die treibende Kraft.» Willy Weh und andere Agenten der deutschen Abwehr in Vorarlberg spannen weitere Fäden. In Feldkirch arbeitete bei der dortigen Industrie- und Handelskammer als Grenzgänger der 1921 geborene Liechtensteiner Willy Kranz aus Nendeln. Kranz war aktives Mitglied der nationalsozialistischen «Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein». Als 18-Jähriger war er 1939 an deren gescheitertem Anschlussputsch beteiligt gewesen. Der junge Kranz wurde nun von Feldkirch aus ab 1941 ebenfalls Richtung Schweiz eingesetzt, als Kopf eines wachsenden Spionagenetzes in der Schweiz und in Liechtenstein. Im Spätherbst 1941 wurde Willy Kranz durch Weh mit Quaderer und Roos in Kontakt gebracht, indem er ihnen am 22. November 800 Franken Spionageentgelt nach Zug zu überbringen hatte. Kranz, in Zug zuerst unter dem Decknamen «Willy Ring» auftretend, sagte zu Quaderer, er sei «gelernter Spion», er habe einschlägige «Kurse in München, Innsbruck und Berlin besucht». Kranz kam danach zu Treffen mit Quaderer und Roos nach Zug, Zürich, Ziegelbrücke, Luzern und Erstfeld. Er brachte Geld und neue Aufträge und ü b e r n a h m Material. Quaderer händigte ihm auch in Schaan und Nendeln Spionagecouverts aus. Kranz übergab sie Weh, zumeist in Schaan, wo Weh unauffällig geschäftlich verkehren konnte. Weh brachte die Beute im Auto nach Feldkirch, wo seine Abwehr-Auftraggeber sie er- LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER Auf dem Klassenfoto der Primarschule Schaan, um 1930: Alfred Quaderer sitzt hinten in der mittleren Reihe in der fünften Bank (sein Kopf verdeckt im Bild die rechte Hand von Lehrer Alfons Kranz, rechts Pfarrer Josef Büchel). Siehe den Bildausschnitt auf der vorangehenden Seite 117 hielten. Mindestens zehn solcher Übergaben konnten im Prozess nachgewiesen werden, wahrscheinlich waren es mehr. In umgekehrter Richtung floss das Geld, gelegentlich 200 bis 300 Franken, damals ein guter Monatslohn. Kranz übergab das Geld Quaderer, ein Teil davon ging an Roos. Gerichtlich nachgewiesen wurde Quaderer der Erhalt von zusammen gut 1200 Franken, für Roos von gut 800 Franken, innert eineinhalb Jahren. Die angesichts der UnVerhältnismässigkeit des Risikos doch geringen Summen beziffern die Erbärmlichkeit des Spionagegeschäfts. Die beiden jungen Männer, wie Kranz auch, verfügten zusammen mit ihrem Arbeitsverdienst dank der Spionagefranken über mehr Geld für Alltag und Freizeit. In Wehs und Kranz' Auftrag gingen Quaderer und Roos ihrerseits in der Innerschweiz verratswillige Personen an und gewannen sie zum Mittun. Es handelte sich vorab um einige Militärdienstleistende, von denen sie Informationen erlangten. Willy Kranz seinerseits organisierte weitere Spione, Liechtensteiner und Schweizer. Angeworben wurde etwa auch der Balzner Maler und Textilreisende Josef Arnold Vogt, geboren 1907, der kurzzeitig in Vorarlberg arbeitete und darauf mit Spionageaufträgen, als Handelsreisender getarnt, per Bahn und Postauto durch die halbe Schweiz fuhr, im Gebirge wanderte und eifrig militärische Anlagen ausspähte. Zu Flause in Balzers installierte Vogt auch zeitweilig einen aus dem Reich eingeschmuggelten Funkapparat, den er in einem Kurs in Stuttgart zu bedienen gelernt hatte. Willy Kranz setzte für die Spionageaufträge und für Vermittlerdienste von der Schweiz nach Liechtenstein auch einzelne Familienmitglieder ein, so insbesondere seinen italienischen Schwager Pietro Rossi, der in Näfels im Glarnerland wohnte und Gelegenheit hatte, dort zu spionieren. So ergab sich schliesslich ein Spionagering von zusammen mindestens 25 Personen. Die wichtigsten Figuren darin waren als Organisatoren Weh und Kranz und als regelmässige Hauptspione Quaderer, Roos und Vogt. Nur die beiden Organisatoren wussten von allem, die einzelnen Spionierenden dagegen hatten keine Übersicht, sie kannten 118 meist nur eine Kontaktperson. Quaderer und Roos standen zwischendrin, auf zwei Ebenen: An Weh und Kranz hängend, spionierten sie hauptsächlich selber, warben aber zudem weitere Personen an, die für sie spionierten. Das ganze Spionagenetz war eines von verschiedenen, die in der Schweiz und teilweise eben in und über Liechtenstein - für LIitlerdeutschland gegen die Schweiz tätig waren. Nach eineinhalb Jahren Tätigkeit flog es anfangs 1943 auf. Die auf immer mehr Personen ausgedehnten Untersuchungen brachten die Einzelheiten allmählich ans Licht, allerdings nicht an die Öffentlichkeit. DIE K O N K R E T E N S T R A F T A T E N Quaderer spionierte zuerst ab dem Juni 1941 allein, danach von Ende August 1941 an meistens mit seinem Freund Roos zusammen, gelegentlich agierte noch jeder zusätzlich auf eigene Faust. Die Spionagetätigkeit erstreckte sich so vom Sommer 1941 an über eineinhalb Jahre hinweg bis zur Verhaftung am 2. Januar 1943. Was verriet Alfred Quaderer konkret? War es so schwerwiegend, dass es dem Todesurteil rief? Auf Wehs Anweisung notierte Alfred Quaderer im Sommer 1941 bei jeder Gelegenheit Einteilungen, Nummern und Standorte von Schweizer Soldaten, vor allem in Zug, Baar und Zürich. Er meldete sie Weh, der ihm dafür 50 Franken gab. Quaderer brachte Weh im Sommer 1941 zweimal je drei Schweizer Landkarten ins Fürstentum. Im August 1941 sah Quaderer in Zug im leerstehenden Hotel «Casino», wo er Malerarbeiten verrichtete, militärische Akten des Platzkommandos, das hier einquartiert war, auf den Tischen liegen. A m Abend entwendete er dort solche Akten, die ohne grosse Sorgfalt in einem Koffer verwahrt waren. Darunter fand sich ein «rotes Büchlein», das Verzeichnis der Korpssammelplätze aller schweizerischen Grenztruppen, das waren deren Mobilisationsstandorte. Er fuhr darauf am Sonntag nach Schaan, begleitet von Roos. Die Grenze überquerten sie im Postauto von Trübbach nach Bal- LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER zers. Die militärischen Papiere aus dem CasinoDiebstahl hatte Quaderer in einem gelben Couvert auf sich. An der Rheinbrücke mussten sie dem Schweizer Heerespolizisten nur die Pässe zeigen. Durchsucht wurden sie auch nachher beim Grenzübertritt nie. Als Weh in Schaan die fette Spionagebeute übernahm, stellte er Quaderer, wenn er ihm weitere «solche Sachen» bringe, für später eine einträgliche Stelle im Baugeschäft in Feldkirch in Aussicht. Dies war jenes oben schon erwähnte Zusammentreffen mit Weh, bei dem Quaderer Roos erstmals in Kontakt mit Weh brachte und Weh jenen anwarb. Für Hitlerdeutschland war besonders das Schweizer Reduit - der ab 1940 im Ausbau befindliche befestigte Zentralraum der Alpen - mit seinen Zugängen und Anlagen von Interesse. Im Spätsommer 1941 spähten Quaderer und Roos gemeinsam am Zugersee und am Ägerisee Tanksperren und Bunker aus, so die Panzer- und Minensperren «Murpfli» und «Lothenbach». Lothenbach liegt am Zugersee an der engen Strasse zwischen Zug und Schwyz. Sie erstellten genaue Skizzen der Sperren, mit Eintragung der Örtlichkeiten, der Minenkammern und der Zündleitungen. Die Angaben gingen an Weh. Weh zahlte gut für das «rote Büchlein» der Korpssammelplätze, wünschte aber auch ein Verzeichnis der Korpssammelplätze aller schweizerischen Truppen, sie wären in einem «grünen Büchlein» zu finden. Quaderer stahl im Oktober 1941 auch dieses «grüne Büchlein» aus den CasinoBüros des Zuger Platzkommandos, dazu noch das «weisse» Verzeichnis aller Mobilmachungsfunktionäre der Armee sowie andere greifbare Unterlagen. Quaderer brachte die Ausbeute, begleitet von Roos, Anfang November 1941 ins Fürstentum nach Schaan und übergab alles Weh. Kurt Roos absolvierte vom 23. November 1941 bis zum 21. März 1942 die Schweizer Rekrutenschule, erst in Luzern, ab Mitte Februar in Mendrisio. Da boten sich Gelegenheiten. Roos stahl in der Rekrutenschule einen Minenwerfer-Aufschlagzünder. Er schickte den Zünder per Post an Quaderer, dieser händigte ihn in Thalwil an Willy Kranz aus. Roos beschaffte auch Waffenreglemente der Schweizer Armee, über Quaderer gingen sie an Weh, ebenso mehr als 20 Landkarten. Auf Aufforderung von Weh drang Quaderer, teils allein, teils unter Mithilfe von Roos, in den ersten Monaten des Jahres 1942 erneut und wiederholt ins Zuger Platzkommando ein. Einmal, im Januar 1942, blieb die Aktion erfolglos, weil die Abwartfrau erschien. Willy Weh traf am 16. April 1942 in Zürich mit Quaderer und Roos zusammen. Er gab ihnen eine ganze Reihe neuer Aufträge. Unter anderem sollten sie «das neue 20 mm-Flab-Geschoss» der Schweiz beschaffen oder wenigstens den Fabrikationsstandort feststellen, das Geschoss weise einen hochempfindlichen Zünderkopf auf, präzisierte Weh. Diese Mission konnten die beiden offenbar nicht erfüllen. Einige Tage später brach Quaderer in der Nacht vom 21./22. April 1942 wieder ins Zuger Platzkommando ein. Er konnte grosse Umschläge mit zahlreichen Verzeichnissen über Kompaniebüros, Mannschaftsbaracken, Magazine, Stallungen und ebenso zu Panzer- und Strassensperren im Reduit mitnehmen, dazu Kriegsmobilmachungsplakate. Im Sommer 1942 ü b e r n a h m Quaderer eine Arbeitsstelle als Maler in Erstfeld, im GotthardReduitgebiet. Weh erteilte ihm sogleich Ausforschungsaufgaben, er solle Anlagen, Truppentransporte und Ähnliches beobachten und melden. Quaderer kundschaftete einen für das Armeehauptquartier im Bau befindlichen Stollen am Gotthard aus. Roos sollte ihm dazu auch Zeichnungen anfertigen, was aber nicht gelang. Quaderer gab im November 1942 seine Stelle in Erstfeld auf. Kurt Roos leistete im Juni und Juli 1942 als Infanterie-Kanonier Aktivdienst in seiner Truppeneinheit, der Stabskompanie 48 im Gebirgsinfanterie-Regiment 37. Und im August 1942 absolvierte er noch einen Hochgebirgskurs der 8. Division im Gotthardgebiet. Bei dieser Gelegenheit spionierte Roos die Festung «Sasso da Pigna» aus. Dieses neue Kasemattenwerk lag 800 Meter östlich des Gotthard-Hospizes, es war seit dem Herbst 1941 im Bau und erhielt vier 10,5 cm-Kanonen und vier 119 15 cm-Kanonen, die ersteren waren ab Mitte 1943 schussbereit, die zweiten 1944. Roos nun lieferte Quaderer nach seinem Hochgebirgskurs einen genauen Plan des Festungswerks «Sasso da Pigna», samt Angaben über die Postierung der Geschütze, Maschinengewehre, Munitionsstollen und Unterkünfte. Quaderer und Roos verleiteten auch drei weitere, junge schweizerische Wehrmänner, darunter einen Korporal, dazu, ihnen gegen Geld militärisch Geheimes zu verraten. So erlangten sie von zwei Funkern Chiffrierverfahren und Codes der schweizerischen Funkertruppen, Angaben über die Einrichtung des Funkerzentrums Morschach ob dem Vierwaldstättersee und über die von dort bestehenden Verbindungen zum Armeestab und zu den Armeekorpskommandos, dazu Informationen über die Organisation und den Betrieb von Funkerstationen im Gebiet von Altdorf über Luzern bis nach Interlaken und zum Sustenpass. Alles kam in deutsche Hände, über Kranz und Weh nach Feldkirch und von dort nach Bregenz und weiter. Mit all den von Quaderer und Roos begangenen Handlungen, so wertete später das Gericht, waren Teile des Reduits und insbesondere «das Gerippe der Abwehrorganisation» der Schweiz verraten. Die Folgen galten als grossenteils irreparabel. Deutschland hätte bei einem Angriff die Mobilisation der Schweizer Armee erheblich stören oder sogar verunmöglichen können. Der organisierte Widerstand der Schweiz war gefährdet. Entsprechend urteilte das Militärgericht. DER MILITÄRGERICHTSPROZESS Das Treiben von Alfred Quaderer, Kurt Roos und Konsorten, wie der grössere Spionagering etwa genannt wurde, flog Anfang 1943 auf. Manches war aufgefallen, die Spionierenden waren im Grunde unprofessionelle Dilettanten. Die Spionageabwehr hatte unter anderem die Diebstähle im Zuger Platzkommando entdeckt. Sie stiess auf Quaderer, der observiert wurde. 120 Alfred Quaderer wurde am 2. Januar 1943 an der Grenze in Buchs aus dem Postauto heraus verhaftet, als er von Schaan aus mit Roos und zwei Schaaner Cousins nach Wildhaus zum Skifahren unterwegs war. In Kürze sass fast der ganze Spionagering in Haft, ausser den beiden Köpfen Willy Weh und Willy Kranz, die in Feldkirch blieben. Alfred Quaderer wurde zuerst im Rathaus in Buchs und dann in Zürich polizeilich verhört und bald ins Bezirksgefängnis St. Gallen verlegt. Am 13. Januar 1943 begann die gerichtliche Voruntersuchung. Quaderer gestand, nach anfänglichem Leugnen. In Untersuchungshaft genommen wurde auch der Vater, Josef Alfred Quaderer. Bei ihm fand man nämlich Fotos und geographische Karten mit militärischen Einträgen von Anlagen am Zugerberg und am Zürichsee. Gleiches hatte er Weh geliefert. Quaderer senior starb aber schon im März 1943 während der Untersuchungshaft in St. Gallen. In Schaan hielt sich bis heute die Meinung, er habe Selbstmord begangen. Als Todesursache ist indes ein durchgebrochenes Magengeschwür genannt. Quaderer senior wäre angesichts des Belastungsmaterials zweifellos ebenfalls verurteilt worden, aber sicher nicht zum Tode. Die Strafuntersucbung, die sich bald auf über zwei Dutzend Verdächtige erstreckte, und die Vorbereitung der Anklagen füllten das ganze Jahr 1943 und die Monate bis zum März 1944. Alfred Quaderer sass in dieser ganzen Zeit als Untersuchungshäftling in Einzelhaft in St. Gallen; bis zum Ende wurden es fast eineinhalb Jahre. Er empfand das Gefängnisessen als knapp, Zigaretten mangelten ihm. Straffälle nach Militärstrafgesetz wurden nicht von bürgerlichen, sondern von Militärgerichten behandelt. Neben den Divisionsgerichten bestanden Territorialgerichte. In der Strafsache «Quaderer, Roos und Konsorten» urteilte das Territorialgericht 3b in St. Gallen. Das Verfahren lief ab wie bei einem zivilen Gericht. Ein militärischer Untersuchungsrichter, Hauptmann E. Brunner, führte die Voruntersuchung, danach erfolgte die Überweisung ans Gericht durch den Auditor - wie der Ankläger oder Staatsanwalt hiess -, und darauf kam es zur LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER Hauptverhandlung. Auditor war Major Paul Popp, St. Gallen. Jeder Angeklagte hatte einen Verteidiger. Für Alfred Quaderer amtete der St. Galler Dr. Rolf Zollikofer, Rapperswil, als Pflichtverteidiger. Dem Territorialgericht 3b gehörten sieben Richter an, alles Militärpersonen. Vorsitzender «Grossrichter» war ein hoher Offizier, in diesem Falle Oberstleutnant Hans Roth aus Zürich. Richter waren drei weitere Offiziere, nämlich ein Oberst, ein Oberstleutnant und ein Oberleutnant, sowie drei Unteroffiziere, nämlich ein Fourier, ein Wachtmeister und ein Korporal. Alle Mitglieder des Gerichts stammten aus der Ostschweiz, nämlich aus den Kantonen St. Gallen, Appenzell und Glarus, der Vorsitzende aus Zürich. Ein Todesurteil kam nur zustande, wenn mindestens sechs der sieben Richter dafür stimmten. Nach dem LJrteil gab es die Möglichkeit der Kassationsbeschwerde an das Militärkassationsgericht, welches das Urteil bei Gesetzesverletzung oder willkürlichem Ermessen für nichtig erklären konnte, dann wäre es zur Neubeurteilung ans Gericht zurückgegangen. Nach Abweisung einer Kassationsbeschwerde blieb als letztes ein Begnadigungsgesuch an die Vereinigte Bundesversammlung. Die Hauptverhandlungen gegen insgesamt 22 Personen des Spionagerings fanden im März 1944 in St. Gallen statt. LIauptangeklagte waren hierbei Alfred Quaderer, Kurt Roos und Willy Kranz - diese drei wurden zum Tode verurteilt - sowie Willy Weh, Pietro Rossi, Josef Arnold Vogt und die zwei Funker-Pioniere Willy Llürlimann und Georg Ursprung - die alle zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurden - , dazu der Füsilier-Korporal Alois Landolt, der 20 Jahre Zuchthaus erhielt. Die weiteren Strafen bewegten sich von 14 Jahren Zuchthaus an abwärts. WARUM DAS T O D E S U R T E I L ? Die gesetzlichen Grundlagen für das schwerste Urteil, jenes des Todes, waren gegeben. Quaderers Taten erfüllten den Tatbestand nach Artikel 86 Militärstrafgesetz, nämlich die Störung und Ge- fährdung der Unternehmungen des LIeeres, indem er «das Gerippe der Abwehrorganisation» der Schweiz verraten hatte (dieses und die in diesem Abschnitt folgenden Zitate folgen den bei Noll wiedergegebenen Quellenstellen). Das urteilende Gericht folgerte: «Verrat objektiv schwerster Art ist somit begangen worden.» Aber, argumentierte das Gericht, die Todesstrafe, als «das schwerste Übel das man einem Menschen zufügen kann», sollte grundsätzlich nur ausgesprochen werden, wenn auch «subjektiv schwerste Schuld» vorliege. Eine solche bejahte das Gericht ebenfalls. Einziges Motiv Quaderers sei «Geldgier» gewesen. Mit Deutschland, für das er spionierte, verbänden ihn keine «vaterländischen», allenfalls «achtenswerten Momente», keinerlei «ethische Beweggründe». Er sei skrupellos vorgegangen, habe «hemmungslos alles ausspioniert und, verraten, was ihm zugänglich war». Er habe die Geheimnisse, um mehr Geld zu erlangen, ratenweise verkauft und dabei zeitweilig noch seinen Freund Roos hintergangen. Das Gericht war sich bewusst, dass Quaderer Liechtensteiner, nicht Schweizer war. Es argumentierte indes, als Liechtensteiner sei er «Bürger eines mit der Schweiz in engster Freundschaft verbundenen ... Landes», das wie die Schweiz zur Zeit nicht in den Krieg einbezogen sei; er sei in der Schweiz aufgewachsen, habe hier die Schulen besucht, hier eine Malerlehre absolviert und ein Auskommen gefunden; während die Schweizerbürger Aktivdienst leisten mussten, habe er hier weiterleben können wie zuvor. Er aber habe in verabscheuungswürdiger Weise «Verrat dem Gastlande gegenüber» begangen. Der Pflichtverteidiger, Dr. Zollikofer, plädierte für Quaderer auf lebenslängliches Zuchthaus. Doch das Gericht brach über Quaderer den Stab, indem es einstimmig zum Schluss kam: «Es liegt... sowohl subjektiv wie objektiv ein Fall schwerster Art vor, der im Interesse der Landessicherheit die Todesstrafe erheischt.» 121 Das Urteil für Alfred Quaderer wurde am 18. März 1944 vom Territorialgericht 3b ausgesprochen, in St. Gallen, im Gerichtshaus an der Neugasse 3, im heute noch dunkel getäferten Bezirksgerichtssaal, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In eigentümlich dürrer Rechtssprache besagte es: «Quaderer Alfred Hermann wird schuldig erklärt der wiederholten Verletzung militärischer Geheimnisse im Sinne der Verräterei, der wiederholten versuchten Verletzung militärischer Geheimnisse im Sinne der Verräterei, der Anstiftung zur Verletzung militärischer Geheimnisse im Sinne der Verräterei, der versuchten Anstiftung hiezu, der wiederholten Gehilfenschaft zur Verletzung militärischer Geheimnisse, des Ungehorsams gegen allgemeine Anordnungen, des wiederholten Verurteilungen wegen Landesverrats im Fall Quaderer, Roos und Konsorten am 18. März 1944. Die hier wiedergegebene amtliche Mitteilung aus dem «Werdenberger & Obertoggenburger» («W&O») vom 22. März 1944 erschien in praktisch allen Schweizer Zeitungen sowie wörtlich gleich, ausser mit leicht geändertem Titel, auch im «Liechtensteiner Volksblatt» vom 23. März 1944 militärischen Nachrichtendienstes, des wiederholten Diebstahls, der wiederholten Hehlerei und einstimmig verurteilt: 1. zum Tode durch Erschiessen.» Gleichentags wurden im selben Saal auch die andern 21 Urteile gefällt, darunter die Todesverdikte gegen Kurt Roos und den allerdings abwesenden Willy Kranz. Weitere Urteile waren schon in den Tagen zuvor ergangen, unter anderem gegen Liechtensteiner. Mit solchem Ausgang hatten Quaderer und Roos nicht gerechnet, weder während ihrer Spionagetätigkeit noch während des Prozesses. Ein erstes Todesurteil war erst in den letzten Monaten ihrer Spionagezeit, nämlich wie erwähnt im September Verurteilungen roegen Conbesoerrotes bas unft, enen SDret Sobesurtelle i>«6 i ber SB e r n , 21. SDiärj. a g . Sämilidj rotrb mitge= 8. 3 r o i d n Ä a f p a r SRubolf, geb. 1910, güfi= n i n teilt: I i e r = Ä o r p o r a I , SOiagasiner, oon u n b i n Stfiollis, n ju STm 18. ä R ä r j 1944 tjot bos X e r r i t o r t a l g e r i d j t 5 u l 4 3 a h r e n 3 u d ) t h a u s , 1 0 3 a h r e n (Ein= gegen Itetiung i n ber b ü r g e r l i c h e n ( E h r e n i ä r j i g f e i t , £)e= ber 3 b nad) m e h r w ö c h i g e n SBerljanblungen einer u m f a n g r e i c h e n g r a b a t i o n u n b SUusfdjluB a u s bem § e e r e . jmen 2 2 S D i i t g l t e b e r 9. SR o f f i geb. Ä r a n j SBaula, geb. 1914, $aus= n f t S p i o n a g e o r g a - n i j a t i o n b a s U r t e i l ge* eben, f ä l l t . SBon ben Spauptangeflagten rourben nerur= f r a u , o o n © r o f i o ( 3 t a l i e n ) , i n SRäfels, j u o i e r 3 a h r e n 3 u c h t h a u s u n b 15 3 a f j r e n Sianbes* r j u teilt: bnen 1. Q u a b e r e r Sllfreb S ö e r m a n n , 3 b . 1920,oerroeifung. e cner= oon 6 d ) a a n ( g ü r f t e n t u m ü i e d j t c n f t e i n ) , D i a l e r , 10. D 11 i n g e r Sllfreb SBcrner, geb. 1921, . ber roofjntjaft i n 3 u 9 , j u m t o b e b u r d ) (E r j d) i e = y m g . = S d ) ü t j e , SDiafdjinenjchloffer, o o n l l r n ä f d ) ibrtis f j e n . ( ü l p p e n j e l l sil.sSRl).), i n 3ürid), jju o i e r 3 a h = 2. SR o o s Ä u r t 3otjann, geb. 1920, 3nf.=£ano= r e n 3 u dj t tj a u s , 10 3 a h r e n (Einftetiung i n firm* nier, S t u b e n t , oon g a s t e ( i i u j e r n ) , i n 3«8i ä ber b ü r g e r l i c h e n e h r e n f ä h i g t e i t u n b 2tus|cf)luR benn l o b e b u r d ) (E r j dj i e f; e n . aus bem Speere. feljr 11. S p u b e r Sffialter 3ofef, geb. 1921, Ie= 3. SR o f j i Sßietro, geb. 1910, K a u f m a n n , o o n roie S r o f t o ( I t a l i e n ) , i n H ö f e l s , j u i e b e n s l ä n g * Iepljon=Solbat, 6d)reiner, o o n D b e r f u n f l j o f e n (Siiargau), i n 3üri<h, j u } ro e i e i n tj a 1 b 3 a h = o a t j r e n Sianbess f ü r t : l i d j e m 3 u cht h a u s r e n 3 u dj t fj a u s , f ü n f 3 a h r e n (Einftellung i n feit oerroeifung. 4. SB o g t 3ofej Strnolb, geb. 1907, SOtaler u n b ber b ü r g e r l i c h e n ( E h r e n f ä h i g t e i t u n b Sttusjdjlufj pan= aus bem Speere. ftäti* SRetfcnber, oon u n b i n SBaljers (iHedjtenftein), 5u l e o e n s l ä n g l i d j e m 3 ) t t ) a u s u n b Stujjerbem rourben in contumaciam Ä r a n 3 15 3aljren ü a n b e s o e r r o e i f u n g . 2BiHrj, geb. 1921, o o n (Eidjen (S2iedjtenftein), i n 5. ö ü r l t m a n n Sßtllt) SBIbert, geb. 1921,g e l b t i r d j (SBorarlberg), jutn l o b e b u r d ) ( E r * 2tu= : a n g u n f e r > S ß i o n i e r , Ä a n j l i f t , o o n SHSaldjroil, i n 3u3, j d) i e fj c n , tplos ju l e b e n s l ä n g l i d j e m 3 u dj t h a u s , 10 SB e h S B i l l n , geb. 1911, SBaumeifter, i n 5elb= roar= 3abren (Einftetiung i n ber b ü r g e r l i c h e n (Ehren* t i r d j (SBorarlberg), su l e b e n s l ä n g l i d j e m ufoen f ä h i g f e i t , S!tusfdjlu| a u s bem Speere. 3 u dj t h a u s , s au 6. U r f p r u n g © e o r g , geb. 1922, <yunfer=SBio= unb o i e r r o e i t e r e s a u s t ä n b e r j u gro* it ä« nier, (Eleftroinftallateur, o o n SBafelsStabt, i n fjeren 3ud)thausftrajen o e r u r t e i l t . rote 3ug, j u l e b e n s l ä n g l i d j e m 3 u d ) t f j a u s , inne 10 3ahren (Einftetiung i n ber b ü r g e r l i c h e n g f j r e m D i e SBcrurieilten haben i n ber 3eit oom Som= polt* f ä ^ i g f e i t unb Stusfdjlutj a u s bem Speere. mer 1941 b i s D e j c m b e r 1942 m i l i t a r i f d j e ffie= Deut* 7. ß a n b o 11 SMois, geb. 1921, p f i l i e r = Ä o r < heimniffe u n b Sünlagen a u s g e f p ä h t ober oerra= SBe-p o r a l , S t u b e n t , oon unb i n SRüfels, su 2 0 3 a fj = ten u n b j u m t e i l fid) burd) (Einbrüche roidjtige tren= r e n 3 u d j t f j a u s , 10 3afjren lEinfteltung i n bie< m i l i t ä r i f d j e D o t u m e n t e o e r f d j a f f t u n b i n s silus= ber b ü r g e r l i c h e n ( E b r e n f ä f j i g f e i t , S e g r a b a t i o n u n b t fttf) l a n b abgeliefert. Slusfdjlufj a u s bem Speere. *ten bert Itter» u u n o 1 5 u ö 122 m LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER 1942 ergangen, die erste Hinrichtung im November 1942 erfolgt. Bis dahin jedenfalls hatten Quaderer und Roos kaum an eine solche Sanktion für ihr Treiben gedacht. Auch im Laufe der Untersuchungshaft waren Quaderer und Roos, die auch im Gefängnis «in geheimer Verbindung miteinander» standen, offenbar noch zuversichtlich. Roos schrieb nämlich aus der Haft an seine Mutter, sie solle, um bei Willy Weh aus Feldkirch noch Geld zu erlangen, «ruhig ziehmlich übertreiben: Todesurteil od. bestenfalls Lebenslänglich». Demnach erwartete Roos weder das erste noch das zweite. Roos wie Quaderer hegten auch gar kein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Sie sahen sich selber eher als kleine Ganoven denn als grosse Staatsverräter. Zudem vertrauten sie auf ihre Jugendlichkeit als Milderungsgrund. Und Quaderer spekulierte darauf, als Liechtensteiner ebenfalls weniger hart beurteilt zu werden. In den beiden Tagen vor dem eigenen Todesurteil war Quaderer auch in den parallel geführten Landesverräterprozessen gegen weitere Mitangeklagte, so insbesondere gegen den Deutschen Willy Weh, im Gerichtssaal vernommen worden. Das Gericht sprach gegen den abwesenden Weh, den Kopf des Spionagerings, Anwerber Quaderers und ebenfalls NichtSchweizer, in der Tat nicht die Höchststrafe, sondern eine lebenslängliche Zuchthausstrafe aus. Mit mehr rechnete Quaderer gewiss nicht, eher mit weniger. Solche Erwartung hatte sich nun als eitel erwiesen. Nun begann das Hoffen auf Gnade. Es dauerte 81 Tage und erfüllte sich nicht. WARUM KEINE BEGNADIGUNG? Zwei Tage nach dem Todesurteil erhielten die Mutter Anna und die 22-jährige Schwester Klara, die wieder in Schaan weilten, von Pflichtverteidiger Dr. Zollikofer die Nachricht vom Todesurteil. Sie waren der Verzweiflung nahe. Die Mutter suchte den Schaaner Rechtsvertreter Louis Seeger auf, der sogleich das weitere Vorgehen mit dem Pflicht- verteidiger Dr. Zollikofer eingehend besprach. Zollikofer hatte vorsorglich Kassationsbeschwerde angekündigt. Diese zog er aber wieder zurück, da keine Erfolgsaussicht bestand. Dafür reichte Alfred Quaderer über Dr. Zollikofer am 28. März 1944 ein Gesuch um Begnadigung ein, ebenso tat Roos. Zuständig für Gnade war die Vereinigte Bundesversammlung. Ende März 1944 tagten gerade die eidgenössischen Räte in der Frühjahrssession. Doch die Begnadigungsgesuche von Quaderer und Roos kamen einige Tage zu spät, um noch behandelt werden zu können, da Vorinstanzen involviert waren. Die am 30. März zusammentretende Vereinigte Bundesversammlung beriet daher nur das Begnadigungsgesuch eines andern zum Tode verurteilten Landesverräters, des Majors Ernst Pfister, S c i r ü b l i d j c (f rfdieinungen ! \ ©eftern Stbenö uerbreiieten SRuDio 33ero= i l ) miinfter foroie anbere Genber bie Wadjiidjt, ! ' öern e bie man I)cute in allen 3eituna.cn Icfcn hunn, ; Inno, e bajj in einer Spionacieaffatrc 3 SiieditenfteL ! ben © ncr mitoerrotchelt roaren. oon benen ßiuci 311m ; 2Bir D C a i e i U l n f l 1 Zobe, ein dritter 311 lebenslänglidjem fterher j oerurteilt rourben. So behlagensroert biefc ! 2u,t2I Ungliitfilicrjeii finb unb fo fdiroer fic irjie 'Ber- j ^ " v j fetilungcn büften muffen, fo hommen roit bod) j nid)t um bie tfeftftellung tjerum, bafj biefe oer*! y urleilten ßeute fid) nid)t nur fdjrocr netten bie I ™ ©efcljc eines auslänbifdjen Staates t>ergan= . gen, fonbern fid) attd) gegen itjr .fjiiinntlanö j " ™ fd)roer oerferjlt rjaben. Es ift unbeftreitf"bafj bie Serie ber Spionagefälle uns liefen, in benen n<"ßiedjtenfteii"*' L l 1 o'- v Kommentar im «Liechtensteiner Volksblatt» vom 23. März 1944, unter Vermischtem. In der gleichen Nummer waren Namen und Strafen der Hauptverurteilten detailliert publiziert (siehe die vorangehende Abbildung) 123 das sie mit 210 gegen 15 Stimmen ablehnte. Ungünstiges Omen, doch hatte Pfister immerhin als Offizier Verrat geübt. Die Präsidentenkonferenz der Räte verzichtete darauf, für die neuerlichen zwei Gnadengesuche eine ausserordentliche Bundesversammlung einzuberufen, und so mussten Quaderer und Roos bis zur Sommersession Anfang Juni warten. Solange konnten sie und ihre A n gehörigen hoffen. Mit dem ergangenen Urteil waren sie formell nicht mehr in Untersuchungshaft, sondern in «Sicherheitshaft», vorerst immer noch im Bezirksgefängnis St. Gallen. Auf Weisung von Grossrichter Roth wurden sie am Nachmittag des 4. April 1944 einzeln in die kantonale Strafanstalt St. Jakob, die im Bereich des heutigen Olma-Areals lag, transferiert, bis zur Erledigung des Begnadigungsgesuchs. Mutter und Tochter unternahmen verzweifelte Rettungsschritte. Die Mutter bat die liechtensteinische Regierung eindringlich, diese möge ebenfalls ein Gnadengesuch an den Bundesrat zuhanden der Bundesversammlung einreichen und dazu auch eine Befürwortung durch den Fürsten erlangen. Ihr Sohn sei verleitet worden, durch schlechte Kameraden und durch einen Verwandten - gemeint war Weh - , der das Vertrauen der Familie schändlich missbraucht habe. Sie sei sicher, dass ein Begnadigungsgesuch des Landesfürsten und der liechtensteinischen Regierung angesichts der «ausgezeichneten Beziehungen» mit den schweizerischen Behörden von Erfolg begleitet sein werde. So könne ihrem Sohn doch das Leben erhalten bleiben. Zugleich gelangte die Schwester, die wegen des ihrem Bruder drohenden Schicksals unter Angstzuständen litt, flehend an den Fürsten. Sie bat um Audienz. Sie erhoffte des Fürsten persönliche Fürsprache bei den Schweizer Behörden. Fürst Franz Josef II. gewährte keine Audienz, er liess das schwesterliche Bittschreiben der Regierung übergeben. Er beschied, eine allfällige Intervention in Bern komme nur durch die Regierung in Frage. Mit einem Vorstoss der Regierung in Bern zugunsten von Quaderer war der Fürst aber einverstanden. Zu einem eigenen Schritt in Bern zugunsten des zum Tode verurteilten Liechtensteiners 124 war Franz Josef nicht geneigt, er hatte - wie er dem Verfasser später als Zeitzeuge sagte - mit den in der Schweiz verurteilten Verrätern und auch mit Alfred Quaderer «gar kein Mitleid». Wäre die Audienz für die Schwester zustande gekommen, hätte er sich vielleicht doch erweichen lassen. Der Verurteilte seinerseits richtete Anfang April 1944 ein kurzes Schreiben an den Fürsten. Darin entschuldigte er sich als «Landeskind» beim Fürsten, dem «Landesvater», für die seinem Vaterlande zugefügten «Beleidigungen», und versprach: «Ich will sühnen & sühne als Liechtensteiner mit Schneid & wie es sich gehört.» In diesem Schreiben an den Fürsten dankte Quaderer zugleich der Regierung. Der wohl auf Anraten des Verteidigers abgefasste Brief diente offenbar auch den Anstrengungen zur Begnadigung. Diese hätte Umwandlung in lebenslängliches Zuchthaus und irgendwann doch wieder Entlassung bedeutet. Solches und nicht den Tod hatte der Verurteilte vor Augen, wenn er von Sühne schrieb. Die liechtensteinische Regierung teilte im April der Schwester mit, die Regierung habe «im. Einvernehmen mit Seiner Durchlaucht dem Fürsten das uns Mögliche wegen der Begnadigung Ihres Bruders unternommen». In der Tat intervenierte die Regierung beim Politischen Departement in Bern zugunsten einer Begnadigung. Regierungschef-Stellvertreter Dr. Alois Vogt gab dort auch das Bittschreiben der Mutter zur Einsicht. Begnadigungsgesuche gingen einen festgelegten Weg über mehrere Stationen, und sie wurden eingehend erwogen. Der Bundesrat befasste sich damit, und zwar aufgrund von Bericht und Antrag des Militärdepartements. Dieses holte seinerseits vorgängig die Stellungnahme des Armeeauditors, des Leiters der ganzen Militär Strafrechtspflege, ein. Darauf hatte die spezielle Begnadigungskommission von Nationalrat und Ständerat das Gesuch zu beraten. Alle genannten beratenden Behörden stellten Antrag. Schliesslich beschlossen definitiv über die Begnadigung alle National- und Ständeräte gemeinsam, als Vereinigte Bundesversammlung tagend, gemäss Bundesverfassung zuständig. LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER Verfolgen wir den Gang von Quaderers Begnadigungsgesuch genauer. In seinem persönlichen Begnadigungsgesuch machte Quaderer sein jugendliches Alter, seine ausländische Nationalität und besonders sein umfassendes Geständnis, das zur Aufklärung der ganzen Spionagesache sehr beigetragen habe, geltend. Er hoffte dadurch auf Strafmilderung, jedenfalls Umwandlung des Todesurteils. Sein Pflichtverteidiger, Dr. Zollikofer, der schon im Prozess auf lebenslanges Zuchthaus statt der Todesstrafe plädiert hatte, argumentierte zuhanden des Armeeauditors für Begnadigung: Die Begnadigungsinstanz dürfe den Fall anders behandeln als das Gericht, sie könne «rein menschliche Werte und ethische Momente berücksichtigen», sie dürfe Gnade walten lassen, ohne die Autorität des Gerichts zu verletzen. Zollikofer wies darauf hin, dass mit Quaderer erstmals ein Ausländer durch ein Schweizer Militärgericht zum Tode verurteilt würde. Bezüglich von Kurt Roos, den Zollikofer ebenfalls vertrat, verwies er ebenfalls auf dessen volles Geständnis, auf die Reue sowie den - für Quaderer freilich belastenden - Umstand, «der junge Roos habe völlig unier dem Einfluss des Quaderer gestanden». Der Armeeauditor - dies war damals Oberstbrigadier Jakob Eugster - referierte diese Verteidigerargumentation zwar dem EMD weiter, beantragte aber ebenfalls Ablehnung der Gesuche von Quaderer wie von Roos. Das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) wiederum erstattete seinerseits am 24. April 1944 Bericht und Antrag zuhanden des Bundesrates. EMD-Vorsteher war seit Ende 1940 der freisinnige Bundesrat Karl Kobelt. Aus dem Rheintal stammend und in St. Gallen aufgewachsen, war Kobelt 1933 bis 1940 St. Galler Regierungsrat, 1939/40 auch Nationalrat gewesen. Im Militär war er Generalstabsoberst. Das EMD schloss sich dem A n trag des Armeeauditors an und empfahl dem Gesamtbundesrat ebenfalls Ablehnung der beiden Gnadengesuche. Es argumentierte gegenüber den Überlegungen des Verteidigers - die es ebenfalls weitergab -, die Begnadigungsbehörde dürfe der Strafjustiz nicht in den A r m fallen, besonders wenn es um die höchsten Güter, um Erhaltung und Verteidigung des Staates selbst, gehe. Das Territorialgericht 3b habe bei Quaderer den Urteilsspruch «wohl erwogen», indem es nämlich unter den zahlreichen im gleichen Verfahren Beurteilten den Liechtensteiner Josef Arnold Vogt, den Italiener Pietro Rossi und die zwei Schweizer Funkersoldaten Willy Hürlimann und Georg Ursprung nur zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt habe, während aber für Quaderer, so das EMD, galt: «Die Schwere der Verfehlungen und das verletzte Interesse verlangen die volle Anwendung der Schärfe des Gesetzes und damit den Vollzug der Todesstrafe.» Und nach ähnlichen Erörterungen zu Roos, dessen «raffinierte», «von einem stark verbrecherischen Willen» zeugende Taten ebenfalls wesentlich schwerer wögen als jene der lebenslänglich Verurteilten, schloss das EMD seine ablehnende Stellungnahme zu den Gnadengesuchen von Quaderer und Roos buchstäblich vernichtend: «Staat und Armee können nur durch die Vernichtung solch niederer und gemeiner Kreaturen vor weiterem Schaden geschützt werden. Milde und Gnade Hesse sich hier nicht rechtfertigen und müsste als Schwäche ausgelegt werden.» Auch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) war zur Stellungnahme zuhanden des Bundesrates eingeladen, es erstattete einen «Mitbericht» zum obigen EMD-Antrag. Geführt wurde das EJPD seit 1941 vom konservativen Bundesrat Eduard von Steiger. Er war Berner und Exponent der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, heute SVP). Der EJPD-Mitbericht argumentierte: Es stelle sich die Frage, ob Gründe zur Milde, um «Gnade für Recht zu setzen», vorlägen. Die schweizerischen Strafgesetze gäben den Richtern bereits weitgehende Möglichkeiten, die Strafe abzustufen. Die Verletzungen militärischer Geheimnisse durch Quaderer seien «ausserordentlich schwer». Er habe von Juni 1941 bis zum 1. Januar 1943 spioniert, über eineinhalb Jahre lang, aktiv, initiativ, Komplizen werbend, für eine Spionage125 Organisation, deren Zweck ihm bekannt war. Besonders schwer wögen die Einbrüche ins Platzkommando sowie die Beschaffung und Weitergabe von Angaben über den Chiffrierverkehr, über Funkstationen, über den Standort einer Telephonstation des Armeestabes und über den Reduitstandort des Armeehauptquartiers im Kriegsfall. Trotz seines jugendlichen Alters von 21 Jahren beim Beginn seines Tuns sei sich Quaderer der Tragweite seiner Verrätereien bewusst gewesen. Man könne ihn daher weder als Verleiteten noch als jungen Unbesonnenen ansehen. Bezüglich der Stustunftsbegeljteti 20 !Rp. tn WaxUn beilegen. 3nfctatannat)me: (Ejpcbition unb oüc 3lnnoncene;peb. et CSrfAei u>ot>,: S)as 9teuefte vom Der SBunbesrat beantragt S l b l e f j n u n g bei b e u t f 33egnabigungsgefud)e bei betben sunt lobe »et= 1 e t et). urteilten fianbesrterräter K o o s unb Q u a = Seit "ö e r e r. in ÜJZtl 35er 58unbesrat fafjte einen SBcfc^Iu^ über bie g e ne oermerjrte g ö t b e t u n g ber 5 ß f e r b e = unb ©enc äRauItietgudjt. biejer S Das eibgenöffifcrje SßolfsmtrtjifjaTtsbepartement in ber bat bie ßjperrenfommtffion für bie (Einführung 3m S ber 2tlters= unb öinterlaffenenoerfittjerung ju= 2 e m 6 fammengefe^t. Sßräftbent ift D i . Slrnolb S a j e i , ruffifdje Direftor bes 93unbesamtes für So5taloetfirt)e= Die ' rung. tnbtftfjei SBtittfdje gflugseuge unternahmen 3tngitffs= anljtn g flüge gegen C u b r o i g s l j a f e n , 9? o i broe ft = ftbJufj gi Der Bundesrat beantragt Ablehnung. «W&O» vom 17. Mai 1944 126 liechtensteinischen Nationalität Quaderers fährt das EJPD fort: «Als verfehlt würden wir es sodann betrachten, dem Umstand entscheidende Bedeutung beizumessen, dass Quaderer Liechtensteiner ist.» Dies wäre anders, wenn ein Ausländer zugunsten seines eigenen Landes handelte, was bei Quaderer indes nicht zutreffe, denn ein Interesse, die schweizerische Wehrkraft zu kennen, um gegen sie auftreten zu können, besitze Liechtenstein nicht, «im Gegenteil ist für diesen Staat die Selbständigkeit und Neutralität der Schweiz wohl kaum von geringerem Wert wie für diese selbst.» Quaderer habe aber auch nicht für Liechtenstein, sondern für den deutschen Nachrichtendienst spioniert. Für Quaderer sei die Schweiz «Gastland», mit seinem Heimatland durch den Zollanschlussvertrag wirtschaftlich weitgehend verbunden. Würden solche in der Schweiz wohnende Ausländer durch mildere Bestrafung «privilegiert», so müsste dies das Ausland geradezu animieren, Spione dieser Kategorie anzuwerben. So pflichtete die von Bundesrat Eduard von Steiger unterzeichnete EJPD-Stellungnahme vom 12. Mai 1944 ebenfalls dem EMD-Antrag bei, die zwei Begnadigungsgesuche seien abzulehnen. Wenige Tage darauf standen die Gesuche Quaderer und Roos auf der Traktandenliste der wöchentlichen Bundesratssitzung. Der Bundesrat tagte am 16. Mai 1944 von 9 bis 13.30 Uhr. Alle Mitglieder der schweizerischen Landesregierung waren anwesend: Bundespräsident Stampfli, die Bundesräte Pilet-Golaz, Etter, Celio, von Steiger, Kobelt, Nobs. Zu erledigen waren 37 grosse und kleinere Geschäfte. Vor der Behandlung der zwei Begnadigungsgesuche wurde unter anderem der Truppenablösungsplan des Heeres für die Sommermonate 1944 beraten und verabschiedet, wenige Traktanden nach der Begnadigungssache wurde ein 57Millionen-Kredit zur Flugzeugbeschaffung bewilligt, dann ging es noch um die ausserordentliche Finanzvollmacht, Pferde- und Maultierzucht, Hinterrheinwasserkräfte und um die Botschaft zu Geschäftsbericht und Jahresrechung der SBB. Dazwischen das kurze Traktandum der Begnadigungsge- LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER suche, die offenbar nicht oder kaum diskutiert wurden. Das Bundesrats-Protokoll hält dazu lapidar fest, dass der Bundesrat «antragsgemäss» - nämlich EMD und EJPD folgend - beschloss: «Der Bundesrat beantragt der Begnadigungskommission zu Händen der Bundesversammlung die Abweisung der beiden Begnadigungsgesuche Quaderer und Roos.» Die nächste Behandlung erfolgte in der Begnadigungskommission der eidgenössischen Räte. Die Kommission versammelte sich am Vormittag des 25. Mai 1944 unter dem Vorsitz ihres Präsidenten, Nationalrat Brawand aus Grindelwald. Der Kommission waren die Akten zur Einsicht verfügbar. Das Ergebnis der Beratungen - über die kein Protokoll geführt wird - wurde gleichentags amtlich mitgeteilt: «Die Kommission beschloss, der Vereinigten Bundesversammlung die Abweisung der Gesuche zu beantragen.» Zehn Tage später begann in Bern die Sommersession der eidgenössischen Räte, am Montag, 5. Juni. Am Dienstag wurde die Session fortgesetzt, es war der 6. Juni 1944, in der Frühe hatte in der Normandie die Invasion begonnen. Am nächsten Tag, Mittwoch, 7. Juni, dem zweiten Invasionstag und dritten Sessionstag der eidgenössischen Räte, traten diese zur Vereinigten Bundesversammlung zusammen. Die gemeinsam im Bundeshaus im Nationalratssaal anwesenden 226 National- und Ständeräte Hessen sich von der Begnadigungskommission über die Fälle von Alfred Quaderer und Kurt Roos und ihre Begnadigungsgesuche ins Bild setzen sowie zusätzlich von Vertretern der Armee und des Eidgenössischen Militärdepartements über Fragen militärischer Geheimniswahrung informieren. Dann wurde abgestimmt, geheim. Man folgte den Anträgen von Bundesrat und Kommission: Bei Quaderer stimmten nur 15 Räte für Begnadigung was lebenslängliches Zuchthaus bedeutet hätte und 211 gegen Begnadigung, also für Hinrichtung. Bei Roos fiel das Ergebnis eng aus: 104 Stimmende wollten Milde walten lassen, doch 120 lehnten Gnade ab. Ut« :ud) $as 9teuefte vom Sage opa uen £>te eibgenöfftfdie Segnabtgungslommiffton bes uer ftfjlägt ber ^Bereinigten SBunbesuerfamtnlung tu S l b r o e i j u n g bet S B e g n a b t g u n g s g e f u * tt)e ber beiben junt lobe oeruttetlten fianbes* oerrätet Q u a b e r e r unb 3t o o s vor. a» bie. rote »ttti>m Gonbercommunique gibt bas Olli« Die Begnadigungskommission schlägt Abweisung vor. «W&O» vom 26. Mai 1944 Lb*r Sie ^cgmibieutngsgcfucfje Quaberers unb SRoos' abgelehnt B e r n , 7. 3uni. ag. Stmtlid) roirb mitgeteiwrDie Bereinigte SBunbesoerjammlung 6at in itjrer Sifcung nom 7. 3uni 1944 bie SBegnabigungs* ge[uä)e ber non einem 3)fititärgerid)troegen35et= roterei jutn lobe burd) Erfdriejien oerurteitten iftil Sttngeftagten Sllfreb Hermann Q u a b e r e r unb als Äurt Sotjann SRoos a b g e ro i e f e n. Quabe= [d>e rer unb Koos geprten einet jum 3roede ber Spionage jugunften eines friegfütjrenben Staa* tes gegtünbeten Drganifation an. SBeibe ftaben roärjtenb etroa anberttjotb Sauren in ootlet (Ein* fidjt in bie SBerroerflidjfeit itjtet ipanblungen id>e SBBcttc unb SDTajjnatjmen unfetet 2anbesoettei= itU bigung ausgefunbjrfjaftet uni an bas Slusla" »etfdjafften R* — .„„, uutd) bie en= nettaten. Sie orc leits biejet Sinn«*— ' iw> oet Söfilitäroerroattung geoenb otientiert. 1U]C briti" 3)et abroeifenbe (Entfdieib routbe mit folgen» ben Srimmensabten gefällt: Sei Q u a b e r e r bie für bie SIbletjnung 211. für bie Segnabigung öet 15 Stimmen, bei Koos füt bie äbletjnung 120, unb unb füt bie Segnabigung 104 Stimmen. s & U äJtat 1642 *i <Tft ( Die Vereinigte Bundesversammlung beschliesst am Mittwoch, 7. Juni 1944, Abweisung der Begnadigungsgesuche. Amtliche Mitteilung im «W&O» vom 9. Juni 1944 127 Das Stimmenverhältnis lag bei Quaderer im üblichen Rahmen, praktisch gleich wie im Falle des erwähnten Verräters Major Pfister Ende März 1944. Das Stimmenverhältnis bei Roos aber stellte immerhin den knappsten Ablehnungsentscheid bei Landesverräter-Gnadengesuchen überhaupt dar. Die Parlamentarier stuften Quaderers Vergehen als noch schwerer ein als dasjenige von Roos, der jünger und von Quaderer hineingezogen war. Zur Begnadigung von Roos reichte es dennoch nicht. Alles war vergeblich gewesen, das Gnadengesuch Quaderers und des Pflichtverteidigers Zollikofer, die verzweifelten Bemühungen der Mutter Anna und der Schwester Klara beim Fürsten und bei der Regierung, die Intervention der liechtensteinischen Regierung in Bern in Absprache mit dem Fürsten. Als zu schwerwiegend werteten nach dem Gerichtsurteil und den Anträgen von Bundesrat und Begnadigungskommission auch die eidgenössischen Volks- und Ständevertreter die Verratshandlungen. Die Bundesversammlung entschied übrigens in allen Fällen ausser einem ebenso, die Gnadengesuche von zum Tode verurteilten Landesverrätern wurden durchwegs abgelehnt, erst im März 1945, kurz vor Kriegsende, wurde schliesslich ein junger Franzose begnadigt. DIE HINRICHTUNG A M 7. JUNI 1944 Noch am selben Mittwoch, 7. Juni 1944, an dem der Beschluss der Bundesversammlung über Nichtbegnadigung gefasst war, erfolgte die LIinrichtung von Alfred Quaderer, 24 Jahre, und von Kurt Roos, 22 Jahre alt. Schon am Vortag, dem 6. Juni, war Alfred Quaderer vorsorglich - nämlich für den Fall eines negativen Entscheids der Bundesversammlung nachmittags durch zwei St. Galler Kantonspolizisten aus der Strafanstalt St. Jakob in St. Gallen in den Kanton Zürich überführt und der Zürcher Kantonspolizei übergeben worden, offenbar in Winterthur, wie eine Angabe auf der Überführungsweisung annehmen lässt. 128 Die ungewöhnliche Überstellung in den Kanton Zürich war nötig geworden, weil die allfällige Vollstreckung im Kanton Zürich stattfinden musste, durch «Truppen aus der Innerschweiz». Quaderer und Roos hatten in Zug gewohnt, Roos war Soldat in der Innerschweiz gewesen. Bei einem verurteilten Armeeangehörigen hatten Soldaten aus der gleichen Truppeneinheit ihren Verräterkameraden zu exekutieren. Bundesrat Kobelt als EMD-Vorsteher und Oberstbrigadier Eugster als Armeeauditor hatten ihrerseits bereits Oberst Thomann, den Kommandanten des Gebirgsinfanterie-Regiments 37, für den Fall, dass die Bundesversammlung die Begnadigung ablehne, mit dem Vollzug der Todesstrafe an Quaderer und Roos auf den Ahend des 7. Juni beauftragt. Aus Thomanns Regiment war das Exekutionskommando zu stellen, möglicherweise aus der Stabskompanie 48, der Roos angehörte. Auf der Überweisung stehen zwei auffällig herausgehobene Vermerke: «transportfähig» und «Vorsicht (englisch schliessen)». Das letztere ist wie eine Nachfrage des Verfassers bei der Landespolizei in Vaduz und von dort bei der Kantonspolizei Zürich ergeben hat - eine Fesselungsart, die seinerzeit beim Transport von Häftlingen mit grossem Fluchtrisiko öfter angewandt wurde und zugleich unauffällig war: Eine dünne Kette war mit einem Schloss am einen Handgelenk und mit einem zweiten Schloss am gegenüberliegenden Fussgelenk festgemacht, dabei lag die Kette unter dem Rockärmel, die Hand steckte in der Hosentasche, von wo die Kette durch ein Loch durch das andere Hosenbein zum Fuss hinablief, und zwar so straff, dass Gehen nur in leicht gebückter Haltung möglich war. Flucht war unmöglich, obwohl die zweite Hand frei war. Aussenstehende erkannten kaum, dass ein Schwerverbrechertransport vor sich ging. In dieser Weise wurde Alfred Quaderer, den man mit Grund als fluchtgefährdet einstufte, «englisch» gesichert von St. Gallen nach Zürich gebracht. Die Polizei wollte kein Risiko und kein Aufsehen. Alfred Quaderer war zweifellos klar, was diese Verlegung bedeutete. Ihm wurden alle seine weni- LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER gen Effekten mitgegeben, im kargen Verzeichnis ist neben Pass, Ausländerausweis, Kleidungsstücken, Schreibzeug und anderen kleinen Utensilien mit Bleistiftschrift angefügt: «1 Testament». Quaderer und Roos verbrachten die letzte Nacht und den letzten Tag, an dem in Bern über ihr Leben entschieden wurde, in Zellen der Zürcher Kantonspolizei. Die Hinrichtung geschah am Mittwoch, 7. Juni, abends um acht Uhr, wohl in einem Wald - es hiess auch, in einer Kiesgrube - , offenbar in der Umgebung der Stadt Zürich; der Todesschein ist vom Zivilstandsamt der Stadt Zürich ausgestellt worden und nennt «Zürich» als Todesort. Quaderer und Roos wurden miteinander exekutiert. Die Hinrichtungsprotokolle zu Quaderer und Roos sind im Bundesarchiv zur Zeit (1999) zwar nicht auffindbar. Doch das Procedere war durch bundesrätliche Verordnung im Detail reglementiert. Zwei durch Noll publizierte Protokolle anderer Hinrichtungen sowie Meienbergs Recherchen zur Erschliessung des Landesverräters Ernst Schrämli bestätigen, dass durchwegs genau nach Reglement verfahren wurde. Daher wissen wir, wie sich auch die Hinrichtung von Quaderer und Roos abgespielt haben muss. Anwesend mussten gemäss Verordnung sein: Der Regimentskommandant, hier Oberst Thomann vom Gebirgsinfanterie-Regiment 37; ein Polizeioffizier des Vollzugskantons, hier von Zürich; dann vom Territorialgericht 3b, welches das Urteil gefällt hatte, der Vorsitzende Grossrichter, hier Oberstleutnant Hans Roth von Zürich, der Auditor (Ankläger), hier Major Paul Popp von St. Gallen, der Gerichtsschreiber, hier Hauptmann Ernst Matter von Münchenstein, und der Pflichtverteidiger, hier Dr. Rolf Zollikofer; dazu das mit Camion herangeführte Erschiessungskommando, nämlich ein Offizier mit 20 Unteroffizieren und Soldaten des Gebirgsinfanterie-Regiments 37, wohl aus der Stabskompanie 48, in der Roos Aktivdienst geleistet hatte; ein Offizier der Heerespolizei mit zwei (hier sicher vier) Heerespolizisten; zwei Militärärzte; ein Geistlicher. Nachdem alles bereit stand, brachten die Heerespolizisten die abseits gehal- tenen Verurteilten herbei, verbanden ihnen die Augen, fesselten sie an Stämme oder Pfähle, der Grossrichter verlas die Urteilsdispositive samt Rechtskraft- und Vollzugsvermerken, stellte durch Befragen der Verurteilten nochmals deren Identität fest, ermächtigte darauf den Regimentskommandanten, die Hinrichtung durch Erschiessen vornehmen zu lassen, der Feldprediger leistete letzten Zuspruch, der Regimentskommandant gab gemäss dem in seinen Händen liegenden schriftlichen Vollstreckungsbefehl des Eidgenössischen Militärdepartements vom selben Tage den Befehl zum Erschiessen an den Offizier des Pelotons, dieser erteilte das Kommando an die 20 Mann, die bis dahin in einer Reihe, jeder eine scharfe Patrone im Karabiner, mit dem Rücken zu den Verurteilten gewartet hatten, sich nun exakt nach den Befehlen umdrehten, anlegten, auf das Kommando «Feuer» gleichzeitig schössen, 20 Schüsse in einem, auf die Llerzgegend, hier verteilt auf die zwei Opfer, diese sanken in die Stricke, das Erschiessungskommando marschierte sogleich ab, selber stumm, die zwei Ärzte stellten den Tod fest - wäre er nicht eingetreten, hätte der Pelotonoffizier noch mit der Pistole den Todesschuss vornehmen müssen - , die Ärzte beurkundeten den Tod, der Kommandant erklärte die Vollstreckung des Urteils für beendet und entliess die Urkundspersonen. Das Ganze dauerte vom Eintreffen auf dem Richtplatz bis zur Exekution knapp dreissig Minuten, für die Verurteilten vom LIeranführen bis zum Tod etwa zehn Minuten. Für Alfred Quaderer wie für Kurt Roos ist in den Akten im Bundesarchiv und in Zürich die exakte Vollstreckungszeit vermerkt: «20 Uhr 12». Quaderer und Roos haben sich im Unterschied zu manchen anderen zuletzt keineswegs gefasst verhalten. Dies wissen wir aus der Aussage eines bei ihrer Hinrichtung Anwesenden. Sein Zeugnis ist öffentlich überliefert, wenn auch etwas verschlüsselt, nämlich bei Nikiaus Meienberg. Dieser befragte 1974 Dr. Rolf Zollikofer zu «Ernst S.», dem ersten hingerichteten Landesverräter Ernst Schrämli. Zollikofer hatte Schrämli ebenfalls amtlich verteidigt und dessen Exekution beigewohnt. 129 3n(ettion8gcbüt)i: lfpalttge SJttllimettt. Seile Colaltarjon 7 9?p., fianton, Scrjroet} 9 5Jp., ä u s l a n b 11 Kp., 9ieftamen22 5Jp. «Am Mittwochabend hingerichtet». W&O vom 9.Juni 1944 ni) %it 6t.3o^onn unb flnsetgeölait wn 6argon$ lein= Sc* garn tritt. o 5" offen garn tlitfjc tral= oon bem »er= :uro= Siefc Kummer umfaßt 8 Seiten £Das 9teuefte oom Sage Der SXationalrat befaßte ftcf) au$ in jetner geftrigen Sitjung mit bem bunbesrätlicfjen ©e= |<^äftsberi<f)t 1943, roäbrenb ber Stänberat einige weitere Sollmadjtenbefifjlüffe genehmigte. Die jum lobe oerurteilten ßanbesoerrätet 91 o o e unb Q u a b e r e r ftnb am 3Jfittroott> abenb b / i n g e r t d j t e t rootben. Der gefamte Kifenbabnoerfeljr auf ber 3R o n t ba& £ e n i s = 2 i n i e tft ft 111 g e l e g t. i) e n Ä ö l n btlbete bas 3^1 eines brtttfdjen 9latt)t= 8on= angriffe. -Ratt) beutfcfjen Reibungen follen 30 nbef= otermotortge Sornber abgefdjoffen roorben fein. \o> onti= J«F" Das alliierte Dberfommanbo gibt bie Schrämli habe sich, erinnerte sich Zollikofer, auf dem Hinrichtungsplatz nicht gesträubt, andere dagegen, so überliefert Meienberg Zollikofers beiläufige Bemerkung, «hätten geschrien und getobt in ihren letzten Momenten, Q. und R. zum Beispiel». «Q. und R.» - das waren Quaderer und Roos, deren Erschiessung Zollikofer als Verteidiger ebenfalls von Amtes wegen mitansehen musste. Sie nahmen ihr verschuldetes Schicksal nicht an, sie wollten leben, Verzweiflung brach angesichts des Todes durch. Die Leiche jedes Hingerichteten wurde anschliessend auf dem Platz in den wegen des Blutes mit Sägemehl ausgestreuten Sarg gelegt, dieser wurde vernagelt. An jenem Mittwoch, 7. Juni 1944, dem Tag der Hinrichtung von Quaderer und Roos, war es kalt gewesen, wie den damaligen Zeitungen zu entnehmen ist, in den Bergen war Schnee gefallen. In der Nacht auf Donnerstag regnete es, es war Fronleichnam, die Dreischwestern trugen «weissen Flor». Der Feldgeistliche teilte Quaderers Tod dem Schaaner Pfarrer Tschuor mit. Dieser musste die Nachricht der Mutter und der Schwester überbrin130 gen. Sie verwanden sie zeitlebens kaum. Sie waren, des Sohnes und Bruders beraubt, schuldlos mit bestraft. Die Angehörigen konnten den Toten am Wohnoder Heimatort begraben lassen oder aber auch die Bestattung den Hinrichtungsbehörden überlassen. Alfred Quaderer ist weder an seinem Heimatort Schaan, wo Mutter und Schwester nun wohnten, noch an seinem Wohnort Zug beerdigt. Er wurde vielmehr - wie die Recherchen beim Zivilstandsamt der Stadt Zürich ergeben - in Zürich begraben, auf dem Friedhof Sihlfeld, Grab Nr. 95, gewiss eilig und still. Aus dem Umstand, dass die entsprechende Mitteilung durch das Armeekommando, Abteilung für Sanität, ans Zivilstandsamt Zürich erfolgte (am 15. Juni 1944), darf man schliessen, dass die Bestattung von der Armee veranlasst wurde, wenn auch im Einvernehmen mit der Mutter Anna Quaderer geb. Rüegg, die selber aus Zürich stammte. Sie und die Verwandten wünschten wohl Aufsehen in Schaan wie in Zug zu vermeiden. LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER 4 Information der Öffentlichkeit und Reaktionen Wurde die Öffentlichkeit in der Kriegszeit über den Spionageprozess, das Urteil und die Hinrichtung Quaderers informiert? Auch in Liechtenstein? Und wenn, wie weit? Sind Reaktionen feststellbar, insbesondere im Fürstentum? Gab es Regungen des Mitleids, Aufforderungen zur Milde? Oder Rufe nach Strenge? Wurde das Urteil kommentiert, kritisiert oder bejaht? Die Interessenlage bezüglich einer Veröffentlichung von Spionageurteilen war für die Schweiz anders als für Liechtenstein. In der Schweiz bestand ein vitales Interesse daran, aktive oder potentielle Verräter abzuschrecken und den Widerstandsgeist zu stärken. Um solche Effekte zu erzielen, musste die Öffentlichkeit über Verräter und deren schwere Bestrafung informiert werden. In Liechtenstein dagegen waren Enthüllungen über Landsleute, die im Solde Hitlerdeutschlands Spionage gegen die Schweiz trieben, überaus peinlich, weil dies sowohl Verwandte und Bekannte in Verdacht zog als auch den kleinen Staat selber ins Zwielicht der Unzuverlässigkeit gegenüber der schützenden Schweiz tauchte. In der Schweiz erfolgten «amtliche Mitteilungen» über die Spionageurteile. Die Namen der Täter und ihre Strafen wurden in den Radionachrichten verlesen und in den Schweizer Zeitungen veröffentlicht. Auch das Ergebnis der Stationen, welche die Begnadigungsgesuche durchliefen, sowie die Hinrichtungen wurden in der Presse mitgeteilt, wie zu zeigen sein wird. Die beiden Liechtensteiner Zeitungen informierten über die in der Schweiz verurteilten Spione unterschiedlich. Das «Liechtensteiner Volksblatt» nannte ihre Namen. Das «Liechtensteiner Vaterland» verschwieg sie. Stellung nahmen beide Blätter. Dies ist nachfolgend ebenfalls darzulegen. Im März 1944 wurde wenige Tage nach Prozessende die Öffentlichkeit durch Radio Beromünster und weitere Stationen und durch die Schweizer Zeitungen über die Urteile des Territorialgerichts 3b gegen 22 Personen des Spionagerings Quaderer, Roos und Konsorten ins Bild gesetzt, indem die Personalien der 13 Haupttäter mit den Todesstrafen, den lebenslänglichen und den langjährigen Zuchthausstrafen publiziert wurden. Über die Straftaten selber hiess es allerdings nur sehr allgemein, die Spionierenden hätten in der Zeit vom Sommer 1941 bis zum Dezember 1942 «militärische Geheimnisse und Anlagen ausgespäht oder verraten», auch «durch Einbrüche wichtige militärische Dokumente verschafft und ins Ausland abgeliefert». Mehr Einzelheiten erfuhr man nicht, das besagte «Ausland» blieb unbenannt, doch war klar, dass es nur Hitlerdeutschland sein konnte. Die Zeitungsveröffentlichung wurde mit dem Satz «Amtlich wird mitgeteilt» eingeleitet. Der in Buchs erscheinende «Werdenberger & Obertoggenburger» brachte den Text am 22. März 1944 und setzte darüber die fettgedruckten Titelzeilen: «Verurteilungen wegen Landesverrates, Drei Todesurteile». A m folgenden Tag, 23. März 1944, konnte man die gleiche, wörtlich identische «amtliche» Mitteilung mit allen Namen auch im «Liechtensteiner Volksblatt» - dem Parteiorgan der Fortschrittlichen Bürgerpartei - finden, unter dem dicken Titel: «Verurteilte Spionageorganisation, Drei Todesurteile; hohe Zuchthausstrafen». Darin konnten die Bewohner des Fürstentums unter anderem lesen, dass Alfred Quaderer und Willy Kranz «zum Tode durch Erschiessen», Josef Arnold Vogt, Willy Weh und Pietro Rossi «zu lebenslänglichem Zuchthaus» sowie Paula Rossi geb. Kranz «zu 4 Jahren Zuchthaus, 15 Jahren Landesverweisung» verurteilt worden waren. In der gleichen Ausgabe des «Liechtensteiner Volksblatts» vom 23. März 1944 stand an anderer Stelle bei vermischten Meldungen ein kurzer Kommentar mit dem kleinen, unscheinbaren Titel «Betrübliche Erscheinungen». Er nimmt Bezug darauf, dass man am Abend über «Radio Beromünster und andere Sender» sowie tags darauf «in allen Zeitungen» die Ergebnisse des Spionageprozesses und die Todesurteile gegen zwei Liechtensteiner und das lebenslängliche Urteil gegen einen weiteren Liechtensteiner erfahren konnte; die Namen nennt er nicht. Der liechtensteinische Zeitungsschreiber nimmt darauf wertend Stellung: «So beklagenswert diese Unglücklichen sind und so schwer sie ihre Verfehlungen büssen müssen, so 131 -i.34 auf ien mg .30 S'ürftentum fiiedjtenftein 3ut ÄlarftcHung (Borr.) lidjc je' mar bie tor ' Siei ber butt Ol: ©utd) 9\abio unb treffe erfuhren wir an» fangä biefet "JBocbe, bajj baä fcbweijcrifcbc mt lf* Scrritorialgcricbt ü l a nad) längeren Verbanb» af« lungcn in einem Spionagcprojejj jutn Schaben tnb ber Scbweij gegen 22 $lnget(agfe ba£ Urteil to« 00. gefällt habe, ©anach würben brei 2lngef(agtc ftrul >en jum $obe imrd) (Erfcbicfjen, mehrere ju (eben*» fam <lA länglichem 3ud>thau£, anbere jn mehr ober mc= Sin .6= nigcr langjährigen 3ud)tbaueifrrafen »erurtcitt. gefe cer Unter bcn jum Sobc Verurteilten befinben fid) tum fei leibet aud) jmei Ciecbtcnfteiner, wooon einer nah n* allerbingä im "Jlueilanbe abwefetrb ift. (Ein brit* ter 2ied)renfteiner würbe J lebenslänglichem V4 3ud)tt)auä oerurteilt. 3 ar Sie Schwere ber »erhängten Strafen läfjt Vri in einen gewtffen 9iüctfd)(ufj ju auf bie ßtftroete fein :r= bc6 Straffalleä. ® a « amtliche JOcitaefpi«- "' 9« bie Veturteilung bringt bie - " äe Scfjtufjfatje eii"> n bafc ' Ici »^. u|»ci wuren, aogeurreilt. Ii tu ®aei Urteil beä febweiäer. 9Jiilirärgerid>te£ Sc lieb bat in Cieebtenftein eine Ißelle ber Empörung r u an< gegen bie an foleben 'SJtacbenfcbaften beteiligten irr :tn« 3n(änber heroorgerufen. (Eä ift wobt anjuneb» S cu= men, bafj baä fcblimme Sd)i<ffal, welches bie lic aii' Verurteilten ereilt bat, eine ju abfcbrccfenbc fte »et« vfBirtung auelüben werbe, alä bafj auch nur einer f« um fid) in 3ufunft nod) in Verfucbung führen lajfen 9° •3\c tonnte, ju foleben Unternehmungen bie Jöanb ju re en= bieten. tio» Um aber allem falfcben Qlrgmobn unb aller er: lifo Verallgemeinerung im Urfeil über unfer Sanb tri er» unb Volt enrgegenjurreten, möchten wir folgen» ru < u Ät y atc beä flarftellen: %• Cicd)tenftein bat burd) feinen ßanbeäfürften bei gleid) ju Veginn biefeä Äricgeä feine ftritte >cr= SReutralität »erfünben (äffen unb unfere Ve» »er» hörben haben fid) getreu ber fürftlid)en ^rofla» Der mation ftetet ängftlid) bemüht, alletf jit tun, mag unferer neutralen Äaltung bienlid) war unb 3n alle* ju oermeiben, waS gegen bie 3ntetcffen ren unferer 9!eutralität oerftiep. (Ein ©ewerbe aber, •ib< baä ben Eicbtfdjein ber Sonne fliehen unb bai mO ©unfel ber 2Rad)t fud)en mufj, ba« ia(= 3Bcgen ber normalen P»—' Die faljrunn*'— an Spaltenlange «Klarstellung» auf der Frontseite des «Liechtensteiner Vaterland» vom 25. März 1944, ohne Nennung von Namen 132 <E mi un er: oo an BN bei kommen wir doch nicht um die Feststellung dass diese verurteilten Leute sich nicht nur gegen die Gesetze eines ausländischen vergangen, sondern sich auch gegen ihr land schwer verfehlt haben.» herum, schwer Staates Heimat- Der Kommentator fährt fort, die bisherige Serie von Spionagefällen, in welche von Zeit zu Zeit ein Liechtensteiner verwickelt gewesen sei, zeige sich «alles andere als dem Land zuträglich», das liechtensteinische Ansehen leide darunter, die Folgen habe eines Tages das ganze Volk Liechtensteins zu tragen. Die Urteile seien hoffentlich Warnung genug, dass Ähnliches sich nicht wiederhole. Aus diesem Kommentar, der offensichtlich von der «Volksblatt»-Redaktion stammte oder von ihr inspiriert war, spricht zwar etwas Mitleid mit den Verurteilten - die «Unglücklichen» seien «beklagenswert» -, aber keine Kritik an der Schwere der Urteile. Diese erschienen dem «Volksblatt»-Kommentator auch aus liechtensteinischer Sicht als gerechtfertigt, da die Spione sich auch gegen das eigene kleine Heimatland und Volk «schwer verfehlt» hätten. Darauf brachte zwei Tage später das «Liechtensteiner Vaterland» - Organ der Vaterländischen Union - am 25. März 1944 eine längere Stellungnahme, als «Korr.»-Zusendung, unter dem klein gehaltenen Titel «Zur Klarstellung», aber immerhin auf der ersten Seite plaziert, nach dem Geschäftsbericht der Sparkasse. Der Korrespondent weist ebenfalls auf die in Radio und Zeitungen veröffentlichten Spionageurteile hin. Unter den zum Tode Verurteilten befänden sich «leider auch zwei Liechtensteiner», ein weiterer Liechtensteiner habe lebenslängliches Zuchthaus erhalten. Namen nennt der Kommentator nicht. Doch holt er ebenfalls zur Bewertung aus. Mit den auch Liechtensteiner betreffenden Urteilen sei «ein äusserst betrübliches Kapitel für unser Land» zu Ende gegangen. Nach Bekanntwerden der Urteile des Schweizer Militärgerichts habe sich in Liechtenstein «eine Welle der Empörung gegen die an solchen Machenschaften beteiligten Inländer» LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER gerichtet. Die Verurteilten habe «ein schlimmes Schicksal» ereilt. Dieses werde wohl fortan vor jeder ähnlichen Versuchung abschrecken. Nach solcher Einleitung - die wie im «Volksblatt»-Kommentar neben etwas Mitleid für die Verurteilten die Berechtigung des Urteils nicht in Zweifel zieht kommt der «Vaterland»-Korrespondent dann zu seinem eigentlichen Anliegen: «Um aber allem falschen Argwohn und aller Verallgemeinerung im Urteil über unser Land und Volk entgegenzutreten, möchten wir folgendes klarstellen», nämlich dass Liechtenstein gleich zu Beginn des Krieges strikte Neutralität verkündet habe, dass die Landesbehörden diese neutrale Haltung stets ängstlich geübt hätten, dass die Behörden keine Schuld an den dunklen Machenschaften der Spione trügen, vielmehr kräftig eingeschritten seien, wenn auf liechtensteinischem Territorium verbotener Nachrichtendienst aufgedeckt wurde. Der «Vaterland»-Text fährt fort: «Das liechtensteinische Volk missbilligt entschieden und verurteilt die Teilnahme von Inländern an diesen Spionagefällen. Dass dabei in allen Fällen zur Llauptsache auch Schweizer massgebend beteiligt waren, wird durchaus nicht als Entschuldigung angesehen.» Liechtenstein und sein Volk wolle, so schliesst die «Klarstellung», die Neutralitätspflichten gewissenhaft erfüllen und insbesondere alles vermeiden, was mit seinen Pflichten auf Grund des «Wirtschaftsanschlusses an die Schweiz» im Widerspruch stünde. Mehrere Aspekte sind in dieser «Vaterland»Stellungnahme zum Spionageproblem interessant. Erstens wird die von Liechtensteinern gegen die Schweiz verübte Spionage deutlich missbilligt. Zweitens weist die vom Korrespondenten erwähnte «Welle der Empörung» der Liechtensteiner gegen die im März 1944 verurteilten liechtensteinischen Spione - Quaderer und Konsorten - darauf hin, dass deren Taten und die Urteile im Lande doch erregtes Tagesgespräch waren. Drittens werden die strengen Urteile nicht kritisiert, weder das Todesurteil noch die sehr langen Zuchthausstrafen. Viertens aber erweist sich als eigentliches Motiv für die ganze Stellungnahme die Sorge um das Image des Landes und der Liechtensteiner, und zwar gerade im Hinblick auf die ausspionierte Schweiz, von der man auch wirtschaftlich völlig abhing. Die Klarstellung erfolgte, wie es am Schluss hiess, «damit nicht bei Lands- und volksunkundigen LIörern und Lesern eine falsche Auffassung hervorgerufen wird». Solche Llörer und Leser mochte es vorab in der Schweiz, aber auch bei den nun, 1944, bald siegreichen Alliierten geben. Das «Liechtensteiner Vaterland» druckte neben dieser Stellungnahme weder die erwähnte amtliche Mitteilung, wie sie in den Schweizer Zeitungen und im «Liechtensteiner Volksblatt» erschien, noch sonst etwas zum Fall Quaderer und Konsorten ab. Reine «Vaterland»-Leser erfuhren aus ihrer Zeitung ausser der «Klarstellung» nichts, weder Namen noch Urteile noch Vergehen noch etwas über den Gang des Begnadigungsgesuchs und über die erfolgte Hinrichtung. Das «Liechtensteiner Volksblatt» informierte, wie schon gezeigt, in dieser Sache offener. Es äusserte sich erneut in der Ausgabe vom 1. April 1944, und zwar in einem Leitartikel (von «E.») unter dem breiten Titel «Staat - Volk - Einzelgänger». Die Mitarbeit von Liechtensteinern an einer gegen die Schweiz arbeitenden grossen Spionageorganisation habe «im Lande allerhand unangenehme Gefühle wachgerufen», und «über den Rhein an uns ergangene Anfragen» hätten einige «Verwunderung» gerade befreundeter Schweizer ausgedrückt. Der Leitartikler argumentiert vorerst in ähnlicher Richtung wie ein paar Tage zuvor der «Vaterland»-Korrespondent: Staat und Volk trügen keine Schuld, sie hielten die «Ehre unseres Landes» und den «guten Ruf unserer unbedingten Neutralität» aufrecht. Die Täter seien «Einzelgänger». Dann aber holt der Leitartikler zu einer politischen Abrechnung aus, indem er fragte, wie es im Fürstentum zu solchen Machenschaften - zu Spionage gegen die Schweiz für Hitlerdeutschland - kommen konnte: Den Boden dazu bereitet und Schuld habe jene sich «volksdeutsch» nennende und sich masslos auf133 bauschende, unliechtensteinische Bewegung, die das Land in Gefahr gebracht habe. Gemeint war die einheimische nationalsozialistische «Volksdeutsche Bewegung in Liechtenstein», die von 1938 bis 1945 bestand, 1939 einen Anschlussputsch versuchte und vor allem von 1940 bis 1943 lautstark hitlerdeutsch agitierte. Dort seien «die Schuldigen unter den Einzelgängern zu suchen». Das Land und das liechtensteinische Volk aber hätten von Anfang an und dauernd ihre «grundsätzliche Einstellung» gegen die «grosse Lüge» und die «faszistische Idee» jener Bewegung gestellt. Der «Volksblatt»-Leitartikel verfocht zugleich eine innenpolitische Stossrichtung, indem er die tatsächliche nationalsozialistische Nährlösung für die einheimischen Spione geisselte und auch indirekt herausstellte, dass das «Liechtensteiner Vaterland» und mit ihm die Vaterländische Union, deren Führung weniger Distanz zur «Volksdeutschen Bewegung» hielt, diesen Zusammenhang verschwieg. A m 31. März 1944 berichtete das «St. Galler Tagblatt» kurz unter dem Titel «Zwei neue Begnadigungsgesuche von Landesverrätern», dass Quaderer und Roos Begnadigungsgesuche eingereicht hatten, diese aber erst in der Junisession der Einzeltäter und Verantwortung der NS-Bewegung im Lande: Leitartikel im «Liechtensteiner Volksblatt» vom 1. April 1944 Staat - Bundesversammlung behandelt werden könnten, so dass sie solange zuwarten müssten. Einen Tag später brachte das «Liechtensteiner Volksblatt» die amtliche Mitteilung, Major Pfisters Gnadengesuch sei mit 210 zu 15 Stimmen abgelehnt worden. Den liechtensteinischen Lesern stand vor Augen, was Quaderer erwarten mochte. Danach blieb es einen Monat still. Anfang Mai 1944 folgte ein neuer Artikel zum Thema, der unter anderem am 3. Mai in der «Ostschweiz», am 4. Mai im «Liechtensteiner Volksblatt» und am 5. Mai im «Werdenberger & Obertoggenburger» - wo der Schlussabsatz wegblieb erschien, mit dem überall gleich lautenden Titel: «Verräter bitten um Gnade». Darin werden die drei Todesurteile gegen Quaderer, Roos und Kranz kurz rekapituliert - mit Namen - , das Verfahren betreffend Kassationsbeschwerde und Begnadigung erläutert und der Zusammentritt der Begnadigungskommission in Bern auf den 24. Mai angekündigt. Kranz habe weder Kassation noch Begnadigung begehrt, da er landesabwesend verurteilt sei und daher die Strafe nicht zu fürchten brauche - «wenigstens vorläufig». Der Autor, offensichtlich ein Schweizer Korrespondent, stellt danach Überle- äfolf tätmtlQanw - Ii Sie unter öem 18. SOitirä burd) bas fdjroeü • 3 . bn eine folctje JBeroegung" infolge ber ;aifche Jerritorialgericfjt 3 B erfolgte 33crur= ] aufsenpolitifcfjen Äonftellation für bas 2nnb teilung oon Siecfjtenftetncrn megen Mitarbeit i ©efahren in fid) bergen mufcte, bereit fBröfte an einer umfnngreid)en Spionageorganifation niemanb ermeffen ftonnlc. Unb felbft bei aller tat im fianbe allertjanb unangenehme (Befühle S3orfid)t ber §anbt)nbung poiitifdjer 97cad)tmit' londinerufcn. 3n foleben 3ufaminent)cingen tel honnte bas SSoIh nid)t anbers. als fid) ge•miroc ber Siame 2iecf)tenftein beffer nidjt ge» gen biefe grofje 2 ü g e (teilen, es aijiite bic ©e= minnt. aud) in ber uns befreunbeten Sdjroeis fafjren unb begegnete bem unlauteren SScgin» nicht, ober beffer gefagt, gerabe beshalb nidjt, nen burd) bic bem 2iechtenfteincr eini'"- " rotil roir in 2iecbtenftein auf ungetrübte Se= meffenheit. 2Bcnn ffiinseloö"— .üchungen 3toifctjen ben beiben Sänbern ben oergingen unb R * *' 3 ' ( i r ö j j t e n SB e r t legen. 9!ur roiberftrebenb bi» «• • üinftellung fd)ul« haben roir bie über ben fttjetn an un» neuen 2ln ragen beon»*-—' lie Mntroort auf bi» Srage, rote folebe fKoSern fl»»~ '' iwnldxiften auf Iied)teii|telntfcbem ©oben eine *"«icheruna. erfahren konnte, ift in ber fcl"»tfrittfl»n m a I o f e n Hufbaufdjung. einer '•"Wanna" gegeben, bie. roie roir biet roie< -NrJuti feftfttlltcn. in unfetem ä ü t f t e n t u m wn flnfanri an heine ff^iftenjbitre*«— tot», »od» m»br. Gl» — ' J.vifafcl tf - • " e i r U : : 134 LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER gungen zum Ausgang an: A m mutmasslichen Entscheid der Begnadigungskommission wie der Bundesversammlung zu Quaderer und Roos seien «kaum Zweifel möglich». Höchstens sei bei Quaderer in Betracht zu ziehen, dass er liechtensteinischer Staatsbürger sei und so als Ausländer nicht sein eigenes Land verraten habe. Dies als mildernden Umstand walten zu lassen, «wird jedoch gerade in der Heimat Quaderers abgelehnt». Die liechtensteinische Presse habe sich nach der Verurteilung von Quaderer, Kranz und Vogt «mit aller Schärfe gegen die verräterischen Landsleute ausgesprochen und ihre Verurteilung begrüsst», gerade im Hinblick auf das enge Verhältnis zur Schweiz. Der schweizerische Autor folgerte denn, die früheren Stellungnahmen des «Liechtensteiner Volksblatts» und des «Liechtensteiner Vaterlands» etwas forcierend: «Wenn also Quaderer als erster Ausländer wegen Vergehens gegen den Staatsschutz hingerichtet wird, so ist dies nicht nur juristisch korrekt - auch ausländische Gerichte beurteilen straffällige Ausländer nicht milder als die eigenen Staatsangehörigen -, sondern lässt sich auch vom Standpunkt der auswärtigen Beziehungen durchaus vertreten.» Daher, so schliesst der Artikel, werde die Bundesversammlung nach Erwägung dieser Momente «aller Voraussicht nach» bei Quaderer und Roos zum gleichen - negativen - Ergebnis gelangen wie bei den bisherigen Gesuchen von «zum Tode verurteilten Feinden unserer staatlichen Sicherheit». Der schweizerische Verfasser dieses Artikels kannte die Materie offensichtlich gut. Erstaunlich erscheint, dass dieser Text einen Tag nach seinem Erscheinen in der «Ostschweiz» auch im «Liechtensteiner Volksblatt» veröffentlicht wurde, unter der Rubrik «Aus der Schweiz», und zwar ohne weiteren Kommentar. Die Erklärung ist einfach: Das «Liechtensteiner Volksblatt» wurde in A u im schweizerischen Rheintal gedruckt, dort wurden auch Texte, etwa Meldungen aus der Schweiz, ohne getiefte bitttn um ©noce 3n Sern Hit am 2J. SRai iw Scgnaii. gungshommiffion ber SSunbesoirfammluncj jufammen. um bie anträgt übet bie bängijt, Segnabtgungsgtfudje ju beteinigen. SRit 1* tum oom 18. SJlärj bat. roie erinnerlich, tea £ttritoriaigeri<f)t 3B eine Spicmagtorgani. fation abgeurteilt unb babei äuget höbet 3ucbtbausflrafcn auch bret lobesurteil« gt< fätlt, nöm(icf) gegen Sllfreo fxrmann £uaberer, oon Schaan (Siechtenftein). fturt JJo. bann 800s, oon &as(e (Sutern), unb SSül^ Rranj. oon (Eichen (2ied)tenftein). 2Bäb,ttiu> 11. fo eert* ic frei) ntb r. ntn RC nfo teilic i* 1)1 ber £>?iniai Quaberer» abgelehnt. £ t e ^icne bes gürftentums Siechtenftein bat fid) >m 2hfchlufe an bic Verurteilung ber fiiechtenfteiner Quaberer. Äran3 unb Sogt mit aller Schürfe gegen bic oerräterifeben Canbsleute auseje« fproeben unb ihre SkrarteHung begrübt, rot* bei fie auf bas befon&crs enge Scrtraucns-ocrbältnis bei beiben Staaten hinroics. Senn olfo Quaberer als erftcr Sluslänber rocgen Vergehens gegen ben Staatsfchufc Eingerichtet roirö. fo ift bics nicht nur juriftifd) horrcht — auch auslänbifebe (Berichte beurteilen ftraffäl. (ige SUwlänbcr nicht milber als bie eigenen Gtciatsangchörigcn —, fonbern läfet fid) auch oom Stanbpunht ber ausroärtigen Scaiehutp <icn burdjaus oertreten. 3n Grroägung aller biefer Sloincntc roirb bie Sunbcsrurfainm« lung aller Slorausficht nach bei 6er Wtutteb lung ber (Bnobcngcftichc Quaberer unb 3ioo* jum felbcn (srgcbnii gelangen roie bei ben früheren ©efuchen oon jum lobe oerutteilten Seinben unferer ftaatlichen Gichctheit Artikel im «Liechtensteiner Volksblatt» vom 4. Mai 1944, unter der Rubrik «Aus der Schweiz». Tags zuvor hatte ihn «Die Gstschweiz» gebracht. Er erschien auch in andern Schweizer Zeitungen, so am 5. Mai 1944 kürzer im «W&O» 135 Einzelabsprache mit der Vaduzer Redaktion eingerückt. Dies scheint hier geschehen zu sein. Dem liechtensteinischen «Volksblatt»-Leserpublikum war hier jedenfalls eine sehr pointierte Meinung vorgesetzt. Damit aber hatte es dann auch sein Bewenden: Im «Liechtensteiner Volksblatt» wurde danach keinerlei Meldung mehr zu Quaderer veröffentlicht, weder zum Gang des Gnadengesuchs noch zur Hinrichtung. Dieses plötzliche und auffällige öffentliche Schweigen auch im Mehrheitsblatt geschah zweifellos bewusst, durch Einwirken der Bürgerpartei oder der Regierung, die von Dr. Josef Hoop geführt war, auf die Redaktion. Die öffentliche Erörterung des Falles und des Themas wurde als nicht mehr opportun angesehen. Alfred Quaderer war damit in seiner Heimat schon fünf Wochen vor der Hinrichtung totgeschwiegen. Indes wurde über dem Rhein, etwa im «Werdenberger & Obertoggenburger» in Buchs, regelmässig über die weiteren Stationen berichtet, so dass man auch im Ländchen sehr wohl Bescheid wissen konnte. A m 17. Mai 1944 wurde der Leserschaft auf der ersten Seite unter der Rubrik «Das Neueste vom Tage» mitgeteilt: Der Bundesrat beantrage Ablehnung der Begnadigung der zum Tode verurteilten Landesverräter Roos und Quaderer. Eine gute Woche darauf, am 26. Mai, hiess es unter der gleichen Rubrik, auch die Begnadigungskommission der beiden Räte schlage der Bundesversammlung Abweisung der Gnadengesuche vor. Am 7. Juni ging an Agenturen, Zeitungen und Radio eine längere amtliche Mitteilung aus Bern: Die Vereinigte Bundesversammlung habe heute die Gesuche der beiden zum Tode durch Erschiessen verurteilten Alfred Quaderer und Kurt Roos abgelehnt. Die amtliche Mitteilung enthielt auch eine Begründung der Ablehnung zuhanden der Öffentlichkeit: Quaderer und Roos hätten einer Spionageorganisation «zugunsten eines kriegführenden Staates» - Deutschland wurde nicht genannt angehört. Während eineinhalb Jahren hätten sie «Werke und Massnahmen unserer Landesverteidigung ausgekundschaftet und an das Ausland verraten». Sie seien dazu auch mehrmals in «eine 136 militärische Kommandostelle» eingedrungen. Sie hätten «in voller Einsicht in die Verwerflichkeit ihrer Handlungen» agiert. Die amtliche Mitteilungwelche die Folgerungen der Bundesversammlung zusammenfasst - fährt fort: «Durch die mit grosser Umsicht und Gründlichkeit vorbereiteten und durchgeführten Verbrechen haben sie die Wirksamkeit wichtiger Anordnungen unserer Landesverteidigung in hohem Masse in Frage gestellt und das Leben vieler schweizerischer Wehrmänner aufs Spiel gesetzt. So musste trotz des jugendlichen Alters der Angeklagten die volle Strenge des Gesetzes Platz greifen.» Die amtliche Mitteilung enthielt ebenfalls das Stimmenverhältnis. So erfuhr man auch in der Öffentlichkeit und in Liechtenstein, dass Quaderers Gesuch - und Leben - mit 211 zu 15 Stimmen überdeutlich fiel, jenes von Roos dagegen nur knapp. Der «Werdenberger & Obertoggenburger» brachte diese Mitteilung aber erst am Freitag, 9. Juni, unter dem Titel «Die Begnadigungsgesuche Quaderers und Roos' abgelehnt». Daher konnte man in der gleichen Ausgabe vom 9. Juni 1944 schon auf der ersten Seite zuoberst «Das Neueste vom Tage» lesen: Der Nationalrat hat den Geschäftsbericht beraten, der Ständerat hat Vollmachtenbeschlüsse genehmigt, und: «Die zum Tode verurteilten Landesverräter Roos und Quaderer sind am Mittwochabend hingerichtet worden.» Und: Der Eisenbahnverkehr auf der Mont-CenisLinie ist stillgelegt, Köln ist in der Nacht bombardiert worden, 30 britische Bomber seien abgeschossen, und das alliierte Oberkommando hat die erste Phase der Invasion für abgeschlossen erklärt. Wir können zur Informationspolitik und zu Reaktionen festhalten: Über den Spionageprozess, die Urteile und die Hinrichtungen im Fall Quaderer wurde in der Schweiz die Öffentlichkeit durchaus informiert, über die Verratshandlungen selber allerdings nur summarisch, da militärische Geheimnisse tangiert waren. In Liechtenstein dagegen wurde ungleichmässig informiert - vom Minderheitsorgan gar nicht - , und nach kurzem wurde LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER 5 Fragen zum Fall Quaderer auch die offene Information des Mehrheitsorgans gestoppt, zweifellos aus innen- und aussenpolitischen Rücksichten. Dennoch konnte man hier über Schweizer Zeitungen und Radio das Wesentlichste erfahren. Auch in Liechtenstein distanzierte man sich entrüstet von den aufgeflogenen Spionen, welche Einzeltäter seien, und man betonte die korrekte Haltung des Landes, nämlich von Seiten des «Volksblatts» die konsequente Ablehnung des Nationalsozialismus und von Seiten des «Vaterlands» die strikte Neutralität. Man nahm auch hier die Urteile als selbstverschuldet hin, auch das Todesverdikt gegen den in der Schweiz einsitzenden Quaderer, wies aber von Bürgerparteiseite auch den einheimischen Nationalsozialisten der «Volksdeutschen Bewegung» Mitverantwortung am Verrat und damit an Quaderers Schicksal zu. Kritik an der Todesstrafe oder Anstösse zur Milde wurden, ausser im Familienkreis, nicht manifest. Auch Fürst und Regierung taten mit dem halbherzigen Vorstoss in Bern wenig. In der Schweiz wurden eine ganze Anzahl weiterer Spionage-Urteile gegen Liechtensteiner oder Personen mit Beziehungen zu Liechtenstein gefällt. Im März 1945 folgte noch ein drittes schweizerisches Todesurteil - nach Quaderer und Kranz wegen militärischen Landesverrats gegen einen Liechtensteiner, nämlich gegen Theo Wolfinger von Balzers. Überdies war auch ein Todesurteil gegen den in Liechtenstein lebenden Schweizer Emil Scherzinger ergangen. Kranz und Wolfinger und Scherzinger entgingen der Hinrichtung nur, weil sie während des Krieges nicht in der Schweiz gefasst wurden. Kranz und Wolfinger und ebenso Weh wurden aber nach dem Krieg von den alliierten Besatzungsbehörden an die Schweiz ausgeliefert, sie verbüssten dort nach neuen Urteilen teils lange Zuchthausstrafen, so wie etliche weitere Liechtensteiner auch. Wieder andere in der Schweiz verurteilte liechtensteinische Spione konnten dies vermeiden, indem sie die Schweiz bis zur Verjährung nicht mehr betraten. RECHTSSTAATLICHES VERFAHREN? Des Strafrechtlers Peter Noll Untersuchung der Prozesse der 17 in der Schweiz hingerichteten Landesverräter, darunter eben Quaderer, zeigt, dass durchwegs rechtsstaatlich korrekt verfahren wurde. Quaderer wurde nicht einfach rasch gefasst, abgeurteilt und exekutiert. Die Untersuchung wurde sorgfältig geführt, ebenso die Gerichtsverhandlung und das Begnadigungsverfahren. Grundsätzlich problematisch aber war und bleibt vor allem, worauf auch Noll hinweist, die verhängte und vollstreckte Todesstrafe. S T R A F Z W E C K E : A R S C H R E C K U N G , SÜHNE, GERECHTIGKEIT? Auf was für Strafzwecke zielte die Verhängung der Todesstrafe für Landesverräter? Wurden sie erreicht? Im Vordergrund standen damals Abschreckung und Sühne, auch Herstellung von Gerechtigkeit. Die Abschreckung diente der Abwehr weiteren Verrats. Die Verrätereien gingen denn auch nach Bekanntwerden der ersten Todesurteile, im Herbst 1942, sogleich auffällig zurück. Das Risiko erschien nun plötzlich als zu hoch, wegen ein paar hundert oder tausend Franken das Leben zu verlieren. Auch Alfred Quaderer, der kein Nationalsozialist war, sondern leichtes Geld im Auge hatte, rechnete während seines Tuns gewiss nie damit, dass er auf dem Richtplatz enden könnte. Sühne wurde gefordert, für den als niederträchtig gewerteten Verrat, der die Existenz des Landes und das Leben seiner Bewohner gefährdete. Für das schwerste Verbrechen, den Verrat, galt die schwerste Sühne, der Tod. Quaderer äusserte Bereitschaft zu «sühnen», aber nicht mit dem Tod. Gerechtigkeit schien aber dem Gericht, den Behörden, der Bundesversammlung und der Öffentlichkeit in den schwersten Fällen erst durch den Tod des Verräters wiederhergestellt, waren doch gleichzeitig Hunderttausende in Angst um ihr Leben, auch bereit zum Einsatz des Lebens für die 137 Verteidigung des Landes. Sogar der Theologe Karl Barth, der später die Todesstrafe grundsätzlich ablehnte, befürwortete sie w ä h r e n d des Zweiten Weltkrieges für Landesverräter, angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung der Schweiz. WAS H Ä T T E QUADERER VOR EINEM L I E C H TENSTEINISCHEN GERICHT E R W A R T E T ? Quaderer hatte zum Nachteil der Schweiz spioniert. Wäre sein Tun auch in Liechtenstein strafbar gewesen? Mit welchen Konsequenzen? Diese an sich hypothetische Frage lässt sich in diesem Falle sehr konkret beantworten. Denn gerade die in der Schweiz später als Landesverräter zum Tode verurteilten Spione Willy Kranz, Emil Scherzinger und Theo Wolfinger waren wegen ihrer Spionagetaten aufgrund schweizerischer Liinweise Ende 1942 schon in Liechtenstein verhaftet und 1943 in Vaduz auch verurteilt worden. Wir dürfen daher davon ausgehen, dass sich für Alfred Quaderer hier ein Strafmass in ähnlichem Rahmen ergeben hätte. Willy Kranz wurde vom liechtensteinischen Kriminalgericht im März 1943 wegen verbotenen militärischen Nachrichtendienstes zu einem Jahr und neun Monaten Kerker verurteilt, Wolfinger zu zwei Jahren Kerker, Scherzinger zu zweieinhalb Jahren Kerker. In der Schweiz dagegen wurden, wie weiter oben erwähnt, alle drei später für die gleichen Spionagevergehen zum Tod verurteilt. Kranz, Wolfinger und Scherzinger entwichen allerdings schon im April 1943 aus dem Vaduzer Gefängnis, nach Deutschland. Auch Quaderer, dessen Spionagetaten mit jenen von Kranz vergleichbar waren, hätte also, wäre er in Liechtenstein verhaftet und hier verurteilt worden, mit einer Kerkerstrafe von etwa zwei Jahren rechnen müssen. Der ins Auge springende Unterschied in der Beurteilung der gleichen Tatbestände gründete darin, dass sich erstens die Verratshandlungen gegen die Schweiz und nicht direkt gegen Liechtenstein richteten und dass sie zweitens im Fürstentum nicht von einer Strafnorm erfasst wurden, welche sie als 138 Landesverrat gewertet hätte, sondern nur vom «Spitzelgesetz» von 1937, dem «Gesetz betreffend den Schutz der Sicherheit des Landes und seiner Bewohner», mit entsprechendem Strafrahmen. Auf «Hochverrat» wäre zwar auch im liechtensteinischen Strafgesetz noch die Todesstrafe gestanden. Aber Spionage für oder gegen ein fremdes Land in diesen Fällen für Deutschland, gegen die Schweiz - galt nicht als Hochverrat, sondern nur als verbotener Nachrichtendienst. L A N D E S V E R R Ä T E R A U C H GEGENÜBER LIECHTENSTEIN? Hatten Alfred Quaderer und weitere wegen Landesverrats in der Schweiz verurteilte Liechtensteiner auch Landesverrat an Liechtenstein verübt? Nach dem Wortlaut der liechtensteinischen Gesetze offensichtlich nicht, jedenfalls nicht im Sinne des Hochverrats nach Strafgesetzbuch, wie oben gezeigt. Juristisch waren sie also keine liechtensteinischen Landesverräter. Zumindest politisch und moralisch allerdings rückten sie in die Nähe auch des liechtensteinischen Landesverrats, des «Hochverrats». Quaderer und die weiteren für Hitlerdeutschland spionierenden Liechtensteiner gefährdeten nämlich durch ihren Verrat gegen die Schweiz auch das Fürstentum und seine Bewohner existentiell. Wie die militärische Bedrohung der Schweiz Liechtenstein mit einschloss, so umgriff Landesverrat gegen die Schweiz auch Verrat gegen Liechtenstein. Entlang dieser Linie wurde damals, wie hier sichtbar geworden ist, auch in den Schweizer Instanzen und ebenso in der liechtensteinischen Presse und Öffentlichkeit argumentiert. Diese Überzeugung war es ja eigentlich gewesen, welche für Gericht und Behörden in der Schweiz den Ausschlag gegeben hatte, Quaderer ohne Milde dem Tod zu überantworten. Selbst die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern hielt ein Jahrzehnt nach dem Krieg im Zusammenhang mit Begnadigungseingaben von Liechtensteiner Spionen, die 1955 noch in Schwei- LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER zer Gefängnissen einsassen, im selben Sinne fest: Handlungen gegen die militärische Bereitschaft der Schweiz im Zweiten Weltkrieg seien letztlich indirekt auch gegen Liechtenstein gerichtet gewesen. VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT: DEN KLEINEN GEHÄNGT? Trotz allem - war die Todesstrafe für die Verratshandlungen von Alfred Quaderer und seinesgleichen wirklich verhältnismässig? Hat man ihn nicht als den sprichwörtlichen Kleinen exekutiert? In der Tat waren die Verurteilten, wie auch Quaderer, in der Regel arm oder ärmlich, nicht vom Leben verwöhnt, auch wenn sie nicht aus Not handelten, schlecht integriert auch. So schwer gewogen wurden ihre Vergehen aber, weil sie den vitalsten Bereich, Existenz und Leben, betrafen. Und weil es Taten waren, nicht nur Gedanken oder Worte, sondern Werke, verboten, von Sanktion bedroht, fassbar. Und weil diese eindeutig waren, nicht ambivalent wie etwa wirtschaftliche Kooperation und Kollaboration. Denn die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Hitlerdeutscbland, insbesondere die Lieferung von Rüstungsmaterial und kriegswichtigen Gütern, war nicht nur nicht generell verboten, sondern hatte aus Schweizer wie Liechtensteiner Sicht immer auch als nützlich erachtete Seiten, indem sie Arbeit schuf, die lebenswichtigen Einfuhren aus dem Reich sicherte, vielleicht Hitler gar vom Angriff abhielte. deutschen Bewegung in Liechtenstein»? Waren sie etwa besser als Quaderer? Die Frage nach der Verhältnismässigkeit ist auch die Frage nach der Gerechtigkeit. Gegenüber der tödlichen Konsequenz, welche Quaderer als militärischen Landesverräter traf, empörte damals und störte noch später viele im Fürstentum das ungeschorene Davonkommen vieler und Grösserer, welche ähnliche Ziele mit andern Mitteln angestrebt hatten. Wie gezeigt, wäre Quaderer in Liechtenstein mit etwa zwei Jahren Kerker davongekommen. Man hat in Liechtenstein gewartet, bis der Krieg vorbei war, und dann jene Bewegungs-Führer, die 1939 den Anschlussputsch verantworteten, auch gerichtlich abgeurteilt, ebenso den ab 1940 tätigen, anschlussbereiten Landesleiter der «Volksdeutschen Bewegung», Dr. Alfons Goop, der für die einheimische NS-Bewegung und für deren Mitleiter, einschliesslich «Umbruch»Kampfblatt-Redaktoren, die ganze Verantwortung und eine mehrjährige Strafe auf sich nahm. So kann man sagen.- Ja, man hat mit den Landesverrätern in der Schweiz, einschliesslich Quaderer, die Kleinen erschossen, aber nicht weil man nur die Kleinen hängen und die Grossen laufen lassen wollte, sondern weil sie, obwohl Kleine, Grosses verbrochen, das Land und das Leben der Bewohner durch Verrat tödlich gefährdet hatten. Dass dem so war, dessen waren sich allerdings Quaderer und Roos und manche andere nicht wirklich bewusst. Und die Verhältnismässigkeit gegenüber den Bemühungen der Anschluss-Leute, hierzulande der Anschluss- und «Umbruch»-Aktivisten der «Volks139 6 Zeit und Mentalität Zum Schluss muss man sich aus der Rückschau die Zeitbedingungen vergegenwärtigen: Zweiter Weltkrieg, die Schweiz und Liechtenstein vom Krieg umflossen, Gefährdung von allen Seiten, Unsicherheit, ob man nicht angegriffen werde, Pflichten, kriegswirtschaftliche Einschränkungen, Zukunftsund Lebensangst, Todesangst. Da erschienen Verratshandlungen gegen das eigene Land als Dolchstösse, Verräterei als eine Form der Kriegführung, die Verräter als Feinde, als zum Feind übergelaufene Soldaten, denen man schliesslich, nach Gerichtsverfahren zwar, auf dem Richtplatz auch mit der Waffe entgegentrat. In jener Zeitsituation und Stimmung wussten sich die Behörden mit der Bevölkerung in solcher Bewertung der Landesverräter, auch der Todesurteile, einig. Auch in Liechtenstein nahm man den Prozess gegen Alfred Quaderer und seine Hinrichtung, die man erfuhr, offenbar mit Interesse, aber ohne grosses Mitleid hin. Viele waren empört ob des verräterischen Treibens. Manche, zumal die aktiven NSGegner, empfanden Genugtuung über die Strafe. Diese erschien als hart, aber gerecht und nötig. Im Krieg galt ein Menschenleben wenig, gar das eines Verräters. Die Behörden zeigten wenig Eifer, zugunsten des Lebens von Quaderer einzuwirken, das Landesinteresse, die Bewahrung des guten Verhältnisses zur Schweiz, ging vor. Quaderer war seit der Primarschulzeit landesabwesend, halb fremd, Schweizer Dialekt redend, man kannte ihn hier kaum mehr. Nach dem Krieg redete man wenig mehr davon, man wusste auch nichts Genaues. Eines führt der hier geschilderte Fall des Alfred Quaderer gerade auch für das kriegsverschonte Liechtenstein drastisch vor Augen: Ins allgemeine Kriegsgeschehen waren lauter Einzelschicksale eingebettet, und es ging um Leben und Tod. Dass freilich der Tod auch im extremsten Schuldfall einem Menschen nicht als gerichtliche Strafe von Staates wegen zugefügt, sondern ihm sein Letztes, das Leben, immer bewahrt werden sollte - wie es die Überzeugung des Verfassers ist -, dies hat in jener extremen Zeitsituation nicht der allgemeinen Mentalität entsprochen. 140 LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER QUELLEN UND LITERATUR ARCHIVQUELLEN Liechtensteinisches Landesarchiv (LLA): RF 219/28. - RF 224/303. RF 224/460. - RF 234/ 131. - S 75/203. -Weitere Einzelakten. Bundesarchiv Bern: E 5330 1982/1, Bände 92-94, 98/124/1943. E 5330 1982/125. Protokoll des Bundesrates vom 16. Mai 1944. Staatsarchiv St. Gallen: A116/1383. Akten aus dem Nachlass von RegierungschefStellvertreter Ferdinand Nigg (dem Verfasser freundlicherweise zur Einsicht gegeben von Professor Ernst Nigg, Vaduz; die Akten heute auch im LLA). Stadtarchiv Zug (freundliche Auskunft von Stadtarchivar Dr. Christian Raschle). Zivilstandsamt Vaduz. Zivilstandsamt der Stadt Zug: Todesschein Alfred Quaderer (freundliche Auskunft von Irene Schwendimann). Zivilstandsamt der Stadt Zürich: Todesschein Alfred Quaderer, Begräbnisangabe (freundliche Auskunft von Hrn. Steinmann). GEDRUCKTE QUELLEN Bericht an die Bundesversammlung über den Aktivdienst 1939 bis 1945 von General Guisan (März 1946). Bericht des Chefs des Generalstabes der Armee an den Oberbefehlshaber der Armee über den Aktivdienst 1939-1945 (von Generalstabschef Jakob Huber, November 1945). Bericht des Armeeauditors (Oberstbrigadier Jakob Eugster), in: Bericht des Generaldajutanten der Armee an den Oberbefehlshaber der Armee über den Aktivdienst 1939 bis 1945, S. 239-265 (20. August 1945). Die Tätigkeit des Sicherheitsdienstes der Armee (von Oberst Müller und Oberst Jaquillard), Nachtrag Nr. 2 zum Bericht vom November 1945 des Chefs des Generalstabes über den Aktivdienst 1939 bis 1945. In: Bericht des Chefs des Generalstabes (siehe dort), S. 463-513. Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 19181945, Serie E: 1941-1945, Bd. III, Dok. Nr. 258 (Schreiben von Köcher ans Auswärtige Amt. 1. September 1942). Schweizerisches Militärstrafgesetz (MStG), Bundesgesetz vom 1 3. Juni 1927. Schweizerische Militärstrafgerichtsordnung (MStGO), Bundesgesetz vom 28. Juni 1989. Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB), Bundesgesetz vom 21. Dezember 1937. Österreichisches Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen vom 27. Mai 1852, eingeführt im Fürstentum Liechtenstein mit der fürstlichen Verordnung vom 7. November 1859. In: Amtliches Sammelwerk der Liechtensteinischen Rechtsvorschriften vor 1863, Liechtensteinisches Landesgesetzblatt 1967, Nr. 34. ZEITZEUGEN-INTERVIEWS DES VERFASSERS Armin Linder t, St. Gallen, vom Juni 1976. Johannes Tschuort, Pfarrer von Schaan, vom LI. und 31. Mai 1988. Fürst Franz Josef IL von Liechtenstein t, vom 10. Februar 1989. Meinrad Lingg, Schaan, vom 29. Januar 1998. Weitere Einzelmitteilungen verschiedener Personen. Gesetz betreffend den Schutz zur Sicherheit des Landes und seiner Bewohner vom 1 7. März 1937 (seinerzeit «Spitzelgesetz» genannt), Liechtensteinisches Landesgesetzblatt 1937, Nr. 3. ZEITUNGEN Werdenberger & Obertoggenburger (W&O). (Buchs), 1939-1945; hier speziell März bis Juni 1944. Liechtensteiner Volksblatt, März bis Juni 1944. Liechtensteiner Vaterland, März bis Juni 1944. St. Galler Tagblatt (Ausschnitte 1944 im Staatsarchiv St. Gallen, s. oben). Die Ostschweiz (Ausschnitte 1944 im Staatsarchiv St. Gallen, s. oben). Die Jugend, Mitteilungsblatt des Fürstlich-Liechtensteinischen Pfadfmderund PfadfinderinnenKorps, ab April 1944, 1945. 141 LITERATUR Altermatt, Urs (Hrsg.): Die Schweizer Bundesräte. Ein biographisches Lexikon. Zweite Auflage. Zürich, München, 1992. Bonjour, Edgar: Geschichte der schweizerischen Neutralität, Vier Jahrhunderte eidgenössischer Aussenpolitik, Band V: 1939-1945. Zweite, durchgesehene Ausgabe. Basel, Stuttgart, 1971. Geiger, Peter: Krisenzeit, Liechtenstein in den Dreissigerjahren 19281939. 2 Bände. Vaduz, Zürich, 1997. Geiger, Peter: Anschlussgefahren und Anschlusstendenzen in der liechtensteinischen Geschichte. In: Geiger, Peter / Waschkuhn, Arno (Hrsg.): Liechtenstein: Kleinheit und Interdependenz (Liechtenstein Politische Schriften 14). Vaduz, 1990, S. 5190. Kurz, Hans Rudolf: Nachrichtenzentrum Schweiz, Die Schweiz im Nachrichtendienst des Zweiten Weltkrieges. Frauenfeld, Stuttgart, 1972. Meienberg, Nikiaus: Die Erschliessung des Landesverräteres Ernst S. Zürich, 1992 (erstmals veröffentlicht 1975 in Nikiaus Meienberg: Reportagen aus der Schweiz; verfilmt zusammen mit Richard Dindo 1975). Meier, Adolf: Eschner Familienbuch, Band I. Eschen, 1997. 142 Noll, Peter: Landesverräter. 17 Lebensläufe und Todesurteile 1942-1944. Frauenfeld, Stuttgart, 1980. Rings, Werner: Schweiz im Krieg 1933-1945. Erweiterte Neuauflage. Zürich, 1990. Rutschmann, Werner: Gotthardverteidigung mit Festungsartillerie. In: «online». Das Festungswachtkorps informiert, Nr. 14 / Sommer 1999, S. 40-47. Unser Alpenkorps. Hrsg. vom Gebirgsarmeekorps 3. Ölten. 1983. Wanger, Manfred: Stammtafeln der Bürgerfamilien von Schaan.Schaan, 1989. BILDNACHWEIS ANSCHRIFT DES AUTORS S. 115 und 117: Gemeindearchiv Schaan. PD Dr. Peter Geiger Im obera Gamander 18 FL-9494 Schaan S. 123, 132, 134 und 135: Landesarchiv und Landesbibliothek, Vaduz («Liechtensteiner Volksblatt», «Liechtensteiner Vaterland»). S. 122, 126, 127 und 130: BuchsDruck («W&O»), Buchs.