BARFUSS AUF NACKTSCHNECKEN (Frankreich 2010) "Die
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BARFUSS AUF NACKTSCHNECKEN (Frankreich 2010) "Die
Je Woche 7. Jahrgang 2011 K ulturexpress ISSN 1862-1996 No. 19 Unabhängiges Magazin print on demand 0 8. - 1 4. M ai Zeitschrift für Kunst, Kultur, Philosophie, Wissenschaft und Wirtschaft Kulturexpress verpflichtet sich unabhängig über wirtschaftliche, politische und kulturelle Ereignisse zu berichten. Kulturexpress ist deshalb ein unabhängiges Magazin, das sich mit Themen zwischen den Welten aus Wirtschaft und Kultur aber auch aus anderen Bereichen auseinandersetzt. Das Magazin bemüht sich darin um eine aktive und aktuelle Berichterstattung, lehnt jedoch gleichzeitig jeden Anspruch auf Vollständigkeit ab. KINO BARFUSS AUF NACKTSCHNECKEN (Frankreich 2010) KINO METROPOLIS (Deutschland 1927/ 2010) Stummfilmklassiker von Fritz Lang in der neuen Langfassung LESUNG Aus der Reihe: Frankfurt liest ein Buch! Lesereise durch die Behausungen. Auf den Spuren von "Abschaffel" dem Angestelltenroman von Wilhelm Genazino LESUNG "Die Inneneinrichtung seiner Langeweile" Auf dem Weg zu den inneren Möglichkeiten - Genazinos Roman-Trilogie Impressum E-Mail: Herausgeber und Redaktion Rolf E.Maass Anschrift Postfach 90 06 08 60446 Frankfurt am Main mobil +49 (0)179 8767690 Voice-Mail +49 (0)3221 1347255 Finanzamt IV Frankfurt am Main St-Nr.: 148404880 USt-idNr.: DE249774430 [email protected] www.kulturexpress.de www.kulturexpress.info internationale Site www.svenska.kulturexpress.info Kulturexpress in gedruckter Form erscheint wöchentlich ISSN 1862-1996 Schriftgröße Start Drama - Melodram Abenteuerfilm Historienfilm Fantasy Größer Jugendfilm Science-Fiction Reset Kleiner Dokumentarfilm Liebesfilm - Miljö Thriller Suchen... Literaturverfilmung Musik- u. Tanzfilm Action Comedy Biografie Familienfilm BARFUSS AUF NACKTSCHNECKEN (Frankreich 2010) Alamode Verleih Spieldauer: 103 Minuten Kinostart: 05. Mai 2011 Französischer Originaltitel: Pieds nus sur les limaces Lily (Ludivine Sagnier) ist anders. Sie lebt in einer skurrilen Fantasiewelt und macht meistens das, wozu sie gerade Lust hat. Zusammen mit ihrer Mutter wohnt sie in einem idyllischen Landhaus. Als ihre Mutter plötzlich stirbt, ist es an Lilys Schwester Clara (Diane Kruger), die mit einem Anwalt verheiratet ist und in Paris lebt, für Lily da zu sein. Unter dem Einfluss der eigenwilligen und freiheitsliebenden Lily findet Clara mehr und mehr Geschmack an der von Lily vorgelebten Ungebundenheit. Sie beginnt, ihr konformes Leben in Frage zu stellen. Eine gewaltige Herausforderung für ihre Ehe und gleichzeitig die Wiederentdeckung der Nähe zwischen zwei ungleichen Schwestern. "Barfuß auf Nacktschnecken" ist ein wunderbar verspielter Sommerfilm von Fabienne Berthaud (Frankie) mit Ludivine Sagnier (Swimming Pool, 8 Frauen) und Diane Kruger (Inglourious Basterds, Mr. Nobody, Troja). Der Film erhielt 2010 in Cannes den Art Cinema Award. „Sind die Zwänge unserer Erziehung, die Werte, die man uns einbläut – Geld, materieller Wohlstand, Erfolg im Beruf, Vernunft in Herzensangelegenheiten usw. – nicht allzu oft Schuld an unserem Unglück?“ Fabienne Berthaud Zum Trailer: Barfuss auf Nacktschnecken Erzählt wird die Geschichte von zwei ungleichen Schwestern, die der plötzliche Tod der Mutter wieder zusammenbringt. Die vernünftige Clara will sich aufopferungsvoll um ihre Schwester kümmern – und merkt erst spät, dass sie ihre Schwester mindestens ebenso sehr braucht wie diese sie. Denn was Lily ihrer Schwester und allen Menschen in ihrem Umfeld auf eine so einzigartige Weise vorlebt, ist ihre entwaffnende Aufrichtigkeit und Kompromisslosigkeit – sich selbst und auch allen Menschen gegenüber. "Barfuß auf Nacktschnecken" ist ein Plädoyer das Hier und Jetzt in vollen Zügen auszukosten und sich von gesellschaftlichen Normen nicht einengen zu lassen. So leuchtend, farbenfroh und einzigartig wie Lily selbst sind auch die Bilder mit denen Fabienne Berthaud ihre Geschichte erzählt. Die französische Künstlerin Valérie Delis hat das Szenenbild des Films gestaltet, um dem Film auch hier visuell die Originalität und Verspieltheit einzuhauchen, die seiner Protagonistin entspricht. Eine Posse, denn was nicht verraten wird, sind die plötzlichen Übergriffe auf Lily, die Hauptperson im Film ist. Das geschieht meist nebenher und mag bis zu einem Grad der dramaturgischen Inszenierung des Films entsprechen. Es lenkt aber nicht ab von der Frage, ab wann Lily zum Opfer wird? Lilys freizügige Einstellung gegenüber dem Leben ist nicht von heute, sondern rührt aus der Vergangenheit, indem auf die Flower-Power Jahre mit sozialpädagogischem Anspruch verwiesen wird. Der Film könnte auch heißen: "Ich versprach dir nie einen Rosengarten" oder Pippi Langstrumpf auf Französisch. Besetzung Diane Kruger - Clara Ludivine Sagnier - Lily Denis Ménochet - Pierre Brigitte Catillon Odile, Pierres Mutter Jacques Spiesser - Paul, Pierres Vater Anne Benoît - Mireille Jean-Pierre Martins - Jonas Gaëtan Gallier - Dan Reda Kateb - Seb Côme Levin - Paulo STAB Regie: Fabienne Berthaud Drehbuch: Fabienne Berthaud Pascal Arnold Produktion: Bertrand Faivre Kamera: Fabienne Berthaud Nathalie Durand Schnitt: Pierre Haberer Szenenbild: Valérie Delis Orginalmusik: Michael Stevens Technische Daten Länge 103 Min. Bildformat 2,35:1 Tonformat Dolby SRD Interview mit Fabienne Berthaud Wann wurde die Idee zu „Barfuß auf Nacktschnecken" geboren? Die Figur der Lily ist durch ein Mädchen inspiriert, das zu Behandlungszwecken in jener Klinik untergebracht war, in der wir damals „Frankie“ drehten. Letztlich ist „Barfuß auf Nacktschnecken" eine logische Fortsetzung meiner bisherigen Arbeit: Phantasiewelten und Grenzerfahrungen zählen ebenso zu den Themen, die mich laufend beschäftigen, wie die Unangepasstheit und die Zerbrechlichkeit meiner Protagonisten. Wann haben Sie in Erwägung gezogen, Diane Kruger, der Hauptdarstellerin ihres vorigen Films „Frankie", die Rolle von Lilys älterer Schwester Clara anzuvertrauen? Ich habe mir das nicht überlegt: Das war einfach so, es lag auf der Hand! Wir hatten einfach Lust, erneut zusammenzuarbeiten. Ich liebe es, sie vor der Kamera zu haben! Sie inspiriert mich. Sie ist eine Darstellerin, die gleichzeitig stark und zerbrechlich wirkt, und ich finde es faszinierend, wie sie diese zwei Gegensätze in sich vereint. Die Figur der Clara ist gewiss keine leichte Rolle, so verschlossen, wie sie sich gibt, und dabei doch auch so empfindsam. Sie ist eine Person, die mit großer innerer Unruhe zu kämpfen hat, davon aber nichts nach außen dringen lässt. Warum haben Sie sich dafür entschieden, Ludivine Sagnier die Rolle der Lily anzuvertrauen? Lily zu besetzen, war eine extrem knifflige Angelegenheit – vor allem deshalb, weil diese Figur niemals lächerlich wirken darf. Sie streift zwar sehr wohl die Grenzen des Verrückten, doch das bedeutet noch lange nicht, dass man aus ihr eine Art „Rainwoman" hätte machen dürfen. Folglich musste eine Darstellerin gefunden werden, die sich ein gewisses Maß an kindlicher Ausstrahlung bewahrt hat: Eine, die zwar mit größter Leidenschaft agiert, dabei aber gleichzeitig eine entwaffnende Unschuld und Aufrichtigkeit an den Tag legt. Ein wichtiges Element des Films ist der ganz eigene Kosmos, den sich Lily um sich herum erschafft. Wie sind Sie bei der Gestaltung dieses Universums vorgegangen? Während des Schreibens habe ich die Künstlerin Valérie Delis getroffen, deren Werk Lilys Universum sehr nahe kommt, da es ebenfalls durch einen sehr engen Bezug zur Natur und zu den Tieren geprägt ist. Als Valérie Delis mir die Türen ihres Ateliers öffnete, habe ich mich von ihrer Phantasiewelt einfach überwältigen lassen und dann, durch ihre Kunstwerke inspiriert, verschiedene Szenen des Drehbuchs umgeschrieben. Wir haben uns gemeinsam Gedanken über Lilys Kosmos gemacht, über ihre Art, sich zu kleiden und sich Dinge zu erschaffen… Erst haben wir ein paar Skizzenhefte angelegt, und dann hat es nicht lange gedauert, bis Valérie damit anfing, für Lily Schürzen und Pantoffeln zu schneidern. Des Weiteren hat sie Lilys Werkstatt am Ende des Gartens entworfen und einige ihrer Kunstwerke zur Verfügung gestellt, um sie in ihr Zimmer zu stellen. Als ich Valérie vorschlug, den Wald mit Installationen auszuschmücken, kam ihr die Idee, die Bäume „einzukleiden". Gewissermaßen hat sie also Lilys Universum mitaufgebaut, miterfunden und bereichert. Haben Sie sich an bestimmten Filmen oder Regisseuren orientiert, um „Barfuß auf Nacktschnecken" zu drehen? Ich gebe zu, dass ich mir vor jedem Drehbeginn die Filme von Cassavetes anschaue. Zu den fesselndsten Momenten des Films gehört die Liebesszene, die sich zwischen Lily und einer Horde Jungs in einem Bus abspielt. Wie haben Sie es hinbekommen, dass diese Szene auf der Leinwand gleichzeitig roh wirkt und doch ganz dem Tonfall kindlicher Fröhlichkeit, von dem der Film sonst geprägt ist, verhaftet bleibt? Lily ist da die Großzügigkeit in Person. In ihren Augen ist nichts Verkehrtes daran, den Jungs Vergnügen zu schenken. Übrigens sagt sie das auch klipp und klar ihrer Schwester: „Wenn ich schon einen Körper habe, dann doch wohl, um mich seiner zu bedienen! Wozu hätte ich denn sonst einen?" Für sie ist nichts einfacher als das. Allerdings wird diese Szene nicht nur aus ihrer Perspektive gezeigt, und dies dürfte der Grund dafür sein, dass sich ein Gefühl des Unbehagens einstellt. Um dies zu erreichen, habe ich allen drei Jungs Anweisungen erteilt und ihnen erklärt, worauf es ankommt. Dann habe ich sie frei agieren lassen und die Kamera 22 Minuten lang einfach laufen lassen. Kulturexpress ISSN 1862-1996 Schriftgröße Start Drama - Melodram Abenteuerfilm Historienfilm Fantasy Jugendfilm Science-Fiction Größer Reset Dokumentarfilm Liebesfilm - Miljö Suchen... Kleiner Thriller Literaturverfilmung Musik- u. Tanzfilm Action Comedy Biografie Familienfilm METROPOLIS (Deutschland 1927/ 2010 Langfassung) Warner Bros. Pictures Spieldauer: 145 Minuten Kinostart: 12. Mai 2011 Stummfilmklassiker von Fritz Lang. Eine Produktion der Universum Film AG (1927) In seiner Residenz hoch über Metropolis vereint Joh Fredersen die politische und wirtschaftliche Macht in seiner Person, während die Arbeiter unter der Erde Sklavendienste leisten. Fredersens Sohn Freder verliebt sich in die Arbeiterführerin Maria und reagiert entsetzt auf die Lebensbedingungen in der Unterstadt. Gleichzeitig konstruiert der Erfinder Rotwang einen Roboter, dem er auf Fredersens Anweisung das Aussehen von Maria gibt. Die falsche Maria wiegelt die Arbeiter auf, die ihre Maschinen verlassen und damit die Überflutung der Stadt auslösen. Erst durch Freders und Marias Einsatz wird Metropolis gerettet. Die Macht der Liebe siegt – der Herrscher und die Arbeiter erkennen, dass „Hirn“ und „Hände“ zusammengehören. Zum Trailer: METROPOLIS Ein Projekt der Superlative Nach dem Erfolg von „Die Nibelungen“ (1924) leistete sich Fritz Lang ein extravagantes Experiment, das die Produktionsfirma Ufa an den Rand des Ruins brachte: „Metropolis“ ist ein mit kalkulierter Besessenheit realisiertes Monument, das zum aufwändigsten Film der Stummfilmzeit wurde und den Nachruhm aller Beteiligten sicherte, obwohl der Film beim ersten Kinoeinsatz keinen Erfolg hatte – nur etwa 15.000 Zuschauer sollen den Film 1927 in den ersten vier Monaten nach dem Start in Berlin gesehen haben. Dabei wurde die Werbung nicht müde, die gewaltigen Dimensionen des Projekts zu betonen: Der Film kostete unerhörte sechs Millionen Reichsmark, belichtet wurden 620.000 Meter Negativfilm (380 Stunden) – im Vergleich zu den schließlich verwendeten 4189 Metern der Premierenfassung ergab sich ein Verhältnis von 148:1 (nur bei einem Film hat es jemals ein krasseres Verhältnis gegeben: Howard Hughes’ „Wings“). Neben den acht Hauptdarstellern waren 750 Kleindarsteller, 25.000 männliche, 11.000 weibliche Komparsen und 750 Kinder im Einsatz. Hinzu kamen „100 Neger und 25 Chinesen“. 1.100 Männer ließen sich für die Babel-Sequenz den Kopf rasieren (Fritz Lang hatte ursprünglich 5.000 verlangt). An Arbeitslöhnen wurden 1.600.000 Mark ausgezahlt, die Kostüme kosteten 200.000 Mark, 400.000 Mark der Strom und die Filmbauten. Die Dreharbeiten dauerten anderthalb Jahre – vom Mai 1925 bis Ende Oktober 1926. Umstrittener Kult Der Einfluss von Fritz Langs „Metropolis“ auf die Pop-Kultur des 20. Jahrhunderts ist kaum hoch genug einzuschätzen. Dabei stieß er nach seiner Uraufführung im Jahr 1927 in den Kritiken zunächst nicht nur auf Begeisterung. Seit mehr als acht Jahrzehnten polarisiert und fasziniert er Kritiker, Wissenschaftler und Publikum. Ein Grund dafür ist, dass der Film völlig konträre Interpretationen ermöglicht. Vor allem die Versöhnung von Herrscher und Arbeitern erschien vielen Rezensenten als problematisch – als naiv-weltfremder Symbolismus oder auch als antidemokratische Rechtfertigung des Führerprinzips. Der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser betonte die Intention der Filmemacher, die bewusst viele Zitate aus der Kunst-, Literatur- und Filmgeschichte einbrachten: „Tatsächlich lag der Sinn dieser internationalen Superproduktion darin, ein Werk mit Erkennungswert zu schaffen, das verschiedene Arten des kulturellen Gedächtnisses berührte und auch Ur-Szenen der Fantasie ansprach, während es eine Erfahrung bot, bei der das Auge sieht, was der Kopf nur selten zu verstehen sucht.“´ „Metropolis“ schuf einen Look, der die internationale Filmsprache nachhaltig geprägt hat: die futuristischen Stadtkulissen, der ikonenhafte Maschinenmensch, die fulminanten Massenszenen. Die Filmemacher der nachfolgenden Generationen bedienten sich wie in einem Steinbruch, um George Lucas’ „Krieg der Sterne“, Ridley Scotts Tyrell Corporation Center in „Der Blade Runner“, Indiana Jones’ Abenteuer, Tim Burtons Gotham City in „Batman“ oder die künstliche Stadt in Alex Proyas’ „Dark City“ zu bebildern. 1984 brachte Pop-Komponist Giorgio Moroder eine viragierte, auf 80 Minuten gekürzte Version von „Metropolis“ ins Kino, die er mit modernen Pop-Songs unterlegte. Diese Version erschloss dem Film ein neues Publikum und brachte auch die Bemühungen um eine Restaurierung des Originals wieder in Gang. Eberhard Junkersdorf, Kuratoriumsvorsitzender der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, zählt zu den treibenden Käften hinter der „Metropolis“-Restaurierung und der Kinoveröffentlichung durch Warner Bros. Pictures Germany: „Der Fund von Buenos Aires bot eine historische Chance, Fritz Langs ‚Metropolis‘ am 12. Mai wieder in fast kompletter Fassung auf die Leinwand zu bringen.“ In glanzvollen Stummfilmkonzerten kehrte die über Jahrzehnte hinweg verloren geglaubte Premierenfassung von „Metropolis“ am 12. Februar 2010 – parallel in der Alten Oper Frankfurt und bei der Berlinale – mit Riesenerfolg auf die Kinoleinwand zurück. Restaurierung und Entdeckung Mit dem sensationellen Fund von Buenos Aires begann bei der Murnau-Stiftung in Wiesbaden im Jahr 2008 das weltweit beachtete Restaurierungsprojekt von „Metropolis“. In detektivischer Recherche und archivarischer Akribie wurde der filmische Torso ergänzt. Zustand des gefundenen Materials dar. Die bislang fehlenden Einstellungen und Sequenzen wurden in Form eines 16-mm-Dup-Negativs überliefert, das in den 1970erJahren von einer stark abgenutzten argentinischen 35mm-Verleihkopie gezogen wurde. Trotz modernster Restaurierungstechnik bleibt der Unterschied zwischen den wiederentdeckten Teilen (etwa 25 Minuten) und der Bildqualität der Fassung von 2001 immer sichtbar. Bei der Rekonstruktion der Montage der Uraufführungsfassung spielt die Musik eine entscheidende Rolle: Die Originalpartitur von Gottfried Huppertz zählte – neben der Zensurkarte von 1927, die alle Texttafeln protokollierte, dem Drehbuch und zeitgenössischen Kritiken – zu den wichtigsten Quellen von Martin Koerber, Frank Strobel und Anke Wilkening. Entdeckt wurde die über lange Zeit vergessene, weltweit einzigartige Metropolis-Fassung von dem Filmhistoriker Fernando Martín Peña und der Direktorin des Museo del Cine, Paula Félix-Didier, die sofort die Tragweite des Fundes erkannte und im Juni 2008 Kontakt mit Deutschland aufnahm. Die erste Sichtung fand kurze Zeit später statt, die Filmrollen trafen im Juli 2009 in Wiesbaden ein. Parallel begannen die Neu-Edition der Musik und die digitale Bildrestaurierung, die erst kurz vor der Premiere abgeschlossen wurden. Je mehr von Filmwissenschaftlern über die eliminierten Szenen an Informationen zusammengetragen wurde, desto stärker wuchs ihr Mythos. Und je mehr Quellen die fehlenden Stellen beschrieben, desto mehr wuchs der Wunsch nach Bildern. Trotz umfangreicher Recherchen für die Restaurierung im Jahr 2001 ließen sich die fehlenden Teile der langen Fassung nicht auffinden. Restaurierungen von „Metropolis“ Die Restaurierungsgeschichte von „Metropolis“ begann in den 1960er-Jahren, als das Interesse an dem Film wuchs – aber keine vollständige Fassung vorlag. Im Jahr 1972 erstellte das Staatliche Filmarchiv der DDR unter Beteiligung internationaler Filmarchive aus Ost und West die sogenannte FIAF-Fassung. Da wesentliche Quellen wie Drehbuch und Zensurkarte noch nicht vorlagen, musste vieles spekulativ bleiben. Dass „Metropolis“ wieder auf die Leinwand zurückkehrt, ist zweifellos dem unermüdlichen Engagement von Enno Patalas zu verdanken. In den 1980er-Jahren wurde eine quellenkritische Rekonstruktion vom Filmmuseum München hergestellt, die sich der Uraufführungsfassung annäherte, indem sie fehlende Teile durch erklärende Texttafeln kenntlich machte. Patalas’ Arbeit wurde begeistert aufgenommen. 1998 regte die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in der Arbeitsgruppe „Restaurierung“ des Kinematheksverbundes an, sich erneut an eine Bearbeitung von „Metropolis“ zu wagen. Als Grundlage diente erstmals das Originalnegativ der amerikanischen ParamountFassung. Dank des verwendeten Negativmaterials und Verleihkopien aus der Zeit sowie der digitalen Restaurierungstechnik erreichte diese Fassung eine beeindruckende fotografische Güte. Die 2001 bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin vorgestellte Restaurierung weckte weltweites Interesse. Die UNESCO nahm diese von der FriedrichWilhelm-Murnau-Stiftung und ihren Partnern restaurierte Fassung von „Metropolis“ in das Weltdokumentenerbe auf und stellte sie auf eine Stufe mit der Gutenberg-Bibel und mit Goethes Nachlass. Nach der Rekonstruktion folgte die digitale Bildrestaurierung des Materials, die vom spezialisierten Dienstleister Alpha-Omega in München vorgenommen wurde. Über Monate hinweg wurden die einzelnen Frames im Rechner bearbeitet: Bild für Bild mit einer eigens entwickelten Software. Dabei musste das Gleichgewicht zwischen technischen Möglichkeiten und Grenzen der Bildbearbeitung und der ethischen Fragen nach der Gestalt des Kunstwerkes gleichermaßen berücksichtigt werden. Die Spuren im Material werden niemals ganz verschwinden. Die Laufstreifen in den wiederentdeckten Teilen des filmischen Torsos verweisen auf die Geschichte seiner Verstümmelung und Wiederherstellung. Die Filmmusik Die „Metropolis“-Musik von Gottfried Huppertz zählt zu den alten Bekannten der deutschen Stummfilmmusik. Sie entstand 1926 im Auftrag der Ufa für ein 66-köpfiges Sinfonieorchester, wurde mit großem Erfolg bei der Uraufführung gespielt und stand mit der Klavierdirektionsstimme für Aufführungen in verschiedenen Besetzungen zur Verfügung. Erhalten sind neben dem gedruckten Klavierauszug drei handschriftliche Materialien des Komponisten – das Particell, quasi der Urtext der Komposition, sowie zwei Instrumentierungen für Salonorchester (ca. 660 Seiten) und großes Orchester (ca. 700 Seiten, wobei die ersten 61 Seiten fehlen). Huppertz’ Musik repräsentiert die vollständige Version des Films und wurde immer wieder zum Film aufgeführt und dabei entsprechend der jeweilige Länge der Filmmaterialien angepasst. Und nun noch einmal neu. Warum? Es ist die Konsequenz aus der aktuellen Restaurierung des Films, die ihrerseits weit mehr ist als der Versuch, die Lücken der letzten Restaurierung von 2001 mit dem argentinischen Material zu füllen und die Bildqualität anzugleichen. Ziel und Anspruch dieser Restaurierung ist es, die originale Montage des Films so gut wie möglich wieder herzustellen und damit auch die Musik in ihrem ursprünglichen Zusammenspiel mit dem Film aufführbar zu machen. Huppertz’ Musik ist integraler Bestandteil von „Metropolis“. Sie entstand in Zusammenarbeit des Komponisten mit Thea von Harbou und Fritz Lang, zum Teil schon während der Dreharbeiten. So exakt, wie die Musik auf den Film hin komponiert ist, erschafft sie einen komplementären (Gefühls-)Raum für das, was Fritz Lang filmisch konstruiert. Sie durchleuchtet quasi von innen die filmische Handlung, sie gestaltet ihre Dynamik und Dramatik, zeichnet leitmotivisch Figuren und entwickelt musikalische Parallelhandlungen – das Ganze im Duktus spätromantischer Sinfonik und eng an die filmische Erzählung angelehnt, die ihrerseits auf die gestische Musik zu reagieren scheint. Die Musik funktioniert präzise mit dem Film und verlangt eine sorgsame Synchronisierung, wofür Huppertz mit seinen über 1000 Synchronangaben eine gute Vorlage geliefert hat. Sie funktioniert aber erst dann perfekt, wenn der Schnitt stimmt. Nutzten schon alle bisherigen „Metropolis“-Rekonstruktionen die Synchronangaben dazu, den stark gekürzten Film wieder neu zusammenzusetzen, so half die Musik zu Beginn der aktuellen Rekonstruktion, die argentinische Version zu verifizieren. Ungesichert war ja, inwiefern die argentinische Verleihfassung mit der Uraufführungsfassung übereinstimmt. Zeitgleich zur Filmrestaurierung begann die Rekonstruktion der Musik, koordiniert von der Filmredaktion ZDF/ARTE. Auf der Grundlage der im Filmmuseum Berlin erhaltenen Originalmanuskripte legte die Europäische Filmphilharmonie einen neuen Notensatz vor. Ihre Premiere erlebte die aktuelle Film- und Musikfassung am Februar 2010 in Frankfurt (Alte Oper) und zeitgleich bei der Berlinale-Gala, die von ARTE live übertragen wurde; es spielte das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Frank Strobel. In derselben Besetzung erfolgte dann im Sommer 2010 die Einspielung – für den KinoEinsatz und für Blu-ray entstand eine eigene Dolby-Digital- beziehungsweise 5.1Mischung. So wurde mit der „Wiedergeburt eines Jahrhundertfilms“ (Andreas Kilb in der F.A.Z.) ein weiteres Werk neu aufgelegt – nämlich das von Gottfried Huppertz, einem der wegweisenden Filmkomponisten des zwanzigsten Jahrhunderts. Kulturexpress ISSN 1862-1996 Aus der Reihe: Frankfurt liest ein Buch! Lesereise durch Frankfurts Behausungen. Auf den Spuren von "Abschaffel" dem Angestelltenroman von Wilhelm Genazino Sein Buch steht in einer bestimmten Tradition von Literatur, die in den 1970er Jahren noch viel ausgeprägter war als dies heute der Fall ist. Das Wesen des Angestellten soll hier untersucht werden, was bei Schriftstellern immer wieder eigenartige Züge annimmt. Genazino sagt, er fühlte sich anfangs durch die Romane von Martin Walser angeregt, diese waren ihm aber nicht rabiat genug. Später erfuhr er, daß es viel früher schon eine Literatur gab, die das Wesen des Angestellten analysierte. Angefangen hat das mit den Romanen und Tagebucheintragungen bei Franz Kafka und geht über den Schweizer Schriftsteller Robert Walser bis hin zu Siegfried Kracauer, dem Begründer einer wissenschaftlichen Untersuchungsmethodik, um gesellschaftliche Entwicklungen und Strömungen genauer zu beschreiben: Soziologie und Sozialpädagogik - Kracauer veröffentlichte schon 1930 seinen Roman "Die Angestellten". Eine für die damalige Zeit eintönige und eher pessimistische Herangehensweise, die das Bild des Angestellten bestimmte. Den Roman nur in einem Ton schreiben, das wollte Genazino nicht. Zunächst waren die Arbeiter diejenigen, die die Arbeitswelt für sich vereinnahmten. Später kamen die Angestellten und forderten einen Wandel vom Weltbild der Arbeit. Foto: Maass Erst Ende der 1960er Jahre fand ein gesellschaftlicher Wandel statt. Nicht zuletzt ausgelöst durch die 68er Bewegung, die auch in Frankfurt am Main merkliche Spuren hinterlassen hat. Abschaffel selbst, der Romanheld, ist nicht unmittelbar betroffen von dieser Bewegung, zumindest war ihm deren Existenz nicht bewußt. Der Roman ist der Moderne zugewandt, kann damit aber nicht mehr das klassische Bild der Epoche erfüllen. Denn spätestens seit 1960 war die Klassische Moderne vorüber. Zu einer der letzten ist vielleicht Max Frisch zu zählen, der mit seinen Protagonisten auch schon nicht mehr dazugehört. Schließlich folgt eine Epoche, die sich Postmoderne nennt und sich damit immer noch der Klassischen Moderne bedient. Kennzeichen ist aber die Ironisierung einzelner Elemente daraus. Abschaffel die Postmoderne zu unterstellen, wäre jedoch deplaziert. Es waren die Jahre in denen die ersten Großraumbüros in Deutschland entstanden. Das Vorbild kam aus Holland. Das neue Design häufig orangefarben mit typischen Rundungen, abgeleitet aus der Pop-Kultur wurde in das Industrie-Design der Zeit aufgenommen und wirkte sich aus. Das Büro, um welches es im Roman gehen soll, ist in einer Spedition angesiedelt, was nicht immer und an jeder Stelle beim Lesen erkennbar bleibt. Die Moderne war ausgefüllt, zu viele Kunstschaffende hatten sich der Strömung zugewandt, es konnte nichts neues mehr geben. Außerdem bestand der Ruf nach Veränderung, nicht zuletzt durch das Kriegsende und Fortschritt in der Technik verursacht. Auch Genazino erkennt seinen Romanhelden als Modernen an, der sich der neuen Technik verpflichtet fühlt und die Erfahrung durch Zersplitterung und Zersetzung in sein Wesen aufnimmt. "Abschaffel ist zerklüftet von der Moderne". Der rote Faden im Roman bleibt ernst. Allzu ernstes und trockenes wird jedoch durch satirische Elemente relativiert, wie wenn der Protagonist bemerkt: "Tarzan als Beruf", der sich von Liane zu Liane durch die Baumwipfel schwingen will, sich seiner Entfremdung zu entblößen. Ganz Frankfurt liest ein Buch, hat sich in diesem Jahr die Abschaffel-Trilogie (C. Hanser Verlag) des BüchnerPreisträger Wilhelm Genazino ausgesucht, der im Rahmen der Veranstaltungsreihe am 10. Mai mit "Hütten und Paläste II" aus seinem Buch vorlas. Die Veranstaltung wurde von Hauke Hückstädt, dem Leiter des Literaturhauses moderiert. Einführende Worte beschreiben die historische Bedeutung der Roman-Trilogie, um damit auch ganz neue Leser zu gewinnen. Es handelt sich um ein Stück bedeutender Literatur im Umgang mit der Stadt Frankfurt. Gastgeberin war Silke Hartmann, die früher die Öffentlichkeitsarbeit im Literaturhaus organisierte und jetzt an mehreren Projekten Kulturschaffender beteiligt ist: Kulturperle und open books Hier rechts im Bild neben Wilhelm Genazino während der Lesung im Heimischen sitzend. Zahlreiche Gäste waren eingeladen und saßen gegenüber, hörten rund 50 Minuten die Lesung an. Es ist wohl sehr mutig von der Gastgeberin die eigene Wohnung als Veranstaltungsort vorzuschlagen. Ein Beispiel das Schule machen sollte! Das könnte ebenso für Kunstwerke gelten, die im privaten Bereich aufgestellt und ausgestellt werden. Ein Moment der Spannung und Neugier entsteht. Natürlich steht die Kritik im Mittelpunkt, das Werk, die Lesung, den Autor betrachten. Es ist eine gewisse Taffheit notwendig, eine solche Veranstaltung im eigenen Bereich zu organisieren. Etwa 25 Personen passten in den Raum hinein. Das Publikum bestand aus Mitgliedern und Förderern des Literaturhauses und verhielt sich recht loyal. Das Ganze hatte die Dimension einer Einweihungsparty mit dem Unterschied der literarischen Teilnahme, im Bewußtsein dadurch etwas im Gange zu halten. Literarisch fortzuschreiten, denn Literatur bewegt sich ständig fort. Geschrieben wird an einsamen Orten, um durch das Druckwerk Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Autor hält sein Buch für bedeutend, das ist erkennbar geworden. Rückblicke und Gespräche mit dem Lektor Manthey aus dem Rowohlt Verlag, wo der Roman 1977 zuerst erschienen war, verdeutlichen das Gespräch. Im frühen Roman sei auch schon der späte Genazino sichtbar, wurde vermittelt. Seinen Roman legte er dem Lektor in Hamburg vor, erst danach entstand eine Folge, was später zur Trilogie wurde. Gerade in Frankfurt, dem Ort der Buchmesse, gehört die Beschäftigung mit der Literatur zu einer Art Lebenselixier. Am Schluß wurde noch verraten, Genazinos neuer Roman "Wenn wir Tiere wären" soll im September 2011 auf dem Buchmarkt erscheinen. Frankfurt liest ein Buch! vom 02. bis 15. Mai 2011 Eine weitere Lesung am 11. Mai folgte ebenfalls auf den Spuren von Genazinos Roman-Trilogie. "Die Inneneinrichtung seiner Langeweile" wurde durch die Goethe-Uni im Casino-Gebäude auf dem Campus Westend vorbereitet. Zahlreiche Dozenten und Gelehrte lasen gemeinsam aus dem zweiten Buch der Trilogie. Die Programmgestaltung verlief nach einer bestimmten geregelten Abfolge, indem die Beteiligten nacheinander ans Mikrofon traten und neben Zitaten diverser Autoren auch aus Genazinos Buch lasen. Im Hintergrund lief auf der Großleinwand eine Diaserie, die im Zusammenhang zur Lesung stand und sich nach einer gewissen Zeit im Turnus wiederholte. Der Autor selbst war nicht anwesend, sondern sollte zeitgleich an einem anderen Ort aus seinem Buch lesen. Weiterlesen... Titelseite vom 13. Mai 2011 Aus der Reihe: Frankfurt liest ein Buch! "Die Inneneinrichtung seiner Langeweile" Auf dem Weg zu den inneren Möglichkeiten - Genazinos Roman-Trilogie Foto: Maass Die Lesung am 11. Mai organisierte die Goethe-Uni im Casino-Gebäude auf dem Campus Westend. Zahlreiche Dozenten und Gelehrte lasen gemeinsam aus dem zweiten Buch der Trilogie. Das Programm verlief nach einer bestimmten geregelten Abfolge, indem die Beteiligten nacheinander ans Mikrofon traten und neben Zitaten diverser Autoren auch aus Genazinos Buch lasen. Im Hintergrund der Bühne auf Großleinwand lief eine Diaserie, die im Zusammenhang zur Lesung steht und sich nach einer gewissen Zeit im Turnus wiederholte. Der Autor selbst war nicht anwesend, sondern sollte zeitgleich an einem anderen Ort aus seinem Buch lesen. Die Moderation im Casino übernahm Wolfgang Schopf, der die Veranstaltungsreihe mit "Hauslesungen" aus dem Peter Suhrkamp Archiv nach wie vor organisiert. Nach dem Umzug ist mittlerweile das verlagseigene Bürohaus in der Lindenstraße in Frankfurt abgerissen worden. Die Bauarbeiten sind im Gange. An gleicher Stelle soll ein Wohnhaus entstehen. Gelesen wurde aus Wilhelm Genazinos Manuskripten und Korrespondenzen, was unter dem Vorzeichen der Stiftung stand, obwohl Suhrkamp nicht selbst veröffentlicht hat. Hier zählen die Bezüge zu klassisch modernen Autoren, die offen gelegt wurden, wie Franz Kafka, Robert Walser und Siegfried Kracauer. Die kamen hier zur Sprache, wie schon in der Lesung tags zuvor. Eine Herleitung derselben ist deshalb nicht abwegig. Über deren Werke der Literaturgeschichte erschließt sich dem Leser der Zugang zur zeitgenössischen Literatur. Im Mittelpunkt stehen die Angestelltenverhältnisse, von denen es in Frankfurt viele gibt. In den 1970er Jahren, als Genazinos Roman geschrieben wurde, gab es einen regelrechten Boom. An erster Stelle steht nicht das Familienglück, wenngleich es vorhanden ist. Denn es Abriss des früheren Suhrkamp Verlagshauses in der Lindenstraße in Frankfurt, aufgenommen am 06. Mai 2011, Foto: Maass dient der Manifestation aller Erdenbürger. Menschen aller Kontinente schaffen sich die Basis, um dem politischen Kalkül die Gegnerschaft zu nehmen. Wenn die Beschäftigung mit dem Klientel aus dem Dienstleistungssektor immer auch ein wenig einseitig verläuft, weil es um die Befriedung einer gesellschaftlichen Minderheit geht, die in Frankfurt zwar sehr stark vertreten ist, aber letztlich nur sich selbst betrachtet und darauf aus ist, den eigenen Horizont auszubilden. Auf die Problematik Arbeiterschaft und Angestelltendasein wurde schon hingewiesen. Bisher gab es nur wenig Überschneidungen zu anderen gesellschaftlichen Gruppierungen: Musiker, Künstler, Arbeitslose, Arbeiter, Randgruppen der Gesellschaft, Don Quixotes, das interessiert die Frankfurter nur am Rande, weil kein Platz in Häusern, Türmen und Palästen ist. Die Isolierung ist damit vorprogrammiert. Vielleicht hat die internationale Finanzkrise geholfen, die Positionen ein wenig zu verändern. Denn was Generationen vor sich her getragen haben bedarf neuer Strukturen, die auch anderen, die im gesellschaftlichen Wandel nicht erkannt werden, mehr Toleranz entgegenbringt. Abschaffel jedenfalls gehört in eine andere Zeit, ihn betrifft das Leben jetzt nicht unbedingt. Gibt er uns Einblicke in diejenigen Verhältnisse, die für jeden Frankfurter auch in der Gegenwart gelten können und vielleicht nützlich sind, darüber Bescheid zu wissen. Wer kennt den Theaterplatz? Das Bahnhofsviertel, Hauptwache B-Ebene, Sachsenhausen oder die Kleinmarkthalle. Lauter Orte und Lokalitäten in Frankfurt, wie sie schon von Abisag Tüllmann fotografisch festgehalten worden sind und worüber der Roman Auskunft gibt. Archiv Peter Suhrkamp Stiftung Frankfurt liest ein Buch! vom 02. bis 15. Mai 2011 Die "Frankfurter Morgenzeitung" vom 16.11.1924 berichtet in einer Überschrift über Langeweile. Der Mann im grauen Flanell, den Abschaffel vertritt, ist nicht erst seit Genazinos Roman bekannt. Den gibt es schon länger, es gäbe eine Reihe der Romanfiguren, die sich in diesem Bild wiederfinden. Kafkas Gestalten sind genauso wie Michael Endes "Momo" damit behaftet, indem graue Herren tun und walten. Brechts K., Herr Keuner verfügt über ähnliche Züge, die auf den Zeitfaktor als etwas graues anspielen. Das gehört doch der Vergangenheit an und scheint bewältigt zu sein? Der Name Abschaffel soll von einem Straßennamen herstammen, womöglich in Mannheim, wo der Autor mehrere Jahre seiner Jugend verbracht hat. Zu finden ist dieser im Stadtplan jedoch nicht. "Die Wirklichkeit ist eine Konstruktion" lautete ein Satz, der während der Lesung vorkam. Abschaffel ist zum Leben erwacht um sich herumschauend, beschreibend und weitergehend. Die Vortragenden zitierten nicht nur aus einem Roman, auch aus anderen Büchern wurde zitiert, vor allem jene die in den 1970er Jahren auf Bestsellerlisten standen, wie: Günter Grass, Der Butt; Lili Palmer, Der rote Rabe, Ephraim Kishon, Kain & Abel. Erinnerungen an eine Unterhaltungsliteratur die Geltung hatte: Rainer Kunze, Die wunderbaren Jahre; Sandra Paretti, Das Zauberschiff; Erica Jong, Angst vorm Fliegen; Brigitte Schwaiger, Wie kommt das Salz ins Meer; Liv Ullmann, Wandlungen; Emile Ajar, Du hast das Leben noch vor dir und andere mehr. Titelseite vom 14. Mai 2011 www.kulturexpress.info ISSN 1862-1996