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DIE 100 BEDEUTENDSTEN ENTDECKER Pedro Álvares Cabral Pedro Álvarez Cabral Die Entdeckung Brasiliens Auf der Atlantikfahrt nach Indien zur Terra da Vera Cruz 1500 – 1501 Herausgegeben von Johannes Pögl Mit 18 Abbildungen und 6 Karten Die Abbildungen auf den inneren Umschlagseiten zeigen eine Ansicht Lissabons, Ende des 15. Jahrhunderts, und eine Karte Indiens und Hinterindiens aus dem 17. Jahrhundert. Herausgeber und Verlag danken der Universitätsbibliothek Würzburg für die freundliche Bereitstellung von Abbildungsvorlagen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Es ist nicht gestattet, Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Alle Rechte vorbehalten Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2012 Der Text wurde behutsam revidiert nach der Edition Erdmann Ausgabe Stuttgart und Wien, 1986 Lektorat: Dietmar Urmes, Bottrop Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH nach der Gestaltung von Nele Schütz Design, München Bildnachweis: akg-images GmbH, Berlin/Erich Lessing Satz und Bearbeitung: Medienservice Feiß, Burgwitz Der Titel wurde in der Adobe Garamond gesetzt. Gesamtherstellung: CPI books GmbH, Ulm Printed in Germany ISBN: 978-3-86539-839-0 www.marixverlag.de/Edition_Erdmann Inhalt Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Die Ernennung des Pedro Álvares Cabral (genannt de Gouveia) zum Kapitän der Armada durch das königliche Dekret . . . . . . . . . . . 52 Die nautischen Instruktionen . . . . . . . . . . 54 Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Der Brief des Pêro Vaz de Caminha an König Dom Manuel von Portugal . . . . . . . . . . . . 62 Der Brief des Bakkalaureus Meister Johannes an König Dom Manuel . . . . . . . . . . . . . . . 96 Die Fahrt des Kapitäns Pedro Álvares, beschrieben von einem portugiesischen Lotsen . . . . . . . . 102 Diplomatische Korrespondenz . . . . . . . . . . . . 156 Der Brief, den König Dom Manuel an den König von Calicut schrieb . . . . . . . . . . . . . . . 159 Der Brief des Amerigo Vespucci an Lorenzo de’ Medici . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Der Brief des Giovanni Matteo Cretico an die Signoria von Venedig . . . . . . . . . . . . . . . 177 Die Briefe des Florentiners Bartolomeo Marchioni an die Stadt Florenz . . . . . . . . . 182 Brief König Manuels an den König und die Königin von Kastilien . . . . . . . . . . . . . . 188 Aus den Berichten des Leonardo Ca’ Masser . . . 202 Historiographische Texte . . . . . . . . . . . . . . 205 Aus dem Tagebuch des venezianischen Chronisten Girolamo Priuli . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Aus dem Tagebuch des venezianischen Chronisten Marino Sanuto . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Aus der »Ásia« des João de Barros . . . . . . . . 221 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Worterklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Geographisches Glossar . . . . . . . . . . . . . 298 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Einführung Einführung Als im September des Jahres 1499 Vasco da Gama mit dem Flaggschiff seiner Flotte, der »São Gabriel«, in die Mündung des Tejo einfuhr, war die Nachricht vom Erfolg seiner einmaligen Entdeckungsfahrt bereits längst in aller Munde und der Jubel über diesen so glücklichen Abschluss der beinahe ein Jahrhundert zuvor begonnenen Suche nach einem Seeweg zu den Handelshäfen der westindischen Küste schon wieder verklungen. Auf der Rückfahrt von Indien hatte sich Nicolau Coelho, der Kapitän der »Bérrio«, vom Geschwader getrennt und war vorausgeeilt, um am 10. Juli desselbigen Jahres König Manuel I. von Portugal die Meldung von der Erreichung Indiens zu Schiff zu überbringen. Die kleine, aus vier Schiffen bestehende Flotte Vasco da Gamas war am 8. Juli 1497 von Lissabon aus in See gestochen, hatte das Kap der Guten Hoffnung umrundet und gelangte nach einer ereignisreichen Fahrt entlang der afrikanischen Ostküste und über das Arabische Meer nach Calicut. Diese Stadt galt als Handelsmetropole des südlichen Vorderindiens und war schon von dem arabischen Weltreisenden und Geographen Ibn Battuta als eine der fünf bedeutendsten Welthafenstädte erwähnt worden. Als Hauptumschlagplatz für den Seehandel im nahöstlichen und südasiatischen Raum reichte ihre Ausstrahlung bis nach Ceylon, Hinterindien, Indonesien, den Molukken und sogar nach China. Welche Bedeutung dieser Stadt zukam, ließ sich bereits aus dem Titel ersehen, den der Fürst von Calicut führte; denn »Raja Samudrin« – von den Portugiesen zu 7 Einführung »Samorim« verballhornt – bedeutete so viel wie »Herr des Meeres«.1 Mit der Eröffnung dieses Seewegs nach Indien und Ostasien um den afrikanischen Kontinent herum war ein jahrhundertealter Traum aller seefahrenden Nationen Westeuropas in Erfüllung gegangen. Doch der exzellente Nautiker Vasco da Gama, dessen Reise als eine der wenigen zur Gänze von Erfolg gekrönten Entdeckungsfahrten in der Geschichte der Seefahrt verzeichnet ist, hatte sich als ein schlechter Diplomat erwiesen und war bei dem Versuch, mit den Potentaten der indischen Küstenstaaten gewinnträchtige Handelsbeziehungen anzubahnen, gescheitert. Unerwartet schlecht war der Empfang, den man den Portugiesen in Calicut bereitete; arabische, jüdische und ägyptische Händler hatten seit Jahrhunderten das Monopol des Zwischenhandels mit Spezereien und Luxusartikeln aus dem Fernen Osten nach den Mittelmeerhäfen der Levante inne und nützten ihre machtvolle Position, um die Etablierung der unerwartet erschienenen Portugiesen als unliebsame Konkurrenten durch Störaktionen zu verhindern. Auch fehlte es Vasco da Gama an Tauschartikeln, die bei einem – wie sich alsbald zeigte – den Portugiesen kulturell überlegenen Volk, durch dessen Hände unschätzbare Werte gingen, Anklang gefunden hätten. So war der große Entdecker gezwungen, seine Rückfahrt mit der Erkenntnis anzutreten, dass die Gewinnträchtigkeit derartiger Unternehmungen nur durch die Unterbrechung des traditionellen Handelswegs aus dem Fernen Osten nach den Häfen Alexandrias und Beiruts und die Verdrängung der Araber aus dem Indischen Ozean gesichert werden konnte. Diese Erkenntnis und die von Da Gama irrtümlich verbreitete Falschmeldung, bei den Bewohnern der westindi1 8 Vgl. Günther Hamann, Der Eintritt der südlichen Hemisphäre in die europäische Geschichte (s. Bibl.), S. 403. Einführung schen Küstenstaaten handle es sich um Christen, versetzten den portugiesischen Königshof und die Kaufmannschaft von Lissabon in neuerliche Aufbruchstimmung. Wenig Zeit war zu verlieren, da es galt, die Araber daran zu hindern, ihre durch die Ankunft der Portugiesen und deren Entdeckung eines neuen, weniger kostenträchtigen Handelswegs nach Westeuropa ins Wanken geratene Monopolstellung abzusichern und Vorbereitungen für die Verteidigung ihrer Handelsmacht zu treffen. Auch blieben nur noch wenige Monate bis zum nächsten März, der günstigsten Zeit für die Abfahrt einer weiteren Flotte, die die größte all derer sein sollte, die bisher auf dem Atlantik gesegelt waren. Selten wurde eine Expedition dieser Art mit größerer Sorgfalt vorbereitet. Auf den Schiffswerften und in den Arsenalen Lissabons herrschte rege Betriebsamkeit, denn dreizehn Schiffe mussten innerhalb kurzer Zeit auf den Weg gebracht werden. Zu diesen zählten erstmals Karavellen, deren Lästigkeit jene der bisher auf den Erkundungsfahrten entlang der afrikanischen Küsten eingesetzten Schiffe bei Weitem übertraf. Man nannte diesen neuen Typ »caravela redonda«, runde Karavelle, da ihr hoher, breiter und bauchiger Bug sowie die riesigen, an Rahen befestigten und vom Wind aufgeblähten Segel diesen Eindruck hinterließen und sie von den niedrigen Galeeren der Mittelmeerschifffahrt und den zuvor nur mit Lateinsegeln ausgestatteten kleinen Karavellen unterschieden. Auf dieser Flotte von dreizehn Schiffen2 sollten an die zwölfhundert Mann Dienst tun, zu deren Versorgung Aus2 Über die Anzahl der zur Flotte Cabrals gehörenden Schiffe war bis heute keine eindeutige Klarheit zu erlangen. So ist einer Anmerkung auf der Cantino-Karte zu entnehmen, dass vierzehn Schiffe in der Flotte fuhren. Aufgrund der unterschiedlichen Angaben, die in den diversen zeitgenössischen Berichten über die Kapitäne der Schiffe zu finden sind, ist sogar die Annahme von siebzehn oder achtzehn Schiffen möglich. 9 Einführung rüstung und Proviant für einen Zeitraum von eineinhalb Jahren bereitzustellen waren. Die Auswahl dieser Mannschaft und ihrer Offiziere erfolgte mit größter Sorgfalt, und ihre Aufgaben waren klar umrissen. Das Kommando über die Flotte hatte der König Pedro Álvares Cabral übertragen, einem jungen portugiesischen Edelmann, der zuvor weder zu Lande noch zu Wasser durch außergewöhnliche Taten hervorgetreten war. Aber er entstammte einer der angesehensten portugiesischen Adelsfamilien und schien daher dem mittelbaren Zweck der Expedition, den indischen Herrschern eine Vorstellung von der Größe und politischen Bedeutung des portugiesischen Königreiches zu vermitteln, durch staatsmännisches Auftreten und die Fähigkeit zur Prachtentfaltung zu entsprechen. Auch die meisten der Kapitäne jener dreizehn Schiffe rekrutierten sich aus Angehörigen des portugiesischen Adels und verfügten nur zum Teil über die notwendigen nautischen Kenntnisse, da ihnen dieses Kommando von König Manuel allein aufgrund ihrer Verdienste zu Hofe übertragen worden war. Demzufolge lag das Schicksal der Flotte in den Händen der Lotsen und Navigatoren, die zu den besten des Landes zählten. Der fähigste Nautiker unter den Kapitänen war zweifellos Bartolomeu Dias, dem es 1488 als Erstem gelungen war, das Kap der Guten Hoffnung zu umsegeln, und der sein eigentliches Ziel, die indische Westküste, nur eines unglücklichen Zusammentreffens widriger Umstände wegen nicht zu erreichen vermochte. Aber auch Mitglieder der Flotte Da Gamas, wie der Schreiber João de Sá oder Nicolau Coelho, der Kapitän der »Bérrio«, nahmen an der Fahrt Cabrals teil, um ihre kurz zuvor erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen in den Dienst dieses neuen Unternehmens zu stellen. Als ein Novum galt die Anwesenheit eines Gelehrten an Bord der Indienfahrer, des Astronomen Meister Johannes, dem die Aufgabe zufiel, den Sternenhimmel des 10 Einführung Südens zu erforschen und neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Navigation praktisch zu erproben. Die perfekte Organisation der Expedition zeigte sich in der präzisen Aufteilung der Kompetenzen der Führung und der Abstimmung der Flotte auf die ihr zugedachten Aufgaben. Im Gegensatz zur Fahrt Da Gamas, deren Hauptziel die weitere Erkundung des bis dahin nur ein Stück über das Kap der Guten Hoffnung hinaus bekannten Seewegs nach Indien gewesen war, hatte die Flotte Cabrals eine differenziertere Aufgabenstellung zu bewältigen. Wie bereits erwähnt, galt es, den kommerziellen Interessen Portugals in Indien, denen das Handelsmonopol der Erzfeinde des Landes – der Mauren von Mekka, wie die Araber auch genannt wurden – entgegenstand, mit allen zur Verfügung stehenden militärischen Kräften Geltung zu verschaffen. Hierbei vertraute man auf die Schlagkraft der portugiesischen Artillerie, die den von den arabischen Kauffahrern zudem nur selten geführten leichten Eisenbombarden an Feuerkraft weit überlegen war. Ein Teil der Flotte Cabrals dürfte daher aus schwer bestückten Kriegsschiffen bestanden haben, während der andere für die Beförderung der am Bestimmungsort zu erwerbenden wertvollen Gewürzladungen bestimmt war. Die Anbahnung von Handelsbeziehungen, der Abschluss von Verträgen und die Organisation des Warenaustausches fielen in den Kompetenzbereich des Generalfaktors, der vom König gesonderte Instruktionen erhalten hatte und beauftragt war, in Calicut oder einem anderen Hafen der MalabarKüste eine Faktorei einzurichten. Für die administrative Bewältigung dieser Aufgabe stand ihm ein umfangreicher Beamtenstab zur Seite. Dieses Amt des Faktors hatte Aires Correia inne, ein reicher Kaufherr aus Lissabon, der bereits für die Expedition Vasco da Gamas ein Schiff, die »Bérrio«, ausgerüstet hatte und der durch seine außergewöhnlichen Sprachkenntnisse für diese Aufgabe in besonderem Maße 11 Die Armada des P.A. Cabral (Aus dem »Livro das Armadas« der Academia das Ciências, Lissabon) Berichte Berichte Gemessen am literarischen Nachhall vergleichbarer Fahrten, ist die Zahl der Berichte über die Expedition Cabrals äußerst gering, und nur ein einziger Text schildert den gesamten Verlauf der Reise. Das eindrucksvollste Dokument dieser Art stammt jedoch nicht etwa von Cabral selbst, der keinerlei Reflexionen der Fahrt aus eigener Hand hinterlassen haben dürfte, sondern von dem Faktoreibeamten Pêro Vaz de Caminha. Das Manuskript seines nur den Aufenthalt der Flotte an der brasilianischen Küste schildernden Berichtes wurde noch vor 1790 von dem spanischen Historiker Juan Bautista Muñoz im Archiv des Torre do Tombo in Lissabon aufgefunden und erstmals 1817 von Manuel Aires de Casal in seiner »Corografia Brasileira« nach einer ungetreuen Kopie aus dem Archiv der Königlichen Marine in Rio de Janeiro veröffentlicht. Die beste der in der Folge entstandenen zahlreichen Reproduktionen des Textes ist in »Alguns Documentos do Archivo Nacional da Torre do Tombo« (siehe Bibliographie: J. Cortesão) zu finden. Helmut Andräs im vorliegenden Band aufgenommener, behutsam literarisierender Übersetzung gelang es, die Eigenart des Stils Caminhas wiederzugeben und die Ursprünglichkeit und Frische seiner Redeweise zu erhalten. Gleich dem Bericht Caminhas bezieht sich auch der Brief des Bakkalaureus Meister Johannes an König Manuel auf den Verlauf der Fahrt bis zur Ankunft in Brasilien. Das Schriftstück wurde von dem brasilianischen Gelehrten F. A. de Varnhagen im Archiv des Torre do Tombo in Lissabon entdeckt und 1843 in »Revista do Instituto Histórico e Geográfico do Rio de Janeiro« erstmals veröffentlicht. Von besonderem Interesse ist darin 59 Berichte die zeichnerische Darstellung des »Kreuzes des Südens«, eines Sternbilds, das bis dahin nur wenigen Nautikern vor Augen gekommen war. Die Übersetzung des Textes erfolgte unter Heranziehung der in »História da colonização portuguesa do Brasil« (siehe Bibliographie), vol. II, S. 104, wiedergegebenen spanischen Variante des Originals. Der einzige zeitgenössische Bericht, in dem die Fahrt Cabrals in ihrer Gesamtheit geschildert wird, verdanken wir einem unbekannten Verfasser, der sich an Bord eines der Schiffe der Flotte befunden hatte. In Portugal konnte bisher weder das Original noch eine Kopie des Textes gefunden werden, obwohl der Autor mit Sicherheit Portugiese war. Seine Tradierung verdanken wir dem Umstand, dass er bald nach der Fahrt Cabrals in Manuskriptform vermutlich in Venedig erschienen ist, da vier frühe, in venezianischem Dialekt abgefasste Manuskripte des Berichtes noch existent sind. Die erste bekannte Drucklegung des Textes erfolgte in der 1507 erschienenen ersten Ausgabe von »Paesi novamente retrovati«, einer chronikartigen Kompilation von Entdeckungsberichten, deren Erstellung dem Venezianer Fracanzano Montalboddo zugeschrieben wird. Er wurde in alle weiteren Editionen dieses Werkes aufgenommen und ist auch in Simon Grynaeus’ lateinisch verfasstem Werk »Novus Orbis« und dessen deutscher Übersetzung enthalten. Alle existierenden Manuskripte des Berichtes sind unterschiedlich und dürften voneinander unabhängige Übersetzungen portugiesischer Manuskripte oder Drucke sein. Eine weitere Publikation des Berichtes erfolgte in der von Giovanni Battista Ramusio 1554 erstmals edierten Anthologie zeitgenössischer Reiseberichte mit dem Titel »Delle navigazioni e viaggi …«. Diese Version liegt unserer Übersetzung des Textes zugrunde. 60 Berichte Der Brief des Pêro Vaz de Caminha an König Dom Manuel von Portugal Herr, obgleich der Führer dieser Eurer Flotte sowie die verschiedenen Kapitäne17 die Nachricht von dem Auffinden dieses Euren neuen Landes mitteilten, das auf dieser Reise gefunden wurde, will ich doch nicht unterlassen, ebenfalls nach bestem Können Eurer Hoheit Bericht zu erstatten, obwohl ich es – gefälligen Bericht berücksichtigt – am schlechtesten von allen mache. Trotz meiner Unwissenheit werden mir Ew. Hoheit guten Willen zuerkennen, der bestrebt ist, weder zu verschönern noch zu entstellen, sondern lediglich zu berichten, was ich sah und wie es mir erschien. Vom Verlauf der Fahrt und den Tagesstrecken werde ich Ew. Hoheit hier nicht Rechenschaft geben – ich könnte es auch nicht –, das ist die Aufgabe der Piloten. Und daher, Herr, beginne ich zu berichten, was ich zu sagen habe: Die Abreise von Belém erfolgte, wie Ew. Hoheit bekannt, Montag, den 9. März. Sonnabends, den 14. desselben Monats, zwischen acht und neun Uhr, befanden wir uns zwischen den Kanarischen Inseln, nahe der Grã Canária. Im Angesichte der Inseln segelten wir bei Windstille den ganzen Tag, vielleicht drei bis vier Meilen von ihnen entfernt. Am Sonntag, den 22. des Monats, gegen zehn Uhr, sichteten wir die Kapverden, und zwar die Insel St. Nikolaus, nach der Aussage des Piloten Pêro Escolar. 17 Außer Pêro Vaz de Caminha und Meister Johannes scheinen auch Cabral und einige Kapitäne und Beamte der Flotte Briefe an König Manuel geschrieben zu haben. Leider sind uns nur die Briefe der beiden erstgenannten Verfasser erhalten geblieben. 62 Der Brief des Pêro Vaz de Caminha an König Dom Manuel In der folgenden Nacht, Montag, bei Morgengrauen, verlor sich von der Flotte Vasco de Ataíde mit seinem Schiff, ohne dass Unwetter oder Gegenwinde dieses Verschwinden hätten erklären können. Der Kapitän traf seine Maßnahmen, um das Schiff näher oder ferner wiederzufinden; aber es tauchte nicht mehr auf. Und so setzten wir unseren Weg über die Weite des Meeres fort, bis wir am Dienstag der Nachosterwoche, am 21. Tag des April, nach Aussage der Piloten gegen sechshundertsechzig oder sechshundertsiebzig Meilen von der letzten Insel entfernt, auf Anzeichen nahen Festlandes stießen, auf große Mengen langer Pflanzen, die von den Seeleuten Botelho genannt werden, und auf andere, welche sie Eselsschwanz nennen. Und am folgenden Mittwoch (22. April), morgens, sahen wir Vögel, die sie Seemöven nennen. In den Abendstunden desselben Tages war Land in Sicht! Zuerst sahen wir einen großen Berg, hoch und rund; darauf erblickten wir südlich von ihm niedrigere Gebirgsrücken und flaches Land mit großen Hainen. Diesem hohen Berge gab der Kapitän den Namen Monte Pascoal (Osterberg) und dem Lande den Namen Terra de Vera Cruz (Land des Wahren Kreuzes). Dann befahl er, das Senkblei auszuwerfen. Fünfundzwanzig Faden wurden gemessen. Gegen Sonnenuntergang, vielleicht sechs Meilen vom Festlande, bei neunzehn Faden Tiefe, warfen wir Anker in reinem Ankergrund. Dort lagen wir die ganze Nacht. Am Morgen des Donnerstages (23. April) setzten wir Segel und fuhren auf das Land zu, die kleinen Schiffe an der Spitze, durch siebzehn, sechzehn, fünfzehn, vierzehn, dreizehn, zwölf, zehn und neun Faden Tiefe, bis auf eine halbe Meile vom Festland, wo wir alle Anker warfen, gegenüber der Mündung eines Flusses. Diesen Ankerplatz erreichten wir gegen zehn Uhr morgens. 63 Berichte Von Bord aus konnten wir Menschen am Strande erkennen, vielleicht sieben oder acht, wie man von den kleineren Schiffen mitteilte, die zuerst ankamen. Boote und Kähne wurden nun zu Wasser gelassen. Bald darauf kamen alle Kapitäne an Bord dieses Flaggschiffes zur Besprechung. Der Kapitän befahl Nicolau Coelho, den Fluss mit einem Boot zu erkunden. Als dieser sich dem Lande näherte, liefen Eingeborene zu zweit und dritt zum Strande, sodass sich dort, als das Boot zur Mündung des Flusses kam, schon achtzehn oder zwanzig aufhielten. Braun, nackt, ohne irgendwie die Schamteile zu verdecken, hielten sie in den Händen Bogen und Pfeile. So liefen sie geradewegs auf das Boot zu. Nicolau Coelho bedeutete ihnen durch Zeichen, die Waffen niederzulegen. Sie taten es. Eine Verständigung oder ein Gespräch mit ihnen war bei der starken Brandung des Meeres unmöglich. Coelho schleuderte ihnen ein rotes Barett, eine leinene Pudelmütze, die er trug, und einen schwarzen Hut zu. Einer von ihnen warf darauf seine Kopfbedeckung aus langen Vogelfedern zurück, mit einer Spitze aus roten und braunen Federn, wie die der Papageien. Ein anderer schwenkte eine große Schnur mit kleinen weißen Muscheln, die aus Perlmutter zu bestehen scheinen. Diese Sachen sendet, wie ich glaube, der Kapitän Ew. Hoheit. Darauf kehrte Coelho zum Schiffe zurück, da es schon spät war und das Meeresrauschen jede Verständigung verhinderte. In der folgenden Nacht wehte ein heftiger Südost, mit Platzregen, sodass die Schiffe abgetrieben wurden, hauptsächlich das Führerschiff. Am Freitag (24. April), gegen acht Uhr morgens, ließ der Kapitän auf Anraten der Steuerleute die Anker lichten und Segel setzen. Wir fuhren, mit Booten und Kähnen im Schlepptau, nach Norden, an der Küste entlang, um zu sehen, ob wir nicht einen geschützten und guten Ankerplatz fänden, um Wasser und Holz 66 Der Brief des Pêro Vaz de Caminha an König Dom Manuel Skizze der Uferzone, wo sich die Flotte mit Wasser versorgte und das Kreuz errichtet wurde nehmen zu können; nicht weil es uns schon fehlte, jedoch aus Vorsorge. Als wir unter Segel gingen, befanden sich am Strande, nahe am Flusse sitzend, bereits ungefähr sechzig bis siebzig Männer, die sich allmählich eingefunden hatten. Wir machten uns auf, und der Kapitän befahl den kleinen Schiffen, mehr in Küstennähe zu folgen und die Segel zu reffen, sobald sie einen sicheren Hafen fänden. Und der Küste folgend, fanden die erwähnten kleinen Schiffe, wohl zehn Meilen vom ersten Ankerplatz entfernt, ein Riff, hinter dem sich ein sehr guter und geschützter Hafen mit recht breiter Einfahrt befand. Sie liefen ein und strichen die Segel, die übrigen Schiffe folgten ihnen. Kurz vor Sonnenuntergang refften sie ebenfalls die Segel und ankerten, vielleicht eine Meile vom Riff entfernt, bei elf Faden Tiefe. 67