Erfahrungsbericht WPI
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Erfahrungsbericht WPI
Erfahrungsbericht von Nicole Kohli Auslandsemester am Worcester Polytechnic Institute (MA), USA Begonnen hat alles am Götti-Gotti-Treffen der CH13, zu dem alle Jahrgänge des Chemiestudiengangs eingeladen wurden. Ein 5. Semestler hat mir erzählt, wie zwei seiner Klassenkameraden gerade in Amerika sind und ein Auslandsemester absolvieren. Von da an war für mich klar, dass ich das auch machen will und vereinbarte gleich am nächsten Tag ein Termin mit dem Studiengangsleiter. Nachdem schliesslich auch das Visum erteilt wurde, ging das Abenteuer bereits vier Tag später los. Nach einem langen Flug kam ich schliesslich in Boston an. Im Shared Van, der mich nach Worcester ans WPI brachte, kam ich das erste Mal mit der amerikanischen Freundlichkeit in Kontakt. Ein Professor für Chemie vom Holy Cross College gab mir seine Karte und lud mich ein, mal ein Blick in seine Labors zu werfen. Ich reiste ein Monat vor dem eigentlichen Semesterbeginn ans WPI, um eine Englisch Vorbereitungskurs zu machen. Dieser begann dann auch gleich mit einem Ausflug nach Providence RI. Nebst weiteren Ausflügen nach Boston, Cambridge oder EMC lernten wir Redewendungen, Berichte schreiben oder Präsentationen halten. Da dieser Kurs für Freshmans, sprich Erstjahrstudenten, ausgelegt ist, war vieles für mich Repetition. Trotzdem bin ich froh, diesen Kurs gemacht zu haben. Dadurch hatte ich Zeit, mich in Worcester einzuleben. Die ersten paar Wochen waren ziemlich ruhig am WPI. Die meisten Studenten waren über die Sommerferien nach Hause gegangen. Auf der Facebookseite von den WPI International Students schrieb Sakshi, eine Indische Junior (3. Jahr) Studentin, ob jemand schon früher zurück in Worcester sei und was unternehmen will. So trafen wir uns zum Essen und gingen anschliessend weiter auf eine Homeparty ihrer Freunde. Da sie ebenfalls Biochemie als Hauptfach belegt, hatten wir auch einige Vorlesungen zusammen. So entwickelte sich eine gute Freundschaft. Ebenfalls über diese Facebookseite suchte ein früher zurückgereister Jamaikanischer Student ein paar Kollegen zum Fussballspielen. Da es nebst dem (hervorragend ausgestatteten) Sports and Recreation Center nicht viel zu tun gab, meldete ich mich auch auf diesen Aufruf und traf mich mit ein paar Latinos zum Fussballspielen. Auch daraus entwickelten sich einige Freundschaften. Seite | 1 12. Februar 2015 WPI Campus: Sports and Recreation Center (links) und die Bibliotheke (rechts) Während der International Orientation für alle neuen Studenten aus der ganzen Welt lernte ich auch die deutschen Austauschstudenten kennen. Zu viert unternahmen wir Ausflüge nach Boston und Cape Cod. Boston (links) und Cape Cod (rechts) Ein Tag vor dem Semesterstart zogen dann auch meine drei Mitbewohnerinnen ein in Worcester. Alle drei sind Amerikanerinnen und im dritten Studienjahr. Zu viert bewohnten wir ein Apartment in einem der Dorms (so was wie ein Studentenwohnheim). Wie es der Zufall wollte, wird eine der Mitbewohnerinnen, Carolyn, ihre zweimonatige Interdisziplinäre Projektarbeit (IQP) im Frühling in der Schweiz machen. Für beide von uns war das eine ideale Situation. Sie führte mir die amerikanische Lebensweise ein, unterstütze mich bei Fragen bezüglich Autoversicherung usw. Im Gegenzug half ich ihr beim Planen ihres Aufenthaltes in der Schweiz und Europa. Seite | 2 12. Februar 2015 Das Apartment auf dem Campus, das wir zu viert bewohnten Ende August fing dann das eigentliche Semester an. Am WPI sind die Semester in weitere zwei Teile aufgeteilt, sogenannte Terms. Im A Term besuchte ich zwei Vorlesungen, Advanced Molecular Genetics und Chemical Thermodynamics. Da der geplante Laborkurs schon ausgebucht war, konnte ich bei einem der Professoren ein internes Praktikum absolvieren als Alternative. Ich konnte an seinem Projekt in der Krebsforschung arbeiten und kriegte dafür Kreditpunkte. Obwohl die Arbeit sehr spannend war, wurde der Enthusiasmus bald gedämpft durch die Unorganisiertheit des Professors und dessen Labors. Anders als bei uns sieht der Stundenplan auf den ersten Blick relative leer aus. Es wird allerdings viel mehr selbständiges Erarbeiten erwartet und oft müssen Gruppenarbeiten ausserhalb der regulären Vorlesungsstunden erarbeitet werden. Etwas, das mir bald aufgefallen ist, ist wie der Campus betrieben wird. Im Gegensatz zu der ZHAW wird ein grosser Teil des Colleges von den Studenten selber unterhalten oder sogar geleitet. So arbeiten beispielsweise im Sports and Recreation Center oder auch in der Bibliothek und dem Bookstore vor allem Studenten. Mit dem A Term begann auch die Footballsaison. Ein bis zweimal die Woche hatte das Team vom WPI Heimspiele. Trotz des mässigen Erfolgs des Collegeteams waren die Spiele immer gut besucht und auch ich verfolgte das eine oder andere. Das erste Wochenende war gleich ein verlängertes wegen des Labor Days. Dieses nutze ich, um einen Ausflug nach Florida zu machen. Dort traf ich meine Schwestern. Von Orlando aus ging‘s an die Atlantikküste und von dort runter Richtung Key West. Da der Labor Day als der letzte Sommertag gilt und gerade noch in den Schulferien liegt, war Florida überfüllt mit vor allem einheimischen Touristen. Das machte die Suche nach einem freien Zeltplatz oder Motel ziemlich schwierig. Durch die Everglades fuhren wir an den Golf von Mexiko via Naples nach Tampa, wo ich den Flieger zurück nach Boston nahm. Seite | 3 12. Februar 2015 Einige Wochen später lud mich Carolyn ein, mit ihr zu ihrer Schwester nach New Hampshire zu fahren. An diesem Wochenende fand in der Nähe die Deerfield Fair, eine Art Volksfest, statt. Danach fuhren wir weiter nördlich in die White Mountains, an den Lake Winnipesaukee und zum Apple Picking. Wochenende in New Hampshire: auf der Deerfield Fair (links) und am Lake Winnipesaukee Bei einem Aufenthalt in Massachusetts durfte natürlich auch ein Baseballspiel der Bostoner Red Sox nicht fehlen. So besuchte ich mit den Deutschen ein Spiel der Sox gegen die Toronto Blue Jays im Fenway Park. Da keiner von uns die Baseballregeln kannte, gaben mir meine Mitbewohnerinnen einen kurzen Crashkurs über Innings, Homeruns und die verschiedenen Outs. Baseballspiel der Red Sox gegen die Blue Jays im Fenway Park Seite | 4 12. Februar 2015 Das letzte Wochenende vor dem Fall Break war Home Coming. Da kommen ehemalige Studenten zurück ans College. Vor allem für Fraternities und Sororities (Studentenverbindungen) ist Home Coming ein grosser Tag. Am Morgen gibt’s einen Umzug der Fraternities und Sororities, wozu sie sogenannte Floats zu einem gewissen Motto bauen. Anschliessend bauen sie Stände auf, wo sich alle zum gemütlichen Trinken treffen. Am Nachmittag findet dann das legendäre Home Coming Footballspiel statt. Während dem Fall Break zwischen den zwei Terms verbrachte ich ein paar Tage bei einem amerikanischen Freund und dessen Familie in Connecticut. Auch dort traf ich einmal mehr auf die berüchtigte Gastfreundschaft der Amerikaner. Andrew lernte ich auf einer Fraternityparty kennen und während dem gemeinsamen Fussballspielen entwickelte sich eine enge Beziehung. Nach ein paar Tagen in Connecticut unternahm ich mit zwei deutschen Austauschstudenten einen Roadtrip in den Norden nach Main und New Hampshire. Über Portland fuhren wir den historischen Leuchttürmen hoch in den Acadia Nationalpark, wo wir zwei Nächte verbrachten. Die atemberaubende Landschaft vermochte jeden zu verzaubern, auch trotz des schlechten Wetters. Auf dem Rückweg ging’s auf den höchsten Berg New Englands, den Mount Washington. Die Aussicht auf dem 1900 Meter hohen Berg blieb uns allerdings vergönnt durch den Nebel. Stattdessen hatten wir eine Autopanne. Undefinierbare ölige Flüssigkeit lief aus dem Motorraum. Ein Ranger kam uns zu Hilfe und füllte alle Öle auf, die er konnte. Was das Problem war, fand aber auch er nicht heraus. So fuhren wir mit einem halb geflickten Auto und leichten Unbehagen vorsichtig zurück nach Worcester. Die letzten Tage unternahmen wir Ausflüge von Worcester aus, wie zum Beispiel in den 6 Flags Vergnügungspark oder nach Newport in Road Island. Acadia Nationalpark Seite | 5 12. Februar 2015 Portland Head Lighthouse (links) und das kaputte Auto auf dem Gipfel des Mt. Washington (rechts) Nach 10 Tagen Ferien galt der Ernst des Lebens wieder. Im B Term konnte ich alle Fächer belegen, die ursprünglich geplant waren; Biochemistry 2, Advanced Cell Biology und Experimental Biochemistry. Da ich mich nun auch gut ans Englisch gewöhnt habe, verlief dieser Term nicht nur fachlich, sondern auch sprachlich besser als der erste. Da Abby und Giana ihre IQP im B Term im Ausland machten, waren nur noch Carolyn und ich in unserem Apartment für die zweite Hälfte des Semesters. Wenn man schon im Nordosten der USA unterwegs ist, darf natürlich New York City nicht fehlen. So verbrachte ich mit Andrew ein Wochenende in Brooklyn und Manhattan. Obwohl New York City eine eindrückliche und einzigartige Metropole ist, sprach mir Boston als Stadt viel mehr zu. Ende November war Thanksgiving, was für einige Familien grösser gefeiert wird als Weihnachten. Über die Feiertage war ich wieder bei Andrews Familie eingeladen. Am Donnerstag, dem Thanksgiving day, gab’s die traditionellen Gerichte zum Dinner wie Turkey mit Stuffing und Granberry Sauce, Mashed Squash und Potatos, Green Bean Casserole und natürlich Applepie und Pumpkinpie zum Dessert. Im Fernseher verfolgten wir die legendäre Macy’s Parade. Den folgende Tag, den Black Friday, nutzten wir zum Skifahren in Vermont anstatt Shoppen zu gehen, was man eigentlich am Black Friday machen sollte. Die Skigebiete können nicht mit den unseren verglichen werden. Der „Gipfel“ war auf gerade mal 1000 Metern über Meer und die Black Diamont Piste würde in den Alpen höchstens als rot gekennzeichnet. Seite | 6 12. Februar 2015 Central Park in New York City (links) und Thanksgiving Dinner bei der Familie Beaupre (rechts) Am letzten Wochenende des B Terms fand die alljährliche Winter Formal Party der Fraternity LCA statt. Formals sind Parties, wo man nur als Date von einem Bruder der Fraternity (oder Schwester in einer Sorority) eingeladen werden kann und in Anzug und Kleid stattfindet. Vor der eigentlichen Party geht man auswärts essen. Für mich war das einer der besten Abende. LCA Winter Formal Party Seite | 7 12. Februar 2015 Als auch der B Term zu Ende war, hiess es Abschied nehmen. Da ich eine super Zeit am WPI hatte und einige gute Freundschaften geknüpft habe, verlief dieser nicht ganz tränenlos. Mit Carolyn gibt’s glücklicherweise schon bald ein Wiedersehen, was das Tschüss Sagen ein bisschen leichter machte. Rückblickend kann ich sagen, dass dieses Austauschsemester eine super Erfahrung war. Es hat mich nicht nur fachlich uns sprachlich weiter gebracht, sondern auch persönlich. Ich bin viel selbständiger geworden und habe einiges an Selbstvertrauen gewonnen. Falls ich die Möglichkeit wieder einmal habe, für eine befristete Zeit nach Amerika zu gehen zum Arbeiten, würde ich sofort wieder meine Koffer packen. Die Kultur und der Lebensstil der Amerikaner hat mich so fasziniert, dass ich mir vorstellen könnte, dort für eine längere Zeit zu leben. Mit Carolyn und Andrew hab ich bis heute noch regen Kontakt und auch mit den deutschen Austauschstudenten ist ein Wiedersehen geplant. Seite | 8 12. Februar 2015