Auf der Terrasse des Café Josty (1912) Der Potsdamer Platz in

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Auf der Terrasse des Café Josty (1912) Der Potsdamer Platz in
Kreativer Umgang mit Großstadtlyrik der Potsdamer Platz in Berlin vom Expressionismus bis heute
Im Deutschunterricht des Jahrgangs 10 wird expressionistische Großstadtlyrik, die
sich u. a. durch eine ausdrucksstarke Bildlichkeit und der "Ästhetik des Hässlichen"
auszeichnet, behandelt. Bedeutende Lyriker dieser literarischen Strömung sind
Gottfried Benn, Georg Heym, Jakob van Hoddis, Georg Trakl oder Else LaskerSchüler.
Aber auch eher unbekannte Dichter der beginnenden Moderne, bzw. des
Epochenumbruchs um 1900, finden im aktuellen Unterrichtsgeschehen ihren Platz so wie der aus Westpreußen stammende Paul Boldt. Diesen zog es in der Zeit vor
dem Ersten Weltkrieg in die
Großstadt Berlin, von der er so
fasziniert war, dass er sein Studium
der Philologie abbrach und mit
zunächst rasch wachsendem Erfolg
ab 1912 Gedichte in der literarischpolitischen
Zeitschrift
„Die
Aktion“ veröffentlichte.
Unter anderem ließ sich Boldt von
dem Potsdamer Platz, einem damals
wie heute wichtigen Verkehrknoten in
Berlin und von mondänen Bauwerken
des jeweiligen Zeitgeistes umgeben,
zu folgendem lyrischen Erguss inspirieren:
Auf der Terrasse des Café Josty
(1912)
Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentrakte: Trams auf Eisenschienen,
Automobile und den Menschenmüll.
Die Menschen rinnen über den Asphalt,
Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken blink,
Schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald.
Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen
Und lila Quallen liegen – bunte Öle;
Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen. –
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest.
(von Paul Boldt)
Wer Berlin kennt, weiß, dass der Potsdamer Platz sich in den letzten hundert Jahren
architektonisch stark verändert hat. Markantes Merkmal der heutigen Platzgestaltung
sind die drei Bürotürme Atrium-Tower, Kollhoff-Tower und Bahn-Tower.
Marike Ellerbroek und Jessica Söchtig aus der 10/4 ließen sich von der aktuellen
Platzgestaltung inspirieren und verfassten - mehr als 100 Jahre nach Boldts
Eindrücken - eigene Gedichte zum Potsdamer Platz, und zwar streng in Sonettform,
derer sich viele der expressionistischen Lyriker bedienten, gehalten.
Potsdamer Platz
(2015)
Hier auf dem Potsdamer Platz
Ströme fließen überall hin
doch wo ist der Sinn?
wie ins Unbekannte hinein ein Satz
Drei Riesen werfen einen glänzenden Schatten
hinab auf das unscheinbare Treiben
lebendig und klein verbleibend
neben den Riesen wie unzählige Ratten
Kaum zu erkennen ist ein System
Lärm schwingt um mich heran so fern
Diese Ruhe, ein ungewöhnliches Privileg
Schon in eine Richtung gezerrt zu werden
Treibt mich zurück auf meinen Weg
Alles verschwimmt zu Schemen
(von Marike Ellerbroek)
Potsdamer Platz - heute
(2015)
Der Potsdamer Platz im ewigen Licht,
doch heut´ wie gestern noch so kalt
kein Leben durch die Menschen hallt.
Menschlichkeit und Wärme gibt es nicht.
Alles so gläsern nur so klar.
Auf ihm nur fremde Touristen
viele von ihnen wie dumme Statisten.
Man erkennt nicht, was früher war.
Alles scheint so neu und reich,
unterschiedlich, aber alles gleich.
Unterhalten und doch verloren
Von Ort zu Ort, wie sie rennen,
doch den Namen des Nächsten nicht mal kennen.
Unbeholfen, wie neugeboren.
(von Jessica Söchtig)