Berlin ist nicht alles
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Berlin ist nicht alles
B I L A N Z Mai 2016 Das deutsche Wirtschaftsmagazin M A I / 2 0 1 6 G E L D A N L A G E / S P E Z I A L AMSTERDAM PAPERS / Das geheime Firmengeflecht des Aloys Wobben Berlin ist nicht alles / Exminister KarlTheodor zu Guttenberg im Gespräch ALLEIN GEGEN AIRBUS / Der Kampf um das erste elektrische Passagierflugzeug PREIS 5,00 € / -KEINE- GROSSE ÜBERSCHRIFT Dorem ipsum dolor sit amet, consectetuer adipiscing elit, sed diam nonummy nibh euismod tinet 00.100 Zeichen unt ut laoreet dolore magna Text / ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? 2 Dorem ipsum dolor sit amet, consectetuer adipiscing elit, sed diam nonummy nibh euismod tinet 00.100 Zeichen unt ut laoreet dolore magna aliquam erat volutpat. 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OYSTER PERPETUAL SK Y-DWELLER IN 18 K ARAT WEISSGOLD VORWORT BILANZ / MAI / 2016 ZERTIFIKATE FÜR LAIEN Dass eine Geldanlage vier Prozent abwirft im Jahr, liebe Leser, das durfte man vor einigen Jahren noch in aller Bescheidenheit erwarten. Heute muss man froh sein, wenn man nicht draufzahlt. Die Null- und Niedrigzinspolitik der EZB wirkt wenig belebend und dämpft durchaus die Zukunftsfreude. Es ist, als ob man auf einer Eisscholle nach Süden treibt. Wenn die EZB mit ihren geldpolitischen Ausschreitungen („Whatever it takes“) das Wirtschaftswachstum wenigstens belebt, die Inflation auf einen angemessenen Wert gehoben und für allgemeinen Schwung gesorgt hätte – doch nichts dergleichen. Mit einem Leitzins von null und einem Minuszins für Bankeinlagen hat EZB-Präsident Mario Draghi die Grenze des Vernünftigen praktisch erreicht. In unserem Geldanlage-Spezial beschäftigen wir uns deshalb mit der Frage, wie man investieren sollte, um jenen Ertrag von vier Prozent zu erreichen, die früher selbstverständlich waren. Dass es seit 728 Jahren Aktien gibt und seit 46 Jahren auch Indexfonds, war uns keine Nachricht wert; wohl aber, dass Anleger sich auch jener renditeträchtiger Anlagealternativen bedienen können, von denen man bislang angenommen hat, dass sie nur Profis zugänglich seien. Von wegen: Wir erklä- ren, wie man mit Discount- und MemoryExpress-Zertifikaten handelt und Termingeschäfte abwickelt, und wir bekennen nolens volens und leider Gottes, dass immer noch – und wer weiß, vielleicht auf ewig – sehr viel Geld mit der Sünde zu verdienen ist. Darüber, wie man sein Vermögen mehrt, könnte auch der Vorzeigeunternehmer Aloys Wobben viel erzählen: Der Enercon-Gründer hat, wie BILANZ-Recherchen ergaben, ein Netz aus Briefkastenfirmen geknüpft, das bis auf die Bahamas und die Jungferninseln reicht (s. Seite 46). Fachleute nennen so was „aggressive Steuergestaltung“. Auch mit Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sprachen wir über Geld bzw. über seinen Einstieg bei der Beteiligungsfirma Mountain Partners und seine persönliche Investitionsstrategie. Er gab detailliert Auskunft und überraschte mit einer Bemerkung zur hiesigen Gründerszene: Sie leide darunter, dass sich das Augenmerk zu sehr auf Berlin richte. Tatsächlich finde man vielversprechende junge Unternehmen genauso gut in Hamburg, München und Köln (s. Seite 68). KLAUS BOLDT / Chefredakteur UNSERE KOLUMNISTEN AUF WWW.BILANZ.DE MARKUS ELSÄSSER MARGARETA DRZENIEK PAUL KRUGMAN „Im entscheidenden Moment, wenn in der Megakrise beste Assets wie Grundstücke und Aktien quasi verschenkt werden, hat kaum ein Investor Liquidität, um zu kaufen.“ „Die Flüchtlingskrise könnte der sprichwörtliche Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die Folgen und Risiken eines solchen politischen Zerfalls sind nicht abzusehen.“ „Ein Brexit würde das britische Realeinkommen um zwei Prozent verringern. Es müsste schon sehr gute Gründe geben, um ein derart großes Opfer zu bringen.“ DER INVESTOR UND FONDSBERATER EMPFIEHLT, BEIM GELDANLEGEN AUCH MAL NEIN ZU SAGEN. IN DER KOLUMNE DES WELTWIRTSCHAFTSFORUMS SCHREIBT DIE ÖKONOMIN ÜBER DIE ZUNEHMENDEN GLOBALEN RISIKEN. DER US-NOBELPREISTRÄGER WARNT IN SEINER KOLUMNE VOR EINEM EU-AUSTRITT GROSSBRITANNIENS. FOTOS: ULRICH MAHN, WELTWIRTSCHAFTSFORUM, NEW YORK TIMES 5 Bahnbrechend und wunderschön: Metro mit hauseigenem Swing-System. Die preisgekrönte Handaufzugsuhr Metro mit NOMOS-Swing-System gibt es auch größer: Metro 38 Datum stadtschwarz, im besten Fachhandel und unter nomos-store.com, nomos-glashuette.com BILANZ / MAI / 2016 AUS DER REDAKTION Sein Büro im zweiten Stock wirkt noch etwas unbehaust, als ich Clemens Fuest (l.) elf Tage nach seinem Dienstantritt im Münchener Ifo-Institut besuche. Die Regale noch nicht gefüllt, die Wände kahl; man sieht, wo Vorgänger Hans-Werner Sinn seine Bilder aufgehängt hatte. Fuest ist Medienprofi wie Sinn: Als Fotograf Daniel Mayer ihn bittet, des schöneren Hintergrunds wegen in den nahegelegenen Englischen Garten zu gehen, stimmt er sofort zu. Mein Termin mit dem Starwerber Guido Heffels (l.) wurde zweimal verschoben; unser Gespräch fand dann nicht in seiner Berliner Heimat, sondern im Hamburger „Side“-Hotel statt. Wir könnten uns doch in eine ruhige Ecke setzen und reden, schlug er vor. Ich frage lieber nach einem Tageszimmer. „Wusste gar nicht, dass es so was gibt“, sagt Guido und klingt so vergnügt, als hätte er einen neuen Hornbach-Hammer erfunden. Enercon ist deutscher Marktführer der Windkraftanlagenbauer. Dafür feiern sich die Ostfriesen gerne. Still aber wird es, wenn es um die eigene Firmenstruktur geht. Mitarbeiter gaben uns den Hinweis, dass sich hinter einigen Gesellschaften im Enercon-Reich mysteriöse Holdings verbergen. Die Spur führte nach Amsterdam – und von dort zu Dachgesellschaften in Steueroasen wie den Britischen Jungferninseln. WOLFGANG KADEN FRED BAADER VOLKER TER HASEBORG INHALT N 10 VOLKSWAGEN Gibt es ein Ferdinand-Piëch-Revival? Der Betrugsskandal um Dieselfahrzeuge könnte den alten Mann zur Rückkehr bewegen 12 BILFINGER Ärger mit den Spesen, Ärger mit eidesstattlicher Versicherung, Ärger mit den Ratsherren – warum Per Utnegaard den Baukonzern wirklich verließ 12 BDI Ulrich Grillo, Deutschlands oberster Industrie-Lobbyist, findet immer goldene Worte, aber seine Grillo-Werke schreiben Zahlen so rot wie Rinderleber 14 WERBEAGENTUREN Opels Kampagne ist ein Erfolg, aber den Rüsselsheimern genügt das eventuell nicht. Wollen sie ihre Agentur wechseln? 14 POST Neue Aufgaben für den Postmann Lutz Glandt 14 AUF EIN WORT Thomas Kolbe, Chef der ältesten Briefkastenfirma Deutschlands, berichtet über seine Geschäfte mit Panama, Luxemburg und der Schweiz 16 DIE WELT DES KASPER RORSTED Im dritten Anlauf zum neuen Job. Ist der neue Adidas-Chef so gut, wie er sich findet? 12 BDI-Chef Grillo: Neues vom Zinker. NAMEN & NACHRICHTEN FOTOS: DANIEL MAYER, ULRICH MAHN (2) ILLUSTRATION: GABRIELA ZURDA 7 Mehr Zeit für das Kerngeschäft PROFESSIONELLES RECHNUNGSUND FORDERUNGSMANAGEMENT ENTLASTET UNTERNEHMER Selbstständige und freiberufliche Tätigkeiten sind weiterhin hoch im Kurs. Rund 306.000 Personen wagen jährlich in Deutschland den Schritt in die Selbstständigkeit. Dabei kommt gerade zu Beginn auf viele Gründer ein enormer organisatorischer Aufwand zu. Denn mit steigendem Auftragsvolumen gehen meist nicht nur vermehrte Umsätze einher. Auch die administrativen Tätigkeiten, die viele als lästig empfinden, nehmen zu. So zum Beispiel die Rechnungsstellung und im schlimmsten Fall auch das Mahnwesen. Das Problem kennen Selbstständige nur zu gut: Zeit und Ressourcen werden für einen Auftrag investiert – aber dann zahlt der Kunde nicht. Nun beginnt meist ein Hin und Her, das viele Kapazitäten bindet. Jens Kassow, Geschäftsführer der Deutschen Verrechnungsstelle GmbH, sagt: „Um diese Zeit sinnvoller zu nutzen, können Unternehmer aus dem KMU-Bereich auf die Services der Deutschen Verrechnungsstelle zurückgreifen“. Ein ausgelagertes Rechnungs- und Mahnwesen entlastet und ermöglicht es Unternehmern, sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren. Zudem wird so das Risiko für Selbstständige minimiert, indem vor einem Geschäft eine kostenfreie Bonitätsprüfung durch einen Partner der Deutschen Verrechnungsstelle durchgeführt werden kann. Und auch dem „Worst-Case“, einem Zahlungsausfall, kann mit einem professionellen Service vorgebeugt werden. Denn dieser bietet Unternehmern mit der Möglichkeit, Forderungen zu übertragen, einen zuverlässigen Schutz. Kassow fügt hinzu: „Bei der Deutschen Verrechnungs- stelle erhalten Sie sogar innerhalb von 48 Stunden eine 100-prozentige Auszahlung aus den laufenden Forderungen“. Dadurch steigern Selbstständige ihre eigene Liquidität und verfügen über mehr Handlungsspielraum, vor allem bei großen Aufträgen. Es gilt: Der eigene Unternehmenserfolg kann nachhaltig gesichert werden, wenn man sich unabhängig von der Zahlungsmoral der Kunden macht. ENTLASTUNG FÜR DIE BUCHHALTUNG DV ABRECHNUNG bietet ein umfassendes Rechnungsmanagement und übernimmt die Erstellung, den Versand und die Überwachung von Rechnungen sowie das Mahnwesen. Zudem spart eine kostenfreie Bonitätsprüfung der Kunden Zeit und Kosten. SCHNELLER ANS EIGENE GELD, SCHUTZ VOR ZAHLUNGSAUSFÄLLEN DV FACTORING gibt Sicherheit vor Zahlungsausfällen. Rechnungen und Forderungen kann der Unternehmer übertragen. Innerhalb von 48 Stunden erhält er vom Partner abc finance eine 100-prozentige Auszahlung aus den laufenden Forderungen. BESTER SERVICE – UND DABEI IMMER DEN ÜBERBLICK BEHALTEN Die Deutsche Verrechnungsstelle basiert auf dem innovativen DV ONLINE-PORTAL. Dadurch ist es mit wenigen Klicks möglich, alle Informationen abzurufen – jederzeit und überall. Auch wenn ein professionelles Rechnungs- und Forderungsmanagement Unternehmer entlasten kann, sollten sie den Überblick zusätzlich selbst behalten. Die Deutsche Verrechnungsstelle bietet ihnen genau das an. In einem kostenfreien Online-Portal können Selbstständige jederzeit den aktuellen Status von Rechnungen und Mahnungen einsehen und bei Bedarf auch selbst aktiv eingreifen. INTERESSE? Dann wenden Sie sich an Ihren zertifizierten DVAG-Vermögensberater in der Nähe und lassen Sie sich persönlich und exklusiv zur Deutschen Verrechnungsstelle beraten. Hotline: 0800 723 6908 (gebührenfrei) Weitere Informationen unter www.deutsche-verrechnungsstelle. de INHALT Mein Unternehmen: erfolgreich. U UNTERNEHMEN & MÄRKTE 18 DEUTSCHE BANK So viele miese Nachrichten – steht das Geldinstitut wirklich so schlecht da? 22 GELDANLAGE Wie verdiene ich heute noch vier Prozent? Und wo gibt’s mehr? 28 GELDANLAGE So investiert die Wirtschaftsprominenz 32 GELDANLAGE Vergesst die Banken: Neue Telefonanwendung verführt junge Leute zum Spekulieren 34 INTERVIEW Wirtschaftsweise: Der neue Ifo-Chef Clemens Fuest im Gespräch mit BILANZ-Kolumnist Wolfgang Kaden 40 WIE GEHT’S EIGENTLICH… Gottfried Zmeck und Helmut Thoma? 42 CTRIP Chinas größter Online-Reiseveranstalter will Touristen und Gastgeber glücklich machen 46 ENERCON Wozu der Windanlagenbauer so viele Briefkastenfirmen in Holland und anderen Steuerparadisen braucht 48 INTERVIEW Der Mann heißt wie eine Waschmaschine: Markus Miele über das Erfolgsgeheimnis des Familienbetriebs I ELEKTRO-FLIEGEREI Der Ingenieur Calin Gologan und seine Leute legen sich mit Airbus und Siemens an 58 DESIGNER-MILCH Die nächste große Sache: Super-Milch mit extra Eiweiß und Kalk, dafür wenig Fett – Coca-Cola ist schon dabei 62 WERBUNG Heimat, deine Sterne! Agentur-Chef Guido Heffels steht seinem Ex-Chef Rede und Antwort 68 START ME UP! Karl-Theo zu Guttenberg finanziert jetzt Gründer 70 START ME UP! Gründergeist gibt’s auch im Konzernunternehmen 74 Zukunft gestalten. Gemeinsam. IDEEN & INNOVATIONEN 52 P Meine Steuerberaterin: unentbehrlich. PRIVAT Bei allen betriebswirtschaftlichen Entscheidungen und ZEHLES ZIELE Fünf Türme, tausend Teenies: zum Sonnenaufgang in Angkor Wat stützung Ihres Steuerberaters vertrauen. Gemeinsam 80 GOLF-MARKT Golf wird olympisch – reicht das der Branche zum Befreiungsschlag? 86 KUNST Max Hollein schickt die erste Depesche aus San Francisco 88 KOCHEN Fred Baader und die Wonnen der Gewöhnlichkeit 90 BILANZ-GEWINNER Thomas Linemayr, Olympia-Ruderer, pullt jetzt für Tchibo 89 Register, Impressum in der Personalwirtschaft können Sie auf die Untermit ihm und Software von DATEV werden alle Unternehmensfragen geklärt. Sprechen Sie mit Ihrem Steuerberater oder informieren Sie sich auf www.datev.de/vertrauen bzw. unter 0800 1001116. Zukunft gestalten. Gemeinsam. NAMEN / NACHRICHTEN VOLKSWAGEN WER SOLL DAS BEZAHLEN... ...wer hat so viel Geld? Die Piëchs und Porsches, Großaktionäre bei VW. Vor allem Ferdinand Piëch könnte via Diesel-Gate ein Comeback erleben. 10 Ferdinand Piëch (79) liebt Aphorismen. Als sich der VW-Patriarch noch auf Automessen zeigte, 2012 etwa, da zitierte er, auf seine Familie bezogen, Fürst Otto von Bismarck: „Die erste Generation baut auf, die zweite Generation erhält, und die dritte – das ist meine – ruiniert normalerweise alles.“ Mit arglistigem Grinsen – seinem Markenzeichen – ergänzte Piëch: „2008 hatten wir es fast geschafft.“ Damals hatte sich die Doppelfamilie Piëch und Porsche mit ihrem Versuch, VW zu übernehmen, beinahe verho- Unverkäuflich: Betriebsratschef Osterloh will den ramponierten Laden zusammenhalten. ben. Nun haben die VW-Großaktionäre (sie kontrollieren 52 Prozent der stimmberechtigten Aktien) es wieder fast geschafft. Die Abgasbetrügereien, die unter Piëchs Aufsichtsratsvorsitz stattfanden, was nicht unbedingt ein gutes Licht auf seine Kontrollfähigkeiten wirft, können VW nach Berechnungen des Analysehauses Evercore ISI0 bis Illustration / GABRIELA ZURDA zu 50 Milliarden Euro kosten. VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch (65) spricht von einer „existenzbedrohenden Krise“. In den beiden Eignerstämmen wird deshalb offenbar an Rettungsplänen gearbeitet. „P1“, wie Piëchs internes Kürzel lautet, und Vetter Wolfgang „WoPo“ Porsche (72) lassen von Anwälten prüfen, ob eine Verschmelzung der Porsche SE, jener Dachgesellschaft, in der Porsche und Piëch ihre VW-Anteile halten, mit der VW AG auf sinnstiftende Weise ermöglicht werden kann. BILANZ / MAI / 2016 VW kämen vor allem Porsches Barmittel gelegen, ungefähr 1,5 Mrd. Euro. Von nicht unbeträchtlichem Reiz sind auch die Kreditlinien des solide wirtschaftenden Sportwagenbauers. Den Zugriff auf das eine wie die Nutzung des anderen könnten die Familien als erforderliches Notopfer für die Bewältigung der VW-Krise verkaufen. Aber wie wollen die Familien bei einer Zusammenlegung von Porsche und VW ihren bestimmenden Einfluss auf die VW-Geschäfte sichern? Alles hängt von der Bewertung des eingebrachten Aktienpakets und dem Aufschlag für die darin gebündelte Stimmenmehrheit ab. In jedem Fall aber würde der Familienanteil auf 30 bis 35 Prozent fallen, der dritten Generation mithin der Kontrollverlust drohen. Doch das wäre inakzeptabel. Wenn den Rechtsgelehrten also keine Lösung einfällt, muss eine bessere Idee her. Im Umfeld der Familie Piëch erzählt man sich, dass P1 seine Kassenwarte in die Geldspeicher zum Nachzählen geschickt habe: Reichen die Maxen, wie man in Österreich sagt, um dem Emir von Katar, der von seinem VW-Engagement ohnedies wenig begeistert ist, seine 17 Prozent der stimmberechtigten Aktien abzukaufen? Die notwendigen sieben bis neun Milliarden Euro könnte Piëch zwei- STARKE ERTRÄGE Die VW-Vorsteuergewinne reichen für hohe Strafzahlungen (in Millionen Euro). 16.752 12.000* 11.924 10.806 8.840 2011 2012 2013 2014 2015 fellos aufbringen. Die Familie gehört zu den reichsten der Welt und ist extrem kreditwürdig – falls sie für so einen Handel überhaupt einen Kredit benötigte. Für P1 hätte die Lösung großen Charme: Zum einen schafft sie Spielraum für eine Einbringung der Porsche SE ohne Kontrollverlust, zum anderen würde er es den lieben Verwandten aus dem Porsche-Zweig einmal richtig heimzahlen. Die haben nämlich in Sachen VW die Nase vorn, seit Ernst Piëch, Ferdinands Bruder, 1983 seine Porsche-Aktien an Kuwait verkaufte. Die Porsches nutzten damals die Gunst der Stunde und kauften den Kuwaitis das Paket wieder ab. Als „Ernst-Fall“ ging diese Niederlage in die Familienchronik der Piëchs ein. In der Wolfsburger VW-Zentrale werden unterdes noch andere Rettungspläne diskutiert. Einer davon dürfte dem Markensammler Ferdinand Piëch missfallen: VW könnte sein Nutzfahrzeuggeschäft an die Börse bringen. In München bereitet Lkw-Vorstand Andreas Renschler (58) ein Projekt vor, das die Hausmarken MAN, Scania und VW-Nutzfahrzeuge zu einer schlagkräftigen Einheit verbinden soll, was dem Konzern die Chance eröffnen würde, einen Minderheitsanteil an der Börse zu verkaufen. Ein gutes Geschäft, und zwar unstreitig: Schon für die Platzierung von jeweils 49 Prozent von MAN und Scania berechneten Fachleute mögliche Einnahmen zwischen zehn und 15 Milliarden Euro, ein integrierter Lkw-Konzern brächte einiges mehr. Renschler würde die Milliarden gern einsetzen, um den Rückstand auf Marktführer Daimler zu verkürzen. Doch angesichts der gewaltigen Lasten, die der Konzern als Folge des Dieselskandals gewärtigen muss, plädieren einige Wolfsburger Größen dafür, den Erlös eines möglichen Börsengangs nicht zur Finanzierung von Renschlers Aufstiegsträumen, sondern zur Bezahlung der drohenden Sanktionen zu nutzen. Denn die in der Bilanz für 2015 zurückgestellten 16,2 Mrd. Euro werden zur Begleichung von Strafen und Schadenersatz nicht ausreichen: Wenn VW die weltweit fast elf Millionen betrogenen Autobesitzer so entschädigen müsste wie die 580.000 US-Käufer, nämlich mit 5.000 Dollar pro Fahrzeug, wären allein dafür über 48 Mrd. Euro fällig. Gewiss, Volkswagen hat mehr als 24 Milliarden Euro in der Kasse. Doch schon der normale jährliche Kapitalbedarf beträgt mindestens 30 Milliarden Euro und dient vor allem zur Finanzierung des Leasing-Geschäfts. Der Börsengang der Lkw-Sparte hat allerdings einen gewichtigen Gegner, den Betriebsratschef Bernd Osterloh (59): „Wir dürfen nicht ohne Not Tafelsilber verscherbeln; wir sollten andere nur dann beteiligen, wenn es unbedingt notwendig ist.“ Aber auch er weiß, dass „das Geld für Strafzahlungen und Entschädigungen uns beim Umbau des Unternehmens fehlen wird“. Osterloh, einst ein enger Vertrauter von Ferdinand Piëch, hat sich mit P1 inzwischen zerstritten; die zwei reden nicht mehr miteinander. Ein Comeback des Alten dürfte er kritisch sehen. Doch einstweilen hütet die vierte Generation den Piëch’schen Aufsichtsratssitz: Ferdinands Nichte Louise Kiesling (51). N ABSTURZ IM SEPTEMBER Der Kurs der VW-Aktie hat sich schon wieder etwas erholt. 15. September 2015 169,20 Euro 27. April 2016 129,30 Euro 2. Oktober 2015 92,36 Euro Oktober 2015 * OHNE BERÜCKSICHTIGUNG DER RÜCKSTELLUNG FÜR DIESEL-GATE (16,2 MRD.); SCHÄTZUNG QUELLE: VOLKSWAGEN QUELLE: BLOOMBERG Januar 2016 April 2016 11 NAMEN / NACHRICHTEN BILFINGER GRILLO DIE BAUSTELLE „SCHWIERIGES JAHR“ Warum Utnegaard wirklich seinen Abschied nahm. 12 Hätte Eckhard Cordes (65) nur auf sein Gefühl vertraut. Der Aufsichtsratschef des wirtschaftlich sowohl ausgelaugten und entkräfteten als auch strategiefreien Bau- und Industriedienstleisters Bilfinger (Umsatz: 6,5 Mrd. Euro) hatte schon vor eineinhalb Jahren den Linde-Vorstand Thomas Blades (59) engagieren wollen als Nachfolger des gefloppten Bilfinger-Bosses Roland Koch (58). Doch hat er sich damals breitschlagen und den Falschen aufschwatzen lassen: Per Utnegaard (56). Seit Ende April ist der Mann Geschichte, und Cordes bekommt nun doch noch Blades – mit dem Unterschied freilich, dass wertvolle Zeit vertan wurde mit einem Personalexperiment. Utnegaard hat Bilfinger ohne Abfindung und ohne weitere Gehaltszahlung verlassen. Auf seine Verpflichtung kann sich Cordes fürwahr nichts zugute halten. In Mannheim hat der Norweger (mit Wohnsitz Schweiz) nur durch seine Inkompetenz die Blicke auf sich gelenkt. Wenn er vor dem Aufsichtsrat präsentierte, rief er Verwirrung hervor; mehrfach musste Finanzvorstand Axel Salzmann (57) den ratlosen Räten die mysteriösen Pläne erklären. Auch die Unterscheidung zwischen dienstlich und privat fiel Utnegaard sichtlich schwer – so schwer, dass er einmal sogar Spesen rückerstatten musste. Obendrein verfing sich der Manager in den Fallstricken des Rechts: In einem Verfahren gab er eine falsche eidesstattliche Versicherung ab. Derlei Gefahren dürften von Blades kaum ausgehen. Der Hamburger mit britischem Pass kombiniert höchstens einmal Dienstreisen mit Flügen zu seinem Luxusapartment in den Emiraten, wo er sich an den Wochenenden gerne aufhält. N Deutschlands oberster Industrie-Lobbyist hat Ärger mit dem Finanzamt. Die Grillo-Gruppe steckt in der Krise. Gabriela Grillo (63) muss den Hafer für ihre Rösser vorerst aus den Rücklagen bezahlen: Die Olympiasiegerin im Dressurreiten und (mit Bruder Rainer) Mehrheitseignerin der Grillo-Werke erhält erstmals und schockierenderweise keine Dividende. Schuld an der Misère trägt Vetter Ulrich (56), der an der Spitze des weltgrößten Zinkverarbeiters steht, ein gutes Zehntel an selbigem auch besitzt und in seinen Mußestunden das Präsidentenamt des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) bekleidet. Seit Langem besteht schon der Verdacht, dass es sich bei Uli Grillo um keinen Supermann handelt (s. BILANZ 12/15); Neuigkeiten verdichten diesen Soupçon jetzt zur Gewissheit. Denn die Geschäftslage in Duisburg-Marxloh ist alles andere als rosig: Auch nach mehrmaligem Nachzählen kamen die Buchhalter des Grillo-Kreises für das Geschäftsjahr 2014/15 nur auf einen Umsatz von knapp 600 Mio. Illustration / GABRIELA ZURDA Euro, was nicht mehr ist als vor vier Jahren. Das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit hat sich gar ins Negative gewendet: 600.000 Euro betrug der Verlust. Im Vorjahr hatten die Zinker ihrer Bilanz noch ein Surplus von 8,4 Millionen Euro sozusagen abgenötigt, was freilich auch keine Ruhmestat gewesen war. Die Eigenkapitalquote ist einstweilen von 16 auf ungute 13,6 Prozent eingelaufen. Den im Bundesanzeiger veröffentlichten Geschäftszahlen zufolge ist namentlich die Tochterfirma Rheinzink nicht ganz dicht: Das Geld sprudelt aus einem Leck nur so hinaus. Die Grillos sprechen von einem „schwierigen Jahr“. Und es wird nicht einfacher: Bei 14 NRW-Gemeinden muss Grillo noch insgesamt 22 Millionen Euro Steuern abtragen. Während einer Betriebsprüfung bei Rheinzink waren den Finanzbeamten Unregelmäßigkeiten aufgefallen, die nun aufs Gemüt sowohl wie aufs Zahlenwerk schlagen. N NAMEN / NACHRICHTEN WERBEAGENTUREN UMPARKEN? Scholz & Friends sauer auf Jung von Matt. 14 Mit der Kampagne „Umparken im Kopf“ (Etathöhe: 150 bis 200 Mio. Euro) hat die Agentur Scholz & Friends laut Opel-Chef Karl-Thomas Neumann und Marketing-Vorstand Tina Müller einen „Volltreffer“ gelandet. Opel ist auf dem Weg der Besserung. Aber Müller und S&F-Premier Frank-Michael Schmidt sind nicht miteinander verheiratet: Ende 2015 soll Müller den S&F-Rivalen Jung von Matt mit einer „neuen Markenpositionierung“ beauftragt haben. Kein Kommentar von Opel. Schmidt ist sauer. Er verdächtigt JvM der „Indiskretionen“ eines „Ausmaßes“, das „weder für die Vertrauenswürdigkeit noch für die Professionalität der Agentur-Gesprächspartner“ spräche. N POSTEN NACH DER POST GLANDTS RAT Medienmann Lutz Glandt sammelt nun Beiratsämter. Lutz Glandt (60), ehedem Geschäftsführer bei der Essener „WAZ“ (heute: Funke Mediengruppe), später Bereichsvorstand der Post und bis Ende März ihr sogenannter MedienSonderbeauftragter, steigt bei der Hamburger Werbefirma Mediaplan und der Mannheimer Unternehmensberatung Allert & Co. ein und trägt da wie dort die Amtsbezeichnung eines „Beirats“. Glandt soll seine respektablen Verbindungen spielen lassen in der Medien- und Logistikszene. Er „begleite die Firmen unabhängig von persönlichen Wirtschaftsinteressen“, sagte Glandt. Anteile an den Firmen habe er nicht erworben. N Thomas Kolbe, Chef von Max Knobloch, der ältesten Briefkastenfirma Deutschlands, über Datenlecks und Panama. Herr Kolbe, bezeichnen Sie sich selbst als Inhaber einer Briefkastenfirma? Aber natürlich, wir sind das Original. Uns gibt es inzwischen seit über 145 Jahren, vermutlich länger als viele Briefkastenfirmen in Panama. Die haben uns das doch nur nachgemacht. B Bekommen Sie deshalb in letzter Zeit vermehrt Zuschriften und empörte Briefe? Als Briefkastenfirma bekommen wir natürlich immer jede Menge Post. Nach Panama ging das hier aber durch die Decke. Das Besondere ist ja, dass wir eine in Deutschland ansässige Briefkastenfirma sind. Wir bezeichnen uns schon immer voller Stolz so. Wir spielen mit dieser Doppeldeutigkeit. Kunden sagen auch gerne mal: „Ich kenne den Chef einer Briefkastenfirma persönlich.“ Haben Sie durch die zunehB mende Digitalisierung eigentlich Absatzschwierigkeiten, und freuen Sie sich nun über die Aufmerksamkeit? Nein, gar nicht. Wir vertreiben im Jahr um die 100.000 Kästen und rechnen auch in diesem Jahr mit einem zweistelligen Wachstum. Aber B seltsamerweise werden auch nach dem NSA-Skandal nicht deutlich mehr Briefe als vorher verschickt. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass jeder Haushalt einen Briefkasten haben muss, so wie jedes Haus auch eine Tür braucht... B ...gut für Ihr Geschäft. Ja, durch den Bauboom in den Städten werden weiterhin viele neue Briefkästen benötigt. Und wer weiß: Karl-Theodor zu Guttenberg hat mit seiner Doktorarbeit auch erst viele Menschen auf das Ghostwriting aufmerksam gemacht. Vielleicht kommen ja jetzt manche auf die Idee, eine Briefkastenfirma zu gründen. Da brauchen sie natürlich einen Briefkasten. Jedenfalls bekommt er durch die Medien endlich die Aufmerksamkeit, die ihm gebührt. B Hätte es mit Ihnen als Briefkastenfirma auch ein Datenleck gegeben – oder wie sind Ihre Kästen gegen ungewollten Zugriff geschützt? Selbstverständlich nicht. Fremde sind an der Entnahme durch einen Eingriffsschutz gehindert. Das entspricht der gültigen EU-Norm. B Liefern Sie Ihre Produkte nach Mittelamerika? Nach Panama zum Beispiel? Wir liefern nach Amerika, ja. Aber vor allem auf den nordamerikanischen Markt. Wir bedauern, aber die Anwaltsfirma hat leider nicht bei uns angefragt. Da ist uns wirklich ein Geschäft durch die Lappen gegangen. Dafür liefern wir aber nach Luxemburg und in die Schweiz. B Also würden Sie Ihre Briefkästen auch an eine Briefkastenfirma liefern? Natürlich nur, wenn wir nicht wüssten, dass sie eine ist. Aber ehrlicherweise wissen wir nicht immer genau, wo unsere Briefkästen hingehen. Wir beliefern Baustellen, aber unsere Kästen werden auch über den Handel und das Internet vertrieben. Eine Grauzone gibt es zugegeben schon. Wer weiß, vielleicht steht ja einer unserer Kästen in Panama. N „Auf ein Wort“ ist eine Gesprächsreihe von BILANZ-Online. Das ungekürzte Interview mit Thomas Kolbe finden Sie auf www.bilanz.de/redaktion/briefkastenfirma. DANKE FÜR INTERNATIONALE GESCHÄFTE, DIE PERFEKT SITZEN. DANKE, FAMILIE SCHMIDT, DASS WIR SIE BEI IHREN AUSLANDSGESCHÄFTEN UNTERSTÜTZEN DÜRFEN. Sie haben einen reinen Rohstoffhandel zu einem globalen textilen Dienstleister gewandelt. Sie fertigen die neuesten Modetrends vom Entwurf über die Produktion bis zum Handel. Sie machen KAPPA, Chiemsee und Colorado zu einigen von Deutschlands erfolgreichsten Modemarken. Wir sagen dafür Danke – und dafür, dass wir Sie mit unseren Finanzlösungen für den Außenhandel unterstützen dürfen. Unsere Zusammenarbeit mit Familie Schmidt und der Schmidt Group ist nur eine von vielen Erfolgsgeschichten. Erfahren Sie mehr und entdecken Sie unser Allfinanzangebot, maßgeschneidert für den Mittelstand unter deutschland-made-by-mittelstand.de EINE INITIATIVE DER: NAMEN / NACHRICHTEN DIE WELT DES … KASPER RORSTED Mit einem Höhenrekord beim Umsatz hat sich der Däne von der Henkel-Spitze verabschiedet. Im Herbst, wenn er den Vorstandsvorsitz von Adidas übernimmt, muss sich zeigen, ob er wirklich so gut ist, wie er sich findet. 16 Dass Henkel-Chef Kasper Rorsted (54) sich zu allem berufen fühlte, weiß jeder, der ihn kennt. Rorsted leidet nicht unter falscher Bescheidenheit. Vor drei Jahren wollte er Spielführer beim Technikkonzern ABB werden. Zerschlug sich. Wenig später war er beim Gasebetrieb Linde im Gespräch. Beim dritten Anlauf hat es geklappt – freilich erst, nachdem Rorsted in Un- terredungen, die Teilnehmer als lederartig bezeichnen, geklärt hatte, dass er bei Adidas nicht weniger verdienen würde als bei „Persil“, nämlich rund sieben Mio. Euro. In dieser Hinsicht ist Rorsted wie Ronaldo: Man darf sich um alles in der Welt nicht unter, sollte sich aber immer über Wert verkaufen. Im Oktober löst er Adidas-Chef Herbert Hainer ab, der noch mit Illustration / HANS-ULRICH OSTERWALDER 5,8 Millionen Euro nebst Boni fürliebnehmen musste. Das Leben ist schön. In seinen acht Henkel-Jahren hat Rorsted den Börsenwert vervierfacht, Schulden abgebaut, die Umsatzrendite erhöht. Eine große Übernahme ist ihm allerdings nicht gelungen, sein Umsatzziel (20 Mrd. Euro) ist 2016 unerreichbar. Aber das wird ihm keine schlaflosen Nächte bereiten. N BILANZ / MAI / 2016 HUBERTUS VON GRÜNBERG (73) Der damalige ABBVerwaltungsratspräsident vereitelte 2013 Rorsteds Wunsch, an die Spitze des Technikkonzerns in Zürich zu wechseln, was der Däne wenig schätzte. KEVIN PLANK (43) Der US-Markt gehörte schon bei Henkel nicht zu den Stärken von Rorsted. Künftig hat er es dort mit dem Under-Armour-General und Sprücheklopfer Plank zu tun, der Adidas hier bereits überholt hat. HERBERT HAINER (61) Wie Rorsted ist der Noch-Adidas-Leiter ein Similauner. Für seinen Nachfolger setzte sich der derzeit am längsten amtierende DaxChef Hainer persönlich ein. OLIVER BÄTE (51) Die Similauner-Seilschaft allein füllt den ewigen Netzknüpfer Rorsted nicht aus. Mit dem zum AllianzChef aufgestiegenen Bäte pflegt er einen relativ intensiven Austausch. CARLY FIORINA (61) 2004 feuerte die ehemalige Chefin des Computerkonzerns HP ihren EuropaChef. Seitdem tut sich Rorsted schwer mit Frauen in Führungspositionen (siehe Tina Müller). 17 HERBERT HENZLER (74) Der frühere McKinsey-Chef lud Rorsted ein, mit seiner Promi-Bergsteigertruppe Similauner Alpengipfel zu erklimmen. Auch bei Spielen von Bayern München sehen sich die beiden häufiger. TINA MÜLLER (47) Da Rorsted sie nicht zum Vorstand machte, wollte Müller zu Beiersdorf wechseln. Henkel bestand auf einer Klausel in ihrem Vertrag (kein Job bei Rivalen) und schickte Müller fast ein Jahr bezahlt Spazierengehen. FOTOS: PICTURE ALLIANCE (5), FLORIAN MANZ, GETTY IMAGES, MCKINSEY KLAUS BEHRENBECK (48) Der Kölner McKinseyDirektor agiert als eine Art Generalsekretär des halb geheimen Bäte-RorstedZirkels, zu dem als einziger Nichtmanager auch Moderator Günther Jauch zählt. UNTERNEHMEN / MÄRKTE DEUTSCHE BANK INTERN Mit einem satten Gewinn im ersten Quartal hat die Deutsche Bank die Märkte positiv überrascht – zum ersten Mal seit Jahren. Aber wie steht das Geldhaus wirklich da? BILANZ sprach mit den Verantwortlichen im Risiko- und Finanzmanagement: Überzeugen Sie uns, dass Ihre Bank besser ist als ihr Ruf! 18 U T RI SI L IQ ID IT Ä KO Text / ARNO BALZER und MICHAEL GATERMANN BILANZ / MAI / 2016 Viel Lärm um nichts? Oder doch eine Tragödie von Untreue und Verrat à la Julius Caesar? Ende April zelebrierte die Deutsche Bank den 400. Todestag von William Shakespeare auf ganz eigene Weise. Georg Thoma (71), einer der renommiertesten Wirtschaftsanwälte der Republik, langjähriger Consigliere von Oberaufseher Paul Achleitner (59) und als Vorsitzender des Integritätsausschusses eine Art Chefaufklärer im Aufsichtsrat des Instituts, wurde aus dem Kontrollgremium heraus öffentlich angegangen – eine Kabale, die aus der Feder des britischen Dramatikers hätte stammen können. Heckenschützen streuten Gerüchte und Halbwahrheiten über Thomas Aufklärungsdrang. Alfred Herling (63), der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende, ein gelernter Groß- und Einzelhandelskaufmann, unterstellte ihm, dass der eine „juristische Selbstverwirklichung“ verfolge. In der Presse war gleich von einem Aufstand der Aufseher gegen den Juristen die Rede. Die Börse reagierte unverzüglich: Um mehr als vier Prozent sackte die Aktie ab, nachdem sie sich gerade erst von ihrem Allzeittief von knapp über 13 Euro erholt hatte. Ende April hatte die Deutsche Bank einen Börsenwert von nur noch 22 Mrd. Euro – nicht einmal halb so viel wie vor zehn Jahren und weniger als ein Drittel ihres Buchwerts. War das Chaos im Aufsichtsrat vielleicht nur eine Inszenierung, um vom zuletzt lahmenden Geschäft abzulenken? BILANZ wollte wissen, in welchem Zustand sich das Bankhaus befindet, das 145 Jahre lang deutsche Unternehmen und ihr Made in Germany in die Welt begleitet hat und in vergangenen Tagen als ähnlich solide und zuverlässig galt wie die Bundesbank. Wie kommt das neue Management mit den Umbauarbeiten voran? Schafft die Deutsche Bank aus eigener Kraft die Wende? Oder braucht sie dafür womöglich doch noch eine Kapitalerhöhung? Das Umfeld für den Umbau könnte kaum schwieriger sein. Die ersten drei ZWEI MANN IN EINEM BOOT MARCUS SCHENCK (l.) und STUART LEWIS sollen dafür sorgen, dass die Deutsche Bank nicht noch einmal ins Desaster stolpert. Der Finanzvorstand und der oberste Risikomanager arbeiten eng zusammen. Monate 2016 gelten in der Finanzbranche als schlechtestes Quartal für Banken seit mehr als 50 Jahren: International fand kein einziger großer Börsengang statt, und weil Großunternehmen weltweit nur zaudernd investieren, verkümmerte auch das Geschäft mit Anleihen. Obendrein erschweren verschärfte Auflagen der Regulierungsbehörden und die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank das Geldverdienen. Kein Wunder, dass die ohnehin kostspielige Sanierung der Deutschen Bank ihre Bilanz schwer in Mitleidenschaft gezogen hat. Vor wenigen Monaten erst musste sie ihren Rekordverlust von 6,8 Milliarden Euro für 2015 verkünden. Gewaltige 12,4 Milliarden Euro hat das Geldinstitut seit 2012 für Rechtsstreitigkeiten und Strafzahlungen aus der Amtszeit des früheren Vorstandssprechers Josef Ackermann (68) ausgegeben – mehr als das, was FOTOS: PICTURE ALLIANCE, ULLSTEIN die zwei Kapitalerhöhungen im gleichen Zeitraum eingebracht haben. Hinzu kamen die ungelösten Probleme der Firmenkultur: Jahrelang hatten Investmentbanker und Händler der Bank mit gewagten Geschäften ihre Boni optimiert, vom Risikomanagement weder kontrolliert noch gezügelt. Ergebnis: kein Branchenskandal, kein Großprozess, bei dem die Frankfurter nicht vertreten waren. Spurensuche in der Londoner City, Besuch in jenem Sandsteinbau, wo die berüchtigten Investmentbanker der Deutschen Bank so hohe Verluste verursacht haben: Es ist der Amtssitz von Stuart Lewis (50), seines Zeichens Vorstand für Risikomanagement. Seit 20 Jahren arbeitet Lewis bei der Deutschen Bank, er hat die guten und die schlechten Zeiten erlebt. Seit 2012 räumt er das marode Risikomanagement auf. Die Investmentbanker hatten früher 1.600 Produkte, jedes im Schnitt mit sechs mathematischen Modellen zur Errechnung des Risikos. Lewis: „Das ergab eine unglaubliche Komplexität.“ Jede Abteilung hatte sich die Modelle zurechtgebastelt, mit denen sie das gewünschte Ergebnis erzielte. Lewis und seine Leute haben den Dschungel gelichtet, übriggeblieben ist eine überschaubare Bibliothek von 90 Modellen, mit denen alle anfallenden Geschäfte berechnet werden. Zur Freude von Lewis kann jetzt niemand mehr an den Modellen herumschrauben. Während er die Finanzrisiken der Bank nun für beherrschbar hält, kämpft sein Team heute vor allem mit den Problemen, die der Bank durch die teuren und blamablen Prozesse sowie hohen Strafen entstanden sind. Weil Verfahren und Entscheidungen nicht effektiv kontrolliert wurden, haben Mitarbeiter gegen Regeln und Gesetze verstoßen, mal vorsätzlich, mal irrtümlich. Inzwischen hat Lewis definiert, an welcher Stelle welche Kontrollen laufen, welche Toleranzen erlaubt und welche Grenzen einzuhalten sind: Insgesamt 106 nicht finanzielle Risiken 19 UNTERNEHMEN / MÄRKTE 20 hat das Team identifiziert und für jedes einzelne einen Risiko-Kontrollmechanismus installiert. „Früher hatten manche Bereiche bessere, manche schlechtere Kontrollmechanismen, jeder hatte seine eigenen Prozesse“, sagt Lewis. „Wenn wir überall die am besten funktionierenden benutzt hätten, wäre es in den vergangenen Jahren besser gelaufen.“ Seit 2013 müssen sich Händler sowie Investmentbanker der Bank strikt an die vorgegebenen Regeln halten – was im Unternehmen einer Kulturrevolution gleichkommt und als Beleg für eine deutliche Machtverschiebung gilt. Mit einer großen Kraftanstrengung müssen jedoch auch die technischen Voraussetzungen für eine zentrale Risikokontrolle geschaffen werden: Denn die IT-Systeme der Bank sind nicht nur völlig veraltet, sie sind auch nicht integriert. In den wilden Jahren, deren Aufarbeitung heute so viel Energie und Geld verschlingt, konnten die Wertpapierhändler immer wieder sogenannte Insellösungen durchsetzen: „Wenn die damals eine Produktidee hatten“, sagt ein Manager in der Frankfurter Zentrale, „dann lief das immer gleich ab. Der Vorstand gab sein Okay, sagte aber: Da müssen wir zunächst die IT anpassen.“ Die Händler hatten dann stets zwei Lösungen parat: Entweder wir integrieren die Anpassung in das bestehende IT-System – das dauert neun Monate. Oder wir beauftragen ein paar Software-Techniker, die wir kennen – und die bauen uns etwas in drei Monaten. Weil für den alten Vorstand vor allem Tempo zählte, entstand auf diese Weise eine IT-Insel neben der anderen in einem schier unübersehbaren Ozean der Geschäfte. Eine Milliarde Euro kostet es die Deutsche Bank, um die Systeme zu integrieren. Eine Milliarde Euro – wohlgemerkt: pro Jahr. Lewis’ rechte Hand, Stephan Wilken (Head of Model Risk), lobt die inzwischen sehr viel übersichtlichere und nachvollziehbarere Strategieplanung: „Die Bank hat heute einen geringeren Risikoappetit, Risiken und RISIKO-POSITIONEN ABGEBAUT In den sogenannten Non Core Units hat die Deutsche Bank risikoreiche Geschäfte geparkt. (Buchwerte in Milliarden Euro) 95 64 39 27 unter 10 2012 2013 2014 2015 2016* Ertragschancen werden sorgfältiger balanciert.“ Mit seiner Mannschaft, die vorwiegend aus Mathematikern besteht, macht der Diplomkaufmann die Risiken aus dem Geschäftsmodell kalkulierbar: Welche Folgen hat das Nullzinsumfeld, welche das Aufkommen von internetbasierten Wettbewerbern, welche Konsequenzen ergeben sich aus den neuen Regulierungen für das Gesamtrisiko und die Eigenkapitalsumme, die dem gegenüberstehen muss? Auch hierin zeigt sich, wie sich die Machtverhältnisse in der Deutschen Bank verschoben haben: Heute können Risikomanager mit einem Veto Geschäfte stoppen, wenn in dem entsprechenden Bereich das Limit erreicht ist. Als Ertragsbremse verstehen sich die flinken Rechner nicht, im Gegenteil. „Das Eigenkapital ist nun einmal der limitierende Faktor“, sagt Wilken, *BILANZ-SCHÄTZUNG QUELLE: DEUTSCHE BANK „und wir sorgen dafür, dass es vorsichtig und sinnvoll eingesetzt wird.“ Angestrebt werden langfristig gute Geschäfte: „Nachhaltige Kundenverbindungen machen die Bank seit 145 Jahren stark.“ Anders als Lewis und Wilken, die sehr zurückhaltend argumentieren, nimmt in Frankfurt Peter Yearley (Chief Risk Officer für Geschäftskunden und Investmentbanking) kein Blatt vor den Mund und rühmt die zurückgewonnene Funktions- und Leistungsfähigkeit der Bank: „Wir haben eine sehr starke operative Ertragsbasis“, sagt der US-Amerikaner. Die Kreditrisiken der Bank lägen rund 30 Prozent niedriger als bei vergleichbaren internationalen Geldhäusern, die Qualität der Anlagen sei Spitze. Yearley: „Among the best on the street.“ Kein Grund zur Besorgnis also – auch nicht wegen der extrem hohen Position an Derivaten, jenen komplizierten Finanzprodukten, die 2008 die Finanzkrise mit ausgelöst haben? In Sachen Derivate gehört die Deutsche Bank, zusammen mit J.P. Morgan, zur Weltspitze: Papiere für rund 50 Billionen Dollar – das 17-Fache des deutschen Bruttoinlandsprodukts – stehen in den Büchern. Was, wenn in einer Krise einige Geschäftspartner insolvent werden? Rutscht die Deutsche Bank dann in die Pleite? Kein Problem, sagt Yearley, denn mit jeder einzelnen Bank balanciere sein Institut Geliehenes und Verliehenes weitgehend aus. Gehe ein Partner pleite, stehe höchstens die Differenz der Beträge im Risiko. Und diese Risiken summierten sich über alle Derivategeschäfte auf rund 50 Milliarden Dollar. Das läge auf dem Level anderer großer Investmentbanken. Alles in bester Ordnung also? Bislang stimmt nur die Richtung: „Die Bank ist noch nicht da, wo sie hin muss“, sagt Finanzvorstand Marcus Schenck (50). Das Unternehmen habe eine Eigenkapitalquote („Core Tier 1“, Kernkapital) von elf Prozent, das Ziel sei mindestens 12,5 Prozent. In diesem Jahr wird es auch nichts mit dem BILANZ / MAI / 2016 Eigenkapitalaufbau; wegen der Kosten für Personalabbau, IT-Infrastruktur, Rechtskosten sowie dem Abbau von Positionen, die nicht mehr zum Kerngeschäft zählen („Non core units“), dürfte die Eigenkapitalquote 2016 etwas sinken – trotz des überraschend positiven ersten Quartals. Schenck hat sein Vorstandsamt erst vor zehn Monaten übernommen. Bei Goldman Sachs war er einst für Fusionen und Übernahmen zuständig sowie für das Firmenkundengeschäft, später durchlitt er als Finanzchef bei Eon die Energiewende samt Absturz des Unternehmens. In Sachen Bankbilanzen ist er ein Lehrling, gilt indes als einer, der fix begreift. In der Deutschen Bank agiert er schon als rechte Hand von Bankchef John Cryan (55), manch einer sieht ihn als dessen potenziellen Nachfolger. Bei Goldman Sachs ist ein einziger Vorstand sowohl für das Risikomanagement als auch für das Finanzressort zuständig – die Deutsche Bank hält beide Geschäftsbereiche getrennt, obwohl sie naturgemäß viele Überschneidungen aufweisen. Für Schenck ist das kein Problem. Er hat engen Kontakt zum Kollegen Lewis, in London liegen ihre Büros auf derselben Etage direkt nebeneinander. „Wir arbeiten Hand in Hand mit gemeinsamen Teams für die Datenproduktion“, sagt Schenck. Die Kollegen beziffern das Risiko eines Geschäfts, verknüpfen den Wert mit den erwarteten operativen Ergebnissen. „Im Risikokomitee wird das dann beraten und entschieden.“ Als Resultat wird manches Geschäft dann aufgegeben: So definierte die Deutsche Bank 2012 insgesamt Risiken von 142 Milliarden Euro als nicht mehr zum Kerngeschäft gehörend. Dabei handelte es sich um Kredite, Finanzierungen und Finanzprodukte entweder in Geschäftsfeldern, Ländern oder mit Partnern, mit denen man künftig keine oder deutlich weniger Geschäfte machen will. Diese Risikopositionen seien inzwischen auf 30 Milliarden Euro abgebaut, Ende des Jahres soll nur noch ein LIQUIDITÄT GESTEIGERT Nach der Finanzkrise waren die liquiden Mittel knapp, heute gibt es wieder ein Finanzpolster. (in Milliarden Euro) 215 55 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 einstelliger Milliardenbetrag in den Büchern stehen. Da handelt es sich dann um Geschäfte wie beispielsweise komplexe und langfristige Baufinanzierungen in Italien, für die möglichst kapitalschonend – sprich: den Buchverlust kleinhaltend – Käufer gesucht werden. Zwischen einer und anderthalb Milliarden Euro Verlust pro Jahr nimmt die Bank für die Rückführung in Kauf. „Aus meiner Sicht ist der Abbau dieser Bestände eine wirkliche Erfolgs-Story“, sagt Marcus Schenck. Auch bei den rund tausend Rechtsstreitigkeiten, die das Institut plagen, sieht der Finanzvorstand einen Hoffnungsschimmer. Für die beiden teuersten Fälle, die zu erwartende Strafe für die Beteiligung an der Hypothekenkrise in den USA sowie die vermutete Hilfe bei Geldwäsche in Russland, seien mit 5,5 Milliarden Euro 2015 genügend hohe Rückstellungen gebildet. QUELLE: DEUTSCHE BANK Die übrigen Probleme erreichten nicht diese Dimensionen. „Wir werden auch in diesem Jahr noch Aufwendungen für Rechtsprobleme verbuchen, aber voraussichtlich nicht in dem Maße wie im vergangenen Jahr“, sagt Schenck. Der Finanzvorstand wünscht sich, künftig statt über Rechtsprobleme eher über das operative Ergebnis der Bank berichten zu können. „In unserem Gesamtverlust in 2015 von 6,8 Milliarden Euro stecken immerhin Sondereffekte von zwölf Milliarden Euro“, rechnet er vor, „da hört kaum einer mehr zu, wenn man über operative Stärken spricht.“ Um diese auszubauen, hat sich die Bank ein Kostensenkungsprogramm verordnet. Unter anderem werden rund 200 Filialen geschlossen, nicht zuletzt, weil immer mehr Privatkunden ihre Bankgeschäfte elektronisch erledigen. Kurzfristig ist allerdings wenig Entlastung zu erwarten: Erstens läuft die Kostensenkung schleppend; zweitens kostet sie zunächst mal Kapital, rund eine Milliarde Euro Belastung sind für 2016 einkalkuliert. Wie will Finanzvorstand Schenck die Anleger davon überzeugen, dass er keine Kapitalerhöhung mehr braucht? Indem die Bank organisch Kapital erzeugt – über Gewinne, die nicht ausgeschüttet werden – und den Abbau von Positionen, für die hohes Eigenkapital vorgehalten wird. Er weiß, dass er dem Markt zeigen muss, dass die Bank die Altlasten abverkaufen kann. Wenn das doch immer so gut gelingen würde wie mit der Beteiligung an der chinesischen Hua-Xia-Bank, deren Verkauf so lukrativ war, dass die Kernkapitalquote der Bank dadurch um rund ein halbes Prozent zulegen wird. Die Verträge mit den chinesischen Käufern wurden kurz vor dem großen Einbruch der China-Wirtschaft unterschrieben. „Manchmal braucht man auch etwas Glück“, kommentiert Schenck. Ein Mitarbeiter kolportiert, warum der Vertragsabschluss damals so schnell gehen musste: Der Finanzvorstand wollte in den Skiurlaub aufbrechen. U 21 GELDANLAGE // SPEZIAL Texte / BENJAMIN FEINGOLD und DANIEL SAURENZ Illustrationen JACOB EISINGER 22 BILANZ / MAI / 2016 GELDANLAGE 4.0 Anleihen mit Null-Rendite, Bankkonten mit Negativzinsen: Für den Sparer sind die Zeiten grauenhaft. Wohin mit dem Geld? Wir haben Vorschläge – für Glücksjäger und Gewissenhafte und für Leute, die wie Profis investieren wollen. 4,7 % RENDITE ZEHNJÄHRIGER BUNDESANLEIHEN 3,7 % 2006 2016 0 AUF NUMMER SICHER Mit Anleihen sind keine vier Prozent mehr drin – das zahlen nur unsichere Kandidaten. Aber es gibt aktienbasierte Papiere mit Puffer gegen Verluste. Vor zehn Jahren sprangen noch vier Prozent bei Bundesanleihen heraus – allgemein als das Sicherste vom Sicheren angesehen. Heute bringen die Staatspapiere knapp über null Prozent, für Schweizer Anleihen wird sogar ein negativer Zins fällig: eine Parkgebühr. War in den besseren alten Zeiten ein risikoloser Zins eben noch möglich, hat sich die Lage zum zinslosen Risiko gewandelt. Wenn aber Risiko, dann doch bitte mit anständiger Rendite. Mit Staatsanleihen aus Industrieländern sind ordentliche Zinsen nicht mehr zu erzielen. Selbst die zehnjährige spanische Staatsanleihe – die nur denen als sicher gelten kann, die an gemeinsame europäische Haftung, also deutsche Zahlungsbereitschaft glauben – wirft gerade einmal enttäuschende 1,5 Prozent ab. Hybride: Definierte Renditechancen (inklusive Dämpfer) Um eine Renditechance von vier Prozent zu ergattern, müssen sich Anleger am Aktienmarkt umschauen. Was aber nicht unbedingt für eine Eilmeldung taugt. Man weiß, dass an der Börse sowohl wesentlich höhere Renditen zu erzielen sind als auch gallebittere Verluste. Wer die Chancen maxi-, die Risiken aber minimieren will, kauft Zertifikate oder anderes Material, das definierte Renditemöglichkeiten bietet und gleichzeitig Puffer gegen Kursverluste – sogenannte Hybride. Ein solches Mischwesen ist zum Beispiel ein Discountzertifikat. Einjährige Papiere „auf den Dax“ etwa bieten zurzeit eine Rendite von vier Prozent, sofern der deutsche Leitindex in einem Jahr nicht unter 8.900 Punkte fällt. „Bei einem Discountzertifikat erwerben Anleger einen Basiswert wie den Dax zu einem Discount“, sagt Markus Bärenfänger, Zertifikatexperte der DZ Bank. „Gleichzeitig bestimmt der Discount die Renditechance und wirkt wie ein Risikopuffer gegen fallende Kurse.“ In dem ausgewählten Zertifikat beträgt der Puffer 17,6 Prozent, Verluste entstehen ab 8.550 Punkten. Bei allen Discountzertifikaten gilt: je höher der Discount, desto geringer die Renditechance und umgekehrt. Börsengehandelte Fonds und Memory-Express-Zertifikate Eine andere Methode, die Chancen zu nutzen, die der Aktienmarkt bietet, und gleichzeitig die Gefahren zu bannen, die er von Natur aus stets heraufbeschwört, ist der Einstieg in einen börsengehandelten Fonds (Exchange Traded Funds), der kaum Gebühren kostet und substanzstarke Aktien umfassen sollte, die hohe Ausschüttungen erwarten lassen, zum Beispiel der „ETF SG Global Quality Income“ des französischen Anbieters Lyxor: „Dieser weltweit agierende Aktien-ETF berücksichtigt großkapitalisierte Firmen mit hoher Profitabilität, guter Liquidität und ausgewiesener Bilanzstärke, die eine Dividendenrendite von mindestens vier Prozent aufweisen“, sagt Heike Fürpaß-Peter, die den Privatkundenvertrieb bei Lyxor leitet. Die meisten Aktien dieses ETFs sind US-amerikanischer, australischer und britischer Herkunft; die Ausschüttungsquote betrug zuletzt 4,36 Prozent. Da die Dividende selbst jedoch nur einen Teil des Ertrags ausmacht, können Anleger auch noch aus der Kursentwicklung selbst ihren Vorteil ziehen. Die Basis bildet aber jene vierprozentige Dividendenrendite. 23 GELDANLAGE // SPEZIAL Eine weitere Möglichkeit sind Memory-Express-Zertifikanoch die volle Rendite ein. Denn ausgefallene Zinskupons te. Sie haben sich sogar in der Finanzkrise nach 2008 sehr können auch eingelöst werden, wenn der Basiswert erst an gut bewährt. Das Papier in unserer Tabelle wettet auf den einem der folgenden Stichtage die Schwelle erreicht. Am europäischen Leitindex Eurostoxx 50. Anleger erhalten eiLaufzeitende schützt eine tiefere Barriere, die eine Rücknen Zinskupon, also einen Anspruch auf eine Zinszahlung zahlung des Nennbetrags plus Zins ermöglicht. von vier Prozent, wenn sich das Zertifikat stabil entwickelt Alle Anlagealternativen bieten eine Renditechance und zu einem vorher festgelegten Stichtag über einer bevon vier Prozent im Jahr, bei kalkulierbarem Risiko. stimmten Kursschwelle im Kursverluste sind aber Eurostoxx 50 liegt. Ein kräfjeweils möglich. Anders WERTPAPIERE MIT RISIKOPUFFER tiger Kursanstieg für die als die beiden ZertifikatWKN* KURS** Auszahlung des Zinskupons varianten partizipiert der Lyxor ETF SG Global Quality Income LYX0PP 120,40 ist nicht einmal notwendig, ETF natürlich unbegrenzt im Gegenteil – häufig darf an steigenden Kursen. DaDiscountzertifikat auf den Dax*** HU390P 85,40 der Basiswert sogar ein ganfür fehlt ihm aber das Kiszes Stück weit fallen, und sen zur Absicherung nach Memory-Express-Zertifikat SE0V2X 99,50 man streicht am Ende denunten. G *WERTPAPIERKENNNUMMER **IN EURO / STAND: ENDE APRIL 2016 ***CAP: 8.900 PUNKTE, MAX. RENDITE 4%; QUELLE: FINANZEN.NET INVESTIEREN WIE IM RAUSCH Wer auf die sittliche Ordnung pfeift, macht Zaster mit dem Laster: US-amerikanische Marihuana-Aktien sind hier die Anlage der Wahl. 24 Moralische Biegsamkeit und ethische Elastizität bietet an der Börse allerhand Vorteile. Die großen Tabak- und Rüstungskonzerne haben sich als verlässliche Geldanlagen erwiesen, und seit der Freigabe des Cannabis-Konsums in 23 US-Bundesstaaten sind zahlreiche börsennotierte Gesellschaften gegründet worden. Man hat sie in einem eigenen Aktienindex registriert (www.marijuanaindex.com). Die Kurse schwanken wie verrückt, aber es ist jede Menge Dampf und Gewinn drin. In der Marihuana-Branche sind meist kleinere Unternehmen tätig. Dennoch wird der Industrie eine rauschende Zukunft prophezeit. In diesem Jahr soll sich der Cannabis-Umsatz auf fast sieben Milliarden Dollar radikalisieren, für 2020 werden mehr als 21 Milliarden erwartet. Konservative Kräfte und Anleger durchfröstelt es: Die Aktienkurse schwanken extrem. Die Aktie des kleinen Marihuana-Spezialisten Cannavest zwirbelte sich wie im Rausch zwischen Mitte 2013 und Anfang 2014 von rund zehn auf bewusstseinserweiternde 165 Dollar, um danach auf 44 Cent Turkey-artig zu ernüchtern. Immer noch schwankungsanfällig, aber mit soliderer Grundlage stellen sich Aktien von Unternehmen dar, die Medikamente auf Basis von Cannabis entwickeln und dergestalt eine gewisse Ähnlichkeit mit Biotech-Firmen haben. GW Pharmaceuticals zum Beispiel, die erst im März ein erfolgversprechendes Hanf-Medikament gegen Epilepsie präsentiert hat. Der Kurs der Aktie verdoppelte sich danach. Aber immer gilt: Cannabis-Aktien sind nur für sehr risikofreudige Anleger die richtige Wahl. G WILDE KURVE: DER MARIHUANA-INDEX 260 Punkte 227 Punkte April 2016 Januar 2016 QUELLE: MARIJUANA STOCKS DATA & NEWS 168 Punkte BILANZ / MAI / 2016 GIBT ES SICHERE AKTIEN? Nein, gibt es natürlich nicht. Aber die richtige Auswahl und ein vernünftiges Sortiment können das Risiko auf ein Mindestmaß begrenzen. 25 Gewinnausschüttungen sind der neue Zins – behaupten die Promoter der Aktie. Die Aussage ist natürlich Blödsinn, denn ein Investment in eine Aktie ist meist unsicherer als ein selbiges in ein festverzinsliches Papier. Eine ordentliche Dividende ist für jeden Anleger die Sahnehaube, in einem Null-Zins-Umfeld noch viel mehr als sonst. Anleger sollten aber neben der Dividendenrendite stets die Perspektive des Unternehmens im Blick haben – RWE und Eon haben bis vor Kurzem auch sehr ordentliche Dividenden gezahlt und stecken inzwischen heillos in Schwierigkeiten. Ein gutes Paket bietet Daimler, das seine Aktionäre gerade mit einer Rekorddividende von 3,25 Euro je Aktie begeistert. Das entspricht einer Rendite von 5,2 Prozent und Platz zwei im Dax hinter Eon (5,4 Prozent). Die Ausschüttungssumme von 3,48 Mrd. Euro ist Spitzenwert im DAX. „Mit der Dividende drücken wir unsere Zuversicht über den weiteren Geschäftsverlauf aus“, sagte Vorstandschef Dieter Zetsche. Diese Zuversicht teilen auch die Börsenfachleute. Sie sagen voraus, dass der Gewinn AKTIEN FÜR ÄNGSTLICHE WKN * KURS DIV.-RENDITE Daimler 710000 62,90 € 5,2 % Allianz 840400 150,70 € 4,5 % Münchener Rück 843002 171,50 € 4,5 % Telefónica 850775 9,90 € 7,5 % Apple 865985 85,90 € 2,0 % weiter steigen würde, weshalb die Dividende für 2016 auf 3,44 Euro klettern soll. Zu den Dividendenkönigen im Dax gehören auch Allianz (Rendite: 4,5 Prozent) und Munich Re (4,5 Prozent). „Die Versicherer glänzen mit einer starken Profitabilität und Kapitalisierung – sprich Substanz – und erhöhen daher die Auskehrung“, sagt Michael Proffe vom Börsendienst * WERTPAPIERKENNNUMMER QUELLE: FINANZEN.NET, BILANZ-RECHERCHE / STAND: ENDE APRIL 2016 GELDANLAGE // SPEZIAL Proffes Trendfolge Depot. Gewiss, die Versicherungskonzerne bekommen das Niedrig-Zins-Umfeld zusehends zu spüren, dennoch geht Proffe davon aus, dass sie die Gewinnausschüttungen weiter erhöhen würden. Die Münchener Rück hatte nicht einmal nach der Lehman-Brothers-Krise ihre Dividende gekürzt, die Bayern sind ein Beispiel an Beständigkeit. Damit sollten die Aktien auch in verwirbelten Zeiten an der Börse zu den stabileren Werten gehören. Eine noch höhere Dividendenrendite erhalten Aktionäre des spanischen Telekomriesen Telefónica: Firmenchef César Alierta hat Investoren für 2016 sogar eine Dividende von 0,75 Euro pro Aktie in Aussicht gestellt. Angesichts einer Nettoverschuldung von 49,9 Mrd. Euro gehen die Analytiker aber von lediglich 0,71 Euro aus. Das reicht immer noch für eine Rendite von 7,5 Prozent. Damit ist Telefónica mit weitem Abstand der Spitzenreiter im Eurostoxx 50, dem Index der größten europäischen Börsenfirmen. Für die Aktie spricht auch, dass sie mit einem KGV von 13,1 die am günstigsten bewertete Telekom-Aktie aus Europa ist. Hingegen gehört die Dividendenrendite von Apple mit lediglich zwei Prozent zu den niedrigsten im Dow Jones. Umso mehr spekulieren Investoren, dass der „Iphone“Hersteller die Quartalsdividende von aktuell 0,52 Dollar bald aufstocken wird. Auf der Hauptversammlung Ende Februar hatte Vorstandschef Tim Cook gesagt, der Konzern werde die Ausschüttung jedes Jahr erhöhen. Gene Munster, Börsenfachmann bei Piper Jaffray, geht zudem davon aus, dass Apple das Aktienrückkaufprogramm um 30 bis 50 Milliarden Dollar aufstocken wird – was die Kursentwicklung kräftig treiben würde. Pfiffige Anleger behalten eben nicht nur die aktuelle Dividende im Blick, sondern bewerten auch die Gewinnaussichten für die nächsten Jahre. Wenn beide Perspektiven stimmen, heißt es: kaufen. G WOHIN LAUFEN DAX & DOW? Kein Wunder, dass sie so häufig danebenliegen: Börsianer stützen ihre Vorhersagen auf die eigenartigsten Kennziffern und merkwürdigsten Verzeichnisse. 26 FÄLLT DER SOTHEBY’S-KURS, DANN AUCH DER S&P 500* April 2016 April 2015 S&P 500 Sotheby’s * AKTIENKURSE INDEXIERT QUELLE: FINANZEN.NET Die Börse ist ein Ort des Aberglaubens. Aus den sonderlichsten Vorgängen versuchen Spekulanten die Zukunft von Aktienpreisen vorherzusagen. Die sogenannte technische oder Chart- Analyse gründet sich beispielsweise auf den Geisterglauben, dass man aus den Kursen von gestern die Kurse von morgen herleiten könnte. Aber es geht noch irrer: Der frühere New Yorker Hedgefonds-Manager Turney Duff soll seine Anlageentscheidungen von der Auslastungsquote der örtlichen Escort-Services abhängig gemacht haben. Wenn die Callgirls wenig zu tun hatten, nahm er das als Indiz dafür, dass die Börsianer schlecht drauf waren und ein Kurseinbruch zu erwarten stand. Dringenden Bedarf an Escort-Dienstleistungen deutete er als Vorankündigung eines Bullenmarktes und steigender Kurse. Andere schauen auf die Anzahl der Restaurantbesuche sowie die Umsätze (www.restaurant.org/News-Research/ Facts-at-a-Glance). In Zeiten der Zuversicht bestellen die Leute Wagyu-Rind und Kaviar, sonst Hamburger und Pommes. Privatanleger können sich einen anderen Indikator für die Börsenentwicklung anschauen: die Aktie von Sotheby’s. Rekordpreise bei Kunstauktionen beflügeln die Aktie. Herrschen dagegen Sorgen, macht auch Sotheby’s keine guten Geschäfte. Bereits die Börsenkräche 2008 und 2011 etwa hatten sich bei Sotheby’s angekündigt. Bis heute funktioniert der Auktionsanhalt recht zuverlässig. G BILANZ / MAI / 2016 KAPITALANLAGEN FÜR FORTGESCHRITTENE Wen Aktien langweilen und Anleihen ermüden, der kann sich mit Zertifikaten vitalisieren und auf Rohstoffpreise und Dividenden wetten. Prognosen sind schwierig, jedenfalls wenn sie die Zukunft betreffen: So spottete der Quantenphysiker Niels Bohr (1885 – 1962) einst über die Heisenberg’sche Unschärferelation. Börsianer schreckt das nicht, sie weissagen frohgemut drauflos. Fröhlich wetten sie beispielsweise auf die Entwicklung des Ölpreises, und Privatanleger können sich ihnen anschließen. Der Ölpreis hat seit 2014 mehr als die Hälfte seines Wertes verloren, und die einen und die anderen wollen von einer möglichen Erholung profitieren. Unmittelbar in den Ölpreis lässt sich nicht investieren, das geht nur über den Terminmarkt. Dort werden heute die Preise von morgen gehandelt, es gibt also mehrere Kurse für den Rohstoff Öl, je nach Fälligkeitsdatum der Terminkontrakte. Wer über Zertifikate oder andere Papiere dort sein Geld anlegen will, muss daher die Erwartungen in die Kalkulation eines Produkts auf den Ölpreis einbeziehen. Klingt kompliziert, ist aber simpel. Terminpreise entscheiden über Gewinn oder Verlust Wer etwa mit einem Indexzertifikat auf einen steigenden Ölpreis setzen will, sollte sich die Terminpreise anschauen, um zu sehen, wie seine Chancen stehen. Notiert nämlich der künftige Ölpreis oberhalb des aktuellen Ölpreises, muss der Ölpreis bis zu diesem Termin mindestens auf den künftigen Ölpreis steigen, damit er keinen Verlust erleidet. Mit anderen Worten: Die positiven Erwartungen des Marktes müssen übertroffen werden. Wenn der Ölpreis die Erwartungen zu dem jeweiligen Termin nicht übertrifft, entstehen Verluste, selbst wenn der Anleger die Entwicklung des Kurses richtig eingeschätzt haben sollte. Läge umgekehrt der Terminkurs unterhalb des aktuellen Kurses, wäre es einfacher, mit einem Indexzertifikat Geld zu verdienen. Der Kurs müsste sich bis zur Fälligkeit nur stabilisieren. Überraschungen verbergen sich auch bei so mancher Aktie mit hoher Dividendenrendite (Dividende durch Aktienkurs mal 100): Diese ist nämlich nicht immer und unbedingt auf eine gute Geschäftsentwicklung mit steigenden Ausschüttungen zurückzuführen. WETTEN AUF ÖLPREIS UND DIVIDENDEN Manchmal fällt der Aktienkurs stärker als die Dividende, wie beispielsweise zuletzt bei RWE und Eon. Zwar hatten die Unternehmen ihre Ausschüttung nach und nach gekürzt, aber der Aktienkurs fiel wegen der Energiewende noch steiler und tiefer, sodass die Dividendenrendite ihrerseits stieg. Wer nicht in diese Falle tappen will, der kann mit einem Indexzertifikat direkt auf die Dividenden-Erwartungen der Aktien im Eurostoxx 50 setzen (WKN: TB9C34). Matthias Hüppe von der HSBC erklärt den Unterschied zu anderen Dividenden-Investments: „Das Zertifikat bietet weitgehend losgelöst von den Kursbewegungen der Aktien ein Investment in die Ausschüttungen der im Eurostoxx 50 enthaltenen Unternehmen.“ Das heißt, dass sich die Renditechance vor allem an den Dividenden-Erwartungen orientiert und nicht an der Aktienkursentwicklung. Derzeit können bis zum Verfall im Dezember 2017 10,5 Prozent Rendite eingefahren werden – wenn die Prognose stimmt. G WKN* KURS** LAUFZEIT SPREAD ** Indexzertifikat Brent-Öl *** CD0F1T 44,00 unbegrenzt 0,02 Discountzertifikat Brent-Öl *** DG74G1 38,10 21.12.2016 0,02 Indexzertifikat Dividenden-Index Eurostoxx 50 TB9C34 113,20 22.12.2017 0,30 * WERTPAPIERKENNNUMMER ** IN EURO / STAND: ENDE APRIL 2016 *** WÄHRUNGSGESICHERT QUELLE: FINANZEN.NET 27 GELDANLAGE // SPEZIAL FÜNF FRAGEN AN… Der eine geht zum Pferderennen, die andere kauft ein Haus in der Provence: Wie die Wirtschaftsprominenz ihr Geld anlegt. 1. 2. 3. 4. 5. Meine erfolgreichste, meine schlechteste Anlage-Entscheidung. Der beste Rat in Gelddingen, den ich je bekommen habe. Anlagetipps, denen ich vertraue. Hobbys und Geldanlagen, die ich miteinander verbinde. Was ich vom Sparen halte. Hobby ist Hobby, da mach’ ich auch mal etwas Unvernünftiges und genieße es. Geldanlage fällt in meinen Augen eher in die Kategorie regelmäßiger Vorsorgeuntersuchungen. Wenn man dranbleibt, schafft man eine solide Basis für die eigene Zukunft. Und wenn man gute Ergebnisse bekommt, kann man gut schlafen. 5. Davon halte ich viel – allerdings nicht vom klassischen Sparbuch oder vom Sparschwein. Sparen heißt heute, im persönlich möglichen Rahmen verschiedene Anlageformen mischen. Und vor allem, früh damit anfangen – ohne sich gleich an langfristige Verträge zu binden. 4. 28 CHRISTINE BORTENLÄNGER (50), Banklehre, Mutter mit 21, BWL-Studium, stellvertretende Geschäftsführerin der Münchener Börse mit 31, heute Chefin des Deutschen Aktieninstituts. Am erfolgreichsten bin ich mit einer Mischung von Aktien namhafter europäischer Unternehmen, die ich sehr langfristig in meinem Depot halte. Das sind alles Unternehmen, die ich gut einschätzen kann, weil man über sie regelmäßig Informationen in den Medien erhält. Die schlechteste war die Alpine-Anleihe. Da habe ich fast den gesamten Einsatz verloren. 2. „Hin und her macht Taschen leer“, so sagt man unter erfahrenen Börsianern. Will heißen, Langfristigkeit ist Trumpf, schnelles Rein und Raus kostet Provision und hat häufig eher Wettcharakter. 3. Ich informiere mich lieber selbst – bin aber auch täglich sehr nah dran am Wirtschaftsgeschehen und an der Diskussion über weltweite Megatrends. 1. MARK HOFFMANN (30), feuriger Vertreter der neuen Medienwelt und Mitgründer sowohl wie Chef des Digitalverlags Vertical Media (u.a. Gruenderszene.de) in Berlin, an dem auch Axel Springer – zu dem BILANZ gehört – beteiligt ist. Facebook und Twitter. Welche die erfolgreiche und welche die schlechtere Wahl war, ist leider zu offensichtlich. 2. Puh. Eigentlich, dass man nicht über Geld spricht. 3. Bei Start-up Investments definitiv, bei Public Companies nicht, nein. 4. Nein, es sei denn Kinder gelten als Hobby und Geldanlage. 5. Leider keine große Tugend meinerseits, wobei ich seit dem ersten Kind damit angefangen habe. Man sollte früh mit kleinen Beträgen anfangen, aber solche Tipps kann man detaillierter woanders lesen. 1. Illustration JACOB EISINGER BILANZ / MAI / 2016 LIANE BUCHHOLZ (51) ist BWL-Professorin in Berlin und Geschäftsführerin des Bundesverbands Öffentlicher Banken Deutschlands. HANS ALBRECHT (60), Mitgründer des Münchener Finanzinvestors Nordwind Capital und Eigentümer einer 400 Jahre alten Finca auf Mallorca. „Wer kauft, was er nicht braucht, muss bald verkaufen, was er braucht!“ Dieser Leitsatz hat mich schon als Kind zum Sparen angehalten und sich bis heute nie als falsch herausgestellt. 3. Beim Kauf unseres Hauses in den 90ern hatten wir viele Fragen und waren auch unsicher, ob der Kauf richtig ist, da half uns die Beratung in unserer Bank schon sehr! 4. Ich glaube, man sollte Geldanlage und Hobbys eher trennen. So strahlt die Enttäuschung über eine nicht erfolgreiche Geldanlage nicht doppelt in die Freizeit. Und in der Regel sind Investments in Münzen, Briefmarken oder Schmuck auch keine Renditetreiber im eigenen Portfolio. 5. Ich kann voll Überzeugung nur zum Sparen animieren, auch wenn man in einer Nullzinsphase die Produkte natürlich anders auswählen muss als noch vor einigen Jahren. Da weicht dann sicherlich die Lebensversicherung dem Aktiensparplan. Die erfolgreichste: Immobilien in Berlin 2003 bis 2005 sowie diverse privat gehaltene Unternehmensbeteiligungen und vor allem das Eisenbahn-Verladesystem Cargobeamer. Die schlechteste, aber vergnüglichste: der Kauf und die Restauration mehrerer großer klassischer Segeljachten. Die schlechteste absolut: jede Anlage in Publikumsfonds. Das Einzige, was dort in den Projektionen immer gestimmt hat, waren die Gebühren. Die versprochenen Renditen hat kein einziger Publikumsfonds je erreicht, in dem ich investiert habe – außer der Carlyle-Fonds und unsere eigenen. 2. Most of my friends ran out of time, not out of money. 3. Nein! Insbesondere keinen in Zeitschriften (too much front running). 2. ULRICH BETTERMANN (69), Seniorchef der Elektrotechnikfirma Obo Bettermann aus Menden im Sauerland. 2015 hat der Mittelständler erstmals mehr als 500 Mio. Euro erwirtschaftet. Eine unserer erfolgreichsten Entscheidungen war es, die Firma O-Line in Südafrika mit 850 Mitarbeitern und einer Kapitalrückflusszeit von viereinhalb Jahren zu übernehmen. Die schlechteste Entscheidung war es, die Schweizer Firma Umacon zu kaufen, wo die Bilanzen trotz Due Diligence dann doch gefälscht waren und wir als Ausländer vom Schweizer Gericht in erster und zweiter Instanz kein Recht bekommen haben. 3. Ich habe vor vielen Jahren Gold für 367 Dollar pro Feinunze gekauft, deren heutiger Preis um die 1.150 Dollar steht. Ich vertraue keinen Anlagetipps, sondern entscheide selbst, wenn mir etwas auffällt, um dann die Anlage selbst zu tätigen. 4. Ich besitze zwar ein paar Oldtimer, verbinde damit jedoch keine Geldanlagen. 5. Ich halte sehr viel vom Sparen und bin der Meinung, dass man sich nur etwas leisten kann, wenn man das Geld dafür auch hat, und nicht versucht, über Leasing und andere Formen der Finanzierung sich nach außen darzustellen. 1. 1. HUBERTUS VON GRÜNBERG (73), von 1991 bis 2009 Vorstands- und später Aufsichtsratschef von Continental. Zuletzt – bis 2015 – Verwaltungsratsvorsitzender von ABB. Die erfolgreichste Entscheidung war, ein eigenes Unternehmen zu gründen; die schlechteste, dass ich auf dem Höhepunkt der Euro-Krise beschränkte Maßnahmen zur Minderung des Euro-Risikos getroffen und ein paar Schwellenländer-Papiere gekauft habe. 2. Der Abschied von jener Bank, die Geldanlagen empfohlen hat, bei denen sie besonders gut verdiente, ich aber nicht. Später erfuhr ich, dass die Filiale entsprechende Auflagen der Zentrale erfüllen musste. 5. Ich spare immer noch – natürlich war es nie so schwer, dabei zu verdienen. 1. NIKLAS ÖSTBERG (36), Schwede und Chef von Delivery Hero in Berlin, einem der weltweit größten Essenslieferdienste. Mein erstes eigenes Geld floss in eine Firma, die ich 2007 gründete: Pizza.nu. Am Ende betrug die Rendite etwas mehr als das Hundertfache vom Einsatz. Das zweitbeste 1. FOTO: FLORIAN MANZ 29 GELDANLAGE // SPEZIAL Invest ment war meine zweite Firma, die ich 2011 gegründet habe: Delivery Hero. Hier stehen wir kurz davor, mein ursprüngliches Investment zu verhundertfachen. 4. In eine Unternehmerpersönlichkeit zu investieren, die dabei ist, ein Start-up aufzubauen, hat fast schon was vom Kauf eines Gemäldes, das noch nicht vollendet ist. Leider habe ich für dieses Hobby nicht allzu viel Zeit, aber gelegentlich finde ich Start-ups, bei denen ich nicht widerstehen kann, zu investieren. 5. Mein einziges teures Bedürfnis war schon immer der Aufbau von Start-ups. Nachdem ich meine ersten 50.000 Euro gespart hatte, habe ich alles in mein eigenes Startup gesteckt. Wenn ich damit gescheitert wäre, dann hätte ich eben noch mehr sparen müssen – für die Gründung des nächsten Unternehmens. KARL FRIEDRICH FÜRST VON HOHENZOLLERN (64), Herrscher auf Schloss Sigmaringen (462 Zimmer), drittgrößter Waldbesitzer der Republik (15.000 Hektar) sowie Sänger und Saxofonist in einer Jazz-Gruppe (Quintett). 30 1. Die erfolgreichste war der Kauf von Wald vor acht Jahren, für den man heute den doppelten Preis zahlen müsste. Die schlechteste war die Anlage in einer an den Schweizer Franken gekoppelten Lebensversicherung. 2. Als gelernter Bankfachmann habe ich mich nie auf Empfehlungen eingelassen, sondern mir meine Meinung selbst gebildet. 4. Ja, in diesem Fall klassische Automobile. 5. Im Falle des Aktiensparens kann es sich lohnen, ansonsten macht bei dem derzeitigen Zinsniveau Sparen leider keinen Sinn. MARTHA BÖCKENFELD (50), Chefin des Londoner Geldhauses Kleinwort Benson, das zwischen 1995 und 2009 zur Dresdner Bank, später zur BHF-Gruppe gehörte und jüngst von der französischen Großbank Société Générale übernommen wurde. Positive Erfahrungen habe ich mit meinen Investitionen in Immobilien gemacht. Aktien scheinen mir weniger zu liegen. 3. Da man immer selbst entscheiden muss, sollte man auch die Anlage-Alternativen selbst analysieren und sich nicht allein auf Dritte verlassen. 1. FOTO: DIETER MAYER 5. Da bin ich Westfälin: Sparen ist wichtig. Was nicht heißt, dass man sein Geld auf das Sparbuch legen muss, was bei den niedrigen Zinsen auch keinen Sinn hat – es sei denn, man nutzt es, um kurzfristig Liquidität zu parken. MARTIN RICHENHAGEN (63), Boss des weltzweitgrößten Landmaschinenkonzerns AGCO in Duluth im US-Bundesstaat Georgia. Meine schlechteste Anlage war der Kauf einer Wohnung in Ostberlin im Jahr 1995. Meine erfolgreichste Anlage war der Kauf von AGCO-Aktien zu Beginn meiner Tätigkeit im Jahr 2004. 2. Jeweils ein Drittel Immobilien, Aktien, Pensionsabsicherung. 4. In diesem Bereich investiere ich in Oldtimer und Kunst und meine Frau in Dressurpferde. 1. HAJO RIESENBECK (64), ehemaliger McKinsey-Manager, MultiAufsichtsrat und heute Chef der Beratungsfirma Riesenbeck-IC in Düsseldorf. Die erfolgreichste war eine Unternehmensbeteiligung, die schlechteste eine Beteiligung an einem Start-up, das insolvent ging. 3. Ich vertraue eigentlich keinen Anlagetipps, da sie meistens erst dann erfolgen, wenn der Markt sich schon längst dort befindet bzw. verabschiedet hat. 4. Grundsätzlich nicht. Besitze Oldtimer. Aber nur, um sie zu fahren. Sie haben sich im Wert fast verdreifacht, aber es sind dennoch keine Anlageobjekte. 5. Sparen ist immer sinnvoll, wenn es sich auf Aktiensparen bezieht (das ist die Empfehlung an meine Kinder). Bargeld horten bringt natürlich nichts. 1. KAREN HEUMANN (50), Vorstandssprecherin der Thjink Werbeagentur in Hamburg. Kunden: u.a. Audi, Ikea, McDonald’s. Ein Haus in der Provence, vor 25 Jahren. Und schlechte gab es nicht, ich hätte nur insgesamt mehr machen sollen. 2. In „die eigene Aktie“ zu investieren, also in das Unternehmen, in dem ich ar- 1. BILANZ / MAI / 2016 beite. Ich habe nur vier Jahre meines Lebens in einer Firma gearbeitet, an der ich keine Anteile hielt. 3. Ich lese sie selten und bin noch keinem wirklich gefolgt. 4. Nein, ich sammle zwar seit meiner Jugend Zeichnungen, würde sie aber nie verkaufen. Sie hängen alle an der Wand. 5. Es ist natürlich klug, ein Polster zu haben. Aber nicht, um später zu leben. Leben ist jetzt. JOCHEN SAUERBORN (72), Gründer des Sauerborn Trusts und lange Zeit persönlicher Vermögensverwalter der Familie Quandt. 2004 verkaufte er sein Unternehmen an die Schweizer Großbank UBS, deren Aufsichtsrat er in Deutschland führte. bei denen ich die Zügel aus der Hand gegeben und damit meine gewohnten Verhaltensmuster aufgegeben habe. 2. Ich halte mich an Nathan Rothschild: „Kaufen, wenn die Kanonen donnern, verkaufen, wenn die Violinen erklingen.“ 4. Nein. Zum einen sind Immobilien sehr geldintensiv, da bleibt nichts über für Hobbys; zum anderen hört bei Geld der Spaß auf. AREND OETKER (77), Urenkel von August Oetker und aufgewachsen auf dem Rittergut Hornoldendorf, ist in Berlin ansässig, Eigentümer verschiedener Firmen (u.a. Hero und Schwartau) und Präside des BDI. Sein Vetter Richard führt den Oetker-Konzern in Bielefeld. 1. Die erfolgreichste Anlageentscheidung in meinem Leben war, mich auf das zu verlassen, was ich kann, und daraus eine erfolgreiche Firma zu machen, die ich zum rechten Zeitpunkt verkaufen konnte. Die schlechtesten Anlageentscheidungen waren immer solche, wo ich mich auf die angeblichen Talente von anderen verlassen habe. Das hat nur Geld gekostet. 2. Der beste Rat in Geldangelegenheiten war: langfristig zu denken. 5. Wenn Sparen bedeutet, ein Unternehmen diszipliniert zu führen, um permanent den Firmenwert zu erhöhen, dann halte ich viel vom Sparen. 1. Der Kauf von 25 Prozent der Anteile an der KWS Saat SE, des größten deutschen Saatgutherstellers. 2. Mich auf wenige ausgewählte und einen neuen Bereich zu konzentrieren. 3. Anlagetipps vertraue ich eher wenig und nehme sie von wenigen an. Eine Ausnahme ist z.B. meine Frau, die mich mit ihrer Expertise in Kunstfragen berät. 4. Pferderennen sind eines meiner Hobbys, und so liegt es auf der Hand, dass ich hin und wieder meine eigenen Pferde ins Rennen schicke. 5. Viel! ANDREAS C. WANKUM (61), Chef des Immobilienentwicklers One Vest Developments in Hamburg und CDU-Bürgerschaftsabgeordneter (2004–2015). Kurz vor Weihnachten 2000 war er während des Baus des HSV-Stadions mit seiner Firma Deuteron pleitegegangen. GERHARD ZEILER (60), aufgewachsen im Wiener Arbeiterbezirk Ottakring, war ORF-Generalsekretär, von 2003 bis 2012 Chef der RTL-Gruppe und ab 2005 auch Vorstand von Bertelsmann. Heute präsidiert er dem US-Fernsehkonzern Turner Broadcasting International in London. 1. Meine erfolgreichsten Anlageentscheidungen waren diejenigen, bei denen sich unternehmerische Intention und Vertrauen verbinden ließen. So gibt es Dinge, die zunächst verrückt klingen und die keiner machen möchte. Wenn man aber Vertrauen in seine Geschäftspartner hat und unternehmerisches Gespür, dann können sich auch vermeintlich abwegige Anlageentscheidungen lohnen. Die schlechtesten Anlageentscheidungen waren diejenigen, 1. FOTO OBEN: LAIF FOTO: PICTURE ALLIANCE Bei Weitem die besten Investitionen beruflich waren immer Menschen: exzellenten Kollegen Geld anzuvertrauen und ihnen Entscheidungsfreiheit zu geben. Dabei gab es manchmal auch spektakuläre Reinfälle, aber die Bilanz ist mehr als positiv. 2. „Gib nicht mehr aus, als du einnimmst!“ 4. Meine Privatinteressen eignen sich nicht als Geldanlage, bestenfalls zum Geldverteilen. 5. Ich halte sehr viel von Sparsamkeit. Meine Generation wurde zum Sparen erzogen, und diese Gewohnheit kann ich nicht ablegen. G 31 GELDANLAGE // SPEZIAL ZEHN MINUTEN TÄGLICH Junge Leute haben Geld, aber kein Vertrauen in Banken. Neue Anbieter wollen sie nun dazu bewegen, sich als Börsenhändler zu versuchen. Text SOPHIE CROCOLL 32 In den kommenden Jahrzehnten werden, so Gott will, die heute 18- bis 35-jährigen Amerikaner ungefähr 30 Billionen Dollar erben. Das ist, zumindest für die Überlebenden, keine schlechte Nachricht. Die weniger gute ist, dass fast die Hälfte der jungen Leute – von Marktforschern verkaufshalber zu Millennials oder zur Generation Y (sprich: „Why“, warum) typisiert – der Mut verlässt, sobald sie nur daran denkt, wie sie ihr Geld verwalten soll: Es anzulegen erscheint vielen zu verwegen, ja, geradezu tollkühn. Zwei von drei Befragten geben an, ihr Erspartes – statt es arbeiten zu lassen – lieber auf der Bank einzulagern, wo es in einer Zeit, da die Zinsen niedriger sind als die Inflationsrate, freilich stetig an Wert einbüßt. Womit wir zu Kristi Ross (47) kommen, die darauf hinweist, und zwar wahrscheinlich zu Recht, dass es günstiger sei, „einmal 2.000 Dollar zu verlieren und dafür im Gegenzug den Handel mit Aktien und Optionen zu erlernen, als gleich Zehntausende von Dollars, weil man seine Finanzen ignoriert, bis man 50 ist“. 2014 hat Ross, die seit 25 Jahren in der Finanzbranche tätig ist, mit dem Unternehmer, Investor und Optionsjongleur Tom Sosnoff (59) die Internet-Handelsplattform Dough (zu Deutsch: „Kohle“) gegründet: Sie will jene kaufkräfEmpfiehlt, Verluste zu riskieren und dafür Aktienhandel zu lernen: Dough-Chefin Kristi Ross. Illustration JACOB EISINGER tigen und konsumfreudigen Kinder der Jahrtausendwende, die nicht wissen wohin mit ihrer Kohle, mit der hohen Schule des Termingeschäfts, des Aktien- und Optionshandels vertraut machen. Auf der Dough-Heimseite und der Telefonanwendung finden sich Lehr- und Erklär-Videos in beträchtlicher Auswahl und Sendungen von täglich insgesamt acht Stunden Dauer: Sie sollen Finanzakrobaten in spe die Kunst des Handels mit Kauf- und Verkaufsoptionen nah und näher bringen. Des Weiteren stehen allerlei Frage-und-Antwort-Spiele auf dem Lehrplan, mit denen der Anfänger auf nonchalante Weise überprüfen kann, ob er die Übungen auch verstanden hat. Ergänzt und vervollständigt wird das Angebot durch eine (mit Schaubildern und Illustrationen reich verzierte) Handelsplattform, auf der sich Börsenwerte verfolgen sowie erfahrene Anleger beim Anlegen observieren lassen, wie zum Beispiel die Chefin selbst, Kristi Ross. Wer sich schließlich dazu befähigt oder berufen fühlt, wettet selbst über Dough, ob der Wert einer Aktie steigen oder fallen wird. Jeder Handel mit einer Option kostet 1,50 Dollar. Abgewickelt werden die Geschäfte vom Internet-Börsenmakler TD Ameritrade. Will jungen Leuten den Spaß am Geldanlegen nahebringen: Bux-Gründer Nick Bortot. BILANZ / MAI / 2016 BEOBACHTEN UND LERNEN Bevor man sich selbst zutraut, über Dough zu investieren, kann man erfahrene Anleger beim Anlegen observieren, auch Gründerin Kristi Ross (zweite von unten). AUSTAUSCH Wer an der eigenen Strategie zweifelt, holt sich in der Bux-Anwendung Rat bei anderen Hobby-Händlern, zum Beispiel den originellen Tipp „Ruhe bewahren“. Dough wolle Laien ermutigen, sich mit dem Finanzmetier 2014 in Amsterdam gegründeten Firma Bux (wie „Bucks“: zu beschäftigen und wohlweislich auch nur kleinere Beträge umgangssprachlich für Dollars) und der gleichnamigen Aneinzusetzen, dies aber mehrmals und fortgesetzt zu tun, dawendung zunutze macht: zwei-, dreimal mit dem Finger gemit sie aus Fehlern lernten und ihren Einsatz nicht auf eintippt, lässt sich zunächst mit Spielgeld auf steigende oder mal verlören: „Es reicht“, sagt Ross, „wenn man sich zehn fallende Kurse von Aktien, Indizes und Währungen setzen. Minuten täglich um seine Investments kümmert. Die Leute Wer will, legt ein Konto an und handelt mit Geld. Geverbringen 40 Minuten bei Facebook, verglichen damit ist das bühr: ab 25 Cent. Das trauten sich zwar erst zwischen fünf doch nichts.“ Praktischerweise verdient Dough am Vermögen und sechs Prozent der 400.000 Angemeldeten – darauf der Millennials mit: TD Ameritrade entrichtet für jeden Aufkomme es aber erst einmal nicht an, sagt Bortot. Bux wolle trag eine Provision. zeigen, dass jedermann ein Börsenhändler sein könne und Offenbar trifft das Angebot den Nerv der Zeit: Es trifft dass Geldanlage Spaß bereite: „Wir sprechen die gleiche auf eine Generation von Skeptikern. „Durch die Finanzkrise Sprache wie junge Leute.“ haben die Millennials das Vertrauen in Banken und Berater In der App heißt es etwa: „Als die Mehrheit von uns noch verloren“, sagt Julius Reiter von der Essener Hochschudie Anzahl geleerter Bierflaschen aufm Radar hatte, entle für Oekonomie und Management. Der Jurist hat junge täuschte der Konzern (SAP, Anm. d. Red.) die Erwartungen.“ Menschen mit hoher Schulbildung, überdurchschnittlichem Anders als Dough haben die Holländer auch europäische TiTechnikwissen und guten Verdienstaussichten zu ihrem Antel im Angebot. 50.000 Deutsche sollen sich nicht zuletzt lageverhalten interviewt und dabei Überraschendes zutage deshalb bei Bux angemeldet haben. „Millennials mögen Ungefördert: Unter jenen 42 Proternehmen, mit denen sie tägzent der Befragten, die ihr Filich zu tun haben“, sagt Bortot. nanzwissen als „nicht gut“ einSOZIALES HANDELN Auf Spielgeld, wie Bux es schätzten, wollten die meisten nutzt, hat Dough dagegen Dough hat sein Geschäft nach Kanada ausgeweitet, lieber selbst entscheiden, statt völlig verzichtet: „Nur wenn Bux nach Großbritannien und Deutschland. Weitere sich auf einen Berater zu veres um echtes Geld geht“, sagt Firmen, die besonders jungen Leuten mit dem Aktienlassen. Kristi Ross, „wirst du dich handel vertraut machen wollen, sind hierzulande rar Ein Befund, den sich auch ernsthaft auf deine Investments gesät; die meisten Anbieter (wie Bux-Partner Ayoneinlassen.“ Nick Bortot (43) mit seiner G do, E-Toro und Wikifolio) verbinden Börsenhandel mit sozialen Netzwerken: Laien folgen Händlern und bilden deren Wertpapierbestand nach oder schließen sich zusammen, um bessere Ergebnisse zu erzielen. 33 Unternehmen / Märkte 34 „ DIE POLITIK HAT EUROPA IN EIN ABENTEUER GEFÜHRT “ BILANZ / Mai / 2016 Clemens Fuest, der neue Ifo-Chef, spricht über die waghalsige Politik der EZB, die Gefahr eines Börsenkrachs in Europa und das Experiment namens „Euro“. Interview WOLFGANG KADEN FOTO: DANIEL MAYER 35 Unternehmen / Märkte Herr Fuest, wir haben in Europa eine Notenbank, die alle Hebel nutzt, um Inflation zu erzeugen. Steht die Welt auf dem Kopf? Sicherlich leben wir in ungewöhnlichen Zeiten. Die Kombination aus schwachem Wachstum, niedriger Inflation und niedrigen Zinsen ist wirklich etwas Neues. Erfahrungen haben wir damit nur seit zwei Jahrzehnten in Japan… B …und die sind nicht gerade ermutigend. Ja, wir bewegen uns hier auf schwierigem Terrain. B Die alten ökonomischen Gesetze, dass beispielsweise die Zinsen die Knappheit von Kapital anzeigen, sind ja nicht außer Kraft. So ist es. Derzeit ist die Kreditnachfrage offenbar zu niedrig oder das Kapitalangebot zu groß, um die Zinsen in die Höhe zu treiben. Unklar ist, welcher Anteil davon realwirtschaftliche Verhältnisse widerspiegelt, vor allem die Folgen der Finanzkrise, und was durch die expansive Geldpolitik verursacht ist. Erleben wir eine Art Zeitenwende, B was die Ökonomie anbelangt? Das würde ich nicht sagen. Wir haben eine schwierige wirtschaftliche Situation. Sie ist aber deutlich besser als das, was wir vor acht Jahren mit der massiven Krise erlebt haben. Es war schon damals zu erwarten, dass es lange dauern würde, bis diese Krise völlig überwunden sein wird. Können Sie die Motive der EuroB päischen Zentralbank nachvollziehen, die den Leitzins auf null gedrückt hat und massenweise Staatsanleihen aufkauft? Die Inflation liegt derzeit bei null Prozent, das Ziel ist zwei Prozent. Insofern kann ich die Motive nachvollziehen. Aber über die Mittel, die eingesetzt werden, kann man streiten. Die EZB versucht eben auch, mit den niedrigen Zinsen die hoch verschuldeten Krisenstaaten zu entlasten. Das ist aber nicht ihre Aufgabe. Sie versucht außerdem, die Konjunktur anzuheizen. Aber man kann schon fragen, ob das alles wirksam ist. B 36 CLEMENS FUEST ist einer der nicht sehr zahlreichen Wirtschaftsprofessoren, auf die man im Lande und in der Hauptstadt hört. Nach Stationen an den Universitäten Köln, Oxford und Mannheim hat er den Gipfel seiner steilen Karriere erreicht. Seit dem 1. April ist er Präsident der angesehensten deutschen Forschungseinrichtung in Sachen Ökonomie, des Ifo-Instituts in München, als Nachfolger von Hans-Werner Sinn. B Offenkundig ist das nicht der Fall. Wir wissen nicht, wie die Konjunktur bei einer restriktiveren Geldpolitik laufen würde. Das Quantitative Easing, also der Aufkauf von Staatsanleihen, war am Anfang des Programms gut zu begründen. Aber die jüngsten Schritte gehen mir zu weit. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Zinsen nicht allein von der EZB gemacht werden. B Sondern? Wir haben wichtige realwirtschaftliche Ursachen für die extrem niedrigen Zinsen. Viele Staaten versuchen, ihre Budgetdefizite abzubauen. Die Unternehmen in den Krisenstaaten investieren nicht, weil sie hoch verschuldet sind. Die Nachfrage nach Krediten ist also gering. Gleichzeitig wird recht viel gespart, weil die Menschen sich Sorgen um ihre Zukunft machen. Trotz der historisch einmaligen B Flutung der Märkte mit Geld, die die EZB betreibt, will sich kein höheres Wachstum einstellen. Wie erklären Sie das? Geldpolitische Impulse dauern in der Regel zwei Jahre, bis sie wirklich durchdringen. Außerdem: Viele Haushalte und Unternehmen im Euro-Raum sind hoch verschuldet. Da helfen Anleihekäufe nur sehr begrenzt. Hinzu kommen Probleme bei den Banken, die viele faule Kredite in ihren Büchern haben und infolge der niedrigen Zinsen nichts mehr verdienen. B Wenn geldpolitische Maßnahmen nur langsam wirken, dann waren Draghi und Co. mit ihren jüngsten weiteren Lockerungen der Geldpolitik zu ungeduldig? Man kann sich in der Tat fragen, ob die jüngsten Zinssenkungen sein mussten. Gemessen an der gesamtwirtschaftlichen Lage, ist die Geldpolitik der EZB meines Erachtens zu expansiv. Die Risiken der jüngsten Beschlüsse – Blasenbildung an den Märkten, Verunsicherung des Finanzsektors – überwiegen aus meiner Sicht die Chancen. B Sie sagen das so gelassen. Es gibt ja erhebliche Ängste, dass diese Geldpolitik zu einer gewaltigen Fehllenkung der Ressourcen führt – mit dem Ergebnis eines neuen, vielleicht ultimativen Crashs. Es besteht sicherlich ein Risiko, dass wir uns in diese Richtung bewegen. Dem steht jedoch gegenüber, dass wir in einer stagnierenden Wirtschaft verharren. Diese Risiken muss man abwägen. Und bei dieser Abwägung sage ich, der erste Schritt der quantitativen Lockerung war vertretbar. Die letzten Zinssenkungen hätte ich nicht unternommen. B Draghi rechtfertigt sich ja stets mit dem Argument, es drohe eine Deflation. Ist das nicht ein vorgeschobenes Argument? Geht es nicht in Wahrheit darum, die Staatshaushalte in den südlichen Euro-Staaten, inklusive Frankreich, zu entlasten? Also: Staatsfinanzierung durch die Notenbank? BILANZ / Mai / 2016 Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Man kann einfach nicht in Abrede stellen, dass die Inflation bei null liegt und das Ziel der EZB zwei Prozent beträgt. Wahrscheinlich spielt auch noch die Entlastung der Staatshaushalte eine Rolle. Aber es bleibt ein Faktum, dass das Ziel von knapp unter zwei Prozent nicht erreicht ist. B Entscheidend ist ja die Frage, ob wirklich Deflation droht. Es gibt unterschiedliche Arten von Deflation. Es gibt „schlechte“ Deflation, bei der sinkende Preise dazu führen, dass Unternehmen und Haushalte Käufe zurückstellen – in der Erwartung weiterer Preissenkungen. Das lähmt die Wirtschaft. Diese Art von Deflation haben wir derzeit nicht. Sondern eher eine Art „gute“ Deflation, bedingt durch niedrige Ölpreise, die Europa eher entlasten. Die niedrigen Energiepreise müssten allerdings zur Folge haben, dass die Leute andere Güter kaufen. Das tun sie aber nicht. Es ist schon bedenklich, dass bei einem so niedrigen Ölpreis, so niedrigen Zinsen und einem für die Exporte so günstigen Wechselkurs das Wachstum in Europa bei mageren ein bis zwei Prozent hängt. B Nicht nur die EZB, die Notenbanken weltweit betreiben eine Politik des ultraleichten Geldes. Könnte es sein, dass sie alle einem Wachstumsziel hinterherhecheln, das gar nicht mehr erreichbar ist in den hoch entwickelten Industriestaaten? Ich würde eher sagen, dass die Geldpolitik allein dieses Wachstum nicht herstellen kann. Das Problem ist, dass der Eindruck erweckt wird, man könne mit Gelddrucken alles erreichen. Dieser Machbarkeitswahn ist sicherlich gefährlich. B Wird von der EZB aber genährt. Die EZB weist durchaus immer wieder darauf hin, dass die Probleme allein mit der Geldpolitik nicht zu lösen sind. Sie könnte diesen Aspekt allerdings stärker betonen. Der Ball liegt jetzt bei den nationalen Regierungen. Haben die Notenbanken eine B Exit-Strategie, wie sie aus der DAS INSTITUT Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in der Münchener Poschingerstraße. Politik des billigen Geldes wieder rauskommen, ohne dass es einen Crash gibt? An der amerikanischen Notenbank Fed wird deutlich, dass dies eine Dilemma-Situation ist. Sie hat im Dezember den Leitzins moderat erhöht und zögert jetzt mit einer weiteren Anhebung. Der Ausstieg ist in der Tat kein schlichter technischer Vorgang, den man so einfach einleitet. Er kann Turbulenzen auf den Finanzmärkten auslösen. Deshalb ist die Fed so vorsichtig. Was ist Ihre Prognose? B Wenn es gut läuft, dann gelingt der EZB eine sanfte Wende. Ich gehe mal davon aus, dass beim Ölpreis das Tief erreicht ist, dass von hier kein weiterer Druck auf die Preise erfolgt. Die Kerninflationsrate liegt bereits bei knapp unter einem Prozent und wird weiter steigen, wenn die Konjunktur-Erholung in der Euro-Zone weitergeht. So könnte ein allmählicher Ausstieg gelingen. FOTO: PICTURE ALLIANCE Nirgendwo in Europa ist die Unzufriedenheit mit Draghi und seinen Gefolgsleuten so groß wie in Deutschland. Ihr Vorgänger im Ifo-Institut, Hans-Werner Sinn, sagt: „Die EZB besitzt quasi diktatorische Vollmachten.“ Sie mache Politik „zulasten der deutschen Steuerzahler“. Sehen Sie das auch so? Es hat Entscheidungen der EZB gegeben, die man sehr kritisch sehen kann. Beim OMT-Programm… B …Draghis Ankündigung, mit allen Mitteln, auch mit dem Aufkauf von Anleihen konkursgefährdeter Staaten, den Euro zu retten… …hat die EZB sogar ihr Mandat überschritten. Den Krisenstaaten sollte der Zugang zu den Kapitalmärkten erhalten bleiben. Die EZB hat argumentiert, das sei noch Geldpolitik. Juristisch ist diese Frage umstritten. Ich meine, dass es sich dabei um Fiskalpolitik und nicht um Geldpolitik handelt. Auch wenn das OMT-Programm nie zum Einsatz kam. Stattdessen kauft die EZB nun B in ungeheuren Mengen Staatsanleihen auf. Allerdings haften die nationalen Notenbanken für 80 Prozent der Anleihen, das ist zumindest ein wichtiges Signal. Eine Nebenwirkung der niedrigen Zinsen ist, dass nicht nur diejenigen die Lasten der Krise tragen, die den hoch verschuldeten Ländern die Kredite zur Verfügung gestellt haben, sondern alle Sparer im Euro-Raum. B Was viele Menschen in Deutschland so empört, ist ja der Umstand, dass dieses Land mit über 25 Prozent für all das haftet, was die Euro-Notenbanker da veranstalten – aber im Zentralbankrat nur mit einer Stimme vertreten ist. Ist das auf Dauer erträglich? Lassen Sie mich deutlich sagen: Die deutschen Politiker haben den Vertrag über dieses Notenbank-Statut unterschrieben. Wir Deutschen haben aus guten Gründen darauf bestanden, dass die Notenbank unabhängig ist. Wir sollten dabei bleiben, auch wenn B 37 Unternehmen / Märkte 38 uns nicht alles passt, was die EZB tut. Ich war damals gegen den Vertrag zur Währungsunion. Mir war klar, dass die No Bail-out-Klausel… B …das Verbot, Staaten in Zahlungsnöten mit Rettungsaktionen herauszupauken… …nicht funktionieren wird, weil man sich bei Untätigkeit eine schwere Finanzkrise einfängt. Aber jetzt haben wir diesen Vertrag, und wir müssen das Beste draus machen. B Müsste Deutschland nicht wenigstens ein höheres Stimmengewicht einfordern, also proportional zu den Kapitalanteilen, wie es beispielsweise beim Internationalen Währungsfonds praktiziert wird? Man kann mit guten Gründen sagen, dass Deutschland im Zentralbankrat ein höheres Stimmgewicht haben sollte als beispielsweise Malta. Das gilt umso mehr, je mehr die Notenbank an die Grenzen ihres Mandats rückt und beginnt umzuverteilen, wie mit dem OMT-Programm. Unsere Regierung war eben so leichtsinnig, diesen Vertrag zu unterschreiben. Verträge sind einzuhalten. Darauf bestehen wir ja auch sonst immer. Das Hauptproblem des Euro liegt B in der hohen Staatsverschuldung der Unionsstaaten. Warum ist denn die Trennung zwischen Staatsfinanzen und Währung, festgeschrieben im Statut der EZB, nicht durchzuhalten? Bei der Bundesbank hat das doch auch funktioniert. Diese Trennung war sehr wichtig vor dem Hintergrund der deutschen Erfahrung mit einer Hyperinflation in den 20er-Jahren und Erfahrungen anderer Länder mit Weichwährungen. Sie bleibt auch wichtig. Vor allem in einer Währungsunion, in dem die Finanzierung eines einzelnen Staats durch das Drucken von EZB-Geld immer bedeutet, das Geld anderer Leute einzusetzen. Die Trennung kann man durchhalten. Aber dann muss man dafür sorgen, dass das System auch eine Staatspleite aushält und dadurch nicht das gesamte Finanzgebäude erschüttert wird. War aus diesem Grund die Rettungspolitik, wie sie seit 2010 für etliche Staaten betrieben wurde, unvermeidlich? Viele Ökonomen halten ja die ganze Retterei für einen Fehler. Der Rettungsfonds ESM ist eine Krücke. Er reflektiert die Fehler, die beim Start gemacht wurden: sich auf Verschuldungsregeln zu verlassen, die nicht ernst genommen werden, und auf eine No Bail-out-Regel, die nie glaubwürdig war. Als es dann zum Schwur kam, vor allem bei Griechenland, habe ich es auch für richtig gehalten, das Rettungsprogramm zu starten, weil andernfalls eine tiefe Finanzkrise drohte. Heute muss man sagen, ein vernünftig konstruierter ESM gehört zur Euro-Zone. Aber er darf nicht dazu missbraucht werden, die Gläubiger eines bankrotten Staats auf Kosten der Steuerzahler auszubezahlen. B Angst löst ja nicht nur der Zustand der Euro-Zone aus, sondern das gesamte globale Finanzsystem mit seinen von Gier getriebenen Akteuren und fragwürdigen Politiken der Notenbanken. Müsste nicht das gesamte System generalüberholt werden? Flächendeckende Reformen, die quasi reinen Tisch machen, funktionieren nicht. Die Risiken sind auch viel zu groß. Wir müssen mit kleinen, aber entschlossenen Reformen in die richtige Richtung marschieren. Ein konkretes Beispiel? B An erster Stelle steht für mich: Die Politik muss sich hinwegsetzen über die Widerstände des Kreditgewerbes und von den Banken ein deutlich höheres Eigenkapital verlangen. Fast alle Argumente, die gegen diese Auflage angeführt werden, halte ich für nicht tragfähig. Die Politik hat sich da viel zu sehr mit detaillierten Regulierungen verzettelt. Sehr früh nach dem großen Crash 2008 hätte sie den großen Banken in Europa eine massive Aufstockung des Eigenkapitals vorschreiben müssen. Noch mal zum Grundübel der B Euro-Zone, der hohen Staatsverschuldung. Viele Politiker, vor B „ Man kann mit guten Gründen sagen, dass Deutschland im Zentralbankrat ein höheres Stimmengewicht haben sollte als beispielsweise Malta. “ Das Problem sind mithin die Banken, die Staatsanleihen erworben haben und bei einer Staatspleite zusammenbrechen würden? Für die Banken ist es attraktiv, Staatsanleihen zu halten, weil diese Investments nicht mit Eigenkapital unterlegt werden müssen. Das macht den Erwerb dieser Anleihen für die Banker so reizvoll. Es bedeutet aber, dass der Finanzsektor durch Ausfälle bei Staatsanleihen gefährdet wird. Bei einer nationalen Währung ist das vertretbar, denn die Notenbank kann die eigene Regierung unbegrenzt mit Liquidität versorgen. In einem Währungsverbund wie dem Euro-System geht das aber nicht. Daraus hätte man beim Start des Euro die Konsequenz ziehen müssen, dass alle Banken verpflichtet werden, die Kredite an den Staat mit hinreichend Eigenkapital zu unterlegen. Was nicht geschehen ist. Deswegen war die No Bail-out-Klausel von Anfang an unglaubwürdig. B BILANZ / Mai / 2016 allem in den Südstaaten, argumentieren, dass sich eine Verringerung der Staatsverschuldung und eine wirtschaftliche Erholung gegenseitig ausschlössen. Ist das richtig? Das ist nicht überzeugend. Wir haben einige Länder in Osteuropa, die ohne Abwertung massiv konsolidiert haben und heute wirtschaftlich gut dastehen. Gewiss, es ist unbestritten, dass es leichter ist, aus einer Krise rauszukommen, wenn man Strukturreformen kombiniert mit einer expansiven Fiskalpolitik. Dafür braucht man aber finanzielle Spielräume. Doch diese Spielräume haben viele Länder in Europa nicht, weil sie sich vor der Krise leichtfertig verschuldet haben. B Angesichts der schwachen Wachstumserfolge geistert inzwischen das Schlagwort vom Helikoptergeld durch die Debatten. Soll heißen: Die Notenbanken sollen Geld wie bei einem Abwurf aus dem Hubschrauber unter die Bürger streuen. Ein Ausfluss purer Verzweiflung, weil die Geldpolitik zu wenig wirkt? Das hat sicher mit Frustration zu tun. Und es hilft nicht weiter. Das, was die Notenbank derzeit mit dem massenhaften Aufkauf von Staatsanleihen betreibt, ist ja schon fast Helikoptergeld. Die Notenbankgewinne, die unter Einhaltung des Inflationsziels erreicht werden können, sind begrenzt. Die Notenbanken könnten den Helikoptergeldplan umsetzen, indem sie heute höhere Gewinne an die Regierungen ausschütten. Damit ist aber nichts gewonnen. Denn wenn man heute höhere Gewinne ausschüttet, kann man morgen eben weniger ausschütten. Dadurch wird man kein bisschen reicher. B Dennoch hat Mario Draghi das Helikoptergeld als „sehr interessantes Konzept“ bewertet. Nicht alles, was interessant ist, ist auch hilfreich. Mit dem Helikoptergeld will man die Schuldengrenze umgehen, die in den europäischen Verträgen festgeschrieben wurde. Das ist das eigentli- „ Der Rettungsfonds ESM darf nicht dazu missbraucht werden, die Gläubiger eines bankrotten Staats auf Kosten der Steuerzahler auszubezahlen. “ che Ziel. Aber mit einer solchen Aktion würde man das Vertrauen in die Währung gefährden. B Helikoptergeld wäre theoretisch durchaus möglich? Dass die Notenbank Geld verschenkt, indem man jedem Bürger einen Hundert-Euro-Schein in die Hand drückt, ist sicher möglich, aber vermutlich illegal und wegen der Beschädigung des Vertrauens in solide Geldpolitik auch abwegig. So abwegig, dass man beim Start der Währungsunion nicht mal daran gedacht hat, das zu verbieten. B Blick nach vorn: Würde der Euro einen erneuten schweren Crash überstehen? Die Währungsunion kann vieles überstehen. Aber der Druck wird steigen, dass alle Euro-Länder gemeinsam für jene haften, die in Schwierigkeiten geraten. Gleichzeitig fehlt eine gemeinsame Kontrolle über die Verschuldungspolitik. Ich sehe die Gefahr, dass die nächste Krise uns noch mehr an die Grenze dessen führt, was eine Notenbank in der Euro-Zone leisten darf. B Der Euro war ein Großversuch. Ist er bereits gescheitert? Das glaube ich nicht. Wir haben es hier mit einer neuen Form von Geldordnung zu tun. Ziel war, mit der Währungsunion einer politischen Union den Weg zu bahnen, was immer das genau bedeutet. Aber das scheint heute illusorisch. Also müssen wir uns etwas Neues ausdenken. Der Euro muss auch in Krisensituationen funktionieren, ohne dass wir eine zentrale Kontrolle über die Fiskalund Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten haben. Ich meine, dass das möglich ist. Bei Staatspleiten müssen Gläubiger haften, die Mitgliedsstaaten brauchen flexible Arbeitsmärkte, weil der Wechselkursmechanismus fehlt, und der Finanzsektor muss durch die Bankenunion von den nationalen Regierungen unabhängiger werden. B Haben die Konstrukteure der Währungsunion die politischen und kulturellen Unterschiede zwischen den Staaten grandios unterschätzt? Wir können von der Politik erwarten, dass sie, bevor ein solcher Schritt wie der in eine gemeinsame Währung getan wird, sorgfältig darüber nachdenkt, ob das System auch krisenfest konstruiert wurde. Das ist nicht geschehen. Die Politik hat Europa da in ein Abenteuer geführt. Wir sind jetzt drin in dem Abenteuer und müssen sehen, wie wir damit zurechtkommen. Wir können den Euro nicht rückgängig machen. Ist es denkbar, dass Deutschland B aus der Währungsunion ausscheidet? Der Euro ist ein politisches Projekt. Und in dessen Kern stehen die deutsch-französischen Beziehungen. Deswegen ist es für mich schwer vorstellbar, dass Deutschland austritt. Wir sind noch nicht so weit, dass wir die Flinte ins Korn werfen müssen. Ich denke immer noch, dass die Währungsunion ein Erfolg werden kann. Herr Fuest, vielen Dank für dieses B Gespräch. U 39 UNTERNEHMEN / MÄRKTE Wie geht’s eigentlich GOTTFRIED ZMECK 40 & HELMUT THOMA ? FOTOS: WOLFGANG MARIA WEBER, MICHAEL ENGLERT, PICTURE ALLIANCE (2) BILANZ / MAI / 2016 Anfang des Jahres kam seine zweite Enkeltochter zur Welt. „Bei aller Freude fühle ich mich aber gar nicht so alt, wie das klingt“, sagt er, „und ich habe noch nicht herausgefunden, wie ich verhindern kann, dass ich Opa genannt werde.“ Gottfried Zmeck ist 59 Jahre alt, er galt einige Zeit lang als Kronprinz im Reich des zugrunde gegangenen Medien-Imperators Leo Kirch (1926–2011), der immer ein großer Talent-Scout gewesen war und auf seine Lieblinge nichts kommen ließ. Heute leitet Zmeck die von ihm gegründete und sich zu drei Vierteln in seinem Besitz befindliche Mainstream Media AG in Ismaningen, ei- nem Firmenverbund, zu dem die Bezahl-TV-Sender Heimatkanal, Romance und Goldstar gehören. Auch im Musikverlagswesen und im Rechtehandel, wie einst Kirch, ist Zmeck tätig. Der gebürtige Niederösterreicher und frühere ORF-Journalist (LondonKorrespondent) betreibt seine Geschäfte im Aus- und Inland, arbeitet u.a. mit ZDF und Pro Sieben zusammen. Im Mai will er seine Flimmerware auch nach Rumänien und Ungarn ausführen: „Traumschiff“, „Rosamunde Pilcher“, „Wege zum Glück“. Es überrasche ihn „wenig“, sagt er, „dass diese Programme auch dort sehr populär sind. Der German way of life kann, was die Unterhaltung betrifft, durchaus mit dem American way of life mithalten“. Das gilt auch für Zmecks eigenen Lebensstil: Mit seinem Motorboot flitzt er gern mal auf dem Gardasee herum, oder er unternimmt eine Kreuzfahrt, zuletzt nach Norwegen hoch. Im Winter dann Skifahren: in Kitzbühel, wo Gottfried und Hedwig Zmeck ein Haus besitzen. Zu den Überlebenden der Familie Kirch hat er keinen Kontakt mehr; aber er hege „ausschließlich positive Gefühle“ für Leo Kirch, „sowohl menschlich als auch beruflich, er hat zu den Ausnahmeunternehmern gehört“. Man dürfe sich, ganz generell gesprochen, nie „der Illusion hingeben, dass etwas von alleine läuft. Man muss immer nah am Wind segeln“. U Gottfried Zmeck baute 1996 für Leo Kirch den Bezahlsender DF 1 auf (das Foto entstand 1997), schied aber 1999 aus, nachdem sich Kirch des Widersachers Premiere (heute: Sky) bemächtigt hatte. 1999 machte sich Zmeck mit Goldstar TV selbstständig, heute Teil seiner Mainstream Media AG. 41 Helmut Thoma ist eine der großen Figuren des Privatfernsehens: Mit Mut, Schläue und Sendungsbewusstsein machte er RTL zwischen 1984 und 1998 zum profitabelsten TV-Sender Europas und prägte eine ganze Ära. Das Foto zeigt ihn 1998 mit seiner damaligen Freundin Uta Kunz und dem Filmhändler Leo Kirch. „Es wird nie mehr sein, wie es war – ich bin weg, au, au, au, au, au revoir...“ Wer bei Helmut Thoma anruft, könnte glauben, dass der Manager sich bereits in die Rente verabschiedet hat. Aber das Lied, das durch einen technischen Trick anstelle von Thomas Freizeichen erklingt, ist nicht das neue Lebensmotto des früheren RTL-Chefs, der mit Frau Danièle und dem Parson-Russell-Terrier Garfield („Schaut aus wie a Fuchsel“) in Luxemburg und Wien lebt. Denn auch sein 77. Geburtstag, den er am 3. Mai feierte, sei keinesfalls ein Grund, aufzuhören: „Ich staune immer, wie fit ich hier ’rumwackle, aber ich fühle mich noch genau wie vor zehn, 15 oder gar 20 Jahren.“ Der Schnapszahl zum Trotz sah er keinen Anlass für einen größeren Festakt. Gefeiert wurde Thoma zuletzt an seinem 75. Geburtstag: Mathias Döpfner, Vorstandschef von Axel Springer (zu dem auch die BILANZ gehört), hatte ihm zu Ehren in den hauseigenen Journalistenclub zum Gala-Dinner geladen. Döpfner und Thoma schätzen sich: Thoma hatte den Medienkonzern von 2008 bis 2013 beraten – eines von vielen Mandaten, das der Manager noch bis vor drei Jahren ausübte. Mittlerweile hat Thoma die Ämterhäufung abgebaut, aber das Wissen des Emmy-Gewinners ist weiterhin gefragt: im Verwaltungsrat des Schweizer Privatsenders „3 Plus TV“ sowie in den Aufsichtsräten von Moving Image 24, einem Anbieter von Videodiensten, und, seit nunmehr 18 Jahren, bei der Telekommunikationsfirma Freenet. Thoma ist bekannt für scharfe Strategien und flotte Sprüche („Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“). Den Nachweis, dass er vieles, aber eben doch nicht alles besser kann, erbrachte er beim Regionalsender NRW-TV, dessen Miteigentümer er ist. Jüngst stellte der Kanal einen Insolvenzantrag. „Die wirtschaftliche Seite stimmte nicht, obwohl ich die Reichweite wesentlich erhöht habe.“ U UNTERNEHMEN / MÄRKTE WIE AUS TOURISTEN BOTSCHAFTER WERDEN 42 FOTO: PICTURE ALLIANCE BILANZ / MAI / 2016 Ctrip, der mächtigste Online-Reiseveranstalter Chinas, versteht ein Geschäft auch als Kulturauftrag: Reisen macht glücklich, und zwar alle. Text/NINA TRENTMANN 43 Hochzeitsreisen: 31 Paare wiederholen vor Schloss Neuschwanstein ihr Eheversprechen, nachdem die eigentliche Trauung bereits daheim in China stattgefunden hatte. UNTERNEHMEN / MÄRKTE E 44 s ist ein sonniger, kalter Morgen in Schanghai, als ich Jane Jie Sun in der Firmenzentrale von Ctrip besuche, im Westen der Stadt, im Bürohausviertel Sky Soho, einem dieser Glas- und Beton-Zirkusse der Londoner Stararchitektin Zaha Hadid. Sun ist die Zierlichkeit in Person, sie trägt Pumps und Brillant-Ohrringe, sehr geschmackvoll, dazu ein hellblaues Kostüm, nicht das rote Kleid wie auf dem Foto rechts. Ihre Fingernägel sind pastellfarben lackiert. Die Juristin und ehemalige Wirtschaftsprüferin ist stilistisch state of the art und gut vorbereitet, sie wirkt wie eine Frau, die immer gut vorbereitet ist. Ctrip ist der größte Internet-Reiseveranstalter Chinas; das Unternehmen ist an der Börse notiert, setzt umgerechnet 1,5 Mrd. Euro um, hat im vergangenen Jahr einen Nettogewinn von 343 Mio. Euro erzielt und beschäftigt über 30.000 Mitarbeiter. Sun war ehedem Finanzchefin, heute ist sie Kopräsidentin. Sie hat in den USA studiert, genauso wie Mitgründer James Jianzhang Liang (45), der ihr einen Tick übergeordnet ist. Sun wirkt frisch, aufgeräumt, jugendlich, energisch. Sie sieht aus wie Ende 20. Aber sie hat ein paar feine Falten um die Augen. Tatsächlich ist sie 47. Sie freue sich auf einen schönen langen Arbeitstag, sagt sie. Sun hat zwei Kinder. Genau von 19 bis 21 Uhr erledige sie familiäre Pflichten. Danach schaltet sie sofort den Rechner ein und kontrolliert ihre Postfächer. Anders geht’s nicht. „Das ist der einzige Weg, meiner Arbeit gerecht zu werden“, sagt sie pflichtvollendet und schließt ein zuverlässiges Lächeln an. Auch am Wochenende ist sie natürlich jederzeit für die Firma erreichbar. „Damit wir keine Chance verpassen, egal, wann sie sich bietet.“ Bis zur Makel- und Fehlerlosigkeit verkörpert sie das FortschrittsfrauenIdeal, das ihr Unternehmen propagiert: Ctrip sei kernig, stark, blühend AUF GROSSER MISSION Konzentriert, motiviert, und ambitioniert: Jane Jie Sun, Kopräsidentin von Ctrip in Schanghai. und natürlich von vorbildlichem Benehmen gegenüber Kunden, aber auch den eigenen Leuten und hier in Sonderheit gegenüber den Frauen. Nicht nur, dass Ctrip den Schwangeren unter ihren Angestellten das Taxi zur Arbeit bezahlt, das Unternehmen vertritt auch Eltern vor Gericht, die mehr Kinder haben als erlaubt, und gewährt ihnen notfalls zinsfreie Darlehen für die Strafzahlungen. Junge Talente wiederum dürfen mit Beistand und Fürsprache rechnen, im Idealfall werden sie alle sechs Monate befördert. Das klingt gut, zeigt aber auch, dass die Rangstufen so hoch sind wie eine Himmelsleiter. FOTO: CTRIP Auch gegen Heimarbeit – bei vielen chinesischen Unternehmen wegen Schlendrianverdachts verpönt – hat Ctrip nichts einzuwenden. Ja, die Zuwendung, die der Betrieb seiner Belegschaft schenkt, ist in China gänzlich unüblich und gilt fast schon als Ausdruck einer beneidenswerten Verschrobenheit. Sun hat in Florida und Peking studiert, beim Wirtschaftsprüfer KPMG und beim Halbleiter-Konzern Applied Materials gearbeitet. „Ich war immer optimistisch, was das Wirtschaftswachstum in China angeht“, sagt sie. „Es war klar für mich, dass ich irgendwann hier arbeiten würde.“ Sie führte westliche Sitten ein und förderte namentlich Frauen. 60 Prozent der Belegschaft ist weiblich: „Fast ein Drittel unserer Vizepräsidenten sind Frauen. Das ist ungewöhnlich viel, vor allem für ein chinesisches Unternehmen.“ Sun glaubt, dass die Stärke einer Firma nicht von der Zahl ihrer Beschäftigten abhänge, sondern von ihrem Antrieb und ihrer Leistungsbereitschaft. Die in China unübliche Erlaubnis, zu Hause arbeiten zu können, wenn es etwa das Familienleben erfordert, trägt zur Leistungsfreude merklich bei. Seit 2003 an der Nasdaq registriert, hat sich der Börsenwert des Unternehmens auf knapp 20 Milliarden Dollar verdreißigfacht. Ctrip verfolgt große Pläne, ja ja, man wolle zum weltführenden Reiseportal aufrauschen, also an Booking. com, Tripadvisor, Expedia und Konsorten vorbeigaloppieren. Oder vorbeifliegen: Im April hat das Unternehmen 463 Millionen Dollar, umgerechnet 410 Millionen Euro, in China Eastern Airlines investiert, eine der drei staatlichen Fluggesellschaften. Das Ziel, das Sun vor Augen hat, kann man nur als hehr bezeichnen: Ctrip sei nicht nur in der Lage, sondern fühle sich nachgerade dazu verpflichtet, die Menschheit zu bilden, zu veredeln, ihr die Welt zu erklären – den Chinesen, die in die Fremde reisten, und den Fremdlingen, die China besuchten. BILANZ / MAI / 2016 Die Geschäfte entwickeln sich vortrefflich. Nichts deutet darauf hin, dass die Strömungen und Moden des internationalen Reiseverkehrs die Pläne von Sun durchkreuzen würden: alles sehr bekömmlich. „Wir können die Größe des Reisemarktes verdreifachen“, behauptet Sun. „China hängt im Vergleich zum Rest der Welt noch immer hinterher.“ Die Tourismus-Industrie werde „bis 2019 pro Jahr im Schnitt um acht Prozent wachsen“, vermutet Angelo Rossini vom Marktforschungsinstitut Euromonitor. „Vor allem der Wohlstand der chinesischen Mittelschicht wächst und mit ihm ihre Reiselust. Ganz besonders ins Ausland.“ Laut I-Research, einem Informationsdienst, hatten im Jahr 2014 rund 100 Millionen Chinesen eine Auslandsreise gebucht. Ende 2017 würden chinesische Reiseportale mit Gesamteinnahmen von 75 Milliarden Dollar rechnen können. Jane Jie Suns besonderes Augenmerk gilt dieserhalb den Gutsituierten. Gewiss, Ctrip hat in der Vergangenheit vor allem dank günstiger Flugbilletts und Hotelpreise seinen Marktanteil vergrößert. Aber die ungezählten Rabattaktionen waren kostspielig und drückten auf die Marge. Richtig Geld verdienen lässt sich zuvörderst mit Trips, die teuer sind. Reiche Chinesen fahren zwei- bis dreimal jährlich in den Urlaub: „Im Schnitt für 1.000 Dollar pro Tag.“ Die 80-tägige Ctrip-Weltreise war „innerhalb von Sekunden ausgebucht“. Sehr beliebt: Reisen in der Kleingruppe. Die Konkurrenz, mit der sie es zu tun hat, ist freilich hellwach und humorlos. Guo Guangchang (49, der kürzlich entwendete und wieder aufgetauchte) Vorstandschef der größten chinesischen Beteiligungsfirma Fosun, hat im vergangenen Jahr eine Partnerschaft mit dem britischen Reiseanbieter Thomas Cook geschlossen; Baidu, Alibaba und Tencent, die Herrscher der chinesischen Internetwirtschaft, sind ebenfalls mit Reiseablegern unterwegs. „ Wir ermöglichen Menschen, die Welt zu sehen; wir machen sie zu besseren Weltbürgern. “ Zurzeit aber sei Ctrip noch „allen anderen Anbietern deutlich voraus“, sagt Maggie Rauch vom Branchendienst Phocuswright. Doch „im ,Wilden Osten‘ der chinesischen Internetbranche schmilzt ein Vorsprung schnell“. Suns gefährlichste Kontrahenten befinden sich unter den einheimischen Kräften. Denn unbestreitbar haben westliche Anbieter wie Expedia oder Booking.com ihre liebe Not, in China Fuß zu fassen. „Die lokalen Anbieter verstehen ihre chinesischen Kunden und ihre Marotten sehr viel besser“, sagt Euromonitor-Mann Rossini. Ein Grund dafür, dass Priceline im vergangenen Jahr 250 Millionen Dollar in Ctrip inves- tiert hat, um an den geschäftlichen Aufwallungen der dortigen Reisebranche teilzuhaben. Konkurrenzkampf und Preisdruck befördern die Konzentration eines jeden Gewerbes. Reiseportale bilden keine Ausnahme. Im vergangenen Oktober verschmolz Ctrip mit seinem ärgsten Widersacher Qunar. Nach Branchenschätzungen beherrscht die Giga-Kombi nun 80 Prozent des chinesischen Reisemarktes. Zusammenschlüsse dieser Art werden in China gern ein bisschen ideologisch-idealistisch überhöht bzw. verkleistert, zum Beispiel mit dem jetzt zum zweiten Mal von Sun angeführten Hinweis, dass die Chinesen (nach jahrzehntelanger Freiheitsberaubung durch die kommunistische Partei) andere Kulturen erleben wollten oder müssten. „Wir ermöglichen Menschen, die Welt zu sehen; wir machen sie zu besseren Weltbürgern“, sagt Sun, und notfalls hätte sie’s auch gerufen. Ihre Kunden würden „zu Botschaftern Chinas und dafür sorgen, dass die Welt China kennenlernt. Reisen macht glücklich“. Kurzum, Ctrip diene „dem Weltfrieden“! Dies ist ein interessanter Aspekt, zumal Suns Landsleute bislang nicht mit nennenswerten Bemühungen für den Weltfrieden in Erscheinung getreten sind und auch ihr Benehmen im Ausland dem Land nicht immer zur Ehre gereicht. Die Regierung in Peking hat bereits verschiedene Erziehungsmaßnahmen ergriffen. Chinesen, die China im Ausland blamieren, sollen das Land für gewisse Zeit nicht mehr verlassen dürfen. Jane Jie Sun setzt alles daran, Ctrip zu einem Weltkonzern zu machen. Die Internetseiten auf Koreanisch, Deutsch, Französisch, Spanisch, Vietnamesisch, Russisch und Japanisch sind freigeschaltet, Verstärkungen wie der indische Reiseveranstalter Make My Trip für rund 180 Millionen Dollar akquiriert. „Wir Chinesen müssen lernen, die Welt zu verstehen“, sagt Sun. U 45 UNTERNEHMEN / MÄRKTE WINDIGE GESCHÄFTE Briefkasten-Affäre: Enercon und die geheimnisvolle Firma in Amsterdam. Text / KLAUS BOLDT und VOLKER TER HASEBORG 46 Als der Ostfriese und Elektroingenieur Aloys Wobben (64) noch Herr seiner Sinne war, hat er aus seiner Schöpfung, der Firma Enercon in Aurich, einen der bedeutendsten Hersteller von Windkraftanlagen der Welt und aller Zeiten gemacht. Begünstigt von staatlichen Förderprogrammen für Ökostrom und nachhaltig forciert durch Wobbens Genius, dem ungezählte Patente und vor allem die getriebelose und nahezu wartungsfreie Windturbine zu verdanken sind, wurde Enercon zu einem Weltkonzern mit einem Umsatz (2014) von 4,9 Milliarden und einem Gewinn nach allen Abzügen von sagenhaften 490 Millionen Euro. Für die strukturschwache Region ist Enercon ein Glücksfall: 4.500 Arbeitsplätze hat Wobben allein in und um Aurich geschaffen, mit über 100 Millionen Euro im Jahr soll er drei Viertel zum Gewerbesteueraufkommen der Stadt beitragen. Doch in Kreis und Kommune und im Unternehmen selbst, unter den ins- gesamt 20.000 Mitarbeitern sowohl wie im Management, macht sich Bangigkeit breit. Dass die Branche nicht mehr so stürmisch wächst wie einst im Mai und dass viele Konkurrenten den technischen Rückstand auf Enercon verkürzt haben, bereitet dabei noch den geringsten Kummer, vergrößert aber dennoch die Unruhe, die Wobben selbst verursacht. Der Patriarch, ein eigenwilliges und wenig zutrauliches Geschöpf, hatte sich zwar schon 2012 unter Hinweis auf „gesundheitliche Gründe“ aus der Geschäftsleitung zurückgezogen. Als Enercon-Chef amtiert heute Hans-Dieter Kettwig (58). Aber Gründereigentümer Wobben blieb doch stets als Identifikations- und Symbolfigur gegenwärtig, als jene Über-Kraft, die den maßlos verschachtelten Konzern zusammenhielt und seine Überlegenheit nachgerade verkörperte. Inzwischen hat Wobben jedoch einen höheren Zustand der Abwesenheit erreicht, der mit einem schlichten „Er ist weg“ nur unzulänglich FOTO: HANS KNIKMAN / DPA / PICTURE ALLIANCE beschrieben ist: Bekannte berichten, dass der Mann sie nicht mehr erkenne; Wegbegleiter erzählen, dass er Gespräche mitten im Satz beende, sich umdrehe und fortlaufe. Seinen Alltag bewältige er nur noch unterstützt von Pflegern. Es sei tragisch. Nun rächt sich, dass Wobben nie für Transparenz im eigenen Hause gesorgt hat. Sein Nachfolger Kettwig setzt diese Politik fort: Das Unternehmen gibt sich verschlossen und nach außen und innen unduldsam; Betriebsräte werden höchstenfalls geduldet; und in wessen Besitz sich der Konzern eigentlich befindet, ist Privat- bzw. geheime Kommandosache. Die Unternehmensstruktur mit Dachgesellschaften in der Karibik, Zwischenholdings in den Niederlanden und Treuhandfirmen in OffshoreSteueroasen aber weckt Zweifel, zumindest an der moralischen Integrität der Organisation. Wobbens Firmenflechtwerk erinnert an die Schattenwelt, die die „Panama-Papiere“ offenbaren. Für ei- BILANZ / MAI / 2016 nen Enercon-Sprecher alles ganz normal: „Diese Struktur wurde im Rahmen der Nachfolgeplanung gewählt.“ 2012 hatte Wobben die AloysWobben-Stiftung gegründet, in die er die UEE Holding („Unendliche erneuerbare Energien“) überführte. In ihr sind mehr als 400 Firmen erfasst, darunter die Enercon GmbH, die der Gruppierung ihren Namen gab. So weit, so unübersichtlich. Doch zur Formation gehören auch Betriebe, bei denen sich keine Verbindungen zur UEE nachweisen lassen: Es handelt um mindestens 17 Unternehmen mit insgesamt mehr als 3.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 300 Millionen Euro. Diese von Wobben gegründeten Einheiten, die Bauteile exklusiv für Enercon herstellen oder Anlagen bauen und warten, sind heute im Besitz von fünf Zwischenholdings in den Niederlanden, die wiederum im Besitz von Briefkastenfirmen sind auf der Kanalinsel Jersey, auf den Bahamas und den britischen Jungferninseln. Enercon teilt mit, dass dieses Gefüge, ausgearbeitet zwischen 2003 und 2005, die Eigentumsverhältnisse nicht verschleiern solle. Die niederländischen Zwischenholdings nehmen offenbar nicht viel Platz in Anspruch, sie sind sonders und samt unter derselben Adresse erreichbar: Hemonystraat 11 in Amsterdam, klingeln bei Mulberry International BV. United Future Systems Nassau/Bahamas 100% Mechanik Aurich ALOYS WOBBEN Spectrum Energy Nassau/Bahamas 100% Mechanical Power Amsterdam 100% Mulberry ist eine Anstalt höchst ominösen Charakters. Sie führt, dem örtlichen Handelsregister zufolge, die Geschäfte der fünf besagten Firmen – angeblich, darf man hinzufügen, denn großer Aufwand wird nicht betrieben: Mulberry beschäftigt nur drei Mitarbeiter für „Beratung und Umsetzung bei der Gründung von Unternehmen“, wie es auf der firmeneigenen Internetseite heißt. Die Beantwortung von Fragen zählt nicht zum Geschäftszweck: „Wir reden mit niemandem darüber, was wir hier machen“, sagt eine Männerstimme am Telefon. Firmenzeichen der Enercon-Unternehmen sucht man am Altbau in der Hemonystraat vergeblich. Unter Steuerdrückern und -vermeidern sind die Niederlande eine große Attraktion, denn der dortige Fiskus besteuert einige im Ausland erzielte Einkünfte kaum oder gar nicht, Zinsen und Dividenden zum Beispiel oder Erträge aus Lizenzen, Patent- 100% Gusszentrum Ostfriesland Emden 100% Groen Power Amsterdam 100% Technologies de Vent Tortola / Brit. Jungferninseln 100% STA Stanztechnologie Aurich und Markenrechten. Mehr als 12.000 nahezu mitarbeiterlose Finanzfirmen hat die holländische Zentralbank registriert. Auch Wobben fährt nicht nach Amsterdam, um zu kiffen oder Tulpenzwiebeln zu kaufen. Die „aggressive Steuergestaltung“, wie Fachleute die Technik nennen, ist zwar anrüchig, aber (noch) rechtmäßig: Gesetzt den Fall, irgendeine ostfriesische Firma braucht Geld, dann könnte sie sich dieses von ihrer Tochtergesellschaft in Holland leihen. Dafür zahlt man selbstverständlich Zinsen. Diese Zahlungen wiederum schmälern den Gewinn in Ostfriesland – und damit die Steuerlast. Die Steuern, die in Holland auf die Zinserträge erhoben werden, sind so mickrig, dass sie einem ständig unterm Fingernagel hängen bleiben. Über Amsterdamer Briefkastenfirmen kann auf diese Weise jedweder Gewinn, der in Europa erwirtschaftet wird, nahezu unversteuert den Kontinent verlassen, und zwar mit einer Leichtigkeit, als würde man ein Taschentuch fallenlassen. Enercon wollte bis Redaktionsschluss keine weiteren Fragen dazu beantworten. Ein Sprecher weist den Verdacht jedoch zurück, dass die Amsterdamer Firmen der Steuerersparnis dienten. Das mag schon sein. Aber besagte Vorteile sind sicherlich nichts, wogegen die Enercon-Leute auf der Straße demonstrieren würden. U Clean Energy St. Helier/Jersey Gust Investment St. Helier/Jersey 100% Blade Handling Amsterdam 100% Inductor Komponenten Aurich *NEUN GESELLSCHAFTEN IM GESAMTEN BUNDESGEBIET FOTO: GETTY IMAGES Windenergy Service Amsterdam 100% Aero RotorenAurich 100% Enercon Support Aurich Toren Productie Amsterdam 100% WEA Services* 100% WEC Turmbau Emden, Magdeburg 47 UNTERNEHMEN / MÄRKTE „WIR SIND GEWAPPNET!“ Markus Miele, der Waschmaschinen-Monarch, spricht übers Geschäft und die Familie, was er sonst nur eher ungern tut. Text KLAUS BOLDT / Interview DIRK RUSCHMANN D 48 er verehrte Hausgeräte -Her stel ler, der sich vollständig im Besitz der Gründerfamilien befindet, und zwar im Verhältnis 51 (die Mieles) zu 49 (die Zinkanns), erfreut sich eines ausgezeichneten Allgemeinzustands. Noch nie in seiner zweifellos ruhmreichen und 117-jährigen Geschichte hat Miele so viel eingenommen wie im jüngsten Geschäftsjahr, das im Juni 2015 abgeschlossen war: nämlich 3,5 Milliarden Euro, eine Milliarde mehr als vor zehn Jahren. Fehler: unmöglich. In Gütersloh ist man in rechnerischer Hinsicht sehr penibel. In aufreizendem Schwunge strebt alles nach oben: Viele Hunderttausend Wasch ma schi nen, Trockner und Geschirrspüler konnten abgesetzt werden; der 50-millionste Staubsauger verließ das Werk, insgemein also viele Tonnen jener Ware, die Sachverständige als die Weiße bezeichnen. Wie hoch der Gewinn ausgefallen ist, das behalten die Gründer-Urenkel und Geschäftsführer Markus Miele (47) und Reinhard Zinkann (56) einer Gewohnheit folgend für sich. Man plaudert nur privatissime darüber, mit gedämpfter Stimme und Bedacht: Denn man will weder Neid noch Schadenfreude erregen. Mannigfach und zuhauf treibt es Männer und Frauen in die Haushaltsabteilungen oder die Läden der Vertragshändler. Stundenlang ver- harren sie vor den Miele-Geräten, denn sie wünschen sich eines von Herzen. Und manchmal hilft nur Wünschen. Denn Miele ist teuer. „Qualität wird vor Kosten gesetzt“, hat Technikchef Zinkann einmal gesagt. Ein schöner Satz, fast so schön wie der fünfte in Mahlers Zweiter. Doch leider führt das Geheiß vom Primat der Qualität dazu, dass die Miele-Maschinen fast nie kaputtgehen. Der Kunde zahlt für Extraklasse zwar gern mehr, muss dann aber erleben, dass seine Waschmaschine länger hält als er selbst. Miele hat nun die Lebensdauer seiner Artikel auf 20 Jahre festgesetzt. Aber nicht, weil sie dann auseinanderfielen, sondern weil entgegengesetztenfalls eines Tages alle Menschen, die sich Miele leisten können, ausgerüstet wären und Miele selbst dann dichtmachen müsste. „Nach 20 Jahren“, behauptet Markus Miele frech und frei, „will man auch mal etwas Neues.“ Manche Leute wollen aber nicht nur einen neuen Miele-Apparat, sie wollen gleich Miele selbst. Finanzinvestoren haben schon knöchern ans Tor geklopft, wurden von Markus Miele und Reinhard Zinkann jedoch höchst verbindlich abgewiesen oder vom Hof gepeitscht: Die Familien sind einander in hohem Maße gewogen, noch nie fiel ein Schatten auf diese Partnerschaft. Alle sind zufrieden mit den Ergebnissen, niemand will verkaufen. Herr Miele, seit 117 Jahren führen zwei anteilsmäßig fast gleich starke Familien das Unternehmen. Wie schwierig bzw. einfach ist das? Jedem in den Familien ist klar: Das Unternehmen ist das Wichtigste, deshalb gibt es zum Beispiel klare Regeln zur Verwendung der Gewinne und zur Weitergabe von Firmenanteilen. Und wenn jemand aus der Familie im Unternehmen arbeiten möchte, muss er gewisse Kriterien erfüllen. Dafür gibt es ein Auswahlverfahren, das schon in den 70er-Jahren entwickelt wurde. B Welche Voraussetzungen muss ein Familienmitglied erfüllen? Etwa ein Studium, das zur Aufgabe passt, Auslandsberührung und vorzeigbare Berufserfahrungen in einem anderen Unternehmen. Zudem sollte der Kandidat das Potenzial haben, später einmal in die Geschäftsleitung einzutreten, bestätigt durch das Gutachten eines externen Personalberaters. B Mehr als 70 Verwandte der Mieles und Zinkanns halten Firmenanteile. Viele von denen scheinen indes nicht bei Ihnen zu arbeiten. Nein, im Moment sind das nur Reinhard Zinkann und ich. Wobei die Anzahl aber nirgendwo in den Statuten festgelegt ist. Es steht also jedem frei, sich zu bewerben. B Angeblich belässt Miele rund die Hälfte des Gewinns in der Firma, um ihn erneut anzulegen. Erstens investieren wir in Zyklen: Für die Entwicklung und den Launch einer neuen Generation von Einbaugeräten B oder Waschmaschinen müssen wir tiefer in die Tasche greifen. Und zweitens ist es nicht verkehrt, einige Schäfchen im Trockenen zu halten: Da sind wir typisch Familienunternehmen, was nicht zuletzt die Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 wieder ins Bewusstsein gerufen hat. Wir selbst hatten seinerzeit zum Glück nur gut ein Prozent unseres Umsatzes eingebüßt, und ein Jahr später war dies bereits wieder mehr als wettgemacht. Im Übrigen zahlt sich gerade in schwierigen Zeiten aus, keine hohen Kreditverpflichtungen bedienen zu müssen. Jedenfalls hat sich wieder einmal gezeigt, dass wir wenig krisenanfällig sind. B Worauf führen Sie diese Robustheit zurück: auf die Güte der Waren und ihre hohen Preise? Kunden sagen uns immer wieder, dass sie lieber etwas mehr Geld investieren, dafür haben sie auch lange etwas von den Produkten. Sie setzen Vertrauen in unsere Qualität. Die Marke „Miele“ steht für Solidität und Verlässlichkeit. Das zahlt sich aus, auch und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Miele-Installation der „unsichtbaren Küche“ von morgen. Miele verfügt über eine Geschäftsleitung, die sich durch die Gleichberechtigung ihrer fünf Mitglieder auszeichnet. Das heißt, bei Ihnen wird abgestimmt? Nein, es geht immer um die bestmögliche Lösung, hinter der wir am Ende alle stehen. Wenn einer bei einem Thema große Bauchschmerzen hat, überlegen wir noch mal. Sagt einer Nein, dann tut er dies ja nicht, weil ihm irgendeine Nase nicht gefällt, sondern aufgrund sachlicher Argumente, etwa, dass ein zu entwickelndes Produkt im Handel zu teuer sein könnte. B UNTERNEHMEN / MÄRKTE Wie einigt man sich, wenn man sich nicht einigen kann? Dann überlegen wir: Wie können wir günstiger produzieren, aber die Qualität halten? Wir ringen dann um die beste Lösung. Natürlich gibt es auch Projekte, bei denen einer mehr Begeisterung mitbringt als andere. Aber auch dann ziehen wir an einem Strang. Man kann nicht auf Dauer innovativ sein, wenn man immer nur diejenigen Dinge ausprobiert, von denen alle fünf 120-prozentig überzeugt sind. Und natürlich gibt es da gelegentlich auch Misserfolge. B Verraten Sie uns ein paar davon. Wir hatten mal ein Gerät zum Komprimieren von Müll entwickelt, damit unsere Kunden den Platz in der Tonne besser nutzen können. Derartige Verfahren wurden in Deutschland dann jedoch verboten. Und es gab auch mal Staubsauger, deren mutiges Design der Markt nicht angenommen hat. Beides ist aber schon viele Jahre her, glücklicherweise. B Der kleine Anteilsvorsprung der Mieles hat keine Bedeutung? Dieses Verhältnis spielt unter den fünf Geschäftsführern überhaupt keine Rolle. Sie könnten auch nicht immer wieder gegen eine Gesellschafter-Familie stimmen, die 49 Prozent besitzt. Das würde auf Dauer niemand hinnehmen, und dies auch zu Recht. B Wie häufig macht man Miele eigentlich Avancen in Sachen Kauf- oder Beteiligungsangebote? Das kommt immer wieder vor, klar. Aber die meisten Private Equity-Leute lassen nur ihre Visitenkarte da und sagen: Wenn Sie es sich mal anders überlegen, reden wir. Wirklich gut Informierte rufen uns gar nicht an – die kennen die Antwort. B Schon mal an einen Börsengang gedacht? Nein, das brauchen wir nicht. Wir kommen mit unserer Kapitalausstattung wunderbar klar und sind auch für kommende Generationen gewappnet. B Mit Miele verbindet man vor allem Waschmaschinen. Sind die heute noch Ihr Hauptprodukt? B 50 Von den Stückzahlen her ist es der Staubsauger. Davon fertigen wir 2,2 Millionen pro Jahr, Waschmaschinen sind es rund 800.000, Geschirrspüler 700.000. Beim Umsatz ist aber die Waschmaschine nach wie vor der größte Brocken. B Sie führen auch Kaffeemaschinen im Sortiment. Wir kamen aus dem Thema Waschen und sind in den 70er-Jahren auch Richtung Küche gewandert. Ausgelöst wurde das unter anderem durch den Handel: Wo Weiße Ware verkauft wurde, gab es auch Standherde zu kaufen. Also haben wir in dieses Feld expandiert. B Wie groß ist dieser Geschäftsbereich heute? Wenn ich grob überschlage: Waschen, Trocknen und Bodenpflege stehen immer noch für knapp 40 Prozent vom Umsatz; bei den Einbaugeräten in der Küche sind es etwas mehr als 40 Prozent, rund 13 Prozent entfallen auf Miele Professional, also auf Geräte für den Einsatz in Gewerbebetrieben oder medizinischen Einrichtungen. Der Rest ist Markus und Maschine: zwei Mieles, die fast ewig halten. FOTOS: MIELE Service, also für Techniker, Ersatzteile, Staubsaugerbeutel, Reinigungsmittel und andere Verbrauchsgüter. B Und wie kamen Sie vom Herd zur Kaffeemaschine? In den 90er-Jahren kam der Trend, dass man auch zu Hause den Kaffee so zubereiten wollte, wie man ihn im Urlaub genossen hatte. Da dachten wir: Am schönsten wäre doch ein Einbaugerät, das auf Knopfdruck guten Kaffee oder Espresso liefert. Das ist zwar teurer, wurde aber gleich ein Riesenerfolg, weil wir damit die Ersten am Markt waren. Inzwischen haben wir die vierte Generation von Kaffeevollautomaten im Programm, die mit nur einem Knopfdruck zum Beispiel auch Cappuccino oder Latte macchiato zubereitet. B Für einiges Aufsehen hat das Miele-Waschmittel-Abo gesorgt. Ihr Angebot, auch Geschirrspül-Tabletten anzubieten, zielt in eine ähnliche Richtung. Sie wollen die Wertschöpfungskette verlängern? Ja, heute ist das erklärte Strategie, die ursprüngliche Motivation war aber eine andere. In einigen Ländern ist der Frontlader bei Waschmaschinen nicht Standard. In den USA etwa ist es der Toplader, und zudem nutzt man dort andere Waschmittel. Nimmt man die in den USA üblichen Waschmittel nun für Frontlader, erzielt man nicht die besten Waschergebnisse. Das hat uns dazu bewogen, europäische Waschmittel in die USA zu liefern. Auch das haben wir sehr lange und mit gutem Erfolg gemacht, aber eben aus der Not heraus, um das beste Waschergebnis zu erzielen. Denn wenn der Kunde unzufrieden ist, ruft er immer erst uns an – nicht den Waschmittelhersteller oder das Wasserwerk. B Miele hat auch schon Waschmittel entwickelt? Ja, und zwar gemeinsam mit sehr renommierten Herstellern von Markenwaschmitteln. So können wir als Problemlösung, etwa, wenn ein Kunde mit dem Waschergebnis unzufrieden ist, unser eigenes Mittel anbieten und ihm sagen: Damit haben wir gute Erfahrun- BILANZ / MAI / 2016 gen gemacht. Das eliminiert zwar nicht die Frage der Wasserhärte, andere Störfaktoren sind damit aber draußen. B Es heißt, die Lebensdauer einer Waschmaschine sei auf 10.000 Betriebsstunden ausgelegt. Warum nicht auf 100.000? Das würde nicht funktionieren. Für 20 Jahre haben wir uns entschieden, weil wir glauben, dass dies ein sinnvoller Lebenszyklus ist. Das entspricht auch dem, was uns die Kunden rückmelden. Nach 20 Jahren will man auch mal etwas Neues. Diese 20 Jahre rechnen wir um auf haushaltsübliche Nutzung, und das ergibt dann bei der Waschmaschine 10.000 Betriebsstunden, beim Geschirrspüler sind es 7.500. Es dürfte auch in der Industrie einzigartig sein, dass jedes einzelne Modell derart aufwendige Prüfzyklen durchläuft, bevor es in Serie geht. B Gibt es die berühmten Sollbruchstellen, wie unterstellt wird? Nein, bei Miele sowieso nicht, und auch bei anderen Unternehmen kann ich mir das nicht vorstellen. Darauf zu spekulieren, die Kunden kämen umso schneller gerne wieder, je schneller ein Produkt seinen Geist aufgibt, wäre kaum ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell. Oder stellen Sie sich vor, so etwas gäbe es und das käme an die Öffentlichkeit: Eine Firma, die derart bloßgestellt würde, könnte direkt aufhören. Seit Jahrzehnten sind Sie im B Geschäft des Waschens und Spülens und müssten alles darüber wissen – trotzdem beschäftigen Sie mehr als 1.000 Entwickler. Woran, um Himmels willen, arbeiten die alle? An neuen Ideen! Beispiel: unsere neuen schnell auflösenden GeschirrspülerTabs, sodass Spülprogramme jetzt kürzer laufen können. Oder die neuen Lamellen in unseren Geschirrkörben, die langstielige Gläser besser fixieren. Oft sind es für Ingenieure kleinere Verbesserungen, die aber beim Kunden einen großen Unterschied bedeuten. Hand aufs Herz, hätten Sie nicht B auch gern einen „Thermomix“ für über 1.100 Euro im Angebot? Vorwerk muss angeblich sogar Wartelisten einrichten aufgrund der hohen Nachfrage. (lacht) Die Kollegen von Vorwerk machen das sehr gut. Insofern: Die Idee ist hervorragend. Aber zu uns würde es nicht passen, zum Beispiel, weil kleinere Haushaltsgeräte über andere Vertriebskanäle verkauft werden als unsere Produkte. B Wie verteilen sich die Miele-Umsätze auf Länder und Kontinente? Unser Hauptmarkt ist Deutschland, hier erwirtschaften wir rund 30 Prozent unseres Umsatzes. Dann folgen die USA, die Schweiz ist unser drittstärkster Markt. Beim aktuellen Schweizer Umsatzwachstum spielt allerdings auch der starke Franken eine Rolle. B Ihr Unternehmen bezeichnet sich als die einzige weltweit vertriebene Premium-Marke für Hausgeräte. Nehmen Sie Bosch, Samsung oder V-Zug in der Schweiz nicht ernst? Natürlich gibt es global erfolgreiche Hersteller, etwa, wenn ich an unsere deutschen Wettbewerber mit ihrem breit aufgestellten Markenportfolio denke. Und natürlich gibt es Spezialmarken, die ich durchaus zum Premium-Segment zählen würde, die aber nicht die weltweite Präsenz haben wie Miele. Ich denke da zum Beispiel auch an V-Zug. Der Wettbewerb ist von Kontinent zu Kontinent anders. In den USA treffen wir auf Anbieter, die wir in Europa gar nicht kennen. B Samsung wollte bis 2015 weltgrößter Hersteller von Haushaltsgeräten sein – was misslang. Samsung ist ein dynamisches Unternehmen mit einer hervorragenden Marktposition bei den Consumer Electronics und ambitionierten Zielen auch bei der Weißen Ware. Allerdings ist das Geschäft mit den Hausgeräten komplexer als die Vermarktung von Fernsehern oder Smartphones. B Warum denn das? Die Art, wie die Leute ein Handy benutzen, ist, was die Hardware betrifft, weltweit ziemlich ähnlich. Beim Kochen ist das anders. In China etwa spielen Wok oder das Dampfgaren eine besondere Rolle. Oder nehmen Sie den Backofen: Wir nennen ihn so, weil wir darin backen. Aber schon die Engländer braten und garen viel mehr darin, nutzen das Gerät also anders; in Korea gibt es die Kimchi-Kühlschränke; US-Amerikaner haben andere Lebensmittel, bereiten die anders zu und haben noch dazu andere Geschmäcker. Das alles müssen wir berücksichtigen. B In Asien verbucht Miele ein schnelleres Umsatzwachstum als in Europa. Richtig ist, dass wir vor allem dort noch viel Potenzial haben, wo eine Menge Menschen leben, der Wohlstand stark steigt und Miele noch nicht seit vielen Jahrzehnten im Markt präsent ist. Auch dort wollen wir aber nur Schritt für Schritt wachsen: erstens, weil wir uns selbst finanzieren, also ohne Bankkredite oder sonstiges Fremdkapital, und zweitens, weil wir die Zeit brauchen, um auch ein entsprechendes Service-Netz aufbauen zu können. Die dafür nötigen Techniker müssen ausgebildet werden. Schließlich wollen wir den Menschen dieselbe Qualität wie in Deutschland oder der Schweiz bieten können, sowohl bei den Produkten als auch beim Service. Das Markenbild soll überall auf der Welt dasselbe sein. B Dennoch ein Luxusproblem: wenn sich der Markt schneller vergrößert, als man selber möchte. Klar. Aber es ist nun einmal gar nicht so einfach, genügend qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Hinzu kommt, dass etwa in Asien oft nicht die Kunden selbst die Waschmaschine bedienen, sondern die Hausangestellten. Für die bieten wir Kurse an, anschließend bekommen sie von uns ein Zertifikat. Das finden sie als Zusatzqualifikation toll, und bei uns landen weniger Reklamationsanrufe, weil jetzt keiner mehr einen Wollpullover bei 95 Grad gewaschen hat. Herr Miele, vielen Dank für dieses B Gespräch. U 51 IDEEN / INNOVATIONEN VOM ZWITSCHERN DER VÖGEL Der Konstrukteur Calin Gologan baut die besten alltagstauglichen ElektroFlugzeuge. Airbus und Siemens haben gegen ihn (noch) keine Chance. Text / BERND ZIESEMER Fotos / DOMINIK GIGLER 52 Flugpionier Gologan in seinem Hangar bei Landsberg: Hier baut er Leichtmaschinen aus Karbonfasern. BILANZ / MAI / 2016 53 IDEEN / INNOVATIONEN O 54 ttobrunn bei München, 7. April 2016: Grundsteinlegung für das neue „Systemhaus Elektrisches Fliegen“. Airbus-Chef Thomas Enders gibt sich die Ehre, zwei Bürgermeister sind an Ort und Stelle, eine Landesministerin aus München und eine Staatssekretärin aus Berlin, eine Landtagsfrau und ein Bundestagsmann, ein Dutzend ehemaliger und amtierender Manager, dazu Enders’ Hutträger, der Maurerpolier Thomas Müller in Zimmermannskluft. Und sozusagen on top und herbeigeeilt ist auch der Käser Josef, der Siemens ganz rexgildomäßig unter einem Künstlernamen („Joe Kaeser“) leitet und aus gegebenem Anlass eine coole schmale Krawatte trägt. Dann die Feinaufstellung zum Gruppenbild: Daumen hoch, Kommando-Grinsen. Alles wunderbar, alles Siegertypen, alles in Ordnung. 200 Leute, die meisten von ihnen Ingenieure, werden, sobald es fertiggestellt ist, im Systemhaus Elektrisches Fliegen ihrer Entwicklungsarbeit nachgehen und Elektro-Antriebe für Flugzeuge ausklügeln, und zwar für solche, in denen mehr als 20 Passagiere Platz finden. Bis 2020 will man eine Entscheidung darüber fällen, für welche Einsätze solche vermutlich Hybrid-elektrischen Motoren ausführbar sind. Es dauert nicht so lange, weil man schwere Beine hätte, sondern weil man gewohnt ist, alles schön konzernhaft durchzugrübeln. Das E-Engagement ist Airbus und Siemens einen beachtlichen dreistelligen Millionenbetrag wert. Ein Kooperationsvertrag zur „Elektrifizierung der Luftfahrt“ ist geschlossen. Ein Tag zuvor, 6. April, 80 Kilometer westlich von Ottobrunn, Gemeinde Hurlach, Gewerbegebiet: Calin Gologan (62) wuchtet drei Samsung-Flachbildschirme aus seinem Volkswagen in eine Halle. Gologan ist Futurist und Flugzeug-Ingenieur und Rumäne der Herkunft nach, er trägt Strubbelschnitt und Fünftagebart, aber keine Krawatte. In der Ecke rechts vom Eingang baut er einen neuen Flugsimulator zusammen. Dafür braucht er die Samsung-Bildschirme und den anderen Elektrokram aus dem Elektroladen. Auch Gologan hat einen Vertrag zur Elektrifizierung der Luftfahrt geschlossen, und zwar einen mit sich selbst. Hinten in der Halle glänzt, leuchtet, strahlt und prunkt – in Dottergelb und Zahnpastaweiß und von himmelblauen Linien umspielt – sein Wunderwerk, sein Wundervogel: der Elektro-Einsitzer „Elektra One“, aus Platzgründen allerdings mit gestutzten Flügeln. Auch Gologan besitzt ein Systemhaus Elektrisches Fliegen, nur fällt bei ihm in Hurlach alles 200 Nummern kleiner aus als in Ottobrunn. Aber das heißt nicht, dass er sich mit Siemens und Airbus nicht anlegen würde. Das tut er gern, schon aus Gewohnheit. Wer ist dieser Mann, der mit seinem Leichtflieger gegen Milliardenkonzerne antritt und, von der Öffentlichkeit bislang weitgehend unbeachtet, seinen Lebenstraum in einem Dorf bei München zu verwirklichen trachtet? Eines ist gewiss, Gologan hat die erste Etappe auf dem Weg in die Zukunft der elektrischen Luftfahrt gewonnen. Er liegt (noch) in Führung. In seinem Kleinbetrieb namens „PC-Aero“ konnte er die einfach zu bedienende „Elektra One“ bereits in mehreren Modellvarianten zubereiten. Es genüge, vorhandene Techniken zu nutzen und „konsequenten Leichtbau zu betreiben“. Das Fluggerät in der Hurlacher Halle wiegt 100 Kilogramm, dazu kommen die noch einmal so schweren Batterien und natürlich der Pilot. Solarzellen zur Sonnenbetankung Obrigkeiten, Strategen und Däumlinge mit Grundstein in Ottobrunn. bedecken die Oberflächen der extralangen Flügel. Die „Elektra One“ hat einen Aktionsradius von mehr als 300 Kilometern, mit einem Motor, der drei Stunden läuft und nicht mehr Energie verbraucht als eine Waschmaschine. Das Fabrikat von Airbus, der „EFan“, ein Zweisitzer für das Pilotentraining des Hauses, hält sich dagegen nur 40 Minuten lang in der Luft und schafft dabei weniger als die Hälfte der Flugstrecke. Zweimal überflog die „Elektra One“ die Alpen, dem „E-Fan“ gelang der Sprung über den Ärmelkanal. Flieger schätzen an den E-Maschinen ihre einfache Handhabung und ihren Komfort. Die Elektromotoren sind kaum zu hören und vibrationsfrei. Kein Pilot muss Kopfhörer tragen. Als die „Elektra One“ am 19. März 2011 zu ihrem Jungfernflug abgehoben hatte, sagt Gologan, da war „das Zwitschern der Vögel lauter als das Flugzeug 200 Meter über unseren Köpfen“. Für E-Flugzeuge gelten an Sonnund Feiertagen weder Start- noch Landeverbote. Auch in der Nacht spricht nichts gegen ihren Betrieb. Piloten ist forthin nichts verboten. Doch mit den Vorteilen und -zügen hat es damit noch kein Bewenden: Weil Elektro-, anders als Verbrennungsmotoren, keine Luft benötigen, büßen sie mit der Höhe, die sie gewinnen, nicht an Leistung ein. Das Aggregat selbst ist nahezu wartungsfrei, Brennkammer, Verdichter, Filter oder Getriebe fehlen, Kühlwasser und Öl müssen weder in Augenschein genommen noch erneuert oder gewechselt werden. Vor allem bei Sport- und Freizeitfliegern dürfte das E-Flugzeug frohen Anklang finden, in absehbarer Zukunft, wenn leistungsstärkere Batterien zur Verfügung stehen, jedoch auch in der Transportbranche. Der Betätigungsdrang von Airbus und Siemens bereitet Gologan zurzeit (noch) keinen Kummer. AirbusEnders spricht zwar von „atemberauschenden Fortschritten“, die sein Unternehmen in der Elektro-Disziplin erziele, doch Gologan kann davon nicht viel entdecken: „Der ,E-Fan‘ ist viel BILANZ / MAI / 2016 RIVALEN DER LÜFTE Großunternehmen und Kleinbetriebe liefern sich einen Wettstreit um die ersten alltagstauglichen Elektroflugzeuge. Mit dabei: Airbus (Foto), Boeing, Calin Gologans PC-Aero, ein Team der Universität Stuttgart, der Schweizer Bertrand Piccard mit seiner „Solar Impulse“ sowie diverse Russen und Chinesen. schlechter als unser Flugzeug.“ Seit über 30 Jahren konstruiert der Mann Flugzeuge aller Art. Auf den ersten Blick kommt einem dieser Vollprofi fast wie ein Sonderling vor. Zum Gespräch erscheint er mit weißer Brille, neongrüner Feinsteppjacke, brauner Cordhose und blauen Turnschuhen. In seinem Behelfskonferenzraum über der Halle stehen ausrangierte Flugzeugsitze, Kabelenden hängen von der Decke. Gologan spricht mit leiser Stimme, weichem Zungenschlag, und er wählt bisweilen einfache, bei Naturwissenschaftlern dennoch eher unübliche Sprachbilder: „Man muss neue Dinge pflücken wie schöne Blumen am Wegesrand.“ Zum Mittagessen beim Italiener genehmigt sich der charmante Men- schenfänger erst einmal ein schönes Glas Rotwein: nur keine Hast. Zum Zweikampf mit Airbus merkt er an: „Gib dem Ingenieur zu viel Geld – und er baut ein schlechtes Flugzeug.“ Die Entwicklung der „Elektra One“ verschlang in der Tat nicht mehr als 90.000 Euro. Genehmigt hatte Gologans Gattin zunächst eigentlich nur die Hälfte. Doch sie weiß natürlich, dass ihrem Calin ein gewisser genialischer Zauber innewohnt und dass man ihm, was die Flugzeuge angeht, bedingungslos vertrauen kann. Denn seit vielen Jahren ist Gologan ein gründlicher Kenner der Airbus-Boeing-Welt. Sein erstes Flugzeug hat der Mann noch am Reißbrett eines Staatskombinats in Rumänien entworfen. Das war 1982. Nach seiner Übersiedlung 1989 arbeitete der Leichtbauexperte viele Jahre lang beim Sportflugzeugbauer Grob, aber auch in der Militärsparte von Airbus, damals noch unter dem Namen EADS bekannt. Doch eines Tages hatte Gologan genug davon, „bloß die Rippe eines Gologans Wundervogel, die „Elektra One“. Aktionsradius: 300 Kilometer. FOTOS: AIRBUS GROUP, DOMINIK GIGLER, PICTURE ALLIANCE 55 IDEEN / INNOVATIONEN 56 Flügels zu entwickeln“, und machte sich 2002 im schwäbischen Nesselwang selbstständig: als Ein-Mann-Betrieb. Hier wollte er seinen Lebenstraum vom Elektroflugzeug verwirklichen. Vielleicht beschreibt man Gologan am besten als einen Sammler – einen Entdecker von Talenten und Techniken. In seiner Crew arbeiten gegenwärtig rund 20 Leute an E-Maschinen der zweiten und dritten Generation: Ingenieure, die ihre Freizeit opfern, Flugzeugverrückte, besessene Piloten, Computertüftler in Teilzeit, finanziell unterstützt von Privatleuten mit Luftfahrt-Faible. Und dann ist da natürlich noch Gologans wichtigster Mann: David Wacker, Star-Techniker, ein breiter Kerl und Russland-Deutscher, der mit seinem Bürstenschnitt, dem schwarzen T-Shirt und der grauen Arbeitshose wie das erdige Gegenbild zum luftigen Freigeist Gologan aussieht. Seit über 20 Jahren arbeitet Wacker, ein gelernter Flugzeugbauer, mit dem Werkstoff der Zukunft: superleichten und überaus zugfesten Karbonfasern. Beim „Eurofighter“ oder beim „Airbus A350“ – überall, wo es schwierig wurde, war Wacker zur Stelle. Noch heute rufen ihn die alten Konzernkollegen an, wenn sie Rat suchen und Hilfe brauchen. Als Chef der Kleinfirma Carbon Wacker arbeitet der gebürtige Kasache jetzt aber vor allem für Gologan, und zwar buchstäblich wie ein Filigranhandwerker: mit Schere, Folie, Pinsel. Such’ dir die besten Leute und die besten Komponenten: Das ist Gologans Philosophie. Er sagt: „Wir erfinden eigentlich gar nichts selbst.“ Warum auch? Nie zuvor waren so gute Elektromotoren verfügbar wie heute, so gute Steuerungen, Batterien und filmdünne Solarzellen für die Flügel. Und unablässig kommen noch bessere Bauteile auf den Markt. Man muss sie freilich finden und imstande sein, sie auf ausgepichte, raffinierte Weise zusammenzubauen. Wie umwälzend diese Vorgehensweise sein kann, begreift man, wenn man sich in den Montagehallen der klassischen Flugzeugindustrie umschaut: Bei Airbus und Boeing erfinden sie für jedes Projekt jede einzelne Schraube – deshalb die übermäßig hohen Kosten neuer Flugzeuge. „Wenn wir für irgendetwas 100 Euro ausgeben“, sagt Gologan, „dann geben sie bei Boeing 10.000 Euro dafür aus.“ Mit Rückschlägen, die bei seinem Verfahren unvermeidlich sind, wurde Gologan fertig. 2014 etwa musste sein Elektroflieger nach einem Ausfall der Motorsteuerung in der Lagune von Venedig notwassern – ausgerechnet vor laufenden Kameras, bei einem Demonstrationsflug für die Geldgeber. „Das war unser Tiefpunkt“, sagt Gologan. „Aber ans Aufgeben dachten wir keine Minute.“ Stattdessen entwarf sein Team binnen eines Jahres einen völlig neuen Antriebsstrang für die „Elektra One“: Auf der Propellerachse der Maschine sitzen nun zwei Elektromotoren mit getrennter Steuerung und Stromversorgung. Ermöglicht würden solche schnellen und kostengünstigen Entwicklungen, nach dem Dafürhalten von Gologan, vor allem dadurch, dass er so nah bei der Herstellung sei: „Ich gucke aus dem Fenster auf mein Flugzeug: Nur so funktioniert es.“ Bei Airbus gebe es Hunderte von Ingenieuren, die niemals jenen Prototyp überhaupt zu Gesicht bekämen, an dem sie arbeiteten. Auch bei künftigen Unternehmungen will Gologan an seiner Philosophie der Einfachheit festhalten. Der erste Zweisitzer mit Elektroantrieb wächst bei Wacker mit Kunstharz und Karbon bereits aus den Negativformen. Im Herbst bricht der Unermüdliche mit einer verstärkten Version der „Elektra One“ zu einem Rekordversuch in die Schweizer Stratosphäre auf. Und sein großes „Projekt E 10“ – ein zehnsitziges Reiseflugzeug mit Hybridantrieb, also Elektro- und Verbrennungsmotor – soll demnächst gemeinsam mit der Münchener Partnerfirma Eadco in die abschließende Entwicklungsphase eintreten. Dieser Tage bearbeitet Gologan die ersten Geldgeber. Auch denkt er über kommerzielle Einsatzmöglichkeiten der „Elektra One“ nach – als Trägerflugzeug ließe sie sich etwa für die Kartografierung von Städten und Landschaften mit 3-D-Technik nutzen. Kürzlich war der Flugzeugbauer in China unterwegs, um seine Ideen zu verkaufen; und auch mit Google und Facebook in den USA habe er schon konferiert, bislang freilich ohne Ergebnis. Die Internetkonzerne suchen nach Tricks, wie sie Höchstgeschwindigkeit 100 Sachen: der Propeller der „Elektra One“. Das Schwerste am Karbon-Cockpit sind die Schalter und Knöpfe. BILANZ / MAI / 2016 teure Fernmeldesatelliten ersetzen und vor allem in der Dritten Welt schnelle Datenübertragungen für wenig Geld ermöglichen können. Im nächsten Jahr dann soll die „Elektra One“ für vergleichsweise günstige 100.000 Euro in den Verkauf kommen: Die Zulassung ist beantragt. Ist Gologan ein Fantast, ja, ein Spinner gar? Mitnichten. In Wahrheit denkt der Mann seine Ideen nur pionierhaft zu Ende: Eine Entwicklung entspringt aus der anderen. Von Anfang an hatte der Firmengründer eine kleine Flotte von Flugzeugen im Sinn und nicht nur ein einziges Modell. Seine Maschinen, findet er, bildeten die „Technologiebrücke“ in die Zukunft, wenn noch bessere Batterien mit wesentlich höherer Auch der Leichtbau-Rumpf der E-Maschine besteht aus Karbon. Energiedichte als heute zur Verfügung stünden, noch bessere Motoren und noch bessere Materialien: „Der Weg, den wir gehen, führt am Ende in die kommerzielle Luftfahrt.“ Das sieht der bullige Airbus-Manager Martin Nüsseler (48), Leiter des neuen Ottobrunner Elektrik-Zentrums, ein bisschen anders. Die Halbstarken aus Hurlach machen ihm keine Sorgen: Von Kleinflugzeugen wie der „Elektra One“ führe „kein Weg zu den neuen Technologien, die wir für die kommerzielle Luftfahrt brauchen“. Nüsseler, Maschinenbauer aus dem bayerischen Marktoberndorf, arbeitet seit 2002 für Airbus an Großprojekten wie dem Militärflugzeug „A400M“ oder dem großen „A350“ – ein Konzernmann aus Korn und Schrot, erfahren als Kommandeur ressortübergreifender Einheiten und in der Steuerung komplizierter Entwicklungsprozesse. Ein Erfolgsmanager in einer Erfolgsfirma. Im Gespräch mit der BILANZ vertritt Nüsseler die Meinung, dass kleine Firmen wie PC-Aero „klar überfordert“ seien „mit der Entwicklung kommerzieller Elektroflugzeuge“. Bei Airbus gehe man anders an die Sache heran. Man nehme sich die Zeit, alles schön grundsätzlich zu durchdenken. Erst 2020 soll ein Beschluss gefasst werden, welchen Flugzeugtyp Airbus überhaupt bauen will: ein Regionalflugzeug mit 100 Sitzen und Hybridantrieb? Bis 2030 könnte des entwickelt sein, sagte Airbus-Boss Tom Enders in Ottobrunn: „Wir klotzen jetzt richtig ran.“ Calin Gologan, ein Anhänger des beschleunigten Verfahrens, muss lächeln, wenn er so etwas hört. Gern erzählt er die Geschichte von Charles Lindbergh, seinem Vorbild, der im Mai 1927 mit der „Spirit of St. Louis“ den Atlantik überquerte. Das eigentliche Abenteuer seien nicht die Stunden des Rekordflugs gewesen, sondern die Zeit davor: „Im Februar 1927 hatte Lindbergh weder ein Flugzeug noch das Geld dafür“, sagt Gologan. „In weniger als drei Monaten wurde es entwickelt und gebaut.“ I 57 IDEEN / INNOVATIONEN Wenig Zucker, keine Laktose, dafür viel Kalk und Eiweiß: Die Designer-Milch der US-Firma Fairlife soll den Molkerei-Markt stimulieren. Zunächst in Amerika – und dann auch in Deutschland. DIE MILCHMIXER Text KLAUS BOLDT, STEPHAN KNIEPS und JÜRGEN SCHÖNSTEIN 58 Die Geschichte von Coca-Colas neuer Supermilch begann mit einer trüben Brühe: Auf dem Hof des Viehzüchters Mike McCloskey in Neu Mexiko war eines Tages Schmutzwasser aus dem Brunnen getreten. Rätselhaftersowohl wie ärgerlicherweise. Und nicht ungefährlich war es auch, denn die Rinder mochten das Wasser nicht saufen. Aber McCloskey ist ein Cowboy der cleveren Garnitur, und er baute einen cleveren Filter, der so geschickt konstruiert war, dass Sue, sein Weib, ihm eines Tages auf die Schulter haute und ihn kernigerweise frug: Warum filtern wir nicht einfach auch gleich noch die Milch unserer Kühe? Also, sagt der heute 64-jährige McCloskey, hätten sie kurzerhand das Schlechte aus der Milch herausgefiltert und nur das Gute behalten: Right or wrong – my country. So einfach ist das: Aus einem Wasser- wurde ein Milch- wurde ein Super-duper-Ultrafilter. Und dieser Über-Filter macht aus Milch eine Über-Milch, und die wird seit eineinhalb Jahren mit fröhlich wachsendem Erfolg unter die Edeltrinker gebracht für 2,78 Dollar pro Liter (umgerechnet 2,45 Euro). Doppelt so viel wie Ordinärmilch. Vertrieben wird der Trank von einer Firma namens Fairlife in Chicago, die McCloskey und der seinerzeitige Coca-Cola-Exmanager Steve Jones (60) 2011 gegründet haben. Und „Fairlife“ heißt nun auch ihre „ultragefilterte“ Milch: Sie ist laktosefrei, enthält nur halb so viel Zucker wie gewöhnliche Milch und ist zum Ausgleich mit Eiweiß und Kalzium kräftig angereichert, um nicht zu sagen, richtiggehend frisiert. Unter amerikanischen Marketing-Schwärmern und -Sachverständigen gilt die sogenannte Designer-Milch als aktuelle Großattraktion im Lebensmittelhandel und als künftiger Milliardenmarkt noch dazu. Die Hoffnung, dass sich große Geschäfte mit Designer-Milch machen ließen, verbindet sich vor allem mit der Tatsache, dass Coca-Cola, der weltgrößte Getränkekonzern (Umsatz: ca. 40 Mrd. Euro), also eine Fachautorität, die es wissen muss, bei Fairlife eingestiegen ist und nun, kraft seiner zu allem entschlossenen Vertriebs- und Vermarktungsverbände, die Durstigen dahingehend beeinflussen will, dass sie den Genuss von „Fairlife“ als Ausdruck irgendeines Lebensgefühls verstehen: jung, modern, gesund, sexy oder umgekehrt. Er wolle seine weiße Ware „in jeden Kühlschrank Amerikas“ bringen, sagt Fairlife-Chef Steve Jones. Wenn man die Sache richtig angehe, knurrte Coca-Colas US-Chef Alexander Douglas auf einer Investorenkonferenz vor anderthalb Jahren, werde Fairlife „Geld regnen“ lassen. Ja, so sind sie, die Marketing-Leute: um keinen Spruch verlegen. In der Tat versucht Coke, mit Fairlife eine Antwort zu finden auf die Sorgen, die das Unternehmen im Limonadegeschäft quält, wo die Einnahmen schon 2014 um 1,1 Prozent BILANZ / MAI / 2016 59 weggedämmert waren. Aufs Verkaufstalent ihres Exkollegen Jones halten die Strategen aus Atlanta große Stücke: Der Manager hatte schon die Saftmarke „Simply Orange“, abgefüllt vom Tochterbetrieb Minute Maid, sowohl trick- als auch erfolgreich auf den Markt gebracht – ein Erzeugnis, das von Erfrischungsdesignern in einem per Algorithmus gesteuerten Verfahren aus mehr als 600 verschiedenen Komponenten gestaltet wurde. Das war vor 15 Jahren. Heute fährt „Simply Orange“ 1,3 Milliarden Dollar ein. Die Leute sind völlig aus dem Häuschen. Nach seinem Austritt aus dem Coke-Verein hatte sich Jones als Berater von Gründerunternehmern die Zeit vertrieben und war als ein solcher 2010 auch auf die McCloskeys gestoßen, die in der Zwischenzeit Die erste „Fairlife“-Werbekampagne, Pin-up-Mädchen in knappen Milchkleidern, wurde nach Sexismus-Vorwürfen zwei Monate später wieder eingestellt. eine Genossenschaft ins Leben gerufen hatten: die Select Milk Producers, eine der größten Agrar-Kooperativen in den USA. Man muss sich das aber nicht merken. Ihr erste Produktidee, ein MilchEnergiegetränk namens „CorePower“, hatte den McCloskeys nicht den erhofften Erfolg beschert. Doch ihre nächste Création, eine aus Milchfiltraten angerührte Spezialmilch, hatte das gewisse Etwas: Jones witterte eine Möglichkeit, den Erfolg, den er mit „Simply Orange“ verbucht hatte, zu wiederholen. Milch? Milch. Milch! Das muss man sich einmal vorstellen: das erste FOTO: FAIRLIFE Getränk jedes Säugetiers und trotzdem war noch niemand auf die Idee für eine Über-Milch gekommen. Im vergangenen Jahr setzte Fairlife bereits 90 Millionen Dollar um. Das ist gewiss nicht die Welt auf einem Markt, der ein Ausmaß hat von 83 Milliarden Dollar. Aber es ist doch genug, um Matthew Gould, einen Milchfachschreiber vom US-Branchendienst „Dairy & Food Market Analyst“, geradezu in Verzückung zu versetzen: „Das ist enorm!“, schreit er und lässt wissen, dass „der Umsatz 2016 noch ganz erheblich steigen“ werde. Fairlife will sich den Umstand zunutze machen, dass die Amerikaner a) im Grunde ihres Herzens echte Milchfreunde sind, 73 Liter schüttet jeder von ihnen pro Jahr in sich hinein (20 Liter mehr als der Durchschnittsdeutsche), und b) an Frisch- und H-Milch IDEEN / INNOVATIONEN MILCH MACHT MELKER MÜDE Gleichwohl Experten der Designer-Milch hierzulande gute Chancen einräumen, bleiben deutsche Molkereien passiv bis skeptisch. 3.440 60 Nein, man habe keine Angst, einen Trend zu verpassen, begründet die deutsche Tochterfirma der dänischen Großmolkerei Arla (Umsatz: 10,3 Milliarden Euro) ihre Zurückhaltung bezüglich der Designer-Milch. „Dieses sehr funktionale Konzept passt aktuell nicht zu unserer Markenstrategie“ und außerdem: „Man kann und muss nicht auf jeden Zug aufspringen.“ Damit vertritt Arla eine Mehrheitsmeinung unter deutschen Molkereien: Ehrmann lässt ausrichten, man sehe für diese Art von Milch „in Deutschland keinen relevanten Markt“, für die Bio-Molkerei Andechser sei Designer-Milch „kein Thema“, und eine Sprecherin der Schwarzwaldmilch glaubt zu wissen: „Die Akzeptanz für modifizierte Lebensmittel ist in den USA höher als in Deutschland. Deutsche Verbraucher sind grundsätzlich kritischer.“ Theo Müller, Danone, Bauer, Söbbeke und Friesland-Campina („Landliebe“) ziehen es vor, sich erst gar nicht zum Thema zu äußern. Dabei geben der sinkende Normalmilch- und der steigende Spezialmilchverbrauch (s. Grafik) den Molkereien wenig Anlass zu solch ablehnender Haltung – und das, obwohl die Werbeausgaben für Milch und Milchzubereitungen von 2014 auf 2015 um 39 Prozent auf 44 Millionen Euro gestiegen sind. Hinzu kommt die Erfahrung, dass Trends auf dem US-Markt in aller Regel auch in Deutschland anschlagen – mit womöglich schlimmen Folgen für die Nachzügler. Zuletzt mussten deutsche Bierbrauer bei der Craftbeer-Welle diese Erfahrung machen. Mark Wilms, Chef der Werbeagentur Jung von Matt/Neckar, der unter 3.298 3.275 3.322 NORMALE MILCH (H- und Frischmilch) SPEZIALMILCH (u.a. laktosefreie Milch, Soja-, Mandel- und Reismilch) ANGABEN IN TAUSEND TONNEN QUELLE: GFK 177 198 223 149 2012 2013 2014 2015 anderem für Ehrmann arbeitet, kann sich Designer-Milch gut in Deutschland vorstellen: „Denn auch bei uns gibt es den Megatrend Gesundheit. Und der Handel braucht Innovation. Gerade die Milchwirtschaft muss sich kontinuierlich etwas Neues einfallen lassen, um im hart umkämpften Supermarktregal zu bestehen. Deutsche Verbraucher sind da auch durchaus offen.“ Sein Kollege Tim Keil von der Werbefirma Philipp und Keuntje, die unter anderem „Bärenmarke“ als Kunden betreut, hält Designer-Milch aus wirtschaftlicher Sicht durchaus für sinnvoll: „Beim Blick ins Milchregal zeigt sich ja: Die Preise und Margen sind so gering, da ist kaum noch Geld zu machen. Geld verdient man nur mit den weiterverarbeiteten Milchprodukten. Vielleicht würde Designer-Milch bei uns am besten funktionieren, wenn man sie – zumindest anfangs – über Drogeriemärkte verkaufte, die sowieso schon viele funktional optimierte Produkte anbieten.“ Und es gibt erste Anzeichen: Seit Kurzem erobert griechischer Joghurt in Deutschland in hohem Tempo Marktanteile; Gleiches gilt für den isländischen Quarkjoghurt Skyr. Das Besondere an beiden Produkten: ihr hoher Eiweißgehalt. I Während normale Milch stockt, gewinnen laktosefreie Milch und Milch-Imitate in Deutschland Marktanteile. BILANZ / MAI / 2016 immer weniger Geschmack finden. „Was da im Kühlregal steht, sieht doch alles gleich aus, und schmecken tut’s auch nicht gerade aufregend“, sagt Gould. Die letzte Neuerung der Milchbranche ist fast 40 Jahre alt: die laktosefreie Milch. „Fairlife“ sei „endlich mal wieder eine Innovation“. Die Ultra-Filtertechnik, mit der das Unternehmen arbeitet, ist nicht unbedingt eine Weltsensation: In praktisch jeder Molkerei werden heute Filtrationsanlagen eingesetzt, die Fett oder Milchzucker aus der Molke seihen. Fairlife geht allerdings einen Schritt weiter: Denn Mike McCloskey hat – gemeinsam mit der Polytechnic State University in San Luis Obispo, Kalifornien – ein Verfahren entwickelt, das die Milch komplett in ihre Bestandteile zerlegt (Wasser, Vitamine, Mineralien, Milchzucker, Eiweiß, Fett) und sie anschließend wieder nach dem Belieben der Lebensmittel-Designer zusammenfügt. Was die Kundschaft vor allen Dingen ansprechen soll, ist der im Vergleich zu naturbelassener Milch doppelt so hohe Eiweiß- und Kalzium- und nur halb so hohe Zuckergehalt von „Fairlife“: Proteine gelten in der Wohlfühl- und Fitnessgesellschaft als erstrebenswerter Nahrungszusatz, der die Muskulatur stärke und Kinder wachsen lasse. Das „Fairlife“-Design wird fälschlicherweise, aber nicht unbedingt gegen den Willen von Jones, als Abkömmling der Bio-Milch betrachtet. In Wahrheit ist die Marke alles andere als ein Erzeugnis alternativnaturbewusster Landwirtschaft. Abgesehen davon, dass das „Fairlife“-Vieh sein Leben im Stall statt auf der Weide vertrödelt und wegen des vielen Mais, den es frisst, häufig unter einer medikamentös behandelten Magenübersäuerung leidet, wird der Milch bei der Zerlegung auch noch das Enzym Laktase beigemischt, das die Laktose-Reste auflöst. „Fairlife“ sei ein „Industrieprodukt“, sagt Milchmann Gould. Dass diese „Frankenstein-Milch“ (US-Fernsehkomiker Stephen Colbert) Die Milchbauern und Westenfreunde Mike und Sue McCloskey erfanden den Spezialfilter, der Milch in ihre Bestandteile zerlegen kann und aus ihr ein Designerstück macht. FOTOS: FAIRLIFE gleich neben ökologisch einwandfreier Ware im Regal zu finden ist, stimmt Ed Maltby vom Biomilch-Bauernverband in Neuengland zwar nicht unbedingt glücklich. Aber es würde auch nicht schaden: „Als Biomilch-Erzeuger stehen wir doch schon lange unter dem Druck von Ersatzgetränken wie Sojaoder Mandelmilch“, sagt der Landwirt. Wenn die Reklameprofis von Coca-Cola sich des Marktes annähmen, könne das „durchaus von Vorteil“ für alle sein. Auf die Werbekampagne, mit der „Fairlife“ bekannt gemacht wurde, traf diese Einschätzung zumindest nicht zu. Die Anzeigenmotive mit Pin-up-Girls, die so aussahen, als hätte man ihnen Eimer mit „Fairlife“-Milch über die Körper gekippt, riefen einen jener sogenannten Scheißstürme im Internet hervor: „Rückständig“ und „sexistisch“ lauteten die wohlwollendsten Besprechungen. Nach acht Wochen ließ Jones die Kampagne einstellen. Braucht die Welt nun DesignerMilch – ist sie wirklich besser als das Original? „Milch ist eigentlich schon ganz gut so, wie sie ist“, sagt Alissa Rumsey von der New Yorker Akademie für Ernährungswissenschaften und Diätetik. Da aber alle Bestandteile von „Fairlife“ aus Milch gewonnen würden, sei sie ebenso gesund wie normale Kuhmilch. Und dass Coca-Cola den Vertrieb organisiert, schade nicht, „zumindest aus ernährungswissenschaftlicher Sicht“. Nur nütze diese Supermilch auch nicht wirklich viel: An Proteinmangel leiden die Amerikaner nämlich nicht. „Und wenn man bedenkt, dass ,Fairlife‘ pro Glas etwa fünf Gramm mehr Protein bietet als normale Milch“, sagt Rumsey, „da kann man auch ein Ei, einen Löffel Erdnussbutter oder ein paar Nüsse essen.“ Pläne, die Designer-Milch ins Ausland zu bringen, verfolgt Jones nicht. Man wolle sich auf die Arbeit daheim konzentrieren. Aber, sagt Jones, der Tag werde anbrechen, an dem „wir unsere Aufmerksamkeit auf globalen Vertrieb und globales Marketing richten“. I 61 IDEEN / INNOVATIONEN 62 „ICH LIEBE THEATRALIK!“ Hamburg-Besuch: Guido Heffels vor seinem Zimmer im „Side Design Hotel“. BILANZ / MAI / 2016 Guido Heffels, Chef der Berliner Agentur Heimat, ist einer der großen Stars der hiesigen Werbeszene. Sein Ex-Boss hat sich mit ihm unterhalten. Text / FRED BAADER Foto / ULRICH MAHN Der Mann links ist 50 Jahre alt und ein Kind der Rheinischen Tiefebene, er hat Visuelle Kommunikation studiert und als Artdirektor, also leitender Grafiker, in einer Design-Agentur angefangen. Er heißt Guido Heffels, er zog eines Tages nach Hamburg um, wo er sich in meiner Werbeagentur Baader Lang Behnken und danach bei Springer & Jacoby zum Textemacher umschulen ließ. Bei S&J schloss er Bekanntschaft mit den Kundenberatern Matthias von Bechtolsheim (48) und Andreas Mengele (52). Die drei arbeiteten an gemeinsamen Konzepten und Kampagnen und beschlossen, das zu tun, was in der Branche als das Größte gilt: Sie gründeten eine eigene Agentur. Und zwar in Berlin 1999, sie nannten ihre Agentur die „Heimat“. Einen Namen machte sich Heimat vor allem mit Werbefilmen. Für seinen Paradekunden Hornbach schuf Heffels kleine Meisterwerke der Verführungskunst, von Verbrauchern und Fachleuten gleichermaßen geliebt. Heimat beschäftigt 250 Leute und verbuchte zuletzt einen Honorarumsatz von 23,8 Millionen Euro. Zur Kundschaft gehören unter anderem Siemens, Otto, Volks- und Raiffeisenbanken, Swisscom und CNN. 2014 hat die internationale Agentur-Gruppierung TBWA 70 Prozent der Heimat-Anteile übernommen und im Gegenzug deren 30 von TBWA in Düsseldorf an Heimat abgegeben. 63 IDEEN / INNOVATIONEN Herr Heffels, wenn Ihre Agentur Werbekampagnen entwickelt, sprechen Sie häufig vom „Kuratieren“, also vom Verarbeiten fremder Ideen. Kuratieren, das heißt ja pflegen, bewahren. Und zwar von einer Idee. Bei den zum Teil recht komplexen Kundenstrukturen gilt es heute mehr denn je, den Kern einer Idee zu schützen, sodass am Ende keine Kompromisse herauskommen. Wir benutzen den Begriff aber auch, wenn wir eine Idee vertrauensvoll in die Hände eines meist befreundeten Regisseurs oder anderweitig Beflisseneren legen, deren Urteil und Wissen wir vertrauen. Menschen, die eine Idee wachsen lassen können. Im Idealfall ergibt das Arbeiten, die weitgehend von Fachidiotie befreit sind. B Was meinen Sie mit Fachidiotie? Dass man als Agenturkreativer nun einmal zum Beispiel kein Regisseur ist, also in einem doch meist recht engen Denkgebilde lebt. Ein Regisseur sieht anders und vor allem: ganz andere Dinge in einer Idee. Ich höre gerne zu, bin offen für alles, was ein Projekt weiterbringt. Auch wenn es konträr zu meiner eigenen ursprünglichen Überzeugung ist. Starrsinn war noch nie ein guter Ratgeber. Wenn Sie nur die Grundidee beiB steuern und alles Weitere anderen überlassen, machen Sie sich dadurch nicht fast überflüssig? Nein, weil wir es sogar zulassen, dass unsere Konzepte zum Besseren verändert werden. Natürlich nicht in der Grundidee, aber in ihren vielen möglichen Facetten. Gerade die Filmleute kosten zu Recht einen Haufen Geld, warum soll man ihr Wissen und ihre Verbindungen nicht nutzen? Auf dem Weg zum Ziel sind wir immer recht uneitel unterwegs. B Ihre Kunden haben nichts dagegen, dass Werbe-Ideen, auf die man sich mühsam geeinigt hat, im Nachhinein womöglich anders umgesetzt werden als geplant? Schlaue Kunden akzeptieren diesen Weg. Aber das gemeinsame Ziel steht B 64 nie zur Disposition. Es gibt ja viele Wege, um es zu erreichen. Und es wäre fatal, die Wege, die rechts und links der eingeschlagenen Route liegen, nicht in Erwägung zu ziehen. B Früher hießen Werbefirmen nach ihren Gründern. Ihre Agentur heißt Heimat. Entpersonalisierte Agenturnamen haben den Vorteil, dass sie Führungswechsel oder Agenturverkäufe erleichtern. Uns war von vornherein klar, dass wir eine Marke jenseits der Gründernamen aufbauen und eben nicht wie eine Anwaltskanzlei wirken wollten. Menschen, die bei uns arbeiten, sollen sich mit Heimat identifizieren und selbst Teil dieser Marke sein wollen, ohne das Gefühl, für konkrete Personen zu arbeiten. Der Name an der Tür ist ja immer auch ein Versprechen. Wenn ich als Kunde dorthin gehe, dann müssen die auch da sein: Bei der Agentur Jung von Matt zum Beispiel erwartet man einfach, neben Jean-Remy von Matt auch auf Holger Jung zu treffen – der aber längst nicht mehr aktiv ist. Schwierig für jede Nachfolgegeneration. B Was bedeutet der Begriff Heimat? Heimat ist der Ort, das Gefühl des Ursprungs: Da komme ich her. Das ist schon mal nicht schlecht für Marken, die wissen wollen, wohin der Weg geht. B Vor zwei Jahren haben Sie und Ihre Mitgesellschafter 70 Prozent der Heimat-Anteile an die Agenturgruppe TBWA verkauft, die zum US-Werbemulti Omnicom gehört. Wie viel haben die Amerikaner bezahlt, abgesehen von der 30-Prozent-Beteiligung an TBWA Düsseldorf? Sie haben uns jede Menge Freiheit gegeben und Möglichkeiten der internationalen Arbeitsweise. Oder zielte Ihre Frage auf den schnöden Mammon? Na, da schau’ her. B Ja, natürlich. Der Beweggrund für jeden Verkauf ist das Geld, das man für ihn bekommt. Warum sonst sollten Sie Ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit aufgegeben haben? Man fragt sich stets, was der nächste Schritt sein kann. Nach 15 Jahren sind wir diesen mit TBWA ganz bewusst gegangen. Und er ist neu, anders und herausfordernd. Kaufen und wirklich besitzen kann man uns drei Gründer eigentlich sowieso nicht. So tickt TBWA auch nicht. Man mag und schätzt uns so, wie wir sind. Alles andere wäre ja sinnlos. TBWA ist ein von Gründern getriebenes Netzwerk. B Man hört, dass Heimat aufgrund dieser Internationalisierung nun in die Lage versetzt sei, um den Opel-Werbeetat zu kandidieren… Wenn ich auch nur halbwegs etwas auf das Hörensagen der Branche geben würde, wäre ich wohl mittlerweile ein geistiges Wrack. Sollten jedoch halbwegs gehärtete Informationen an mein Ohr dringen, also, ganz ehrlich, Sie wären mit Sicherheit der Erste, dem ich das mitteilen würde. Vertrauen Sie mir. Ja, machen Sie das. B Okay. Kommen wir zum größten Kapital, das eine Werbeagentur hat: den Managementkünsten ihrer Führung und dem Einfallsreichtum ihrer Mitarbeiter. Die Welt heute gehört den Lauten, den Selbstdarstellern und Selbstvermarktern... Das war vielleicht mal so. Heute ist das alles doch sehr durchschaubar. Es fällt schnell auf, wenn einer vorgibt, besser zu sein, als er wirklich ist. B Und was tun Sie, damit die Stillen im Lande zum Zuge kommen? Wenn man lediglich auf die Qualität von Ideen fokussiert, dann ist es recht egal, ob dieses nun von einem eher Introvertierten herrührt oder von einem pathologisch Lauten. B Haben die Genie-Streiche von einst heute noch eine Chance gegen die blitzsauber abgeleiteten, astrein verargumentierten Konzepte? Aber so was von, denn intern ist das relativ einfach: Gute Ideen fallen auf. Wenn sie nicht auffallen, sind sie wahrscheinlich nicht gut. Ihnen könnte kein großer Wurf B entgehen? BILANZ / MAI / 2016 Die Branche produziert ja eher Egozentriker, die das Gefühl vermitteln, auf jede Frage der Welt eine Antwort geben zu müssen. Aber je mehr einer versucht, mir eine Idee zu verkaufen, desto mehr denke ich: Da soll was überspielt werden. Ein paar Jahre mache ich den Job ja schon, das schärft die Sinne für das Wesentliche. Ich bin fest davon überzeugt: Jede gute Idee lässt sich in zwei Sätzen beschreiben. B Daran glauben Sie wirklich? Ja, daran glaube ich ganz fest. Mittlerweile versuche ich bei den Teams, mit denen ich arbeite, jede Idee sogar auf einen Satz zu reduzieren. B Nehmen wir doch einmal Hornbachs-Frühlingskampagne „Du lebst. Erinnerst du dich?“ Reduzieren Sie deren Idee auf einen Satz. „Hast du schon gehört von diesem nackten Mann, der für Hornbach durch die Gefühlswelten des Heimwerkens rollt?“ Ziemlich genau so kam die Idee über den Tisch. Und dann wollte ich mehr wissen. Sie stehen in dem Ruf, gelegentB lich laut und diktatorisch zu sein. Das will ich meinen. Ab einem gewissen Punkt ist es einfach sinnvoll, dass einer die Sache – wie man bei Hornbach sagt – zu seinem Projekt macht und sie konsequent umsetzt. Und wenn man auf diesem Weg zu viele Fragen stellt, dann wird eine Idee meist verwässert. Ja, es gibt deshalb die Momente, wo ich auf den Tisch haue und sage: Schluss, jetzt machen wir das so, sonst wird hier noch zu viel heiße Luft in den Raum geblasen! Ich habe auch keine Angst vor der zunächst falschen Entscheidung. Weil ich davon ausgehe, dass man im Laufe der Konkretisierung und Umsetzung noch an vielen Stellschrauben drehen kann. Unentschiedenheit ist vermutlich das Schlechteste, was man in der Kommunikationsbranche gebrauchen kann. B Sind Sie mit dem Alter ruhiger geworden? Ich hoffe mal, ja. Sonst hätte sich ja gar nichts gelohnt. B Man hat häufig den Eindruck, dass die Werbeleute spätestens mit 50 kreativ erschöpft sind. Geht Werber-Sein an die Substanz? Gibt es diese Angst, dass einem nichts mehr einfällt? Ich habe eher das gegenteilige Gefühl. Mein Horizont ist über die Jahre viel weiter geworden, schöpfe aus Inspi- In der sogenannten weißen „Unit“ der Heimat-Werbeagentur. rationsquellen, von denen ich früher nicht mal wusste. Das bringt der Job tollerweise mit sich. Man trifft jede Menge wunderbar schlaue Menschen aus anderen Ecken des Kreativ-Universums. Dafür bin ich ziemlich dankbar. Davon zehre ich. B Ihr Hauptkunde ist Hornbach: Wie hoch ist der Umsatzanteil, den Sie allein mit diesem Kunden erwirtschaften? Das ist sicherlich einer unserer Edelsteine, wenn auch nicht unser größter Kunde. Das ist die Swisscom, klar, in der Schweiz. B Die Zusammenarbeit mit Hornbach unterscheidet sich von jener mit anderen Kunden? Das ist ein über Jahre gewachsenes Vertrauensverhältnis. Unglaublich offen und transparent, aber alles andere als ein Freifahrschein. Hornbach ist eine Verpflichtung. Dieser Kunde bestimmt in weiten Teilen mein Leben. Selbst mein Urlaub ordnet sich den Produktions- und Entwicklungsphasen für diesen Kunden unter. Sie arbeiten für Hornbach seit B mehreren Management-Generationen. Das ist recht unüblich für die Branche, ich weiß. Umso mehr spricht es für die außergewöhnliche und fruchtbare Zusammenarbeit. Die Marke „Hornbach“ ist mit uns gewachsen, sie ist inzwischen dreimal so groß wie zu Beginn unserer Zusammenarbeit. Und Heimat ist mitgewachsen. B Wenn Sie diesen Kunden an einen Wettbewerber verlören, kämen Sie in Schwierigkeiten. Ja, auch wir sind mit diesem Kunden gewachsen, haben mit ihm expandiert in die verschiedenen Länder, in denen Hornbach jetzt europaweit arbeitet. Wenn uns dieser Kunde irgendwann wegbräche, wäre das für mich erst mal ein innerer Totalschaden, auch wenn die Agentur dadurch nicht aus der Bahn geworfen würde. Vor ein paar Jahren wäre das vielleicht noch anders gewesen. Aber heute haben wir mit Kunden wie Swisscom, CNN, der FDP, Adidas, Google, den Volksbanken 65 IDEEN / INNOVATIONEN 66 Raiffeisenbanken, Otto und so weiter doch eine ganz andere Stabilität. Wir haben keine Angst, einen Werbeetat zu verlieren. Abgesehen davon, dass die Art, wie wir für und mit diesem Hornbach arbeiten, für andere Agenturen nahezu unkopierbar ist. B In welcher Hinsicht? Diese Nähe und Offenheit, dieses Verfolgen eines gemeinsamen Ziels. Man arbeitet nicht für Hornbach, sondern mit Hornbach. Das ist absolut einmalig. Obwohl wir mit anderen Kunden auch auf einem ähnlich guten Weg sind. B Was zeichnet Firmenphilosophie, Arbeitssystem und Herangehensweise von Heimat aus? Die meisten Agenturen denken vom Produkt her, von den Zielgruppen, bestenfalls von der Marke. Gut und schön. Wir stellen uns zuallererst die Frage: Was brauchen Menschen jetzt? Was ist so ein Gefühl, das jetzt gerade vorherrscht? Wie muss man mit Menschen im Frühjahr 2016 in Deutschland reden? Also die Auseinandersetzung mit der Zeit und den aktuellen Sorgen, Problemen, Freuden – das steht bei uns immer am Anfang. Wenn man so will, ein humanistischer Ansatz. Heimat zählt seit Jahren zu den B schöpferischsten Werbekräften im Land. Zuletzt haben Sie es erstmals seit neun Jahren nicht mehr unter die ersten zehn der „Horizont“-Rangliste geschafft. Ist die beste Zeit von Heimat vorbei? Ach, diese Rankings. Wenn wir die vergangenen Jahre unter den Top drei gelandet sind, dann hat das keinen interessiert; jetzt hatten wir mal ein schlechteres Jahr, also was Kreativpreise angeht. Und nun? Sollen wir weinen? Nö, wir möchten, dass das, wofür wir Preise gewinnen, auch von echten Menschen in der echten Welt gesehen wurde. Von echten Kunden in Auftrag gegeben und bezahlt. Von daher spielen wir von jeher mit ein paar wenigen in einer anderen Liga... Sie spielen auf die sogenannten B Goldideen an, die von Werbeagenturen nur produziert wer- den, um auf Werbefestivals Preise zu gewinnen, die dann bei der Kunden-Akquise helfen. Ein Award- Sieg, eine Medaille, ein „Löwe“ in Cannes schmeckt nur dann, wenn man den langen, steinigen, realen Weg gegangen ist. Was sollen wir mit einem Kreativen, der 87 „Löwen“ gewonnen hat, aber alle mit selbst gebauten Fakes? Wir brauchen keine Kunsthandwerker. Die Branche braucht Kreative, die Kunden betreuen, führen, leben können. Das ist auch gut für die eigene Altersvorsorge. B Den Vorwurf der Unlauterkeit hört man seit vielen Jahren. Und stets wird er bestritten. Welche HORNBACHS HEIMATFILM 60 Sekunden über die stimulativen Wirkungen des Heimwerkens. Werbekampagnen sind denn, Ihrer Meinung nach, zu Unrecht ausgezeichnet worden? Man kann sich all diese Bastelkunden natürlich schönreden mit „Forschung und Entwicklung“ oder sonst einem Mumpitz. Welche das sind, also das muss jeder bitte mit sich selber ausmachen. B Mit der Wahrhaftigkeit ist es bei Werbewettbewerben nicht weit her? Es wird monatlich schlimmer. JeanRemy von Matt hat das mal sehr schön beschrieben. In etwa mit den Worten: Wenn du ins Schwimmbad gehst, dann weißt du, dass da immer mal einer reinpinkelt. Das ist kein Problem. Aber wenn einer reinscheißt, dann ist es ein Problem. Eine plakative Beschreibung der Symptomatik unserer Branche momentan. B Ich habe Sie auf verschiedenen Branchenveranstaltungen erlebt und vor Kameras. Sie blühen auf der Bühne geradezu auf. Auf der Bühne – das mag ich mittlerweile. Bin auch gerne bereit, mal einen unbequemen Spruch rauszuhauen. Wer mich was fragt, bekommt eine Antwort. Ob sie ihm passt oder vielleicht nicht. Da mime ich gerne mal den Bad Guy, wenn es hilft, dass man aufwacht. Ach, und ja, ich liebe Theatralik. Das spielt mir natürlich in die Karten. B Können Sie sich noch an Ihren ersten Textvorschlag für die Kommission zur Früherkennung von Hautkrebs erinnern, Ihren langjährigen Kunden? Keine Ahnung. B Er lautete: „Muttermal? Da frag’ ich doch meine Mutter mal.“ Ein ziemlicher Kalauer. Ja ja, auf den ersten Blick. Aber wenn man weiß, dass die Prädisposition für Hautkrebs in der eigenen Familie verankert ist, dann ist das doch recht schlau und merkfähig gesagt, Herr Baader. Immerhin, Sie erinnern sich ja sogar noch daran. Wenn das mal nichts ist. Herr Heffels, vielen Dank für dieB ses Gespräch. I : DFKVHQ LVWHLQIDFK :HQQPDQIU,QYHVWLWLRQHQ HLQHQ3DUWQHUKDWGHU,GHHQ YRQ$QIDQJDQXQWHUVWW]W VSDUNDVVHGH :HQQ·VXP*HOGJHKW IDEEN / INNOVATIONEN BERLIN IST NICHT ALLES Karl-Theodor zu Guttenberg über seinen Einstieg bei der Schweizer Beteiligungsfirma Mountain Partners. Der 44-jährige Exminister leitet heute die New Yorker Beteiligungsfirma Spitzberg Partners. 68 Karl-Theodor zu Guttenberg, warum werden Sie Verwaltungsrat bei der Beteiligungsgesellschaft Mountain Partners? Zum einen halte ich Mountain Partners für exzellent aufgestellt in einem sehr wichtigen Bereich: das Company Building in Märkten, die vom Internet bereits erfasst sind, die aber noch enormes Potenzial haben. Zum zweiten ist für mich immer entscheidend, von wem ein Unternehmen geführt wird und ob die Führung die notwendige Vision und Erfahrung hat. Das ist durch Conny Boersch und sein Team gegeben. Und drittens gibt es sehr viele Synergien mit meinem Investment- und Beratungsunternehmen Spitzberg Partners und meinen Interessensfeldern. Werden Sie sich auch an MounB tain Partners beteiligen? Ja. Das ist Ausdruck dessen, dass es sich nicht einfach um einen weiteren Titel in einer Sammlung handelt, sondern dass ich einen Beitrag leisten will zum Erfolg des Unternehmens. B B Mit wie viel Prozent des Kapitals? Das bleibt unter Verschluss. Aber genug, um meine Motivation zu unterstreichen. B Warum investieren Sie ausgerechnet in eine Schweizer Beteiligungsgesellschaft? Man darf nicht vergessen, dass Mountain Partners bereits einen großen internationalen Fußabdruck hat und auch auf dem deutschen Markt sehr aktiv ist. Die Frage des Firmensitzes ist in diesem Kontext nachrangig. B Was können Sie beitragen zu Mountain Partners und deren 160 Beteiligungen? Nicht nur mein US-Netzwerk hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt – im Bereich Start-ups wie zu den Global Players im Technologiebereich und in traditionellen Industriezweigen. Ich helfe vielen Firmen bei deren Internationalisierung, anderen bei ihrer Umstellung auf das digitale Zeitalter. All dies ist auch für Mountain Partners bedeutsam. Interview / MARC KOWALSKY FOTO: PICTURE ALLIANCE Sie entstammen einer Adelsfamilie mit altem Geld. Woher kommt Ihr Interesse für Gründungen? Das liegt durchaus in meiner DNA. Mein Vater hat die Rhön-Kliniken mitgegründet, das war zu jenem Zeitpunkt auch eine Art Start-up, wenn auch auf fortgeschrittenem Niveau, weil sie auf einem alten Heilbad basierte. In unserer Familienholding spielen Start-ups ebenfalls eine wichtige Rolle. B Welche Ihrer Anlagen waren erfolgreich? Da müssten Sie meinen jüngeren Bruder fragen, der das operative Geschäft unserer Familienholding schon vor zehn Jahren übernommen hat. Ich bin nur noch passiv beteiligt. B Sie haben keinen Überblick, wie erfolgreich Ihre Investments sind? Doch, aber über unsere Familiengeschäfte habe ich mich nie öffentlich geäußert. B Auch mit Spitzberg Partners investieren Sie seit dem Ausstieg aus der Politik in Gründungen. Da gilt das Gleiche. B BILANZ / MAI / 2016 B Wo legen Sie Ihr Geld an? Fintech, Big Data Analytics, Internet of Things und Künstliche Intelligenz interessieren mich derzeit am meisten. Zuletzt haben wir in eine israelische Big Data Analytics -Firma, Thetaray, investiert. Wir sind auch mit Ripple Labs verbunden, das ein dezentralisiertes Zahlungssystem entwickelt hat. Oder mit Anchorfree, das sicheres Wi-Fi bietet. Oder mit Asapp, das mittels Künstlicher Intelligenz Abläufe in Firmen automatisiert. Wichtig ist aber auch, dass man sein Grundverständnis für die alte Industrie nicht verliert. Deshalb bleibe ich auch engagiert in traditionellen Firmen, etwa Barrick Gold, einer Mining Company, oder bei Energie- und Finanzdienstleistern. B Haben Sie auch in der Schweiz selbst investiert? Ja, mit einem geringen Betrag in ein Fintech-Unternehmen. Das treibt mir bis jetzt keine Tränen der Euphorie in die Augen. Aber ich habe es noch nicht abgeschrieben. Und ich lerne so viel über den Schweizer Markt. Was halten Sie von der deutschen B Gründerbewegung? Sie leidet darunter, dass sich der internationale Fokus nahezu ausschließlich auf Berlin richtet. Faktisch ist die Szene viel diversifizierter; auch in Hamburg, München oder Köln findet man interessante Firmen. Es gibt eine modische Lust, über Hubs zu sprechen, die dem Ideal des Silicon Valley nahekommen können. Aber man könnte in Europa auch durchaus auf die Stärke eines vernetzten Kontinents bauen. Der Erfolg und das Selbstbewusstsein eines Unternehmens darf nicht daran gemessen werden, ob man es in Palo Alto geschafft hat. Viele Geschäftsmodelle lassen sich auch erfolgreich in Europa etablieren. Danach kann man dann noch stärker im US-Raum auftreten. Wie kann die hiesige GründerB szene besser werden? Vom Innovationspotenzial hat Deutschland große Chancen, sich international an der Spitze zu etablieren. Aber es fehlt die Vernetzung zu absoluten Top-Unis mit entsprechend gro- Unsere Partner ßem Funding. Dafür verschwindet in Deutschland und der Schweiz langsam ein anderer großer Standortnachteil. B Nämlich? Die mangelnde Lust am Risiko. Wer ein Jungunternehmen an die Wand fährt, wird bislang eher stigmatisiert, als dass man ihm den gewonnenen Erfahrungswert attestiert, den er dann im nächsten Start-up anwenden kann. Das ändert sich nun langsam. In den USA ist die Risikobereitschaft ganz tief in der DNA verwurzelt. Das spiegelt sich auch im Zusammenspiel mit Investoren wider: Die Risikokapitalstruktur ist eine ganz andere. Das führt freilich auch zu einer gewissen Überhitzung. B Sie halten die amerikanischen Gründerunternehmen also für überbewertet? Es ist durchaus ein Einbruch der Euphorie zu erwarten, wenn das eine oder andere Unicorn an den Realitäten scheitert. B Wann kehren Sie wieder in die Politik zurück? Ich habe viel Freude am Unternehmertum. Darüber hinaus habe ich derzeit keine Intention. B Laut einer Forsa-Umfrage wollen 48 Prozent der Deutschen Sie wieder in der Politik sehen. Wie hoch muss dieser Wert steigen, bis Sie zurückkommen? Ich wäre ein Idiot, wenn ich sagen würde, ich würde mich nicht darüber freuen, dass viele Leute mich offenbar noch mögen. Aber ich weiß auch, dass viele Leute mich grauenvoll finden. Vor allem darf man ein politisches Engagement nie nach Umfragewerten ausrichten, sondern ob man die nötige Begabung und Unterstützung hat, um seine Ziele zu erreichen. Da habe ich bei mir erhebliche Defizite in unterschiedlichen Bereichen festgestellt. Also ist es kein Thema? B Jetzt, hier und heute ist das überhaupt kein Thema. Aber das Leben ist immer wieder voller Überraschungen. Ich hatte keinen Mangel an Überraschungen im Leben, an guten wie schlechten. I 69 IDEEN / INNOVATIONEN SPEICHER MIT STERN Gründergeist im Großkonzern: Daimler baut das Geschäft mit Batterien für elektrisch angetriebene Fahrzeuge aus. Ein Bericht aus dem Grenzgebiet. H 70 arald Kröger (49), der einige Jahre lang im Einkauf tätig und später für die Qualität der Mercedes-Pkw zuständig gewesen war, waltet heute seines Amtes als Direktor der sogenannten Abteilung Elektrik/Elektronik & E-Drive. Er ist einer jener Manager in der traditionsschweren Autobranche, der das Silicon Valley nicht nur aus Erzählungen oder den Nachrichten kennt. Und das sind ja bekanntlich nicht allzu viele. In den 90er-Jahren hatte Kröger an der Stanford University sein Studium absolviert und mit einem feinen Master of Science abgeschlossen. Mit der Folge, dass Kröger heute als Doppel-Persönlichkeit im Weltkonzern operiert: als Internationalist in Deutschland, als Schwab’ in Übersee. „Ich bin etwas schizophren, weil ich beides gleichzeitig bin: im ersten Leben Entwicklungschef für alles Elektrische im Fahrzeug, also Teil der großen Maschine Mercedes, vom Kabelsatz bis zu den Steuergeräten. Das zweite Ich in mir ist der Firmengründer ,Batterie‘.“ Sein Geschäft führt der Gründermanager in Kamenz bei Dresden: Hier hat die Daimler AG vor einigen Jahren die Deutsche Accumotive GmbH & Co. KG an sich gebracht, die Lithium-Ionen-Batterien erzeugt. Ausstoß bis heute: mehr als deren 75.000. „Unser Hauptziel ist es, Elektromobilität bezahlbar zu machen“, sagt Kröger, der die eigene Zellfertigung 2014 beendet hatte. „Wir können heute bei demjenigen kaufen, der die geringsten Kosten und die beste Qualität bietet.“ Das, was wirklich zähle, sei ein gut und wirtschaftlich arbeitendes Batteriesystem. Konkurrenten machen es anders: Der amerikanische Elektroauto-Her- NEUES VOM WETTBEWERB 347 Firmen nehmen am Wettbewerb um den mit 100.000 Euro höchstdotierten Gründerpreis Deutschlands teil. Jetzt beginnt die Arbeit für die Vor- und die Hauptjury. Der Sieger wird am 28. Juni bei einem Gala-Dinner in Berlin geehrt. Text / MARK C. SCHNEIDER FOTOS: DAIMLER AG steller Tesla zum Beispiel errichtet in der Wüste von Nevada derzeit gemeinsam mit Panasonic seine sogenannte Gigafactory, die weltgrößte Fabrik für Lithium-Ionen-Akkumulatoren und Akkupacks (s. BILANZ 10/2015). Auch Volkswagen prüft den Einstieg in eine eigene Zellenfertigung. Die Erwartungen an die Autoindustrie, den Wandel zu schadstofffreien Antrieben voranzutreiben, ist groß, nicht nur politischerseits. Daimler lässt sich die Entwicklung und den Ausbau der Fertigung in Kamenz viel Geld kosten: Bis 2017 investiert das Unternehmen weitere 500 Millionen Euro in das sächsische Werk. Etwa 380 Mitarbeiter sind im Unternehmen mittlerweile beschäftigt. Man ist jedoch beileibe nicht nur mit Autoantrieben befasst. „Der zweite Pfeiler“, sagt Kröger, sei das „stationäre Speichergeschäft“. Hier stehe man, zugegebenermaßen, allerdings „noch ganz am Anfang“. Aber man verfolge die unmöglichsten sowohl wie möglichsten Ideen und stehe in vielversprechenden Gesprächen mit Kunden. Nicht nur das: Die ersten würden bereits beliefert. „Aber“, sagt Kröger, „das Wachstum liegt erst noch vor uns.“ Daimler zielt auf zwei Kundengruppen: – auf Privatleute, die sich einen Energiespeicher in den Keller oder die Garage stellen – und auf Kommunen und Unternehmen, die Strom in großem Stil speichern. Gemeinsam mit dem Karlsruher Energiekonzern En BW vertreibt Daimler beispielsweise Stromspeicher für Hausbesitzer. Anschaffungskosten: zwischen 5.000 und 10.000 Euro, inklusive Installation. Ein offenbar lohnendes Geschäft: Denn wenn ein BILANZ / MAI / 2016 Hauswirt Strom aus seiner Solaranlage ins Netz speist, erhält er dafür weniger Geld, als er für die gleiche Menge bezahlt, die er selbst nutzt. Deshalb lohnt es sich für ihn, tagsüber zu speichern und abends den eigenen Strom zu verbrauchen. Sogar Autofahrer können den auf dem Hausdach erzeugten Strom für ihr Elektrofahrzeug nutzen: „Dann laden sie mit einer höheren Leistungsdichte als die Steckdose und fahren praktisch mit Sonnenlicht.“ Für Großkunden halten die Sachsen andere, trickreiche Angebote bereit: Mit den Stadtwerken Hannover beispielshalber will die Deutsche Accumotive noch in diesem Jahr einen Batteriespeicher zur Marktreife bringen, der Spannungsschwankungen ausgleichen soll, die bei hohen Belastungen auftreten und schlimmstenfalls zu Stromausfällen führen können. Hierfür werden 3.000 Ersatzbatterien für E-Smarts zusammengeschaltet, um sie – erwünschter Nebeneffekt – für die weitere Verwendung sozusagen frisch zu halten. In Lünen soll darüber hinaus in Kürze ein diesmal aus gebrauchten Mercedes-Batterien bestehender Großspeicher in Betrieb genommen werden, den die Kröger-Leute in Zusammenarbeit mit dem Entsorgungsunternehmen Remondis und einem Energiedienstleister entwickelt haben. Die Zugehörigkeit zur Daimler AG kommt Kröger durchaus zupass, auch wenn sie sich im Firmennamen nicht widerspiegelt. Kommerzielle Anwender seien an Partnern interessiert, „die Großprojekte stemmen können“. Kurz gesagt, „der Speicher trägt einen Stern“. Mercedes’ Elektronik-Chef Harald Kröger: „Schwäbische Tüftler heißen heute Nerds.“ Dank der finanziellen Unterstützung von Daimler kann der Batteriebetrieb langfristig planen: „Wenn wir neue Ideen haben und investieren wollen, gehe ich bei uns in den Vorstand – und da werde ich mit offenen Armen empfangen“, sagt Kröger. Selbstverständlich müsse aber auch er „glaubhaft vertreten, welche Perspektive wir haben, Wert zu generieren“. Vergleichbar sei das mit der Überzeugungsarbeit, die von jedem Gründer zu Recht erwartet werde, der Wagniskapital einheimsen wolle. Allein, „wir müssen nicht an Türen rütteln, damit uns zugehört wird. Und das ist bei vielen Start-ups leider nicht immer so“. Er habe viele Studienfreunde, die sich genau in dieser Phase der Firmengründung befänden: „Am schwierigsten ist es, überhaupt eine Idee an der richtigen Stelle präsentieren zu können.“ Es habe weitere Vorteile, Pionier im Konzern zu sein, sagt Kröger. Ihn unterstützten erfahrene Kollegen, „Zwölfender aus dem Serienprozess“, nennt er sie. „Auf der anderen Seite bringt der Transfer junger Wilder aus den neuen Feldern frischen Wind in die etablierten Strukturen. Beide Bereiche lernen von den Stärken des anderen.“ Lobende Worte für Verfahren und Handhabung bei der Deutschen Accumotive findet Stefan Bratzel (49) vom Center Automotive Management der privaten Fachhochschule FHDW in Bergisch-Gladbach: „Das macht Daimler von den deutschen Herstellern mit am besten.“ Folgerichtig wäre es aus seiner Sicht allerdings, Batterien mit induktivem, also kabellosem Laden zu verknüpfen. Er verfolge „große Pläne“, gibt Kröger zu Protokoll und ist sich natürlich im Klaren darüber, dass sein Geschäft „noch ein kleines“ sei, wie er sagt, jedenfalls im Vergleich zur großen Daimler AG. „Unser Vorteil ist, dass wir nicht irgendwelche wilden Zehn-Jahres-Pläne machen müssen. Wir werden mit dem steigenden Bedarf an Batterien wachsen.“ I Das Interview mit Daimler-Manager Kröger finden Sie hier: www.bilanz.de/aktuelles-startmeup 71 MIT SICHERHEIT SELBSTSTÄNDIG Der Schritt in die Selbstständigkeit erfordert Vision, Mut und Vorbereitung. Gründer sollten neben dem Aufbau eines Unternehmens auch für dessen Erhalt vorsorgen. Ein Überblick über die wichtigsten Versicherungen. Nach wochenlangem Kopfzerbrechen ist es geschafft: Der Businessplan lässt keine Fragen mehr offen. Die Finanzierung ist gesichert, die Preisgestaltung wettbewerbsfähig und ein günstiger Arbeitsplatz in einem Coworking-Projekt gemietet. Der Firmengründung und einem erfolgreichen ersten Jahr steht also nichts mehr im Wege. Das dürften viele denken, die sich mit einer eigenen Geschäftsidee an den Markt wagen – um dann unter Umständen böse überrascht zu werden. Denn Start-ups verfügen selten über ein finanzielles Polster. Geht etwas schief, befinden sich Gründer schnell mit dem Rücken zur Wand. Nicht umsonst heißt es, von zehn Wachstumsunternehmen überlebten nur ein bis zwei. Der richtige Versicherungsschutz hilft, selbst in der schwierigen Anfangsphase immer sicheren Boden unter den Füßen zu haben. So sind etwa zu Beginn die entscheidenden Positionen im Unternehmen oft von nur einer Schlüsselperson besetzt. Fällt zum Beispiel der Geschäftsführer aus, kommen Strategie, Kommunikation und Vertrieb zum Erliegen. Eine leistungsstarke Krankenversicherung ist deshalb besonders wichtig. Mit ihr kann beispielsweise ein Spezialist selbst im Ausland direkt aufgesucht werden. Das hilft Unternehmern, mit so geringem Zeitverlust wie möglich auf den Chefsessel zurückzukehren. Auch Schäden, die Gewerbetreibende und ihre Mitarbeiter bei der Arbeit verursachen können, sollten abgesichert OPTIMALE VORSORGE ZAHLT SICH AUS Vertriebsvorstand der HanseMerkur, Eric Bussert, sagt, worauf Gründer auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit achten sollten. Lohnt sich für Gründer ein Wechsel von der Gesetzlichen (GKV) in die Private Krankenversicherung (PKV)? Bussert: Die GKV-Beiträge mögen zu Beginn zwar günstiger sein. Dennoch rate ich dringend dazu, zügig zu wechseln. Denn die deutlich besseren Versorgungsleistungen der PKV lohnen sich doppelt: Erstens sind Unternehmer schneller zurück im Geschäft und zweitens hängen die Beiträge der PKV nicht vom Einkommen ab. Hier lässt sich viel Geld sparen. sein. Eine Betriebshaftpflichtversicherung gehört deshalb ins Versicherungsportfolio jeder Firma. Dabei bergen verschiedene Branchen unterschiedlich hohe Gefahrenpotenziale. Als Faustregel gilt, dass eine Schadenssumme von drei bis fünf Millionen Euro ausreicht, um die häufigsten Risiken abzudecken. Rechtsstreitigkeiten zählen ebenso zu den Unwägbarkeiten, auf die Unternehmer gefasst sein sollten. Bereits ein arbeitsgerichtliches Verfahren wegen einer abgelehnten Kündigung kann erhebliche Kosten verursachen. Aufgrund solcher und anderer Unwägbarkeiten ist eine Firmenrechtsschutzversicherung sinnvoll. Was, wenn ein plötzlicher Schicksalsschlag die Firmenleitung unmöglich macht? Bussert: Was für Arbeitnehmer gilt, ist für Selbstständige umso wichtiger. Ohne die eigene Arbeitskraft droht der Bankrott. Ein Berufsunfähigkeitsschutz in ausreichender Höhe ist deshalb unerlässlich. So springt die Versicherung ein, falls eine Krankheit oder ein Unfall die Arbeit dauerhaft unmöglich machen. Der Aufbau eines Unternehmens bindet meist große Teile des Gründervermögens. Muss zwischen Firma und Altersvorsorge entschieden werden? Bussert: Nein, glücklicherweise ist beides miteinander vereinbar. Je nachdem, wie hoch das Einkommen ist und welches Renteneintrittsalter angestrebt wird, verfügen Unternehmer über verschiedene Optionen. Zum Beispiel eine private Rentenversicherung oder die Rürup-Rente. Letztere gewährt Selbstständigen Steuervorteile und greift sogar im Insolvenzfall. Hand in Hand ist … Hand in Hand ist … PRIVAT 74 Beeindruckende Skulpturen: Wurzeln umklammern die Tempelmauern von Ta Prohm. BILANZ / MAI / 2016 DIE GÖTTER LÄCHELN NICHT Angkor Wat ist bedroht vom Massentourismus. Der Zauber Kambodschas entfaltet sich zwischen Reis- und Zitronengrasfeldern: im „Phum Baitang“. ZEHLES ZIELE Es war noch Nacht, die Sonne nicht mal eine Ahnung. Und doch war ich offensichtlich zu spät, viel zu spät eingetroffen an diesem besonderen Platz. Und da spreche ich nicht von ein paar Stunden. Sondern mindestens von einem Jahrzehnt. Im Licht der Taschenlampe hatten Mao Ra, der junge kambodschanische Führer, und ich ein paar Stufen ertastet, kauerten jetzt auf dem Steinsockel eines Pavillons. Unter uns ein Meer blitzender, flimmernder Lichter, ein Sternenfeld, ein Glitzerteppich. Die Blitze kamen von ungezählten Taschenlampen, das Flimmern von Hunderten von Mobiltelefonen. Dazu viel Mädchengekicher, ein paar grölende Gruppen, die Jungs hatten wohl durchgemacht. Es war fünf Uhr früh in Angkor Wat. Auf diesen Augenblick hatte ich mein halbes Leben lang gewartet. Jeder hat seinen Traum. Machu Picchu. Taj Mahal. Angkor Wat. Die Wunder der Welt. Wer weckt diese Sehnsucht? Die Schule? Filme? Das „Geo“-Heft im Wartezimmer? Jahrzehntelang hatten Bürgerkriege dieses Land zerrissen; es war besetzt, verwundet, vermint. Heute gehören die Tempelanlagen von Angkor Wat zum Unesco-Welterbe – und gelten als eines der meistbesuchten Touristenziele Südostasiens. Langsam wurde es hell hinter den Kronen der Zuckerpalmen am Horizont. Dunst hob sich aus den Wäldern. Immer schärfer traten die Türme aus einem fahlen Himmel hervor, Angkors legendäre fünf Türme; wie Felsgipfel in den Dolomiten sehen sie aus. Und sofort wuchsen direkt vor uns ungezählte dieser Selfie- Stangen em- por, es waren Hunderte, ein Stangenwald, und je höher die Sonne stieg, um so höher wurden auch Hälse und Stangen gereckt, galt es doch, den eigenen Kopf zusammen mit dem Weltwunder in ein Smartphone zu zwingen, mithin die größte sakrale Anlage der Erde plus Porträt zu posten – das ultimative Foto, das Selfie von Angkor Wat. Und da die Köpfe der Mädchen aus Korea und Japan (wo kamen die bloß alle her? Schulferien?) gemeinhin zierlich sind, die Türme der Khmer aber eben doch recht ausladend, war ordentlich Bewegung im Selfie-Stangenwald. Die Sonne war jetzt ein alles überstrahlender Ball, sie färbte den Himmel und die Wasserbecken mit goldenem Licht. Die pinkfarbenen Seerosen schwammen nun wie in flüssigem Gold. Ich saß im Gras, sah, wie Sonne und Türme sich im Goldwasser spiegelten, und versuchte, Atem zu holen in all dem Lärm, der aufsteigenden Hitze, den Blitzen. Händler und Andenkenverkäufer hatten sich unter die Touristengruppen gemischt, im Bauchladen trugen sie Coffee to go, Postkarten, SIBYLLE ZEHLE kennt die wichtigsten Köpfe der Wirtschaft und die schönsten Plätze der Welt. Immer wieder entdeckt die Buchautorin Menschen und Orte mit Charakter und Magie. ILLUSTRATION: ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FÜR BILANZ FOTO: GETTY IMAGES Hüte, Plastikflaschen und Berge von Baumwoll-Hemden und -Hosen vor sich her. Und Mao Ra sagte in seinem schönen Deutsch: „Vor zehn Jahren saßen Sie hier in Einsamkeit. Siem Reap war ein schlafendes Dorf.“ Wir gingen weiter, über den langen Damm, auf Terrassen und Galerien, kilometerlang umrahmen sie die Anlage, geschmückt mit Sandsteinreliefs: Wie Hunderte anderer Besucher zogen wir an zahllosen Einhörnern, Kampfwagen, Soldaten, geflügelten Drachen vorbei, an steinernen Comics voller Schwerter, Blut und Leichen und dazwischen immer wieder tanzenden Schönheiten, die Tempeltänzerinnen mit ihren prallen kleinen Brüsten, zierlich gewölbten Bäuchen, dem kunstvoll hochgesteckten Haar. Göttliche Verführerinnen mit lockendem Lächeln, steingewordene Anmut – die Apsaras von Angkor Wat. Immer weiter, mir wurde Angst und Bang, so viele Menschen, Rucksäcke, Cola-Büchsen, Baseball-Kappen, immer höher, die Ehrenterrasse hinauf, zum zentralen Bau, dem Hauptturm, 65 Meter hoch, den einst nur der König und seine obersten Priester betreten durften. Etwa 150 Menschen standen dort vor einer steilen Treppe, darauf wartend, ins Heiligtum vorgelassen zu werden. Wie eine Himmelsleiter sah die Treppe aus. „Dauert eine Stunde“, meinte Mao Ra. Und ich kapitulierte: vor all dem Kampfgetümmel, dem mythischen Durcheinander an den Wänden, dem Gedränge in den Gängen. Der Angkor-Himmel öffnete sich für mich nicht. Vor dem Abstieg hielt ich inne. Die Sanftheit der Landschaft und 75 76 unglaubliche Weite der Anlage waren überwältigend. Fünfeinhalb Jahrhunderte, von 889 bis ins 15. Jahrhundert hinein hat ein König nach dem anderen hier sein eigenes größenwahnsinniges Reich errichtet, muss Angkor die größte Stadt der Welt gewesen sein. Die abertausend Holzhäuser der Stadt waren rasch verrottet, aber die Spuren, die sie hinterließen, hat man vor ein paar Jahren vom Hubschrauber aus entdeckt. Das alte Angkor war mit einer Fläche von 1.000 Quadratkilometern größer als das heutige Berlin, errichtet von 120.000 zu Schwerstarbeit verdammten Sklaven und 40.000 Elefanten. In der Ferne hörten wir Musik: Eine Gruppe Musiker saß unter einem Baum, auf Bastmatten, fremde Klänge waren es, und erst auf ein Zeichen von Mao Ra schaute ich genauer hin und erschrak. Dem Trompeter fehlte ein Bein, der Gitarrist trug eine Augenbinde, er war wohl blind, der Flötist spielte nur mit einer Hand, statt eines Arms ragte nur ein Stumpf aus der linken Schulter. Eine Behinderten-Band. „Wir sind Kriegsopfer“, stand auf einem Pappschild auf Englisch und Deutsch. Erinnerung an die Schrecken vergangener Zeit. Nahezu jeder vierte Kambodschaner war zwischen 1975 und 1979 dem Terror der Roten Khmer zum Opfer gefallen – fast zwei Millionen Menschen. Einen Bauernstaat, ein Volk von Landarbeitern, wollten sie schaffen, eine Gesellschaft ohne Besitz, Familie, Kultur – schon wer eine Brille trug, machte sich verdächtig. Als Reisender trifft man heute auf ungewöhnlich aufmerksame, auffallend freundliche, zurückhaltende Menschen – fast immer mit einem Lächeln im Gesicht. „Wir wollen einfach nur gut leben“, sagt Mao Ra, „Frieden haben und Gesundheit für die Familie.“ Er wurde 1988 geboren. Da waren die Gräueltaten der Khmer schon Geschichte. Die Killing Fields, Tatorte zehntausendfacher Massenmorde, sind für ihn genauso weit weg, genauso unvorstellbar wie Auschwitz für viele von uns. RAFFLES GRAND HOTEL D’ANGKOR 1, Vithei Charles de Gaulle, Khum Svay Dang Kum, Siem Reap Kambodscha www.raffles.com/siem-reap 119 Zimmer und Suiten ab circa 190 Euro Wir wohnten im „Raffles“ – dem „Grand Hotel d’Angkor“. Es gilt als Kleinod aus der Kolonialzeit, und der Empfang war denn auch beeindruckend: Der Türsteher überreicht gekühlte Tücher auf einem Silbertablett, er ist ebenso prachtvoll gekleidet wie seine Kollegen am Eingang des Königspalasts von Phnom Penh (Kambodscha ist noch immer eine konstitutionelle Monarchie). Der Boden ist schwarzweiß gefliest, der Fahrstuhl ein offener Eisenkäfig, ein Schmuckstück des Art déco. Und wunderbare Erinnerungen stiegen auf, an Glanz und Pracht des „Raffles“ von Singapur… Das kleinere, kambodschanische Haus gehört zwar zur selben Gesellschaft, besitzt aber nicht annähernd dieselbe Klasse. Die „Signature Suite“ erwies sich als harmloses Doppelzimmer mit nettem Balkon und viel zu engem Schrank und Badezimmer. Über großzügige Ausmaße verfügte allein der Hotel-Pool, ein 35 Meter langes Becken nach dem Vorbild der Könige der alten Khmer – mit Blick auf Palmen und einen hübschen Pavillon, vor dem zwei rote Löwen Wasser speien. Wir aßen mittelmäßig, um nicht zu sagen: enttäuschend im allseits hochgelobten „Restaurant Le Grand“ und retteten uns dann in die legendäre „Elephant Bar“. Was könnte sie alles erzählen! Von den ersten Gästen zu Beginn der eleganten 30er-Jahre. Von Charlie Chaplin oder Somerset Maugham. Und von den letzten prominenten Besuchern in den 60ern. Von Charles de Gaulle (1966) oder Jacqueline Kennedy (1967). FOTOS: RAFFLES GRAND HOTEL D’ANGKOR (2), GETTY IMAGES (2) Später residierten hier nur noch Kriegsberichterstatter, Soldaten und Revolutionäre: die Militärs um Lon Nol, die Terroristen von Pol Pot, am Ende die Besatzer aus Vietnam. Alle haben hier unter dem Bogen aus Elefantenzähnen gesessen und getrunken. Und doch, kein Hauch von Indochine, kein Patina. Alles poliert, glatt und glänzend, zu Tode renoviert. An diesem Abend trank ich zu viel. Und träumte von Dämonen aus Stein, die zähnefletschend zum Leben erwachten, und von Riesenschlangen, deren Leiber sich rollten und wälzten wie Regenwürmer. Dutzende religiöse Stätten liegen im Archäologischen Park von Angkor. Und natürlich lockte Ta Prohm, der Tempel, in dessen Ruinen Angelina Jolie alias Lara Croft im Film „Tomb Raider“ gegen ein Regiment versteinerter Soldaten mit Affenköpfen kämpfte. In einer Fantasy-Dekoration, wie sie aufregender nicht sein konnte. Wurzeln gab es da, die sahen aus wie Riesenkraken, und hielten mit beängstigend voluminösen Tentakeln Tempelmauern umklammert. Und jetzt stand ich mittendrin. Sah Äste von Würgefeigen, die über Treppen wuchern, als seien sie – wie flüssiges Wachs – dort einmal hingeflossen und nun erstarrt. Keinen Stein, keinen Ast hat der Regisseur für die aberwitzige Filmkulisse verrücken müssen. Die Natur hat sich hier, zwischen den Tempeltrümmern, ihre ganz eigene Bühne erschaffen. Mao Ra findet zwischen den eingestürzten Mauern, geborstenen Treppen, den Wurzelriesen, die sich an Wände krallen, immer wieder Schleichwege und stille schattige Plätze. Zeigt hier die Natur ihren Sieg über unser eitles Tun? Taugt Ta Prohm als Metapher für die Vergänglichkeit allen menschlichen Strebens? Seltsamerweise empfand ich nichts von alledem. Stattdessen entdeckte ich Skulpturen von betörender Schönheit, Räume voller mystischer Geheimnisse, beeindruckender Kraft. Und alles sieht aus, als müsse es genau so sein. Sonnenaufgang in Angkor Wat: Die Anlage färbt sich golden und wird sofort gepostet. Der Pool des „Raffles“-Hotels: so großzügig wie die Badebecken der alten Khmer. Z E H L E S SIEM REAP 6 KAMBODSCHA Z I E L E Blick aus einer „Cabana Suite“ des „Raffles“: Nur diese mögen wir wirklich empfehlen. Die Götter von Bayon: mit unmerklichem Lächeln im Gesicht, dem „Sourire Khmer“. 77 „Phum Baitang“, das grüne Dorf: Der Pool zwischen Zuckerpalmen wirkt wie ein See. Holz, Bambus, Sisal: Auch in den Bädern der Villen dominieren heimische Materialien. Z E H L E S 78 SIEM REAP 6 KAMBODSCHA Z I E L E Fantasievolle Küche: mit Kräutern aus dem Gemüsegarten und Reis von den eigenen Feldern. Prachtvoll wie ein Tempel: Das Spa ist aus dem gleichen Sandstein gebaut wie Angkor Wat. BILANZ / MAI / 2016 Bayon, mehr Felsklotz als Tempel, er wirkt wie von Naturgewalten oder Aliens im Urwald erschaffen. Wurden diese Steingebirge wirklich von Menschenhand aufgeschichtet? Die Gesichter, die an den Flanken aufleuchten, sie können einfach nicht von Fronarbeitern in Stein gehauen worden sein. Denn die Gottheiten lächeln nicht, sie leisten sich gerade eine Andeutung davon. Es ist ein unmerkliches, ein Mona-Lisa-Lächeln. „Sourire Khmer“ nennt man es hier. Ein Hotel reiht sich in Siem Reap an das andere, über 500 sollen es inzwischen sein, aber schon am zweiten Tag sehnte ich mich nach einem Haus weit weg von all dem Lärm, den hupenden Pick-ups, knatternden TukTuks, Taxis und Motorrädern auf den Straßen. Weg von Billigmärkten, Casinos, Nachtclubs, Massagesalons, diesem unsäglichen Jahrmarktsgetriebe und Kirmesgewese der Stadt. „Phum Baitang“…plötzlich schoss mir dieser seltsame Name wieder durch den Kopf. Hatte nicht eine Freundin von einem kleinen, ganz neuen Hotel zwischen Reisfeldern erzählt? Und obwohl es unser letzter Nachmittag war, fuhren wir keine fünf Kilometer heraus aus der Stadt, auf schlechten Straßen, an ausgedörrten Feldern vorbei. Plötzlich eine Mauer. Ein Tor. Und es öffnete sich eine Welt voller Harmonie. Phum Baitang heißt „grünes Dorf“. Und das ist es: ein Dorf im Palmenwald. Genauso muss ganz Kambodscha in seinen goldenen Zeiten gewesen sein: grün und sanft, unschuldig schön. Hellgrüne Reisfelder, Wassergräben, Häuser auf Stelzen. Die kleinen Villen in ihren Gärten, viele mit eigenem Pool, wirken nur auf den ersten Blick so schlicht, auf den zweiten sieht man, wie kunstvoll Dächer und Balkone gefertigt sind, mit Fenstergittern aus getrockneten Palmenblättern, Matten aus Sisal, Möbel aus Rattan, Lampenschirmen aus Bast; alles wirkt einfach und kostbar zugleich. Wir stiegen die Treppe zu einem über 100 Jahre alten Bauernhaus PHUM BAITANG Phum Svaydangkum Sangkat Svaydangkum Siem Reap Kambodscha www.phumbaitang.com 45 Villen, 25 mit Terrasse, 20 mit eigenem Plunge Pool 3 Nächte, inkl. Frühstück, Reiseleiter, Auto mit Chauffeur und Eintrittsgeldern, ab 990 Euro pro Person (z.B. über www.geoplan-reisen.de) hinauf, jetzt die Cocktail- und Zigarrenbar des „Phum Baitang“, mit Blick auf sich im Winde wiegende Halme, Felder von Zitronengras. Die Schaukelstühle auf der offenen Veranda knarren, Eiswürfel klirren im Gin-Tonic-Glas…und sofort ist man von tiefer Zufriedenheit erfüllt. Jedes Detail stimmt in diesem Dorf. Der große 50-Meter-Infinity-Pool ist geschwungen wie ein See, das Spa sieht aus wie ein Tempel, dort wurde der gleiche Sandstein verwen- ZANNIER-GRUPPE Das Unternehmen hat sich seit 50 Jahren auf Kindermode spezialisiert und gilt mit einem Umsatz von 750 Mio. Euro als führender Anbieter Europas – mit Marken wie „Levi’s Kids“, „Kenzo Kids“, „Junior Gaultier“ und der deutschen Tochterfirma Esprit Kids. Roger Zannier, der Firmengründer, hat auch in Immobilien (Menorca, Vietnam,) und Weingüter (Südfrankreich, Portugal) investiert. In Kambodscha betreibt er Waisenhäuser, keine Textilproduktion. Arnaud Zannier, der Sohn, managt das Hotelgeschäft. Mit den Zannier-Häusern wird er weiter expandieren, nächstens in Vietnam und Namibia. DIE REISE WURDE UNTERSTÜTZT VON GEOPLAN PRIVATREISEN FOTOS: PHUM BAITANG det wie in Angkor Wat. Das „Phum Baitang“ ist aus dem Nichts geschaffen worden, ein 80.000 Quadratmeter großes, sandiges Gelände stand zur Verfügung, ohne jede Vegetation. Eine einzige Palme ragte vormals aus dieser Ebene, 20 Meter hoch. Um sie herum wurden dann 15.000 weitere Pflanzen gesetzt, darunter 1000 ausgewachsene Zuckerpalmen und 50 Jahre alte Frangipani-Bäume. Dahinter steht Arnaud Zannier (42), ein Franzose mit Wohnsitz in Gent (der belgischen Ehefrau zuliebe), Mitglied einer wohlhabenden Unternehmerfamilie (siehe Kasten) und innerhalb der Groupe Zannier der kreative Kopf und die treibende Kraft im Hotelgeschäft. Nach einem Luxus-Chalet in Megève hat er im September 2015 das Hoteldorf bei Siem Reap eröffnet. Monatelang hatten Arnaud Zannier und Geraldine Dohogne, die verantwortliche Mitarbeiterin für Concept & Interior Design, zuvor die Materialien des Landes studiert und auf den Märkten Kambodschas antikes Mobiliar erworben. Er sei ein Mann, der das Leben liebe, beschreibt Geraldine ihren Chef, und für Umwelt und Kultur eine hohe Sensibilität besitze. Er aber sagt nur: „Ich wollte zeigen, wie simpel man Sachen machen, wie einfach Luxus sein kann.“ Ein Nachmittag voller Zauber. Die Sehnsucht danach ist nicht versiegt. Ich weiß, ich werde wieder dorthin kommen, einmal den Grand Circuit, die große Tour, durch den Urwald machen, entlang der verlassenen Tempel, die kaum jemand besucht, manche wurden gerade erst entdeckt. Und ich weiß, ich werde die Tage in diesem aufregenden Land wieder genießen und werde es doch nie verstehen. Nicht die Gräuel der Vergangenheit, nicht die Gegenwart. Die Menschen blieben mir seltsam fremd. Die alten Männer mit den harten Gesichtern. Und die jungen Leute von heute, mit ihrer Zartheit, unendlichen Freundlichkeit und Geduld. P 79 Privat 80 BILANZ / Mai / 2016 81 RETTUNGSSCHLAG IN RIO Nach 112 Jahren gehört Golf wieder zum Programm der Olympischen Spiele. Die Leidgeprüften der Branche hoffen auf einen Neuanfang. Text GÜNTER O. REITER Der Südafrikaner Ernie Els am berühmten 13. Loch des Augusta National Golf Club. Privat G 82 ewiss, Golf ist kein Volkssport. In Deutschland, der Schweiz oder Österreich spielt nicht einmal jeder hundertste Bewohner. Dennoch hat die Disziplin inzwischen eine recht große wirtschaftliche Bedeutung erlangt mit weltweiten Erlösen in zweistelliger Milliardenhöhe und einer großen Fangemeinde. Bei Golf, man ahnt das, ist viel Geld im Spiel. Allein in Europa sind 4,2 Millionen Golfspieler registriert, auch wenn ihre Anzahl seit fünf Jahren zurückgeht. Weltweit sind angeblich 50 Millionen Freizeitspieler auf den mehr als 34.000 Golfanlagen unterwegs. Für Profi-Golfer werden ein paar Dutzend Turnierserien auf allen fünf Kontinenten veranstaltet, allein die US-amerikanische PGA Tour schüttet in diesem Jahr mehr als 330 Millionen Dollar an Preisgeldern aus. Und der Gesamtwert der rund um den Globus gebuchten Golfreisen liegt gar bei mehr als zwei Milliarden Dollar. Der größte Umsatzanteil mit 8,7 Milliarden Dollar (2014) entfällt laut „World Golf Report 2015“ freilich auf das Kerngeschäft, jenes mit Golfausrüstung, also in erster Linie auf Schläger (mehr als fünf Mrd. Dollar) und in zweiter auf Bälle (knapp 1,5 Mrd. Dollar). Der Rest wird gezollt für Schuhe und Taschen für den Schlägertransport sowie die von Golfern stets an nur einer Hand getragenen Handschuhe. Doch leider schrumpft ausgerechnet das Geschäft mit dem Equipment: „Immer weniger Menschen spielen Golf, und diejenigen, die noch golfen, tun es seltener“, stellte Mark King, der Chef von Adidas in den USA, bereits im vergangenen Jahr klar. „Das Golf geschäft“, sagt Matt Po well, Sportspezialist beim US-Marktforscher NPD, im nüchternen Tonfall eines Nachrichtensprechers, „steckt in einem anhaltenden Abschwung.“ Über die Gründe rätselt die Branche seit Jahren. Hatten 2003 noch 30 Millionen Amerikaner Golf gespielt, sind es heu- te nur noch 24 Millionen. Und immer mehr von denen fühlen sich belästigt von den ständig neuen Drivern, Wedges und Puttern, die die verzweifelt um Kundschaft buhlenden Hersteller in immer kürzeren Abständen auf den Markt werfen und damit genau das Gegenteil dessen erreichen, was sie bezwecken. Denn Händler schätzen es nicht, wenn sie keine Zeit mehr haben, ihre Lager leer zu verkaufen, und unentwegt die Preise senken müssen. 2014 schrumpfte der Adidas-GolfUmsatz von 1,285 Milliarden auf 913 Millionen Euro, im vergangenen Jahr fiel er um weitere 1,2 Prozent. Der deutsche Markt zog sich gleichzeitig um kolikartige 5,7 Prozent zusammen. Die Lage ist denkbar verkrampft. Umso größer sind die Erwartungen, die die Branche ans laufende Geschäftsjahr knüpft. Es ist eines von der außerordentlichen Sorte: Nach den alljährlich ausgetragenen Majors (den vier wichtigsten Turnieren der Profi-Tour mit Preisgeldern zwischen neun und zehn Millionen Dollar) folgen im August die Olympischen Spiele und im Anschluss daran noch eine weitere Branchen-Katastase: der Ryder Cup. FOTO VOHERIGE SEITE: JEFF HAYNES/AFP/ GETTY IMAGES * NACH DREI QUARTALEN VON 2015 ** GESCHÄFTSJAHR 2014/15 (31.5.) *** NUR GOLFARTIKEL-ERLÖSE WER BEHERRSCHT DAS GOLF-GESCHÄFT? Umsatz im Geschäftsjahr 2015 in Mio. Euro; Veränderungen gegenüber 2014 ACUSHNET COMPANY* 1.065 -2,5% TAYLORMADE-ADIDAS GOLF 902 -1,2% CALLAWAY GOLF COMPANY 759 -4,5% NIKE GOLF** 694 -2,3% DUNLOP SPORTS*** 438 +3,5% QUELLE: UNTERNEHMENSANGABEN Die drei Über-Évènements bilden eine in der Golf-Geschichte erstmalige Dreier-Konstellation: Denn beim bislang letzten olympischen Abschlag, 1904 in St. Louis, waren weder Ryder Cup, der zweijährlich ausgetragene Kontinentalwettstreit zwischen Europa und den USA mit über 500 Millionen TV-Zuschauern, noch das berühmte US Masters erfunden, geschweige denn auch nur irgendjemandem bekannt. In vielen Wirtschaftszweigen würden die Vermarktungs- und Vertriebsleute angesichts solcher Ereignisse mehrere Volksfeste veranstalten, Freudentanzgruppen engagieren und Kanonensalven abfeuern, Firmenchefs die Umsatzziele pfeilgerade nach oben korrigieren, ganz wie man es von den Strategen bei Adidas, Nike oder Puma kennt, wenn eine Fußball-WM bevorsteht. Doch in der Gilde der Golfer bleibt die Stimmung verhalten. Zu sehr hat der lang anhaltende Niedergang an Selbstbewusstsein und Zukunftsglauben gezehrt. „Die Wiedereingliederung von Golf in die Olympischen Spiele, die Popularität der jungen Stars in diesem Spiel und andere Initiativen geben Anlass zu Optimismus, wenn man auf den Sport im Großen und Ganzen blickt“, sagt Chip Brewer, Chef der Callaway Golf Company. Euphorie klingt anders, selbst Vorfreude sucht sich nettere Worte. Etwas mehr Zuversicht immerhin scheint Bob Philion auszustrahlen, Geschäftsführer von Cobra Puma Golf, einer Untergesellschaft des fränkischen Sportausrüsters gleichen Namens: „Wie könnte man die Attraktivität und Popularität von Golf besser in aller Welt steigern als auf der olympischen Bühne? Die Teilnahme einiger unserer Tour-Athleten an den Spielen wird sich sehr positiv auf unsere Marken auswirken.“ Bei einem seiner bedeutendsten deutschen Kunden, der Hamburger Golf-House-Gruppe, mag man sich dieser Vorhersage allerdings nicht ganz anschließen. Er erwarte von den Golf-Kämpfen in Rio de Janeiro BILANZ / Mai / 2016 83 „sicher deutlich mehr PR und damit Aufmerksamkeit für den Golfsport in Deutschland“, sagt Geschäftsführer Frank Ewers. Was die Einnahmen angehe, rechne er aber mit „keiner signifikanten Auswirkung auf den Golf-Einzelhandel oder das Golf-Business“. Was Ewers vielleicht verschmerzen kann: Sein Handelsgeschäft konnten die Einnahmen im vergangenen Jahr um etwa 13 Prozent auf knapp 53 Millionen Euro erhöhen und dadurch gleichsam automatisch auch den Anteil auf dem schrumpfenden Markt auf nunmehr etwa 22,5 Prozent. Indes stellt der deutsche Markt keine Größe dar, die über Wohl und Wehe der Golf-Industrie entscheidet. Alles hängt ab von den Geschäften in den USA, des mit Abstand größten Golfmarktes der Welt. Die National Sporting Goods Association meldet, dass die amerikanischen Golfspieler 2015 nur noch 3,4 Milliarden Dollar für neues Equipment FOTO: GETTY IMAGES ausgegeben hätten – rund 200 Millionen weniger als vor zwei Jahren und sogar 300 Millionen weniger als 2007. Auch in Japan, dessen Anteil am Golfweltmarkt 24 Prozent beträgt, lassen die Geschäfte jede Lebendigkeit vermissen; und selbst Südkorea, mit einem Marktanteil von sieben Prozent und einer nicht unerfreulichen Entwicklung, zeigt erste Verschleißerscheinungen. Wenig überraschend, dass im vergangenen Geschäftsjahr die Umsätze praktisch aller großen Golfausrüster zurückgingen. Dunlop Sports verdankt seinen kleinen Zuwachs vor allen Dingen günstigen Währungseffekten. Die Zunft blickt auf eine „schwierige Lage“, wie es im Ökonomen- und Golfer-Jargon heißt. Die Wiederaufnahme ins olympische Programm wird für Aufmerksamkeit sorgen; ob die sich auch finanziell in nennenswertem Maße niederschlägt, ist zweifelhaft. Der olympische Golfkurs in Barra da Tijuca, einem der vornehmsten Stadtteile von Rio de Janeiro. Im Fernsehen findet Golf durchaus noch Anklang. Zu den namhaften deutschen Sponsoren zählen Autobauer wie BMW oder Porsche, aber auch der Programmeanbieter SAP. „Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrhundert werden die besten Spieler im Golf ihre Fähigkeiten auf der größten Bühne der Welt zeigen“, sagt David Abeles, Chef der Adidas-Firma Taylormade. „Wir glauben fest daran, dass die Rückkehr zu den Olympischen Spielen einen bedeutenden Einfluss haben wird – nicht nur hier in den USA, sondern auch im weltweiten Maßstab.“ Mit den sogenannten „besten“ Spielern allein ist es jedoch nicht getan. Zurzeit tourt zwar eine Reihe von sympathischen Young Guns, die großartiges Golf zeigt. Allen voran Jason Day, Rory McIlroy, Rickie Fowler, Pa trick Reed und Jordan Spieth, den übrigens der neue Adidas-Herausforderer Under Armour Privat 84 unter Vertrag genommen hat. Aber jedermann ist klar, dass die Geschäfte weitaus besser laufen würden, wenn der langjährige Herrscher Tiger Woods nicht ständig verletzt wäre und endlich wieder herrschte. Nike hat mit Woods als Werbeträger nicht nur Schläger, sondern angeblich sogar Bälle entwickelt und damit mutmaßlich 771 Millionen Dollar umgesetzt. „Wenn Tiger spielt, sorgt das immer für einen Aufschwung, sowohl beim Interesse als auch bei den Einschaltquoten“, sagt Tom Stine, Mitgründer des Marktforschers Golf Datatech. Ähnliches kenne man ja aus anderen Sportarten. In Deutschland hoffen sie nun, dass Martin Kaymer, die hiesige Nummer eins, in Rio auftrumpft, vielleicht auch Alex Cejka, Marcel Siem oder Maximilian Kieffer, die als Starter infrage kommen. „Ein positives Abschneiden unserer Golfer würde den Umsatz sicher ein wenig beflügeln“, sagt Jan Götze, der in Weiterstadt eines der größten Golfgeschäfte des Landes betreibt. Deutschlands bekanntester und beliebtester Golfer, Bernhard Langer (58), zweifacher Champion des US Masters (1985 und 1993) und in jüngster Zeit wieder prächtig in Form, würde „furchtbar gerne“ in Rio „dabei sein – aber es geht nicht“: Startberechtigt sind nur die 60 besten Spieler der Weltrangliste. Langer, der nur noch auf der US-Senioren-Tour spielt, ist auf Rang 652 zurückgefallen. „Der Modus kann sicher in der Zukunft noch geändert werden“, sagt er. Bis zum 11. Juli darf der Internationale Golfverband seine Qualifikationsrichtlinien noch verfeinern, etwa durch zusätzliche Wildcards, bislang nur vorgesehen für den Gastgeber Brasilien und jeweils einen Vertreter pro Kontinent. In Tokio 2020 ist Langer 62 Jahre alt. Das wird nichts mehr. In diesem Jahr aber wäre sein Auftritt für den deutschen Markt etwas, das im Golf „Recovery“ genannt wird – ein Rettungsschlag. P FOTO: GETTY IMAGES BILANZ / Mai / 2016 GRÖSSEN AUF DEM GRÜN GOLFEN UM GOLD Bislang fanden nur zwei Olympische Spiele statt mit Drives und Putts: 1900 in Paris und 1904 in St. Louis. Entsprechend lauter Jubel brach in der Golfgemeinde los, als die Rückkehr in den Spielplan für 2016 verkündet wurde. Inzwischen wachsen die Zweifel, ob Golf tatsächlich die Massen begeistern kann. Denn auf dem Campo Olímpico de Golfe wird per Zählspiel um Medaillen gekämpft. „Aufgrund dieser klassischen Spielform wird es leider nichts anderes sein als jedes andere bedeutende Turnier und damit keine besondere Attraktivität haben“, bemängelt Golf-House-Chef Frank Ewers. Und dann ist da noch der Qualifikationsmodus: Bei Olympia werden jeweils 60 Damen und Herren abschlagen, als Kriterium dient dabei die WeltranglistenPlatzierung. Da jedes Land aber nur maximal vier Spieler entsenden darf, werden einige der weltbesten Golfer zwangsläufig fehlen. Denn derzeit finden sich bei den Herren allein neun US-Profis unter den ersten 20 und bei den Damen fünf Südkoreanerinnen. Altes Eisen: Bernhard Langer war in Augusta (Platz 24) der mit Abstand beste Deutsche. ACUSHNET COMPANY (Fairhaven/USA) NIKE GOLF (Beaverton/USA) Im Angebot: Schläger, Bälle, Handschuhe, Schuhe, Bekleidung. Marken: „Foot Joy“, „Pinnacle“, „Titleist“ Im Angebot: Schläger, Bälle, Handschuhe, Schuhe, Bekleidung. Marken: „Nike“ Größter Golfballhersteller Amerikas. Im Besitz des südkoreanischen Sportartikelkonzerns Fila, der das Unternehmen aus Fairhaven an der US-Ostküste Ende dieses Jahres an die Börse führen will. TAYLORMADE-ADIDAS GOLF (Carlsbad/USA) Im Angebot: Schläger, Bälle, Handschuhe, Schuhe, Bekleidung. Marken: „Adams Golf“, „Adidas Golf“, „Ashworth“, „Taylormade“ Adidas wäre diese Firma am liebsten los. Es muss sich nur jemand finden, der sie haben will. Seit zwei Jahren ist Taylormade eine Baustelle, die Instandsetzungskosten verschlangen einen zweistelligen Millionenbetrag, 2014 und 2015 liefen operative Verluste von jeweils knapp 100 Mio. Euro auf – bei abschmierenden Einnahmen von zuletzt 902 Mio. Euro. Die Marke „Adidas Golf“ soll dagegen im Haus verbleiben. CALLAWAY GOLF COMPANY (Carlsbad/USA) Im Angebot: Schläger, Bälle, Handschuhe, Zubehör. Marken: „Callaway“, „Odyssey“ Schläger-Weltmarktführer. Warf wie Taylormade zwischen 2010 und 2014 jedes Jahr durchschnittlich vier neue Driver auf den Markt. Beim Handel kommt so was nicht gut an. Denn die Kundschaft ist genervt. Auch der größte Sportartikelkonzern der Welt hat seine liebe Not im Golfgeschäft. Der Gesamtumsatz wächst, die Golfsparte schrumpft. DUNLOP SPORTS (Kobe/Japan) Im Angebot: Schläger, Bälle, Handschuhe, Schuhe. Marken: „Cleveland Golf“, „Srixon“, „XXIO“ Die Produkte des Hauses werden von der Handelsgruppe Sports Direct vertrieben wie „Slazenger“, „Everlast“ oder „Kangol“. Die Marke selbst ist im Besitz von SRI Sports, die wiederum zu Sumitomo gehört. BRIDGESTONE GOLF (Covington/USA) Im Angebot: Schläger, Bälle, Handschuhe, Schuhe, Bekleidung. Marken: „Bridgestone“, „Precept“, „Tour Stage“ Mehrere Hundert Millionen Dollar Umsatz. Tochtergesellschaft des Reifenhauses Bridgestone. PING (Phoenix/USA) Im Angebot: Schläger, Handschuhe, Bekleidung. Marken: „Ping“ Ebenfalls mehrere Hundert Millionen Dollar Umsatz. Kerngeschäft der Karsten Manufacturing Corp. 85 PRIVAT HOLLEINS KUNSTWELT SAN FRANCISCO! Warum die Aussichten für das Kunstgeschäft zurzeit nirgendwo so gut sind wie in der Stadt der Facebook- und Google-Millionäre. 86 Going to San Francisco: Vom 1. Juni an werde ich die Kunstwelt für BILANZ von der anderen Seite der Erdkugel aus beobachten – von jener multikulturellen Metropole der West Coast, die nicht nur im Sommer (in den Monaten June, July und Fogust) zuweilen nebelfrische, aber stets belebende Perspektiven bietet, sondern auch einen ganz anderen, weiträumigeren Blick auf die Geschehnisse in Europa und im asiatischen Raum eröffnet. Vor allem aber ist San Francisco selbst derzeit eine der, wenn nicht die spannendste Case Study, wie die Kultur in einer Stadt neu verhandelt wird – mit allen Vor- und Nachteilen. Es gibt wahrscheinlich keine andere Großstadt – und sicherlich kein schöneres Fleckchen Erde –, wo der Anteil an disruptiver Energie, Fortschrittsglaube und Millionenvermögen unter den Menschen, die jünger sind als 40, so hoch ist wie in der Stadt an der Golden Gate Bridge. Der innovationsgetriebene, ökonomische Sie- geszug des Silicon Valley mit seinen universitären Motoren Stanford und Berkeley hat dafür gesorgt, dass diese Stadt zu einer der wohlhabendsten, teuersten und rasantesten Metropolen der Welt aufgestiegen ist. Die Gentrifizierung, also der sozio-ökonomische Strukturwandel und die Verdrängung der Mittelschicht, wie wir sie hier in deutschen Großstädten schleichend bemerken, vollzieht sich dort in stürmischem Tempo: San Francisco als derzeit teuerster Immobilienmarkt der USA hat den Kampf um günstigen Wohnraum schon verloren – und darunter leidet natürlich gerade in dieser Stadt der früheren Flower Power auch die Alternativ- und Kunstszene. Billige Nischen, verlassene Lofts, alte unnutzbare Fabrikgebäude, finden sich schon lange nicht mehr in der Stadt; längst sind sie besetzt von Twitter-Zentrale oder Apple-Store , von den neuen Facebook- oder Google-Millionären. Kulturelle Initiativen, Künstler und Galerien werden verdrängt – die Tech- Elite mit ihren Deep Pockets weckt so den Argwohn des verdrängten Teils der Gesellschaft. Aber wer den Optimismus der Digital Entrepreneurs kennt, weiß, dass sie für alles – ob Welternährung, Klimawandel oder ewiges Leben – wenn nicht gleich eine umfassende Lösung haben, so doch zumindest nach einem verbessernden Analyse-Algorithmus suchen. Beispielhaft für dieses proaktive Handeln ist das im März eröffnete „Minnesota Street Project“ von Andy und Deborah Rappaport, angesiedelt im historischen Dogpatch-Distrikt von San Francisco: Die Rappaports, die als Start-up-Investoren mehrere Digitalunternehmen mit aufgebaut haben, setzen mit ihm ein starkes Zeichen der Philanthropie. In dem früheren Lagerhauskomplex will das Ehepaar sowohl Galerien als auch Künstlern bezahlbare Räumlichkeiten auch kurzfristig zur Verfügung stellen. Wobei es ausdrücklich BILANZ / MAI / 2016 Vitale Kunstszene in SF: das Minnesota Street Project, Biotop für Galeristen und Künstler (rechts). Das neue, urgewaltige Moma (oben). 87 keinen Gewinn anstrebt, umso mehr aber das synergetische Potenzial der insgesamt 9.300 Quadratmeter großen Mietflächen ausschöpfen will, indem alle Nebenräume – von den Flächen zur Verpackung von Kunstwerken, ihrer Anlieferung, über die Küchen und das Lager bis hin zu Besprechungsräumen – nicht von jeder Galerie wie sonst üblich alleine gestellt und besetzt, sondern vielmehr von allen wie in einer großen Kommune geteilt und damit hocheffizient und maximal ausgenutzt werden. Dass es in San Francisco auch in der Hochkultur rasant vorwärtsgehen kann, hat die Stadt in diesem Monat auf ehrgeizige und eindrucksvolle Art unter Beweis gestellt bei der Eröffnung des gigantisch vergrößerten San Francisco Museum of Modern Art: Es handelt sich hierbei um die größte Museumsfläche für moderne Kunst in den USA überhaupt. Das Moma in New York muss sich wieder anstrengen. Für die Erweiterung des Museums haben die Gründer des Mode-Imperiums GAP ihre gewaltige Sammlung bereitgestellt und nicht zuletzt dadurch das philanthropische Herz (und bisweilen auch das schlechte Gewissen) der alten und jungen Entrepreneure in San Francisco derart erwärmt, dass sich 610 Millionen Dollar an Spenden für den Bau auftreiben ließen. Die Zeichen für das Kunstgeschäft stehen also gut und an der West Coast nirgendwo besser als hier – da mag Los Angeles noch so sehr auf seine Kunstszene pochen. Spitzengalerien wie Pace siedeln sich in Palo Alto an, und Larry Gagosian eröffnet gleich um die Ecke des SF Moma in San Francisco. In der Bay Area entsteht ein komplexes Amalgam aus ökonomischer Fortschrittskraft, gesellschaftlicher Reibung, virulenten Auseinandersetzungen, postindustriellen Interessenskonflikten und sozialem Engagement. FOTOS: MINNESOTA STREET PROJECT (2), SF MOMA, GETTY IMAGES Den Kunstinstitutionen fällt dabei eine besondere Rolle zu. Nicht nur die, große Chancen zu nutzen und an dem beispiellosen Boom und Ehrgeiz dieser Kommune teilzunehmen, sondern auch die wesentlichen gesellschaftlichen Veränderungen zu begleiten, zu diskutieren und in einen großen Sinnzusammenhang zu stellen. Es gibt derzeit kaum einen spannenderen – und schöneren – Ort dafür. P MAX HOLLEIN ist der erfolgreichste Museumsdirektor des Landes. Er hat das Frankfurter Städel, die Schirn Kunsthalle und das Liebieghaus zu Weltgeltung geführt. Am 1. Juni übernimmt er die Direktion der Fine Arts Museums of San Francisco. BAADERS BESTE ALTMODISCH, FETTDICHT UND CHLORFREI Fünf Wonnen für den Wonnemonat. NENI IM 25 HOURS HOTEL Altes Hafenamt, Osakaallee 12, 20457 Hamburg www.nenihamburg.de 88 Schlipsträger treten selten auf. Stattdessen sieht man T-Shirts mit V-Ausschnitt, viele Bärte, junge Gesichter. Das Neni ist im Gehäuse des „25 Hours Hotel“ in der Hafencity untergebracht. Auf der Karte: „ostmediterrane“ Küche, syrische, würde ich sagen und hinzufügen, glücklicherweise ausreichend europäisiert. Mit viel Gemüse, gegrilltem Huhn, stundenlang gegartem Rindfleisch, orientalischen Gewürzen und frischen Kräutern. Hauptgerichte zwischen 14 und 24 Euro. SOHO CHICKEN Eppendorfer Weg 204, 20251 Hamburg www.soho-chicken.de Halbe) sind nicht günstig, aber okay. Die Qualität ist nicht Bio, aber vertretbar, der Geschmack hingegen crispy und saftig zugleich. Kurz, ein FastfoodRestaurant der besseren Sorte. TERRASSE VOM ZÜRSERHOF A-6763 Zürs am Arlberg www.zuerserhof.at Kaum ein Ski-Urlauber in Lech/Zürs kommt auf die Idee, in einem Luxushotel einzukehren. Dabei sind das bezahlbare Möglichkeiten, grandiose Momente zu erleben. Das beste Essen bietet der „Almhof Schneider“, den spektakulärsten Panoramablick der „Zürserhof“. Bis 15 Uhr sitzt man dort in der Sonne (danach ist sie hinterm Berg), bestellt sich für 30 Euro vom großen Buffet, trinkt dazu einen „Zweigelt“ und löscht ungelesen alle E-Mails. BUTTERBROT-TÜTEN Von Toppits, z.B. in den Edekaoder Rewe-Filialen Der eine – Initiator, Inhaber, Ideengeber Dirk Block – ist der Vater der Veranstaltung. Der andere – Pedant, Garant, Erfolgsmensch Eugen Block – ist der Vater dieses Vaters. Und damit eine Art emotionale Anschubfinanzierung für Juniors Hähnchenbraterei im Brasserie-Stil. Die Preise (9,90 Euro fürs gem Gelächter, wenn ich unterwegs meinen Proviant auspacke. Umso mehr, als ich altmodische Pergamenttüten aus fettdichtem, chlorfrei gebleichtem Papier verwende, das die leckeren Brote maximal frisch hält. Die Packung mit 60 Tüten kostet ungefähr zwei Euro. WEISSER HEILBUTT MIT GERÖSTETEM BLUMENKOHL UND CURRYSAUCE Mein Rezept mit Einkaufsliste und Anleitung finden Sie auf www.bilanz.de Dies ist ein Blumenkohlrezept für Leute, die Blumenkohl mögen oder nicht. Die Herausforderung besteht darin, vom Blumenkohl sehr dünne Scheiben, etwa drei Millimeter dick, abzuschneiden, ohne dass alles dabei zerbröselt. Das wird nicht zu 100 Prozent gelingen. Man muss den Schwund, etwa 30 Prozent, einfach akzeptieren. P FRED BAADER Das selbst geschmierte Butterbrot ist für mich die einzig akzeptable Option mobiler Versorgung. Das führt bei Freunden und Kollegen zu eini- FOTOS: HEINER BAYER, SOHO CHICKEN FACEBOOK ILLUSTRATION: ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FÜR BILANZ war mit seiner Agentur Baader Lang Behnken einer der Großen in der deutschen Werbewirtschaft. 2013 veröffentlichte der Hamburger Genussmensch sein erstes Kochbuch. REGISTER A B C ABB 16 ABELES, DAVID 83 ACKERMANN, JOSEF 19 Acushnet Company 82, 85 Adidas 16, 65, 82 Airbus 52 ALBRECHT, HANS 29 Allianz 25 Angkor Wat 75 Apple 26 BÄTE, OLIVER BEHRENBECK, KLAUS BETTERMANN, ULRICH Bilfinger BLADES, THOMAS BLOCK, DIRK & EUGEN Blumenkohl BÖCKENFELD, MARTHA Boeing BOERSCH, CORNELIUS BORTENLÄNGER, CHRISTINE BORTOT, NICK BRATZEL, STEFAN BREWER, CHIP Bridgestone Golf BUCHHOLZ, LIANE Bux Callaway Golf Cannavest Coca-Cola CONRAD, MARKUS CORDES, ECKHARD CRYAN, JOHN Ctrip 17 17 29 14 14 88 88 30 56 68 28 32 71 82 85 29 33 82, 85 24 58 90 14 21 43 H HAINER, HERBERT HEFFELS, GUIDO Heimat Helikoptergeld Henkel HENZLER, HERBERT HERLING, ALFRED HEUMANN, KAREN HOFFMANN, MARK Hornbach HÜPPE, MATTHIAS 16 62 63 29 16 17 19 30 28 63 27 I Ifo-Institut 35 J JIANZHANG LIANG, JAMES 44 JIE SUN, JANE 44 JONES, STEVE 58 K KÄSER, JOSEF KAYMER, MARTIN KETTWIG, HANS-DIETER KING, MARK KIRCH, LEO KOCH, ROLAND KOLBE, THOMAS Max Knobloch KRÖGER, HARALD 54 84 46 82 41 14 14 14 70 LANGER, BERNHARD LEWIS, STUART LINEMAYR, THOMAS & DANIELA 84 19 Mainstream Media MALTBY, ED MAN Marihuana MCCLOSKEY, MIKE & SUE MENGELE, ANDREAS Miele MIELE, MARKUS Milch Millennials Mountain Partners MÜLLER, THOMAS MÜLLER, TINA Munich Re MUNSTER, GENE 41 60 11 24 58 63 48 48 58 32 68 54 17 25 26 L M N D E F G Daimler 25, 70 Deutsche Accumotive 70 Deutsche Bank 18 Dividenden 23, 25, 27 DÖPFNER, MATHIAS 41 Dough 32 DOUGLAS, ALEXANDER 58 DRAGHI, MARIO 36 DUFF, TURNEY 26 Dunlop Sports 82, 85 IMPRESSUM O 90 Neni Nike Golf NÜSSELER, MARTIN 88 84, 83 57 Ölpreis OETKER, AREND Omnicom ÖSTBERG, NIKLAS OSTERLOH, BERND 27 31 64 29 11 Eadco 56 Elektra One 54 ENDERS, THOMAS 54 Enercon 46 Eon 21, 25, 27, 35 EWERS, FRANK 83 EZB 19, 35 Fairlife Fed FIORINA, CARLY FUEST, CLEMENS 58 37 17 34 Geldanlage Geobra Brandstätter GOLOGAN, CALIN GÖTZE, JAN GOULD, MATTHEW GRILLO, GABRIELA, RAINER & ULRICH Grillo-Werke GW Pharmaceuticals 22 14 52 84 59 14 14 24 Q Qunar R Raffles Grand Hotel d’Angkor 76 RAUCH, MAGGIE 45 REITER, JULIUS 33 Remondis 71 RENSCHLER, ANDREAS 11 Rheinzink 14 RICHENHAGEN, MARTIN 30 RIESENBECK, HAJO 30 RORSTED, KASPER 16 ROSS, KRISTI 32 ROSSINI, ANGELO 45 RUMSEY, ALISSA 60 RWE 25, 27, 35 S T PC-Aero PHILION, BOB Phum Baitang PICCARD, BERTRAND PIËCH, FERDINAND Ping PLANK, KEVIN Playmobil PORSCHE, WOLFGANG POWELL, MATT PROFFE, MICHAEL Puma 54 82 75 55 10 85 17 12 10 82 25 82 Ta Prohm Taylormade TBWA Tchibo Telefónica Tesla Thermomix THOMA, GEORG THOMA, HELMUT 12 31 19 52 36 32 26 68 68 84 63 74 82, 85 63 90 26 70 51 19 40 BILANZ Deutschland Wirtschaftsmagazin GmbH, Axel-Springer-Platz 1, 20350 Hamburg Tel.: (040) 347 234 47 Fax: (040) 347 234 50 E-Mail: [email protected] Herausgeber: DR. ARNO BALZER Chefredakteur: KLAUS BOLDT (v.i.S.d.P.) Artdirektion: KATJA KOLLMANN Chefreporter: VOLKER TER HASEBORG Redaktion: SOPHIE CROCOLL, VIRGINIA KIRST, STEPHAN KNIEPS, MELANIE LOOS, DR. ANNETTE PAWLU, MARK C. SCHNEIDER Bildredaktion: ULRICH MAHN Autoren: FRED BAADER, THOMAS DELEKAT, MAX HOLLEIN, DR. WOLFGANG KADEN, MARC KOWALSKY, DIRK RUSCHMANN, JÜRGEN SCHÖNSTEIN, SIBYLLE ZEHLE, BERND ZIESEMER Freie Mitarbeit: JASMIN DOEHL, MIRIAM EICHENLAUB, RONNY GALCZYNSKI, MICHAEL GATERMANN, NIKOLAS KAMKE, SIRI MATTHEY, LEA SOPHIA WILKE Beratung Fotografie und Illustration: HEIDI RUSSBUELT Büroleitung: ANNETTE KLANGWALD Geschäftsführer: JOHANNES BOEGE, DR. 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Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 3 für BILANZ Deutschland, gültig ab 1.1.2016. Unsere Standards der Transparenz und der journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter: www.axelspringer.de/unabhaengigkeit Die Rechte für die Nutzung von Artikeln für elektronische Pressespiegel erhalten Sie über die PMG Presse-Monitor GmbH, Tel.: (030) 284930 oder www.pressemonitor.de Leserservice und Heftbestellungen: BILANZ – das deutsche Wirtschaftsmagazin, Leserservice, 20583 Hamburg E-Mail: [email protected] Tel.: (0800) 888 66 30 E-Paper erhältlich unter: www.lesershop24.de und www.ikiosk.de 89 PRIVAT THOMAS LINEMAYR Der österreichische RuderOlympionike und Schokoladenexperte soll nun dem Kaffeekonzern Tchibo zu mehr Geltung verhelfen. BILANZGEWINNER AB JULI 2016 Der Kaffee- und Handelskonzern Tchibo (Umsatz: 3,4 Mrd. Euro) holt Linemayr (55) nach Hamburg. Der scheidende Chef Markus Conrad arbeitet ihn bis Jahresende ein. Vor allem Tchibos „Themenwelt“ (wöchentlich wechselnde Verkaufsaktionen für Mode-, Schmuck-, Küchenartikel) und das Kaffeekapselgeschäft bedürfen einer Verbesserung. 1999 Lindt & Sprüngli schickt Linemayr nach New Hampshire: Er soll die Lindor Truffles auf dem weltgrößten Schokomarkt USA bekannter und begehrter machen. Er bleibt nicht untätig: In seiner Amtszeit verschärft sich Lindts US-Umsatz von 221 Mio. (2000) auf 1,47 Mrd. Euro (2015). 1995 Linemayr zeigt seine Schokoladenseite: Der Schweizer Hersteller Lindt & Sprüngli ernennt ihn in Aachen zum Marketing-Direktor für den deutschen Markt. 90 Linemayrs Oheim Erich (M.) war FifaSchiedsrichter, pfiff das WM-74-Spiel Deutschland–Polen. 1989 Transfer zum Pharmakonzern Johnson & Johnson („Bebe“, „Listerine“): Linemayr vermarktet die Sonnencreme „Piz Buin“, zunächst von Wien, später aus der Schweiz heraus. 1987 Der französische Kosmetikkonzern Yves Rocher greift sich Linemayr. 1986 Die Johannes-Kepler-Universität in Linz verleiht dem Linzer eine Linzer Urkunde für seine Arbeit „Die Finanzplanung und ihre Anwendbarkeit auf einen Sportverband, dargestellt am Beispiel des Oberösterreichischen Handballverbandes“. 1960 Linemayr erblickt das Licht in Linz. ILLUSTRATION: ALEXANDRA COMPAIN-TISSIER FOTOS: FACEBOOK, LINDT, PICTURE ALLIANCE (2) Als Ruderer nahm der 1,96-Meter-Mann (vorn) an den Olympischen Spielen in Moskau (1980) und Los Angeles (1984) teil. „ KOPF EINZIEHEN UND RUDERN “ Linemayrs Lebensmotto: hilfreich besonders auf abschüssigen Kanälen, die von extrem tiefen Brücken überquert werden. Schöne Aussicht: Linemayr hat ein Haus am Attersee in Oberösterreich. Frau Daniela, Mutter zweier Söhne und Chefin der Beratungsfirma DL Image Plus. Von der Kakaozur Kaffeebohne: Linemayr ist ein oraler Typ. MY NEWS. TOP NEWS. ALLES, WAS DICH INTERESSIERT. UPDAY, DEIN NEUER NEWS-SERVICE EXKLUSIV FÜR SAMSUNG GALAXY. Bundesliga, Technik oder Innenpolitik – wichtig ist, was dich interessiert. Personalisierte News, dynamisch zusammengestellt aus über 300 Quellen. Und die wichtigsten News des Tages von unseren Journalisten. Auf Samsung Galaxy S7 bereits vorinstalliert oder jetzt die kostenlose App für kompatible Samsung Smartphones downloaden! 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