Thielemann: Tröten hoch vier?
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Thielemann: Tröten hoch vier?
üben&musizieren 2 11 Perspektiven Tröten hoch vier? Mein Weg zum Gruppenunterricht: In einem Schweizer Dörfli trompetet es jetzt in jeder Straße Kristin Thielemann „Gruppenunterricht? – Nein Danke!“ Lange Zeit fühlte sich unsere Autorin im Einzelunterricht am wohlsten. Doch dann? – Kristin Thielemann berichtet, wie es plötzlich dazu kam, dass in einem kleinen Dorf in der Schweiz alle Trompete lernen wollen. In der Gruppe, selbstverständlich … Neben meinem Hauptberuf als Trompeterin bei den Lübecker Philharmonikern brachte ich an der Lübecker Musikschule in Spitzenzeiten wöchentlich bis zu 15 Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen sechs und 16 Jahren Atmung, Ansatz, Haltung, Tonbildung und andere Raffinessen des Trompetespielens näher – im Einzelunterricht versteht sich natürlich! Anfänger 30 Minuten, Fortgeschrittene 45 Minuten wöchentlich. Regelmäßiges Ensemblespiel, kleinere Wettbewerbe und Schülervorspiele inbegriffen, fühlte ich mich auf der Höhe der Zeit – und die Erfolge meiner SchülerInnen schienen mir Recht zu geben. Gelegentlich wurde ich gefragt, ob nicht auch Gruppenunterricht möglich sei. Argumente dagegen waren schnell gefunden: Erstens hat man nicht genügend Zeit für den einzelnen Schüler. Zweitens wird sich zwangsläufig ein Kind langweilen, wenn am Ansatz des anderen gearbeitet werden muss. Drittens verlaufen die Fortschritte der SchülerInnen nicht immer gleich. Soll ich dann eine Schülerin 55 56 Perspektiven überfordern? Oder den anderen unterfordern? Aus meinem Studium war mir von vielen Diskussionen in den entsprechenden Vorlesungen noch der Tenor in Erinnerung geblieben: „Gruppenunterricht gleich Breitensport.“ Ich wehrte mich also erfolgreich dagegen, bis es mich durch Schwangerschaft und Heirat in die Schweiz verschlug. Nach einem Jahr Babygeschrei, Windeln wechseln und 24-StundenHaushalt kam eine Delegation der lokalen Musikgesellschaft auf mich zu und bat mich, einige leicht fortgeschrittene SchülerInnen zu übernehmen. Dankbar für diese Abwechslung machte ich mich mit Feuereifer an die Arbeit und kurze Zeit später gesellten sich zu den leicht fortgeschrittenen noch zehn AnfängerInnen. In einem Dorf mit 400 Einwohnern eine stattliche Anzahl. Doch mit so vielen Neuanmeldungen hatte ich überhaupt nicht gerechnet und für meinen kleinen Sohn nur eine Betreuung für einen Nachmittag organisiert. Die einzige Lösung: Gruppenunterricht! Ein Blick in meinen Notenschrank verriet mir: gute Unterrichtsliteratur für meine prekäre Situation – Fehlanzeige! Also half nur, selbst etwas zu produzieren, was Dreier- oder Vierer-Anfängergruppen fesseln würde. Nicht mal im Fachdidaktikunterricht der Musikhochschule hatten wir über Gruppenunterricht oder Bläserklasse gesprochen. Zwar war jeder Ansatzmuskel bis ins Detail erörtert worden, aber das half mir nun nicht viel weiter. Ich würde also am „lebendigen Objekt“ trainieren und entweder brillieren oder ohne Pauken, aber dafür mit vielen Trompeten untergehen. Meine erste Stunde mit vier neunjährigen Anfängerinnen verlief aufregend: Zwei Mädchen brachten auf Anhieb ein tiefes c hervor, das dritte Mädchen nach vielem Hin und Her irgendetwas zwischen g und c und das vierte Mädchen nur ein hohes c. Ich konnte meinen Plan, den ich mir für diese erste Stunde zurechtgelegt hatte, nicht annähernd durchziehen, aber irgendwie hatte ich das dumpfe Gefühl: Es hat allen vier Mädchen Spaß gemacht! Und mir erst recht! In den nächsten Wochen waren die Startschwierigkeiten schnell vergessen. Ich schrieb jede Woche mit meinem Notenprogramm eine Seite, die für die Gruppen zugeschnitten war, und hatte eine Menge Freude daran, mir lustige Reime auszudenken und diese zu vertonen. Dabei versuchte ich, Melodien zu erfinden, die die Musik plastischer wirken lassen sollten: War in meinem Reim zum Beispiel Max der kleine Tiger krank geworden, verlief die Melodie abwärts wie traurige Mundwin- kel bei den allseits bekannten Smileys. Max hatte Fieber bekommen und so stieg die Melodie analog der Fieberkurve. Erst als er vom Doktor Medizin bekommt und Max sicher ist, dass er morgen wieder Fußball spielen gehen kann, „hüpfen“ die Noten wieder und machen einen Terzsprung. Mit Begeisterung wurde nun in allen den AnfängerInnen bekannten Kompositionen nach versteckten Botschaften gefahndet und auch erste eigene Kompositionsversuche wurden unternommen, die gleich von den PartnerschülerInnen gespielt wurden. Die von mir aufgegebenen Hausaufgaben waren grundsätzlich mit einem anderen Gruppenmitglied gemeinsam zu erledigen. Beispielsweise die Erarbeitung eines kleinen Duetts oder die Komposition einer zweiten Stimme und die Aufführung des kompletten Stücks vor mir und den anderen SchülerInnen. [ Insgesamt fühle ich mich mit dem Gruppenunterricht und einigen wenigen sehr fortgeschrittenen SchülerInnen im Einzelunterricht viel wohler und habe auch das Gefühl, dass die Schüler dieses System zu schätzen wissen. ] Im Einzelunterricht hatte ich oft das Gefühl gehabt, Entertainerin oder „Motivator“ des Schülers sein zu müssen, im Gruppenunterricht motivierten sich die SchülerInnen gegenseitig. Während in meinem zurückliegenden Einzelunterricht in Lübeck schwächere SchülerInnen eine Zeit lang auf der Stelle traten und sich die von mir angestrebten Fortschritte einfach nicht einstellen wollten, hatte ich nun das Gefühl, dass die schwächeren SchülerInnen im „Motivationssog“ der anderen regelrecht mitgerissen wurden. Niemals musste ich einen Schüler auffordern, doch mal zuhause bitteschön etwas mehr zu üben. Ich ließ mir auf Wochenplänen von den SchülerInnen pro Tag einen Smiley malen, mit denen sie ihre ganz persönliche Übeleistung bewerten sollten. Zusätzlich schrieben die Kinder (freiwillig!) ihre Übezeit auf, die die Gruppe und ich in jedem Unterricht entsprechend bewunderten – oder ich sagte etwas wie: „Schade, diese Woche lachen mich ja bei dir gar nicht so viele Smileys an.“ Schon im November 2009, nach vier Monaten Gruppenunterricht, stellte ich verblüfft fest, dass alle AnfängerInnen weiter gekom- men waren als meine früheren SchülerInnen im Einzelunterricht nach derselben Zeit. Zu einem Adventsfest in der örtlichen Grundschule spielte ich mit zehn Kindern dreistimmige Weihnachtslieder, die sich durchaus hören lassen konnten und gleich noch mehr Kinder animierten, sich zum Trompetenunterricht anzumelden. Ich hatte mit dem Gruppenunterricht eine Welle ins Rollen gebracht, die sich nicht mehr stoppen ließ. Meine anfänglichen Bedenken, an Ansatzproblemen der einzelnen SchülerInnen nicht wie vom Einzelunterricht gewohnt arbeiten zu können, zerstreuten sich schnell. Wenn ein Schüler Hilfestellung benötigte, erklärte ich gleich der ganzen Gruppe, warum die Ansatzmuskulatur in dieser oder jener Weise am besten funktioniert. So haben alle SchülerInnen einen viel tieferen Einblick und kennen die Grundsätze der Ansatzbildung, auch wenn sie selbst keinerlei Probleme haben und man das Thema im Einzelunterricht wahrscheinlich weggelassen hätte. Atemübungen machten plötzlich viel mehr Spaß, wenn man sich gegenseitig dabei beobachten, kontrollieren und Hilfestellung geben konnte. Und amüsiert beobachtete ich während einer Unterrichtsstunde, wie eine Achtjährige ihre zehnjährige Unterrichtskollegin auf ihre schlechte Haltung hinwies. Einen weiteren großen Pluspunkt des Kleingruppenunterrichts bei Blechbläsern konnte ich ziemlich schnell feststellen: Hatten neue SchülerInnen im Einzelunterricht oft Mühe, eine halbe Stunde am Stück zu spielen, so ist dies mit mehreren Mitspielern kein Problem. Stelle ich fest, dass die Ansatzmuskulatur einer Schülerin müde wird oder die Konzentration nachlässt, kann sie einige Minuten pausieren und die anderen SchülerInnen mit dem Tamburin oder der Handtrommel begleiten. So muss ich als Lehrerin die Zeit nicht „verschenken“ oder mit lockeren Gesprächen überbrücken, bis sich Ansatz oder Konzentration erholt haben. In der Zwischenzeit hatte sich mein Sohn an die Betreuung durch die Tagesmutter gewöhnt. Das gab mir die Gelegenheit, meine musikalischen Aktivitäten auszuweiten: Neben dem wöchentlich stattfindenden Gruppenunterricht gab es nun noch eine weitere Stunde in der Woche, wo alle AnfängerInnen gemeinsam musizierten. Nachmittage mit Musikspielen, gemeinsames Instrumente putzen und eine „Schlafparty“, auf der „blechbläserpädagogisch“ wertvolle Spiele gespielt, Filme geschaut und – wer hätte es vermutet – überhaupt nicht geschlafen wurde, ließen Perspektiven üben&musizieren 2 11 meine AnfängerInnen, die Jungbläser-Eltern und mich zu einer verschworenen Gemeinschaft werden. Nicht nur vom musikalischen Standpunkt aus hat sich also mein Gruppenunterricht erfreulich entwickelt, auch finanziell ist gemeinsam mit der Jugendmusikschule Weinfelden und der Musikgesellschaft Hugelshofen ein flexibles System entstanden, welches es mir ermöglicht, die Gruppen auch innerhalb des Schuljahres beliebig zu verändern, und das trotzdem den Eltern Planungssicherheit über die zu zahlenden Unterrichtsgebühren gibt. Die Eltern buchen und bezahlen für ihr Kind jeweils 15 Minuten Unterricht pro Woche zum Preis von 420 Schweizer Franken pro Halbjahr (etwa 300 Euro) und ich nehme jeweils drei bis vier Kinder pro Gruppe zusammen, die dann 45 Minuten (Dreier-Gruppe) oder 60 Minuten (Vierer-Gruppe) Unterricht pro Woche erhalten. Wechseln SchülerInnen während eines Semesters die Gruppe, kann ich die Unterrichtszeit entsprechend anpassen. Das wöchentlich stattfindende Ensemble- spiel ist im Preis enthalten, ebenso die Mitgliedschaft in der Anfang 2010 entstandenen Jugendmusik „Young Brass“. Ein außerordentlich günstiges Angebot für Schweizer Verhältnisse, ohne dass Lohndumping betrieben werden muss. Insgesamt fühle ich mich mit dem Gruppenunterricht und einigen wenigen sehr fortgeschrittenen SchülerInnen im Einzelunterricht viel wohler und habe auch das Gefühl, dass die Schüler dieses System zu schätzen wissen. Meine Schweizer Musikschule begleitet den Kleingruppenunterricht mit viel Enthusiasmus und von KollegInnen anderer Musikschulen der Umgebung weiß ich, dass unser kleines Dorf mit den vielen TrompetenschülerInnen neugierig beobachtet wird. i www.trompetelernen.de Kristin Thielemann spielte als Trompeterin von 1999 bis 2010 in verschiedenen deutschen Profiorchestern. Inzwischen lebt sie in der Schweiz und unterrichtet Trompete und Kornett an den Jugendmusikschulen Weinfelden und Kreuzlingen sowie elementare Musikpädagogik an der Musikschule Hinterthurgau. 57