Sie kann und will nicht anders
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Sie kann und will nicht anders
32 Donnerstag, 15. Mai 2014 — Der kleine Finale O-Ton «Also, ich bin dafür. Nein, dagegen. Ist die Prostitution Teil des Koalitionsvertrags?» Die TV-Unterhalterin Barbara Schöneberger zur Frage des «Zeit-Magazins» nach ihrer Haltung in Sachen Prostitutionsverbot Wunderbar unverknorzt Der Schlagzeuger Jeff Hamilton lässt sein Trio mit drei Gästen um die Wette swingen. Tom Gsteiger Mit der Konzertreihe «Jazz at the Philharmonic» holte der Impresario Norman Granz seinerzeit die Jamsession aus dem Untergrund und brachte sie in grosse Säle. Dadurch wurde aus einer Insiderveranstaltung eine Show mit exhibitionistischen Zügen. Nun holt der Schlagzeuger Jeff Hamilton die Idee zurück ins intime ClubAmbiente: Für sein Gastspiel in Marian’s Jazzroom ergänzt er sein Trio mit drei Gästen, die er allesamt als Freunde bezeichnet. Unter ihnen ist sein Namensvetter Scott Hamilton (Tenorsax) nicht nur der bekannteste, sondern auch der inspirierteste: Seine zupackende Version des Evergreens «Cherokee» war der Höhepunkt des Auftaktkonzerts. Der Aufbau des Konzerts war dann simpel, aber auch logisch. Erst spielte das Trio zwei Nummern, wobei der Pianist Tamir Hendelmann ein Kabinettstück ans nächste reihte und der Bassist Christopher Luty seinen Job souverän erledigte. Dann kam der erste Gast hinzu: Der junge Gitarrist Graham Dechter empfahl sich als virtuoser Nachfolger Wes Montgomerys. Beim zweiten Gast handelte es sich um den Altsaxofonisten Jeff Clayton, der Melodramatik mit Jump-Blues-Fröhlichkeit kombinierte. Und den dritten Gast haben wir ja bereits vorgestellt. Bei der Auswahl der Stücke wagte man sich nicht auf die Äste hinaus, sondern setzte auf Standards und standardisierte Formen wie Blues oder «Rhythm Changes». Dafür durfte man sich an einem wunderbar unverknorzten Swing-Feeling ergötzen: Jeff Hamilton hat etwas von der Zackigkeit von Buddy Rich, orientiert sich aber stärker an der Drive-Souplesse Mel Lewis’. Fazit: Im Club-Ambiente reizt die Formel von «Jazz at the Philharmonic» weniger zu Kraftmeierei – und das kommt der Musik zugute. Handkehrum kann Hamiltons Trüppchen natürlich nicht mit den Star-Grossaufmärschen mithalten, mit denen Granz die Jazzwelt in Atem hielt. Weitere Konzerte bis Samstag, 17. Mai Sie kann und will nicht anders Kann man ein Feuerwerk in eine Schublade stecken? Francisca Silva explodiert in der Stadtgalerie Bern. Stephanie Rebonati geln aus karibischem Batikstoff bestickt sind. Auf T-Shirts, die an schweren Metallketten von der Decke hängen. Auf Kapuzenpullovern und Caps. Doch nicht nur Textilien, auch Karton und Holz sind in dieser Ausstellung präsent, in Form kubischer Figürchen gefertigt aus den Materialresten der Grossinstallationen. Auf weissen Sockeln ruhen sie, aufeinandergestapelt, verwinkelt, anmutig trotz ihrer klobigen Gestalt. Das Abbild dieser Skulpturen wiederum ist mit Acryl auf Leinwand gemalt – der Hintergrund eine bunte Würmchenkolonie. Die reduzierte, mit Filzstift Man kann so viel und gleichzeitig so wenig über die 30-jährige Tessiner Künstlerin Francisca Silva sagen. So viel, weil ihr Werk ein schrill-buntes, betörendes Konglomerat aus Skulpturen, Malereien, Zeichnungen, Textilien und Tätowierungen ist. So wenig, weil sie ungern über sich und ihre Arbeit spricht. Sie sagt: «Ich könnte sentimentalen Blödsinn erzählen, aber ich möchte meine Kunst nicht mit Wörtern töten.» Im Rahmen einer Gruppenausstellung ist Silvas Werk in der Stadtgalerie in Bern zu sehen. Francisca Silva ist ein toughes Mädchen, ein Macho, eine lesbische Frau. Die Tochter politischer Flüchtlinge aus Chile kam 1984 im Tessin zur Welt, ging in Italien zur Schule, studierte in Zürich Bildende Kunst und zog 2012 nach Berlin. Sie ist klein und rund, ein wandelndes Kunstwerk. An Armen und Beinen trägt sie Schmuck – so nennt sie ihre Tattoos. Die meisten zeichnet und sticht sie selbst. Ein Meer aus Wolken, eine Axt, ein Delfin, eine nackte Puppe. In zittrigen Lettern die Frage: «Are you going to break my heart?» «Ich will meine Kunst nicht mit Wörtern töten.» Francisca Silva gezeichnete Version dieser kleinen Holzbauten dient als neue Tattoo-Vorlage in Macho & Her Guns Plastikmäppchen. Ein Kreislauf. «Die Würmchen sind ein Witz», sagt Francisca Silva, ein herzliches Grinsen im schmalen Gesicht. Sie trinkt Kaffee, lässt kanadischen Elektropop laufen. Es ist früh am Morgen, in der Stadtgalerie wird die Ausstellung aufgebaut. Es fällt Silva schwer, sich zu erklären. Die Kunst, die passiere einfach, vielleicht sage sie nichts aus, sei bloss Lifestyle und Business. Mit Pistole und Tinte Francisca Silva tätowiert auch andere – an Performances und in Off-Spaces anderer Kunstschaffender, an Vernissagen und Lesungen von Berlin bis Lugano. Mit Pistole und Tinte heisst sie Macho & Her Gun. Macho heisst auch ihr One-Woman-Verlag, und Macho ziert als Schriftzug auch Francisca Silvas linken Oberschenkel. Es sind diese Kreisläufe, die ihr Verständnis als Künstlerin prägen; es ist ein dichtes, vielgesichtiges Werk. Macho und Tattoos, nur eine Facette, eine Phase, ein Drang: als blosses Wort, als Konzept, als Image. Genauso wichtig, aber imposanter sind ihre überschwänglich gestalteten, begehbaren Installationen aus Karton – 2012 erstmals öffentlich gezeigt im Helmhaus Zürich. Eine Höhle, aussen weiss gestrichen, innen eine farbig-eklektische Collage aus Selbstporträts, Zeichnungen, Scherenschnitten und Skulpturen in Vaginaform. Silva lud das Publikum in ihr Universum ein und stellte mit dem Titel klar, was das für eines sein wird: «This Is Not a Love Story». Obwohl ihre Kunst genau das ist: Ausdruck ihrer ambivalenten Liebesgeschichte mit der Torheit und Schönheit dieser Welt. 2013 baute sie im Kunstmuseum Baselland wieder – grösser, farbiger, der Titel kryptischer: «Makumba – Temple of YOLO». Damals in Basel, per Zufall, indem sie einen Pinsel reinigte, begann ein neuer Kreislauf in Form eines Motivs, der nun in Bern zu sehen ist. Trotz der Jugend, Ernst des Lebens Fakt ist: Sie kann nicht anders. Seit sie denken kann, malt und baut sie. Es ist ihr Versuch, die Welt zu verstehen. «Vielleicht bin ich eine 30-jährige Frau, die für immer 25 sein will, wenn nicht 20. YOLO Forever», sagt sie. Nicht selten nennt sie das, was sie macht, sowie sich selbst und die Welt überhaupt, einen Scherz, «one big joke mit viel Pathos». Es ist schwer zu eruieren, ob diese oft plakativ wirkenden Aussagen verspäteter Teenagertrotz oder ungekünstelte, brutal ernst gemeinte Wahrheiten sind. Wahrheiten über eine lesbische Künstlerin in einer hetero-normativen Gesellschaft, die nach einem Leben strebt, das ausschliesslich der Kunst gilt. Die weder für ihre Sexualität noch für ihre Liebäugelei mit dem Kommerz und dem brachialen Umgang mit Materialien Rechenschaft ablegen will. Die hinsteht und sagt: «Ich bin hier, und ich habe etwas zu sagen!» Sie sagt es mit einer farbig-frischen Explosion, die gleichzeitig an die Neunziger, an LSD, Lady Gaga und die radikal-unvoreingenommene Philosophie der Designgruppe Memphis denken lässt. Als Titel der Ausstellung dient der Name der Künstlerin. Francisca Silva. Authentischer gehts kaum. «Die Würmchen sind ein Witz» Es sind Würmchen. Kleine, gekrümmte Striche, Pinselstriche, mal mit Farbe, mal mit Spraydose, verursacht durch eine simple Bewegung des Handgelenks. In allen Farben, auf diversen Medien: auf grossen Leintüchern, die mit Trian- Diese Frau hat eine unbändige Affäre mit den Schön- und Torheiten der Welt: Francisca Silva. Foto: Isabella Krayer und Valentina Minnig Bis 31. Mai, www.stadtgalerie.ch. Heute, 18.30 Uhr: Francisca Silva im Gespräch mit der Kuratorin Anna Bürkli. Morgen, 16–19 Uhr: offene TattooPerformance mit Macho & Her Gun. Die Wahrheit über Paviane im Grossstadt-Dschungel Kürzlich differenzierte Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit im Rahmen der «Berner Reden» im Stadttheater Bern das Erfolgskonzept Berlins und fügte der «Arm, aber sexy»-Devise noch ein weiteres Element hinzu. Entscheidend sei nicht die finanzielle Lage, sondern die Haltung einer Stadt. «Hauptstadt muss man wollen», lautete Wowereits Slogan. Sein rhetorischer Sparringpartner, Berns Stadtpräsident A. T., nickte eifrig. Das habe ich kürzlich auch gedacht, als ich, auf Stippvisite im urbanen Berliner Grossstadtdschungel, einer hyperaktiven Paviansippe bei deren Treiben auf dem Affenfelsen zusah. Aber schön der Reihe nach. Ich befand mich in einem Zimmer im 7. Stock des «25 hour Hotel». Alle 149 Zimmer sind für Berlin-Besucher gedacht, die das transitorisch-kreative und ambulant-provisori- sche Lebensgefühl der deutschen Hauptstadt nicht nur auf Streifzügen entdecken, sondern auch in ihrer Unterkunft hautnah erleben wollen. Dazu gehört eine bewusst offene Decke, die Baustellencharme vermittelt, eine Hängematte am Fenster, ausgesuchte Objekte von Flohmärkten und ein in schwarz gehaltenes offenes Bad: Vintage fusioniert mit Hightech. Die eine Hälfte der Jungle-Zimmer am Tiergarten gibt den Blick frei auf Vogelvolieren sowie auf das Affen- und Elefantenhaus des Berliner Zoos. Und da wäre ich wieder beim eingangs erwähnten Pavianfelsen, wo in einem endlosen Reigen grosse und kleine Shakespeare-Dramen zur Aufführung gelangen. Als wir in diesen Mikrokosmos hinunterblickten, war der leicht übergewichtige Clanchef – vor dem wolkenverhangenen Berliner Nachmittagshimmel entwickelt sein rotes Hinterteil geradezu eine magnetische Leuchtkraft – händeringend damit beschäftigt, sich der fortgesetzten Respektlosigkeiten einer HalbstarkenClique zu erwehren. Willkommen im animalischen Grossstadtdschungel! Auf der Stadtseite des Hotels erwächst der Gedächtniskirche mit ihrer verstümmelten Turmspitze Konkurrenz als optischer Anziehungspunkt. Seit zwei Monaten ist nämlich das legendäre Bikinihaus nach umfangreichen Sanierungen wieder eröffnet. In den 50er-Jahren war es das «Schaufenster des Westens» in der Frontstadt. Jetzt soll hier nach Jahren des Niedergangs der Wiederaufstieg des «Zentrums am Zoo» eingeläutet werden. Konsumterrain will zurückerobert werden, das nach der Wende 1989 an Berlin-Mitte verloren wurde – wo Gründerzeitgebäude prächtig restauriert und spektakuläre Neubauten realisiert wurden. Der Westen soll wieder leuchten. Woher überhaupt der Name Bikini stammt? Nun, die untere Ladenreihe samt Kolonnade und die oberen Bürogeschosse wurden einst von einem durchgängigen offenen Laubengang getrennt. Alles klar? In dieser laut Betreibern ersten «Concept Mall» Deutschlands, wo 58 Geschäfte vom Designerbrillen- bis zum Porzellanladen vertreten sind, wird demnächst auch ein «veganes Modelabel» mit Kleidung aus exklusiven Pflanzenfasern wie denen des Eukalyptusbaums um Kundschaft buhlen. Was die einen Steinwurf entfernten Paviane davon halten, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Sie setzen doch wohl eher auf fleischige Nahrung. Die erste Fütterung ist um 7.30 Uhr morgens anberaumt und macht – offenes Fenster vorausgesetzt – garantiert jeden Wecker überflüssig. Dieses gierige Lechzen, dieses bettelnde Stöhnen und chorische Jaulen war – zumindest bei der Premiere – ein akustisches Metropolenerlebnis. Im Sommer wird möglicherweise noch eine olfaktorische Komponente hinzukommen. In der urbanen Berliner Sommerhitze wird dann zuweilen eine Geruchswolke aus Schweiss, Ausdünstungen und Futterresten aufsteigen und das Riechorgan – natürlich nur bei offenem Fenster – mit einer authentisch-kreativen Berliner Duftmarke umschmeicheln. Oder wie sagte doch Herr Wowereit bei der Eröffnung: «Das Bikinihaus ist eine echte Attraktion für die City.» Wie gesagt, Hauptstadt muss man eben wollen. Alexander Sury