Lese-Auszug 07-11-01
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Lese-Auszug 07-11-01
Sven Ramos-Bulik Irgendjemand lacht in mir Aus dem Schizophrenen übersetzt von Susan Schmidt Mensch & Buch Verlag Berlin - 2007 Coverbild: SOUND OF ART – RAY OF LIGHT, Inspired by Madonna www.sound-of-art.com Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN 3-86664-187-7 / 978-3-86664-187-7 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdruckes und der Vervielfältigung des Buches, oder Teilen daraus, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. This document is protected by copyright. No part of this document may be reproduced in any form by any means without prior written authorization of Mensch & Buch Verlag. Mensch & Buch Verlag 2007 No rd e nds tr. 75 - 1 3 1 56 B e rl in – 0 3 0 -4 5 4 94 8 6 6 [email protected] – www.menschundbuch.de 2 Über die Co-Autorin Susan Schmidt, Jahrgang 1961, Dr. phil., Psychologin, in Toronto, Kanada, geboren, verbrachte bereits ihre frühe Jugend in Deutschland. Nach der Ausbildung zur Industriekauffrau folgten eine langjährige Berufstätigkeit in der Industrie und ein berufsbegleitendes betriebswirtschaftliches Studium. In den frühen Neunzigern studierte sie Soziale Verhaltenswissenschaften, Statistik und Datenanalyse sowie Rechtwissenschaft. Es folgte die Promotion in Angewandter Psychologie. Seitdem engagiert sie sich im Bereich der beruflichen Rehabilitation seelisch behinderter Menschen. 3 4 Ich halte mich für einen Phantasten - das macht mich zum Realisten. Sven Ramos-Bulik 5 6 Inhaltsverzeichnis S. 7 TEIL I – Einführung Vorwort zur 1. und zur 2. Auflage – Wie es zu diesem Buch kam Stellungnahme des Ärztlichen Prüfdienstes aus dem Jahre 2001 Ramos Tagebuch - Auszug - Leipzig im Jahr 1995 S. 9 S. 12 S. 13 TEIL II – Abwärts Kapitel 1 Kapitel 2 Kapitel 3 Kapitel 4 Kapitel 5 Kapitel 6 Kapitel 7 Kapitel 8 Kapitel 9 Kapitel 10 Kapitel 11 Kapitel 12 Kapitel 13 Kapitel 14 Kapitel 15 Kapitel 16 Kapitel 17 Kapitel 18 Das Anliegen Vorher Der Einstieg Das Unheil nimmt seinen Lauf Das Licht kommt Jede Serie, nur für mich Meine Margarita Ein Abenteuer Angst ist die Eintrittskarte Nichts ist größer als die persönliche Freiheit Ohne Margarita bin ich nur ein Stück Dreck Hätte Adam nur auf seine innere Stimme gehört Als Patient und nicht als Mensch Mal angenommen, man hat Langeweile Der Tod ist vermeidbar Problemlösestrategien Ein Licht im Dunkeln Ein Tag vor dem 21.01.1997 S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. 15 16 17 18 21 23 24 26 29 31 35 54 58 60 65 66 70 72 S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. 74 75 76 77 81 83 85 87 89 92 94 96 100 TEIL III – Aufwärts Kapitel 19 Kapitel 20 Kapitel 21 Kapitel 22 Kapitel 23 Kapitel 24 Kapitel 25 Kapitel 26 Kapitel 27 Kapitel 28 Kapitel 29 Kapitel 30 Kapitel 31 Die Fahrt zur Therapie Die richtige Partnerin für mich Mein erster Tag im Schloss Gedankensalat Zahnziehen – Spritze oder nicht? Margarita ist der Teufel Von Frau zu Mann Zigarette oder keine Zigarette Vertrauen Irgendjemand lacht in mir Irgendetwas will raus Zeichen Nach vorne denken 7 Kapitel 32 Kapitel 33 Kapitel 34 Kapitel 35 Kapitel 36 Kapitel 37 Kapitel 38 Zeichen meiner eigenen Unentschlossenheit Märchenwesen oder Mensch? Ich meine damit nur meine Unsterblichkeit Mein gespaltenes Verhältnis zu Frauen Ein erneuter Schub Beziehungskisten Schizophrenie, lass´ mich los S. 102 S. 104 S. 107 S. 109 S. 111 S. 114 S. 116 TEIL IV – Leben eben Kapitel 39 Kapitel 40 Kapitel 41 Kapitel 42 Kapitel 43 Kapitel 44 Ramos Tagebuch – Auszug - Lübeck im Jahr 1998 Ramos Tagebuch – Auszug - Leipzig im Jahr 2001 Berufliche Rehabilitation – BTZ im Juli 2003 Nicht ohne mich selbst Ein Rückfall nach vorn Einsichten S. 120 S. 121 S. 123 S. 125 S. 127 S. 130 Anhang Adressen der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG BTZ) 8 S. 133 TEIL I – Einführung Vorwort zur 1. und zur 2. Auflage – Wie es zu diesem Buch kam DIE erste Gelegenheit, Ramos wirklich intensiv wahrzunehmen, bot sich mir, als er schon fast 3 Monate bei uns im Beruflichen Trainingszentrum (BTZ) Plauen1 arbeitete. Zu dieser Zeit war ich stellvertretende Leiterin des BTZ Plauen. Als die Tür aufging und zusammen mit unserer Leiterin ein lauthalsiges Getöse in mein Büro drang, war klar, dass eine Krisenintervention anstand. Ramos lamentierte in der Küche, die sich schräg über den Gang befand. Der vorgelagerte Kiosk war geöffnet und der Schall konnte ungehindert und zur allgemeinen Kenntnisnahme in die Flure gelangen, so dass nicht nur die Teilnehmer im Küchenbereich dem lautstarken Redefluss ausgesetzt waren. Ich holte ihn sofort zu einem Gespräch. Es musste ein gewisses Maß an Ruhe und Übersicht in dem Arbeitsbereich wieder hergestellt werden, dem ohnehin ein gewisses Chaos immanent ist und der den Teilnehmern die Flexibilität und Belastbarkeit abverlangt, die für den Großküchen- und Kantinenbereich nun ein mal kennzeichnend sind. Ramos war einer der BTZ Teilnehmer, die lediglich für 3 Monate im BTZ arbeiten sollten, um festzustellen, ob überhaupt eine „Rehabilitationseignung“ für einen weiteren Verbleib im BTZ vorlag. Die Erstellung des Verlaufsberichts2 stand demnächst an und alle Zeichen standen auf Beendigung. Aus unserer Sicht fehlte Ramos ein triftiger Grund mit uns zusammen zu arbeiten. Sich Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen, war für ihn nicht notwendigerweise mit Arbeit gekoppelt. Ramos Störung machte ihm zu schaffen. Er hatte nämlich sehr wohl Wünsche und Bedürfnisse. Ihm war nur nicht klar, welche das waren und schon gar nicht, wie sie zu befriedigen waren. Erst recht nicht, was sie mit Arbeit zu tun haben könnten. Es fehlte ihm der Blick für das große Ganze. Diesen persönlichen Zusammenhang mit ihm zu erarbeiten, war also eine wichtige Aufgabe für uns. Ramos hatte im Laufe des Beruflichen Trainings einiges an Ressourcen gezeigt. Im zwischenmenschlichen Miteinander zeigte er zum Beispiel große Empathiefähigkeit, Humor und – Charme. Er hatte aber auch eine Schwäche, die seine Behinderung begründete: Er stand nie allein da. Margarita war immer bei ihm. Ramos Diagnose: Paranoide Schizophrenie.3 Das war nicht immer von Belang; allerdings sehr wohl dann, wenn er keinerlei Rückzugsmöglichkeiten oder Ruhephasen erhielt und die Menge von auf ihn einströmenden Informationen nicht mehr abzupuffern war. Dies war im Küchenbereich in letzter Zeit häufiger der Fall. Das wussten wir. Und das wollten wir. Um auszutesten, wie viel Belastung, Chaos, Unstrukturiertheit, schlicht: Information 1 Berufliche Trainingszentren (BTZ) sind Spezialeinrichtungen der beruflichen Rehabilitation für seelisch behinderte Menschen, die sich bundesweit in der Bundesarbeitsgemeinschaft Beruflicher Trainingszentren (BAG BTZ) zusammengeschlossen haben. Sie haben das Ziel, den (Wieder-) Einstieg in das Berufsleben (in bis zu 12 Monaten) zu erreichen. Eine Aufstellung aller BTZ bundesweit befindet sich am Schluss dieses Bandes. Internet: www.bag-btz.de 2 Alle Vierteljahre wird ein Verlaufsbericht erstellt, der alle relevanten Zielformulierungen, deren Stand der Erreichung und Bearbeitung sowie die weitere Vorgehensweise enthält. Dazu gehört auch ggf. die Empfehlung zur Unterbrechung oder zum Abbruch der Rehabilitationsleistung. 3 Ramos ständige Begleiterin ist Margarita. Ihre Stimme ist es und ihr Gedankengut, mit dem er sich täglich auseinandersetzt. 9 er aufnehmen und verarbeiten konnte. Es ging darum, seine Belastbarkeitsgrenze zu finden - und zu steigern. So ein Prozess ist nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen. Er ist vergleichbar mit dem Krafttraining, bei dem der Kräftezuwachs, als Muskelzuwachs sichtbar, nur unter schmerzlicher Steigerung der Gewichte möglich ist. Auch der seelische Kräftezuwachs ist ebenso anstrengend wie schmerzlich. Beim Krafttraining erfolgen die Steigerungen grundsätzlich in kleinen Gewichtseinheiten. Auch die seelische Kräftigung verträgt lediglich kleine Dosen. Es ging darum etwas zu finden, das die ganze Kraftanstrengung und die Schmerzen, die im Zuge der ständigen Auseinandersetzungen mit Margarita täglich auszustehen waren, erträglich machte. Etwas, das das ewige Durcheinander, den „Salat“ in seinem Kopf, seinen Verfolgungswahn, die Zeichen, die er immer wieder zu deuten für notwendig erachtete, rechtfertigte. Die Sache musste etwas Wert sein. Hierfür waren in den nächsten Wochen viele Gespräche notwendig. Denn zu dieser Zeit war Ramos Konzentrationsfähigkeit aufgrund des schizophrenie-immanenten Chaos in seinem Kopf äußerst schlecht. Er benötigte viele Wiederholungen um Zusammenhänge zu behalten, auch denen zwischen Wünsche haben und Wünsche erfüllen. Aber es fehlte uns noch immer der grundlegende Zusammenhang: Welcher Wunsch sollte es sein? Was wollte Ramos? Bald nach dem Vorfall in der Küche sprach ich mit Ramos über seine Herkunft, über seinen Vater. Die Tatsache, dass er seine ersten Lebensjahre auf einem anderen Kontinent verbrachte und diesen dann mit seiner Mutter verlies, brachte eine unbändige, tiefe und vergrabene Sehnsucht mit sich, seinen Vater wieder zu sehen. Nunmehr stellte sich hier eine grundlegende Hürde. Man brauchte dafür Geld. Geld, das man verdienen musste. Und wenn man es hatte, war es immer noch eine unerfüllte Sehnsucht. Denn in Ramos Fall musste der Vater erst gefunden werden. Wenn wir hier also in erster Linie einen Wunschtraum hatten, so war es doch ein Anfang. Wir empfahlen Ramos Verlängerung im BTZ auf die volle Laufzeit. Seine Herkunft ließ ihn nicht los. Und in diese Zeit fiel ein Wettbewerb unserer Bundesarbeitsgemeinschaft, d.h. der Bundesarbeitsgemeinschaft der Beruflichen Trainingszentren (BAG BTZ), die den BTZ bundesweit ein gemeinsames Auftreten erlaubt und die Arbeit der einzelnen BTZ mit wichtigen Impulsen bereichert. Wir hatten im Rahmen der BAG beschlossen, Kurzbiographien von Teilnehmern der Beruflichen Trainingszentren selbst verfasst, in einem Band zu veröffentlichen.4 Ramos legte mir 500 handgeschriebene Seiten vor. Nun hatten wir einen Wunsch, und ein grundlegendes Bedürfnis. Es war die Sehnsucht, das Bedürfnis nach Anerkennung und Sinnhaftigkeit. Der Biographien-Band wurde veröffentlicht. Ramos hatte (wie alle anderen am Sammelband Beteiligten) eine Kurzversion entworfen. Leben eben – Wege in die Arbeit 5 erfreute sich eines regen Interesses. Die 500 Seiten nahm ich mir zusammen mit Ramos vor. Und so ist es zu dieser Geschichte gekommen. Einer Geschichte des Werdens und des Seins mit der Schizophrenie. 4 Anlässlich des „Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen“ 2003. Zu beziehen über DIMETRIA gGmbH, Rennbahnstr. 48, 94315 Straubing, Internet: www.dimetria.de, Email: [email protected]. 5 10 Ramos lebt (wieder) in Leipzig. Er engagiert sich unter anderem in der Prävention und Aufklärung in Zusammenarbeit mit Irrsinnig Menschlich e.V., Verein für Öffentlichkeitsarbeit in der Psychiatrie sowie im Verein Durchblick e.V..6 Mit dem Projekt Verrückt? Na und! stehen Prävention und Förderung für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund. Und wie wichtig diese sind, stellt u.a. die Europäische WHO-Konferenz zur Psychischen Gesundheit in Helsinki 2005 fest: „In Gesundheitskreisen herrscht international Besorgnis über den psychischen Gesundheitszustand der Jugend (...) Das ist eine tickende Bombe und wenn wir jetzt nicht richtig handeln, werden Millionen von Heranwachsenden die Wirkung spüren.“7 Bisher haben rund 2000 Schüler teilgenommen. Hier arbeitet (auch) Ramos mit der Altersgruppe ab Klasse 9. Es ist normal verschieden zu sein! Ramos hat es geschafft, seinen Weg, der ihm lange Zeit als Irrweg erschien, mit einem Ziel zu versehen. Dem Ziel, zu einem verständnisvollen Zugang zur Schizophrenie beizutragen. Aufklärer und Hoffnungsträger sein. Recovery, Erholung von den Strapazen der Schizophrenie, ist möglich. Durchhalten lohnt sich. Das Skript hat von mir viele Überarbeitungen und vor allem Kürzungen erfahren. Um die Authentizität des Textes zu erhalten, ist auf ein durchgängiges Lektorat bewusst verzichtet worden. Das Schwierigste war, so viel Ursprüngliches wie möglich zu erhalten. Denn Ramos verfasste diese Seiten zu einem großen Teil während der Hochphasen seiner Erkrankung. Einer Erkrankung, die eine gewisse Unverdaulichkeit der Gedanken für den Leser mit sich bringt. Eine „Übersetzung aus dem Schizophrenen“ war unabdingbar. Es galt damit diese Unverdaulichkeit abzuschwächen, ohne den grundlegenden Einblick in die ganz persönliche Gedankenwelt von Ramos zu verfälschen, einen Einblick in die Denkweise seiner drogeninduzierten Psychose zu erlauben, die Welt seiner paranoiden Schizophrenie für uns Normalos zu öffnen. Eine Welt, in die wir Gesunde nur schwer folgen können. Es würde mich freuen, wenn die nachfolgenden Zeilen dem einen oder anderen dazu verhelfen. Dr. Susan Schmidt Nunmehr im Oktober 2007 6 Nähere Informationen zu den Vereinen sind über Internet: www.irrsinnig-menschlich.de, E-mail: [email protected] und Internet: www.durchblick-ev.de, E-mail: [email protected] abrufbar. 7 Dr. Hans Troedsson, ehemaliger Direktor der WHO-Abteilung Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, Europäische Ministerielle WHO-Konferenz zur Psychischen Gesundheit, Helsinki, 2005. 11 Stellungnahme des Ärztlichen Prüfdienstes der Landesversicherungsanstalt /LVA aus dem Jahre 2001 Versicherter: Sven Ramos-Bulik Allgemeine Sozialanamnese: Herr R. wurde am 17.10.1971 als einziges Kind seiner Eltern in Kuba geboren. Der Vater sei Kubaner und als Sportfunktionär tätig gewesen. Die Trennung der Eltern sei ca. 6 Jahre nach seiner Geburt erfolgt und seine Mutter sei mit ihm nach Deutschland zurückgekehrt. Er habe kaum Erinnerungen an seinen Vater. Die Beziehung zu seiner Mutter habe er ambivalent erlebt, einerseits habe er sie als liebevoll und überfürsorglich wahrgenommen, während sie andererseits jedoch auch bedürftig und depressiv gewesen sei. Häufig habe er sie als hilflos wahrgenommen und sich selbst als ihr Ersatzpartner gefühlt. Arbeits- und Berufsanamnese: 1987 habe er den Realschulabschluss erworben, im Anschluss eine Ausbildung zum Instandhaltungsmechaniker begonnen und diese regulär abgeschlossen. 1990 sei er in einem Metallgusswerk tätig gewesen und habe anschließend eine Anstellung als Kellner in Bayern angenommen. 1992 bis 1993 habe er seinen Wehrdienst abgeleistet. Seit Anfang 1994 sei er arbeitslos. 12 Ramos Tagebuch - Auszug8 - Leipzig im Jahr 1995 ICH glaube, am 23. Juli 1995 habe ich einen Herzinfarkt erlitten. Ich glaube, dies war der Auslöser für das, was in meinem Leben danach geschah. Vielleicht habe ich eine Erleuchtung gehabt. Vielleicht hinterfrage ich besser nicht. Vielleicht war es meine Erlösung. 25. November 1995 (ungefähr) Ich bin mit Mühe aufgestanden. Ich bin leicht depressiv, weil heute Sonntag ist. Ich möchte gerne reden, aber es ist niemand da. Erst Duschen, dann Langeweile, dann wieder Duschen, Yoga. Radfahrt. Und dann wieder Langeweile. Scheiß Gedanken. Und Langeweile. Ich fange an zu weinen. Endlich. Der Druck ist weg. Meine Mutter kommt nach Hause. Endlich ein Gespräch. Ich möchte das Leben genießen, egal was kommt. Kunst, Liebe, Sport, Partnerschaft (Frau). Keine Geldgier, kein Neid, keine Habsucht, keine Trägheit – keine Gier. Gott in allen Dingen sehen. Keine Streitsucht. Ewige Jugend vielleicht? Der heilige Gral ist im Geist. Unsterblichkeit? 27. November 1995 Na ja, erst mal bewegen. Mir kommen doch wieder die Tränen. Das macht nichts. Ich lege mir meine Pläne zurecht. Ich habe wenig Erfolg damit. Das macht nichts. Der Druck im Kopf lässt weiter nach. Es folgen weitere Gespräche mit meiner geliebten Mutter. Ich nenne sie Mum. Ich kann schon wieder lachen. Das Fernsehprogramm macht mir aber noch Angst. 28. November 1995 Ich bin ziemlich gut drauf nach dem Aufstehen. Mir macht der Tag ungeheuer viel Spaß. Trotzdem fällt mir die Decke auf den Kopf. Ich versuche, diszipliniert zu sein. Meiner geliebten Mutter versuche ich mit soviel Höflichkeit wie möglich zu begegnen. Ich habe lange keinen mehr gesehen. Seit Tagen. Mein ständig anwachsendes positives Gefühl treibt mir regelrecht die Tränen in die Augen. Ich werde wohl wieder keinen 8 Auch die „Auszüge“ aus Ramos Tagebuch sind überarbeitet. 13 Schlaf finden. Ich kann sogar wieder Musik hören, ohne Gänsehaut zu bekommen. Vor Grauen. Fast wie im Himmel. Es ist wie im Himmel. Ich fühle mich wie auf Pille. Ich habe mich lange nicht mit meiner Mutter so gut verstanden. 30. November 1995 Nach dem Aufstehen treibe ich etwas Sport. Ich habe Fasching getroffen. Wir haben uns gut unterhalten. Ich bin trotzdem ziemlich ratlos. 11. Dezember 1995 Der Besuch bei der Psychotherapeutin ist sehr lustig, aber auch anstrengend. Ich bin nervös. Ich brauche Geduld. Ansonsten kommt alles von alleine wieder ins Lot. Ich fühle mich einsam, aber auch die Einsamkeit kann meinen Lebenswillen nicht kaputt machen. Eher im Gegenteil. Ich muss von meiner Mutter loskommen. Das schaffe ich nur, wenn ich ihr zeige, dass ich sie nicht mehr brauche. Dabei durchdrehen hilft nichts, selbst wenn meine Mutter mir andauernd Dinge sagt, die ich selbst schon weiß. Merkt sie nicht, dass sie mir so am meisten weh tut? 14 TEIL II - Abwärts Kapitel 1 Das Anliegen HALLO, mein Name ist Sven Ramos-Bulik, aber fast alle nennen mich Ramos, weil Sven einfach nicht so recht zu mir passen will. Und ehrlich gesagt, gefällt mir Ramos auch besser. Ich habe lange überlegt, wie ich meine vielen Aufzeichnungen zusammenstelle. Und nach nächtelangen Sitzungen und Nachtschichten und beinahe unendlichen Gesprächen mit Leuten, von denen ich glaube, dass sie wirklich Interesse haben, bin ich zu dem Schluss gekommen, sie mit Susan Schmidt umzuschreiben. Da mir öfter gesagt wurde, dass die unüberarbeiteten Aufzeichnungen nicht wirklich lesbar sind. Es sind viele einzelne Episoden zusammengefügt. Wir haben zu meiner Urgeschichte, meinem Tagebuch, und meinen Anmerkungen zum Thema Leben, Tod, Unsterblichkeit, Übersinnlichem, weißen Lichtern und ähnlichem nur einen Rahmen genutzt: Den Zeitablauf. Es folgt die Vorgeschichte, der Beginn meiner Krankheit, der Verlauf, meine damaligen und heutigen Gedanken, aber auch Fragen, auf deren Antworten ich vielleicht ewig warten werde. Bei dieser Gelegenheit möchte ich ein Dankeschön an alle richten, die mir auf meinem Weg begegnet sind und mir dabei geholfen haben, diesen Weg mit einem Ziel zu versehen. Dem Ziel, anderen Schizophrenie-Erkrankten ein Stück Hoffnung zu geben. Andere drogengefährdete oder drogenkranke Jugendliche ein Stück weit wach zu rütteln. …Meine Krankheit begann vielleicht schon in meiner Jugend, aber ernsthaft wahrgenommen habe ich sie erst 1995. Auf meinem Hochbett in Grünau, in Leipzig. Spätestens zu dieser Zeit wurde meine Krankheit ein Problem. 15 Kapitel 2 Vorher ICH bewohne im Dezember 1989, einer Zeit großer Veränderungen, eine Wohnung einfach schwarz. Ich beobachte in dieser Wendezeit einige Mitmenschen, unter anderem auch einen Freund. Ich nenne ihn Heiko. Heiko und einige andere ziehen illegal in leer stehende Wohnungen ein. Es herrscht so etwas wie Anarchie und ich denke mir: „Was die können, kann ich schon lange“. Einige Zeit des Suchens vergeht. Ich bin nur nachts unterwegs. Ich spaziere und schaue, ob Licht in den Wohnungen brennt. Eines Abends habe ich etwas entdeckt. Bewaffnet mit einer Bohrmaschine, marschiere ich am nächsten Tag zielstrebig auf das Haus zu, und nach wenigen Handgriffen habe ich eine Wohnung. Es geht nicht alles glatt und so fliege ich aus meiner „Schwarzwohnung“ raus, um kurz danach in einer anderen zu landen. Nach weiteren Versuchen lande ich eines Tages, meine Mutter ist dabei, im 3. Stock eines Fünf-Geschosshauses, Am kleinen Feld 36. Meinem Onkel und seinem Durchsetzungsvermögen sei Dank, bekomme ich 1989 meinen Mietvertrag per Post. Man bedenke, dass ich zu dieser Zeit 1.500,- Mark verdiene, bei einer Miete von 49,- Mark macht das einen ganz guten Schnitt. Geboren bin ich in Havanna auf Cuba. Mehrere Umzüge durch die Trennung meiner Eltern machen es mir nicht leicht, freundschaftliche Beziehungen aufzubauen. Mit 6 Jahren komme ich mit meiner Mutter nach Leipzig. Ich gehe eine Weile zum Judo, um mich gegen gelegentliche Übergriffe meiner Mitschüler wehren zu können. Dadurch bin ich sehr sportlich. Meine längste Zeit in einer Schule ist in Grünau in Leipzig. In Grünau gehe ich auf die 93. POS Adam Kuroff, von der 6. bis zur 10. Klasse, was mir einen schmeichelhaften Realschulabschluss verschafft. Einige Zeit vergeht und ich bin in der Lehre als (DDR-deutsch:) Instandhaltungsmechaniker, auf Deutsch: Reparaturschlosser. Dort blühe ich nach einer recht mühevollen Realschule auf und schaffe so meine doch einigermaßen schlechten schulischen Leistungen mit praktischer Tätigkeit wett zu machen. Meine Ausbildung geht von 1987 bis 1989, genau auf die Wende zu. Ab der Wende verändert sich dann unsagbar viel in meinem Leben. 16 Kapitel 3 Der Einstieg ES ist April 1993 und ich komme gerade vom Bund. Nach all den vergangenen Strapazen verspüre ich in mir die Lust, eine kleine Auszeit zu nehmen. Das tue ich, indem ich mich arbeitslos melde. Jetzt will ich den kommenden Sommer genießen. Gute Idee, denk ich mir und baue mir erst ein mal eine Tüte. Es gibt nämlich etwas Neues in meinem Leben: Einen neuen Freundeskreis. Und dieser Freundeskreis, den ich mir aussuche, handelt mit und konsumiert selbst Drogen. Am Anfang fahre ich neben den normalen Alkoholeskapaden auf Cannabis ab. So oft und soviel wie nur geht. Ich habe ja Zeit und Dank Bundeswehrabfindung noch etwas Geld. Ich sitze in der Weißen Mühle, einer Gaststätte und Treffpunkt in Grünau. Wir sind sieben und es geht gerade die gebaute Tüte herum. Alles ist auf einmal easy. Keinerlei Probleme. Das Einzige was zählt, ist breit sein. Jeden Tag schön gemeinsam mit den Leuten abhängen. Das alles erscheint mir zurzeit echt cool. In der Weißen Mühle werden meist die Pläne für gemeinsame Unternehmungen gemacht. Es wird sich getroffen und getan, was man will. Vielleicht auch ein klein wenig Outlaw. Gefällt mir. Mal was Neues. Nach anfänglicher Unlust, diese ganze Meute mit zu mir nach Hause zu nehmen (ich fühle mich schnell ausgenutzt), gewöhne ich mich daran, da es oft sehr lustig ist. Und aufregend. Ich bin auch einer der wenigen, die eine eigene Wohnung haben. Viel Alkohol ergänzt die Situation. Mein Leben macht mir Spaß. Obwohl das Verhältnis zu den meisten oberflächlich ist, lerne ich doch ein paar näher kennen. Einer heißt Simon. Simon ist wie fast alle ein echt verrückter Hund. Wir treffen uns jeden Tag, bauen uns Tüten aus allem was da ist, Zeitungspapier, Klebestreifen, eben alles. Alles echt aufregend. Mein ganzes Geld geht dabei drauf, aber egal. Schön ist es. Ich bin inzwischen 21 und ich fühle mich großartig. Alleine schon unsere täglichen gemeinsamen Jagden nach unseren Suchtmitteln sind aufregend. Es geht dann immer mit Simons Auto los, und er hat öfter mal ein Neues, zum Einkaufszentrum in die Innenstadt, dem Umsatzpoint der Haschisch- und Drogendealer. Also fahren wir durch die Gegend, rauchen uns breit und freuen uns des Lebens. Meine Wohnung wird durch kleine Raubzüge immer gemütlicher. Teilweise macht es mir immer noch Schwierigkeiten, wenn viele Menschen gleichzeitig in meine Wohnung kommen oder sich bei mir einfach nur treffen wollen. Aber ich entspanne mich nach und nach. Nachdem ich das erste Mal breit werde. Beim ersten Mal geht es vom Treffpunkt Weiße Mühle zu mir, fünf oder sechs Leute. Ich habe ein schlechtes Gefühl, aber es ist zu spät. Wir kommen rein und jeder sucht sich einen Platz. Dann: Mischung und die erste Lampe geht rum. Jetzt bin ich dran. Die ersten Minuten passiert gar nichts. Ich bemerke nur, wie ich ruhig werde. Mit einem Satz schnelle ich dann plötzlich hoch: „Jetzt muss ich mal was sagen“. Aber was nur? Einer meint: „Jetzt geht Ramos ab“. Mir ist es sehr unangenehm, weil ich den Faden verliere. Andere fangen an zu lachen. Dann kommt die Wirkung gut. Ich denke: „ Es ist genau das, was ich suche.“ Wir finden uns alle großartig. 17 Kapitel 4 Das Unheil nimmt seinen Lauf JANUAR 1994. Ich liege auf meinem riesigen Hochbett, natürlich breit, und schaue Fernsehen. Es klingelt und ich gehe runter vom Bett zur Tür und sehe Simon im Eingang stehen. In seiner Hand ein Stück, das er mir entzückt ins Gesicht hält. Ab jetzt läuft nur noch Routine. Mischung und nach gerauchter Blubber lehnen wir uns unter meinem Hochbett auf die Sitzkissen zurück und sind erst mal zufrieden. Ich bin etwas nachdenklich, da ich am nächsten Morgen zu meiner Umschulung muss. Was mich leicht in Panik versetzt, mich unruhig macht. „Muss ich denn gleich am ersten Tag zur Schule Simon?“ frage ich Simon. „Nein“, meint er. Also Mischung und weiter geht es. Natürlich höre ich auf seinen Rat und gehe nicht. Soviel kann ich schon vorweg nehmen: Ich gehe nicht einen Tag zur Umschulung. Das allerschärfste ist, dass einen Monat später Geld auf meinem Konto ist. Umschulungsgeld. Das ganze ist mysteriös. Mir scheint, ich bekomme immer dann Geld auf das Konto, wenn ich am Abend zuvor in einem Buch lese. Einem bestimmten Buch. Das Buch trägt den Namen: „Mormon, ein weiterer Zeuge für Jesus Christus“. „Gute Geldquelle“, denke ich mir. Das Unheil nimmt seinen Lauf, denn nebenbei ist zu mir als Partyhippy eine spirituelle Komponente dazugekommen. Es erscheint mir, als verdüstere sich alles. Alles wird etwas unheimlich. Einige von meinen Partyfreunden fangen an, sich Fragen zu stellen. Nach dem Sinn des Lebens, dem Leben nach dem Tod, solche Dinge eben. Bewusstseinsfragen. Ich natürlich auch. Ich meditiere nächtelang und fühle mich danach jedes Mal entspannter. Ich fange an mit LSD und Cannabis zu experimentieren. Kaufe mir Bücher, die ich verschlinge. Bücher über Jesus, Nostradamus, andere Bewusstseinsebenen. Der große Spaß weicht aber langsam und es wird zunehmend ernster. Ich überwinde Hemmschwellen im Kopf und baue weitere ab. Es tauchen Bücher auf wie „Cosmic Trigger“ (Kosmischer Auslöser). Es dauert Wochen. In meinem Gehirn entstehen neue Denkmuster. Philosophieren macht mir Spaß. Ich fühle mich als Teil in etwas Großem. Das restliche Leben schleicht eher beiläufig dahin. Ich fühle mich sehr intellektuell. Mein Freiheitsgefühl steigt ins unermessliche. Hurra, ich bin kein Schichtbrot. Ich vergeude meine wertvolle Zeit nicht mit stupidem täglichem auf Arbeit-Gehen. So empfinde ich das Leben. Im Laufe der Zeit breche ich sämtliche Tabus. Meine eigenen Tabus. Sei es nun sexuell oder intellektuell. Ich habe den totalen Durchblick. Halt finde ich in meiner Lektüre, bei den Beschreibungen von Charakteren in einigen Büchern. Eine Person sticht da heraus. Es ist Dr. Timothy Leary, ein Psychologe aus Amerika, der schon zu Hippiezeiten für Furore sorgt, da er ernsthaft mit LSD experimentiert und ernsthaft dafür plädiert, Drogen insbesondere LSD freizugeben. Was dem Establishment natürlich nicht gefällt, so dass Präsident Nixon ihn in den 60ern zum gefährlichsten Mann der Welt ausruft. Was mich und bestimmt auch andere dazu bewegt, erst recht weiter zu machen. Ich bin in ein mystisches Tuch gehüllt. Zeitliche und inhaltliche Rahmen fehlen mir. Die Welt existiert nur noch in meinem Kopf. 18 Ich verhalte mich in den Augen der anderen seltsam. Doch ich weiß nicht was los ist und dies ist erst der Anfang. Die Welt erscheint mir düster. Sie ist verzerrt und führt nirgendwohin. Wie eine Autobahn ins Nichts. Ich mache Selbstversuche mit LSD. Sie sind immer mehr mit Angst verbunden. Angst ist die Eintrittskarte. Ich löse mich langsam auf. Die Welt um mich herum ist immer weniger von Belang. Ich bin nur noch in meiner Gedankenwelt. Ich lerne, meine Bewegungsenergie zu kontrollieren. Ich weiß jetzt, dass es keine Materie gibt. Ich bin mit ein paar Freunden am Kulkwitzer See in der Nähe von Grünau. Wir sitzen am Strand, quatschen, trinken, die Party plätschert so dahin. Ich nehme einen halben Trip zu mir und warte darauf, was passiert. Es ist schon dunkel und es geht los. Wir bereiten ein Lagerfeuer und nehmen daran Platz. Das Feuer versetzt mich in eine mystische Stimmung. Ich tauche in mein Unterbewusstsein ein. Ich wache Stunden später wieder auf. Von den sechs oder sieben Leuten, sind nur noch vier übrig. Der Rest liegt schlafend in den Autos. Wir Verbliebenen richten unsere Blicke gegen den Himmel. Nach und nach verändert sich meine Wahrnehmung. Die anderen wissen nicht, was zu tun ist. Ich ergreife ich die Initiative und alle folgen mir. Ich mache die ganze Zeit wahnsinnige Beobachtungen. Ich fühle mich den anderen überlegen. Ich weiß genau, was ich will. So geht das die ganze Nacht, bis es langsam hell wird. Als es hell genug ist, die andere Uferseite zu sehen, habe ich tolle Halluzinationen. Ich sehe nur noch Wald und fühle mich in der Zeit parallelversetzt. Ich nehme andere Farben wahr und glaube, mit einem Exkursionsteam auf einem fremden Planeten zu sein. Dann sehe ich die Unendlichkeit. Ich betrachte einen großen schwarzen Hund und sehe, wie er sich auf und nieder setzt. Es kommt mir so vor, als würde ich ihn steuern. Ich versuche, mich zu konzentrieren und sehe den anderen zu, wie sie mitten in der Bewegung innehalten und wie Marionetten leblos dastehen. Ich stutze. Ich konzentriere mich noch mehr und sie laufen alle rückwärts. Mein Blick fällt zur Seite und ich sehe einen Freund. Er steht genauso verblüfft da wie ich. Er sieht es also auch. Das ist toll. Als wir nur noch zu dritt sind, beobachten wir gemeinsam das gegenüberliegende Ufer. Ein Ruderboot löst sich vom Ufer und kommt auf uns zu, so als hätten wir es telepatisch gerufen. „Es sind zwei Mädels“, sagt der eine, worauf der andere sich rumdreht und geht. Nach einer Weile legt das Boot tatsächlich bei uns an. Ich frage, ob ich das Boot eine Weile haben kann und nehme es mir. Mein Kumpel steigt mit ein und wir legen ab. Mit leichten Paddelschlägen fahren wir ein wenig weg vom Ufer. Mittlerweile ist es früh am Morgen und wir treiben im See. Ich spüre die glatte Wasserfläche. Kaum bemerke ich dies, scheint sie, wie auf meinen geistigen Befehl, wieder stürmischer. Gleichzeitig beginne ich mit meinem Mitfahrer ein Gespräch. Nicht etwa verbal, sondern telepatisch. Er redet und stellt Fragen und ich antworte ihm nur durch pures Denken. Er sieht meine Gedanken auf meiner Stirn geschrieben. Wie ein Priester oder wie ein Heiliger komme ich mir vor. „Das alles habe ich nur in deinem Namen gemacht, oh du mein Gott“ sind meine letzten Gedanken, als mein Kumpel zu weinen beginnt. Es scheint so, als weine er aus Ergriffenheit. So, als habe ich ihn zur Erleuchtung gebracht. Und ich bin nur das Werkzeug. Langsam wird mir 19 alles zu viel. Was ist denn das alles nur? Ich lehne mich zurück und bemerke, wie sich die Wogen des Sees glätten und stürmisch werden, so wie ich es will. Die Welt erscheint mir für Augenblicke perfekt. Mein Kopf wird mit Bildern überflutet. Auch Jesus konnte den Sturm, die Gezeiten kontrollieren. Mit einem Mal, als ich in den Himmel schaue, bilden sich vor meinen Augen Gitter. Ein kariertes Feld zeigt sich. Ich bekomme Angst. Ich will ans Ufer paddeln, was mir nicht leicht fällt, da mir alles aus den Händen gleitet. Am Ufer höre ich Gelächter. Was habe ich nur falsch gemacht? „Schnell, schnell kommt zurück!“, schallt es vom Ufer. Es ist Eisen. Wir legen wieder an. „Was ist mit Buschi los?“, frage ich. „Der ist total verpeilt, wir kommen gerade von einer Party.“, sagt Eisen. Socke, der vom Boot, erzählt den anderen, dass er kein Geld mehr braucht. Das habe ich ihm soeben auf dem Boot erklärt. Ein Streitgespräch bricht zwischen uns aus. Ich setze mich im Schneidersitz auf den Sand. „Was ist das bloß für einer?“ denken die anderen. Später am Nachmittag geht es nach Hause. Ich habe die Unendlichkeit gesehen. Die Unendlichkeit zu sehen, ist das Größte. Ich habe das Gefühl, dass danach nichts mehr kommt. Ich schaffe es nicht, mit jemandem darüber zu reden. Was sind das nur für Kräfte, die ich gespürt habe? 20 Kapitel 5 Das Licht kommt SEIT den Erlebnissen am Strand befinde ich mich in einer sehr gedrückten Stimmung. Ich versuche mit Drogen, insbesondere mit Haschisch, aufzuhören. Es muss endlich etwas passieren. Ich schließe mich zu Hause ein und will mit mir abrechnen. Ich stecke in einer Sackgasse. Tag für Tag, Woche für Woche. Alles scheiße. Ich liege Nacht für Nacht vor Angst zitternd auf meinem Bett und warte auf meinen Tod. Ich gebe auf. Ich bin fertig mit meinem Leben. Ich warte darauf, dass mich etwas davon erlöst. Ich mache Gott ein Angebot mich zu töten und fange an zu beten. Meine Freunde bekommen von all dem nichts mit. Diese Erkenntnis schockiert mich. Durch meine Meditationsübungen habe ich anscheinend gelernt, mit der Angst und seinem Verräter, dem Zittern, umzugehen. Ich kann mich ruhig halten. Eines Nachts ist es dann soweit. Wieder einmal habe ich Leute in meine Wohnung gelassen, mit denen ich einfach nicht reden kann. Ich traue mich nicht. Wie jede Nacht kann ich nur sehr schlecht einschlafen. Ich sehe nicht einmal den Sinn im Schlaf. Es ist spät. Ich spüre, dass etwas auf mich zukommt. Es ist nur so ein Gefühl. Mir fällt auf, dass ich seit Tagen nicht mehr gelacht habe. Die anderen zwei auf meinem Bett schlafen. Etwas Unausweichliches wird passieren. Ich kann nicht einmal weinen. Ich sitze wie ein Häufchen Elend auf meinem Bett. Mein Körper bewegt sich zu einer anderen Stelle auf meiner Matratze und hockt sich mit dem Rücken zur Wand wieder hin. Jetzt ist es besser. Ein Lichtimpuls durchfährt mich mit hoher Intensität. Ich bin gezwungen, meine Augen geschlossen zu halten. Mein Körper krümmt sich. Ich habe keine Schmerzen. Es ist ein sanfter Zwang. Eine Zeitlosigkeit lang bestehe ich aus wunderschönem, weißem, warmem, göttlichem Licht. Danach fährt es aus mir heraus und ich falle mit angezogenen Beinen zur Seite. Ich denke an Gott. Ich mache meine Augen auf. Es ist nichts passiert. Dann geht es richtig los. Das Licht und das Gefühl kommen wieder und werden immer stärker. Das Gefühl, als ob mich alle Liebe und Güte dieser Welt durchfahren. Das Gefühl hält länger an als das Licht. Ich denke nur an Gott. Ich höre eine Stimme, warm und liebevoll, die mich fragt: „Was willst du?“ In meinen Gedanken sage ich: „Ich will leben, ich will nur leben“. Ich beginne zu weinen. Mir ist, als würde ich meine Wiedergeburt erleben. Was ist es sonst? Nach und nach verlässt mich das Licht und das irrsinnig schöne Gefühl ebenfalls. Mit Bedauern stelle ich fest, dass es vorbei ist. Nach dieser Nacht passiert überhaupt nichts. Das Leben geht einfach weiter. Aber ich habe mich verändert. Wahrscheinlich ist viel mehr passiert als nur das Licht. Ich nehme an, mein Geist ist ausgetauscht worden. Oder erneuert. Ich versuche wieder am Leben teilzuhaben, aber etwas passt nicht. Ich renne wie ein Idiot durch die Gegend und versuche die Menschen zu missionieren. Ich versuche Gespräche zu beginnen, die für mich aber plötzlich einfach sinnlos sind. Ich schließe mich zu Hause ein und erlebe die Hölle. 21 Ich leide unter furchtbarem Verfolgungswahn. Alles dreht sich in meinem Kopf und um mich herum. Ich höre von draußen Stimmen, die mich rufen: “Ramos, komm! Du wirst jetzt abgeholt!“ Steine fliegen bei mir ans Fenster. Eine Fliege in meinem Zimmer sagt mit der Stimme eines Freundes, „Herr Ramos kommen sie mit.“ Und Pfiffe. Schrecklich. Dazu noch böse Angst. Jetzt weiß ich, ich bin verrückt. 22