O tti S chmid
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O tti S chmid
Otti Schmid mit dem Trans-Ocean Weltumseglerpreis SeemannsClub der Hasta Luego! Otti Shanty Sin - Segeln, wie es am sch nsten Otti Schmid Otti Schmids Fahrt zur See ist noch nicht ›zu Ende. Noch lange nicht. Der ehemalige ›Swissair-›Pilot, der in den Trans-OceJahren 1995 bis 1998 mit seiner «Ha sta Maæana» die S dsee befuhr und seine zwar h ufigen, aber eben nicht immer ›romantischen ›Erlebnisse im Buch «Hasta ›Ba›nanas» niederschrieb, setzte seine Reise fort. ber ThailandSVE und ›Madagaskar f hrte ihn der Weg nach S dafrika und ber Brasilien in die ›Karibik. Wie gewohnt am ›liebsten in (weiblicher) Begleitung, notfalls aber auch allein. Ottis ›Heimat ist das CCS Meer, zweifellos. Heimat ›ge›blieben ist aber auch das Dorf ›Hemishofen ›bei Stein am Rhein, › ge›blieben sind seine Freunde, die er nicht vergisst, die er ›regelm ssig beYCS sucht und denen er die j ngsten Aben teuer erz hlt. Noch ›immer Fernweh? Noch keine Musse, sich zur Ruhe zu setzen? Mag sein, die Zeit daf r kommt. Vorderhand aber geht es ISCYRA ›weiter. Und die Freunde Otti Schmids, von Trinidad bis Darwin, von Nosy Be Hasta Lue - T. O . P. B O O K S Otti Schmid Hasta Luego! T.o.p. Books Vom gleichen Autor sind erschienen: «Hasta Bananas», Amouröses Segelabenteuer in der Südsee ISBN 3-9521225-4-8 (April 2000) «Hasta Bananas», Sailing and Romance in the South Seas ISBN 3-952125-8-0 (August 2003) Erste Auflage © 2004 T.O.P. Books GmbH Consulting: Rosenfluh Publikationen, Neuhausen am Rheinfall DTP, Layout und Umschlaggestaltung: Willum Møller Lektorat: Urs von Schroeder Fotos: Otti Schmid, Urs von Schroeder, Jenny Griffiths Peter Kägi (Coverphoto), Helmut van Straelen (Foto Rückseite) Illustrationen: Klaus Beerli Druck: Stamm & Co., Schleitheim ISBN 3-9521225-9-9 3 Hasta Luego! F r meine Schwester Dor Inhalt 40 000 Seemeilen: Ein Kreis schliesst sich Im Auge des Drachens Affentheater in Kalimantan Von Seeräubern verschont Im Land des Lächelns Diese verdammten Felsen! Samichläuse am King’s Cup Albträume im Indischen Ozean Haie und nochmals Haie Inferno in der Wasserwüste Wo die Toten tanzen Am Kap der Stürme Great White – born in South Africa Ein Wal, wilde Pferde und ein paar Heilige Willkommen im Knast! Im Taumel des Passats Brasil, Brasil … todo bem! Ende einer langen, langen Reise Zurück im Hafen Die Hasta Mañana Ambon Rally: Teilnehmerliste Nautische Erläuterungen Kontakte 11 15 31 45 81 93 109 125 137 155 169 181 195 199 221 225 249 287 299 306 307 308 320 Europa Azoren Bermudas Madeira Kanarische Inseln Bahamas Kapverdische Inseln Afrika Trinidad and Tobago Port of Spain Îles du Salut Kourou Fernando de Noronha Jacaré Südamerika St. Helena Salvador Brasilien SüdafrikaRicha Hout Bay ° 90 W ° 60 W 30° W 0° Kapstadt 30° E Asien Sri Lanka Thailand Phuket Galle Strasse von Malakka Malediven Singapore Kalimantan Addu Kumai Seychellen Flores Bo rn eo Bali Mayotte Nosy Be Darwin Ma dag ask ar Dzaoudzi Ambon Indonesien Chagos Archipel Mauritius Port Louis Saint Pierre La Reunion Australien ards Bay 0° E 15 0° E E °E 12 0° E 80 18 60° 40 000 Seemeilen: ein Kreis schliesst sich urz vor dem Ziel hatte das Schicksal plötzlich brutal zugeschlagen. Wir befanden uns vor der südamerikanischen Küste, als die Grossschot auf unserer «Hasta Mañana» bei einer Patenthalse auf die Steuerbordseite sauste und meine holländische Segelpartnerin Sanne verletzte. Glück und Pech liegen beim Segeln so nahe beieinander. Jetzt, als wir uns dem Trinidad & Tobago Yacht Club nähern, löst sich die grosse Spannung, die mich in den letzten Tagen und Wochen begleitet hat. Ein Kreis hat sich geschlossen. Als ich vom Klubhaus zum Boot zurückkehre, ist es mit einem Banner geschmückt: «Otto, around the world – congratulations!» Ich bin zu Tränen gerührt. Segler von den umliegenden Booten kommen an Bord. Eine Party steigt. Ich bin glücklich. So glücklich wie schon lange nicht mehr. Es ist der 13. Juli 2003. Über acht Jahre sind es her, seit ich in Südfrankreich einwasserte, um die Erde mit meinem neuen Boot zu umrunden. Auf dem Weg in den Pazifik genoss ich in Trinidad den Karneval, wo ich – nach mehr als 40 000 Seemeilen im Kielwasser – jetzt zum zweiten Mal anlegte. Ja, ich liess mir Zeit, sehr viel Zeit für meine Reise. Ein Übermass bleibender Eindrücke brannte sich in diesen Jahren in Gratulation – Otto hat die Erde mein Gedächtnis ein. In der umsegelt! K 11 Südsee kam meine Zeit lange zum Stillstand. Dort blieb ich während ein paar Jahren gefangen, fasziniert von den tropischen Eilanden und seinen warmherzigen Menschen. In den Weiten des Stillen Ozeans und den weltabgeschiedenen Buchten erfüllten sich meine Träume. Oft brachte ich Tausende von Seemeilen mutterseelenallein hinter mich. Wehmut vermischt sich mit Genugtuung, wenn ich zurückblicke. Ich war traurig, den Pazifik hinter mir zu lassen, und zugleich zufrieden und bereichert von der Fülle und Intensität der Erlebnisse. Nie vergessen werde ich die unglaubliche Gastfreundschaft, Fröhlichkeit und spontane Hilfsbereitschaft, die mir immer wieder und überall zuteil wurden. Die ersten Jahre meiner Reise habe ich in meinem Buch «Hasta Bananas» beschrieben, das in deutscher und englischer Sprache erschienen ist. Neue Küsten, neue Inseln, neue Horizonte öffneten sich vor mir auf dem langen Weg von Australien über Indonesien nach Malaysia und Thailand und über die Weiten des Indischen Ozeans und des Südatlantiks. Jetzt hat sich der Kreis also geschlossen, und ich bin heil zurück. Das ist nicht selbstverständlich, denn trotz moderner Technik bleibt eine solche Reise ein Abenteuer, das mit vielen Herausforderungen verbunden ist. Gefahren lauern überall auf dieser Welt, die durch den globalen Terrorismus nicht sicherer geworden ist. Auch Yachties sind zunehmend bedroht. So wurde der bekannte Segler Sir Peter Blake im Amazonasgebiet zum Opfer eines Mordes. Im Roten Meer wurden harmlose Segler beschossen und in Venezuela ein Skipper vor den Augen seiner Frau umgebracht. Vielleicht nur wegen ein paar Dollars. Ich bin dankbar, dass mich grobes Unheil und Krankheiten verschonten und dass ich auch eine glückliche Hand bei der Wahl meiner Crewmitglieder hatte. Auch wenn meine Weltumseglung abgeschlossen ist, meine Neugier ist geblieben. So ist auch meine Reise noch nicht zu Ende. Ich liebe es, unterwegs zu sein. Auf dem Wasser fühle ich mich ruhig und gelassen, weil ich weiss, dass dort vorne, hinter dem Horizont, neue Länder und neue 12 Menschen auf mich warten. Der Wind pustet munter in die Segel. Die Reise geht weiter! Otti Schmid: ein Kurzporträt Der Bauernbub: Ich wurde am 6. Dezember 1938 auf der «Bleiche», einem Restaurant und Bauernhof oberhalb Stein am Rhein, geboren und wuchs mit drei Geschwistern auf. Nicht Bauer, wie mein Vater sich das wünschte, sondern Mechaniker wollte ich werden und machte eine Lehre bei der SIG in Neuhausen. Dann besuchte ich das Technikum in Winterthur, wo ich von 1959 bis 1962 Elektrotechnik studierte. Schon im ersten Semester faszinierte mich ein Plakat der Swissair: «Studentenflugkurse – die Swissair braucht Piloten!» Der erste Kontakt mit der Swissair fiel ernüchternd aus. Das Verdikt lautete: Zuerst das Studium mit Diplom abschliessen, mindestens Unteroffizier werden und einige Segelflugstunden nehmen. Ich schaffte das alles. Der Linienpilot: 1965 trat ich in die Schweizerische Luftverkehrsschule in Kloten ein, im Herbst 1966 bekam ich einen Swissair-Vertrag. Meine ersten Einsätze absolvierte ich als Copilot auf CV-440 «Metropolitan», einem legendären Propellerflugzeug. Später wechselte ich auf die DC-9, meinen ersten Jet. Schon 1969 folgte die Umschulung auf die DC-8, das damals grösste Langstreckenflugzeug der Swissair. Mein Arbeitsgebiet wurde die grosse, weite Welt, genau so, wie es das Plakat im Technikum verheissen hatte. Ab 1975 flog ich als DC-9-Kapitän auf Europastrecken, dann folgte der Airbus A310. In den letzten vier Jahren führte ich MD-11 mit über zweihundert Passagieren an Bord über die Meere. 12 561 Flugstunden wurden mir bei meiner Pensionierung am 31. März 1994 bestätigt. 12 561 Stunden ohne eine ernsthafte kritische Situation. Der Starsegler: Meine Eltern beglückten uns Kinder mit einer H-Jolle, die wir im Rhein an eine Boje hängten. Die Kunst des Segelns brachten wir uns selbst bei. 1971: Paul Keller verkaufte mir sein 1948 gebautes Starboot 2709 «Easy Rider», und ich trat der 13 Segelvereinigung Eschenz bei. 1976 machte ich in Estavayer zusammen mit Reini Küng an der Fock an meiner ersten Schweizermeisterschaft mit. Der Segelvirus hatte sich längst bei mir eingenistet. Ich startete an unzähligen Regatten im In- und Ausland für den Yacht Club Schaffhausen. Höhepunkte der Starsegelei waren die Weltmeisterschaften 1987 in Chicago, 1989 auf Sardinien, 1990 in Cleveland und 1992 in San Francisco. Der Ehemann und Familienvater: Linienpilot bei der Swissair, Fluglehrer bei der Motorfluggruppe Zürich, in der Freizeit Segler – dieses Leben entsprach meinem Naturell. Aber es ist nicht zu ändern: Ich entpuppte mich als lausiger Ehemann und nur mittelprächtiger Vater. Zwei Eheversuche scheiterten kläglich. Meine beiden Söhne Oliver (1961) und Ronald (1964) kauen wohl noch heute an den Folgen meiner unsteten Lebensart. So lebe ich nun seit Jahren als Single in wechselnden Beziehungen. Der Hochseesegler: 1994, einen Monat vor meiner Pensionierung, kaufte ich in Oslo die 40-Fuss-Stahl-Sloop «Hasta Mañana», hängte mein bürgerliches Leben an den berühmten Nagel und begab mich auf eine Reise, in der es keine Zwänge mehr gibt. Mit dem Ziel, die Erde zu umfahren, segelte ich im Mittelmeer los. Urs von Schroeder: Auszüge aus seinem Tagebuch Wild entschlossen heuerte unser Lektor Urs von Schroeder im September 2002 als Segel-Anfänger in Kapstadt als Koch bei mir an, um mit der «Hasta Mañana» den Südatlantik zu bezwingen. In diesem Buch finden Sie Auszüge aus seinem Tagebuch. Hier das erste Beispiel. «Wie anders ist diese Art des Reisens. Wie anders als das Fliegen, das unsere Seelen laufend vergewaltigt. Hier kommen unsere Seelen noch mit. Wir gewähren ihnen die Zeit zum Abreisen, genügend Zeit unterwegs und die Zeit zum Ankommen. Wir reisen, von den Launen des Meeres und des Windes bestimmt, wohl auf die natürlichste Art der Welt.» 14 Im Auge des Drachens Darwin res Ambon Sulawesi Komodo Lombok FloBali ommer 1998. In der Marina der Cullen Bay von Darwin liegen wir angenehm in der Nähe des Eingangs. Eine Schleuse hält das Wasserniveau konstant. Bei 6 Meter Tidendifferenz ist das eine nützliche Einrichtung. 500 australische Dollars pro Monat bin ich los für diesen Luxus. Vor dem Darwin Sailing Club, der das Ambon-Rally organisiert, könnte man gratis liegen. Allerdings hängt man weit draussen vor Anker und muss das Dinghy je nach Tageszeit über eine grosse Distanz bis zum Wasser schleppen. Mein gegenwärtiger Begleiter heisst Markus Zeberli und kommt aus Opfershofen im Thurgau. Er begleitet mich seit Cairns anstelle von drei Frauen, die mitkommen wollten, aber einfach nicht auftauchten. In der trockenen Jahreszeit ist das Wetter hier angenehm warm, so um die 30 Grad, während im Süden Australiens Winter mit kaltem und regnerischem Wetter herrscht. Diese Tatsache treibt viele Backpacker in den Norden. Hier lerne ich auch Schweizer kennen: «Swiss Chris», der auch am Ambon-Rally teilnimmt, Hedy und Hans Ryffel, deren Segelboot «Enigma» am gleichen Steg liegt, Paul, der mich auf einem Markt anspricht, nachdem er die Edelweiss an meinem Swissair-Rucksäckchen entdeckt hat. Bei ihm wohnen zwei Holländer. Zusammen fahren wir zum südöstlich der Stadt gelegenen Sandy Camp, um Krokodile zu jagen. Keine Angst: nur mit der Kamera! Wir mieten ein kleines Motorboot und finden tatsächlich jede Menge «Crocs» in der Flussmündung. Sie dösen reglos in der Sonne oder lauern im Wasser auf Beute. Träge gleiten die Biester ins Wasser, sobald sie unseren Motor hören. Lassen wir uns treiben, kommen wir noch S 15 näher heran. Kalter Schauer rieselt mir über den Rücken. Man weiss ja nie! Für das Ambon-Rally, das am 25. Juli beginnt, haben sich trotz der unstabilen politischen Lage in Indonesien 51 Mannschaften in drei Klassen gemeldet. Ein Jahr zuvor waren es noch über hundert. Ich habe mich in der Rallyklasse eingetragen. Hier ist eine Minimalcrew von zwei vorgeschrieben. Den Motor darf man brauchen, was allerdings einen Zeitzuschlag zur Folge hat. Das grösste Boot ist die Brigantine «Eye of the Wind» aus England mit 132 Fuss, die kleinste die «Artemis» mit 30 Fuss Länge. Das Rally wird seit 1976 jährlich durchgeführt und geht über 600 nautische Meilen zum Ziel bei Amahusu auf der Insel Ambon. Diese gehört zu den Molukken, die bekannt für ihre Gewürze sind. Für die Rally-Zulassung muss ich die umfangreichen Vorschriften für Kategorie 1 der Australian Yachting Federation erfüllen. John, der für den Safety Check verantwortlich zeichnet, händigt mir eine Liste aus. Ich mache mich unverzüglich an die Arbeit. Die Rettungsinsel muss ich kontrollieren lassen. Eine Danboje mit Flagge fertige ich selbst an. Die Plastiküberzüge an der Reling müssen weg, könnte sich doch unterhalb am Drahtseil Rost bilden. Alle losen Teile wie Rettungsring und Fender sind mit dem Bootsnamen zu bezeichnen, nicht mit aufgeklebten Buchstaben, sondern mit Farbe gepinselt. Ich denke aber nicht nur an die Sicherheit. Da mein Kühlschrank kurz vor Darwin schlapp machte, baue ich das neue australische Modell «Supa Kool» ein. Die Firma Rado Refrigeration macht es für 700 Aussie-Dollars möglich, dass ich wieder kühles Bier an Bord habe. Der Kompressorteil passt genau zwischen Kühlschrank und Spülbecken. Einmal mehr erweist sich, wie nützlich mein klappbares Mountain Bike ist, um zu den weit verstreuten Läden zu kommen. Zwei Tage verbringe ich mit einer Wilderness-Tour im Litchfield National Park. Wir sind 20 Personen im Bus, darunter Pia, eine frühere Swissair-Flugbegleiterin aus Goldach. Unser Chauffeur und Betreuer heisst Bob. Dieser Park ist für seine 16 spektakulären Wasserfälle und unberührte Natur bekannt. Am ersten Tag können wir viermal im plätschernden Wasser baden. Beim Abendessen – dazu wird sogar kühler Weisswein kredenzt – geniessen wir auf einem Hügel den Sonnenuntergang. Dann singen wir am Lagerfeuer zu Gitarrenklängen. Wir nehmen sogar, bis zum Hals im Wasser suhlend und Bier schlürfend, ein Mitternachtsbad in einem natürlichen Pool, an dem Bob einige Kerzen aufgestellt hat. Die Nacht verbringen wir unter freiem Himmel, durch ein Netz vor Moskitos geschützt. Der zweite Tag führt uns nach einer längeren Wanderung durch einen dichten Wald zu den Wangi Falls. Die Zeit mit meinem Besatzungsmitglied Markus geht ihrem Ende entgegen. Er will noch etwas reisen, bevor er wieder in die Schweiz fliegt. Dafür zieht die St. Gallerin Pia für einige Tage bei mir ein, denn alle Backpacker-Unterkünfte sind belegt. Am 20. Juli gesellt sich Christofel aus Holland zu uns. Er war Tauchlehrer in Cairns und gehört zu meiner Rally-Crew. Nach Pias Abschied bekomme ich einen neuen Gast: Annette aus Muri. Ich lernte die junge Schweizerin in der Jugendherberge kennen. Sie möchte auch am Ambon-Rally mitsegeln und freut sich, dass wir sie mitnehmen, denn ihr Australien-Visum läuft bald ab. Weiter dazu stossen soll Peter Hagmann, der als Flugzeugspengler bei der SRTechnics arbeitet. Er wird erst kurz vor dem Start um 04:35 Uhr mit der Qantas einfliegen, sofern er als Freiflugpassagier überhaupt mitkommt. Jedenfalls mache ich den Schleusentermin mit dem Wärter Dick so aus, dass Peter am Starttag noch aufspringen könnte, Der Alkohol sollte reichen 17 sollte er mit einem Tag Verspätung eintreffen. Meine Sorgen sind unbegründet. Alles klappt, und wir sind komplett. Zehn Karton Bier, eine Kiste Rum und als Geschenk vom «Downtown Dutyfree Shop» 24 Büchsen Rum-Cola-Mix verschwinden im Bauch des Bootes. Meine Crew erledigt den Einkauf der Nahrungsmittel. Der hier lebende Schweizer Hans chauffiert sie zum Einkaufszentrum. Überhaupt ist diese gute Seele eine grosse Hilfe. Er zeichnet mir auf einer Karte auch mögliche Ankerplätze in Indonesien ein. Er war dort zusammen mit seiner Frau Hedy während mehreren Jahren mit dem Boot «Enigma» unterwegs. Als mir ein paar Karten fehlen, leiht er mir diese grosszügig aus. Stressig wird es erst, als ich bei einer Inspektion im Masttop feststelle, dass das Achterstag mit Isolatoren defekt ist. Es dient gleichzeitig als HF-Antenne und muss ersetzt werden. Ob das noch reicht vor dem Start? Innert zwei Tagen schaffe ich es. Beim ersten Versuch bringe ich es fertig, das neue Teil verkehrt anzubringen. Hans hilft auch hier. Er hievt mich schon zum vierten Mal in dieser Woche zum Masttop hoch. Endlich sind wir bereit. Bereit auch für die Farewell Party im herrlich gelegenen DSCGelände. Dort lernen wir unsere «Gegner» etwas näher kennen. Wir erfahren auch, dass der Schweizer Fritz Messerli, der Skipper der «Athene III», vor den Augen seiner Frau beim Kontrollieren des Ankers auf den Salomonen von einem Krokodil getötet wurde. Ich habe seine Berichte jeweils im CCS-Magazin gelesen. Traurig. Nein, so möchte ich meine Seglerkarriere jedenfalls Vor dem Start ist Schabernack erlaubt nicht beenden. Am 25. Juli verlassen wir die Cullen Bay um 05:30 Uhr und gehen etwas östlich der Schleuse vor Anker. Noch ist es stockdun- 18 kel. So legen wir uns wieder schlafen. Um 07:30 Uhr wecke ich meine Crew. Das Wassertaxi des DSC holt uns zum ChampagnerFrühstück ab. Die Stimmung im Darwin Sailing Club ist aufgeräumt. Das ABC-Fernsehen macht Interviews. Dietrich, ein Crewmitglied der «Gemini Contender», blüht vor der Kamera förmlich auf. Ich liebe diese Stimmung vor dem Start zu einer Regatta. Es kribbelt leicht im Bauch. Wird es wohl Wind haben um elf Uhr? Es hat. Wir schmuggeln uns auf die bevorzugte Seite der Startlinie. Im Bug der Fregatte «Goolong» der Royal Australian Navy knallt der Startschuss. Die andere Seite der Startlinie ist durch ein rote «Perkins Shipping»-Barge des Hauptsponsors begrenzt. Wir kommen gut weg, werden aber kurz darauf vom Spinnaker der Swan 57 «Cowrie Dancer» abgedeckt. Leider verfügen wir über keinen Spinnaker. Es ist allerhand los. Zuschauerschiffe behindern die startenden Boote, und der Spinnaker der «Evanna» gerät ins Trudeln. Eine Yacht bleibt sogar in einer Untiefe stecken, kurz bevor wir eine Boje vor dem East Point runden. Der Wind frischt auf Beaufort 4 bis 5 auf, das sollte uns gegen Abend bis ins Lee der Insel Brathurst bringen, dort wo in den letzten Jahren wenig Wind herrschte. Wir haben Glück, der Wind scheint sich zu halten. Wir passieren die Insel kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Ich bin froh, in Peter einen guten Segler an Bord zu haben. Auch Annette hat den Hochseeschein und segelt auf dem Thunersee 420-er Jolle. Sie ist still und blass. Der Seegang hat plötzlich zugenommen. Ich backe noch schnell ein Brot, bevor es allzu schlimm wird. Christofel gewöhnt sich schnell ans Segeln und ist eine nützliche Hilfe. Gegen Abend unterhält er uns mit seiner Gitarre. Wir machen dreistündige Wachen. Ungefähr bei Halbzeit fangen wir einen 105 Zentimeter langen Mahi Mahi. Obwohl es Peters erster Fisch ist, den er zerlegt, leistet er saubere Arbeit. Es ist uns klar, was an den nächsten zwei Tagen auf dem Speisezettel steht: Fischgerichte in allen Variationen. Morgens um 07:33 und nachmittags um 15:33 Uhr geben wir unsere Position auf SSB 4483 KHZ an die Regattaleitung durch. 19 Unser erstes Etmal beträgt 170 Meilen, dann 150 und 136. Je näher wir unserem Ziel kommen, desto schwächer wird der Wind. Immerhin scheint eine Ankunft in der Bucht von Ambon gegen Mittag des vierten Tages wahrscheinlich. Wir sind glücklich, als wir in die mit bewaldeten Hügeln gesäumte Bucht einlaufen. Die Überfahrt war schnell und schmerzlos. Noch liegt ein schwieriges Stück vor uns, als wir das Cap Nusanive um 13:30 Uhr passieren. Es sind noch 5 Meilen bis zum Ziel. Wir können zwei weitere Yachten ausmachen. Peter steuert, und wir versuchen, die Segel im wechselhaften Wind so zu setzen, dass unser Boot immer etwas Fahrt behält. Wir wollen den Motor nicht benutzen, denn bis jetzt haben wir null Motorstunden. Das wird zur Nervensäge. Endlich, um 15:36 Uhr, fahren wir durchs Ziel. Erlöst geben wir unserer Freude Ausdruck und gehen unmittelbar in der Nähe vor Anker, um einzuklarieren. Schon nach wenigen Minuten kommen sieben (!) lachende dunkelhäutige Beamte in schönen Uniformen an Bord. Wir bewirten sie mit Tee und Biskuits. Nach nur zwanzigminütigem Papierkrieg sind wir offiziell in Indonesien. Steckbrief der Hasta Mañana Engholm 40S, Knud Olson Design ● Sloop aus Stahl, 40 Fuss oder 12,2 Meter lang, 3,80 Meter breit, Tiefgang 2,1 Meter ● Segelflächen: Gross 35 m2, Rollgenua 47 m2, Sturmfock 10 m2 ● Wasser: 400 Liter, Diesel: 700 Liter ● Windgenerator: Air-Marine ● Instrumente und Autopilot: Tecnautic, WindfahnenSteuerung: Windpilot Hamburg, Radar: Furono 1721, SSB: IC-M810, VHF: Sailor, GPS: Garmin 128 ● Notausrüstung: Rettungsinsel der Ballonfabrik Augsburg, EPIRB: Kannad. ● Indonesien ist das viertgrösste Land der Erde mit über 200 Mil- 20 lionen Einwohnern. Davon leben 60 Prozent auf der Insel Java. Der Staat zählt offiziell 13 677(!) Inseln. «Tanah dan Laut», Land und Meer, nennen ihn die Einheimischen. Indonesien blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Fast 350 Jahre regierten niederländische Kolonialherren über den Archipel. 1908 wurde eine politische Einheit geschmiedet mit Java als Zentrum. Im Zweiten Weltkrieg überfielen die Japaner das Land. Nach ihrer Kapitulation erklärte Sukarno, der Freiheitskämpfer und erste Präsident, am 17. August 1945 Indonesien unabhängig. Seine Bewohner sind schöne, durchwegs schlanke und freundliche Menschen. Jeder Versuch, sich auf Indonesisch zu verständigen, wird honoriert. Ich habe einen «Language Survival Kit» dabei und mir schon vor der Ankunft einige Wörter angeeignet: Dari mana, ke mana? (Woher kommst du, wohin gehst du?), Tidak apa apa (macht nichts), Belum (noch nicht, weder ja noch nein), Terima kashi (danke), Apa kabar? (Wie geht es?), Kabar baik (Mir geht’s gut). Was sofort auffällt: Ambon ist hügelig, stark bewachsen und feucht. Hier herrscht von April bis Oktober Regenzeit. In Bali ist es umgekehrt: Dort dauert die Regenzeit von Oktober bis April. Das aufgefangene Regenwasser füllt unsere Es zischt – wir saufen ab Tanks schnell. Den ersten Abend verbringen wir in den zahlreichen Beizchen, die speziell für das Ambon-Rally geöffnet werden. Am Schluss landen wir im «Walang-Café». Hier hat Christofel – von einem Jungen am Keyboard begleitet – grossen Erfolg als Karaokesänger. Der Abend endet allerdings misslich. Unser Holländer zieht unser vor dem 21 Restaurant angebundenes Dinghy etwas zur Mauer hin. Beim Einsteigen schneidet eine versteckte Koralle einen 10 Zentimeter langen Schnitt in die Schlauchwand, aus der zischend Luft entweicht. Etwas belämmert stehen wir morgens um drei Uhr da. Schliesslich finden wir einen Segler, der uns zusammen mit unserem «Malta»-Aussenborder zu unserem Boot bringt. Die kläglichen Reste des Bötchens sichern wir an einem Baum. Die Reparatur am nächsten Tag gelingt. Zum Glück habe ich Reparaturmaterial mit Zweikomponentenkleber dabei. Natürlich besichtigen wir auch die Insel. 200 000 Einwohner sollen hier leben. Das Strassenbild beherrscht ein friedliches Nebeneinander von Autos, Motorrädern und dreiräderigen Ritschkas. Das «Becak» genannte Gerät ist ein halbes Velo mit einer vorne angebrachten Sitzbank für zwei Personen. Ambon wird auch Nelkeninsel genannt. Neben Vanille und Muskatnuss sind die Nelken hier die Haupteinnahmequelle. Diese werden auch den «Kretek»-Zigaretten beigemischt, die den unverkennbaren süsslichen Geruch verströmen. Annette erleidet im unglaublichen Durcheinander des Marktes einen Kulturschock und meidet in den nächsten Tagen die Stadt. Ambon gehört zur Molukkengruppe mit über 1000 Inseln und insgesamt einer Million Einwohnern. Das Ambon-Rally ist zu einer wichtigen Einnahmenquelle für Amahusu geworden. Für 200 australische Dollars bekomme ich beim Wechseln 1 340 000 Rupien. So werde ich für kurze Zeit Millionär! Nach dem Währungszusammenbruch ist diese Region für uns unglaublich günstig geworden. Die Preisverteilung findet im Rahmen einer traditionellen Tanzdarbietung im Baileo Oikumene-Zentrum statt. In der Rally-Klasse belegen wir nach berechneter Zeit den 8. Platz. Der für dieses Rennen von John Punch aus Darwin speziell gebaute Katamaran stellte einen neuen Streckenrekord von etwas über 53 Stunden auf und gewann damit die als Preis ausgesetzten 5000 Dollar. Wir sind zufrieden. Das AmbonRally ist eine gute Möglichkeit, das drei Monate gültige Cruising 22 Permit (Reiseerlaubnis) zu erhalten. Am Montag nach der Preisverteilung können wir ausklarieren. Als Ziel geben wir Bali an. Die in einer Hütte sitzenden Beamten wollen fünf Kopien des Cruising Permits, der Bootspapiere und der Crewlisten. Speziell Freude haben sie, wenn ich meinen «Hasta Mañana»-Stempel unter ein Dokument setze. Mit Peter nehme ich mir den «Malta» vor, dessen Impeller gewechselt werden muss. Im Handbuch steht für diesen Fall lakonisch, man soll den Motor zum nächsten Yamaha-Händler bringen. «Es goht nünt über en Bootsbauer an Bord», stelle ich grinsend fest. Peter strahlt. Er absolvierte seine Lehre als Bootsbauer bei Peter Wagner in Eschenz. Ohne ihn hätte ich beim Impellerwechsel alt ausgesehen. Beim «Zeise»-Generator, der wegen Öldruckverlustes automatisch abstellt, weiss er auch keinen Rat. Das Motorenöl ist ausgelaufen, ein ernsteres Problem. Ab sofort müssen wir unsere Batterien mit dem Bukhdiesel laden. Beim Ankereinholen gibt die elektrische Ankerwinsch ein komisches Knattern von sich. Das Getriebe ist defekt. Wir wechseln auf Handbetrieb. Es ist mühsam, den schweren Anker mit der Kette hochzukurbeln, aber es funktioniert. Am 4. August laufen wir zur 300 Peter repariert alles Meilen entfernten Buton-Strasse auf der Insel Sulawesi aus. Einmal mehr nehmen wir im plätschernden Regen eine Dusche. Es schaut so aus, als wolle der Niederschlag nie mehr aufhören. Wir geniessen den zusätzlichen Platz an Bord, nachdem Christofel auf die «Jasmink» gewechselt hat, um in Nordsulawesi die Tauchgründe zu erkunden. Der Wind reicht knapp zum Segeln. Schon in der ersten Nacht, als ich die Wache um 01:00 Uhr übernehme, glänzt das Meer im Mondschein. Endlich hat der Regen aufgehört. Dieser Törn ist ein 23 Vergnügen. Nach vier Tagen fahren wir um Mitternacht bei Mondschein in die Button Strait ein, die an der nördlichen Stelle 6 Meilen breit und 60 Meilen lang ist. Bei Anbruch eines neuen Tages erreichen wir eine Stelle mit Untiefen, die schwierig zu passieren ist. Am Nachmittag nähern wir uns der engsten und nur etwa 200 Meter breiten Stelle. Wir haben Glück mit nur noch 2 Knoten starkem Rückenstrom. Die Landschaft ist hügelig. Wären keine Palmen am Ufer und würde man die Hitze wegdenken, man könnte sich glatt an den Rhein versetzt fühlen. Als wir ein Dorf passieren, begrüssen uns unzählige Kinder in Kanus. In der Schweiz haben die Kinder ein Dreirad – hier fahren sie Kanu. «Hey misterrr!» schreien sie und nähern sich winkend. Vor der Stadt BauBau (Buton) finden wir einen Ankerplatz auf acht Meter Wassertiefe etwas östlich der Pier. Immer wieder winken uns fröhliche Menschen aus vorübergleitenden Booten zu. Sofort machen wir uns bereit zum Landgang. In der Nähe des Abwasserkanals binden wir unser Beiboot fest. Es stinkt fürchterlich, doch es ist unglaublich, wie freundlich die Menschen sind. «Hey misterrr, Besucher in der Buton-Strasse how arrre you?» tönt es uns überall entgegen. Bei unserer Rückkehr auf die «Hasta Mañana» plärrt aus Lautsprechern am Turm einer Moschee der Muezzin. Viele Frauen tragen hier einen Tschador. Um uns vor ungebetenen nächtlichen Besuchern zu schützen, habe ich beim Niedergang einen Infrarotalarmgeber angebracht. Sollte jemand ins Boot wollen, so gibt es einen Höllenlärm. Um vier Uhr früh erwache ich. Es geht schon wieder los. In der nahen Stadt werden die Muslime laut zum Frühgebet gerufen. Das dauert bis genau fünf Uhr. Hühner krähen mit bellenden Hunden um die Wette. Der Vollmond steht am Himmel. Undefinierbare Düfte wehen zu uns herüber. Per Becak lassen wir uns für umgerechnet 24 5 Räppli zum Markt von BauBau fahren. Das Einkaufen wird zu einem Erlebnis der besonderen Art. Unsere neuen Sprachkenntnisse setzen wir sofort um: «Berapa sekilo kentang?» (Was kostet das Kilo Kartoffeln?), «Bisang» (Bananen), «Kelapa» (Kokosnuss). Harun, ein Ambonese, winkt uns in sein kleines Restaurant, wo wir für wenig Geld köstlich essen. Dann motoren wir zur 5 Meilen westlich gelegenen Nirwana Beach und geniessen das Baden und Schnorcheln im klaren Wasser. Von Indonesien sind wir angenehm überrascht. Zumindest hier ist nichts von einer Krise zu spüren, schon gar nichts von Aggressionen gegen Touristen. Alle scheinen sich zu freuen, dass wir uns für sie und ihr Land interessieren. Der Passat hält durch, und nach zweimal 24 Stunden laufen wir in die Bucht vor Labuanbajo auf der Insel Flores ein. Dieses idyllisch gelegene Fischerdorf gilt als Ausgangspunkt für einen Bootstörn zur Insel Komodo, wo die berüchtigten Warane leben. Gertrudis Laut von der Touristeninformation organisiert unseren Trip nach Loh Liang. Nach dreistündiger Fahrt mit einem Motorboot machen wir fest und vertrauen uns dem jungen Führer Johannes an. Der Marsch bis zum Wasserloch dauert zwei Stunden, doch sind dort keine Warane zu sehen. Dann werde wohl einer bei der Küche sein und dort auf Futter warten, meint Johannes. Die Spannung steigt. Bis vor kurzem wurden Ziegen geschlachtet und als Köder ausgelegt, um die Warane anzulocken. Diese sind gute Jäger. Mit ihren mächtigen Schwänzen erschlagen sie ihre Beute und vertilgen sie mit Haut, Haaren und Knochen. Auch Touristen sind schon spurlos verschwunden! Tatsächlich liegt ein ansehnliches Exemplar hinter dem Küchenhaus. Johannes scheucht das Tier mit seinem Stock auf. Es hebt den Kopf und züngelt mit seiner gespaltenen Zunge. Dann schaukelt es mit eigenartigen Bewegungen in den nahen Schatten und lässt sich bereitwillig fotografieren. Die Warane gehören zu den ältesten Tiergattungen – Jurassic Parc lässt grüssen! Auf Komodo soll es noch über 1000 dieser Spezies geben. Sie werden bis vier 25 Meter lang und um die 60 Jahre alt. Unser Ausflug nach Komodo hat sich gelohnt. Von Komodo folgen wir der Inselkette entlang nach Banta und Subawa. «Wir haben einen Fisch an der Angel!» schreit Annette plötzlich. Es ist wieder ein Mahi Mahi. Er hat die ideale Grösse von 65 Zentimetern. Wir freuen uns. Eine Stunde später wird ein Teil davon zu einer Fischsuppe. Mein Rezept: Knoblauch und Zwiebel dünsten. Etwas Ginger beimischen, mit Weisswein ablöschen, mit Wasser ergänzen, dann die Fischstückchen und ein Briefchen Gemüsesuppe hinzufügen und zum Schluss fein gehacktes Gemüse in den Sud geben, das, was gerade verfügbar ist. Heute haben wir Kabis und geschnittene Bohnen. Dann kommt das, was meine Suppe wirklich ausmacht: eine Büchse Kokosmilch reingiessen und mit Thai-Chili-Sauce würzen. Das ergibt einen süsssauren Geschmack. Nach dem Essen soll es etwas brennen im Mund, damit das kühlende Bier nachher noch besser schmeckt. Die Insel Lawang bei Lombok vor Einbruch der Nacht anzulaufen, schaffen wir nicht mehr. Während des ganzen Tages hatten wir bis zwei Knoten Gegenstrom. Also wird unser nächstes Ziel die Gili-Insel Trewangan. Weil wir vor dem Morgengrauen ankommen würden, machen wir kurz entschlossen einen zweistündigen Badehalt. Genau so wie auf dem Untersee. Wir bergen die Segel und lassen uns treiben. Badeleiter runter und rein ins 500 Meter tiefe Meer, allerdings ohne Annette. Ihr ist das – «so mitten im Meer» – zu unheimlich. Kaum habe ich die Taucherbrille aufgesetzt, erkenne ich einige Quallen mit langen Tentakeln. Ob die wohl giftig sind? Vorsicht ist auf jeden Fall geboten. Nach dem Sonnenuntergang und einem «Sundowner» fahren wir unter Motor weiter. Seit wir Labuanbajo verlassen haben, lässt uns der Südostpassat im Stich. Der Wind ist wechselhaft oder überhaupt nicht vorhanden. Ich habe Wache von 04:00 bis 07:00 Uhr. Annette und Peter schlafen noch, als ich kurz vor sieben Uhr bei der Badeinsel in der Nähe von Fischerbooten vor Anker gehe. Als 26 Vorgeschmack auf die sonnenhungrigen Touristen in Bali umschwärmen uns jede Menge schnorchelnder Männlein und Weiblein. Wir liegen unmittelbar neben einem Riff. Infolge der starken Strömung hängen wir mit dem Heck im Wind. Wir bringen den Heckanker aus, um diese Lage zu stabilisieren. Den Tag verbringen wir mit Baden und Faulenzen. Im Osten dominiert auf der Insel Lombok der 3765 Meter hohe Vulkan Rinjani die Kulisse. Den Kraterrand kann man von Senaru aus in einer dreitägigen Tour besteigen. Im Westen schimmert der Kegel des Gunung Agung (3142 m) auf der Insel Bali durch die Wolken. Bis nach Bali sind es noch 55 nautische Meilen. Wir müssen also zeitig losfahren. Das Aufstehen um halb sechs Uhr ist noch erträglich, doch dann geht es los mit der «Übung Morgengrauen», wie einst im Militär. Der Heckanker hat sich festgekrallt und lässt sich trotz allen Bemühungen vom Beiboot aus nicht lösen. Also holen wir zuerst den Buganker ein. Dann lassen wir uns zurücktreiben und nehmen die Heckankerleine an den Bug der «Hasta Mañana». Nach ungeduldigen Manövern unter Maschine und einigen Schweisstropfen kommt der Anker endlich frei. Auf unserer Fahrt begegnen uns unzählige Auslegerkanus unter Segeln mit meistens zwei Männern an Bord. Ein Segler, der sich uns nähert, johlt «Independence Day Race» herüber. Heute, am 17. August 1998, feiert Indonesien 53 Jahre Unabhängigkeit. Der Wind bläst jetzt stärker, und wir haben 5 Knoten (!) Rückenstrom. Wir sausen nur so dahin und kommen früh an. Schon um halb zwei Uhr suchen wir die schlecht markierte Einfahrt zum Hafen von Benoa. In der Bali International Marina angekommen, begrüsst uns Dick, ein Amerikaner, der diese Marina leitet. Schon in Darwin hatte ich ihn per E-Mail angeschrieben. Gegenüber liegt ein neuer 38 Meter langer Schoner. «Yanneke Two» und «RTYC Hamilton» prangen auf dem Heck. Die siebenköpfige Crew ist am Dauerputzen und hebt kaum die Köpfe, als wir gegenüber anlegen. Der Eigner dieses Luxusbootes soll ein Schweizer sein. 27 In der Marina von Bali zahlen wir etwa 20 Franken pro Tag 28 Bali ist erstaunlich gross: 140 Kilometer lang und 80 Kilometer breit. Unzählige Jets mit Touristen donnern Tag und Nacht über die Marina. Hier mussten die Becaks einer Unzahl von Motorrädern weichen. Helmbewehrt behaupten sich die Fahrer im Strassenverkehr. Es ist an allen Ecken und Enden zu spüren: Hier sind die Hindus die erdrückende Mehrheit, mit einer Kultur, die trotz der anschwellenden Touristenströme intakt geblieben ist. Schon etwas ausserhalb der grossen Zentren ist die in sich geschlossene Lebensweise der Balinesen zu spüren. Wir mieten einen Bus und lassen uns von unserem Chauffeur Hanu, der leidlich englisch spricht, einen Teil der Insel zeigen. Neben dem Fahrer liegt ein aus Palmblättern geflochtenes Körbchen mit gefärbten Reiskörnern, Blumen und Beeren. Opfergaben an die Götter oder um die bösen Geister friedlich zu stimmen? Wir fahren in den Norden zum Danau Batur, einem Kratersee. Die Aussicht ist überwältigend. Dann geht es entlang der Krete zum malerisch gelegenen Pura Batur-Tempel. Hier müssen wir unsere Beine mit gemieteten Sarongs verhüllen, um eintreten zu dürfen. Weiss gekleidete Gläubige beten mit unüberhörbarem Gemurmel. Dann kommt eine junge Frau, die auf ihrem Kopf ein Tablett voller Opfergaben balanciert. Sie stellt an bestimmten Orten kleine Körbchen mit Blumen, Bananen und Eiern hin und lässt sich gerne fotografieren. Zu unserem Erstaunen gibt sie uns ein paar Bananen und Mandarinen von ihren Opfergaben. Dann fahren wir weiter nach Tegallalang. In diesem hügeligen Tal sind die Reisterassen speziell kunstvoll angelegt, genährt durch reichlich vorhandenes Wasser, das in kleinen Kanälen zugeführt wird. Die Felder sind so modelliert, dass nicht der kleinste Flecken ungenutzt bleibt. Die Gestaltung der Felder ist Männerarbeit, Frauen sind nur für die Ernte zugelassen. Fröhlich winken uns die Männer in den Feldern zu. Das Mittagessen nehmen wir in Ubud ein, wo viele Touristen damit beschäftigt sind, allerlei Kunstgegenstände zu erhandeln. Dann fahren wir zu einem weiteren bekannten Tempel: Tanah 29 Lot. Dieser trohnt schön gelegen auf einem vom Meer umspülten Felsen. Wir haben gerade Niedrigwasser. Unterhalb stehen Gläubige geduldig in einer Kolonne, um sich mit heiligem Wasser besprenkeln zu lassen. Mit lautem Gebimmel nähert sich eine Prozession. Am Fusse des Felsens angelangt, verharren die Pilger während über einer halben Stunde im Gebet. In der Hindu-Kultur werden familiäre Ereignisse wie Heirat, Geburt und der Tod mit grossem Zeremoniell begangen. Besonders feiern die Hindus den Tod, bedeutet dieser doch nicht das Ende, sondern einen Neuanfang. Die Seele wird neu geboren, hoffentlich in einem höheren Lebewesen. Das Zeremoniell einer grossen öffentlichen Verbrennung kann drei Tage dauern und ist sehr kostspielig. Dann fliegen Annette und Peter ab, er zurück in die Schweiz, sie nach Australien. Wir waren ein gutes Team. Was ich besonders schätze, beide nehmen sich die Zeit, der «Hasta Mañana» eine Generalreinigung angedeihen zu lassen. Zu meiner Freude überlässt mir Peter seine Südamerika-Musikkassette, während mir Annette ihre neue Madonna-CD «Ray of light» schenkt. Dann bin ich wieder einmal allein. So ist halt mein Seglerleben. Ich beginne, mein nächstes Teilstück nach Singapore vorzubereiten. «Otti hat die Hast abgeschüttelt, die uns zivilisatorische Menschen versklavt. Er hat zu jener Gelassenheit gefunden, die wir uns so oft wünschen und von der wir träumen. Es ist ihm völlig egal, ob wir in fünf, zwölf oder dreissig Tagen ankommen. Das macht für ihn keinen Unterschied. Denn was sind schon fünf, zwölf oder dreissig Tage? Der Weg sei das Ziel, sagt er immer wieder.» 30 Affentheater in Kalimantan Bali Kalimantan Batam Sin gapore er Ponton ist zwar etwas schief, doch mein Boot liegt in der Bali International Marina gut. Die Stromanschlüsse sehen gefährlich aus. Sie sind offen verdrahtet und kaum geschützt. Wasser steht zwar auch zur Verfügung, aber es ist nicht trinkbar. Hier muss ich den ganzen Papierkrieg der Immigration, der Health, dem Harbour Master, der Navy und dem Zoll neu erledigen, obwohl ich im selben Land geblieben bin. Die beiden Marina-Angestellten Wayan und Made sind behilflich, sobald ein Problem auftaucht. Lustig, hier in Bali werden die Kinder nummeriert: Wayan, der Erste, Made, der Zweite, Dena, der Dritte. Nachdem der Bürokratie Genüge getan ist, fliege ich in 45 Minuten nach Ujung Pandang, dem einstigen Makassar auf der Insel Sulawesi. Makassar – schon in der Schulzeit übte der Name dieser Stadt auf der früher Celebes genannten Insel einen eigenartigen Reiz auf mich aus. Erstes Fernweh regte sich damals in mir. Dort betrieb Arnold Schmid, in Stein am Rhein «Millionenschmid» genannt, eine Perlenfischerei. Er besass auch Tee- und Kaffeeplantagen. Arnold war ein Bruder meines Grossvaters und beschäftigte über vierzig Fischer. Dieses kleine Kolonialreich war unter dem Firmennamen Arnold Schmid Corporation, P.O. Box 97, Makassar registriert. Jetzt stehe ich hier und versuche mir vorzustellen, wie es aussah, als Arnold Schmid (1874–1960) anfangs des letzten Jahrhunderts seine Geschäfte betrieb. Er war auch mit einer Indonesierin liiert und hatte mit ihr eine Tochter namens Dora, die er später zusammen mit seinen Kindern Rudolf und Lisbeth im «Lindenberg» in Stein am Rhein aufzog. Arnolds erster Sohn, auch er auf den Namen Arnold getauft, führte die D 31 Geschäfte in Indonesien nach dem Zweiten Weltkrieg weiter, doch konnte er die Verstaatlichung des Besitzes nicht verhindern. Zusammen mit den holländischen Kolonialherren musste auch er das Land verlassen, als es 1948 unabhängig wurde. Unsere Familie Schmid stammt übrigens vom Steiner Bürger Johann Rudolf Schmid vom «Schwarzenhorn» ab. Dieser war Gesandter des deutschen Kaisers in Konstantinopel gewesen, dem heutigen Istanbul. «Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten», sagte der Pfarrer bei der Abdankung nach Arnolds Tod am 19. Dezember 1977. Er war viermal verheiratet gewesen. Zwei Kinder wurden in Indonesien, eines in Amerika und die Tochter Monika in Stein am Rhein geboren. Schon unser Vorfahre Felix Schmid dichtete: Felix Schmid, der jung ward ich genannt und hab ganz sicherlich gleich wie mein Vatter zwar Erlitten viel Kummer, Angst und Gfahr Weil nun zum vierten Mal ich so oft müssen verhürathen mich Gott woll uns unser Sünd vergeben und helf uns z’sammen ins ewige Leben. Offenbar habe ich das Fernweh, die ungebrochene Reiselust und meinen unsteten Lebenswandel von dieser Familie geerbt! Ich versuche, in Makassar Spuren zu finden – vergeblich. Selbst in zwei Museen ist nichts zu entdecken. Was soll’s, ich gebe mich dem Hochgefühl hin, hier an diesem für mich bedeutsamen Ort zu sein. Abends sitze ich im Kareba-Musicafé beim Losari Beach Hotel, höre Musik und mache ab und zu ein Tänzchen mit einer lokalen Schönen. Mit Garuda Airlines fliege ich nach ein paar Tagen wieder zurück nach Denpasar. Im Mata Hari Shopping Center mache ich die Bekanntschaft Windas. Sie arbeitet dort als Verkäuferin und kommt aus Java. Für eine Schicht pro Tag und viermal in der Woche erhält sie ganze 200 000 Rupiahs oder zwanzig US-Dollar 32 Ein Brief an den Flugkapitän 33 pro Monat. «Gehen wir mal aus?» schlage ich vor. «You give me tip, I go with you, ok?» antwortet sie ziemlich schnippisch. «We have monetary crisis in Indonesia, me bankrupt.» Wer kann es ihr verübeln, dass sie etwas dazuverdienen will, zumal sie eine kleine Tochter hat. Für «Massage Komplet» kann sie 80 bis 100 000 Rupien in einer Stunde verdienen. Ich treffe sie in Sanur bei den Gang Indah No 21 Bungalows. Natürlich darf ich an einer Klassenzusammenkunft meines Schuljahrganges 1939 in Stein am Rhein nicht fehlen. Kurzentschlossen fliege ich in die Schweiz. Ich bin zwar 1938 geboren, wurde aber als nicht schulfähig ein Jahr zurückgestellt. So geniesse ich eine Woche im heimatlichen Studio in Hemishofen. Es läuft viel. Wir zügeln meine Mutter ins Altersheim von Stein am Rhein, wo sie ein schönes Zimmer mit eigenen Möbeln bezieht. Ich treffe meine Söhne, schwimme im Rhein und segle unseren Ahab mit den neuen Segeln in Steckborn. Auch besuche ich Susi in Zürich, die mich längere Zeit in Neuseeland und Australien begleitet hat. Als Konditorin gehört sie zu den Frühaufstehern. So auch am 3. September 1998. Schon früh scheppert Radio-24-Musik aus ihrem Radiowecker. Plötzlich wird die Sendung unterbrochen: «Swissair MD-11 SR111 auf dem Flug von New York nach Genf bei Halifax abgestürzt!» meldet der Sprecher. Ich bin sprachlos und geschockt. Diesen Flugzeugtyp habe ich während meiner letzten vier Jahre als Swissair-Captain geflogen. Mich treibt es mit allen Kräften nach Kloten. Vielleicht ist dort mehr zu erfahren. Blödsinnigerweise geht mir das Gedicht F.W. Bernsteins im Kopf herum: Äusserst merkwürdige Geschöpfe lauern auf der Landebahn, haben windschlüpfrige Köpfe, Flieger sind’s mit Flügeln dran. Mancher Flug damit getätigt, führt zu unverhofftem Sturz. Flugzeug ist dann sehr beschädigt und der Flug war oft sehr kurz! Am Flughafen ist nichts zu erfahren, erst später in den 34 Fernsehnachrichten. Der verunglückte Captain, Urs «Zimi» Zimmermann, war früher einer meiner Copiloten auf DC-9 und hätte nach seiner Ankunft seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Auch unter der Kabinenbesatzung stosse ich auf Bekannte, mit denen ich schon geflogen bin. 229 Tote sind insgesamt zu beklagen, jeder Einzelne mit seiner besonderen Geschichte. Ganze Familien wurden ausgelöscht. Oberverschissen! Auf dem Flug nach Singapore und Jakarta hocke ich mit gemischten Gefühlen in einer MD-11. In Bali komme ich wieder auf andere Gedanken. Vorerst montiere ich eine neue elektrische Ankerwinsch, die ich in den USA bestellt hatte. Dann trifft meine neue Crew ein, das holländische Paar Marcelle und Marc. Sie haben sich auf meine Notiz am Anschlagbrett in der Marina gemeldet. Wir verstehen uns sofort ausgezeichnet und lachen viel zusammen. Die zwei wollen bis Batam mit mir segeln: eine halbe Fährenstunde südlich von Singapore. In den indonesischen Gewässern brauche ich eine Besatzung, denn es sind unglaublich viele Schiffe unterwegs und nachts oft nicht beleuchtet. Das erfahren wir später auch: Manchmal zählen wir bis zwanzig Schiffe in 24 Stunden und müssen rund um die Uhr einen aufmerksamen Ausguck haben. Am 14. September verlassen wir Benoa und gehen nach einem Angewöhnungstörn im geschäftigen und geräuschvollen Fährhafen in der Padang Bay eine Nacht vor Anker. Am Morgen setzen wir die Segel, um die 450 Meilen entfernte Insel Kalimantan (Borneo) anzulaufen. Es ist sonnig und heiss mit einem südöstlichen Wind von 10 bis 15 Knoten. In der Nähe der Stadt Kumai befindet sich ein Orang-Utan-Habitat. Das wollen wir unbedingt besuchen. Unterwegs machen wir einen Stopp bei der Insel Mamburit in der Kangean-Gruppe. Dort umringen uns sofort Kanus mit Fischern. Alle wollen an Bord kommen. Staunend werfen sie einen Blick durchs Fernglas und möchten Geschenke. Wir geben her, was wir entbehren können. Als Gegengeschenke bekommen wir einen frisch gefangenen Fisch und Kokosnüsse. Abends, beim Besuch im 35 Dorf, umzingeln uns unzählige Kinder. «Hey mister, how are you?» begrüssen sie uns. Die Bucht von Kumai erreichen wir nachts um 22:00 Uhr. Weil es ungünstig ist, dem Fluss mit nur 4 bis 5 Meter Wasser unter dem Kiel zu folgen, gehen wir in der riesigen Bucht kurz entschlossen vor Anker. Neben dem Ankerlicht lassen wir auch das Motorenlicht am Mast brennen. Wir wollen für die Fischer sichtbar bleiben. Am GPS setze ich 0,1 NM Toleranz im Ankeralarm. Dieser weckt uns zweimal in dieser Nacht. Der Anker hält im Schlick nicht richtig. Wir stecken mehr Kette, und ich erhöhe die Toleranz auf 0,3 NM, dann haben wir Ruhe. Als wir am Morgen aufwachen, ist kein Land zu sehen. Es sind noch 40 Meilen bis Kumai. Gegenüber der Stadt, vor der unzähJien, unser Guide lige Frachtsegelschiffe liegen, lassen wir den Anker in den Schlick fallen. Sofort taucht ein junger Mann auf und bietet sich als Guide für den Tanjung-Nationalpark an. Er nennt sich Jien und will uns mit seinem Speedboot in einer Stunde zu den Orang Utans bringen. Das tönt gut. Das Affentheater beginnt am nächsten Morgen. Mit Passkopien bewaffnet, müssen wir im 15 Kilometer entfernten Pangkalanbun die Besuchsgenehmigung holen. Ein junger Polizist füllt im Spechtsystem auf einer altersschwachen Schreibmaschine genüsslich die nötigen Formulare aus. Diese Mühe kostet nicht einmal etwas, doch nimmt der Ordnungshüter gerne ein Trinkgeld an. In Kumai bemühen wir uns um die zweite Bewilligung beim Kantor PHPH, der Nationalparkverwaltung. Am folgenden Morgen holt uns Jien schon früh mit seinem Boot 36 und einem Onkel am Steuer ab. Das kleine Boot zischt, durch einen 40-PS-Aussenbordmotor geschoben, übers spiegelglatte Wasser. Wir folgen dem Fluss zum Camp 2 des 305 000 Hektar umfassenden Schutzgebietes. Orang Utan bedeutet übrigens Waldmensch auf Malaiisch. Diese Primaten, aus den Händen von Wilderern und Eintrittsbewilligung für den Nationalpark illegalen Händlern gerettet, werden hier wieder an das Leben in der freien Wildbahn gewöhnt. Im Camp 2 werden unsere Papiere geprüft, dann marschieren wir durch dampfenden Regenwald zur Fütterungsstelle. Die beiden Ranger stossen eigenartige Schreie aus: Essenszeit für die Menschenaffen. Wir blicken gespannt in den Wald, nachdem wir eine kleine Lichtung erreicht haben. Kaum Tom nähert sich sind Bananen und mit Wasser verdünnte Milch bereit, schwingen sich hoch in den Bäumen die Tiere zum Futterplatz heran. «Es kommen nur die Tiere, die auch kommen wollen», erklärt Jien. «Möchten sie abwechslungsreichere Kost, so müssen sie selbst dafür sorgen.» Es 37 ist das Ziel, die Orang Utan zur Selbständigigkeit vorzubereiten. Das Schauspiel ist einzigartig. Sieben oder acht Tiere sind gekommen und tun sich an den Bananen und am Milchwasser gütlich, dann taucht noch eine Mutter auf und geniesst ganz offensichtlich ihren Auftritt. Ihr Junges krallt sich krampfhaft in ihren langen, rotbraunen Haaren fest und versucht, auch etwas von den Bananen zu kriegen. Die grössten Exemplare sind etwa ein Meter fünfzig gross. Kaum haben sie alles aufgefressen, verschwinden sie wieder lautlos im Regenwald. An unserem nächsten Ziel, im Camp Lecky, finden wir nur einige kleine Äffchen hoch in den Baumkronen. Sie hangeln sich von Ast zu Ast und tollen herum. Unten am Bootssteg machen wir uns zum Baden im sauberen Wasser bereit und essen unseren Lunch. Ohne beLetzte Einkäufe in Kumai sondere Ankündigung taucht Tom auf, ein ansehnlicher und zutraulich scheinender Orang Utan. Plötzlich macht er einen Sprung auf den Steg und schnappt Jiens Seife. Er hockt in die Nähe nieder, seift seine Arme ein und steckt sie nach Gebrauch kurzerhand in seinen Mund. Dann nähert sich bedächtig Princess dem Steg, eine Mutter mit ihrem Jungen. Auf der unteren Plattform angekommen, schwingt sie sich ins Wasser und nimmt ein Bad. Wir sind entzückt. Über eine Stunde unterhalten uns die gutmütigen Tiere mit allerlei Schabernack. Am nächsten Morgen kaufen wir auf dem farbenfrohen Markt ein. Trotz Fliegen, die über das Fleisch kriechen, erstehen wir ein halbes Kilo Rindfleisch und ein gerupftes Huhn, das die Verkäuferin vor unseren Augen ausnimmt und in mundgerechte Teile zerhackt. Kühlschränke gibt es hier keine. Die Fahrt in der Javasee und an der Insel Belitung vorbei zur 660 Meilen entfernten Insel 38 Batam ist langweilig. Wetter, Wind und Strömungen sind wechselhaft, die Tiefe beträgt kaum mehr als 30 Meter. Mit meiner jungen Crew habe ich Glück. Marcelle und Marc sind Segler und haben schon Boote in Holland oder am Mittelmeer gechartert. Sie machen eine einjährige Weltreise und lieben es auch förmlich, wieder einmal zusammen zu kochen. Am 27. September, einem Sonntag, habe ich Wache von 04:00 bis 07:00 Uhr. Ich backe ein Brot aus Schweizer Mehl. Kaum ist der Himmel klar geworden, stelle ich einen Riss im oberen Drittel der Genua fest. Das muss wohl nachts in einer Gewitterböe passiert sein. Wir werden die Genua austauschen müssen. Kein Hauch weht, ich starte den Motor, aber es kommt kaum Kühlwasser aus dem Auspuff. Der Fall ist klar: Der Impeller in der Kühlwasserpumpe, die Seewasser ansaugt, ist futsch. Von Sonntagsruhe also keine Spur. Ich mache mich daran, den defekten Teil zu wechseln. Trotz der in Neuseeland hinter der Türe der Steuerbordkoje angebrachten Serviceöffnung erfordert es Geschick und einige Verrenkungen, um an das Pumpengehäuse heranzukommen. Nach einer Stunde ist es geschafft. Fröhlich sprudelt wieder Wasser aus dem Rohr. Zusammen mit Marc setze ich dann die Ersatzgenua. Um doch noch etwas Sonntagsstimmung aufkommen zu lassen, machen wir einen Badehalt und tummeln uns im lauwarmen Meer. Marc stellt durch die Taucherbrille fest, dass in der Nähe des Kiels ein ansehnlicher Black Kingfish seine Position hält, auch wenn wir uns ihm nähern. Heiratsantrag auf dem Äquator 39 Am 28. September um 16:25 Uhr zeigt unser GPS einen Breitengrad von 00° 00.000. Wir passieren den Äquator von Süd nach Nord, ein guter Grund zum Feiern. Wir springen ins Meer, worauf ich einen rührenden Akt erlebe. Über dem Äquator schwimmend, fragt Marc seine Marcelle: «Willst du meine Frau werden?» Sie umarmen sich und gehen beinahe unter. «Natürlich werde ich dich heiraten!» entgegnet die Liebste nach viel Gespritze. In Ermangelung von Champagner trinken wir Tequila, so, wie es sich gehört: mit Zitrone den Handrücken befeuchten, Salz drauf streuen, abschlecken und mit Tequila spülen. Wir wiederholen das, bis unsere Köpfe voll und die Flasche leer ist. Ich werde zum Kochen verknurrt, taumle in der ganzen Galley herum und brauche entsetzlich lange, bis mein Pilzrisotto fertig ist. Sozusagen als Verlobungsgeschenk übernehme ich die Hundewache. Radio Schweiz International meldet, dass Gerhard Schröder die Wahl zum Bundeskanzler in Deutschland gewonnen hat. Das Timing ist perfekt. Im Morgengrauen des sechsten Tages erreichen wir den Schifffahrtsweg östlich der Insel Batam. Singapore ist im Morgendunst schwach auszumachen. Noch sind es 35 Meilen bis zur Teekay Marina, die in einer Bucht bei der Waterfront City liegt. Gegen Abend erreichen wir den Steg. Manager Jim weist uns einen Platz im schwach besetzten Hafen zu. Weshalb diese Flaute? «Folgen der Krise in Indonesien», erklärt Jim trocken. «Sogar die Singapori, denen es noch gut geht, sind sparsam geworden.» Er präsentiert uns stolz seinen drei Wochen alten Sohn Jason. Mit nicht geringerem Stolz stellt seine junge indonesische Frau Alia fest, dass er mit 4,5 Kilo das schwerste Neugeborene im Spital gewesen sei. Für den bald 64jährigen Jim ist es das sechste Kind und Alia seine dritte Frau. Na ja, sie machen einen glücklichen Eindruck. «Nirgendwo auf der Welt sind Seeräuber so gefährlich wie in den Gewässern zwischen den Philippinen, Indonesien und Thailand. 20 von 34 Piratenangriffen, die in den ersten drei 40 Monaten dieses Jahres (1996) weltweit gemeldet wurden, ereigneten sich in Südostasien. Aus den Philippinen wurden zwischen Januar und März allein zehn Attacken gemeldet, acht aus Indonesien. Als besonders gefährlich gelten alle indonesischen Häfen, das Gebiet um Manila, sowie die Bucht von Bangkok.» Diese nicht gerade beruhigende Nachricht las meine Mutter in den Schaffhauser Nachrichten. «Otti, pass uf!» ermahnte sie mich besorgt. Wie recht sie hat. Ich spreche Alia auf das Seeräuberproblem in Indonesien an. Sie gibt mir gute Ratschläge: «Mister Otto, wenn sie kommen, dann müssen Sie freundlich bleiben. Sie haben 41 höchstens Messer und keine Pistolen. Sie wollen vielleicht etwas Geld oder Bier und gehen dann wieder!» Zum Glück haben wir Batam ohne Probleme erreicht. Die Teekay Marina liegt eine halbe Fährenstunde von Singapore entfernt, und das Pier ist in nur zehn Minuten zu Fuss erreichbar. Die Waterfront City ist ein zu Zeiten der Hochkonjunktur erstellter Komplex mit Hotel, Klubhaus, Wasserskilift, Bungy-jumping, Affenshow, Restaurants und als Höhepunkt Indoorskifahren auf echtem Schnee, nebst einem Winter-Themenpark. Ich reibe mir die Augen. Auch am Wochenende sind kaum Touristen anzutreffen, obwohl hier alles viel billiger ist als in Singapore. Nagoya, das seinen Namen während der japanischen Besetzung im Zweiten Weltkrieg erhalten und beibehalten hat, ist die grösste Stadt Batams. Hier läuft einiges. Schon zur Mittagszeit quellen die Restaurants und Fressbuden fast über. Nagoya scheint auch das Sündenbabel Singapores zu sein. In den Massagesalons ist schon morgens lebhafter Betrieb. Es geht locker zu und her. Die Frauen wirken viel natürlicher als etwa in Thailand und sind kaum geschminkt. Im «Queens» sind über 100 Mädchen eingeschrieben. Das Lokal ist rund um die Uhr geöffnet. Die Frauen können auch monatsweise «geleast» werden. Verrückt, und das in einem modernen Muslimstaat! Die jungen Frauen tun mir Leid, aber sie müssen überleben und dort ein Geschäft machen, wo eines zu machen ist. Ein Singapore-Chinese verrät mir lächelnd, er verbringe jedes Wochenende im Hotel Nagoya Plasa und besorge sich hier eine Frau für die Nacht. In Singapore besuche ich Vreni und Franz Jeker. Franz, ein begeisterter Pilot, fliegt nach seiner Zwangspensionierung bei der Swissair im Alter von 55 Jahren jetzt bei Singapore Airline als Airbus-Captain. «Wir arbeiten sehr streng», erklärt er. «Das hat auch damit zu tun, dass der Changi Airport keine Nachtflugsperre kennt, was es ermöglicht, nahtlose Einsätze zu planen.» Die Jekers laden mich zum Nachtessen in den luxuriösen Schweizerklub ein: zu einem bayrischen Oktoberfestabend mit Weisswürstel, Sauer- 42 kraut und Weissbier. Mich hält es kaum 24 Stunden in Singapore. Ich kenne diese Stadt, auch ihre rigiden Gesetze. So ist der Verkauf von Kaugummi verboten. Das Überqueren der Strasse neben dem Fussgängerstreifen kann 50 Singapore-Dollar oder etwa 40 Franken kosten. Wer Abfall wegwirft, riskiert eine Busse von bis zu 500 Dollar. Die Hotels sind sehr teuer, ansonsten ist Singapore – davon zeugen die riesigen Shopping Malls – noch immer ein Einkaufsparadies. Die Stadt hat auch einen der schönsten Zoos Südostasiens, gleich neben einem üppigen botanischen Garten. Nach dem Einkaufen einiger lang entbehrter Nahrungsmittel wie Käse, Wurst und frischem Fleisch besteige ich die Schnellfähre zurück nach Batam, wo ich mich viel wohler fühle. Am nächsten Morgen verabschieden sich Marcelle und Marc. Vreni und Franz Jeker sind an der «Hasta Mañana» interessiert und bringen bei einem Besuch überraschend Röbi Möhl mit, auch er ein ehemaliger SwissairPilot, der hier Jumbos des Typs Boeing 747-400 fliegt. Insgesamt arbeiten fünf ehemalige Kollegen bei Singapore Airlines. Wir verleben einen kurzweiligen Nachmittag und beschliessen den Tag mit einem Nachtessen im nahen Hotel. Mein Cruising Permit für Indonesien läuft in zwei Wochen ab. So bleibt mir nichts anderes, als mich an die Vorbereitungen für die Weiterreise entlang der schönen Westküste Malaysias zu machen. Obwohl die politische Lage in Indonesien alles andere als stabil ist und trotz der erdrückenden Wirtschaftsprobleme hat mich die Freundlichkeit der indonesischen Einwohner äusserst beeindruckt. Was erwartet mich in Malaysia? Es steht gerade in den Schlagzeilen. Der Premier, Dr. Mahathir Mohamad, hat seinen Stellvertreter, Anwar Ibrahim, entlassen und kurzerhand wegen Korruption und unnatürlichem Sex ins Gefängnis gesteckt. Wo ich gegen Ende Jahr vor Anker gehen werde, ist mir noch nicht ganz klar. Es ist auch diese Ungewissheit oder Freiheit, die ich an meinem Seglerleben liebe. Gerade jetzt beginnt die Segelsaison in Phuket. Bis dort sind es nur noch 600 nautische Meilen. 43 «Hier ist Otti in seinem Element: in seinem mobilen Heim, das ihm jederzeit erlaubt, die Anker zu lichten, wenn ihm darnach ist. Otti, der Weltbürger, der inzwischen überall zu Hause ist, aber trotzdem alles weiss, was in der Schweiz passiert. Dem es auch nicht gleichgültig ist, was in seiner Familie und in seinem Freundeskreis vor sich geht. Ein erdverhafteter Seefahrer, ein seefahrender Zigeuner!» 44 Von Seer ubern verschont Batam Malakka Pangkor Penang Langkawi Phuket Oktober 1998. Jim ist gestresst. Letzte Nacht löste sich seine Marina während eines «Sumatra» genannten lokalen Sturms mit bis zu 60 Knoten(!) Windstärke teilweise in ihre Bestandteile auf. Ein Ponton machte sich selbständig, und die bewegliche Treppe, die an Land führte, wurde mitsamt der Strom- und Wasserzufuhr losgerissen. Zum Glück lag ich mit meinem Boot am Hauptponton, der unversehrt blieb! Seit zwei Tagen weiss ich, dass ich nach Thailand segeln werde. Andy, der Manager der Marina des «Yacht Haven Phuket» hat mir einen freundlichen Fax gesandt, mich willkommen geheissen und mir einen 12-Meter-Platz reserviert. Als ich gegen Abend ablege, habe ich zwar keine Crew mehr, jedoch einen ungebetenen blinden Passagier an Bord: eine Ratte! Eine Banane zeigt die Fressspuren meines Eindringlings. Hoffentlich frisst er die Elektroverkabelung nicht an. Ich will den Störenfried mit einer in Nagoya gekauften Falle erwischen und «lade» sie mit Ob ich die Ratte erwische? einem Käseköder. Vorerst gehe ich bei der schwimmenden Tankstelle vor Sekupang Diesel kaufen. Die zehn Männer dort lieben mein Bier und das Trinkgeld für ihre Bemühungen. Der Treibstoff ist hier unglaublich günstig. Ich bezahle nur 700 Rupien oder zehn Schweizerrappen pro Liter. 9. 45 In meinem Tank verschwinden 247 Liter. Die Nacht verbringe ich in der Nähe vor Anker. Ob die Ratte wohl meinen Käse liebt? Um 05:30 Uhr rattert der Wecker. Gespannt stehe ich auf. Tatsächlich: Eine voll ausgewachsene Ratte saust in der Falle nervös hin und her! Nach einem Fototermin setze ich sie aus. Mit emporgerecktem Kopf schwimmt sie instinktiv in Richtung Land davon. In der Strasse von Malakka bin ich laufend gezwungen, Schiffen auszuweichen. Für mich erstaunlich ist, dass lokale Fischer in ihren kleinen Booten sogar mitten im Schifffahrtskanal ihr Glück versuchen. Ihnen scheinen die Ungetüme nichts auszumachen. Mit einem Rückenstrom von 1 bis 2 Knoten komme ich gut voran, obwohl kaum ein Lüftchen weht. Es ist sonnig, und die Hochhäuser Singapores glänzen im Morgenlicht. Seit längerem bin ich wieder einmal als Einhandsegler unterwegs und geniesse es, nur für mich alleine sorgen zu müssen. Hinter der Insel Pisang auf der malaysischen Seite finde ich gegen Abend einen geschützten Ankerplatz. In der Nähe liegende Fischer winken herüber. Das scheinen keine Piraten zu sein! Das Knattern eines Fischerbootes weckt mich am nächsten Morgen früh um 03:00 Uhr. Auch gut, denn heute möchte ich das 65 Meilen entfernte Inselchen Besar erreichen. Backbord ist die lange Lichterkette von zehn Frachtern zu erkennen. Einmal mehr ist mein Radar eine wichtige Hilfe. Schon am Nachmittag gehe ich in der Nähe des Resort-Anlegers in Besar vor Anker. Vor dem Einschlafen lade ich meine Falle nochmals, es könnte ja noch eine zweite Ratte bei mir wohnen. Tatsächlich – zum Verrücktwerden! – fange ich einen weiteren blinden Passagier. In Besar treffe ich Susi und Gianni mit ihrer «Isola». Ich hatte dieses Paar aus dem Puschlav im vergangenen Frühling in Cairns kennen gelernt. Wir erledigen das Einklarieren in Malakka zusammen. Zwei Schweizer Schiffe und drei Schweizer Pässe sind etwas viel für die Beamten. Es geht aber viel lockerer zu als in Indonesien, denn alle sprechen auch englisch. Malakka Stadt entpuppt sich als wirklich sehenswert. In der Altstadt sind Zeugen der portugiesischen und holländischen 46 Kolonialzeit zu bestaunen: Stadthuys und Christ Church, nebst mehreren Museen. Frauen mit Tschador flanieren auf den Strassen. Hier gibt es wieder dreirädrige Fahrradrikschas. Den Nachmittag verbringe ich in den Parks und frage dort – wohl vom Teufel geritten – auch eine schön gekleidete Frau mit Tschador, ob ich sie ablichten dürfe. Zu meinem grossen Erstaunen sagt sie lächelnd zu und ist sichtlich stolz, dass ich sie im Bild festhalten will. Ich verspreche, ihr das Foto zu senden, worauf sie mir ohne zu zögern ihre Adresse aufschreibt. Darauf setzen wir uns noch ein Weilchen auf eine Bank. Offensichtlich sind hier die muslimischen Bräuche nicht so streng wie anderswo. In einem arabischen Land hätte ich nach einer solchen Annäherung wohl um mein Leben bangen müssen! Port Klang, Kuala Lumpurs dreckigen Hafen, lasse ich an Steuerbord liegen, obwohl der Selangor Yacht Club als gastfreundlich gilt. Ich verspüre auch keine Lust, die Hauptstadt Malaysias zu besuchen. Dort stehen die Petronas Sie lässt sich gerne im Bild Twin Towers, die höchsten Gebäude der festhalten Welt. Sie sind sieben Meter höher als das Sears-Gebäude in Chicago. Premier Mahatir Mohamad setzt alles daran, aus dem einstigen Agrarland einen Industriestaat zu bauen. Um Port Klang zu «umschiffen», werde ich eine Nacht durchsegeln müssen. Des starken Schiffsverkehrs wegen halte ich mich nördlich der «One fathom bank». Hier treffe ich jedoch auf unzählige schlecht beleuchtete Fischerboote. Während der ganzen Nacht halte ich Ausguck und weiche mehre- 47 ren Schiffen aus. Gegen Morgen verdunkelt sich der Himmel, und die Windstärke nimmt zu. Ich muss nicht reffen, denn schon während der Nacht hatte ich die Segel bei zehn Knoten Wind genau auf die Nase geborgen. Plötzlich verstärkt sich der Wind auf 50 Knoten: schwerer Sturm! Ich werde ordentlich durchgeschüttelt. Es beginnt stark zu schütten, und grelle Blitze erhellen die Nacht, gefolgt von ohrenbetäubenden Donnerschlägen. Das muss das «Sumatra» genannte Phänomen sein! Diese in Sumatra entstehenden Unwetter driften ostwärts über die Malakkastrasse und dauern in der Regel nur etwa eine Stunde. Ein Grund zur Sorge? Mir ist es schon etwas unheimlich zumute. Immerhin kann ich, nachdem ich die Regenechos auf dem Radar unterdrückt habe, wenigstens die mich passierenden Schiffe ausmachen. Eins ist mir einmal mehr klar: Ohne Radarausrüstung würde ich mich nie aufs Meer wagen! Nach etwa eineinhalb Stunden ist der Spuk vorbei. Ich atme auf. Kaum lässt der Stress nach, macht sich bei mir bleierne Müdigkeit bemerkbar. Der neue Tag bricht an, und nachdem ich die engste Stelle der Strasse von Malakka hinter mir gelassen habe, starte ich den Motor und schalte den Autopiloten ein. Den Radar programmiere ich auf «Watchmode». Es freut mich jedes Mal, wenn das auf dem grünlich leuchtenden Schirm angezeigt wird. Dann lege ich mich schlafen. Am Nachmittag finde ich einen romantischen Ankerplatz bei der Insel Rumbia auf Position N 01° 01,7’/E 100° 33,2’. Als ich um 03:00 Uhr aufstehe, weiss ich noch nicht, dass ich einen Frusttag vor mir habe. Ich möchte heute die Insel Penang erreichen, die etwa 75 Meilen entfernt liegt. Deshalb bin ich so früh unterwegs. Schon bald stecke ich motorsegelnderweise mitten in der Schifffahrtslinie, die quer zu meinem Kurs zum Hafen Lumut verläuft. Trotz Radar erfordert es meine ganze Aufmerksamkeit, um den dunklen und bedrohlich wirkenden Booten auszuweichen. Dann erwischt es mich. Ratsch! Mit einem ekelhaften Geräusch bricht die Drehzahl meines Motors zusammen. Ich weiss sofort, dass ich mit dem Propeller Treibgut 48 erwischt haben muss, stelle den Motor ab und rolle die Genua aus. Die Nerven werden arg strapaziert, bis die Schifffahrtslinie passiert ist und es endlich Tag wird. Mit 15 Knoten Wind mache ich immerhin 5 Knoten Fahrt – vielleicht schaffe ich es doch noch bis Penang. Nach dem Frühstück bin ich erst einmal müde und lege mich schlafen. Dann durchquere ich mit meinem Boot eine Menge Treibgut mit Bambusstangen und Plastikabfällen. He, was schwimmt da vor mir! Auf den Wellen tanzen drei zusammengebundene Fender. Ich versuche auszuweichen. Zu spät. Kaum zu glauben, ich hänge an einer Leine, die zu einem Treibnetz gehört. Meine Geschwindigkeit reduziert sich auf Null. Ich berge die Segel. Was nun? Schliesslich mache ich mich daran, die Lage unter Wasser zu beurteilen. Ein Stück Plastik und die Leine sind um den Propeller gewickelt. Ein Tauchversuch, um den Schlamassel abzulösen, schlägt fehl. Ich riskiere, von meinem wild in der Dünung stampfenden Boot einen Schlag auf den Kopf zu bekommen. Mit einem Messer kappe ich kurzerhand die bläulich im Wasser schimmernde Leine. Endlich bin ich wieder frei. Zum Glück sind keine Fischer in der Nähe! Ich setze die Segel, und es geht weiter, aber nicht Richtung Penang, sondern zurück zur Insel Pangkor, die etwas über 20 Meilen entfernt ist. Erst gegen 20 Uhr, es ist schon eine Stunde dunkel, erreiche ich die Belangabucht und gehe vor Anker. Das Frühaufstehen und die ganze Übung waren für die Katze. Ich hätte diesen Ankerplatz in etwa zwei Stunden erreichen können, stattdessen war ich geschlagene 17 Stunden unterwegs. Was soll’s, es geht nicht immer so, wie man will. Malaysia scheint mir kein Glück zu bringen. Dieses Land besteht aus West- und Ostmalaysia im nördlichen Teil der gewaltigen Insel Kalimantan mit den Provinzen Sarawak und Sabah. Malaysia teilt die auch als Borneo bekannte Insel mit Indonesien und dem Sultanat Brunei. Von den 20 Millionen Malaysiern leben 14 im westlichen Teil auf der malaiischen Halbinsel. Neben den Malaien bilden die Chinesen und Inder die grössten Bevölkerungsgruppen. In diesem überwiegend muslimi- 73 schen Land gehört zur Schuluniform der Mädchen auch der Tschador, der sogar beim Sport getragen wird. Am nächsten Morgen montiere ich nach dem Ausschlafen meine Taucherausrüstung. Ich habe zwar keinen Kompressor, aber immer eine gefüllte Flasche bei mir, um eben für solche Notfälle gewappnet zu sein. Mit einem Messer bewaffnet gehe ich auf Tauchstation. Geduldiges Schnipseln und Zerren befreien den Propeller vom eingefangenen Unrat. Ohne Taucherausrüstung wäre ich aufgeschmissen gewesen. Ich habe sie erst vor einem halben Jahr in Cairns gekauft. Den Rest des Tages geniesse ich im nahen Resort und fühle mich wie ein Badetourist. Dort treffe ich auch Peter Köppels Familie mit Sylvia, Tochter Nil und Sohn Lee. Am Morgen segelte der Rheintaler mit einem Katamaran an mir vorbei und rief: «Hallo, bist du Schweizer?» Wir haben ein angeregtes Gespräch und trinken ein paar Bier zusammen. Auf der Weiterfahrt darf meine Konzentration weiterhin nicht nachlassen. Während der ganzen Nacht passieren unglaublich viele Fischerboote, doch die grossen Frachter lassen mich links liegen. Ich segle ziemlich unter Land auf zehn Metern Wassertiefe. Es wird eine lange Nacht. Kurz vor Tagesanbruch bricht erneut ein Gewitter herein, und die Regenschauer wollen nicht mehr aufhören. Die Brücke, welche die Insel Penang mit dem Festland verbindet, ist 22 Meter hoch und kann problemlos unterfahren werden. An und für sich wäre dafür eine schriftliche Bewilligung nötig, aber es ist besser, erst gar nicht zu fragen. Kurz nach der Brücke erwische ich wieder ein Treibnetz, das komischerweise mitten im Fahrwasser liegt. Zwei Fischer kommen mit ihrem Boot heran. Erneut muss ich tauchen, diesmal mit Schnorchel und Flossen, um meinen Propeller wieder frei zu bekommen. Ich spende den beiden Fischern ein Bier, worauf sie lachend von dannen sausen. Kaum eine Viertelstunde später hänge ich in der zwei Knoten starken Strömung vor Georgetown am Anker und genehmige mir ein Bier, bevor ich etwas Schlaf nachhole. Acht Yachten sind hier, und unglaublich viel Unrat treibt vorbei. Das Wassertaxi funktio- 74 niert bestens. Kaum habe ich mich mit dem Schiffshorn bemerkbar gemacht, legt ein Sampan an meinem Boot an und bringt mich an Land und später zurück. Georgetown gefällt mir sofort. So muss Singapore vor einem halben Jahrhundert ausgesehen haben. In Chinatown sieht man gut, wie die Chinesen leben. Vorne im Haus liegt das Geschäft, ein Laden, eine Werkstatt oder was auch immer. Dahinter fügt sich der Wohnbereich an. Es hat keine Vorhänge, so sieht man in die gute Stube. Nebst dem Fernseher fehlt auch nirgends der kleine Schrein, auf dem Tag und Nacht Räucherstäbchen glühen und einen süsslichen Duft verbreiten. In Georgetown herrscht ein quirliges multikulturelles Nebeneinander. Verschleierte Frauen neben leicht bekleideten Touristen: Alle profitieren von den günstigen Einkaufsmöglichkeiten im Komptar-Shopping-Center. Fünfmal am Tag rufen die Muezzine aus den Moscheen zum Gebet. Daneben buddhistische Tempel und reich verzierte Gebetshäuser der Hindus. Hier scheint alles friedlich nebeneinander koexistieren zu können. Am 23. Oktober bekomme ich Besuch. Bernie Elsener, Mitglied der Starbootflotte Bodensee, legt per Sampan an. Er ist eine letzte Woche hier, bevor er für seine deutsche Firma Schottglas von Penang nach Belgien zieht. Noch 1989 segelte er an der Vorschot von Mit Bernie beim Tiger-Bier Cyrill Dvorak an der StarWeltmeisterschaft in Porto Cervo auf der Insel Sardinien. Cyrill schrie ihn an: «Du hast das Backstag falsch bedient, sonst wäre der Mast nicht von oben gekommen!» Wir halten uns die Bäuche vor Lachen, als wir an die verflossenen Zeiten zurückdenken. Bernie entgegnete da- 75 mals: «Ja, aber deine Backstagklemmen waren schlecht, das wusstest du!» Es ist nicht ganz einfach, Cyrills Crew zu sein, er ist jedoch ein guter Steuermann und ausgezeichneter Regattasegler. Neuerdings fliegt er in seiner Freizeit einen von der Flugwaffe ausgemusterten Vampire. Nach einigen Tagen unbeschwerten Flanierens und nach dem Aufstocken der Bordvorräte mache ich mich auf, um das 55 Meilen entfernte Langkawi, die Insel der Adler, zu erreichen. Die Langkawi-Gruppe umfasst über hundert Inseln und liegt knapp südlich der thailändischen Grenze. Ich steure die Insel Rebak an, auf der die gleichnamige Marina etwas versteckt liegt. Peter Kägi aus Turbenthal nimmt meine Leinen in Empfang. Obwohl ich grundsätzlich nie mit Seglern einen Treff- Phuket: Eine Rechnung über 300 Baht 76 punkt ausmache, begegnen wir uns nun schon sage und schreibe zum neunten Mal, seit wir uns in Las Palmas vor dem ARC 94 zum ersten Mal trafen. Peter ist etwas über dreissig und segelt mit seiner aus Südafrika stammenden Partnerin Jenny an Bord der «Blue Shadow». Der Eigner, Christian, ist auch an Bord. Sie kamen vor einer Woche – nach einem Stopp in Cocoskeeling – direkt von der westaustralischen Küste an und sind hier daran, ihr Boot umzubauen und wohnlicher zu gestalten. Unser Begrüssungstrunk artet in eine Sauferei aus. Peter fragt mich, ob er mit mir nach Phuket in Thailand segeln dürfe. Er wolle vor Ort die Möglichkeiten für ein Auswassern der «Blue Shadow» abklären. Das freut mich, denn mit ihm als Begleiter kann ich die restlichen 120 Meilen in 24 Stunden abspulen. Peters «Paros», eine 31-Fuss-Wibo II, mit der er von Europa bis nach Australien segelte, steht in Brisbane zum Verkauf. Was doch die Liebe alles bewirken kann! Peter vertraut mir auch an, dass seine Partnerin schwanger sei. Am 27. Oktober 1998 verlassen wir den Hafen um zwei Uhr nachmittags. Ich bin froh, dass ich abhauen kann. Letzten Abend brachte ich es fertig, meine Geldbörse zu verlieren. Viel blöder als der Geldverlust ist, dass auch meine Kreditkarte weg ist. Vorsichtshalber lasse ich die Karte bei der Credit Suisse sofort sperren. Ich rufe die Help-Nummer an. Eine Dame versichert mir, dass mir eine Ersatzkarte nach Phuket geschickt werde. Zum Glück habe ich noch genügend Geld an Bord. Die Reise wird zu einem Vergnügen. Als wir noch einen Mahi Mahi an der Angel haben, ist unser Glück vollkommen. Peter produziert damit ein exzellentes Fischgericht. Vor Ao Chalong, im Süden Phukets, schnappen wir uns eine Boje und machen uns zum Einklarieren bereit. Ich bin froh Phuket, erreicht zu haben. Die drei Beamten sitzen in einem Büro beim «Lighthouse»-Restaurant an einem langen Tisch. Sie sind sehr freundlich. Wieder einmal sind etliche Formulare auszufüllen. Von der seit 1998 erhobenen «Eintrittsgebühr» von 120 US-Dollars, um die Gewässer um Phuket befahren zu können, 77 ist nach lautstarken Protesten der Seglergilde nicht mehr die Rede. Ganze 610 Baht muss ich berappen, das sind etwas über zwanzig Franken. Als Skipper bekomme ich nur ein Einmonatsvisum. Mein Boot darf jedoch maximal sechs Monate in Thailand bleiben. Falls ich das Land verlassen will, wird ein «Bond» fällig: eine Sicherheit von 20 000 Baht. Das heisst, fünfhundert Dollar sind bei einer Bank zu hinterlegen. Damit wollen die Thai sicherstellen, dass ich wieder komme und mein Boot ausser Land bringe. Kaum habe ich diese aufwändige Prozedur erledigt, werde ich zum gewöhnlichen Touristen und kann das Land verlassen. Komme ich wieder, kriege ich erneut nur einen Monat Aufenthaltsbewilligung, es sei denn, ich beantrage in der Schweiz bei der thailändischen Botschaft ein Dreimonatsvisum. Als Pensionär kann ich sogar ein Jahresvisum beantragen. Mir ist unklar, warum es die Behörden den Touristen so schwer machen, in ihrem Land Geld auszugeben. Phuket ist ein ideales Segelrevier und in den letzten Jahren durch die Firma «Sunsail» auch für Chartersegler erschlossen worden. Der alljährlich anfangs Dezember stattfindende «KingsCup», gefördert von Thailands König, tat ein übriges dazu, die Gewässer um die Insel als Segelrevier bekannt zu machen. Etwas nördlich der Stadt Phuket kann ein Boot über den Slip einer Fischerbootswerft ausgewassert werden. In der «Boatslagoon» ist es teurer, aber man wird mit einem modernen Travellift bedient und hat die Vorteile einer voll ausgebauten Marina. Mit der «Hasta Mañana» segeln wir nordwärts zum «The Yacht Haven». Dort habe ich eine «Berth» für 150 Dollar pro Monat reserviert. Andy, der australische Manager, ist sehr zuvorkommend. Das muss er auch, denn die Marina ist nur halb voll. Die Firma, die neben der Marina ein Wassersportzentrum mit Häusern und Wohnungen anbieten wollte, ging schon vor einiger Zeit Konkurs. Andy haust mit zwei hilfsbereiten Sekretärinnen in einem kleinen Bürocontainer. An Land hat es in der Nähe ein Yachtclub-Restaurant. Die Strasse hinunter zum Hafen rutschte ab. Der übrig gebliebene 78 Rest reicht nur noch, um mit einem Motorrad durchzukommen. Hier liegt man eine Autofahrstunde nördlich der Stadt Phuket, jedoch nur zehn Minuten vom internationalen Flughafen entfernt. Peter fährt mit dem Bus nach Satun und kehrt von dort mit der Fähre nach Langkawi zurück. Ich bin überglücklich, hier in Thailand zu sein, im Land des Lächelns. Ich liebe auch die sanften, hübschen und mandeläugigen Frauen. Vor etwas mehr als einem halben Jahr bin ich schon einmal auf dem Hang oberhalb der neuen Marina «The Yacht Haven» gestanden. Damals fasste ich den Entschluss, hier mein Boot, das damals noch in Mooloolaba an der Ostküste Australiens lag, später einmal anzubinden. Ich fühlte mich ziemlich mies. Ich verbrachte zusammen mit meiner über achtzigjährigen Mutter zwei Wochen Badeferien im Katathani Beach Hotel. In der zweiten Woche machte sie wegen starker Magenschmerzen schlapp. Für den Hoteldoktor war der Fall klar. «Let’s bring her to the hospital!» erklärte er. Ihren Rückflug verschob ich um eine Woche, und wir zogen zusammen im Spital ein. Dort stellten die Ärzte eine linksseitige Lungenentzündung fest. Ich schlief im Zimmer meiner Mutter und konnte sie betreuen. Dazu wurde sie von unglaublich netten Krankenschwestern umsorgt. Mehr tot als lebendig hängte sie am Tropf und wurde künstlich ernährt. In Momenten der Präsenz rief sie immer wieder: «Ich will sterben!» Ihr Lebensmut war dahin. Trotzdem erholte sie sich so weit, dass sie in die Schweiz fliegen konnte. Im Rollstuhl schob ich sie zur Passkontrolle und fand eine Schweizerin, die sich während des zwölfstündigen Fluges um sie kümmern konnte. In Kloten wurde sie von meiner Schwester Dor abgeholt und sofort ins Kantonsspital Schaffhausen gebracht. Sie erholte sich nur langsam. Nach einem beruhigenden Telefongespräch mit meiner Schwester flog ich zu meinem Boot nach Australien zurück. Seither liegen jetzt weitere 10 000 Segelkilometer mit einer Unmenge neuer Erfahrungen, unzähligen Ankermanövern, mehr als 120 «abgesegelten» Karten und die Erinnerung an viele 79 freundliche Menschen in Australien, Indonesien und Malaysia hinter mir. «Otti ist ein ein bedachter und vorsichtiger Segler, der nie Rekorde aufstellen will. Einfach segelnd unterwegs zu sein in einem schwimmenden Heim: Das ist sein Leben und auch seine Philosophie. Bleiben, wo er will und solange er den Wunsch dazu verspürt. Abreisen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.» 80 Im Land des L chelns Koh Phuket Rock Nock Koh Phing Khan Railay Beach Koh Phi Phi Don Bulan Le Tarutao Langkawi ir lacht das Herz im Leibe, wenn ich daran denke, dass ich die nächsten neun Monate in dieser Gegend verbringen darf. Ich fühle mich hier pudelwohl. Thailand hat etwa die Grösse Frankreichs und um 55 Millionen Einwohner. Etwa 95 Prozent sind Buddhisten. Auf Schritt und Tritt stösst man auf kunstvoll verzierte Tempel, bei denen schon beim Eingang brennende Räucherstäbchen den unverkennbar würzigen Duft verströmen. So gehören auch orange gekleidete Mönche, die mit ihren Schälchen um Lebensmittel bitten, zum Strassenbild. Jeder Thai sollte mindestens einige Zeit als Mönch leben, um sich mit den geistigen Fragen zu beschäftigen und sich in Bescheidenheit zu üben. So will es die Tradition. Diese «Schule des einfachen Lebens» täte auch den meisten Schweizern gut. Die Thai sind sehr höfliche Menschen und begegnen einander mit dem von grossem gegenseitigem Respekt geprägten «Wai»Gruss: Sie halten die Hände vor dem Gesicht zusammen und lächeln mit nach vorne geneigtem Kopf. Grosses Ansehen geniesst König Bhumibol Adulyadei. Wenn er irgendwo mit einem Wagen auftaucht, ist selbst der infernalische Verkehr Bangkoks innert Minuten erstorben und wie vom Erdboden verschluckt. Stattdessen sind die Strassen von Menschentrauben in ehrfürchtiger Verbeugung gesäumt. Das thailändische Leben wird von drei Grundsätzen bestimmt: 1. Sanuk: Dieser Ausdruck heisst Freude. Alles, auch die Arbeit, soll Spass machen. Dass dem auch so ist, spürt man überall im Alltag. Diese Freude drückt sich auch in einer grossen Toleranz aus. Leben und leben lassen, heisst die Devise, weshalb die Thai M 81 auch einen unverkrampften Umgang mit Randgruppen wie Transvestiten, Homosexuellen oder nicht ganz braven Mädchen haben. 2. Naa (Gesicht): Die Thai – wie übrigens ein Grossteil der Ostasiaten – legen im Umgang miteinander grosse Sorgfalt darauf, das eigene Gesicht zu wahren und das des Mitmenschen nicht zu «nehmen», also zu verletzen. Zum höchsten anzustrebenden Wert im Zusammenleben mit anderen Menschen zählt die Harmonie. So werden direkte Konfrontationen um jeden Preis vermieden. Forsches Auftreten oder gar Wutausbrüche, wie wir das in unserer Kultur gewöhnt sind, sind in Asien in höchstem Masse unhöflich und in jedem Fall kontraproduktiv. 3. Phun yai – phun nawi (grosse Person, kleine Person): Die soziale Hierarchie, bestimmt durch Alter, Vermögen, Status, persönliche oder politische Macht, spielt im Zusammenleben eine grosse Rolle und wird auch im Alltag streng beachtet. Das äussert sich zum Beispiel darin, dass ältere Menschen grosse Achtung geniessen. Thailand ist also ein Land für Menschen mit Feingefühl. Für westliche Ausländer, vor allem die, welche hier leben und arbeiten, ist es natürlich nicht immer einfach, sich in diesem komplizierten Sozial- und Wertgefüge zurecht zu finden und keine Fauxpas zu begehen. Das bestätigt mir auch Bruno Frey, der aus dem Berner Mittelland stammt und in Patong eine Bar und in Ao Chalong ein kleines Restaurant betreibt und seinen Gästen Tauchfahrten oder Ausflüge mit seinem Speedboot anbietet. Auch nach Jahren in diesem Land ist es für ihn oft schwer, die Praktiken der einheimischen Geschäftsleute zu durchschauen oder gar zu verstehen. Die thailändische Sprache empfinde ich als melodisch und höre sie gerne, obwohl es Mühe bereitet, auch nur ein paar Vokabeln zu lernen, geschweige etwas schreiben. Hier ein paar Worte aus meinem Vokabular: Sawat dee (hello) – Sabai dee mai (Wie geht es?) – Sabai dee (Es geht mir gut) – nit noi (klein) – farang (Fremder) – Py nai (Wohin gehst du?) – mai (nein) – ao/chai (ja) – 82 aroi (sehr gut) – khop khum khap (Dank eines Mannes) – khop khum khaa (Dank einer Frau) – dee mak mak (sehr gut) – mai pet (nicht scharf) – wan nii (heute). Phuket liegt im Andamanmeer im Indischen Ozean. Das Klima ist tropisch, mit Temperaturen zwischen 28 und 32°C. Die Segelsaison wird stark vom Monsun bestimmt: Der Nordostmonsun bläst in der Regel von November bis April und bewirkt sonniges, trockenes Wetter. Die Regenzeit, die bessere «Nein danke – heute bin ich nicht scharf» Bezeichnung wäre tropischer Sommer, beginnt im Mai und dauert bis Oktober mit dem Auftreten des Südwestmonsuns. Es ist von Vorteil, sich in dieser Zeit östlich der Insel aufzuhalten, denn es kann schon mal zu einem Sturm mit starken Regenfällen kommen. In den meisten Fällen ist es möglich, in Kürze einen einigermassen geschützten Ankerplatz zu finden. Zum Ankern ist es selten zu tief. Nach zwei, drei Tagen beruhigt sich das Wetter meistens wieder. Wie üblich starte ich meine persönliche Segelsaison anfangs März. Mein Boot war während meiner Abwesenheit im «The Yacht Haven» unter Andys Auge gut aufgehoben. Wie Einbau des Autopilot-Displays 83 immer gibt es Arbeit, bis es wieder klar ist. Vor dem Steuerrad ersetze ich den defekten Silva-Steuerkompass durch ein neues Modell. An dessen Konsole montiere ich ein zusätzliches «Tecnautic»-Instrument, damit ich auch von diesem Ort aus den Autopiloten bedienen kann. Mir machen diese Arbeiten Spass. In Laem Phrao, dem Dörfchen neben der Marina, steht ein neues Restaurant namens «Anchor»: eines mit einer guten Küche, einer Bar und geöffnet bis Mitternacht. Wat betreibt es mit seiner Familie. Dazu betreut er noch drei ausländische Yachten. «I have many boss», meint er verschmitzt. Wat sorgt auch dafür, dass «seine» drei Yachten vor Ablauf der bewilligten sechs Monate ausser Landes und wieder zurückkommen. Ansonsten ist in Laem Phrao nicht viel los. An einem Samstag fahre ich per Sammeltaxi nach Phuket Town. Ich liebe diese Fahrten mit den Einheimischen. Je nach Station steigen in adrette Uniformen gekleidetete, kichernde Schülerinnen und Schüler zu. In Phuket besorge ich Einkäufe, miete gegen Abend ein Motorrad und kurve nach Ao Chalong. Vielleicht sind dort Post oder bekannte Segler eingetroffen. Anschliessend fahre ich auch an Franz Hostettmanns Haus vorbei, einem Zweitwohnsitz des Stadtpräsidenten von Stein am Rhein. Leider ist er nicht da. Dann folge ich der Küste und steure die «Nikita Bar» am Rawaii-Strand an, wo ich meistens Theresa und Heinz Brändli treffe, das Wirtepaar des «Salmenstübli» in Stein am Rhein. Meine Heimat ist hier gut vertreten! Nach kaum zwanzig Minuten bin ich an der Kata Beach, wo ich ein Zimmer für eine Nacht miete, mich darnach im nahen Patong in den Einkaufsrummel und dann ins überbordende Nachtleben stürze. Die alleinstehenden Männer sind klar in der Überzahl. Sextouristen? Offiziell wäre Prostitution verboten. Der Sextourismus hat Thailand in Verruf gebracht, doch kann man dem heissen Nachtleben leicht ausweichen. Ich bin in dieser Beziehung unverkrampft. Transvestiten tanzen wild auf den Tischen und suchen die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich zu lenken. «Papa, I go with 84 you!» tönt es mir entgegen. Das erlebe ich doch zum ersten Mal: dass ich mit «Papa» angesprochen werde! In den Go-go-Bars tanzen die Mädchen, um Chromstangen gewunden, mehr oder weniger im Takt zur lauten Musik. Jede Tänzerin trägt eine Nummer. Ich bräuchte dem Kellner nur die Nummer meiner Favoritin ins Ohr zu flüstern, und schon würde sie an meiner Seite Platz nehmen und mich artig fragen, ob ich ihr einen Drink spendiere und vielsagend anfügen: «We have rooms upstairs, Papa let’s go!» Diese lärmigen Etablissements sind weniger nach «Papa, letʼs go!» meinem Geschmack. Nach einem Rundgang mache ich die Bekanntschaft Nois. Erstaunlicherweise spricht sie recht gut deutsch. «Das habe ich bei einem deutschen Lehrer in Chiang Mai gelernt», erklärt sie. «Ich wollte Reiseleiterin werden. Inzwischen sind meine Eltern geschieden, und ich muss meinen kranken Vater unterstützen. Deshalb arbeite ich in einer Bar, obwohl ich es nicht gerne tue.» Kann schon sein. In Thailand ist es jedenfalls Brauch, dass die älteste Tochter für die Familie sorgt. Sie kann hier, je nach Saison, zwischen 20 000 und 40 000 Baht pro Monat verdienen, eine Verkäuferin arbeitet für nur 7000 Baht, was etwa 280 Franken entspricht. Noi möchte gerne mal mein Boot sehen, obwohl sie nicht schwimmen kann. Na ja. Am 24. März 1999 bekommen wir auch hier mit, dass die Nato ihre «bombing campaign» gegen Jugoslawien startet, die schliesslich 11 Wochen oder 78 Tage dauern wird. Anfangs April hole ich meine Schwester Dor mit ihren beiden Kindern am nahen Flughafen ab. Melissa ist zwölf und Sascha bald vierzehn Jahre alt. Wir wollen einige der vielen Inseln im Segelrevier um Phuket kennenlernen. Unser erstes Ziel liegt in der Pang Nga Bay: Koh Ping 85 Khan mit dem berühmten James-BondFelsen, der im Film «Der Mann mit dem goldenen Colt» eine zentrale Rolle spielt. Wir bewundern die einzigartige Szenerie mit den unzähligen Felseninseln, die sich senkrecht aus dem Meer erheben. Wir machen uns mit dem Beiboot auf, um die Kalksteingruppe einem näheren Augenschein zu unterziehen. «Welches ist nun der berühmte Felsen?» fragen wir uns. Dor und ich verlieren eine Wette gegen Sascha, der genau weiss, wie er aussehen muss. Tatsächlich Melissa, Dor und Sascha vor ist das kleinste Exemplar dieser Gruppe dem James-Bond-Felsen das berühmte Stück. Mit anfangs nur vier bis fünf Metern Wasser unter dem Kiel setzen wir am nächsten Morgen die Segel, um die Railay Bay West auf der Halbinsel Phra Nang in der Nähe Krabis anzulaufen. Kurz vor dem Einnachten legen wir uns dort vor Anker. Das Wetter ist gut. Phra Nang, nur per Boot erreichbar, ist von rotbraunen Felsen umgeben. Die Region Krabi verdankt dieser einzigartigen Landschaft ihre Bekanntheit. Neben Badetouristen bevölkern viele schlanke Kletterinnen und muskulöse Kletterer diese Halbinsel. Schon früh am Morgen werden wir aus dem Schlaf gerissen: Der Verkehr der Longtailboote beginnt. Die Bootsmänner lauern auch auf Touristen: «Krabi, Krabi!» schreien sie. Die schlanken Boote sind hinten mit einem 115 PS starken Yanmar-Diesel ohne Schalldämpfer bestückt und machen einen nerventötenden Krach. Der offene Propeller, der das Boot über das Wasser jagt, steckt an einer langen Welle und produziert eine Fontäne. Die Fahrer sind stolz auf ihren Beruf. Im Süden ist die Silhouette einer berühmten Insel im Dunst erkennbar: Koh Phi Phi Don. Sie ist unser nächstes Ziel. Vor der Abfahrt hievt mich Sascha in den Masttop, wo ich dem Anemometer meiner Windmessanlage mit einer WD-40-Dusche zu neuem 86 Leben verhelfe. Nach vier Stunden fällt der Anker in der geschützten Ton Sai-Bucht. Während Dor und die Kinder im lauwarmen Meer baden, steige ich bei der nachmittäglichen Hitze den steilen Weg hinauf zum Aussichtspunkt. Von hier lässt sich der im Licht flimmernde Doppelstrand in seiner einzigartigen Schönheit wunderbar überblicken. Vom boomenden Tourismuszirkus ist hier oben nichts zu spüren. Die unzähligen in den Palmen versteckten Shops, Restaurants, Bungalows und Hotels sind nur zu erahnen. Auf dem Rückweg kommen mir am Strand Horden von Tauchern entgegen. Auffallend viele blonde Touristinnen aus Nordeuropa bevölkern abends die «Tin Tin»-Bar. Am nächsten Tag segeln oder besser motoren wir gegen westlichen Wind den steilen und im Morgenlicht gleissenden Felswänden Koh Phi Phi Leis entlang, der Schwesterinsel Koh Phi Phi Dons. Wir wollen die südlich Phuket liegende Insel Koh Racha Yai besuchen, gemäss meinem Buch «Sail Thailand» angeblich ein «Tropical Paradise». Wir sind gespannt. Bei auflandigem Wind tasten wir uns in die wirklich schöne Bucht vor, und Sascha schnappt uns den Tampen einer gelben Boje. Unser Boot tanzt wild im Schwell. Die Landung am Ufer mit unserem Dinghy wird zu einem feuchten Vergnügen. Am Strand stehen eng gedrängt Sonnenschirm an Sonnenschirm mit Liegestühlen drunter. Kaum liegen wir, taucht schon ein Boy auf: «100 Baht, please!» Ganz so paradiesisch scheint es hier nicht zu sein. Martina und Urs Ringer mit ihrem Sohn Jascha, die wir hier besuchen wollten, sind schon abgereist. Die Familie aus Stein am Rhein verbringt in Thailand noch Ferien, bevor sie nach Neuseeland weiterreist, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Kurz vor dem Einnachten flüchten wir vor dem starken Schwell in die nördliche Bucht. Eine unruhige Nacht steht uns bevor. Wind und Seegang nehmen zu. Kurz nach Mitternacht weckt mich Melissa. «Götti, hält die Boje auch wirklich?» fragt sie besorgt. Man hört, wie sie an die Bordwand knallt. «Mach dir keine Sorgen», versuche ich sie zu beruhigen und verlängere den Tampen etwas. 87 Am nächsten Morgen bläst es mit Beaufort 6 aus Westen, was uns zu einer schnellen Fahrt nach Koh Nakha Yai verhilft. Melissa und Sascha schlucken Stugeron, um dieses unruhige Segeln ohne «Bogenhusten» zu überstehen. Als wir wieder im «Yacht Haven» festmachen, stürzen sich die Kinder hinter dem Boot ins Meer. Ihr Badevergnügen ist aber nur von kurzer Dauer. Sie werden von einer giftigen Wasserschlange zu Tode erschreckt, die gemächlich durch die Marina schlängelt. Wenn diese Schlangen, die ihr Maul nur sehr wenig öffnen können, ein Opfer erwischen, ist das Zeitliche sehr schnell gesegnet! Zum Glück sind diese Tiere nicht aggressiv. Das Wetter und die Windbedingungen waren während diesen zwei Wochen viel unbeständiger, als ich erwartet hatte. Trotzdem genoss ich das Bordleben mit meinen Familienmitgliedern und die Kochkünste Dors. Ich habe wenig Zeit, um traurig zu sein. Der nächste Besuch aus Denia in Spanien ist angesagt: Dorli und Heinz Tanner. Zum Empfang dekoriere ich den Cockpittisch mit Orchideen, Früchten – Rambutan, Lychees, Mangos, Ananas, Dorli und Heinz: Besuch aus Spanien Mangosteen – , und in die Mitte stelle ich eine Flasche Mekong (Thai Whisky). Heinz meint erfreut, der schmecke genauso gut wie der Carlos III, der spanische Brandy, den wir so gerne trinken. Der Mekong verhilft uns zu einem guten Schlaf. Heinz, mit dem ich vor vielen Jahren die gleiche Schulbank in Stein am Rhein drückte, ist nicht gerade seefest, will aber Stugeron schlucken. Am nächsten Tag besorgen wir das Ausklarieren in Ao Chalong und legen gleich los. Wir wollen in den nächsten zehn Tagen nach Langkawi in Malaysia segeln. Das passt perfekt in meinen Zeitplan, denn am 27. April habe ich nach sechs Monaten Thailand mit dem Boot zu verlassen. Das muss genau eingehalten werden, sonst wird eine Import- 88 steuer plus Busse wirksam, die mehr als die Hälfte des Bootswertes betragen kann. Die ersten Tage folgen wir den «Spuren» des Törns mit meiner Schwester. Das Stugeron scheint zu wirken, jedenfalls klagt Heinz nie über Seekrankheit. Wir geniessen das gute, scharf gewürzte Essen an Land oder lassen uns von Dorli, die gerne kocht, an Bord verwöhnen. Zu jedem Essen trinken wir eine Flasche Wein, die meine Gäste aus Spanien mitgebracht haben. Vor dem Einschlafen sprechen wir dem Mekong-Whisky zu, den wir wirklich schätzen lernen. Kurz, wir leben wie die Fürsten. Das einzige, was Heinz vermisst, sind bequeme Stühle an Bord. Dieses Problem löse ich auf meine Art: Als ich nachts vom Ausgang in Koh Phi Phi zurückkomme, leihe ich mir vom Hotel Cabana einen Liegestuhl aus. Heinz reibt sich am nächsten Morgen ungläubig die Augen, als er die Liege in meinem Beiboot entdeckt. In der Folge findet diese an Deck regen Zuspruch, im Hochgefühl, mit einem Drink in der Hand gegen die untergehende Sonne zu blinzeln. Täglich tasten wir uns in angenehmen Tagesetappen über Rok Nok, Bulon Le und Tarutao nach Süden vor. Am 26. April können wir die malaysische Flagge hissen. Gegen Mittag gehen wir bei beträchtlichem Schwell vor dem Hotel Datai im Norden der Insel Langkawi vor Anker. Mit einer «Crashlanding» setzen wir unser Beiboot an Land. Obwohl wir völlig durchnässt sind, statten wir dem Luxushotel einen Besuch ab. Auf dem schönen Langkawi wurden überall Hotels gebaut und sogar ein Riesenflugplatz hingepflastert, auf dem selbst Jumbos landen können. Es gibt hier fast alles im Übermass, ausser einem: Touristen! Nach einem kurzen Halt segeln wir zu unserem Ziel, der Rebak Marina auf der gleichnamigen Insel. Dorli und Heinz wollen noch nach Ostmalaysia, bevor sie wieder nach Spanien zurück fliegen. Die Marina ist nahezu voll. Langkawi ist eine zollfreie Insel, was die ohnehin schon tiefen Lebenskosten noch günstiger macht. Das und die Möglichkeit, problemlos Ersatzteile einfliegen 89 «Visa-Run» nach Langkawi 90 zu können, wirkt wie ein Magnet auf die Seglergilde. Hier in Malaysia kann man ein Boot jahrelang liegen lassen. In Kuah, dem Hauptort, bekomme ich ein Dreimonatsvisum, das so oft man will mit einem kurzen Trip zur nahen Grenze Thailands verlängert werden kann. Deshalb ist dieser Ort ideal für Langzeitlieger. Ohne auch nur einen Rappen Zoll zu zahlen, hole ich meine bestellten Ersatzteile im Büro der Marina ab und mache mich daran, mein «Liliput»-Generatorset zu reparieren. Der kleine Kobuto-Dieselmotor verliert Öl, der Simmerring hinter dem Schwungrad ist defekt, so lautet jedenfalls meine Diagnose. Ich baue die ganze Anlage aus, würge sie mit Hilfe eines Seglers den Niedergang hinauf und stelle sie auf ein Brett im Cockpit. Die Arbeitsbedingungen sind jetzt geradezu optimal! Ich bin froh, gelernter Mechaniker zu sein. Die Schrauben, die das Zahnriemenrad halten, muss ich herausbohren, weil sie eingerostet sind. Das Schwungrad ziehe ich mit einer nach Mass gefertigten Abzugsvorrichtung ab. Den defekten Simmerring kriege ich mit Hilfe eines Schraubenziehers raus und kann dann den neuen einsetzen. Der Wiedereinbau der Anlage vollzieht sich problemlos. Tief befriedigt starte ich den kleinen Dieselmotor zum Probelauf. Alles paletti – ich kann wieder 220 Volt an Bord produzieren, wann immer ich will und falls nötig die Batterien laden. Natürlich bin ich nicht pausenlos am Arbeiten. Hier treffe ich wieder auf alte Segelfreunde: Klaus auf der «Gemini Contender», Ingrid und Jürgen aus Hamburg auf der «Josi» und einmal mehr Jenny und Peter auf der «Blue Shadow». Die helvetisch-südafrikanische Crew hat Verstärkung bekommen: Jules – jetzt gerade einen Monat alt – scheint es gut zu gehen an Bord. Er brauche mit seinen Windeln und Spielsachen bald so viel Platz wie ein Erwachsener, meint Peter trocken. Als die lokalen Hash House Harriers einen Run auf der Insel organisieren, darf ich – wie einst in der Südsee – natürlich nicht fehlen. In der brütenden Abendhitze quälen wir uns über die Laufstrecke, dem ersten Bier am Ziel 91 entgegenlechzend. Vor meiner Abfahrt starte ich eine Shoppingorgie. Die Einkaufszentren in Kuah haben alles, was das Herz begehrt. Selbst Markenprodukte aus Europa sind zu unschlagbaren Preisen zu haben. Voll gepackt mit Vorräten für die kommenden Monate bin ich bereit, mich wieder auf den Weg nach Phuket zu machen. «Es ist ein Dahingleiten zwischen Traum und Wirklichkeit, bei dem es fast keine Zwänge gibt und bei dem man sich uneingeschränkt der Lust des Unterwegsseins hingeben kann.» 92 Diese verdammten Felsen! Langkawi Ao Chalong Krabi Penang Krabi Ausflug nach Nepal lle Jahre wieder. Am 18. Mai hole ich meine langjährige «Teilzeitfreundin» Susi am Phuket International Airport ab. Sie will diesmal länger als nur einen Monat bleiben. Neben etwas Segelunterricht möchte sie, wie sie mich vorher wissen liess, einen PADI-Tauchkurs besuchen, mit mir eine Trekkingtour in Malaysia und eine Velotour in Thailand unternehmen. Kurz: Meine sportverrückte und vor Tatendrang schäumende Konditorin wird mich auf Trab halten. Aber es soll anders kommen. Schon auf der Fahrt vom Flughafen nach Ao Chalong macht sie mir klar, das Klettern habe für sie erste Priorität. «Mein Saisonziel ist es, mindestens eine 7A-Route französischer Wertung zu schaffen», erklärt sie und hat das Klettergebiet in Phra Nang im Auge. Ich bin sicher, dass sie das Gebiet an den Felsen der Railay Bay bei Krabi meint. Susi berichtet von sintflutartigen Regenfällen, Jahrhundert-Schneemengen in der Schweiz und zunehmender Hochwassergefahr. In der ersten Nacht an Bord werden wir schon vor Tagesanbruch geweckt. Es regnet durch die offene Luke in unsere Gesichter. Nachdem sie geschlossen ist, wird es ekelhaft heiss und stickig in unserer Bugkoje. Das fängt ja gut an! Am Morgen stelle ich fest, dass das 12-Volt-Bordnetz am Zusammenbrechen ist. Mir wird sofort klar, dass die «Hausbatterien» im Eimer sind. Sie sind schon bald vier Jahre alt und Souvenirs aus Papeete. Mit einem gemietetem Suzuki-Jeep sausen wir nach Phuket Town und bestellen dort neue Batterien, drei mal 135 Ah für je nur 120 Franken. Es schüttet noch immer. Als wir zum parkierten Suzuki zurückkehren, ist das rechte Vorderrad mit einem angeketteten Radschuh blockiert. Verdammt, tatsächlich habe ich A 93 das Fahrzeug etwas neben der weissen Parkfeld-Begrenzung abgestellt. Sitten herrschen hier! Mit einem Taxitöff mache ich mich im strömenden Regen auf zur Polizeistation. Dort muss ich mich in einer langen Kolonne wartender Sünder gedulden, bevor ich meine 300 Baht Bussgeld hinblättern darf. Wir verlieren zwei Stunden, bis ein adrett gekleideter und freundlich lächelnder Polizist mit dem rettenden Schlüssel auftaucht und uns vom Radschuh befreit. Am nächsten Tag hole ich die Batterien ab. Susi lasse ich in einem Fitnesscenter in der Nähe Ao Chalongs zurück, um sie in ihrem Tatendrang vor dem Hyperventilieren zu bewahren. «Wann segeln wir nach Phra Nang?» drängt sie nach meiner Rückkehr wie ein ungeduldiges Kind. Obwohl es weiterhin schüttet wie aus Kübeln, laufen wir am folgenden Tag aus. Gegen Mittag lässt der Regen endlich nach. Meine Gefährtin ist gespannt wie ein Bogen, kann nicht warten, bis wir ankommen und nervt mich. Sie ist richtig scharf aufs Klettern. Das Meer ist unruhig, als wir an der Railay Bay West vor Anker gehen. Susi kletterte im März in Mallorca, später in Sardinien und möchte hier weitere Fortschritte erzielen. An Auswahl fehlt es nicht. Ich zähle über 34 Klettergebiete in Phra Nang und Umgebung, ohne die Möglichkeiten in Koh Phi Phi zu rechnen. Am nächsten Morgen begutachtet Susi ein paar der über 300 (!) Routen. In der zweiten Nacht gibt es plötzlich auflandigen Wind mit entsprechendem Schwell. Als kurz vor Tagesanbruch der 10-Millimeter-Tampen, der meine Ankerkette sichert, mit einem Knall reisst, starten wir den Motor und verlegen uns an die Railay East Bay. Hier sind wir gegen den einsetzenden Südwestmonsun geschützt und liegen ruhig, auch wenn der Wind durch die Palmen pfeift und den nächsten Schauer ankündet, der meistens nach einer Stunde vorbei ist. In den Restaurants werden Plastikvorhänge heruntergelassen, die vor den entfesselten Naturgewalten nur notdürftig schützen. Gibt es einen Knall, dann hat mal wieder eine fallende Kokosnuss ein Dach durchschlagen. Man tut gut daran, in Deckung zu 94 bleiben, bis der Spuk vorüber ist! Auf dieser Seite der Halbinsel ist es flach. Bei Niedrigwasser geht das Meer weit zurück, so dass es einige Planung erfordert, um mit dem Dinghy nicht plötzlich auf dem Trockenen zu sitzen. Die paradiesischen Klettermöglichkeiten nahe beim Strand locken auch in der Nebensaison Kletterer aus aller Welt an. Die vielen Kletterschulen bieten auch Neueinsteigern die Möglichkeit, diesen faszinierenden Sport in ein- oder mehrtägigen Kursen auszuprobieren. Hier treffen wir Christine, eine Freundin Susis, die von ihrem Job als Reiseleiterin etwas Distanz sucht. Sie profitiert hier von den tiefen Bungalowpreisen und absolviert ein paar Halbtageskurse bei Nan, einem der vielen Kletterlehrer. Auch sie ist bereits vom Klettervirus befallen. Doch was sucht ein gestandener Segler in einem Kletterparadies voller jugendlicher Verrückter? Nun, es scheint, als habe ich mir hier ein richtiges «Pensioniertenjöbli» eingehandelt: Während Susi klettert, sichere ich sie am Seil. Um 06:00 Uhr rasselt der Wecker. Nach dem Frühstück geht’s per Dinghy ans Land, dann – mit allen Utensilien bepackt – in einem mehr oder weniger langen Fussmarsch zum Klettergebiet. Dort haben wir tief unter uns die gemächlich vor Anker schwojende «Hasta Mañana» im Blickfeld. Wir machen uns bereit für den ersten Versuch. Susi montiert ihr «Gstältli» (Klettergurt), ein Magnesiumsäckchen und Expresschlingen und zwängt sich in ihre engen Kletterschuhe. Ich schlüpfe auch in den Klettergurt und befestige daran mit einem Karabinerhaken das «Grigri». Dieses Gerät blockiert bei einem Fall automatisch das Seil. Mit einem aufklappbaren Hebel kann das Seil zum Herunterlassen des Kletterers dosiert gelöst werden. Klettert man zum Beispiel am «The Keep», so geht es zuerst steil hinauf und dann durch einen Kamin wieder hinunter. Ich sichere mich an einem Fixseil, denn es wäre sehr unangenehm, wenn nicht gar gefährlich, würde ich in das unter mir gähnende Loch fallen. Über Mittag machen wir eine längere Pause, am späteren Nachmittag startet Susi weitere 95 Versuche. Nach zwei Tagen Klettern legen wir meist einen Ruhetag ein. Oft fahren wir dann per Longtailboot nach Krabi, kaufen auf dem geschäftigen Markt hauptsächlich Früchte und erledigen die E-Mails. Seit kurzem ist Krabis neuer Flughafen eröffnet, der vorerst dreimal wöchentlich von Thai Airways bedient wird. Wie lange geht es noch, bis auch dieser friedliche Winkel von Touristenhorden überschwemmt wird? Unsere Tage sind ausgefüllt. Nur schon der Anmarsch gibt mir genügend Bewegung, zumal wir den Tag meistens mit Stretching und einem «Schwumm» im Meer beginnen. Seit sich Susi auf eine 7A+-Route eingeschossen hat, die «Mai meh fan» (keine Zähne) heisst, klettert sie an der «Dum’s Kitchen»Wand in der Ton-Sai-Bucht. Mit einem «Cheater»-Stick, einem etwa zwei Meter langen Bambusrohr, hängen wir die unterste Expressschlinge ein. Junge Kletterer fragen Susi oft, ob dies ihr Vater sei, der sie sichere. «No», entgegnet sie dann lachend, «Otto is my husband.» Das verunsichert sie meist. Sollen sie es glauben oder nicht! Susi will «ihre» Route «punkten», das heisst ohne ins Seil zu sitzen oder zu stürzen in Susi kühlt ihre Prellung mit Eis einem Stück durchklettern. Bis jetzt hat sie 6C+-Routen geschafft. Hier sind der Ein- und der Ausstieg sehr schwierig und für meine Begriffe sehr steil, das heisst überhängend und 12 Meter hoch. Anfangs machte meine Gefährtin an jedem Klettertag Fortschritte, doch heute fällt sie schon unten raus, schlägt ihr rechtes Knie beim Sturz an den rohen Felsen und zieht sich eine Prellung zu. Ich mache mir Vorwürfe, vielleicht hätte ich sie besser sichern 96 können, doch so weit unten ist das nicht gerade einfach. Da braucht es eine sehr schnelle Reaktion! Bisher verliefen alle Stürze gut. Nur einmal verbrannte ich mir ein paar Finger, als ich das sich dehnende Seil oberhalb des «Grigri» instinktiv mit blosser Hand festhielt. Susi macht auch von Zeit zu Zeit ein Sturztraining an einer geeigneten Wand. Sie lässt sich dann aus der Route fallen, worauf ich sie dynamisch zu sichern habe. Mit einem Schritt nach vorn gebe ich mehr Seil, das «Grigri» blockiert es, worauf die Kletterin dann mehr oder weniger sanft an der Felswand landet. Dieses Training soll die Angst vor einem Sturz mindern. Das sei wichtig, um ans Limit gehen zu können, bemerkt Susi: «Um meinen Killerinstinkt auszuleben!» Sie ist wahrhaftig ein etwas verrücktes Weibsstück! Die erzwungene Ruhepause verbringen wir im Railay Bay Bungalow Nummer 101 direkt am Strand. Mein Visa läuft im Juni wieder einmal ab, weshalb ich Thailand kurz verlassen muss. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Man kann sich zum Beispiel per Bus nach Hat Yai und dann per Taxi über die Grenze nach Malaysia begeben und sofort wieder einreisen oder aber einen Wagen mieten und nach Burma hinauffahren. Ich nehme in Krabi einen Bus und fahre in drei Stunden nach Phuket Town. Dort lasse ich mich bei Thai Airways für einen Flug nach Penang vormerken, denn als pensionierten Airliner profitiere ich noch immer von günstigen Flugkonditionen. Da ich mein Segelboot ohne Skipper in Thailand lasse, muss ich bei der Immigration sicherstellen, dass meine Bankgarantie von 20 000 Baht noch gültig ist. Lustigerweise ist auf dem Vertrag das Jahr 2542 (1999) angegeben. Thailand lebt schon mitten im dritten Millenium, denn hier begann der Kalender am Anfang der Buddhistera im Jahre 543 vor Christus. Der Beamte spricht gutes Englisch, und alles läuft wie geschmiert. Nach kaum einer halben Stunde ist mein Pass für die Ausreise nach Malaysia vorbereitet. Am nächsten Tag fliege ich um 12.30 Uhr ab und reise nach einem kurzen «Turnaround» in Penang um 15 Uhr wieder in Thailand 97 ein. Nach diesem Manöver ist mein Aufenthaltsvisum für die nächsten drei Monate gültig. Während Susi, wenn auch mit Schmerzen, wieder an den Wänden kämpft, ergreife ich die Gelegenheit zu meinen ersten Kletterversuchen. Von den gemieteten Schuhen ist der rechte eindeutig kleiner als der linke, was mir Schmerzen bereitet. Ich «Susi, lass mich runter!» komme mir schon etwas alt vor, als ich in die Wand einsteige. Als Abschluss versuche ich mich an einer 6A-Route im «Toprope», das heisst Susi klettert voraus und sichert mich bei meinem Versuch am von oben herunterhängenden Seil. Für Anfänger ist das Klettern auf diese Art sicherer. Nach einigen Versuchen wage ich mich an schwierigere Wände. Als wir einmal 98 in der «Hidden World» klettern, brennt mir die brütende Sonne aufs Hirn. Auf halber Höhe bleibe ich stecken. Ich befinde mich an einer schwierigen Stelle und schufte wie verrückt, um höher zu kommen. Plötzlich beginnt, offenbar in der Ruhe gestört, ein Wespenschwarm einen wütenden Angriff auf mich zu starten. Noch kann ich die angebrachten Expressschlingen aushängen und an meinem Gurt einklinken, dann lasse ich mich mit Stichen am Kinn und am Unterarm ins Seil fallen und schreie Susi zu, sie solle mich sofort runter lassen. Sinnigerweise heisst diese Route «Satanic Alliance»! Die traumhaften Sonnenuntergänge geniessen wir meistens in der «Sunset Bar». Einheimische spielen Strandfussball, bis es dunkel wird, und Poi-Poi-Künstler produzieren ihre Feuerketten vor dem abendlichen Himmel. Diese Ketten sind etwa einen Meter lang. An ihren Enden sind längliche Gewichte angebracht, die je nach Verwendungszweck auch in Kerosin getränkt und angezündet werden können. Die Poi-Poi werden an den Mittelfingern eingehängt und in zahllosen Varianten im Kreis geschwungen. Sehen und gesehen werden, ist das Motto an diesem Strand. Mein Lieblingsmenü ist die berühmte süsssaure «Tom yam koong»- Garnelensuppe mit einer Schale Reis. Gewöhnungsbedürftig sind die Toiletten. Meistens handelt es sich um Stehlatrinen. Zum Spülen steht ein in einem Wasserbecken oder Kessel schwimmender Schöpfer bereit. Die Gäste werden angehalten, das benutzte Toilettenpapier (sofern es überhaupt welches hat) in einen bereitgestellten Abfallsack zu werfen. Bereits Komfort ist ein kurzer Schlauch mit Brause. Hat es hier wohl Klärgruben, bevor das Abwasser in die Bucht fliesst? Am 22. Juni schafft Susi ihre erste 7A+-Route:«No teeth». Als sie den obersten Karabiner nach einem schwierigen letzten Zug einklinkt, gibt sie mit einem befreienden Schrei ihrer Freude Ausdruck. Unten angekommen, umarme ich sie begeistert. Nach dem Essen wollen wir das Ereignis auch gebührend feiern. Ich besorge einen Plastiksack voll Eis, um den bereit gestellten Sekt zu 99 kühlen. Aber es soll nicht sein! Als wir zu unserem Beiboot kommen, liegt es schlaff im Sand. Offenbar ist seine Haut beim Schleppen über scharfe Steine beschädigt worden. Da es schon spät ist, können wir auch kein Longtailboot mehr auftreiben, das uns zur «Hasta Mañana» zurückbringen könnte. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns für diese Nacht einen Bungalow zu mieten. Das Eis schmeisse ich enttäuscht in einen Busch. Otti: der kletternde Segler Susi ist weiterhin nicht zu bremsen, und ich sah es kommen: Schon nach wenigen Tagen mit Klettern in anderen Gebieten startet sie ein neues 7A+-Projekt – «Lal Bab» – in der gleichen Bucht: eine attraktive, überhängende Kletterpartie nur ein paar Meter vom Strand und kaum einen Steinwurf vom «Ton Sai»-Restaurant 100 entfernt. Hier hat es auch Routen bis 8C+! Ein Koreaner baute sein Zelt im Schutze der Felswand auf und blieb acht Monate, bis er «seine» Route schaffte! Nach seiner Abreise hat Michel, ein kanadischer Kletterer, an der gleichen Stelle sein Zelt aufgebaut, nicht weit von unserer Hängematte entfernt, die wir an zwei Stalaktiten unter dem Fels fest montiert haben. Es ist ein herrliches Ruheplätzchen geworden. Die Kletterer sind ein angefressenes Völklein. Hier hat sich eine Gemeinschaft entwickelt, in der jeder jeden kennt. Obwohl ich als «Belayer» (der Sichernde) nicht ganz dazu gehöre und als Segler Exot unter den Kletterern geblieben bin, macht mir das nichts aus. Das ist gut so. Ich geniesse es, mit Susi an Bord zu leben, sie in ihren Kletterunternehmen zu unterstützen, egal, wie viele Projekte noch folgen werden. Aus einem Trekkingteam ist ein Kletterteam geworden, wenigstens für diesen Sommer. Keine Berge wachsen in den Himmel. Im September muss auch ich das erfahren. Für die Schweizer Ainina und Steve klettere ich auf der Route «Massage secrets» in der «1-2-3-Wand» hoch. Ich möchte ihnen ihr Seil am Anker einhängen, damit sie Top-Rope klettern können. Zwei Drittel der Wand meistere ich problemlos, doch beim oberen 6A+-Teil komme ich ins Schwimmen. Susi schreit, ich solle mehr nach rechts gehen. Links der Route scheint es für mich aber besser. Wie komme ich aber zum Anker rüber? Ich muss zurück – und falle ins Seil! Weil ich schlecht stürze – Susi vergleicht das mit einem Kartoffelsack – wird mein linkes Fussgelenk beim Aufprall etwas angeknackt. Zwar schaffe ich die Route beim zweiten Versuch, doch am Abend schwillt mein Fuss so an, dass ich mich nur noch humpelnderweise bewegen kann. Susi meint cool, wir müssten wieder mal ein Sturztraining machen. Revat, ein in der Nähe lebender Kunstmaler, versucht mich zu trösten. «Ich habe einen Freund, der es fertig bringt, dass du nach wenigen Heilmassagen wieder kletterst», flüstert er mir ins Ohr. Wenn es nicht hilft, dann kann es nicht schaden, sage ich mir. Der etwa 50jährige Masseur untersucht meinen Fuss und bestätigt dann, dass er ihn kurieren 101 könne. Auf meine Frage, wie viel das koste, sagt er 552 Baht (etwa 20 Franken). «Du musst das Geld um ein Ei wickeln!» erklärt er. Dazu koste die Prozedur nochmals 300 Baht pro Massage. Ich bin einverstanden, worauf der Mann mit dem mit Geld umwickelten Ei über meinen havarierten Fuss fährt und eine unverständliche Litanei von sich gibt. Man glaube es oder nicht: Schon nach der ersten Behandlung geht die Geschwulst zurück. Nach drei weiteren bin ich soweit hergestellt, dass ich wieder normal gehen kann. Das ist mir wichtig, denn im Oktober will ich mit Susi nach Nepal fliegen und dort zwei Wochen auf eine Trekkingtour. Weshalb nur zwei Wochen? Weil meine Freundin Angst hat, sonst ihre gegenwärtige Kletterform zu verlieren und sie wieder hart erarbeiten müsste! Thai Airways fliegt uns sicher nach Nepal. Kaum in Kathmandu angekommen, tönt uns «Namaste – Willkommem» entgegen. Mukunda, ein Angestellter des Laxmi-Reisebüros erwartet uns. Er hat uns im Hotel «Hama» ein Zimmer reserviert und zwei Plätze in einem Flugzeug nach Lukla organisiert. Von diesem Flugplatz aus marschieren die meisten Besucher in mehreren Tagen zum «Base-Camp» am Fusse des Mount Everest. Aber genau das wollen wir nicht tun, sondern in sieben Tagen entgegen der üblichen Richtung nach Jiri marschieren um von dort zurück zu fahren. Das Leben in Kathmandu fasziniert uns! Im Bezirk Thamel, nahe bei unserem Hotel, sind die Strassen eng und unübersichtlich. Die Hupe wird hemmungslos und oft betätigt. Mukunda «hängt» uns eine Tempeltour für den nächsten Tag an. Fünf Tempel sollen es sein. Wir möchten eigentlch lieber eine Stadtbesichtigung haben, aber er ist völlig auf Tempel fixiert: «You are my god, I want to make the best for you.» Schliesslich sagen wir zu, damit er endlich Ruhe gibt. Die Einfachtickets mit der «Yeti Air» nach Lukla erhalten wir auch. Bei der Tempelrundreise lassen wir unseren Taxifahrer nahe beim Ratan-Tempel, unserem dritten Tempel des Tages wissen, dass wir auf eigene Faust auf Entdeckung gehen werden. Gleichmütig 102 meint er: «Ich warte hier.» Es freut uns, wenigstens für kurze Zeit das quirlige Leben mit den Einwohnern zu teilen. Sie lassen Drachen über den Dächern fliegen, kaufen an unzähligen Märkten ein oder baden in öffentlichen Brunnen. Es scheint kein fliessendes Wasser in den einfachen Häusern zu haben. Der dreiviertelstündige Flug nach Lukla mit einer Twinn Otter wird zu einem speziellen Erlebnis. Um Wolkenberge herum steuern die beiden Piloten die kurze und ansteigende Schotterpiste von Lukla an, die auf 2840 Meter über Meer liegt. Zwischen den Wolken blitzen die höchsten Berge dieser Erde auf. Gegen Mittag setzt der Kapitän das Flugzeug haargenau und kurz nach Pistenbeginn auf – die Propellerturbinen heulen auf: Umkehrschub. Sand und Steine wirbeln auf. Am Ende der Piste drehen sie ein und rollen rückwärts (!), von einem jungen Mann eingewiesen, auf den Standplatz. Das Dorf liegt malerisch und sonnenbeschienen an den Hang geschmiegt. Die Vegetation ist karg. Mehr felsig, als bewachsen, immerhin hat es Richtung Westen waldige Hänge. Wir schnappen unsere Rucksäcke, die im Sand liegen und machen uns auf zur ersten Tagesetappe. Gemäss unserer Karte sollten wir das Dorf Puiyan, wo wir übernachten möchten, in etwa drei Stunden erreichen. Aber es kommt anders. Susi traut meinen Kartelesekünsten sowieso nicht. Als ich ihr dann noch mit H bezeichnete Vierecke als Helikopterlandeplätze «verkaufen» will, lacht sie: «Das sind Hotels und markieren Unterkunftsmöglichkeiten!» Recht hat sie. Es wäre eigentlich simpel gewesen. Runter ins Tal, dann entlang dem Fluss nach Surke und hinauf nach Puiyan. Wir verpassen eine Abzweigung, landen im Unterholz und später im Wald. Susi will zurück. Ich beruhige sie: «Auf der Karte ist eine Abkürzung eingezeichnet, die führt uns direkt nach Surke.» Allerdings wird «mein» Weg immer schmaler und ist bald überhaupt nicht mehr vorhanden. Zudem wird es steiler. Susi übernimmt die Führung, entlang einer Krete steigen wir den Hang hinunter. Schliesslich erreichen wir den richtigen Weg. Unten in Surke angekommen, 103 sind schon vier Stunden seit unserem Start verflossen. Ich würde am liebsten sofort eine Lodge suchen. Mir graut vor dem steilen Aufstieg, der sich unübersehbar gegenüber dem Tal in waldige Höhen windet. Aufsteigen ist noch nie meine Stärke gewesen. Bald entschwindet Susi nach einer Wegbiegung aus meinem Blickfeld. Mühselig kämpfe ich mich Stufe um Stufe die treppenförmig geschichteten Steinquader hinauf. So langsam wird mir klar, dass wir unser Tagesziel nicht mehr erreichen können, zumal hier gegen sechs Uhr die Nacht hereinbricht. Es dämmert schon als Susi zurückkommt: «Etwas weiter oben können wir in der Hill Top Lodge übernachten, ich habe schon ein Zimmer reserviert.» Ich bin ihr dankbar und umarme sie. Sie schnallt sich meinen Rucksack um; ohne Last kann ich ihr leicht folgen. Wir haben ein einfaches Zimmer mit zwei schmalen Betten. Der Hüttenwart Phemba Geljen Sherpa kocht uns Dalbat, das Nationalgericht Nepals: Gemüsecurry mit Reis. Dann erzählt er uns über sein Leben. Beim Eingang prangt ein Bild des Matterhorns. «Das möchte ich mal besteigen!» Er hat als Sherpa den Mt. Everest bestiegen und war schon bei mehreren Expeditionen als Sherpa angestellt und konnte etwas Geld sparen. Nebst seiner Lodge hat er noch 10 Yaks, die Milch liefern. Mit seiner Frau zieht er drei Mädchen gross. «Mädchen sind nicht gut, die bringen kein Geld!» Er ist erst 26 Jahre alt und schon 13 Jahre im «climbing business» engagiert. In den Schlafsack gekuschelt ist es genau der richtige Ort um über Kletterversuche am Mt. Everest zu lesen. Ich habe zwei Bücher dabei: «Into thin air» von Jon Krakauer und «The climb» von Anatoli Boukreev. Beide beschreiben die unglücklichen Ereignisse als im Mai 1996 neun Kletterer in einem Sturm beim Abstieg vom höchsten Berg der Erde den Tod fanden. Es wird ein strenger Tag. Obwohl wir schon vor acht Uhr losmarschieren erreichen wir Mantala erst kurz vor dem Eindunkeln. Dort bin ich Susi dankbar, dass sie schon unten im Dorf in der ersten Lodge Halt macht. Es war ein lustiger Tag mit vie- 104 len neuen Eindrücken. Mit Susi unterwegs zu sein beglückt mich, obwohl ich körperlich gefordert werde. Bei strahlendem Wetter vertrieben wir uns die Zeit unterwegs mit dem Singen von Wanderliedern: «Gebeugte Rücken tragen die harte schwere Last und müde Schritte fragen, wann endlich kommt die Rast.» Abends hocken wir zusammen mit der Familie in der Küche, im Gegensatz zu uns essen sie mit blossen Händen. Bei flackerndem Kerzenlicht geniessen wir die lockere Stimmung. Dann ziehen wir uns zurück nach oben. Wir schlafen in der Vorratskammer. An der Decke hängen Maiskolben. Nahe bei meiner Pritsche schläft sogar ein Huhn in einem Korb. Am folgenden Morgen suchen wir vergebens nach einer Toilette. Immerhin hat es einen kleinen Brunnen. Unser Trinkwasser behandeln wir mit Tabletten, daTrotz dünner Luft steigen die Träger scheinbar mühelos mit wir keinen Durchfall kriegen. Die Kosten für Nachtessen, Unterkunft und Morgenessen sind jeweils um die 1000 Rupias, das sind etwa zwanzig Franken für zwei Personen. Schon um 07:30 Uhr setzen wir uns in Marsch. Die Landschaft ist hügelig, es geht rauf und runter. Der Weg ist manchmal glatt, dann wieder mit Geröll gespickt. Abgesehen vom Flugplatz Lukla ist 105 dieser Weg die einzige Verbindung zur Aussenwelt. Die meisten Waren werden in vier bis fünf Tagesetappen durch unzählige uns entgegenkommende Träger von Jiri herangeschafft, dem Dorf am Ende der Zufahrtsstrasse. Meistens ist ihr Ziel Namche Bazaar, ein Markt, von dem aus das Khumbutal und das Everest Base Camp versorgt wird. Diese Träger bewältigen unglaubliche Lasten. So an die 60 bis 70 kg Waren stecken hochaufgetürmt in ihren am Rücken getragenen Körben. Die Last wird über ein Stirnband verteilt. Meist überwinden sie den Endlich sind wir in Jiri angekommen unregelmässigen Untergrund in einfachen Turnschuhen oder «Flip Flops». Einige sind sogar barfuss unterwegs. Der einzige Luxus scheint ein Radio und eine Taschenlampe zu sein, die sie am Korb befestigt haben. Durchqueren wir ein Dorf, so tönt uns von den Einwohnern ein fröhliches «Namaste» entgegen. Hier sind die Bewohner eher tibetanischen Ursprungs, im Gegensatz zu Kathmandu, wo der indische Einfluss unübersehbar ist. In stetem auf und ab, bis auf eine Höhe von 3700 Meter folgen wir dem Weg nach Jiri. Auf kunstvoll angelegten Terrassen wiegen sich an den Talseiten Hirsepflanzen im Wind. Unsere Informationen kommen aus dem 106 Buch: Abenteuer Trekking: Nepal, herausgegeben von Bruno Baumann (Bruckmann Verlag, München). Auf dieser Route muss kein Essen oder Zelt mitgenommen werden, Unterkünfte sind genügend vorhanden. Zu dieser Jahreszeit ist das Wetter geradezu ideal zum Wandern. Jiri und damit die Möglichkeit mit einem Bus oder Taxi nach Kathmandu zurückzukommen erreichen wir am Nachmittag des 7. Tages. Pro Tag waren wir an die sieben Stunden unterwegs. Die Trekkingmöglichkeiten in Nepal erscheinen uns faszinierend, kein Wunder sind Touristen aus aller Welt anzutreffen. Ein paar Stichworte zum Königreich von Nepal: Kathmandu ist eine Grossstadt. Die Staatssprache ist Nepali, es gibt aber noch weitere Sprachen der verschiedenen Volksgruppen. 80 Prozent der Bewohner sind Hindu. Nebst dem Hinduismus und dem Buddhismus finden sich besonders in entlegenen Bergtälern noch Naturreligionen und Schamanentum. Die 22 Millionen Einwohner Nepals haben nur eine Lebenserwartung von 54 Jahren! Die Fläche ist knapp halb so gross wie Deutschland. Über 50 000 Touristen fliegen pro Jahr ins Land. Nebst der Annapurna- wird die Khumburegion am meisten besucht. Zurück in der Railay Bay finden wir die «Hasta Mañana» unbeschadet vor – Luang, ein thailändischer Kletterlehrer hat auf unser Boot aufgepasst. Es ist schön wieder zurück zu sein, aber das Wetter spuckt, immerhin sind unsere Wassertanks gefüllt. Unter Susi’s geduldiger Anleitung kraxle ich wieder an den hoch aufragenden Felsen oder ich sichere sie. Ob ich nun ein kletternder Segler oder ein segelnder Kletterer bin? Ich glaube, dieses Kapitel hat die Antwort darauf gegeben! Anfangs November zieht Susi in ein Bungalow an die Ton Sai Bay. Der Abschied von Susi fällt mir schwer. Wir waren dieses Jahr über fünf Monate zusammen. Unsere Freundschaft hat sich weiter vertieft, aber wohl werden sich unsere Wege trennen – ich möchte weitersegeln. Nach Südafrika? «Welchen Tag haben wir eigentlich heute? Ich muss bereits sehr 107 lange nachdenken, um eine Antwort zu finden. Die Tage verwischen sich, reihen sich – mit sich gleichenden Ritualen – der eine an den anderen. Daten haben keine Bedeutung mehr.» 108 Albtr ume im Indischen Ozean Phuket Koh Similan Galle März 2001. Es ist Mitternacht, sternenklar, angenehm warm. Der Wind säuselt mit 10 Knoten aus Nord. Gerade mal vier Knoten Fahrt hole ich mit meinem Boot heraus. Unsere Position: 8° 17.6’ Nord und 97° 12.0’ Ost. Es sind noch 220 nautische Meilen bis zum 60 Meilen breiten Great Channel der zwischen Sumatra und den indischen Nicobaren liegt. Dort werden wir das Andamanmeer verlassen und den Golf von Bengalen queren, um Addu anzulaufen, ein Atoll der südlichen Malediven. Vor uns liegen total 1600 Meilen, also knapp 3000 Kilometer. Wir rechnen mit etwa zwei Wochen auf See. Ich hocke im Cockpit, bin glücklich und gelöst, froh, Richtung Westen weitersegeln zu können. Das Orion-Sternbild glimmt im Westen. Rötlich leuchtet der Kompass an der Steuersäule und grünlich die Tecnautic-Instrumente. Der Autopilot steuert unser Boot. Ein uns überholendes Schiff zeigt seine Positionslichter an Steuerbord. Meine Wache geht noch bis ein Uhr, dann wird mich Ruth Langlo ablösen. Die junge Norwegerin hat für diesen Trip «Hand gegen Koje» angeheuert und will mich bis Madagaskar begleiten. Letztes Jahr lernte ich sie beim Klettern in Phra Nang kennen. Allerdings traf ich sie nur kurz, aber Susi fädelte alles ein. Sie weiss, wie gerne ich mit Frauen segle! Ein paar E-Mails machten die Sache klar. Am Vorabend lösten wir uns von einer Boje bei Koh Miang, die von der Nationalparkverwaltung der Similan-Inseln zur Verfügung gestellt wurde. Diese Inseln liegen 50 Meilen nordwestlich von Phuket und sind bekannt für glasklares Wasser, intakte Korallen und ihren Reichtum an tropischen 18. 125 Fischen. Riesige Granitblöcke türmten sich, wie Murmeln aufgeschichtet, an der Küste, aber auch unter Wasser. Hinter den Stränden mit puderfeinem Sand begann der Regenwald. Im Gegensatz zu den überfüllten Stränden von Patong teilten sich nur wenige Besucher die reichlich vorhandenen Zelte und Bungalows. Was sofort auffiel, waren zahlreiche Tauchboote. Wir genossen ein paar unbeschwerte Tage. Ruth schien an der Hängematte, die wir zwischen Vorstag und Mast aufhängten, be- Die Similan-Inseln liegen nordwestlich von Phuket 126 sonders Gefallen zu finden. Eingeschmiert mit Sonnenschutzöl, lag sie stundenlang an der prallen Sonne. Kein Wunder, denn erst zwei Wochen vorher hatte sie das winterliche Norwegen verlassen. Am Tag vor dem Wegsegeln auf diesen langen Trip fühlte ich das mir mittlerweile bekannte leichte Kribbeln in der Magengegend, wie damals als verantwortlicher Captain vor dem Start zu einem interkontinentalen Flug. Ich geniesse das Prickeln, diese Vorfreude auf das Unbekannte, stets sehr intensiv. Was werden die nächsten zwei Wochen bringen? Zum Ritual vor einer Abreise gehört das Studium des Wetters. Diesmal holte ich die Prognosen bei Sri Lanka Radio in Colombo auf 8473 kHz ein. Die Planung verläuft ähnlich wie in der Fliegerei, mit einem Unterschied: Wir bewegen uns hundertmal langsamer! Ruth freut sich über die Hängematte Take-off: Koh Similan, Takeoff alternate: Koh Phuket, Destination: Addu, Alternate: Galle in Sri Lanka, En-route Alternate: Sebang in Sumatra. Um «abflugbereit» zu werden, brauchte ich genau einen Monat. Meine Segelsaison 2001 fing mit einem traurigen Anlass an. Begleitet von seiner Partnerin Sirida, holte mich Felix Winterstein, ein zeitweise in Thailand lebender pensionierter Swissair-Captain, am Flughafen Bangkok ab und eröffnete mir, dass sein bester Freund, Heinz Suter, vor ein paar Tagen in Pattaya im Alter von 70 Jahren einem Herzversagen erlegen sei. Zum Glück waren Felix und Sirida dort und konnten die Angehörigen in der Schweiz verständigen und alles Nötige vor Ort erledigen. Bei der Kremation in Bangkok erwiesen wir dem Verstorbenen im Wat Traimit die letzte Ehre. In diesem Tempel steht der weltgrösste goldene Buddha. Er wiegt fünf Tonnen und ist über 700 Jahre alt. 127 In Phuket machte ich mich umgehend daran, das Boot für die lange Reise über den Indischen Ozean vorzubereiten. Dort überraschte mich mein ehemaliger MD-11 Chefpilot Alois «Wiesel» Schneider und lud mich ins luxuriöse Hotel Dusit Laguna zum Nachtessen ein. Er ist zum Ausbildungschef der Flugverkehrsleiter der neu Skyguide genannten ehemaligen Swisscontrol geworden. Unweigerlich gingen unsere Gedanken zurück zu unserer gemeinsamen MD-11-Zeit bei der Swissair. Susi – sie war gerade wieder mal am Klettern in Krabi – kam herüber, um mir bei den Vorbereitungen behilflich zu sein. Energiegeladen machte sie sich an die Arbeit. Am Dinghy spachtelte sie Kratzer aus, versah es mit einem neuen Unterwasseranstrich und besserte Rostschäden an Deck aus. Ihr Putztrieb schreckte auch nicht vor dem Geschirrschränkchen zurück, in dem ich dummerweise vor Monaten drei Eier in einem Plastikgefäss liegen gelassen hatte. Nicht nur krabbelte allerlei Kleingetier drin herum, auch der Gestank war infernalisch. Derweil wechselte ich das Öl am Liliput-Generatorset Susi spachtelt am Beiboot und am Bukh-Motor und ersetzte dessen Silentblöcke. Einige Verrenkungen waren nötig, um die Schrauben zu lösen und wieder anzuziehen. Nach ein paar Tagen brachte ich Susi zum Bus-Terminal. Eine Kusshand, und ihr Bus nach Krabi war um die Ecke entschwunden. Ich besorgte auch neue «Haus»-Batterien und eine neue Starterbatterie. Begleitet von einem jungen Mann, brachte ich die letzten beiden Batterien per Dinghy zu meinem Boot hinaus. Kurze, giftige Wellen rollten heran. Immer wieder schwappte Wasser über. Ich musste anhalten und das Beiboot ausschöpfen, während der Junge ängstlich in die Runde blickte. Werden wir 128 mitsamt den Batterien absaufen, schien er sich zu fragen. Alles ging gut, doch zeigte mir dieser Tag die Grenzen der Seetüchtigkeit meines Optimisten-Dinghys. Am Abend ging ich bei Hans Martin vorbei, einem Deutschen, der Gummiboote fabriziert. «Ich brauche ein Gummiboot von maximal 2,6 Meter Länge mit festem Boden, aber es muss leicht sein, damit ich es allein an Bord hieven kann», eröffnete ich ihm ohne Umschweife. «Kein Problem», entgegnete er. «Ich kann dir eines nach Mass machen und nehme dein altes Dinghy an Zahlung. Mein Angebot: 45 000 Baht.». Ich war einverstanden und erleichtert. Jetzt bekam ich ein seetüchtiges Gummiboot. Am 5. März sollte ich dann Ruth Langlo um 13 Uhr im McDonalds im Robinson Shopping Center von Phuket Town treffen. Ich wusste nur noch, dass sie grüne Augen hatte. Kein Problem, ich erkannte sie sofort. Schon am nächsten Tag lief ich mit Ruth – norwegisch korrekt «Rüt» ausgesprochen – zu einem dreistündigen Törn zur Insel Racha Yai aus. Obwohl in Norwegen aufgewachsen, hatte sie praktisch keine Segelerfahrung. Wir nahmen uns neben dem Anpassen der Schwimmweste auch die nötige Zeit für Ruth macht Karriere eine Einführung in die Notverfahren: Wie wird die Rettungsinsel aktiviert? Wie wird der EPIRB eingeschaltet? Wo sind die Notraketen? Unterwegs kontrollierte ich meinen Radar. Shit, er war defekt! An einer Boje in der romantischen Bucht testete ich auch meinen PUR-35-Wassermacher, aber auch der wollte nicht mehr richtig arbeiten. Als Ruth vom Schwimmen 129 zurückkam, fragte sie besorgt, was los sei. Ich müsse den Radar und den Wassermacher reparieren lassen, bevor wir wegsegeln könnten, erklärte ich ihr. Am nächsten Tag kehrten wir zurück nach Ao Chalong und bunkerten dort an einer schwimmenden Tankstelle Diesel und Wasser. Beim Ablegen bedankten sich die beiden Thais lachend für die erhaltenen Colas und etwas Trinkgeld. Zu meinem Ärger entdeckte ich, dass sich wieder einmal Unrat an unserem Propeller verfangen hatte. Kaum vor Anker, zog Ruth eine Taucherbrille über und tauchte mit einem Messer bewaffnet ab, um den Propeller von einem ansehnlichen Stück Fischernetz zu befreien. Erstaunt bedankte ich mich mit einem dicken Kuss für die unangenehme Arbeit im trüben Wasser und beförderte sie spontan zum Ersten Offizier. Am nächsten Tag brachte ich den Wassermacher und den Radar zur Reparatur, bevor wir eine Einkaufsorgie in Phuket-Town begannen. Wir wussten, dass die Einkaufsmöglichkeiten auf den Inseln im Indischen Ozean beschränkt bis inexistent sein würden. Am Abend lud uns Tom, ein Schwede, zu einem Abschiedsessen in sein Haus ein. Unseren grossen Abschied feierten wir bei Jiab und Walti im ehemaligen «French Kiss» in Ao Chalong. Unter vielen anderen waren auch Yvonne und Guido Borsiani dort, die auf der «Elena» segeln. Zu meinem Erstaunen macht Yvonne stets die langen Passagen mit, sonst lebt sie in der Schweiz. Guido ist schon zwölf Jahre mit seinem Boot unterwegs! Eine nicht ganz alltägliche Ehe. «Das ist alles, was ich will und was ich besitze», gab er mir zu bedenken und berichtete auch über seine Erfahrungen im Indischen Ozean. Die beiden überreichten uns zum Abschied vier eingepökelte und luftgetrocknete Schweinefilets, an einem Holzbrettchen befestigt und mit einem Netz gegen Fliegen geschützt. Das Fleisch schmeckt würzig und ist lange haltbar. An unserer Party traf ich auch Charly Smith wieder, der die «Idiom» segelt, einen schweren Eigenbau aus Stahl mit Kuttertakelung. Er kommt aus den USA und war längere Zeit mein Platznachbar, als wir in Neuseeland an unseren Booten werkelten. Gegen drei oder 130 vier Uhr früh erklomm die Stimmung an unserem Fest den Höhepunkt. Wir tanzten, sangen und jodelten. Als wir schliesslich zu unserem Boot zurückfahren wollten, donnerte ein Wolkenbruch herunter. An einen Aufbruch war nicht zu denken – also festeten wir einfach weiter. Für mich war die Zeit reif, um von Thailand wegzufahren, den Anker zu heben und – frei wie ein Vogel – neuen Horizonten entgegen zu streben. Wir folgten vorerst der Westküste Phukets und verbrachten ein paar Tage in der Bucht von Patong. Bis der Wassermacher einwandfrei funktionierte, musste ich noch zwei weitere Mal die Werkstatt aufsuchen. Für die bevorstehende Reise ist ein Wassermacher wichtig. Er schafft es, bei 5 A Stromverbrauch immerhin vier Liter Frischwasser pro Stunde aus Seewasser zu produzieren. In Patong genossen wir ein letztes Mal das Nachtleben und bewunderten in der Bangla Road die auf Tischen tanzenden «Ladymen». Nur zu gerne zeigen diese gegen ein Trinkgeld, dass sie vollständig «umgebaut» sind. Eine Geschlechtsumwandlung kostet in Bangkok gerade mal 1000 Dollar! Nicht zuletzt herrschte an diesen Tagen ein Riesenandrang, weil in der Bucht amerikanische Kriegsschiffe ankerten. «Welcome U.S. Navy» war an einigen Bars angeschlagen. Dann ging es am 13. März, abends um 21 Uhr, endgültig hinaus in die stockdunkle Nacht, vorbei an den beleuchteten Schiffen der Amerikaner. Damit sich Ruth etwas ans Bordleben gewöhnen konnte, wählten wir als erste Etappe den 50-MeilenTörn zu den Similan-Inseln. Den Great Channel erreichten wir in der dritten Nacht. Anstelle des vorausgesagten Nordostmonsuns wehte es jetzt zunehmend aus Nordwesten. Wir konnten aber gerade die nördliche Hälfte des Kanals anliegen. Das war wichtig, denn der Schiffsverkehr von und zur Strasse von Malakka konzentriert sich eher auf die südliche Hälfte. In der vierten Nacht drehte der Wind weiter Richtung Westen, was uns auf einen südwestlichen Kurs zwang. Dadurch gerieten wir in die Schifffahrtslinie. Mehrere Frachter und Tanker passierten uns recht 131 nahe. Inzwischen hatte sich auch herausgestellt, dass mein Radar ein schlechtes Echo lieferte und – obschon ich für die Reparatur 800 Franken hingeblättert hatte – keinesfalls richtig funktionierte. Auf einer ihrer nächtlichen Wachen packte Ruth plötzlich der Schreck. Ein Frachter, der nahe an unserem Heck vorbeifuhr, strahlte sie mit einem starken Scheinwerfer an. Offensichtlich wollten die Leute genau wissen, mit wem sie es zu tun hatten! Nun fahren wir also dahin. Das Wetter hält sich gut. Gemäss der Prognose von Sri Lanka soll der Wind später auf Nord drehen, was ideal wäre. Ruth wird immer hübscher. Ihre grünen Augen heben sich vom braunen Teint ihres Gesichtes ab, und die Sonnenstrahlen lassen ihr Haar zusehends blonder werden. Wie schön ist es doch, mit einer Frau unterwegs zu sein! Es macht mir auch nichts aus, meine Gefährtin zu bekochen. Sie ist vorerst noch zu wenig seefest, um in der Pantry des bockenden Bootes zu stehen. Ich verwöhne sie mit Bratkartoffeln und würzigem Beinschinken, den wir bei den Phuket Meat Importers gekauft haben. Rösti gibt es oft auch zum Frühstück, mit zwei Spiegeleiern angerichtet. Oder ich koche wieder einmal meine Hörnli, überstreut mit angeröstetem Paniermehl und dazu Apfelmus. Über Mittag mache ich meistens einen Salat. Die Kabisköpfe haben wir in Zeitungspapier eingewickelt, das wir regelmässig befeuchten, um ihre Haltbarkeit zu erhöhen. Was das Segeln betrifft, lernt Ruth schnell. Jedenfalls schlafe ich während ihren Wachen gut. Im letzten Winter hat Otto Hollborn den neuesten «Upgrade» in die Drivebox des Tecnautic-Autopiloten eingebaut. Das Gerät soll jetzt, was den Seegang betrifft, lernfähig sein. Zu kämpfen habe ich mit anderen technischen Problemen. Ein Schwappen unter den Bodenbrettern lässt darauf schliessen, dass wir Wasser machen – darauf bin ich besonders allergisch! Ich finde heraus, dass die Wellendichtung ein bisschen tropft. Dieser Schaden ist rasch behoben. Eine Schlauchbride hatte sich gelöst, und die Dichtungsmanschette war verschoben. Aber noch immer dringt Seewasser herein. Endlich finde ich die Ursache: Sobald ich 132 den Motor benütze, tropft es bei der Impellerpumpe. Dort scheint der Simmerring ausgeleiert zu sein. Ich habe keinen Ersatz dabei, also bleibt mir nichts anderes, als von Zeit zu Zeit die Bilge leer zu pumpen. Wir sind schon fünf Tage auf See, als sich das Wetter verdüstert. Wo bleibt das im «Indian Cruising Guide» so schön beschriebene Segeln? Dort steht geschrieben: «During the northeast monsoon, you will make a very pleasant passage with wind force 4–5.» Die stockdunkle Nacht wird von zuckenden Blitzen erhellt, und schlagartig verstärkt sich der Wind auf 8 Beaufort. Wenn Ruth im Cockpit sitzt und mich weckt, laufen schlaftrunken meine automatisierten Handlungen ab: Genua komplett einrollen, das Grossfall auf die rotblaue Marke für Reff 2 fieren, sofort die Reffleine über die Selbsthole-Winsch dicht nehmen – fertig. Zum Glück kann auf meinem Boot alles vom Cockpit aus bedient werden. Es hat sich auch bewährt, dass wir die Sturmfock am Kutterstag immer gesetzt haben. Ist der Wind unter 20 Knoten, so lasse ich die Genua raus. Der Regen prasselt herunter, und wir suchen Schutz unter dem Spritzverdeck. Die See wird konfus und geradezu unheimlich. Ich bin das gewohnt, aber für Ruth ist es der erste Segeltrip. «Wird das Boot halten?» fragt sie besorgt. «Natürlich», beruhige ich sie. «Es wurde in Dänemark von einer guten Firma gebaut, zudem ist es aus Stahl – es hält bestimmt!» Ansonsten reagiert sie cool auf diesen ziemlich hart gewordenen Ritt über den Golf von Bengalen. Sie findet es abenteuerlich und ist immer gut gelaunt. Das schlechte Wetter kann ich mir nur so erklären, dass sich die tropische Konvergenzzone (Luftmassengrenze zwischen den Wolkenformationen der nördlichen und der südlichen Hemisphäre) nach Norden über den Äquator geschlichen hat. Vielleicht vollzieht sich der Wechsel auf Südwestmonsun früher als vorgesehen. In einem normalen Jahr geschieht dies im Mai. Erst am 25. März hellt es wieder auf. Die Sonne lächelt vom Himmel. Wir sind schon eine Woche auf See. Es ist aber noch nicht ausgestanden. Bedrohliche 133 Wolkentürme erheben sich gegen Abend erneut in den Himmel. Noch dreimal erwischt es uns. Blöderweise immer dann, wenn ich gerade am Schlafen bin! Wenn die Böen nachts einfallen, habe ich Angst. Angst davor, dass uns bei der schlechten Sicht ein Frachter nicht bemerkt. Wie froh wäre ich bei diesen Verhältnissen, wenn mein Radar funktionieren würde. Wir halten Ausschau, so gut es eben geht. Zum Glück ist ein neuer Tag angebrochen, als der Windmesser auf 50 Knoten springt! Rasch streife ich die Schwimmweste über und klinke mich in die Sicherheitsleine ein, die vom Heck zum Bug läuft. So rasch wie möglich bergen wir das Grosstuch und laufen nur unter Sturmfock vor dem schweren Sturm ab, obwohl mich jeder Meter der verschenkten Höhe reut. Sofort lässt das Knallen beim Einsetzen in die Wellen nach. Wir beschleunigen auf 7 bis 8 Knoten Fahrt, womit uns die Wellen von achtern nichts mehr anhaben können. Nach einer Stunde lässt der Wind nach. Einmal mehr bin ich froh, ein starkes Boot zu haben. Es ist nervenaufreibend: Wir kreuzen schon den neunten Tag! Bücher fliegen aus den Regalen, alles scheppert und kleppert. Ruth nimmt es erstaunlich gelassen. Brav schiebt sie ihre Wachen und zeigt auch keine Anzeichen von Angst. Ich bin froh, sie dabei zu haben! Wir sind ein gutes Team. Da unser Ziel Addu genau im Wind liegt, entschliessen wir uns, Galle in Sri Lanka anzulaufen. Diese Hafenstadt können wir gerade anliegen. Es sind noch 380 Meilen. An den folgenden Tagen und Nächten ändert sich nichts. Es bläst stetig aus 240 Grad mit 20 bis 25 Knoten. Langsam, langsam verkleinert sich aber die Distanz. Auch das Wetter wird besser. Manchmal begleiten uns Delfine, springen übermütig aus dem Wasser und tauchen elegant wieder ein. Ihre Rümpfe glänzen dunkel bis fast schwarz. Noch 150 Meilen liegen vor uns bis Galle, als ich Peter Kägi auf der «Blue Shadow» über Kurzwelle erreiche. Er ist mit Jenny und ihrem mittlerweile zwei Jahre alt gewordenen Jules schon in Chagos angekommen, das 285 Meilen südlich von Addu liegt. Wir können uns gut verstehen. Er versorgt mich mit den letzten 134 Informationen über Galle und gibt auch eine Bierbestellung bei mir auf. Ich solle auch Bananen und eine Salbe für Jules mitbringen. Ich freue mich auf das Wiedersehen. Schon seit einigen Jahren treffen wir uns nach oft tausenden von Seemeilen immer wieder. Bis Galle sind es noch 100 Meilen, als wir uns der Küste nähern. Vor uns tauchen Fischerboote auf, und eines nähert sich uns. Piraten? Nein, die Fischer lachen und gestikulieren – sie wollen offensichtlich Fische gegen Zigaretten und Bier eintauschen. Und das bei 6 Beaufort und einem fürchterlichen Seegang. Ich winke sie näher heran und werfe ein paar Büchsen Bier und Colas rüber. «It’s a nightmare!» ruft Ruth aus, als ich sie am 30. März nachts um 22 Uhr von ihrer Wache ablöse. All die Schiffe, ein Albtraum! Draussen bewegt sich eine Kette von Frachtern, während in Küstennähe eine Unmenge spärlich beleuchteter Fischerboote herumtummeln. Die letzten 50 Meilen «motoren» wir mit fünf Meilen Abstand zur Küste. Ein Leuchtfeuer blinkt, die Nacht ist klar, das Land können wir riechen! Die zerzauste Thaiflagge tausche ich gegen die gelbe Q-Flagge aus, die anzeigt, dass wir einklarieren möchten. Glücksgefühle durchströmen uns. Nach genau 14 Tagen des ständigen Gegenanbolzens gehen wir im Aussenhafen von Galle vor Anker. Die Navy muss uns die Erlaubnis geben, bevor wir im Innenhafen festmachen dürfen. In Sri Lanka herrscht noch immer Bürgerkrieg. Deshalb will man hier wissen, was für Boote reinkommen. Nach einer Stunde des Wartens taucht eine Barkasse auf. Drei Männer kommen an Bord. Sie sind freundlich, durchsuchen ein paar Schränke, wollen aber auch unsere Bar sehen. Eine Flasche Thai-Whisky und drei Päckchen Zigaretten wechseln den Besitzer. Was soll’s – ich war schon von Peter darauf vorbereitet worden. Endlich im Innenhafen angekommen, machen wir mit dem Bug an einer Boje fest, die Heckleinen befestigen wir am schwankenden Schwimmsteg. Drei weitere Yachten sind hier. Das Einund Ausklarieren wird durch einen Agenten, Don Windsors, 135 besorgt. Es kostet 170 Dollar. Das scheint viel, beinhaltet aber auch den Liegeplatz für einen Monat. Vorerst freuen wir uns darauf, wieder einmal richtig ausschlafen zu können und Sri Lanka und seine Bewohner kennen zu lernen. «Viele können sich nicht vorstellen, wochenlang nichts als Wasser zu sehen, ohne dass es einem dabei langweilig wird. Was sind das für Trottel! Das Meer ist nie langweilig. Nie. Und vor allem auch nie eintönig. Oder wie es John von Düffel ausdrückt: ‹Es sind die Verwandlungen des Wassers selbst, das jeden Tag anders ist, gnädig und grausam, geschmeidig und zäh, steil manchmal wie ein Berg aus Dunkelheit und Schwere, aber dann wieder durchlässig und belebend wie das Licht. Das Wasser wechselt unaufhörlich sein Gesicht, 365 Tage im Jahr. Es ist nie das, was man denkt, und nie so, wie man es erwartet.› Genau so, wie der Autor und Dramaturg, erlebe ich diese vermeintliche Wüste: Mal lullt das Meer einen verführerisch plätschernd ein, mal zeigt es seine Krallen, mal droht es mit seiner unbändigen Kraft.» 136 Haie und nochmals Haie! Galle Addu Salomoninseln n der Hafenstadt Galle im Süden Sri Lankas ist alles auf den Beinen. Kurz vor dem singhalesischen Neujahrsfest ist das auch nicht weiter verwunderlich. Die Frauen sind schön, gross, schlank und wirken zurückhaltend auf mich. Viele tragen farbenfrohe Saris. Sonnenschirme schützen vor der brütenden Tropensonne. Die Männer gefallen mir weniger. Jeder will etwas! Wohin gehst du? Woher kommst du? Ich weiss einen guten Schneider! Da es wenig Touristen hat, sind wir willkommene Opfer. Ist Ruth alleine unterwegs, wird sie oft angequatscht. Nicht mal auf unserem Boot hat sie Ruhe. Natürlich ist sie auch eine Augenweide für die Matrosen der Schlepper-Boote, wenn sie sich nur mit einem Bikini bekleidet an Deck bewegt. Die Nächte werden von Zeit zu Zeit durch Detonationen erschüttert. Die Navy schmeisst kleine Sprengladungen in die Hafeneinfahrt, um allenfalls unter Wasser eindringende Tamil Tigers abzuschrecken! Nach ein paar Nächten haben wir uns auch daran gewöhnt. Der früher Ceylon genannte Inselstaat heisst seit 1972 Sri Lanka. Dreiviertel der 18 Millionen Einwohner sind Singhalesen und Buddhisten. Die hinduistischen Tamilen leben vorwiegend im Norden und Osten. In den siebziger Jahren gründete diese Minderheit die «Liberation Tigers of Tamil Eelam». Diese möchte einen eigenen Staat im Norden. Seither herrscht Bürgerkrieg mit verheerenden Folgen. Nur die Ausfuhr von Tee und günstigen Textilien hält die Wirtschaft am Leben. Die 1994 gewählte Premierministerin Chandrika Bandaranike Kumaratunga versucht, endlich eine Versöhnung zustande zu bringen. Vorerst machen wir einen Ausflug nach Colombo. Wir benützen I 137 einen öffentlichen Bus entlang der romantischen Westküste und sind in drei Stunden in der Hauptstadt. In jeder Strasse scheint Jahrmarkt zu sein, wo sich die Menschen vor den Ständen stauen. Nach dem vielen Wasser geniessen wir die quirlige Atmosphäre. Ruhe finden wir am nahen Meer, wo sich Hotelkästen und Geschäftsbauten den Platz streitig machen. Ich war schon in den siebziger Jahren hier, als wir Colombo mit DC-8 anflogen und hier Wir dürfen 30 Tage in Sri Lanka bleiben 138 fünf Tage frei hatten. Oft werden wir an Militärposten angehalten und ausgefragt. Für die Rückfahrt nach Galle wählen wir die Eisenbahn, 2. Klasse. Das Ticket kostet nur gerade 64.50 Rupien, ungefähr ein Franken dreissig. In einem überfüllten Wagen rattern wir quietschend und rumpelnd nach Süden. Die Mitreisenden wollen wissen, ob uns Sri Lanka gefällt. Als wir bejahen, geht ein Strahlen über ihre Gesichter. Inzwischen ist die Schweizer Yacht «Chivas» mit Barbara und Picco eingetroffen. Sie hatten eine stürmische Überfahrt. Ihre Genua hängt in Fetzen herunter. Nachdem sogar der Ruderquadrant brach, war Picco gezwungen, eine Notpinne zu installieren. Zur Übertragung der Kräfte benutzte er Tampen, die er auf einen am Steuerrad befestigten alten Autopneu führte. Es funktionierte! Die beiden Schweizer offerieren uns ein Chäsefondue mit allen Schikanen. Dazu kredenzen sie Weisswein und kalten Kirsch. Das sei ein Luxusliner, meint Wolfgang, ein Deutscher aus Hamburg, dessen «Little Do» gleich nebenan liegt und der auch eingeladen ist. Das finden wir auch. Der 14 Meter lange Vagabond 52 ist ein als Ketsch getakelter Clipper. Barbara und Picco holten das in Taiwan entstandene Boot dort ab und segelten damit kreuz und quer durch den Fernen Osten. Das Innere des Bootes ist sehr geräumig und sogar mit einem Perserteppich belegt. Ein gediePiccoʼs Visitenkarte genes Heim. Allerdings muss der Generator bis acht Stunden am Tag laufen, damit die Tiefkühltruhe und der Kühlschrank die richtige Temperatur halten können. Im Gegensatz zu meinen 200 Litern Diesel, die ich hier bunkere, sind es auf der «Chivas» viermal mehr. Plötzlich taucht noch eine dritte Schweizer Yacht auf: die 139 «Shipibo». Dieses Boot befindet sich schon auf der zweiten Erdumrundung. Es ist mir von der Südsee her bestens vertraut. Zuerst diente es Fréderique und Vincent Falcy und ihren beiden Kindern Joslain und Manou als Heim, jetzt Steve Rutishauser und Laurent Gonthier aus Lausanne. Jean Christoph ist als Gast an Bord. Sie wollen durch das Rote Meer zurück nach Europa segeln, erklären sie. Sie müssten wieder arbeiten gehen. Das Alpenland Schweiz ist auf allen Weltmeeren wahrlich gut vertreten! Um zumindest einen Eindruck von der reichen Kultur dieses Landes zu bekommen, machen wir uns in einem Kleinbus mit Dilip als Fahrer auf den Weg. Der fröhliche Singhalese fährt sein Auto virtuos. Wir folgen zuerst der Küste und fahren dann Richtung Nordosten über Kurunegala nach Dambulla. Wegweiser und Strassenschilder gibt es keine. Im Verkehr, das erfahren wir schnell, gilt hier das Recht des Stärkeren – und des Überholenden. Kommt uns ein Lastwagen auf unserer Strassenseite entgegen, sucht Dilip links eine Lücke zu finden oder geht brutal auf die Bremse bis der «Gegner» wieder eingespurt hat. Es gebe wenig Unfälle hier, meint er treuherzig. Busse, dreiräderige Tuk-Tuks, Ochsenkarren, Velofahrer und Fussgänger behaupten ihren Platz im Verkehr. Die Strassenbeläge wechseln zwischen gut bis löcherig. Uns erwischt es bei einer behelfsmässigen Geschwindigkeitskontrolle auf einer der wenigen geraden Strecken. Ein lachender Polizist schwenkt triumphierend seine Radarpistole: Sie zeigt 81 anstatt der allgemein erlaubten 75 Kilometer pro Stunde an. Im nächsten Postamt hat Dilip eine Busse von 200 Rupien einzuzahlen, bevor wir weiterfahren dürfen. In Dambulla finden wir ein gutes Nachtquartier im Resthouse «Gimanhala». Früh am Morgen erklimmen wir auf einem steilen, stufenreichen Weg in Sigirya die 600 Meter hohe Felsenfestung in zwei Stunden. Ruth hat eine Magenverstimmung und ist um jede Pause dankbar. Auf diesem Felsen lebte vor 1500 Jahren der König Kasyapa. Er baute sich einen Palast, von Gärten, Zisternen und einem Schwimmbad umrahmt, und soll 500 Frauen(!) gehabt 140 haben. Beim Aufstieg an der Westseite kommen wir auch an den berühmten «Wolkenmädchen» vorbei: Fresken, die seine barbusigen Gespielinnen zeigen. Nur 19 dieser Porträts sind übrig geblieben. Die meisten sind von Mönchen zerstört worden, denen die freizügigen Darstellungen ein Dorn im Auge waren. Beim Pool machen wir uns auf der für den König reservierten Bank gemütlich und versuchen uns vorzustellen, wie es damals war. Die Aussicht ist gewaltig. Bewaldete Hügel, so weit das Auge reicht. Wir befinden uns in einer geschichtsträchtigen Gegend mit Tempeln auf alle Seiten. In einer guten Stunde erreichen wir die königliche Residenzstadt Kandy. Mitten in der Stadt liegt ein künstlicher See, an dessen Ufer der berühmte Zahntempel steht. Der linke, obere Eckzahn Buddhas wird dort aufbewahrt. Im Juli oder August findet das zehntägige Perahera-Fest zu Ehren dieses Zahnes statt. In der Prozession bewegen sich über achtzig kunstvoll geschmückte Elefanten neben Fackelträgern, Musikanten, Trommlern und Tänzern. Der botanische Garten im Westen der Stadt ist riesig und beeindruckend durch seine Vielfalt. In einem Restaurant schaut Dilip die Karte nicht an und bestellt wie immer Chicken-Curry mit Reis und verschiedenen Zutaten, das Nationalgericht Sri Lankas. Es schmeckt ausgezeichnet und ist schweisstreibend scharf. Anschliessend beginnt eine haarsträubende Fahrt zurück nach Galle. Zum Glück kommen wir wieder heil in der Hafenstadt an. Lange wollen wir uns hier nicht aufhalten und machen uns bereit für die Weiterreise zum Addu-Atoll, dem südlichsten Atoll der Malediven. Ich finde sogar einen neuen Simmerring für die Impellerpumpe des Bukhmotors. Ruth kauft sich einen blauen Sari und sieht darin umwerfend aus. Beim Mike-Yachtservice stocken wir auch unsere Vorräte auf. Am 11. April lösen wir die Leinen und verlassen Galle Harbour, nachdem ein Gewitter durchgezogen ist, zu unserem 585-Meilen-Törn. Tagsüber scheint die Sonne, kleine Kumuluswolken überziehen den Himmel, nachts weist uns das Kreuz des Südens den Weg, diese mir aus 141 meiner Südseezeit lieb gewordene Sternenformation. Der Mond liegt auf dem Rücken, wie wenn er sich zum Schlafen hinlegen möchte. Nur selten öffnet der Himmel seine Schleusen zu einem Regenschauer. In der Nacht zum Karfreitag finde ich Ruth bei der Wachablösung um zehn Uhr allerdings platschnass vor. «Plötzlich begann es wie aus Kübeln zu giessen. Ich hatte keine Zeit mehr, das Verdeck hochzuziehen – der Wind nahm rasant zu, und das Eindrehen der Genua in den starken Böen war wichtiger!» rapportiert sie. Ich schlief tief und wachte nicht einmal auf. Ich finde es schön, dass bei Ruth die Sicherheit unseres Bootes vor den eigenen Bedürfnissen kommt. Wie früher bei der Kavallerie: zuerst das Pferd, dann der Reiter! Inzwischen bedient sie die «Hasta Mañana» selbständig, halt so, wie ein guter Erster Offizier. Weil die Norweger die Eier am Ostersamstag suchen, passe ich mich dem an. Früh am Morgen, Ruth schläft noch, koche ich ein paar Eier und bemale sie mit Filzschreibern: mit Strandmotiven, mit Segelboot natürlich, «Happy Easter» und mit Blumenmotiven. Ruth freut sich darüber und verspeist die Eier genüsslich zum Frühstück. Wir geniessen das Ostern an Bord warme Wetter und schütten uns von Zeit zu Zeit einen Kübel Seewasser über Kopf und Körper. Die Abkühlung ist mässig, denn das Wasser hat 30 Grad, wie ich am Tecnautic-Instrument ablesen kann. Der Nachrichtensprecher von Swiss Radio International verkündet, dass die Schweiz von einem Wintereinbruch heimgesucht wird – und das Mitte April. Wieviel besser haben es wir! Wir nähern uns dem Äquator auf 74° Ost. Vorsorglich stelle ich eine Flasche Sekt in den Kühlschrank und überlege mir, womit ich Ruth bei der Äquatortaufe am meisten überraschen könnte. Plötzlich spielt das 142 sprechende Echolot verrückt: «Two point 3 meters!» Gleichzeitig macht Ruth ein paar Delfine aus, die unser Schiff nun stilgerecht über den Äquator geleiten. Natürlich ein Grund zum Feiern. Als Neptun verkleidet, mit Netz und Bootshaken bewaffnet, lasse ich zuerst einmal den Korken des Sektes knallen: ein Spritzer für Neptun und ein Sprutz für Ruth. Sie lässt es sich nicht nehmen, auf dem Breitengrad 0 ein Bad zu nehmen, nachdem ich das Boot in den Wind gesteuert und mit flatternden Segeln zum Stillstand gebracht habe. Die letzte Nacht vor dem Landfall hat es einmal mehr in sich. Blitze zucken vom Himmel, und immer wieder prasselt Regen herunter, begleitet von Windböen. Wir haben aber Glück. Kurz vor dem Wasserpass ins Addu-Atoll blinzelt die Sonne durch die dunklen Wolken. Vor Gan, dort wo auch der ehemalige RAF- Flughafen und das einzige Hotel dieses Atolls liegen, gehen wir in der Nähe des Causeway – eines aufgeschütteten Dammes – vor Anker. Am frühen Nachmittag machen wir ein weiteres anlaufendes Boot aus. Es sind Barbara und Picco, die auch nach diesem Trip eine beschädigte Genua beklagen. Es dauert 24 Stunden, bis fünf Beamte zusammengetrommelt sind, um für das Einklarieren zu uns an Bord zu kommen. Sie sind sehr fröhlich gestimmt. Wir Barbara und Picco mit der zahlen nur 5 Dollar für zwei Wochen «Chivas» vor Addu Aufenthalt, anschliessend kostet es aber gleichviel pro Tag. Schnell stellen wir aber fest, dass dies fast das einzig Billige hier ist. Die Malediven sind ein teures Pflaster. Ausser in der Hauptstadt Malé kann kein Bargeld mit Kreditkarte bezogen werden. Dann taucht ein weiteres Schweizer Boot auf: die «Eldorado», eine Nauticat 40, mit Ludwig Drapalik und seinem 143 Schwager Fredy an Bord. Die beiden verfolgte etwas Pech in letzter Zeit. Auf dem halben Weg zwischen Malé und den Seychellen hatte Fredys Tochter einen Unfall: Ihr rechter Zeigefinger wurde fast abgeklemmt, und es sah böse aus. Darauf kehrten sie um. Als Funkamateur war Ludwig noch in Verbindung mit Malé und konnte dort ein Wasserflugzeug bestellen, das neben seinem Boot landete und die Verletzte barg. Darauf flog sie in die Schweiz, wo ihr Finger zum Glück gerettet werden konnte. Die restliche Crew erreichte nach ein paar Tagen Malé. Ludwigs Frau Lotti war schon vorher für ein Timeout in die Schweiz geflogen und liess damit einen einsamen Skipper an Bord zurück. Beim zweiten Versuch, nach den Seychellen zu kommen, beutelte die «Eldorado» schlechtes Wetter und Gegenwind. Das zwang Ludwig, in Addu auf bessere Verhältnisse zu warten. Die Malediven bestehen aus über tausend Inseln. Teilweise sind sie unbewohnt, aber viele werden zubetoniert und mit luxuriösen Hotelkomplexen verschandelt. Der Tourismus füllt wohl die Kassen, aber was sind die langfristigen Folgen für die Umwelt? Nur 230 000 Menschen leben in diesem Inselstaat, Addu auf den Malediven: Nur fünf Dollar Gebühren für die ersten zwei Wochen 144 60 000 davon in der Hauptstadt. Als einzige Religion ist der sunnitische Islam zugelassen. Das heisst auch, dass es keinen Alkohol gibt und dass die Gläubigen fünfmal am Tag mit Lautsprechern zum Gebet aufgerufen werden. Wir begegnen hier nur freundlich lächelnden Menschen, für einen Nordeuropäer schon fast unnatürlich. Die Atolle mit schneeweissem Sand und sich im Wind wiegenden Palmen, wie sie unseren Vorstellungen von Paradiesen entsprechen, erstrecken sich von etwas südlich vom Äquator bis auf über 7° Nord, also über 800 Kilometer. Nahrung bietet das Meer in Hülle und Fülle. Abgestorbene Korallen werden zerkleinert und zum Betonieren verwendet, Bauholz liefern die Palmen. Hier ist – oder wäre – ein naturverbundenes Leben noch möglich. In Addu wollen wir die Diesel- und Wassertanks auffüllen, Frischgemüse kaufen und nur ein paar Tage bleiben auf unserem Weg nach Chagos, das 285 Meilen im Süden liegt. Im Hotel machen wir die Bekanntschaft Danis, eines Tauchlehrers aus der Schweiz. Zwei Tage später führt er uns am Innenriff entlang. In zehn Meter Tiefe stossen wir auf einen Hai. Er nimmt kaum Kenntnis von uns und gleitet elegant davon. Auf unserem Unterwasserbummel begegnen wir weiteren Haien, Mantas, Wasserschildkröten und grossen Schwärmen von exotischen Rupien, das Zahlungsmittel der Malediven 145 Tropenfischen. Die Korallen erscheinen mir blasser, als ich sie von meinem letzen Besuch hier vor über zehn Jahren in Erinnerung habe. Folgen der Wassererwärmung? Ruth macht noch einen weiteren Tauchgang zu einem gesunkenen britischen Schiff. Muhamad Saeed, ein junger Händler, liefert Diesel in Plastikkannen und Frischgemüse. Erstaunlicherweise muss alles aus Sri Lanka importiert werden. Hier wachsen nur Bananen und andere Früchte. Saeed will einen Yachtservice aufziehen und ist dankbar für einige gute Tipps. Hier, weit abseits von den Brennpunkten der Welt, erreicht mich die Nachricht vom Finanzdesaster der SAirGroup. Ebenso höre ich, wie die Marathon-Generalversammlung vom 25. April verlief. Ich bin froh, dass meine ehemalige Arbeitgeberin zu ihrem alten Namen – Swissair Group – zurückkehren will. Über zwei Milliarden Franken wurden in den Sand gesetzt, nachdem noch ein halbes Jahr zuvor von 200 Millionen Gewinn die Rede gewesen war! Zum Glück scheint der neue Verwaltungsratspräsident, Dr. Mario Corti, fähig und willens zu sein, den ins Trudeln geratenen Konzern aufzufangen und wieder auf einen Erfolg versprechenden Kurs zu führen. Ich bin optimistisch, ergreife die Gelegenheit und kaufe über das Internet ein paar der sehr günstig gewordenen Aktien. Es ist keine Fata Morgana, als wir nach einer angenehmen Überfahrt von drei Tagen die Salomoninseln des Chagos-Archipels am Horizont erkennen können. Sie erheben sich nur wenige Meter über die Wasseroberfläche und sind dicht mit Palmen bewachsen. Wir sind gespannt. Finden wir hier tatsächlich das so oft beschriebene letzte Seglerparadies, das unbewohnt und reich an Fischgründen sein soll? Offenbar sind wir nicht die Einzigen, welche die Neugier hieher getrieben hat. Im Schutze der Insel Takamaka zähle ich 16 Boote, die bei der Sandbank vor Anker liegen. Vorerst machen wir uns einen ruhigen Tag, geniessen das klare Wasser für einen kleinen Schnorchelausflug und sind glücklich, überhaupt hier zu sein. Die Lagune schimmert je nach 146 Wassertiefe in über Türkis, Hell- bis Dunkelblau wechselnden Farben. Morgen soll es zu einem Treffen mit «JJP» (Jenny, Jules, Peter) kommen, die etwa drei Meilen entfernt vor der Insel Boddam liegen. Die Überfahrt wagen wir erst, als die Sonne hoch steht und wir sicher sind, dass wir den zahlreichen «Bombies», so nennt man hier die Korallenstöcke, ausweichen können. Ruth steht auf dem Vorschiff und hält Ausschau. Schon bald kann ich die «Blue Shadow» erkennen. Peter ist uns behilflich bei der Suche nach einem günstigen Ankerplatz, während Jenny sogar zehn Meter hinuntertaucht, um am Anker eine Leine anzubringen, die wir dann an einer kleinen Boje befestigen. So wissen wir immer genau, wo der Anker liegt, sollte er mal «slippen». Dazu bringen wir einen zweiten Anker aus – doppelt genäht hält besser! Mich freut es, die junge Familie hier erneut zu treffen. Ich übergebe ihr die bestellten Bierkartons, Zwiebeln, Bananen, Zucker und Benzin fürs Dinghy. Den Zucker braucht Peter, um «Home Brew» zuzubereiten, ein selbst gemachtes alkoholisches Getränk. Gekühlt schmeckt es ähnlich wie Most und enthält etwa 8 Prozent Alkohol. Der inzwischen zwei Jahre alte Jules spricht die ersten deutschen und englischen Worte. Am Abend wollen wir einen Hai und einen Zackenbarsch, die Peter gefangen hat, auf einer Feuerstelle an Land grillieren. Vor dem Landgang geht der Griff automatisch zum Portemonnaie, aber das kann ich mir hier abgewöhnen. Hier gibt es keine einzige Möglichkeit, um Geld auszugeben! Weitere 26 Boote sind hier vor Anker. Am Abend versammeln sich viele der Segler zu gemeinsamen Aktivitäten, zum Beispiel einem Volleyballspiel im Schatten der Palmen. Claire und Humphrey, ein Paar aus Brisbane, haben bereits ein Feuer unter dem Grill entfacht. Sie kommen mit ihrer «Brumby» oft nach Chagos. Deshalb ist Humphrey so etwas wie der Dorfhäuptling. Er hat sogar eine Motorsäge dabei, um Brennholz zu schneiden, sorgt auch dafür, dass die Abfälle verbrannt und Alu- und sonstige Dosen mit einem Hammer flachgeschlagen und im dafür 147 vorgesehenen Kübel deponiert werden. Nach Gebrauch sind behelfsmässige Stühle und Liegen in einem Schuppen unterzustellen. In dieser kleinen Gemeinschaft ist es wichtig, dass etwas Ordnung herrscht. An unserem ersten Abend knüpfen wir Kontakte zu Seglern aus aller Welt: Kathy und Richard von der «Mr Curly», Ruth und Peter von der «Orphee» und Daphne und Martin von der «Naima» aus Australien, Ainina und Ron von der «Tigger» aus Kanada, Uta und Rolf von der «Mariposa» aus Deutschland, Céline und Toni von der «Oé» und Muriel und Johan von der «Bubble Hull» aus Frankreich, Elsa und Skip von der «Scoots» und Paula und Rick von der «Leviathan» aus den USA, um nur ein paar zu nennen. Bei diesen Anlässen bringt jeder etwas zum Essen mit, womit dann ein Buffet entsteht. Wir nennen das ein «Pot luck dinner». Die Haisteaks schmecken sensationell. Der Chagos-Archipel ist Britisch Indian Ocean Territory. Die Segler sind im unbewohnten nördlichen Teil geduldet. Diego Garcia im Süden ist an die U.S. Navy vermietet, die dort einen Stützpunkt unterhält. Yachten haben dort höchstens in einem Notfall Zugang. Die Briten kommen von Zeit zu Zeit mit einem Boot vorbei und verlangen achtzig Dollar Liegegebühr für drei Monate, knallen einen Stempel in den Pass und entsorgen den Abfall. Sie wollen, dass keine permanenten Anlagen entstehen und dass möglichst alles so belassen wird, wie es ist. Bei einem Spaziergang begegne ich an der Wasserstelle einigen Frauen beim Waschen. Trinkwasser wird vom Dach einer halb verfallenen Hütte aufgefangen und in zwei alte, rostige Tanks geleitet. Ich entdecke auch die Überbleibsel einer vor dreissig Jahren aufgegebenen Kokosplantage und einen gut erhaltenen Friedhof. Leider kann ich auf den einfachen Grabmalen keine Inschriften erkennen. Am Abend haben wir einen herrlichen Ausblick auf die Honeymoon-Insel, ein kleines, rundes Eiland mit ein paar Palmen drauf. Wie aus dem Bilderbuch! Nach den Wochen zusammen mit einem alten Knacker gefällt es Ruth auch, hier einmal jüngere Segler anzutreffen! 148 Peter bringt mir nahe, wie man hier fischt. Tauchen mit Flaschen oder Harpunieren sind verboten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Entweder vom Boot aus mit einem Köder – Hörnli eignen sich gut –, oder man saust mit einer Schleppangel am Heck des Dinghys über den Wasserpass. Die zweite Methode braucht viel des raren Benzins. Wir wählen die anstrengendste Art. Wir paddeln mit Peters Dinghy bei Hochwasser zur Aussenkante des Riffs und gehen dort vor Anker. Die starken, mit einem Stahlvorfach versehenen Angelhaken bestücken wir mit Resten der früher gefangenen Fische. Um zu sehen, was unter uns abgeht, neigen wir uns über den Gummibootsrand und können durch die Taucherbrille erkennen, dass unsere Köder von kleinen Fischen angeknabbert werden – aber auch, dass ein Hai in Lauerstellung herumkurvt. «Zieh den Köder etwas in die Höhe, sobald ein Hai zu nahe kommt!» instruiert mich Peter. Das Ganze ist recht spannend und weckt den Jagdtrieb. Endlich können wir ein paar Red Snappers in der richtigen Grösse ausmachen. Einen solchen hat Ruth fürs nächste Fest zu Ehren des «Cinco Mayo», des mexikanischen Unabhängigkeitstages, bestellt. Jetzt sind aber schon drei Haie zur Stelle und stören unsere Versuche. Langsam haben wir genug. Ich hocke auf dem Rand des Bootes und hole meine Leine ein. Da, ein starker Zug – «Zieh, zieh!» schreit Peter. «Schau, was es ist!» schreie ich zurück. Zu spät, der Fisch hat sich losgerissen. Zerknirscht müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass meine wohl zu schwache Leine gebrochen ist. Heute ist offensichtlich nicht unser Tag: Wir kehren ohne Beute zurück. Ich habe mir hier das Fischen einfacher vorgestellt. Bis jetzt kam ich relativ problemlos zu Fängen mit meiner Schleppangel am Heck der «Hasta Mañana». Am nächsten Tag gehen wir erneut auf Jagd nach Beute und lassen uns über das Riff treiben. Blitzartig schnappt ein Grouper meinen Köder. Das Hochziehen muss schnell gehen. Trotzdem schafft es ein kleiner Hai, «meinem» Fisch eine Wunde zu verpassen, bevor ich ihn an Bord hieven kann. Peter greift dem 149 schlüpfrigen Fisch mit Daumen und Zeigefinger in die Augen – eine zwar brutale, aber die einzige Art, um ihn halten zu können – und verstaut ihn in einem Sack. Wir fangen noch einen weiteren Grouper und fahren dann zurück zum alten Steg. Dort steht ein Tisch zum Ausnehmen der Fische. Sorgfältig schneidet Peter vier Filets aus den zählebigen Fischen, die noch immer die Kiemen bewegen. Wir werfen die Abfälle vom halb verfallenen Anlegesteg ins Wasser. Dort unten soll im Schutze einer Höhle eine Muräne namens «Monty» hausen. Kaum schmeissen wir ein Stück Fisch ins Wasser, kommt das über ein Meter lange Unikum zum Vorschein, schnappt sich einen Anteil und zieht sich zurück. Einige Haie umkreisen die leichte Beute und werden immer angriffslustiger. «Lass uns einen fangen!» ruft Peter. Gesagt, getan. Wir werfen den mit einem Köder bestückten Doppelhaken ins Wasser, und tatsächlich schnappt einer sofort zu. Mit vereinten Kräften ziehen wir das etwa ein Meter lange Exemplar an Land. Peter bringt das Tier mit einem Stein zu Tode, schneidet Kopf und Flossen ab, damit sein Blut ausfliessen kann und verfrachtet es in unseren Fischsack im Beiboot. Wir verteilen die Beute innerhalb unserer kleinen Gemeinschaft. Gunter aus Hamburg, der mit seiner philippinischen Frau Lornie auf der «Zigeunerlady» lebt, ist erfreut, schenkt uns spontan ein paar starke Angelhaken und lädt uns zu Tee mit Rum ein. Unsere Steaks landen umgehend in der Bratpfanne. Mit einer thailändischen «Tom Yam»-Sosse schmeckt das Fleisch vorzüglich. Noch besser ist es, das Fleisch in einer Marinade vorzubereiten. Nach diesem ereignisreichen Tag haue ich mich früh in die Koje, obwohl die Vollmondnacht zum Ausgehen verführen könnte. Auf einigen Booten leben auch Kinder. Sie werden in der Regel von ihren Müttern unterrichtet. Auch Jules, Jennys und Peters Sprössling, wächst auf ungewöhnliche Art auf. Er ist ein pflegeleichtes Kind, auch wenn er mal bei uns zu Besuch ist. Peter will uns vor unserer Abreise eine CD mit ausgewählten Fotos brennen, als Souvenir unserer Zeit in Chagos. Die moderne Technik hat 150 auch auf den Segelbooten Einzug gehalten. Einige können über SSB sogar E-Mails senden und empfangen. Auch hier gibt es ständig etwas zu tun, seien es Reparaturen oder – ganz elementar – die Nahrungsmittelbeschaffung. Auf einem Boot werden sogar zwei Hühner gehalten, um die Versorgung mit frischen Eiern sicher zu stellen. Auf einem Vordeck entdecken wir sage und schreibe eine Hydro-Gemüsekultur. Der Phantasie sind wahrlich keine Grenzen gesetzt! Kommt ein Manta auf Planktonjagd in die Nähe, springen wir ins Wasser, um dieses Schauspiel aus nächster Nähe zu beobachten. Das geschützte Wasser ist auch Jagdrevier einer Delfinherde, die auf junge Thunfische aus ist. Daneben tauchen Schildkröten auf, um Luft zu holen. Kurz: ein pralles Leben in einem tatsächlichen Paradies. Auf einer weiteren Fischjagd stören uns immer mehr angriffslustige Haie. Einer beisst Peters Haken samt Stahlvorfach ab. Ein anderer packt meinen Köder, womit ich einen dieser Raubfische an der Angel habe. Der Zug auf die Leine verstärkt sich. Ich lasse etwas nach, dann hole ich wieder ein. Schliesslich ziehen wir den Raubfisch an der Seite Ein Hai muss dran glauben unseres Bootes hoch. Er ist etwa einen Meter lang und schlägt wild um sich. Nur cool bleiben! Wir müssen ihn möglichst schnell töten. Peter schafft das mit einer Eisenröhre. Er säbelt seinen Kopf ab, der im Meer versinkt, dann folgen die Flossen. Auf dem Heimweg fangen wir noch einen Travelli. Das Fleisch dieses Fisches schneiden wir in Streifen und hängen es eingesalzen zum Trocknen und später zum Räuchern auf. Das Wetter hält sich gut. Es scheint, als habe sich der Südostpassat durchgesetzt. Am 17. Mai feiern wir den norwegischen Unabhängigkeitstag. Ruth ist aufgekratzt und platzt fast vor 151 152 Freude, als ich die Flagge hervorklaube, die an meinem Boot flatterte, als ich es 1994 in Oslo abholte. Wir hissen sie an Land und bereiten den Festplatz vor. Es wird zu einem würdiges Anlass, bei dem Ruth – zwei kleine Embleme auf die Backen gemalt – mit einer Flasche Aquavit als Willkommenstrunk die Runde macht. Dann ist die Zeit gekommen, zurück zur Takamaka-Insel zu «zügeln», von wo aus wir das Salomon-Atoll leicht verlassen können. Castaway/naufragé – Party (Potluck) Imagine, you are a castaway on this island. Use your fantasy to dress accordingly. Palm leaves and coconut shells will be available for those who lost everything! First drink offered by «Blue Shadow»/«Hasta Mañana» Sunday 27th May, 5 p.m., Takamaka Beach So sieht die Einladung zu unserem Abschied aus. Die Vorbereitungen sind lustig. Für Ruth und Jenny basteln wir BHs aus Kokosnussschalen und Grasröcke. Mir selbst verpasse ich ein altes Netz, bastle einen Helm und Gurt aus Blättern. Peter hängt sich auf Karton gemalte Fische um die Hüften. Am Abend scharen sich über 20 Yachtcrews um das Feuer. Wieder einmal heisst es Abschied nehmen, auch von JJP. Schiffbrüchigen-Party Diese wollen die Seychellen ansteuern, derweil wir das 900 Meilen entfernte Rodrigues anlaufen möchten. Am letzten Maitag laufen wir aus. Wir wünschen einander «bon voyage», und die etwas schnellere «Blue Shadow» zieht 153 davon. Auf unserem Boot bringe ich die Schleppleine aus, versehen mit einem kleinen Tintenfischköder mit Doppelhaken. Gegen Abend schreit Ruth auf: «We have a fish»! Mit vereinten Kräften bringen wir ihn ans Heck. Es ist ein Exemplar, das wir noch nie gesehen haben: bläulich, schlank und über 80 Zentimeter lang. Ein unbekanntes Wesen. Mit dem Fischerhaken greife ich dem Fisch in die Kiemen, töte ihn mit einem Dachlattenstück und hieve ihn ins Cockpit. Über VHF erfahren wir von Peter, dass dies ein Wahoo sei. Wir bieten ihm die Hälfte an. Kaum sind sie auf «Tuchfühlung» herangekommen, wirft Peter eine Leine rüber und Ruth befestigt den hinteren Teil des Fisches. «Happy sailing» wünschen wir noch einmal. Das Jauchzen Jules, der schon über 10 Fischarten kennt, tönt in unseren Ohren, als sich unsere Kurse trennen. «Hier ist alles so einfach und konzentriert sich auf das Wesentliche: unser Sein, das zugleich ein Fortkommen ist.» 154 Inferno in der Wasserw ste Les Mascareignes Mauritius La RØunion Mayotte o bleibt nur der famose Südostpassat? Wie sollen wir die 900 Meilen bis Rodrigues in vernünftiger Zeit schaffen, fragen wir uns, als wir am Atoll Peros Banhos vorbeidriften. Wir geniessen die sonnigen Tage und lauen Nächte. Ruth wird nicht müde, sich an Deck zu sonnen, wobei es mein Jöbchen ist, sie vor dem Sonnenbad einzusalben. Der Hammer kommt in einer Sonntagnacht. W Ruth einzusalben, macht Freude! Der Wind legt auf 35 Knoten zu. Natürlich sind wir wieder am Kreuzen. Unmöglich, Rodrigues direkt anzuliegen. Wir rollen die Genua ein, die Sturmfock ist ohnehin gesetzt, und binden Reff 2 ein. Was uns nicht gefällt, ist die bis zu fünf Meter hohe Dünung, die ihren Ursprung im Südmeer haben muss, wie ich in Jimmy Cornells «Segelrouten der Weltmeere» nachlesen kann. Ruth neckt mich, wenn die Dinge nicht nach Buch ablaufen: «Mother 155 «Mutter Natur hat dein Buch nicht gelesen!» nature did not read your book!» spottet sie. Am Himmel schweben Passatwölklein dahin. Elegant erklimmt die «Hasta Mañana» einen Wellenberg und saust ins nächste Tal hinunter – faszinierend! Mühsam wird jedoch das Kochen. Auch muss ich mich überwinden, die Reparatur der Bilgenpumpen-Verdrahtung in Angriff zu nehmen. Ich frage Ruth, was sie sich am meisten wünschen würde, wären wir zurück in der Zivilisation. Sie lechzt nach einer Ice Cream. Ich wünsche mir sehnlichst eine aktuelle Zeitung. Nach über sechs Wochen in der Wasserwüste werden unsere Essensvorräte immer knapper. Ich backe mit dem letzten Mehl ein Brot. Nachts kann man jetzt im Vollmond fast ohne Licht lesen. Je südlicher wir vorankommen, desto mehr nimmt der Seegang zu, und der Wind erreicht Sturmstärke. «Wir müssen es erdauern!» meint Ruth fatalistisch und ist gelassen. Sauer wird sie erst, als Salzwasser durch die undichte Luke in ihre Koje tropft. Tagsüber schaue ich den sich brechenden Wellen und dem glitzernden grünen Wasser zu. Immer öfter setzt unser Boot unsanft ein, wobei Wasser ins Cockpit zischt. Trotzdem hockt schon 156 mehrere Stunden ein Vogel auf der oberen Saling. Es ist schön, aber man muss schon etwas abartig veranlagt sein, um diese Seglerei zu geniessen. Immerhin kommen wir gut voran, doch Rodrigues müssen wir vergessen. Der Wind hat auf Süden gedreht. Schonend bereite ich Ruth darauf vor, dass wir ab sofort Mauritius zum Ziel nehmen und dass es 300 Meilen mehr zu segeln gibt. Der Wind nimmt weiter auf über 40 Knoten zu. Zum ersten Mal überhaupt, seit ich mit der «Hasta Mañana» unterwegs bin, muss ich Reff 3 einbinden. Unser Trip ist zu einer knochenharten Bewährungsprobe für Boot und Crew geworden! Die See ist konfus. Wichtig ist es, bei diesen Verhältnissen trotzdem den Tagesablauf einzuhalten: möglichst gut zu kochen und sich zum Beispiel eine Dusche zu gönnen. Um das Gleichgewicht zu halten, sind die Muskeln ständig beansprucht. «It’s a good workout to keep the balance!» bemerkt Ruth strahlend. Ich stopfe ein Kissen in den Geschirrschrank, nachdem eine Tasse in Brüche gegangen ist. Der Windgenerator heult, ein Fall klappert gegen den Mast, die Wellen knallen gegen den Rumpf – ein Inferno. Wir werden von Böen durchschüttelt, dazu regnet es oft. Von Wetterprognosen halte ich wenig. Jetzt wäre aber ein Wetterfax nützlich, um eine Idee der allgemeinen Lage zu bekommen. Ohne diese Hilfe müssen wir uns auf das einstellen, was gerade um uns herum abgeht. Dem Wetter ausweichen können wir ohnehin nicht – ein Segelboot ist ganz einfach zu langsam. Die Windfahnensteuerung arbeitet auch bei diesen Verhältnissen zuverlässig. Wir sind schon wieder eine Woche auf See, 350 Meilen vor Mauritius. Der Wind kommt immer mehr aus der Richtung, in die wir wollen. Wir wenden und steuern 24 Stunden lang einen südöstlichen Kurs, um keine Höhe zu verschenken. Es hat keinen Sinn, sich Ankunftszeiten auszudenken, die dann doch nicht eingehalten werden können. Die einzige Ausweichmöglichkeit wäre, Richtung Westen ablaufen, um Mayotte auf den Komoren oder Nosy Be in Madagaskar ins Visier zu nehmen. Diese Häfen liegen aber 1000 Meilen entfernt. Das können wir gleich vergessen. 157 Wir unterhalten uns meistens englisch, obwohl Ruth auch deutsch spricht. Ich verstehe erst ein paar Brocken Norwegisch: «Vel bekomme» (guten Appetit), «vi segler» (wir Segler), «regn» (Regen), «blomster» (Blumen), «vi sees» (auf Wiedersehen). Ich bin stolz auf meine Begleiterin, weil sie diese ruppige Seglerei gelassen über sich ergehen lässt. Inzwischen ist sie eine gute Seglerin geworden und bedient mein Boot selbständig. Von Seekrankheit keine Anzeichen mehr. Unser Wachsystem, das ich je nach Crew flexibel halte, hat sich bewährt. Bei uns geht es gut, wenn Ruth die Wache von 19 bis 22 und die von 01 bis 04 Uhr übernimmt. Ich kann früh am Abend schon gut schlafen und geniesse die Morgenstunden ab vier Uhr früh. Sie schläft meistens bis gegen 10 Uhr, worauf ich mich für ein Schläfchen in die Koje haue. Endlich, endlich beginnt der dreizehnte und letzte Tag auf See! Am 13. Juni kommen wir an. Von meiner Schweizerflagge ist nur noch die Hälfte übrig geblieben. An Steuerbord setze ich die Flagge von Mauritius und einmal mehr die Q-Flagge. Nur ein paar Stagreiter der Sturmfock haben sich losgerissen, ansonsten sind keine Schäden zu beklagen. Die Hafeneinfahrt zur Hauptstadt Port Louis ist mit Bojen markiert. Rechts liegt ein Frachtschiff beim Zuckerverladepier, links weitere Schiffe und Fischerboote, im Hintergrund grüssen zackige Bergspitzen. Wir legen am Zollpier an. Die Formalitäten vollziehen sich reibungslos. Von Behördenwahnsinn, wie uns Segler weismachen wollten, ist jedenfalls nichts zu spüren. Wir verholen zur nahen «Le Caudan Waterfront Marina» für zehn Dollar pro Tag, mit Strom und Wasseranschluss. Wir sind noch kaum richtig angekommen, spricht uns ein Schweizer Paar an: «Ihr syd aber nid vo Basel do häre gsäglet?» fragen sie mit Blick auf meine Basler Registrierung. Sie stellen sich als Yvonne und Werner aus Greifensee vor und laden uns spontan zum Lunch ein. Yvonne arbeitet für Kuoni Reisen und weiss Neuigkeiten über das Swissair-Debakel. Schon entlang der Küste sind mir die grossen Flächen mit Zuckerrohr aufgefallen. Zucker ist – neben der Textilindustrie und 158 einem umweltbewussten und nicht auf Massen ausgerichteten Tourismus – der bedeutendste Wirtschaftszweig dieser Republik. Diese erfreut sich einer hohen Stabilität, kennt praktisch keine Arbeitslosigkeit und gilt als sehr sicher. Auf dieser 65 Kilometer langen und 45 Kilometer breiten Insel leben, in bemerkenswert friedlicher Koexistenz, etwa eine Million Menschen, ein Völkergemisch von Kreolen, Indern, Chinesen und Nachkommen von Europäern. Entsprechend vielfältig ist das gastronomische Angebot. Ich liebe das populärste Gericht der kreolischen Küche: das «Carri Coco Poulé». Naden, der «Furuno»-Vertreter, will meinem Radar zu neuer Kraft verhelfen. Er schaut kurz auf den Bildschirm, wirft einen Blick ins Antennengehäuse und gelangt zum Schluss, dass das Magnetron gewechselt werden müsse. Seine Diagnose tönt überzeugend. Später baut er den in Singapore bestellten Teil ein. Obwohl mich diese Reparatur über tausend Franken kostet, habe ich kein gutes Gefühl. Wir liegen vor der 20 Meter langen «Zuza», einem «Sailing Research Vessel» aus Kapstadt. Nebst Charlie, dem Sohn des Eigners Deon, ist der blonde Engländer Seb an Bord. Charlie, das spüre ich schnell, scheint Gefallen an Ruth zu finden. Das Boot war unterwegs, um abgelegene Korallenriffe zu erforschen und andere meeresbiologische Aufgaben zu erfüllen. An einem Morgen entdecke ich die «Ambler» beim Zollponton und freue mich über das Wiedersehen mit Cora und Stan, die ich zum letzten Mal vor vier Jahren in Vanuatu in der Südsee getroffen habe. Stan hat ein paar frische Baguettes unter den Arm geklemmt und lädt mich zum Frühstück ein. Die beiden – sie verliessen Freemantle im Westen Australiens vor einem Monat und hatten eine rassige Überfahrt – sind sage und schreibe schon bald zwanzig Jahre mit ihrem 73jährigen Holzboot unterwegs und verdienen sich ihren Lebensunterhalt als Musiker: Cora am Saxophon und Stan am Keyboard. Ein paar Tage später feiern wir Coras Geburtstag, wobei es mir gelingt, sie sogar mit einer Sonnenfinsternis zu überraschen. Unsere Festlaune wird allerdings getrübt, als 159 wir von anderen Seglern erfahren, dass die amerikanische Yacht «Leviathan» mit Paula und Rick seit Mitte Juni vermisst werde. Sie hatten das Salomon-Atoll ein paar Tage vor uns mit Ziel Mayotte verlassen. In eine Notlage geraten, lösten sie offenbar ihren EPIRB aus, doch die alarmierten Behörden schienen sich uneinig über die Zuständigkeit in diesem Seegebiet zu sein. In den Seychellen verfügte man über kein Rettungsboot und das in Mayotte vorhandene wurde nicht alarmiert! Erst als die Funkboje schon längst verstummt war, machte sich auf Druck amerikanischer Freunde ein Flugzeug von Diego Garcia aus erfolglos auf die Suche. Den letzten Funkkontakt mit befreundeten Seglern hatte die «Leviathan» am 8. Juni gehabt. Jenny und Peter gaben mir Fotos und einen Brief für einen gewissen Captain Yves Betuel mit, der ihre «Blue Shadow» vor bald dreissig Jahren auf dieser Insel bauen liess. Der umtriebige 68jährige Mann lädt uns zusammen mit seinem Sohn Thierry in ein exklusives chinesisches Restaurant ein. Er erzählt uns, wie er 1975 in Grand Baie extra einen Damm erstellen musste, um den in Teak entstandenen Neubau einzuwassern. Mit dem eleganten und schnellen Boot nahm er ein Jahr später am «Kapstadt – Rio Ocean Race» teil. Seine Firma, Dry Docks und Ship Repairs, führt jetzt sein Sohn weiter. Yves hat sich aber nicht zur Ruhe gesetzt, sondern eine Firma gegründet, die im Zollfreihafen Fische einfriert und in alle Welt verschifft. Schon morgens um acht belegen Liebespärchen die Bänke auf unserem Pier. Ich hocke gemütlich im Cockpit bei einer Tasse Tee, als sich eine junge Frau nähert. «Bonjour, comment ça va?» grüsst sie mich mit warmer Stimme und flirtenden Augen. «Et toi, qu’est-ce que tu fais?» flirte ich Ein Liebespaar früh um acht Uhr 160 schalkhaft zurück. «Je me promène un peu», gurrt sie unverbindlich. «Wir könnten doch zusammen spazieren», schlage ich vor und lade sie zu einem Kaffee in ein nahes Restaurant ein. Erfreut sagt sie zu. Sie ist eine Kreolin mit brauner Haut, hübsch dazu und heisst Claudine. Wir verstehen uns rasch, womit ich zu einem unverhofften Schäferstündchen komme. Ruth hat sich inzwischen mit Charlie angefreundet und verbringt auffällig viel Zeit auf der «Zuza». Der Südafrikaner hat offensichtlich Feuer gefangen und möchte sie mir als Crew abjagen, doch Ruth ist eine Frau mit klaren Prinzipien. «Ich lasse mich durch keinen Mann von meinen Plänen abbringen», erklärt sie mir resolut. «Wir haben abgemacht, dass wir zusammen bis Madagaskar segeln. Dabei bleibt es, basta! Will Charlie wirklich etwas von mir, so kann er mich nach unserem Törn in Nosy Be treffen, sobald ich bei dir abgemustert habe.» Diese Loyalität meines First Officer beeindruckt mich. Ich bedanke mich bei Ruth mit einem herzlichen Kuss. Vor dem Ablegen profitieren wir vom reichhaltigen Angebot und den tiefen Preisen und starten einen Grosseinkauf. Beim Auslaufen teste ich den Radar. Die Echos sind etwas besser, aber keinesfalls so, wie sie sein sollten. Erbost rufe ich Nadene per Handy an. Ich solle es doch in La Réunion mit der Reparatur nochmals versuchen, meint er lakonisch und gibt mir die Adresse eines Freundes. Als wir aus dem Windschatten der Insel herauskommen, packt uns böiger Passatwind mit Beaufort 8! Wir sausen förmlich dahin. Dann wird die See grob. Es sind nur 120 Meilen bis nach Saint-Pierre auf La Réunion, also kaum 24 Stunden. Komisch, diese Reise ist zu kurz, um uns an die unruhigen Bewegungen des Bootes zu gewöhnen. Schon als die ersten Sonnenstrahlen am 28. Juni den 2636 Meter hohen Vulkankegel des Piton de la Fournaise beleuchten, sind wir fasziniert von dieser Insel – einem «hot spot» des Indischen Ozeans. Unterhalb des Kraterrandes raucht ein Nebenvulkan. Diese Inseln verdanken ihre Existenz Vulkanen und sind – mit einem Alter von 161 3 bis 5 Millionen Jahren – relativ jung. La Réunion hat nur ein Saumriff, im Gegensatz zu Mauritius, dessen Riff weiter von der Insel entfernt ist. Auch diese Insel sinkt unter ihrem Eigengewicht in die Erdkruste zurück, sehr, sehr langsam zwar, aber immerhin. Auf den Malediven ist nur noch das Saumriff übrig geblieben. Der Erste, der diese Verwandlung einer Vulkaninsel in ein Atoll erkannte, war übrigens der britische Forscher Charles Darwin. Gegen Mittag stehen wir vor der Hafeneinfahrt Saint-Pierres. Die Wellen brechen sich stiebend an der Hafenmole beidseits der schmalen Einfahrt. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Zuerst folgen wir den schwarzweissen, dann den grünweissen Peilmarkierungen. Wir haben nur noch zwei Meter Wasser unter dem Kiel. Ich halte mich genau in der Mitte des Kanals. Schliesslich erreichen wir das ruhige Wasser des Hafens und legen uns ans Gästepier. Wasser und Elektroanschluss sind in der Nähe. Sofort tauchen zwei Zollbeamte auf. Sie heissen uns willkommen und teilen uns mit, dass der Liegeplatz die erste Woche gratis sei. An Land treffe ich einen Bootsbauer, der mir versichert, dass er meine defekte Steuerbord-Mittelwant innerhalb einer Woche ersetzen kann. Ruth hievt mich in den Masten. Unter der oberen Saling löse ich den Bolzen, um das defekte Teil herunterzulassen. La Réunion ist mit seinen etwa 600 000 Einwohnern eines der überseeischen Departemente Frankreichs und deshalb EU-Gebiet. Dementsprechend ist das Angebot in den Läden überbordend: Käse aus Frankreich, Würste aus Deutschland und – in Europa wütet die Rinderwahn – Fleisch aus Neuseeland oder Argentinien, für uns fast wie ein Schlaraffenland. Die Ostseite der Insel ist sehr feucht und von einer vielfältigen tropischen Vegetation bewachsen. An der trockenen Westseite bei St-Gilles vergnügen sich die Touristen. Hier finden auch Windsurf-Meisterschaften statt. Besonderen Adrenalinschub finden Sportler beim Aquaclimbing und Canyoning in den zahlreichen Wasserfällen. Hier kann ich endlich mein Klapp-Mountainbike wieder gebrauchen, schwinge mich in den Sattel und sause los. Ruth huldigt derweil in der 162 Hängematte der Sonne. Am Abend haben wir beide einiges zu erzählen. Ich war entlang der Küste dorthin gefahren, wo ein Helikopter in viertelstündigen Intervallen aufstieg und wieder landete und fand die Kaserne einer französischen FallschirmjägerEinheit, die gerade einen Tag der offenen Tür hatte. In einem Schiessstand wurde mir ein Sturmgewehr in die Hand gedrückt, worauf ich unter Aufsicht ein paar Salven in eine Puppe knallen liess. Etwas unterhalb fand ich den Flugplatz von Pierrefond. Der Aeroclub hat eine Cessna 172, die aber für die nächsten Tage ausgebucht war. In einem anderen Hangar fand ich eine Piper PA28, Archer II F-OHLS. «Könnte ich die mieten?» fragte ich einen jungen Mann, der sich als Loïc vorstellte. «Ja, wenn Sie mich als Piloten nehmen», lautete seine Antwort. Ruth wurde während dieser Zeit von einem Mann angequatscht, der César Salvan heisst und als Primarlehrer unterrichtet. Er bot sich an, uns am Samstag um die Insel zu führen. Unter all den dunkelhaarigen Frauen erregt Ruth mit ihren blonden Haaren hier natürlich die Aufmerksamkeit der jungen Böcke! Zuerst gehen wir aber mit Loïc in die Luft. Es ist die beste Art, sich in kurzer Zeit einen Überblick über diese spektakuläre Insel zu verschaffen. Der Vulkan hüllt sich in Wolken, aber der höchste Berg, der Piton des Neiges, ist klar sichtbar. Unser erst 18-jähriger Pilot möchte einmal Linienpilot werden. Schon am nächsten Samstagmorgen bin ich wieder auf dem Flugplatz. Diesmal mache ich mit dem Eigner und Fluglehrer, Philippe «Rabaly» Balliste, ein paar Platzrunden mit Landetraining. Dann packen wir unsere Rucksäcke und besteigen früh am Morgen einen Bus nach La Plaine des Palmistes. Er hält beim Wanderweg, der zum Vulkan führt. Die Wanderung führt uns in stetigem Aufstieg durch Weiden und an Bauernhöfen vorbei. Dann tauchen wir in unvermittelt aufziehenden Nebel. Sie fühle sich fast wie in Norwegen, meint Ruth. Bald sind wir jedoch wieder in der Sonne. Wir queren die Pleine de Sable mit ihrem schwarzem Lavasand. Plötzlich beginnt es zu regnen und wird kalt. Durchnässt und halb 163 erfroren erreichen wir die Hütte «Gîte du volcan». Zu dieser Jahreszeit hat es wenig Wanderer – in unserem Viererschlag sind wir die einzigen Gäste. Die Bewirtung ist reichhaltig. Am nächsten Morgen wölbt sich blauer Himmel über uns, aber der Zugang zum Vulkan ist gesperrt. Die Fachleute erwarten einen Ausbruch! Zusammen mit dem Schweizer Heinz Steinger, den wir hier kennen lernen, machen wir uns auf, wenigstens den Kraterrand zu ersteigen. Im Morgenlicht sind viele Nebenkrater zu sehen. Hinter dem Piton de la Fournaise können wir eine Rauchsäule erkennen, etwa fünf Kilometer entfernt. Am nächsten Tag hören wir in den Nachrichten, dass die Küstenstrasse durch flüssige Lava verschüttet worden sei. Der Ausflug mit César führt uns zu einem Wasserfall in der Nähe von St-Joseph, wo das Wasser aus der porösen Wand schiesst und tosend in einem Becken landet. Dort wagen wir einen Schwumm und lassen uns das kalte Wasser auf den Kopf klatschen. Am Abend setzt sich César ans Klavier und gibt uns ein Konzert. Als Musiker hatte er schon Engagements in aller Welt. Ein paar Tage später zieht es uns erneut in die Höhe. Wir verbringen eine Nacht in der «Gîte Caverne Dufour» auf 2400 Meter Höhe. Am Vortag waren wir per Bus die 400 Kurven nach Cilaos hoch gefahren. Der Aufstieg zur eintausend Meter höher gelegenen Hütte hielt uns vier Stunden in Atem. Dreizehn weitere Wanderer teilen den gleichen Raum mit uns. Stinkende Socken, schweissnasse Unterwäsche an den Leinen, keine Dusche, nur ein Schlauch im Garten mit Absperrhahn als Waschgelegenheit für vierzig Gäste – diese Hütte hat den Charme eines alpinen Kantonnements beim Schweizer Militär! Nachts knarren die Etagenbetten, und schon um vier knattert der erste Wecker – alle wollen den Piton des Neiges, mit 3070 Meter die höchste Erhebung der Insel, vor dem Sonnenaufgang erreichen. Ruth ist schneller als ich. Kunststück bei ihrem jugendlichen Alter. Ich lasse mir Zeit. Die Lichterkette der Stirnlampen schlängelt sich entlang dem gut markierten Pfad in die Höhe. Es ist um die null 164 Grad. Das Schauspiel des Sonnenaufgangs, der mit einem Glühen im Osten beginnt, ist die Strapaze des Aufstiegs wert. Schon die ersten Strahlen wärmen uns. Beim Nachtessen nach einem beschwerlichen Abstieg nach Cilaos bedient uns die Wirtin im Gasthaus «Le Galabert Jaune» fürstlich. Als Apéro serviert sie uns Rhum arangé, gefolgt von Carri, Wein und Kuchen. Carri ist eine Art Curry und wird mit Reis, Linsen, Gemüse und je nach Wunsch mit Fleisch, Geflügel oder Fisch serviert. Als Beigabe gibt es eine scharfe Chilisauce, das Rougail. Nach unserer Rückkehr in Saint-Pierre lädt uns mein Fluglehrer «Rabaly» zu seinem Geburtstag ein. Wir lernen dort viele Leute kennen. Ein schwerer Wein nach viel Champagner gibt mir den Rest. Trotz der Musik nicke ich ein und schlafe fast zwei Stunden auf dem Sofa, bis mich Ruth weckt. Mein Gastgeber verzeiht mir. «Rabaly» – Ra bedeutet Herr und Baly ist die Abkürzung für seinen Namen Balliste – stammt aus Majunga in Madagaskar. Die Feste reissen nicht ab. Auch den «14 juillet», den französischen Nationalfeiertag, erleben wir hier auf La Réunion. Schon morgens um zehn marschiert ein Fallschirmjägerzug am Hafenboulevard auf, gefolgt von der Feuerwehr, tanzenden Mädchen und einer Marschmusik. Ruth holt am Flughafen Erik ab, einen Freund aus Norwegen, der mit uns segeln wird. Er gefällt mir sofort, nicht nur, weil er eine Flasche Aquavit mitbringt. Sachte beginnen wir mit unseren Vorbereitungen für die Weiterfahrt nach Mayotte, aber wir haben unsere Mittelwant noch immer nicht. Der Bootsbauer vertröstet uns von Tag zu Tag. Als wir mit «Rabaly» und seiner Freundin Monique Abschied feiern, schlägt das Schicksal zu: Monique und Erik spüren Schmetterlinge im Bauch – gegenseitig. Der Zeitpunkt dafür ist allerdings nicht sehr günstig, weil wir schon am nächsten Tag auslaufen wollen, sofern wir die Mittelwant kriegen. Die beiden frisch Verliebten haben Glück. An ein Auslaufen ist nicht zu denken, denn ein Schwell von bis zu 6 Meter Höhe blockiert die Hafeneinfahrt. So verbringen wir noch ein paar schöne Tage mit Baden 165 im 24 Grad warmen Meer. Alle freuen sich. Ich, weil ich meine neue Mittelwant bekomme und Erik für jede Stunde, die ihm noch in La Réunion vergönnt bleibt. Er verspricht Monique, von Mayotte zurückzufliegen! Wir trinken ein letztes Bier, benamt nach Louis de Bourbon, einem Nachfahren König Ludwigs XIV, und mit einem Dodo auf der Flasche. «La Dodo lé la», dem längst ausgestorbenen, nicht flugfähigen Vogel, der mal auf dieser Insel heimisch war. Nach genau dreiwöchigem Aufenthalt tuckern wir motorgetrieben entlang der Küste. Der Passatwind hat sich verabschiedet. Erst am zweiten Tag zeigt sich zaghaft etwas Wind. Wir rechnen mit etwa einer Woche für die 900-Meilen-Überfahrt nach Mayotte, das etwas westlich der Nordspitze Madagaskars liegt. Erik fügt sich gut in unser Team ein. Zu dritt haben wir es gemütlich: drei Stunden Wache wechseln mit sechs Stunden Ruhe. Der junge Norweger ist es allerdings nicht gewohnt, so wenig zu tun. Als gelernter Bäcker betreut er zuhause eine Pizzakette. Er ist dafür verantwortlich, dass die Teigqualität gleichbleibend erstklassig ist. Trotzdem bin ich es, der das Brot an Bord bäckt. Ich habe Verständnis. Erik hat Ferien und möchte nichts mit Backen zu tun haben. Dafür verschlingt er Unmengen von Büchern. Die Sonne scheint, und der Passat hat sich auf angenehme 15 bis 20 Knoten eingependelt. So macht es wirklich Spass, unterwegs zu sein, aber man soll sich nie zu früh freuen. Aus dem Nichts heraus erleben wir plötzlich einen Frusttag. Zuerst bricht ein Block, über den die Seile der Windfahnen-Steueranlage laufen. Der Autopilot will auch nicht mehr so recht. Jedenfalls schaltet er – ohne das anzukünden – nach kurzer Zeit immer wieder ab. Schliesslich bricht der Grossbaumbeschlag, worauf uns nichts anders übrig bleibt, als das Grosssegel zu bergen und die Maschine zu starten. Zum Glück haben wir genügend Diesel an Bord, denn nur noch drei Tage liegen vor uns. Ohne weitere Zwischenfälle hängen wir uns am 28. Juli an eine Boje im Hafen von Dzaoudzi. Philippe, der Hafenmeister, kommt vorbei und erledigt die 166 Formalitäten erstaunlich unkompliziert. Hier liegen viele uns bekannte Yachten. Treffpunkt ist die A.C.H.M. (Association des croisieurs hauturiers de Mayotte), ein Yachtclub französischer Prägung. Hier erfahren wir auch, dass die beiden Amerikaner Paula und Rick noch immer vermisst werden und die Chance, dass sie noch am Leben sind, als gering eingestuft wird. Jedenfalls zeigt dieses Unglück, dass man als Segler auf sich alleine gestellt ist – trotz moderner Rettungsorganisationen. Mayotte gehört geografisch zu den Komoren, politisch jedoch zu Frankreich. Es ist eine «Collectivité territoriale» und profitiert vom Mutterland. Sofort auffallend ist, dass die etwas über 100 000 Einwohner von Grande Terre und Petite Terre dunkler Hautfarbe sind. Die Frauen, auch das springt ins Der HochseeSegelclub von Mayotte Auge, sind farbenfroh wie Afrikanerinnen gekleidet. Viele haben Gesichtsmasken aufgestrichen, als Schmuck und zum Schutz der Haut. Es leben aber auch viele Franzosen hier, die sich in dieser Gegend wohl fühlen. In Dzaoudzi ist eine Einheit der Fremdenlegion stationiert. Ihre Unterkünfte beanspruchen den Hügel oberhalb des natürlichen Hafens. Hier lebt übrigens in über 200 Meter Wassertiefe der lange Zeit als ausgestorben gegoltene Quastenflosser, ein Urfisch. Es sind noch drei Schweizer Yachten hier, gut, um den 1. August zu feiern! Erik zieht es zurück nach La Réunion. Auch Den 1. August feiern wir in Mayotte wollen wir unsere Vorräte auf- 167 stocken, bevor wir nach Nosy Be in Madagaskar weitersegeln: die letzte Etappe mit Ruth. Dort wird sie abmustern, sich mit Charlie aus Kapstadt treffen und Madagaskar bereisen. Wieder einmal solo, werde ich die Musse haben, mich um «les crevettes» zu kümmern. So werden dort die Frauen bezeichnet, die Zeit für Touristen haben. «Gleichmässiges Rauschen an der Aussenhaut, leises Quietschen der Windsteuerung und das Stöhnen und Knacken der Wände – eine ständige Begleitmusik. Daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Auch an das Knallen der Segel, das Heulen des Windgenerators, das Schnarchen des Autopiloten, das Pfeifen des Watchman und des GPS, wenn wir zu weit vom programmierten Kurs abkommen, das Ächzen der Kabine und das Scheppern der tausend Gegenstände in unserem Boot. Wie werde ich dieses nimmermüde Orchester vermissen!» 168 Wo die Toten tanzen Mayotte Les Glorieuses Nosy Be Mayotte Richard s Bay ie üblich sind die ersten Tage in Mayotte ausgefüllt mit Reparaturen. Hier können wir auch meinen Baumnockbeschlag aus Alu schweissen. Ruth und Erik erkunden Petite Terre oder gehen zum Tauchen. Im Yachtclub treffen wir viele Segler, die wir in Chagos kennen lernten. Leider gibt es noch immer keine Neuigkeiten von der «Leviathan». Am 1. August heizen wir zusammen mit Peter Kägi und Pico den Grill vor, dann treffen die ersten Yachties ein. Nicht weniger als acht Schweizerinnen und Schweizer finden sich auf dieser abgelegenen Insel zusammen, nebst Seglern aus aller Welt. Wir wollen ihnen etwas bieten, doch unsere Nationalhymne findet wenig Anklang. Mehr Erfolg hat Ludwig von der «El Dorado» mit einer launigen dreisprachigen Rede. Hier, in unserer Seglergemeinschaft, fühlen wir uns geborgen wie in einer grossen Familie. Erik ist inzwischen nach La Réunion zurück geflogen. An einem Sonntag erweckt ein rotes Pitts-Akroflugzeug am Himmel meine Aufmerksamkeit. Sofort lasse ich mich von einem Taxi zum Flugplatz von Dzaoudzi bringen. Beim Aeroclub klettert der Pilot gerade aus seinem Flugzeug, als ich ankomme. Er stellt sich mit Alain vor. Ich erkläre ihm, dass ich mal Akrofluglehrer auf Bücker gewesen sei. Wann das gewesen sei, will der Mann wissen. Mit Hilfe meines Flugbuches finde ich die Antwort rasch: 1978. «OK, lass uns in die Luft gehen!» entscheidet Alain. «Mal schauen, ob Sie noch Akro fliegen können.» Wir besprechen das Programm, und ab geht’s. Alain fliegt die Figuren vor, anschliessend versuche ich die gleiche Evolution in die Luft zu zaubern. Sogar der Rückenflug mit Umkehrkurve gelingt mir. Der Franzose legt eine saubere W 169 Dreipunktlandung hin, dann hat uns die Erde wieder. Das Fliegen sei wie Velofahren, das verlerne man nie, bemerkt Alain trocken und fordert mich auf, wieder einmal zu kommen. Zusammen mit der «Blue Shadow» verlassen wir Mayotte drei Tage später. Wir wollen die Inselgruppe «Les Glorieuses» besuchen, die 150 Meilen im Nordosten liegt. Einmal mehr haben wir den Wind auf der Nase. Die Hauptinsel hat einen Nach dem Akrobatikprogramm Flugplatz, wird aber nur von zwei Dutzend Fremdenlegionären und einem Gendarmen aus La Réunion bewohnt. Wir erhalten zwei Tage Aufenthaltsbewilligung. Ein Gendarme, Philippe, begleitet uns auf einen Inselrundgang. Gleissend weisser Sand geht in türkisblaues Wasser über. Nachts kriechen Schildkröten an Land, um ihre Eier abzulegen. Überall hinterlassen sie ihre Spuren. Fein säuberlich notiert sie Philippe mit Ort, Datum und Zeit. Das gehört zu seinen Aufgaben während seines einmonatigen Aufenthaltes auf dieser Insel. Die einhundert Meilen zum madegassischen Nosy Be bewältigen wir überwiegend unter Motor. Ich geniesse die letzten kostbaren Tage mit Ruth. Bevor wir einklarieren, verbringen wir zwei Tage auf dem palmenbestandenen Tanikely, das etwas westlich von Hellville liegt. Diese Insel zieht viele Taucher und Tagestouristen an. Kein Wunder, das Wasser ist glasklar. Während eines Schnorchelausfluges erleben wir eine vielfältige Unterwasserwelt. Hier sehen wir auch zum ersten Mal die Pirogen, Auslegerboote, die mit Rudern oder durch Segel aus Reissäcken vorangetrieben werden. Piroge bei Tanikely 170 Am 14. August fällt unser Anker in der Bucht vor Hellville im Süden der Insel Nosy Be. Den Aussenborder habe ich unter Deck verstaut, denn Motoren sollen hier ein beliebtes Diebesgut sein. Jedenfalls sind die meisten Segler rudernderweise unterwegs. Beim Anlegesteg werden wir von Bootsjungen umringt. Jeder möchte unser Dinghy gegen 5000 FMG (Francs malgaches) hüten, was etwa fünf französischen Francs entspricht. Ruth macht sich zum Abmustern bereit. Wir waren fast ein halbes Jahr zusammen. Gegen Abend holen wir den Südafrikaner Charlie am Flughafen ab, den Ruth an Bord der «Zuza» in Mauritius kennen lernte. Die beiden wollen in den nächsten Wochen den Norden Madagaskars bereisen. Ich lasse Ruth ungern ziehen, bin aber glücklich, dass die Reise mit ihr so harmonisch verlief. Madagaskar: «Dort, wo die Toten tanzen», las ich einmal in einem Reiseprospekt. Trotz Ansätzen zu etwas neuzeitlicheren Lebensformen arbeiten in abgelegenen Gegenden die Lebenden noch immer für die Toten. Ein für uns seltsam erscheinender Brauch macht es zur Pflicht, die Toten stets am Familienleben teilhaben zu lassen. Mit einem Fest wird der Tag begangen, an dem ein Grab wieder geöffnet wird, um die sterblichen Überreste eines Gestorbenen ins Familiengrab zu überführen. Beim Umzug müssen die Gebeine in neue Leichentücher gehüllt werden. Wo bleibt wohl seine Seele? Was meinen die Geister dazu? Madagaskar ist riesig: die viertgrösste Insel unserer Erde und so gross wie Frankreich und Belgien zusammen. Die kaum ausrottbare Brandrodung hat es fertig gebracht, dass der einst üppige Regenwald an vielen Orten verschwunden ist und die rotbraune Erde schutzlos der Erosion ausgesetzt ist. In der Hauptstadt Antaranarivo leben über eine Million der insgesamt etwa 15 Millionen Einwohner. Touristen sind hauptsächlich im Norden Madagaskars anzutreffen, in Diego Suarez oder eben auf der Insel Nosy Be. Hellville wurde nach dem Entdecker Admiral de Hell benannt. Seit langem bin ich wieder einmal allein an Bord. Die nächsten zwei Wochen verbringe ich damit, mit Hilfe des Bootsjun- 171 gen Johnny mein Boot etwas zu überholen. Hier in Nosy Be lebt man günstig. Die Einwohner sind trotz ihres einfachen Lebens – oder vielleicht gerade deshalb? – fröhlich und zugänglich. Am Freitagabend ist im Lokal «Vieux Port» die Hölle los. Die «Tigres du vieux port» spielen zum Tanz auf. Nach der langen Durststrecke freue ich mich auf die «Crevettes»! Schon früh tauchen die ersten herausgeputzten Schönheiten auf und fordern mich auch gleich zum Tanzen auf. Die Musik spielt hauptsächlich «Saleg», eine Mischung aus afrikanischen und Reggae-Rhythmen. So gegen Mitternacht befinden sich die Frauen in der Überzahl. Sie tanzen ausgelassen und erregend zur hämmernden Musik. Dann werde ich in die Zange genommen. Drei Verführer«Wo sind die Krevetten?» innen tanzen mit mir, je eine auf meinen Schenkeln, während sich die dritte von hinten an mich heranmacht. Ich bin im Sandwich, doch ich fühle mich wohl. Dann schiesst sich Yalta auf mich ein, eine dunkle Beauté mit unwiderstehlichem Lachen. Ohne grosse Umschweife äussert sie den Wunsch, zu mir an Bord zu kommen, um über das Wochenende ihre Verwandtschaft auf der nahen Insel Nosy Komba zu besuchen. Vorerst winke ich ab. Von anderen Skippern weiss ich, dass die «Krevetten» kaum mehr von Bord zu bringen sind. Doch Yalta gefällt mir, und so werde ich schliesslich schwach. Sie versichert mir, dass es nur für das Wochenende sei. Natürlich geniesse ich die Nähe und Unbekümmertheit dieser jungen Frau. Am Morgen fahren wir in einer Stunde nach Nosy Komba. Kaum vor Anker, erzählt mir ein englischer Einhandsegler, bei ihm sei letzte Nacht eingebrochen worden. Yalta lacht nur. «Ich werde dir eine Wache organisieren», erklärt sie. Wir verlassen das Boot erst, als sich die zwei Jungen, die sich als Wachthunde zur Verfügung 172 stellen, bereit erklären, bis zu unserer Rückkehr in meinem Cockpit auszuharren. Im schmucken Dorf wird Yalta begeistert begrüsst. Hier hat es auch Chamäleons und Mausmaki, die in einem kleinen Park zu besichtigen sind. Der Abend verläuft vorerst friedlich. Bei Kerzenlicht und mit nur wenigen weiteren Gästen verspeisen wir einmal mehr «Carri poulet» mit Reis und wechseln dann in eine Disco. Auch diese ist in fester Hand von Frauen. Mir gefallen vor allem die heissen Melodien. Während ich mich mit einem jungen Mann unterhalte, geht auf der Tanzfläche ein Kreischen los. Zwei Frauen dreschen aufeinander ein und reissen einander zu Boden. Es darf doch nicht wahr sein: Eine von ihnen ist Yalta! Zwei Männer zerren die beiden auseinander. Heulend kehrt Yalta zu mir zurück und ist nur langsam zu beruhigen. Sie heult noch immer, als wir zum Boot zurückkommen, ich mich bei den zwei Wächtern mit einem Trinkgeld bedanke und diese mit ihrer Piroge lautlos Richtung Ufer verschwinden. Offenbar war die andere Frau eifersüchtig gewesen, weil Yalta einen Freund – mich – hatte und sie niemanden. Verrückt. Am Sonntag bringe ich Yalta nach Hellville zurück, und ich habe vorerst meine Neugier für das einheimische weibliche Geschlecht gestillt. Ein paar Tage später bin ich erneut im «Pagagayo», wo die gleiche Band spielt wie im «Vieux port». Auch Yalta taucht wieder auf, und bald bin ich von einer ganzen Traube von Freundinnen umringt. Jede will etwas zum Trinken oder Zigaretten. So gegen Mitternacht wird mir das zu viel. Ähnlich wie in Thailand sieht man hier in Nosy Be zumeist ältere Franzosen oder Italiener mit schönen, jungen Begleiterinnen. Diese Studien muss ich unterbrechen, weil meine Schwester Dor und ihre Freundin Therese eintreffen. Ich freue mich auf diesen Besuch, bin aber überhaupt nicht in Form. Leichtes Fieber und Halsschmerzen quälen mich. Zum Glück kann aber Malaria ausgeschlossen werden. Trotz meines Zustandes buchen wir eine Inselrundfahrt. Unseren Törn starten wir mit einem Ausflug nach Tanikely. Wir haben einen schlechten Ankerplatz. Deshalb werde ich oft 173 vom Tiefenalarm meines Echolotes geweckt. Den Morgen verbringen wir mit Schnorcheln. Einmal begegnen wir sogar einer Wasserschildkröte. Nach dem Mittagessen möchte ich etwas Schlaf nachholen. Ich weiss aber, dass ich – sobald die nachmittägliche Seebrise einsetzt – mehr Ankerkette geben muss. Ich verkürzte sie in der Nacht, um nicht zu nahe ans Ufer zu kommen. Ich falle sofort in einen tiefen Schlaf, so dass mir auch entgeht, dass die «Blue Shadow» mit Peter und seiner Familie eintrifft. Ich schlafe auch noch immer den Schlaf des Gerechten, als Wind aufkommt und mein Boot auf Drift geht. Ungläubig macht meine Schwester am Strand Peter darauf aufmerksam. Gemeinsam machen sie sich auf, um die Hasta Mañana zu «retten». Erst das Klappern an der Bordwand holt mich aus meinen Träumen. Am 4. September, einem besonderen Tag – meine Schwester feiert ihren Geburtstag – hängen wir vor Nosy Komba. Bis meine Besucherinnen ihr Morgenbad beendet haben, gelingt es mir, ein dem Anlass gebührendes Champagnerfrühstück auf den Cockpittisch zu zaubern. Sogar leuchtend rote Rosen habe ich besorgt, wenn auch nur künstliche Blumen. Dor ist gerührt. Dieser Küstenabschnitt ist ideal für SegelChampagnerfrühstück für Dor törns. Die Distanzen sind klein, und nachmittags hat es Seewind. Ein paar Tage später erreichen wir die Insel Iranja. Auch die «Blue Shadow» ist hier. Einmal mehr scheinen wir uns gegenseitig zu verfolgen. Hier lernen wir Jennys Eltern näher kennen, die vier Autostunden nördlich von Durban auf einer Farm leben und bei der jungen Familie auf Besuch weilen. Erstaunt stossen wir hier auf ein Eco Resort Hotel, obwohl meine Unterlagen eine 174 unbewohnte Insel versprachen. Nicht so schlimm, denn die Bungalows bieten nur Raum für maximal 50 Leute. Es gefällt uns sofort auf dieser Insel mit dem klaren Wasser und den puderfeinen Sandstränden. Dor und Therese schwören, dass sie hier ihre nächsten Flitterwochen verbringen würden. Wenn das nicht für sich spricht! Flitterwochen machen hier auch Wale. An einem Morgen sehen wir ein Paar, das gemächlich an den Segelbooten vorbeizieht. Sogar das Zischen der ausgestossenen Atemluft bekommen wir zu hören. In diesem von der Welt abgeschiedenen Paradies erfahren wir erst am 14. September von den barbarischen Terroranschlägen vom 11. September in New York und Washington. Als ehemaliger Pilot sträuben sich mir die Nackenhaare, wenn ich daran denke, was an Bord der Flugzeuge abgegangen ist. Bald darauf reisen Dor und Therese ab. Auch meine Tage hier sind gezählt, denn mein Visa läuft ab. Ein letztes Mal stürze ich mich im «Vieux port» ins überbordende Nachtleben, schaffe es aber, ohne Anhängsel zu meinem Boot zurück zu gelangen. Die 180-Meilen-Überfahrt nach Mayotte hält mich 48 Stunden lang auf Trab. Wieder einmal herrscht Gegenwind, was mich zum Kreuzen zwingt. Da mein Radar nicht zuverlässig arbeitet, muss ich mit Hilfe meines Weckers wenigstens jede Stunde einmal einen Blick in die dunkle Nacht werfen, obschon es in diesen Gewässern wenig Schiffsverkehr hat. Nur ein Boot mache ich während dieser Reise aus. Am Abend des 17. September gehe ich in der Nähe der Insel Bandelé vor Anker. Nur noch sieben Meilen trennen mich vom Ankerplatz in Dzaoudzi. Schon früh am nächsten Morgen nehme ich das letzte Stück in Angriff. Ich kürze den Weg etwas ab, weiss genau, dass ich eher rechts halten muss, um einigen Untiefen auszuweichen. Plötzlich meldet sich mein Echolot: «Five meters»! Sofort schalte ich den Autopiloten aus, drehe nach rechts und reisse den Gashebel zurück – zu spät! Mit einem ekelhaften Knirschen streichelt mein Kiel den korallenübersähten Grund. Ich stecke fest! Auch Retourschub hilft nicht mehr. Es bleibt mir nichts anderes mehr übrig, als zu warten, bis 175 das Wasser wieder steigt. Meine Nerven werden weiter strapaziert. Mit ablaufendem Wasser neigt sich mein Boot immer mehr auf die Backbordseite! Was tun? Ich muss den Rumpf schützen, doch wie? Vorerst versuche ich es mit einem Fender, aber der will wegen des Auftriebs nicht am vorgesehenen Ort bleiben. Schliesslich gelingt es mir, einen gefüllten Wassercontainer unter den Rumpf zu klemmen. Endlich habe ich Zeit, Philippe, den Hafenmeister, auf Kanal 09 über mein Missgeschick zu informieren. Heute beträgt der Unterschied zwischen Niedrig- und Hochwasser 3,9 Meter. Trotz der ungemütlichen Lage lege ich mich schlafen. Langsam steigt das Wasser wieder, und bald schwimmt mein Boot wieder frei. Wie blöd ich doch war! Ich könnte mir selbst eine Ohrfeige Aufgefahren: Auch Profis machen Fehler! geben. Zum Glück habe ich ein aus Stahl gebautes Boot, und zum Glück war auch das Meer ruhig. Ich hatte wirklich Glück und komme mit ein paar Kratzern am Kiel davon, wie ich bei einem Tauchgang feststellen kann. Mit ein paar Stunden Verspätung treffe ich an meinem Ankerplatz vor Dzaoudzi ein. Philippe lacht schallend, als er bei mir vorbeikommt, um meinen Pass zum Einklarieren abzuholen. Jetzt habe ich zwei bis drei Wochen Zeit. Mitte Oktober, wenn dort der Frühling einzieht und ich auf gutes Wetter hoffen kann, 176 will ich Richtung Südafrika weitersegeln. Das reicht sogar für einen kurzen Besuch in der Schweiz. Im Sog der Terroranschläge in den USA kämpft «meine» Swissair ums Überleben. «Tochter schluckt Mutter», lautet die Schlagzeile im Blick. Mario Corti muss die Nachlassstundung beantragen – grässlich! Etwas Entspannung finde ich an der Herbstwanderung des Yacht Clubs Schaffhausen, die von Stein am Rhein über Hemishofen nach Buch führt. Dort besichtigen wir das restaurierte, mit Wasserkraft angetriebene renovierte Sägewerk. Martin Brütsch persönlich erläutert uns, wie sein verstorbener Vater die Initiative ergriff, um dieses Zeugnis vergangener Zeiten für die Zukunft zu erhalten. Das Swissair-Desaster hat auch unmittelbaren Einfluss auf meinen Segeltrip nach Südafrika. Peter Fricker, der als Copilot für die Balair fliegt, kann nicht wie vorgesehen mit mir von Mayotte nach Richard’s Bay segeln. Er muss zu Hause bleiben, um seine Chancen bei der neu Belair genannten Charterfluggesellschaft von Hotelplan zu wahren. So muss ich mich wohl oder übel auf Crewsuche begeben, weil ich keine Lust verspüre, diese schwierige und 1400 Meilen lange Reise alleine zu bewältigen. In Mayotte mache ich einen Anschlag im Yachtclub: «Crew wanted!» Es entwickelt sich eine Eigendynamik. Jean-Louis, ein junger Franzose, möchte zwar mitkommen, kann jedoch nicht, weil er seine Arbeit auf einer Baustelle in Mamoudzu früher antreten muss als erwartet. Er findet aber einen anderen Kandidaten: Richard. Eine innere Stimme warnt mich sofort, als ich diesen zu Gesicht bekomme. Er sieht aus wie ein Clochard, ist 46 Jahre alt, gerade von Madagaskar hergekommen, total abgebrannt und nach der Wertlos gewordene Trennung von seiner Freundin auch Swissair-Aktien 177 Auslaufbewilligung mit Ziel Richardʼs Bay in Südafrika 178 moralisch auf einem Tiefpunkt. Er möchte aber mit mir nach Südafrika segeln, zumal ich ihm – trotz meines unguten Gefühls – offeriere, sämtliche Spesen und die Kosten für sein Rückflugticket zu übernehmen. Am 22. Oktober verlassen wir Dzaoudzi mit vollen Diesel- und Wassertanks. An den ersten zwei Tagen haben wir nur wenig achterlichen Wind, versuchen aber, möglichst bald den Mozambiquestrom zu erreichen. Am 23. Oktober erfahre ich aus den Nachrichten, dass die Eidgenossenschaft mit Hilfe der Wirtschaft die Swissair unter Führung der Crossair retten will. Im Laufe der Reise dreht der Wind auf Südwest und verstärkt sich auf über dreissig Knoten. Der Rückenstrom erreicht 3,5 Knoten! Wir kommen gut voran, obwohl wir kreuzen müssen. Grünes Wasser schimmert auf den Wellenkämmen. Fliegende Fische schweben nur knapp über dem Wasser. Dis Sonne scheint – Südfrühling! –, und Richard entpuppt sich als guter Segler und fantasievoller Koch. So wird unser Trip zu einer «croisière gastronomique». Oft ist mein Gefährte traurig, und einen Abend lang heult er sogar. Ich versuche, ihn zu trösten. Er ist ein sensibler Künstler und verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Entwerfen von Möbeln, die er auch oft selbst anfertigt. Er liebt Gedichte und liest mir ein paar Stellen aus Shakespeares «Othello» vor. Erstaunlich. Trotz guter Gespräche bleibe ich unruhig und keinesfalls entspannt. Richard betrinkt sich oft und raucht unglaubliche Mengen Zigaretten. Seine Wachen leistet er klaglos, doch mache ich mir Sorgen. Wenn der nur nicht besoffen über Bord fällt, während ich schlafe! Seine 25 Päckchen Zigaretten reichen nur für acht Tage. Die Zündhölzer gehen ihm früher aus. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine Glimmstengel am Gasherd anzuzünden «Au plus grand briquet du monde», wie er diesen «Feueranzünder» lachend bezeichnet. Dass bei dieser Aktion auch immer eine Rauchwolke in meine Koje schwappt, kümmert ihn nicht. Oft haben wir mit der Crew der «El Dorado» über SSB Funkkontakt. Ludwig segelt mit seiner Frau Lotti und einem Freund namens Walti. Sie haben aber weniger Strom, obwohl sie nur 2 bis 179 3 Tage hinter uns folgen. Je südlicher wir kommen, desto kühler wird es. Die Barfussroute ist definitiv zu Ende. Plötzlich hören wir im Heckbereich einen Knall. Der Bolzen, der die Kräfte des Hydraulikstössels des Autopiloten auf den Ruderquadranten überträgt, ist gebrochen. Damit fällt unser Autopilot aus. Sofort wechseln wir auf unsere Windfahnensteuerung. Es sind nur noch 80 Meilen bis Richard’s Bay, als nachts um zehn der achterliche Wind nachlässt und Gewitterwolken aufziehen. Ein Wetterwechsel steht bevor. Vorsichtshalber bergen wir unsere Segel und starten den Motor. Der Wind weht jetzt aus Südwest genau in unsere Zähne. Er nimmt bis auf Beaufort 8 zu, worauf sich sofort ein grober Seegang aufbaut. Wir werden langsamer, doch zum Glück hilft uns jetzt der Agulhasstrom mit 3 bis 4 Knoten. Peri Peri Radio aus Durban liefert uns seit einigen Tagen verlässliche Wetterprognosen. Nach nur neun Tagen Überfahrt, am 1. November 2001, erreichen wir Richard’s Bay. «Die nach mir genannte Bucht», meint Richard fröhlich. Peter Kägi von der «Blue Shadow» ergreift unsere Leinen, als wir im «Small craft harbour» festmachen. Erleichtert trinken wir ein Bier zusammen. Hier ist der Liegeplatz während des ersten Monats gratis. Ich bin glücklich, in Südafrika angekommen zu sein, auch, dass diese Reise ein gutes Ende fand. Bei der Immigration bekommt Richard ein Dreimonatsvisum. Wenn ich ehrlich sein will, bin ich auch froh, dass er von Bord geht. Ich atme erst auf, als er im Greyhoundbus sitzt und sich mit einem letzten Winken verabschiedet. 6000 nautische Meilen liegen seit Phuket in meinem Kielwasser. Einmal mehr war es eine Reise mit vielen schönen, aber auch mit ein paar weniger schönen Erlebnissen. «Grosse Strecken bewältige man nicht durch Geschwindigkeit, sondern durch Ausdauer, dadurch, dass man 24 Stunden fährt, sagte Otti einmal. Die Hasta Mañana, die bereits alle Weltmeere überquert hat, ist eine Langstrecken- und Ausdauersportlerin!» 180 Am Kap der St rme Richard s Bay Hout Bay s ist Sonntag, der 21. April 2002, ein prächtiger Herbsttag. In der Hout Bay Marina belege ich Platz 15. Diesen habe ich beim Hafenmeister Peter sehr günstig gemietet. Zudem hat mich der Hout Bay Yacht Club als Mitglied auf Zeit aufgenommen. So habe ich freien Zugang zum Klubhaus. Vom Balkon aus lassen sich mit einem kühlen Bier in der Hand die Aktivitäten beobachten. Viele Boote laufen aus, um sich für die bald stattfindende Admiral’s Regatta vorzubereiten. An der Pier legt gerade, von Reggae-Musik begleitet, ein Touristenboot der «Drumbeat Charters» ab. Es nimmt Kurs auf das nahe Seal Island, wo man Seehunde beobachten kann. Souvenirhändler preisen ihre Ware an, daneben werden Sardinen aus den Fischerbooten gehievt, in Kisten abgefüllt, mit Eis bedeckt und in Lastwagen verfrachtet. Am nahen Strand wagen sich nur Kinder in das nur 13 Grad kalte Wasser. Hier im Club scheinen Regatta-Aktivitäten wichtig zu sein. An jedem Mittwochabend und an den meisten Sommerwochenenden finden Wettfahrten statt. Ich fühle mich hier willkommen und befreunde mich rasch mit einigen Clubmitgliedern, auch mit Sonja und Ian Alexander. Diese verliessen die Hout Bay 1991 zu einer Weltumsegelung an Bord ihrer neuen «Wanderlust», einer Tosca 36. Ihre beiden Kinder Jerome und Tanja, sechs und drei Jahre alt, begleiteten sie, wurden von Sonja unterrichtet und besuchten unterwegs nur sporadisch eine Schule. 1998 kehrten sie nach Hout Bay zurück, verkauften ihr Boot und haben noch immer etwas Mühe mit dem stressigen Landleben. Vor fünf Monaten war ich noch in Richard’s Bay, östlich von Durban. Die Fahrt nach Kapstadt entlang der Küste gilt als E 181 gefährlichstes Stück einer Weltumsegelung. Deshalb wollte ich diese Strecke mit bewährten Seglern meistern. Am 2. November traf Stefan Beerli aus Rheinau ein, gerade rechtzeitig zu einem Fest an Bord der «Andrea Helena» in der Tuzi Gazi Marina. Paul Ladell repariert dort alles, was an Bord der Yachten anfällt und veranstaltet jeden Freitag einen Grillabend. Zusammen erkundeten wir auch das Nachtleben. Im uns von Seglern empfohlenen «Lido» wurden wir sofort von Frauen umringt. Stefan zeichnete alle Aktivitäten mit seiner neuen Sony-Digitalkamera auf, die mit einer Infrarotlichtquelle versehen ist. Damit gelangen ihm unwahrscheinlich authentische Aufnahmen. Auch eine peinliche Szene, als mir eine Partnerin bei einem Tango aus den Händen glitt und auf dem Boden aufschlug. Meine Favoritin hiess Tanya. Sie gab mir eindeutig zu verstehen, dass sie sich gerne meiner annehmen würde, natürlich nicht ganz uneigennützig. «Nimm mein Auto», ermutigte mich Stefan und übergab mir den Schlüssel. Meine Begleiterin brach in einen Lachanfall aus, als ich das Fahrzeug nicht in Gang zu setzen vermochte. Hier in Südafrika, das fand ich bald heraus, sind mehrere Sicherungen gegen Diebstahl eingebaut: ein Schloss, um das Getriebe zu blockieren, eine elektronische Sperre und eine LenkradblockieWas zum Teufel will die Polizei? rung. Mit Hilfe Stefans konnten wir schliesslich von dannen fahren und fanden rasch ein lauschiges Örtchen. Wir waren noch nicht lange dort, als Tanya plötzlich aufzuckte. «Police!» schrie sie. Tatsächlich hatte in der Nähe ein Auto mit Blaulicht angehalten. Man sollte einen älteren Herrn nicht stören, dachte ich mir. Erst nach einiger Überzeugungsarbeit 182 und nachdem meine Gefährtin an einer Tankstelle ihren Hunger gestillt hatte, konnte ich sie dazu bewegen, unser kleines Abenteuer fortzusetzen. Erst später wurde mir richtig bewusst, welchen Gefahren ich mich ausgesetzt hatte. Wie leicht wäre es gewesen, mich in einen Hinterhalt zu locken und auszurauben! Schwarze Frauen üben auf mich einen besonderen Reiz aus. Das ist wohl der Grund, weshalb ich offenbar nie gescheiter werde! Am 6. November kam zur Verstärkung unserer Crew Peter «Pierre» Fricker aus Mammern an Bord. «Das ist ja eine Baustelle!» waren seine ersten Worte. Wie Recht er hatte. Am Ruderanschlag musste geschweisst werden, da auch Stefans Bärenkräfte nicht ausreichten, die eingerosteten Schrauben des defekten Teils zu lösen. Den gebrochenen Bolzen konnte Paul reparieren. Ich fluchte schon früh am Morgen, als ich Mühe hatte, diesen einzusetzen und festzuziehen. Damit weckte ich Pierre, der jetzt seinerseits zu fluchen begann. Paul musste das Verbindungsstück zum Autopiloten schweissen. Ihm schien das nichts auszuUnser Motto: Ran an die Arbeit! machen, obwohl er kaum Platz dafür hatte. Pierre brachte es schliesslich fertig, die Hydraulik des Autopiloten ohne schriftliche Anleitung zu entlüften. Als dann unsere Probefahrt erfolgreich verlief, unser Boot einwandfrei unter Autopilot fuhr und wir 240 Liter Diesel gebunkert hatten, besserte sich unsere Stimmung schlagartig. Am Abend genehmigten wir uns erlöst ein Bier. Nur noch unser Kühlschrank bereitete Sorgen. Obwohl sich Paul auch darum bemühte, blieb die Kühlleistung mager. Der geniale Alleskönner bot mir an, mir ein gutes Produkt zusammenzubasteln. Ich machte eine Anzahlung 183 und versprach, ihm mein defektes Aggregat von der Hout Bay aus zu senden und das neue Teil im Februar 2002 bei ihm abzuholen. Unzählige Male war ich Peter und Jenny auf ihrer «Blue Shadow» begegnet, doch nun verabschiedeten sie sich mit einem grossen Fest. Sie liessen ihr Boot in Richard’s Bay liegen und wollten während den nächsten zwei Jahren in der Schweiz Geld für die Weiterreise verdienen. Während wir uns auf unseren Törn vorbereiteten, maulte Stefan. «Warum müssen wir hier bei dir anheuern und können nicht in einem Tropenparadies mit türkisblauem Wasser segeln, wo es schöne Frauen hat und sich die Palmen im Wind wiegen?» lamentierte er. Meine Antwort war klar: «Weil ich euch hier brauche!» Pierre ernannte ich zum Skipper, Stefan zum ersten Steuermann. Dieser hatte kürzlich die Theorie zum Hochseeschein bestanden und brauchte noch ein paar hundert Meilen. Pierre analysierte die Wetterlage, sortierte die Karten und programmierte den GPS. Er gab sämtliche Wegpunkte der 900 Meilen langen Strecke plus Routen zu den Ausweichhäfen ein und leistete eine geballte Ladung an Arbeit. Ich kümmerte mich zusammen mit Stefan um den Einkauf und das Ausklarieren, das relativ aufwändig war. Schon beim Ausfüllen der Formulare wurde einem klar, dass es sich um eine anspruchsvolle Fahrt handelte. Für jedes Crewmitglied musste eine Kontaktperson für den Notfall angegeben werden, nebst umfassenden Angaben zum Boot. An dieser Küste soffen schon viele Yachten mit Mann und Maus ab. Auch zahlreiche Frachter waren schon in Seenot geraten. Der Agulhasstrom ist mit 4 bis 5 Knoten am stärksten auf der 200-Meter-Tiefenlinie. Sobald sich ein Südweststurm aufbaut, können sich bis zu 20 Meter hohe Wellen (!) bilden. Auf der Karte steht: «Freak waves up to 20 meters may be encountered between the edge of the continental shelf (200 m depth). These can occur when a strong southwesterly is blowing and the barometric pressure is low». Häfen oder Ankermöglichkeiten hat es zwischen Durban und East London keine. 184 Die meisten Segler warten auf ein viertägiges Wetterfenster, um dieses Teilstück in Angriff zu nehmen. In der Regel segeln sie erst im Januar los, im Hochsommer also. Wir erkannten schnell, dass die Wetterprognosen unzuverlässig sind und heckten einen anderen Plan aus: Wir wollten nonstop zur 900 nautische Meilen entfernten, vor Kapstadt gelegenen Hout Bay segeln. Hans, ein Deutscher, der an Bord der «Brandenburg» lebt und diese Küste gut kennt, unterstützte unser Vorhaben. Er riet uns, Richard’s Bay an einem schönen Tag mit Rückenwind zu verlassen und die Segelfläche zu verringern, sobald dieser zusammenfalle. An der Küste könnten sich kleine Tiefs bilden, die auf keiner Wetterkarte verzeichnet seien, worauf dann plötzlich ein gefährlicher Südweststurm da sei. «Aber diesen kann man etwas westlich von Port Edwards abwettern», erklärte er. «Sobald sich die Situation beruhigt, seid ihr bereit, in kürzester Zeit die gefährlichste Stelle bei Port St. Johns zu passieren. Im Notfall könnt ihr immer noch zurück nach Durban ablaufen!» Wir liefen am 13. November gegen Abend bei schönstem Wetter aus. Die ersten 24 Stunden kamen wir gut voran, dann schwächte der Wind ab. Durban hatten wir an Steuerbord gelassen. Stefan und Pierre waren laufend mit ihren Handys beschäftigt, denn entlang der Küste war der Empfang einwandfrei. Auf Position 30° 28’ Süd und 30° 44,4’ Ost passierte uns das Kriegsschiff «Drakenberg», wünschte uns eine gute Fahrt und gab uns die neueste Wetterprognose mit: «Nordostwind, Beaufort 3 all the way bis East London.» Frachter, die in der Gegenrichtung passierten, hielten sich nahe unter Land, um vom Gegenstrom zu profitieren. Zum Nachtessen gab es Nudeln mit Thunfischsteaks. Am Nachmittag hatte Stefan, der sich sofort ums Fischen kümmerte, einen ansehnlichen Bonito gefangen. Wir genossen das vorzügliche Mahl und schlugen uns die Mägen voll. Stefan flunkerte. Er sei auf Diät! «Was für eine Diät», wollten wir wissen. «Ich mache die Kiwi-Diät. Man kann alles essen ausser Kiwis», entgegnete er lachend. Es war seine erste längere Hochseereise. 185 Am nächsten Morgen erfreute uns ein grandioses Schauspiel: Ein Wal zeigte sich etwa dreissig Meter entfernt und tauchte wieder schnaubend ab. Wir passierten die gefährlichste Stelle bei Port St. Johns unter Motor und machten eine unglaublich gute Speed. Unser GPS zeigte mehr als 10 Knoten Fahrt über Grund. Der Agulhasstrom spülte uns förmlich in Richtung Kapstadt! Am frühen Morgen des 16. November gab es wieder Wind, zum Glück aus Südost und mit bis 35 Knoten (Bf 8). Ein neuer Rekord für mein Boot: In den letzten 24 Stunden hatten wir sage und schreibe 244 nautische Meilen zurück gelegt! Gegen Abend baute sich ein unglaublicher Seegang auf. Stefan war besorgt. Tatsächlich lechzten giftige Wellen bis ins Cockpit, und unsere Windfahnensteuerung hatte Mühe, unseren Kurs zu halten. Wir waren erst drei Tage unterwegs und schon dabei, den Agulhasstrom zu verlassen, um den südlichsten Punkt Südafrikas, das Kap Agulhas, zu umrunden. Vieles änderte sich. Auch die Wassertemperatur. Sie sank von 24 in kürzester Zeit auf 13 Grad! Ein untrügliches Zeichen, dass wir den Indischen Ozean verliessen und in den Südatlantik hineinfuhren. Euphorisch meldeten wir unseren besten Freunden per Handy das Runden des Kaps. Christoph Gautschi, unseren Captain der Starbootflotte Bodensee, erwischten wir im Auto, als er zwischen Bern und Zürich unterwegs war. Meinem Freund Robert Allgaier besorgte ich es militärisch: «Herr Oberst, melde Kap umrundet!» Unzählige SMS schwebten hin und her. Wir feierten die Passage mit Stefans Lieblingsdrink: Malibu, verdünnt mit Ananassaft. Zur Feier des Tages kochte Peter ein «Risotto à la Pierre». Nur noch 150 Meilen waren es bis zum Ziel. Das Kap der Guten Hoffnung oder Pierre: «Kap gerundet» 186 das Kap der Stürme, wie es auch genannt wird, war noch zu runden. Am Morgen des vierten Tages konnten wir dieses kurz sehen, bevor es sich diskret in Nebel verhüllte. Immerhin war unsere Position zum Kap auf Stefans GPS mit Kartendarstellung auszumachen. Pierre gab den «Anflug» zur Hout Bay in den GPS ein, um gewappnet zu sein, sollte sich der Nebel nicht verziehen. Schade, dass unser Radar noch immer defekt war. Kurz vor dem Einlaufen am 18. November hellte es auf, und Stefan konnte bei guter Sicht einen freien Hafenplatz in der Hout Bay Yacht Club Marina ansteuern. Damit hatte er über 1000 Meilen für den Hochseeschein zusammen. Wahnsinn, für die 900 Meilen brauchten wir nur gerade vier Tage und 20 Stunden. Kaum waren wir fest, tauchten Karen und Claus mit einer Flasche Portwein bewaffnet auf, um uns willkommen zu heissen. Claus aus Kapstadt war im Dezember 2000 Vordeckcrew, als wir an der Kingscup-Regatta in Phuket teilnahmen. Seine Flasche Portwein war schnell erledigt. Der erste Tag an Land ist immer gefährlich, was den Alkoholkonsum betrifft. Ich konnte mich jedenfalls am nächsten Morgen nicht mehr erinnern, was es im «Dirty Dicks» zum Nachtessen gegeben hatte. Rund um die Hout Bay erheben sich Berge. Im Osten liegt der Chapmans Peak und im Westen der Sentinel. Stefan sah es klar: «Es sieht aus wie im Tessin, nur sind die Menschen schwarz hier.» Was für Gegensätze! Die ärmeren Leute wohnen etwa einen Kilometer vom Zentrum entfernt in selbstgebauten Hütten. Oft begegneten wir Bettlern, die um einen Almosen baten. Ganz ungefährlich ist diese Gegend nicht. So wurde uns auch abgeraten, nachts alleine zu Fuss vom Städtchen an den Hafen zu gehen. Pierre verabschiedete sich nach einigen Tagen. Er wollte zu seinem Freund Neil in Tableview und so rasch wie möglich mit dem neuen Board, das ihm dieser gebaut hatte, Windsurfen gehen. Neil, beruflich als Ingenieur in einem Atomkraftwerk tätig, vermietet nicht nur Zimmer an Windsurfer, er repariert und baut auch neue Bretter. Kapstadt mit seinem Starkwind und seinen 187 «Killerwellen» gilt als Mekka der Windsurfer. Fast jeden Samstag veranstalten Neil und seine Partnerin Natasha einen «Braai», die südafrikanische Form des Barbecue. Dafür braucht es keine Einladung. Wer Lust hat, kann einfach vorbeikommen und muss nur Fleisch und Tranksame mitbringen. Die ungezwungene Gastfreundschaft der Südafrikaner macht es leicht, rasch neue Bekanntschaften zu machen. Fast jedes Haus hat eine von aussen und innen zuPierre mit dem neuen Board gängliche Feuerstelle. Bis zu unserer Abreise in Richtung Schweiz wollten wir uns den Sehenswürdigkeiten der Umgebung widmen. Schon die 20 Kilometer Autostrasse entlang der Küste vorbei an Llandudno, Camps Bay und Sea Point zur Waterfront in Kapstadt war ein Erlebnis. Die Camps Bay gilt als mondäner Strand mit schönen Menschen. Jede Menge Automobile der höchsten Preisklasse reihen sich hier entlang der Strasse. Sehen und gesehen werden, scheint hier wichtig zu sein. An der Waterfront findet man unzählige Restaurants und Shopping Centers mit Touristen aus aller Welt. Wir bestiegen ein Boot im Ferry-Ticket zur Robben-Insel Nelson Mandela Gateway und fuhren nach Robben Island. Dort besichtigten wir die Gefängniszelle Nummer 5, in der der Freiheitskämpfer über 20 Jahre eingesperrt war. 1990 wurde der African National Congress (ANC) als legale Organisation anerkannt, worauf Mandela das Gefängnis als freier Mann verlassen konnte. Er wurde Chef des ANC und in den ersten freien Wahlen 1994 zum Präsidenten Südafrikas erkoren. Auf den Tafelberg liessen wir uns von 188 einer in der Schweiz gebauten rotierenden Gondel tragen. Kapstadt gilt als eine der schönsten Städte dieser Erde. Mit dem Wetter hatten wir Glück, denn der Tafelberg wird oft von Wolken verhüllt, die ein starker Südostwind heranträgt. Es sieht dann aus, wie wenn der Berg von einem Tischtuch bedeckt wird. Als Weinliebhaber mit eigenem Rebberg im Klettgau fieberte Stefan unserer Weintour entgegen. Zuerst besuchten wir Stellenbosch und besichtigten im Boschendal-Weingut die Rebanlagen. Sozusagen als Apéro degustierten wir sechs Weinsorten und widmeten uns dann im gepflegten Ein Stopp auf der Weintour Garten dem weltberühmten «Picknick». Zum Abschluss fuhren wir zum Kap der Guten Hoffnung. Als ich auf das grosse Wasser hinausblickte, überkam mich noch einmal tiefe Dankbarkeit, dass auch die Reise über den Indischen Ozean nach Südafrika glücklich verlaufen war. Wie üblich verbrachte ich Weihnachten mit meiner Familie und den Januar in Klosters in der Schweiz. Doch kaum war das neue Jahr angebrochen, fieberte ich erneut Südafrika entgegen. Ich wollte mir Zeit lassen, auch um alle anstehenden Reparaturen an meinem Boot auszuführen. Des einen Leid, des anderen Freud. Die für die Südafrikaner schmerzliche Schwächung des Rand machte für die Ausländer wie mich alles noch billiger. Eine Ursache des Randzerfalls war die Situation im Nachbarstaat Zimbabwe, wo Präsident Robert Mugabe seine umstrittene Landreform trotz internationaler Proteste unbeirrt weiterführte. Auch in Südafrika häuften sich die Morde von Farmern. Viele Weisse haben Angst, Ausflug ins Parsenngebiet 189 dass in der Zukunft ähnliche Zustände wie im Nachbarstaat entstehen könnten. Nicht wenige der etwa 40 Millionen Einwohner dieses faszinierenden Landes, das etwa dreieinhalb mal so gross ist wie Deutschland, sind verunsichert. Noch immer sind die Unterschiede zwischen den Reichen und den Armen riesig. Mitte Februar 2002 flog ich zusammen mit meinem jüngeren Sohn Ronald nach Johannesburg. Dort mieteten wir einen kleinen Fiat, um vorerst Jennys Eltern Louise und Bill im 500 Kilometer östlich gelegenen «Maduma Boma»-Tierpark zu besuchen. Ihr Sohn Grant führt das Resort zusammen mit seiner Frau Michelle. Ihre Bungalows mit eigenem Swimmingpool liegen mitten im Busch. Schon auf einem kurzen Spaziergang konnten wir Impalas, Warzenschweine und Giraffen hautnah beobachten. Wir fühlten uns rasch zuhause. Als dann noch die drei Jäger Bruno, Peter und Ueli aus dem Tösstal dazu stiessen, um einige überzählige Impalas zu schiessen, organisierte Grant ein Braai in einem «Boma». Frei übersetzt ist das ein Ronald im «Maduma Boma»-Tierpark Platz zum Erzählen von Geschichten. Unser Versammlungsplatz mit Feuerstelle war mit einer runden Abgrenzung aus Bambusstangen gegen streunende Tiere geschützt. Schon nach dem ersten Glas Wein erzählte der über siebzig Jahre alte Bill von vergangenen Zeiten in Afrika. Nach diesem Besuch wollten wir den nahen Krügerpark besuchen. Nach Bezahlung des Eintrittes waren wir frei, uns zu bewegen, wie wir wollten, allerdings nur mit einer maximalen Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde. Es war spannend! Plötzlich stiessen wir auf eine Straussenfamilie, die unbeirrt die Strasse überquerte. Impalas und Zebras gehörten zu unseren häufigen Begleitern. Manchmal versperrten uns auch Elefanten und Giraffen den Weg. Bei einem Flussübergang machten wir ein Krokodil aus, das reglos und schwer sichtbar im Wasser auf Beute lauerte. 190 Ich genoss es, wieder einmal ein paar Wochen mit meinem Sohn zusammen zu sein. Nicht zuletzt war ich auch froh, dass er mich auf dieser langen Reise am Steuer von Zeit zu Zeit ablöste. Richard’s Bay erreichten wir in zwei Tagen. Sofort besuchte ich Paul auf der «Andrea Helena», der mir strahlend mitteilte, dass mein Kühlaggregat fertig sei. Spontan lud ich ihn zum Nachtessen in einem nahen Thai-Restaurant ein. Mit dabei war auch Hans, der mir in Richard’s Bay gute Tipps für die Route entlang der schwierigen Küste gegeben hatte. Dieser bot uns an, auf seiner «Brandenburg» zu übernachten. Auf seinem Boot zeigte uns Hans die Kojen, schenkte uns einen Brandy ein und begann dann von seiner Jugend in Deutschland und seiner späteren Söldnerkarriere in Schwarzafrika zu erzählen. Mir war das Ganze etwas unheimlich, vor allem, nachdem sich Hans auch als feuriger Verehrer Hitlers zu erkennen gab. Sprüche wie «Der Führer hat Härte befohlen!» oder «Wir haben zwei Hans: Ein Hitlerverehrer Weltkriege verloren, aber nur knapp, Herr Oberst!» waren für mich schwer nachvollziehbar. Unser Nazi kam richtig ins Feuer. Am liebsten laufe er am 20. April aus, am Geburtstag des Führers, verriet er uns. Zudem laufe er die Häfen immer nur nachts an und spiele U-Boot Kapitän, indem er durch den Feldstecher die Hafeneinfahrt beobachte und sich dann die Einfahrtsbefehle erteile. Er fühle sich dann so wie damals der U-Boot Kommandant Priem. Nach dem Frühstück machten wir uns schleunigst von dannen. Nach einem Besuch bei Urs Kienast aus Hemishofen und seiner thailändischen Frau Aree in Durban – er arbeitet für Sulzer – folgten wir der Küste durch die Transkei über East London, Port Elisabeth nach der für das Wellenreiten bekannten Jeffery’s Beach. 191 Wir mieteten ein Brett und warfen uns in die Wellen. Ronald wurde nicht müde, es immer wieder zu versuchen, doch ich hatte schon nach einer Stunde genug vom Surfen. Ich beobachtete lieber die Einheimischen, wie sie eine gute Welle abwarteten und scheinbar mühelos den Wellen entlang glitten. Unterwegs wollte ich unbedingt Knysna besuchen, einen Hafen, den wir als Ausweichmöglichkeit bei schlechtem Wetter geplant hatten, als wir im November entlang dieser Küste segelten. Als wir in Knysna Heads die Hafeneinfahrt sahen, war ich froh, dass wir hier nie einlaufen mussten. In der Mitte der relativ schmalen Einfahrt tobten nämlich wilde Wellen! Mit über 4700 Kilometer auf dem Zähler trafen wir schliesslich in der Hout Bay ein. Die Hasta Mañana hatte meine Abwesenheit unbeschadet überstanden. Sofort machten wir uns daran, den neuen Teil am Kühlschrank einzubauen. Er funktionierte auf Anhieb prächtig. Ronald fühlte sich wohl an Bord, flog aber Ende Monat wieder in die Schweiz zurück. Die ersten Tage vermisste ich ihn, aber dann nahm mich mein Boot in Anspruch. Ich brachte die Segel und das Spritzverdeck zur Reparatur zu North Sails auf Paarten Island. Auswassern in der Granger Bay Auch mein Radar konnte endlich repariert werden. Inzwischen war auch Pierre bereits wieder in Südafrika und baute zusammen mit Neil ein neues Windsurfboard. Bei der Taufparty des neuen Brettes auf den Namen «Great White» begoss es Pierres Freundin Caroline mit meinem mitgebrachten Champagner, und Pierre schlürfte das köstliche Nass vom neuen Namen. An diesem Abend kam ich mit dem Besitzer von Pierres Toyota überein, diesen Wagen mietweise 192 zu übernehmen. Als Pierre in Richtung Schweiz abflog, übernahm ich also seinen «Bakkie». So werden hier die populären Fahrzeuge mit Ladebrücke bezeichnet. Am Karfreitag verlegte ich mein Boot zusammen mit Christian, einem in der Hout Bay lebenden pensionierten Deutschen, zur näher bei Kapstadt liegenden Granger Bay. Gleich neben dem Radisson-Hotel betreibt Johann Alder einen Slipway für Yachten. Am Ostersonntag wurde dort mein Boot auf einem Schlitten befestigt und auf Schienen mit Hilfe einer Winde aus dem Wasser gezogen. Sofort begann der Hafenmeister Farid, ein Muslim, für den es keine Ostern gibt, mit dem Abspritzen des Unterwasserschiffes. Tags darauf fuhr ich gegen Abend mit meinem «Bakkie» zur Waterfront und parkierte das Fahrzeug auf einem von Security-Leuten bewachten Parkplatz, bevor ich im Bräuhaus «Paulaner» beim Clock Tower ein köstliches, frisches Weissbier trank. Dort begegnete ich Deon und Charlie, die ich ein Jahr zuvor mit ihrer «Zuza» in Mauritius kennen gelernt hatte. Als ich kurz nach neun Uhr beim Parkplatz eintraf, konnte ich meinen Wagen nicht mehr finden. Nein, besoffen war ich nicht. Auch die Hilfe eines Wächters, mit dem ich alle Aussenparklätze abklapperte, änderte nichts an der Tatsache: mein Bakkie war weg! Am nächsten Morgen machte ich mich früh auf, um die Parkplätze nach meinem hellblauen 1996er Toyota Hilux 2,4 D abzusuchen, ohne Erfolg. Gegen elf Uhr machte ich bei zwei Polizeibeamten eine Diebstahlanzeige. Sie wurde zum «Fall 11/04/2002». Die Polizisten erklärten mir, dass die älteren Toyotas gerne gestohlen würden – wie tröstlich! «Die Diebe haben Nachschlüssel und fahren einfach von dannen», erläuterten sie. Als ich den Vermieter anrief, beichtete er mir kleinlaut, dass er erst an diesem Morgen die Versicherung erneuert habe, die vor zwei Tagen abgelaufen sei. Somit war das Fahrzeug in den 24 Stunden nicht versichert, in denen es gestohlen wurde! Als ich ein paar Tage später beim Sicherheitsbeamten Jeftha Bentley vorbeischaute, zeigte er mir ein Video, auf dem zu sehen war, wie ich um 193 19:10 Uhr in den Parkplatz reingefahren war und wie der Toyota schon um 20:04 wieder herausgefahren wurde! Da es bereits dunkel war, waren auf dem Bild nur die Hände des Diebes zu sehen. Das ist Afrika, wurde mir knallhart bewusst. Am nächsten Tag erstand ich eine Flasche «Allesverloren». So heisst ein südafrikanischer Wein, der von einem Weingut dieses Namens in Swaartland stammt. Der Wert des Toyotas betrug etwa 6000 Franken. Bei einem Glas Wein kam ich mit dem nicht gerade in rosigen finanziellen Verhältnissen lebenden Jan überein, die Hälfte des Schadens zu übernehmen, obwohl er es versäumte hatte, die Versicherung rechtzeitig zu verlängern. Vielleicht wird der Toyota eines Tages wieder auftauchen. Viel grösser ist die Chance, dass er schon längst umgespritzt oder in seine Bestandteile zerlegt worden ist. Nach diesem Vorfall radelte ich mit meinem Velo umher, was erst noch gesünder ist. Während mein Boot auf dem Trockenen lag und einen neuen Antifoulinganstrich bekam, half mir Malcom, der Stellvertreter des Hafenmeisters, beim Auswechseln der Wellendichtung. Eine knifflige Arbeit. An einem schönen Herbsttag verlegte ich mein Boot wieder in die Hout Bay. Ein wichtiger Teil der Überholungsarbeit war damit beendet. Ich ersetzte auch alle Wanten und baute einen neuen Warmwasserboiler ein. Dazu ersetzte ich den mitgenommenen Grossbaum und Baumniederholer und verpasste dem Deck einen neuen Anstrich. Während ich nun, an diesem prächtigen Tag, auf der Terasse in der Hout Bay sitze und mein Bier geniesse, erstrahlt mein Boot in neuem Glanz. «Zurzeit tanzen wir wieder auf der Erdkrümmung. Es geht rauf und runter. Auch munter voran mit sechs bis sieben Knoten. Wir haben schon Tausende von Kilometern hinter uns. Das Lustige dabei: dass man nie ein Portemonnaie braucht!» 194 «Great White Born in South Africa» von Peter Fricker s muss zu später Stunde an einem feuchtfröhlichen südafrikanischen Braai gewesen sein, als Otti und ich beschlossen, an der Starboot-Schweizermeisterschaft in Zürich vom 8. bis 12. Mai 2002 teilzunehmen. Die Probleme stellten sich erst, als ich zurück in der Schweiz war. Wir hatten nämlich gar kein Boot mehr! Die Suche nach einem Leasing für eine Woche war erfolglos, so dass ich kurz entschlossen den Star 7537 von Manfred Meili kaufte. Als ich dann das perlweisse Boot an der Sonne blitzen sah, kam die entscheidende Idee: Da muss Werbung drauf! Weil ich durch das Swissair-Debakel in der neuen Fluggesellschaft Belair als Copilot auf Boeing 757/767 gelandet war und die Migros-Bosse viel Öffentlichkeitsarbeit versprachen, packte ich die Gelegenheit am Schopf. In einer mehrseitigen Sponsoring-Anfrage mit Werbekonzept, Teamvorstellung und Fotomontage zählte ich unzählige Regattaerfolge auf und beschrieb die Schweizermeisterschaft als seglerischen WeltEvent. Die undurchdringbare Beweislinie, dass es keinen besseren Werbeträger als das Starboot-Team Fricker/Schmid geben könne, sollte uns Millionenbeträge einbringen. Leider waren die Worte wohl doch nicht so überzeugend. Mit den versprochenen 500 Franken konnten wir nicht einmal die Aufkleber und die Werbelizenz bezahlen. Der Durchbruch erfolgte einige Tage später an der BalairRevival-Party. In der ausgelassen Stimmung machte Otti die Bekanntschaft von Claus Niederer, dem CEO von Hotelplan. Dieser outete sich als Seglerfan, was sofort Plan B ins Rollen brachte. Bewaffnet mit Ottis Buch «Hasta Bananas» köderten wir den Chef mit einer persönlichen Widmung und kamen ganz zufällig auf die Schweizermeisterschaft zu sprechen. Sofort begeistert von unserem E 195 Vorhaben, sprach uns Claus Niederer ohne zu zögern einen grosszügigen Sponsorbetrag zu! Leider war unser Aufstieg von der Hobbyliga in die Gilde der Sponsored Professional Sailors mit viel Arbeit verbunden: Aufkleber organisieren, Werbelizenz beantragen, Tuning des Bootes mit dem Erstbesitzer Christoph Gautschi, Ummelden des Schiffes, Reparatur und Vorführen des Anhängers. Dazu brauchten wir eine Unterkunft während der Meisterschaft, mussten Werbematerial auftreiben, die Medien informieren und Team-TShirts drucken. Bis zum ersten Start verblieben nur noch wenige Tage. Mit viel Unterstützung meisterten wir alles «just in time». Es fanden sich sogar noch freie Kapazitäten für einen Vortrag vor dem Rotary Club St. Margrethen und einen Auftritt in einer Projektwoche der Primarschule Mammern. Das Projekt «Great White – born in South Africa» war auf Kurs! Stolz pinselten wir den neuen Namen auf den Spiegel des glänzenden Bootes : «Great White» – der weisse Hai! Damit signalisierten wir der Welt, wie brandgefährlich wir waren. Dann kam der grosse Tag: Wir fuhren mit unserem Starboot nach Zürich. Mitten durch die Stadt und, wohlverstanden, ohne Persenning, damit auch jeder unsere Belair-Werbung sehen Starboot 7537: Great White 196 konnte. Schlau versuchten wir, den publikumswirksamsten Hafenplatz zu ergattern und weitere Werbeauftritte für unseren Sponsor zu organisieren. Schliesslich waren wir ja Profis! Doch schon bald kam der erste Tiefschlag: Eine Umfrage, was Belair eigentlich sei, beantworteten 60 Prozent mit «Belüftungsfirma», 29 Prozent mit «Klimaanlagen»,10 Prozent hatten keine Ahnung, und nur 1 Prozent wussten, dass es sich um die Balair-Nachfolgegesellschaft handelte. Wir hatten also ein ganzes Stück Aufklärungsarbeit vor uns. Endlich kam es zum Wichtigsten der ganzen Übung: Dem Regattasegeln. Schon am ersten Tag mussten wir bei schwachen und drehenden Winden ernüchtert einsehen, dass wir vielleicht neben dem Kommerziellen auch das Seglerische etwas hätten forcieren sollen. Ein Platz im Mittelfeld der 51 gestarteten Boote hinterliess gemischte Gefühle. Am Abend mussten wir uns noch für unsere Unterkunft entscheiden. Wir hatten die Wahl zwischen einer Wohnung in Wollishofen, die uns die wunderschöne Belair-Airhostess Rosa-Alba offen hielt, und einem im letzten Moment eingegangenen Angebot vom Zürichberg. Um zu viel Ablenkung aus dem Wege zu gehen, entschieden wir uns für das Zweite. Reini und Rosie Zürrer, die Otti in der Südsee kennen gelernt hatte, stellten uns einen Teil ihres prächtig gelegenen Hauses mit einer unglaublichen Aussicht zur Verfügung. Diese Oase der Ruhe, erfüllt von warmherziger Gastfreundschaft, war wie geschaffen, um uns von den Regattastrapazen zu erholen. Wahrscheinlich zu entspannend, denn bei Wein und gemütlichem Beisammensein mit unseren Gastgebern verpassten wir schon den ersten Grillabend der Veranstaltung! Die nächsten zwei Tage waren gezeichnet von verzweifelten Startversuchen, unberechenbaren Winden und Startabbrüchen. Zum Glück verwöhnte uns während der Wartezeiten die Sonne auf der Terrasse des Restaurants Seerose im Regattahafen von Wollishofen. An den Veranstaltungen am Abend, während denen ironischerweise immer ein perfekter Segelwind wehte, liessen wir 197 – stets in Team-Garderobe auftretend – keinen Zweifel darüber aufkommen, welches das am besten organisierte Team war. Am vierten Regattatag wechselte das Wetter endlich. Bei unbeständigen Windverhältnissen konnten zwei weitere Läufe gesegelt werden. Unsere Resultate wurden immer besser. In einer Regattapause erblickten wir plötzlich ein Kamerateam in einem Begleitboot. Unserem Sponsor verpflichtet, wendeten wir sofort und setzten uns vor der Kamera in Szene. Eine schnelle Wende, und in athletischer Pose segelten wir nochmals vorbei. Nach ein paar weiteren Passagen und einem freundlichen «Haut endlich ab!» vom Kamerateam widmeten wir uns wieder dem Regattageschehen. Im dritten Lauf des Tages setzte endlich starker und beständiger Wind ein. Faire Bedingungen sollten endlich zeigen, welches Team am stärksten war. Die vereinten Anstrengungen von Otti mit der athletischen Kraft eines Zwanzigjährigen, dem taktischen Gefühl eines Segelprofis und der mentalen Stärke eines Weltumseglers, gepaart mit dem Perfektionismus eines Ingenieurs, der Steuerführung eines Piloten, dem Segelgefühl und der Risikobereitschaft eines Big Wave Surfers, mussten endlich den Durchbruch bringen. Lange hielten wir uns in den Top 5 und griffen sogar die Spitze an. Doch der Wind stellte wieder ab. Mit Müh und Not und zerschlissenen Nerven retteten wir noch einen annehmbaren Platz ins Ziel. Enttäuscht trafen wir an der Stegparty ein. Immerhin war unser Boot mit dem riesigen Belair-Schriftzug allen aufgefallen. Die Begrüssungen mit: «Hey, ihr ward ja immer ganz vorne!» und «Ihr segelt ja unglaublich schnell!» heizten unsere Stimmung wieder an. Der letzte Tag brachte keinen weiteren Lauf, worauf die Meisterschaft mit einem Sieg von Klaus Kappes/Steffen Rutz und einem zweiten Platz unseres Flottencaptains Christoph Gautschi/Uli Seeberger endete. Selber schlossen wir die Schweizermeisterschaft auf dem guten 18. Platz ab. Müde bauten wir unser Boot wieder ab. Mit unserem Belair-Star im Schlepp und in der Gewissheit, dass unsere Star-Karriere noch lange nicht zu Ende ist, fuhren wir glücklich nach Hause. 198 Ein Wal, wilde Pferde und ein paar Heilige Kapstadt Jamestown nde August 2002. Es ist noch immer kühl, doch der Frühling macht sich immer mehr bemerkbar. Der Abschied von Südafrika naht. Nach einer Farewell-Party im Hout Bay Yacht Club verlege ich die Hasta Mañana in den traditionsreichen Royal Cape Yacht Club inmitten des grossen Kapstadter Hafens. Zu Zeiten der grossen Schifffahrt zwischen Europa und Asien war dies einer der wichtigsten Wendepunkte der Erde. Von hier aus kann ich direkt Richtung Westen auslaufen. Mitte September trifft Urs von Schroeder aus Schaffhausen ein, der sich zwar auf allen Weltmeeren auskennt, aber noch nie gesegelt ist und mich bis Südamerika begleiten will. «Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen, Sir.» Mit diesen Worten heuert er grinsend als Koch an. Bei Wohlverhalten sei dies ein Job mit raschen Aufstiegsmöglichkeiten, lasse ich durchblicken. Wir kennen uns seit der gemeinsamen Swissair-Zeit und haben uns viel zu erzählen. Weshalb ich mir plötzlich untreu werde und mit einem Mann segle? Man muss kein Wasser in den Rhein tragen, also auch keine Frauen nach Brasilien! Sozusagen als Fitness-Test erklimmen wir am ersten gemeinsamen Tag den Tafelberg entlang dem steilen und schweisstreibenden Weg der Plattenklippschlucht. Dass es dort nur so von giftigen Schlangen wimmeln soll, erfahren wir erst später! Die letzte Woche, die wir im RCYC von Kapstadt verbringen, ist hektisch. Vor allem beschäftigt uns das Einkaufen für die lange Reise über den Südatlantik. Am Sonntagnachmittag sind wir zu einer «Housewarming»-Party zu Conny Camenzind eingeladen. Ich machte ihre Bekanntschaft, als ich bei Martina Wyss, einer E 199 ehemaligen Flugbegleiterin der Swissair beim Schweizer Konsulat einen neuen Pass beantragte. An dieser Party hoch über dem Küstenort Seapoint gibt es sogar Schweizer Weisswein und Cervelats vom Grill. Hier lernen wir auch Honorarkonsul Robert Müller aus Hallau kennen. Urs, heute freier Publizist, überreicht ihm ein Exemplar seines Buches «Swissair 1931–2002» für die Hausbibliothek des Konsulates. Hier, wie bei allen Schweizer Kolonien im Ausland, trauert man noch immer der geliebten Airline nach, deren Untergang für alle unverständlich ist. An einem Abend wieselt eine New Yorkerin an unserem Boot vorbei. Sie ist klein, trägt vorne zwei Fünfpfünder mit sich herum und wartet auf eine einfahrende Yacht namens «Fiona». Wir laden sie zu einem Bier ein und unterhalten uns eingehend über Gott und die Welt. Am nächsten Morgen geht sie – in dieser Beziehung sind Amerikaner schon Spitze – an uns vorbei, ohne auch nur Kenntnis von Maria und Christian mit ihrer uns zu nehmen. Ein andermal beTraumyacht sucht uns Caroline Nuc mit einer Belair-Crew, die gerade einen Nightstop in Kapstadt hat. Auch Christa und Herbert Schmell, die ein Haus in Sommerset West besitzen, geben uns ein Stelldichein. Urs und Herbert arbeiteten viele Jahre beim Swissair-Pressedienst zusammen. Mit meinem deutschen Freund Christian und seiner Partnerin Maria feiern wir seine neu erworbene Traumyacht «Mondina». Gebrauchte Boote sind in Südafrika erstaunlich günstig zu haben. Nur gerade 15 000 Euro bezahlte er für die fast neue und 33 Fuss lange StahlSlup. Am Abend vor unserer Abreise schlagen die Wogen bei einem «Winetasting» im RCYC und einem Abschiedsessen mit Neil und Natasha hoch. 200 Kapstadt: Die Wetterprognose verheisst Rückenwind 201 Zwischendurch hatte ich Urs einen «Crashkurs» im Kartenlesen verpasst. Ich will, dass er fähig wird, die Hasta Mañana in einem Notfall sicher in den nächsten Hafen zu steuern. So liess ich ihn auch – nachdem wir die Route besprochen hatten – die genauen Positionen bestimmen und die Way Points in den GPS eingeben. Für einen blutigen Anfänger nicht ganz einfach, doch meine neue Crew will offensichtlich Punkte schinden, um nicht für ewig Koch bleiben zu müssen. Wie es sich gehört, führe ich noch einen richtigen Emergency Drill durch. Dann sind wir «ready to go»! 1700 nautische Meilen oder etwa 3100 Kilometer trennen uns von unserem ersten Ziel: St. Helena. Am Morgen des 19. September. Ich bin nicht gerade nervös, spüre aber wieder einmal das berühmte Kribbeln in der Magengegend. Das Wetter ist schön, die Prognose verheisst Südostwind von 20 bis 25 Knoten, also ideale Verhältnisse. Die ersten 24 Stunden haben es aber in sich. Kaum sind wir aus dem Hafenbecken und auf Kurs West abgedreht, da schreit Urs: «Ein Wal voraus!» Ich reisse das Steuer nach rechts. Kaum 20 Meter vor uns zischt das Ungetüm abrupt aus dem Wasser und zeigt beim Abtauchen die Schwanzflosse. Ein Zusammenstoss mit diesem Riesensäuger hätte unangenehme Folgen für uns und unser Boot haben können. Da sind uns die Seehunde lieber, die in grosser Zahl an uns vorbeischwimmen und neugierig die Schnauze aus dem Wasser heben. Kaum haben wir uns etwas vom Schreck erholt, nähert sich uns ein gewaltiger Frachter. Jetzt ist Urs am Steuer und will diesem natürlich den Vortritt lassen, doch der Frachter verlangsamt seine Fahrt. Unsere Segel knattern im auffrischenden Wind. Endlich sind wir durch und können abfallen. Nun übergeben wir das Ruder der Windfahnensteuerung. Wir wollen die Schifffahrtslinie entlang der Küste hinter uns lassen, um später Richtung St. Helena abzudrehen. Als erstes Nachtessen koche ich wieder einmal meinen berühmten «Spatz», wie im Militärdienst. Schon kurz nach 18 Uhr bricht die Nacht herein. Nach einem Glas Wein und einem Brandy übernimmt Urs seine erste Wache, und ich lege 202 mich in meiner Koje aufs Ohr. Von Ruhe ist allerdings kaum die Rede. «Otti, komm dir das ansehen!» ruft Urs, worauf ich ins Cockpit schiesse. Im Wasser rund um uns brodelt und pustet es. Hunderte von Delfinen kurven um unser Boot: ein riesiger gleissender Teppich herumpfeilender Leiber im fahlen Mondlicht. Der Seegang nimmt zu. «Die Hasta Mañana» beginnt immer heftiger zu bocken. Urs scheint zum Glück seefest zu sein. An Backbord überholt uns ein hell beleuchtetes Schiff. Kaum liege ich wieder in der Koje, werde ich erneut aus dem Schlaf geholt. An der Steuerung stimme etwas nicht, schreit Urs. Es habe plötzlich gekracht, worauf der Kompass wie wild zu drehen begonnen habe. Und tatsächlich, der Mond tanzt plötzlich auf der anderen Seite. Das Kreuzfahrtschiff, das vorher an Backbord lag, leuchtet jetzt an Steuerbord. Wir haben eine veritable Pirouette gemacht! Die Ursache ist schnell eruiert: Ein Steuerseil der Windfahnensteuerung ist gerissen, worauf wir aus dem Ruder gelaufen sind. Wir schalten den elektronischen Autopiloten ein und gehen auf den richtigen Kurs. Anschliessend befestige ich schleunigst ein neues Steuerseil. Inzwischen ist es 22 Uhr geworden, und ich übernehme meine Wache. Urs schneidet sich in der Pantry einen Landjäger zu. Ein Brecher klatscht an unseren Rumpf, dann stürzen wir in ein Wellental. Urs erwischt es. Er verliert das Gleichgewicht und fliegt mit dem offenen Messer in der Hand durch die Kabine und verletzt sich an Ring- und Mittelfinger der linken Hand. Wir haben ein kleineres Blutbad. Sofort desinfiziere und verbinde ich die Wunden – zwei Narben bleiben als Erinnerung an diesen Starttag, der es in sich hat. Als Segler-Anfänger erlebte Urs einen happigen Anfang. Nachts ist es empfindlich kühl. Die Wassertemperatur beträgt ganze 13 Grad Celsius. Um ein Uhr früh ist Urs nicht wach zu kriegen. Auch Rütteln hilft nicht. Der Mann schläft wie ein Bär. Ich gewähre ihm eine weitere Stunde in seinen Träumen. Dann klappt es schliesslich. Das sei ja wie im Militär, die reinste Menschenschinderei, bemerkt er trocken. Wir wechseln nur wenige 203 Worte. Ich reiche ihm eine Tasse heissen Kaffees, worauf ich mich zur Ruhe legen kann. Während seiner zweiten Wache verstärkt sich der Wind mehr und mehr. Die Wellen werden höher. Bei einer Windstärke von 20 Knoten wird es dem Neuling ein wenig mulmig. Sollte man die Genua reduzieren oder nicht? Schliesslich konsultiert er mich, obwohl er mich ungern weckt. Ich entschliesse mich, das Segel einzudrehen. Der Mond ist verschwunden und rundherum rabenschwarze Nacht. Der Seegang verstärkt sich weiter. Urs ist froh, als die Ablösung kommt! Die ruhigen Morgenstunden nutze ich bei Bedarf zum Brotbacken oder zum Lesen. Urs schläft – das stellt sich im Laufe unserer Reise heraus – beträchtlich weniger als ich, dafür viel tiefer und verbringt den ganzen Tag auf Deck. Ich schätze dagegen meine Mittagsschläfchen. Schon in den ersten 24 Stunden legen wir 159 Meilen zurück. Bald ergibt sich eine eingespielte Bordroutine. Der erste Thunfisch, der sich an der Schleppangel festbeisst, kann sich beim Bergen am Heck befreien – gut für ihn. Am Nachmittag bewundern wir die Gleitkünste der Albatrosse, die elegant und ohne Flügelschlag den Wellenkämmen entlang kurven, oft nur Zentimeter über dem Wasser, und immer wieder Auftrieb finden. Aviatik in Reinkultur. Schon am zweiten Tag ist es leicht wärmer. Ich baume aus, immer wieder von meinem Koch ermahnt, ich solle mich anbinden. Seine grösste Sorge ist im Moment, mich zu verlieren. Noch fühlt er sich nicht fähig, eine Krise alleine bewältigen zu können. Die Hauptmahlzeit ist bei uns das Nachtessen. Urs kocht gerne und gut, obwohl das beim jetzigen Seegang eine ziemlich akrobatische Sache ist. Während wir in einen prächtigen zweiten Abend hineindriften, zaubert er grosse südafrikanische Pilze in Butter und dann marinierte Koteletten an einer Pilzrahmsauce mit viel Knoblauch auf den Tisch. Dazu trinken wir Cabernet Sauvignon aus einem praktischen Tetrapack. Im Laufe unserer Reise sind unsere Mahlzeiten wegen des Schichtbetriebes fast unsere einzigen gemeinsamen Momente. Darum zelebrieren wir vor allem das Nachtessen vor dem Sonnen- 204 untergang. Im Moment ist das Essen, wie alles andere auch, noch eine äusserst schauklige Angelegenheit. In der Nacht legt der Wind auf über 25 Knoten zu, so dass wir das zweite Reff einbinden müssen. Wir kommen fantastisch voran. Das Etmal wächst auf satte 190 Meilen! Das Meer zeigt sich von der hochdramatischen Seite: bungalowhohe Brecher, Ausläufer eines Sturmes im Südmeer, gewaltige Surferwellen, die von hinten kommen und uns Schub geben. Wir fahren von Tal zu Tal. Gott sei Dank haben wir diese Brecher nicht gegen uns! Am dritten Tag kreuzen wir ein Schiff. Mein Radar funktioniert wieder einwandfrei. Als Greenhorn auf einem Segelboot «Erstmals spüre ich die grosse Einsamkeit auf Wache. Drei Stunden können lang sein.» «In meiner Koje vorne im Bug herrscht ein Tohuwabohu. Vorbei mit der schönen Ordnung. Es geht rauf und runter wie in einem Lift, doch irgendwie schaffe ich es, in meinen Schlafsack zu kommen und bin bald weg.» «Vor uns der Vollmond und eine unendliche gleissende Fläche. Ab und zu noch ein Vogel. Mond und Sterne tanzen Rock‚n’ Roll. Die Wellen sind imposant.» «Beim jetzigen Wellengang bin ich froh, oben an der frischen Luft bleiben zu können. Otti ist beeindruckt, dass ich bei diesen Verhältnissen nicht seekrank werde. Offenbar ‹müsste› ich es sein! Einfach ist es trotzdem nicht. Jeder simple Vorgang ist mühsam und braucht viel Zeit. Seit unserer Abfahrt konnte ich die Kleider nicht wechseln!» «Schlafen will diesmal kaum gelingen. Es schmiert mich nach links und rechts. Wenn ich liege, ist es, als risse es sogar die Eingeweide herum. Trotzdem muss ich irgendwann weggetreten sein. Wieder aus der Koje herauszukommen, ist ein Gewaltakt. Schlaftrunken schaffe ich es ohne nennenswerte Beulen.» «Der Skipper scheint begeistert von meinen Kochkünsten und meiner Motivation, einen besonderen Service zu bieten. Der Mann ist nicht verwöhnt und dankbar für alles!» 205 «Seit langem haben wir kein Zeichen menschlicher Existenz mehr gesehen, weder auf dem Meer, noch am Himmel. Eine ‹existentielle› Erfahrung. Wir sind mausbeinallein!» «Ich fühle mich täglich fitter. Dies zweifellos, weil alle Muskeln des Körpers rund um die Uhr in Bewegung sind. Keine Spur mehr von Rücken- oder Gelenkschmerzen, weil wir so etwas wie Dauer-Massage geniessen. Das brennt auch Gewicht weg. Wenn das so weiter geht, werde ich in Topform in Brasilien ankommen! Dagegen beginnen die langen, grässlich kalten Nächte etwas an meiner Psyche zu nagen. Ich bin immer heilfroh, wenn es wieder Tag wird. Otti kümmert sich gut um mein Seelenwohl. Er vergisst nie, für meine Nachtwache eine Flasche Brandy bereitzustellen!» «Der Bug, in dem ich liege, schletzt ununterbrochen von links unten nach rechts unten, dazwischen eine ruppige Aufwärts-/Abwärtsbewegung. Ich versuche, mich mit Armen und Beinen zu verkeilen, doch der schlüpfrige Schlafsack rutscht herum wie ein loses Blatt im Wind. Im Gegensatz zu mir kann Otti zu jeder Tag- und Nachtzeit schlafen. Auch auf Raten. Ein glückliches Schwein!» Schlimm ist es, wenn uns eine Welle von der Seite erwischt. Alles kracht und scheppert im Boot. Einmal sausen sogar die Backbleche aus dem Backofen. Urs verbringt den grössten Teil der Zeit im Cockpit, oder er steht hinter dem Spritzverdeck in der Mitte, wo man den ganzen Horizont im Auge hat und alle Bewegungen des Bootes locker ausbalancieren kann. Wir haben den Kurs gewechselt um besser im Strom zu bleiben und steuern direkt St. Helena an. Ein Drittel des Weges zur Insel liegt bereits hinter uns. Die Wellen schwellen noch mehr an. Zu rau zum Kochen. Urs entschliesst sich, Sandwiches zu basteln. Ein weiterer Tag verabschiedet sich mit Trauerkarten-Bildern: einem bewegten Meer mit starkem Lichteinfall beim dramatischen Sonnenuntergang. Nach vier Tagen haben wir schon fast 800 Meilen zurückgelegt, begünstigt durch die ideale Strömung. Unser Galopp in 206 Richtung Nordwest ist allerdings nicht von Dauer. Als ich am fünften Tag erwache, ist alles viel ruhiger. Wind und Schwell sind spürbar zurückgegangen. Wir machen nur noch 4 1/2 bis 5 Knoten. Endlich kann man sich wieder einigermassen normal bewegen! Den einzigen Kontakt, den wir im Moment noch haben, ist der zur «Good News», einer anderen Yacht, die zwei Tage vor uns in See gestochen ist. Dem Wind geht immer mehr der Schnauf aus. Wir dümpeln nur noch dahin. Der Tag mit grauer, eintöniger See ist langweilig, aber auch erholsam nach den Monsterwellen der letzten Tage. Wir hoffen, bald in den Bereich des Südost-Passats zu kommen, der uns bis St. Helena begünstigen soll. Während zwölf Stunden fahren wir unter Motor, bis sich, zuerst nur zaghaft, Südostwind bemerkbar macht. Ist das der ersehnte Passat? Es wird auch fühlbar wärmer, und die Wassertemperatur steigt auf 18 Grad. Urs und ich sind ein Team geworden. Wir verstehen und ergänzen uns gut, was nicht selbstverständlich ist, hockt man doch auf engstem Raum zusammen. Seekrank wurde er auch bei starkem Seegang glücklicherweise keine Minute. Heilig sind uns vor allem die gemeinsamen Abendstunden, in denen wir uns über Gott, die Welt, die Menschen im Allgemeinen und die Frauen im Besonderen unterhalten. Urs, der viel herumgekommen ist und sehr viel erlebt hat, entpuppt sich als höchst anregender Gesprächspartner. In den Nachrichten von Radio Schweiz International erfahren wir, dass Bundeskanzler Schröder wiedergewählt wurde und dass George Bush vom Kongress grünes Licht für einen Angriff auf den Irak bekommen hat. Endlich tut sich auch an der Schleppangel was. Dieses Mal schaffen wir es, einen ansehnlichen Yellowfin-Thunfisch mit Hilfe des Fischhakens an Bord zu bringen. Jetzt kann ich die in Südafrika erstandene Räucherkammer ausprobieren. Zuerst verstreue ich zwei Teelöffel Sägemehl auf den Boden der Form und lege dann die leicht gewürzten Filetstücke, ein paar Karotten, Tomaten und Kartoffeln auf den Rost. Deckel drauf und rein in den Backofen. Kaum eine halbe Stunde später ist die Fischmahlzeit fertig. Köstlich! 207 Am sechsten Tag verändern sich die Verhältnisse erneut radikal. Plötzlich haben wir den Wind von fast zehn Knoten direkt auf der Nase, ein wärmerer Wind als der aus dem Südmeer. Wir können uns unserer Faserpelz-Jacken entledigen. Urs ist von der Navigation fasziniert und ist gerade daran, den Hand-GPS zu programmieren, mit dem wir nun doppelte Redundanz haben, als plötzlich der Radar-Alarm losgeht. In etwa zehn Kilometer Distanz kreuzt ein sehr grosses Schiff unseren Kurs. Seine Grösse ist an der Distanz zwischen den vorderen und den hinteren Lichtern schätzbar. In 24 Stunden werden wir vermutlich die Hälfte des Die Räucherkammer bewährt sich Weges erreicht haben. Afrika entrückt stündlich weiter. In der Nacht nimmt der pfeifende Nordwestwind zu. Plötzlich haben wir Gischt im Gesicht. Das ist definitiv nicht der Passat! Wir stemmen uns mit dem Motor gegen den steifen Wind. Der Autopilot hält uns auf genauem Kurs. Ich habe den Fockbaum geborgen und die Genua gesetzt. Wir kreuzen gegen den Wind auf Kurs Nord und machen erstaunliche 4 1/2 bis 5 Knoten Fahrt, doch unser rascher Run der letzten Tage ist definitiv gestoppt. Dieser Wind, entgegen allen Regeln, ist – und darüber würde Ruth wohl wieder schallend lachen – in keinem Büchlein vorgesehen! Wir versuchen, nach Norden zu kommen und dort den südöstlichen Passat zu treffen. Das Wetter wechselt in unwahrscheinlichem Tempo. Eben noch waren Millionen von tief liegenden Sternen und die Milchstrasse in seltener Klarheit zu bewundern, dann tauchen wir wieder in eine schwarze Wand. Wir haben das Gefühl, wir seien schon eine Ewigkeit zusammen unterwegs. Nach einem weiteren Wetterwechsel haben wir wieder einen minimalen Schwell und dümpeln den ganzen Tag mit 3 bis 4 Knoten so ruhig dahin wie auf dem Bodensee. Etwas 208 tut sich, doch was? Wir haben die Valdivia Bank passiert und müssten jetzt endlich in den Passat kommen. 1500 Kilometer liegt Kapstadt zurück, etwas mehr als 1500 Kilometer trennen uns von St. Helena. «Mein persönliches Notfall-Szenario ist jetzt klar: Es kann nur noch vorwärts zur Insel oder aber irgendwohin an die südamerikanische Küste gehen», hält Urs in seinem Tagebuch fest. Für ihn ist das auch der ideale Tag für ein gediegenes Essen. Er brät seine berühmten «Prätigauer Kartoffeln». Dazu gibt es Filet-Steaks und natürlich den obligaten Roten. Viel Rodeo und Knoblauch «Beissender Wind und ekelhafte Stösse: Es gelingt mir kaum, etwas richtig hinzukriegen. Wozu braucht denn ein Mann eine Brille zum Urinieren, kann man sich fragen. Mir gelingt es, dabei eine zu zerbrechen! Mein Buch – ‹In the Heart of the Sea› (die Tragödie des Walschiffes ‹Essex›) – bekam eine Woge und braucht Tage, um wieder zu trocknen.» «Am Abend gibt es wieder einmal griechischen Salat mit Cnoblibrot. Unser Knoblauchkonsum ist enorm. Otti und ich verstehen uns gut!» «Als ich in die Koje kroch, hörte ich noch einen letzten fürchterlichen Knall, dann ein ekelhaftes Gurgeln, hielt kurz den Atem an und wartete darauf, dass irgendwo Wasser durch ein Leck brechen würde. Dann war ich schon weg.» «Aus der leidenschaftlichen Lady von gestern Nacht ist eine anschmiegsame, zärtliche Gefährtin geworden. Noch döste sie im Dunkeln, doch nun perlt ihr ausladender Leib im glänzenden Schimmer des dünner werdenden Mondes. Wir gleiten tänzelnd über sie, spüren ihr gelegentliches Aufzucken, tauchen in sie hinein. Sie bringt uns, uns immer wieder zur Ruhe mahnend, mit jeder Stunde dem Ziel ein wenig näher.» «Kein Gejammer der Windfahnensteuerung mehr. Der Wind genügt nicht, sie zum Jammern zu bringen. Nur das immerwährende Jaulen des Windgenerators und das Rauschen des Wassers.» «Unsere Fahrt ist vom wilden Ritt gegen die Urgewalt der Elemente 209 zur reinen ‹course de plaisance› verkommen: zu einem nächtlichen Spaziergang auf einem Wasser, das – gekräuselt von einem warmen Lüftchen – an den Victoriasee erinnert. Doch wo sind die Flusspferde?» «Es hat mich immer fasziniert, wie sich Beduinen in der Wüste und Artisanafischer auf dem Meer zurechtfinden. Interessanterweise spüre ich schon nach wenigen Nächten auf dem Atlantik sozusagen im Urin, wenn etwas an unserem Kurs nicht stimmt. Die Sinne für den Wind, die Dünung, den Stand der Sterne sind geschärft.» «Heute hatten wir Festtag: Fischtag. Fangfrische Thun-Steaks und Reis. Köstlich. Wir sind Bestandteil der brutalen Überlebenskette des Meeres, in der der Grössere den Kleineren frisst. Wir danken dem armen Opfer, dass es sich in seiner Fressgier für uns geopfert hat. Hier ist alles einfach, direkt und plausibel. So anders als sonst in unserer industrialisierten Versorgungskette.» «Otti findet unser ‹Reisli› – als das bezeichnet er unseren Törn – als ein ‹geiles Reisli›! Ich auch.» Nach sieben Tagen können wir erstmals die Shorts anziehen. Die «Lady» – so nennt Urs das Meer – ist endgültig erschöpft und liegt ermattet da nach den Stürmen der letzten Tage. Noch immer weit und breit nichts von den charakteristischen Wölkchen, die den Passat ankünden würden. Wir befinden uns jetzt, etwa auf 23° Süd, ziemlich genau auf der Höhe von Rio de Janeiro. «Würden wir jetzt genau westlich segeln, würden wir möglicherweise an der Copacabana landen!» stellt mein Koch und Hobby-Navigator fest. «Vielleicht auch an der Ipanema oder Leblon.» Unser automatischer Pilot hält stur Kurs 330. Wir geniessen die wärmende Sonne, die langsam die feuchte Kälte aus den Gliedern saugt, die wir in der ersten Woche nicht mal im Schlafsack los wurden. Natürlich weiss Urs, was er bei Mann-über-Bord tun müsste: Rettungsring mit automatischer Lampe raus, in der Navigationsecke mit der MOB-Taste die GPS-Position einfrieren, wieder nach oben und den Motor starten, Genua eindrehen, dann das Grosstuch bergen und retour den Mann im Wasser suchen. Bei Tag 210 und mässiger Dünung wie jetzt würde uns eine Bergung mit grosser Wahrscheinlichkeit gelingen. Bei starker Dünung oder bei Nacht wäre das bereits sehr schwierig. Würden Urs oder ich in der Nacht während einer Wache herausfallen, ohne dass der Partner das wahrnehmen würde, wäre die Rettungschance gleich Null. Auf diese Weise haben sich Dramen ereignet. Wir beide wissen das. Am Mittag passieren wir den Längengrad 0. Ab sofort werden unsere Positionen «W» statt «E» haben. Am Nachmittag kommt kalter Wind auf. Wir stossen nun ins Angolabecken vor, doch Afrika ist bereits weit entfernt. Gelassenheit hat sich auch bei Urs eingestellt. Ob wir einen, zwei oder drei Tage früher oder später eintreffen werden – was soll’s. Plötzlich fällt ein Teil der Anzeigen aus. Die Spannung ist abgefallen. Nicht weiter schlimm. Mit dem Motor können die Batterien wieder aufgeladen werden. Ich habe beschlossen, statt den Westen St. Helenas den Osten anzusteuern und die Insel rechts zu umfahren. Während der Wache spielt Urs in der Navigationsecke. Der GPS rechnet aus, dass wir bei der momentanen Geschwindigkeit von 6 Knoten in 68 Stunden in St. Helena wären, also in drei Tagen. Doch sechs Knoten als Durchschnitt? Es wird wohl Donnerstag werden. Für den Abend habe ich ein Kinoprogramm auf Lager. Wir schauen uns den Balair/CTA-Farewell-Video an und begegnen einem gemeinsamen Bekannten: Captain Detlef Harder. Und das inmitten einer grossen Wasserwüste. Nur noch 300 Meilen trennen uns von Jamestown. Das Meer sieht hochdramatisch aus: aufgewühlt durch den Wind, Wellen im Gegenlicht, eine gleissende, tosende Fläche. Atemberaubend! Man bekommt nie genug, diesem urgewaltigen Spiel zuzuschauen. Wir sind definitiv im Passat, der uns jetzt wie auf Schienen in nordwestliche Richtung voran schiebt. Die sanfte «Lady» ist wieder richtig erwacht und entfacht ihr Temperament. Wir galoppieren stürmisch über die Wellen. Sie treiben uns, weisse Krönchen tragend, rasant voran. Wir wollen nach Möglichkeit am 211 Morgen einlaufen. Bei der jetzigen Geschwindigkeit sieht alles so aus, dass wir einen Tag früher ankommen als geglaubt. Das Kochen wie auch sonst alles wird bei diesem Wellengang erneut zum hochakrobatischen Akt. Mit der einen Hand muss man sich stets irgendwo halten und sich mit beiden Beinen sichern. Das einzig Stabile ist sinnigerweise der halbkardanisch aufgehängte Herd. Oft meint man, die Pfannen, die einem in einem Winkel von 45° entgegen kommen, festhalten zu müssen – dann realisiert man, dass alles andere 45° schräg steht! Daran hat sich auch mein Koch gewöhnt. Das Essen dann noch sicher und ohne Überschwappen auf Deck zu schaffen, ist eine weitere Schwierigkeit, ebenso wie das Essen selber als permanenter Balanceakt. Man muss wissen – und tut das sehr schnell –, dass man nicht zwei Dinge auf einmal tun kann. Im Moment schüttelt es uns wieder nach Strich und Faden durch. Ich versuchte, zu sichern, was gesichert werden konnte. Wir haben das Gross gerefft und die Genua reduziert, nicht zuletzt, weil wir nicht in der Nacht in St. Helena eintreffen wollen. Kurz tanzen die Sterne wieder Rock ‚n’ Roll, glitzert im tosenden Wasser das Plankton, dann saust von hinten mit peitschendem Regen die nächste schwarze Wand über uns hinweg. Gemäss Skala ist das, was wir haben, erst «grobe See». Na ja. Der Wind bläst genau von achtern, deshalb das fürchterliche Rollen. Als plötzlich der Autopilot versagt, droht uns, wie schon in der ersten Nacht, eine Pirouette. Zum Glück sitzen wir im Cockpit, so dass wir sofort reagieren können. Bis St. Helena sind es noch 70 Meilen. Wir fahren die Nordostseite der Insel direkt an. Wenn es morgen tagt, wird sie hoffentlich zu sehen sein. Bockende Gäule und fliegende Würste «Am liebsten bin ich ‹an Deck› und lasse mich von der Unendlichkeit des Meeres hinreissen. 360° Weitblick um uns herum: unbehinderter Horizont, bei dem man selbst die Erdkrümmung sieht! Warum sind Städter und Bergvölker so begrenzt in ihrem Denken?» «Diese Nächte sind dramatisch und von der Art, die man nie mehr 212 vergessen wird. Trotzdem: Ich liebe sie nicht. Diese ständige Sorge, dass etwas passieren könnte, auf das man nicht vorbereitet ist. Zwar hat mein Sicherheitsgefühl stark zugenommen!» «Der Gaul ist noch nicht zur Ruhe gekommen. Das seitliche Rollen, der Baum berührt fast die Wasserfläche, macht einen kaputt. Davon habe ich die Nase voll. Auf solche Gefühle darf man sich aber nicht einlassen, weil man ja nicht entweichen kann. Das war die übelste Nacht, bestätigt auch Otti.» «Jeder Atemzug des Windes, jede Welle bringt uns, Schritt um Schritt, dem Ziel etwas näher: schüttelnd, scheppernd, krächzend, krachend, stöhnend. Diese Geräusche werden mich noch lange begleiten.» «Wir haben Zeit zum Ankommen. Wir sind voller Spannung und Neugier. Alles stimmt. Wie viele Reisende können das heute noch sagen, wenn sie irgendwo ankommen?» «Seekrank war ich nie, aber werde jedes Mal landkrank, wenn mich der Fähremann an der Mole absetzt. Der Boden schwankt gefährlich unter meinen Füssen, so dass ich mich zeitweise wie besoffen fühle.» 2. Oktober 2002. Vor genau einem Jahr hat mit dem Grounding der endgültige Absturz der Swissair begonnen. Eine turbulente und schmerzliche Phase, die uns alle – die einen mehr, die anderen weniger – getroffen und das Leben vieler verändert hat. Jetzt scheint das plötzlich alles sehr weit weg. Wir sind den 13.Tag auf See, als sich am frühen Morgen die felsigen Umrisse des unwirtlich aussehenden St. Helenas ähnlich einem Heustock aus einer Regenwand herausschälen. Der GPS hat uns punktgenau zum Barn Long Point geführt. Bei unserer Einfahrt scheut der Himmel keinen Pomp. Ein riesiger Regenbogen weist uns zur Feier des Tages den Weg zur Insel. Ob damals auch Napoleon so empfangen wurde? Nein, erfahren wir später. Die Insel wurde durch seine Ankunft im Jahre 1815 völlig überrascht. Wir fahren der zerklüfteten Ost- und Nordküste entlang bis zur schmalen Einbuchtung, in die Jamestown – der einzige Zugang zur Insel – 213 St.Helena heisst uns für sieben Tage willkommen 214 eingeklemmt ist und gehen vor Anker. Ich melde uns über Funk bei der Hafenkontrolle an, und wenig später prescht ein Boot mit dem Hafenmeister Brian, einem Zöllner und einem Polizisten heran. Zuerst sind die drei ziemlich formell, heissen uns aber herzlich willkommen. Nach einem Bier werden sie lockerer und geben uns nützliche Tipps für die Insel. Einklarierungsbeamte in St.Helena Tropisch wirkt diese Insel nicht gerade, obwohl sie geographisch als das gilt. Mit dem Fährtaxi, das einer schwimmenden Telefonkabine gleicht, fahren wir an Land, mit dem Duschzeug in unserem Handgepäck. Wir müssen uns an Seilen vom schwankenden Boot auf die Mole hinaufhieven. Nein, die grosse Welt scheint das hier nicht zu sein! Wir finden zwar Duschen in einem offenen Gebäude im ausgestorbenen Hafen. Von warmem Wasser müssen wir allerdings weiter träumen! Wir sind seit langem die einzigen Neuankömmlinge, weshalb auch sofort alle auf der Insel wissen, wer wir sind und woher wir kommen. Ein einziges anderes fremdes Boot liegt im Hafen vor Anker, die gelbe «Mollymawk». Sie gehört einer englischen Familie mit kleinen Kindern. Diese hat sich entschlossen, länger zu bleiben und die Kinder hier in die Schule zu schicken. 215 St. Helena entpuppt sich als unglaublich geschlossene Gesellschaft, wo jeder jeden kennt und man keinen Schritt unbemerkt tun kann. Die Leute freuen sich über jeden Neuankömmling, dem sie als dankbare Opfer ihre schon tausendmal erzählten Geschichten erzählen können. Kein Wunder, nur etwa 5000 Einwohner bevölkern die Insel, die über keinen Flugplatz verfügt. So werden auch alle Güter auf dem Wasserweg herangebracht. Ein Unikum ist dabei, dass das Versorgungsschiff «St. Helena», die einzige Verbindung zur Aussenwelt – Ascencion, Kapstadt und London – nur alle paar Wochen einläuft und es ausser dem kleinen Lokalblättchen «St. Helena News» keine aktuellen Zeitungen gibt. Wer hier quirlige Exotik erwartet hat, wird bald enttäuscht. Bereits um vier Uhr schliessen alle Geschäfte und Restaurants. Nur das «Anne’s Place» – die Anlaufstelle aller Yachties – bleibt offen. Anne hat schon über den Funk von unserer Ankunft gehört und empfängt uns heiter. Ohne nach unseren Wünschen gefragt zu werden, bekommen wir einen Teller mit dem Tagesrückblick. Hier herrscht echte Demokratie: Gefangene und Yachties werden gleich behandelt! Der Reisejournalisten-Ausweis von Urs öffnet uns Tür und Tore. Das Touristenbüro lädt uns zu einer Inselrundfahrt ein. Sie führt uns eine steile, schmale Strasse in die Höhe. Erstaunlich: Unten ist die Insel kahl, felsig und fast ohne Vegetation. Je höher wir kommen, desto mehr verändert sich das. Auf dem Hochplateau erLongwood: Hier verbrachte Napoleon seine reichen wir Longwood, letzten Jahre den geschichtsträchtigen Ort, wo Napoleon seine letzten Jahre verbrachte und 1821 starb. Vom High Knoll Fort, 1874 als Zufluchtsort für die Bevölkerung hoch über Jamestown gebaut, geniesst man eine spektakuläre Aus- 216 sicht über die halbe Insel. Diese, rundum stark befestigt, auch Geschützstellungen aus dem Zweiten Weltkrieg rosten noch vor sich hin, galt einst als praktisch uneinnehmbar. Aus militärischen Gründen wurde 1829 auch die «Jakobsleiter» gebaut, eine schwindelerregende Treppe von der Stadt zum Fort. An einem Abend schaffe ich diesen Aufstieg in 20 Minuten rauf und in 10 Minuten runter. Kinder sind schneller: Sie rutschen halsbrecherisch auf dem Geländer ins Tal! Bei einem Anruf erfahre ich, dass «Susi Wong», meine langjährige «Teilzeitfreundin», die mich in Thailand die Wände hochgetrieben hat, Mutter eines Mädchens geworden ist. Ich bin überzeugt, dass sie eine gute Mutter wird, obwohl sie – nach ihren Worten – nie nach einer «08-15»-Familie strebt. Bevor wir aufhängen, spricht sie schon wieder vom Klettern! Wir spüren schnell, dass wir es auf dieser Insel, auf der schon am frühen Abend Grabesstille herrscht und das ganze Leben in ein paar wenigen Bars stattzufinden scheint, nicht ewig aushalten würden. Erst am Freitagabend scheinen die Leute in Jamestown richtig zu erwachen. In einem Beach-Restaurant, das nur an einem Abend in der Woche offen ist, herrscht Highlife. In einer Bar fetzt eine Rockband. Die haben einen drauf! Die Bar füllt sich zum Bersten. Inzwischen kennen wir schon viele Gesichter und auch ein paar besondere Charaktere. Sie sind, mit überwiegend kaffeebraunem Teint, die Ableger europäischer Seefahrer, Kolonialisten, madegassischer und indischer Sklaven, die hier auf dem Wege nach Amerika befreit wurden. Lustigerweise sorgt hinter der Bar Hafenmeister Brian dafür, dass die Gäste nicht verdursten. Jetzt merken wir, weshalb er uns diese Stätte so heiss empfohlen hat! Auch alle Insel-Schönheiten, herausgeputzt und umschwärmt, sind heute auf der Gasse und lassen sich gerne auf einen Schwatz ein. Da und dort irren die ersten Säufer mit gläsernem Blick herum. Was für ein Leben! Spät nachts bringt uns Ferryman Steve wie abgemacht zurück zur Hasta Mañana. Das Umsteigen beim Schaukeln und mit viel Bier im Bauch erfordert einiges Geschick. 217 Langsam beginnen wir, unsere Abfahrt zu planen. Während ich mit Reparaturen beschäftigt bin, begibt sich Urs auf eine erste Einkaufstour. Hatten wir in Kapstadt beim riesigen Angebot das Problem der Qual der Wahl, besteht es hier im limitierten Angebot. Es setzt sich aus wenigen eigenen landwirtschaftlichen Produkten und dem zusammen, was die m/s «St. Helena» herbeiführt. Zurzeit hat es nur noch auf englischen Geschmack ausgerichtete Konserven und Tiefkühlwaren. In den nächsten Wochen werden wir nicht mehr schlemmern können wie in den letzten! Zwischen Kapstadt und Jamestown hat der navigationsbegeisterte Urs bereits die Route und die Koordinaten bis Salvador de Bahia in den Hand-GPS eingegeben. Nun mache ich dasselbe auf dem Bord-GPS. Wir kommen zu genau identischen Ergebnissen, was Urs natürlich mit Stolz erfüllt. Unser Ziel liegt auf Position S 12°58.298’/W 038°30.931’. Rund 1900 nautische Meilen trennen uns von unserem Ziel in Brasilien. Bei der Police Station, die so bestückt ist, als wimmelte es hier von Verbrechern, bekommen wir unsere Pässe zurück. «Hope to see you again!» sagt die nette Polizistin, die wir auch schon als Aushilfe bei einer Essbude der landwirtschaftlichen Kooperative gesichtet haben. Wir haben uns offenbar gut benommen und sind nicht negativ aufgefallen! An unserem Abschiedsabend, es ist Samstag, haben wir Mühe, irgendwo etwas zu essen zu finden. Fast alles ist geschlossen. Irgendwo findet eine grosse Hochzeit statt, bekommen wir als Erklärung zu hören. Andernorts sagt man uns, es gebe nichts zum Kochen. Minimalismus auf einer von Subventionitis geprägten Insel, man spürt sie überall. Hängen bleiben wir in der Bar des Consulate Hotels, wo am späten Abend die Post im Quadrat abgeht. Junge und Alte, Schöne und Hässliche: Alle scheinen sich hier am Samstag zum Tanzen, Balzen und vor allem zum grossen Besäufnis zu treffen. Wir kommen nicht aus dem Staunen heraus, was hier alles hinter die Binde geschüttet wird. Die Szenen, die wir hier erleben, sind filmreif. Sie setzen sich orgiastisch in der 218 Samstags-Disco im «Mid-Atlantic» fort, von wo bis in die frühen Morgenstunden heisse Musik über das Wasser dröhnt. Ade, ihr uns lieb gewordenen Gesichter: Ihr werdet euch weiterhin allwöchentlich volllaufen lassen können. Wir hauen wieder ab! Am 6. Oktober, als wir auslaufen möchten, haben wir eine weiche Birne. Nach dem «Saturday Night Fever» scheint Jamestown völlig erschlafft. Kaum eine Menschenseele ist zu sehen. An diesem Sonntag verpassen wir hier definitiv nichts mehr. Wir reissen uns zusammen, denn wir müssen noch Wasser bunkern. Drei Fahrten mit der Fähre sind nötig, um mit vier Kannen etwa 170 Liter für unsere Tanks heranzuschaffen. Ich bin nervös, weil auch noch der Wassermacher repariert werden muss. Ich tausche ein paar Dichtungen aus. Zum Glück entdecken wir noch, dass ein Tau zur Roll-Genua beschädigt ist. Schliesslich sind wir bereit. Um 13:10 Uhr startet Urs den Motor, während ich mich auf dem Vordeck daran mache, mit der elektrischen Winsch den Anker zu heben. Dieser ist jedoch festgefahren. Erst nach mehrmaligem Würgen schaffen wir es, frei zu kommen. Urs steuert das Boot in den Wind. Inzwischen ist er zum First Mate aufgestiegen und steht selbstsicher am Steuer. Ich hisse das Grosssegel im böigen Wind, der die Täler herunterfegt. Der Wind wird erst konstanter, als wir aus der Inselabdeckung herauskommen. Gleichzeitig nimmt auch der Seegang zu. Wir gehen auf Kurs 330, der uns direkt nach Salvador führen soll. Nein, vergessen werden wir euch nicht! «St. Helena, deine Gesichter werden wir nicht vergessen! Etwa das des dunkelhäutigen Jonathan, des Fährmannes mit dem Tatoo ‹Cowboy› auf der Brust. Sein gutes Gesicht bleibt uns in Erinnerung wie andere, etwa das vom Rum zerstörte Antlitz seines blonden Kumpanen mit der Heilandfrisur. Lässig baumelte die Zigarette in einer Ecke seines Mundes, als er bei uns Diesel pumpte. Oder das Gesicht der schlanken Schönheit mit ihrer Mischung von lasziver Ausstrahlung und gotischer Strenge, die unbedingt nach Deutschland will und deren betörender erotischer Duft 219 unsere Sinne durcheinander brachte. Nicht nur unsere. Wie die Mücken an einer Lampe verbrannten die Männer an ihr. Sie tanzte, dunkle feine Nappajacke, Glühstengel angewinkelt in ihren langen Fingern, wie in Trance, vor allem mit sich selber. Sie war elegant, aber soff wie ein Loch, und der Alkohol war stärker als sie. Sie zerfloss in dieser Nacht ebenso wie ihre zahllosen Anbeter. Dann trug man sie, nicht mehr ganz so ladylike, an die frische Luft, wo sie verdunstete. Wie andere vor und nach ihr. Auch das Gesicht des alten Mannes bleibt im Gedächtnis, der sein Schiff in Casablanca sinken sah und damals nicht wusste, dass es die Briten und nicht die Deutschen waren, die es versenkten. Der dann in Burma kämpfte, in Indien und Südafrika lebte, lebenslang vom Trauma der Apartheid gezeichnet blieb, nach einer Hochsee-Schmugglerkarriere in Brasilien ins Gefängnis wanderte, dann in Amazonien Tropenhölzer schlug und im hohen Alter zurück nach Jamestown kehrte, weil das sein Hafen war, die Welt aller Welten. Es bleiben die wie aus Holz geschnitzten und vor Erregung geröteten Gesichter der Dominospieler in der Bar, die ihre Steine mit kleinen Detonationen auf den Tisch knallten, oder das Gesicht der immer lächelnden Bäckerin mit ihren ‹Coconut Fingers›. Oder das des sehnigen Taubstummen, der in der Bar gestenreich noch einmal die Tour de France mitfuhr oder das Gesicht des kleinen Männchens mit seinen melancholischen Hundeaugen, das trunken am gewaltigen und allen Gesetzen der Gravitation widerstehenden Busen seiner um einen Kopf grösseren Begleiterin lehnte und später auf einer Bank im Hafen aller Häfen den Schlaf des Gerechten schlief.» 220 Willkommen im Knast! von Urs von Schroeder eitschende Winde, gleichzeitig aus allen Richtungen, zerren an allem, was sich bewegt. Rundum sich fast senkrecht auftürmende Felswände, an denen die steilen Brecher des Ozeans zerstieben. Zahllose Schiffe sind im Laufe der Geschichte an ihnen zerschellt. Eine zerklüftete Narbe, ein tief in die Gesteinmasse eingekerbtes und bis zur Wasserlinie herunterfallendes Tal, gewährt den einzigen Einlass zur höchst unwirtlich erscheinenden Insel. Zwischen den Felsen eingeklemmt dämmert der verschlafene Hauptort Jamestown dahin, überdacht vom Gemäuer bröckelnder Festungen, aus denen verrostete Geschütze auf alle Neuankömmlinge starren. Wer hieher kommt, muss gute Gründe dafür haben. Kein Zufall, dass Napoleon, 1815 nach St. Helena verbannt, von hier nicht mehr loskam. Nach dem Ende der grossen Schifffahrt um das Kap der Guten Hoffnung ist es still um diesen trutzigen Aussenposten der britischen Krone geworden. Auf halbem Weg zwischen Afrika und Südamerika, rund 2000 Kilometer vom nächsten Festland entfernt und nur auf dem Seeweg erreichbar, fristen die «Saints» – so nennen sich seine 5000 Einwohner – ein beschauliches Dasein weitab des Rummels dieser Welt. Wenn Zeitungen dort eintreffen, sind sie bestenfalls vier Wochen alt. Das kümmert niemanden. Ihre Ruhe möchten die Insulaner, in der Mehrzahl hellhäutige Mischlinge, um jeden Preis bewahren. Erfolgreich widersetzten sie sich bisher allen Bestrebungen zum Bau eines Flugplatzes. Wer trotz allem den beschwerlichen Weg bis nach Jamestown schafft, entweder mit dem inseleigenen Versorgungsschoner «St. Helena» von Kapstadt oder von der 1200 Kilometer entfern- P 221 ten Nachbarinsel Ascencion her, mit einem Kreuzfahrtschiff oder – wie wir – mit unserem eigenen Segelboot, darf gewiss sein, dort willkommen zu sein. Anne, die Besitzerin des Restaurants «Anne’s Place» und inoffizielle Nachrichtenzentrale, hat auch beim Karottenrüsten ständig ein Ohr am Funk und erfährt so, wenn sich vom Horizont her Kunden nähern. Wo sich die Besucher nicht die Klinke in die Hand drücken, spricht sich schon ihre bevorstehende Ankunft rasch herum. Anonym bleibt in dieser geschlossenen Gesellschaft keiner: auch der Fremde nicht. Einige Überraschungen sind ihm gewiss. Der windige Aufstieg über die 699 Stufen der Schwindel erregenden «St. Jakobs-Leiter» zum Ladder Hill ist ein harter Fitness-Test. Hat man die 274 Höhenmeter mühsam überwunden, wundert man sich, wie das die einstigen Artilleristen mit ihren Granaten schafften. Dabei ist das erst der Anfang. In St. Helena scheint alles vertikal zu sein. Aufgeregt beschwerte sich ein Tourist beim Autovermieter, an seinem Wagen funktioniere der vierte Gang nicht. Er erntete einen verständnislosen Blick. Wofür er denn einen vierten Gang brauche, fragte der Garagist. In der Tat: Auf der ganzen Insel mit ihren gewundenen, engen Bergstrassen gibt es keine hundert Meter, auf denen man mit mehr als 50 fahren könnte! Der Blick öffnet sich erst, wenn man das Dach der sechzehn Kilometer langen, muschelförmigen Insel erklommen hat und sich plötzlich in einer üppigen Vegetation befindet. Auf diesem Hochplateau, wo Ziegen und Esel weiden, ist es – bei aus allen Richtungen anstürmenden Wetterwänden – ein besonderes Kunststück, auf dem 9-Loch-Golfplatz auch nur einen Ball in die richtige Richtung schicken zu können. «Hier haben wir vier Jahreszeiten», witzelt der Kleinfarmer Graham in gestochenem Britisch und präzisiert: «Am gleichen Tag!» Eine atemraubende Kulisse mit tiefgrünen Hochebenen, bizarren Bergformationen und dem Meer auf allen Seiten. Diesen Blick hätte auch Napoleon Bonaparte geniessen können, hätte er ein einziges Mal seine von schönen Gärten 222 umschlossene malerische Villa verlassen, bevor er 1821 starb. Das für ihn eigens renovierte Longwood House, vor dem noch immer die Trikolore weht, wurde mit allen Gegenständen und vielen Dokumenten und Bildern in seinem damaligen Zustand belassen und gilt als eine der touristischen Attraktionen der Insel. Weiter unten, versteckt im dichten Busch des Sane-Tales, liegt sein Grab, in dem er ruhte, bevor seine Überreste in den Pariser Invalidendom überführt wurden. Dass es sich um andere Gebeine als die des französischen Kaisers handeln könnte, wie zurzeit in Frankreich diskutiert, bestreiten die einstigen Gastgeber vehement. Die Saints haben Napoleon mit der gleichen selbstverständlichen Liebenswürdigkeit aufgenommen und in ihrer Geschichte absorbiert wie viele gefährliche Exilanten, burische Kriegsgefangene oder Flüchtlinge aller Rassen. Trotz ihrer Isolation, vor allem aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, waren viele von ihnen schon einmal «draussen», kehrten aber meistens wieder zurück auf diese Insel, auf der alles eine Spur gemächlicher vor sich geht als anderswo. Nicht zuletzt deshalb, weil sie voll an den Schatullen Londons hängt. «Danger, men at work!» steht auf einer Tafel am Strassenrand. Besonders gefährlich sieht es nicht aus, wenn einmal ein paar Leute werkeln. Sage und schreibe 60 Prozent der arbeitstätigen Bevölkerung arbeiten für die Regierung, weshalb auch alle öffentlichen Dienste, zum Beispiel ein gut dotiertes Tourist Office, wie aus dem «Trückli» sind. Ein Blick auf die stolze Polizeitruppe der Insel könnte den Eindruck weit verbreiteter Kriminalität vermitteln. Weit gefehlt. Noch immer spricht man vom letzten Mörder hier – Robert Gunnel –, der zwei Männer erschossen hat und darauf gehängt wurde. Das war 1905. Kriminalität ist hier, wo jeder jeden kennt, praktisch inexistent. Wohin wollte einer auch fliehen! Trotzdem unterhält Jamestown ein stolzes Gefängnis. Hinter den schwedi- 223 schen Gardinen sitzen höchstens Trunkenbolde, die sich wegen einer Frau in die Haare geraten sind. Knastbrüder werden hier human gehalten. Sie werden meist von Anne vom «Anne’s Place» bekocht, dürfen ihr Essen sogar selber abholen und am Tag draussen arbeiten. Auf Gesuch hin gewährt man ihnen auch Besuche über Nacht. St. Helena hat einen herben Charme und liegt tatsächlich am Ende der Welt. Doch die Liebenswürdigkeit und Offenheit seiner Menschen wird mir in Erinnerung bleiben. Dazu bin ich mir sicher, dass – müsste ich je in den Knast – ich dafür das über hundert Jahre alte Prison in Jamestown bevorzugen würde. 224 Im Taumel des Passats Jamestown Salvador de Bahia Oktober 2002. St. Helena verabschiedet uns mit einem fantastischen Spektakel. Nordwestlich der Insel beginnt die See plötzlich zu brodeln. Rund um uns herum perlend glänzende Leiber von Delphinen. Es sind Hunderte. Sie pfeilen links, rechts, vorne, hinten herum, tanzen um die Wette, produzieren gewaltige Sprünge mit Schrauben und Pirouetten. Zutraulich und verspielt, menschenfreundlich und exhibitionistisch, scheinen sie selber die grösste Freude an dieser Show zu haben. Sie begleiten und erfreuen uns wohl eine halbe Stunde lang, bevor sie wieder ihres Weges ziehen. Die hoch am Berg klebenden Häuser, in deren Fenster sich die tief liegende Sonne spiegelt, werden immer kleiner. Die düstere Insel schrumpft im Laufe des Abends in sich zusammen und versinkt im Dunst, während uns das grosse Wasser wieder aufnimmt. 1900 nautische Meilen trennen uns von Salvador de Bahia. Der Passat hat sich auf 15 Knoten eingespielt. Wir fahren das Gross an Steuerbord und baumen die Genua an Backbord aus: 82 Quadratmeter Segelfläche. Rasch stellt sich die Bordroutine wieder ein. Während wir mit 5 bis 6 Knoten konstant dahinsegeln, versucht Urs bei stark rollendem Boot, die bei «Spar» in Jamestown gefundenen Frischback-Pizzen in den Ofen zu bringen. Zum Glück verreist das Blech diesmal nicht wie letzte Woche, als die Frucht seiner Arbeit bei einem Brecher im Ausguss landete. Er sei sehr glücklich, wieder unterwegs zu sein und in dieser Unendlichkeit dahinzugleiten, sinniert er beim Nachtessen. «Das alles stimmt mich wahnsinnig euphorisch!» Doch schon während der ersten Wache holt ihn der Hammermann ein. Die Strafe für die Exzesse der letzten Nacht. 6. 225 Manchmal verirrt sich ein fliegender Fisch auf unser Boot. Mehrere von ihnen, von fataler Neugierde getrieben, verenden kläglich, ohne von uns überhaupt wahrgenommen zu werden. Das Wetter ist schön, wenn auch zeitweise etwas bewölkt. Wir haben Glück, denn jede Nacht bleibt der zunehmende Mond länger am Nachthimmel. Die Etmale pendeln sich bei etwa 130 Meilen ein. «Ich habe mir wieder ein Strichli dazu verdient», meint Urs grinsend, als ich ihn an einem Morgen ablöse. «Ich habe in der Nacht die Segelfläche reduziert, ansonsten sind keine besonderen Vorkommnisse zu melden.» Ich bin wirklich zufrieden, wie er sich anstellt. Als mal nachts der Autopilot ausgefallen ist, brachte er das Boot wieder auf Kurs und den Autopiloten ins Lot, ohne mich zu wecken. Seit Kapstadt hat er viel gelernt und ist jetzt fähig, das Ziel selbständig zu finden. Das ist auch für ihn beruhigend, man weiss ja nie. Wenn man mit 5000 und mehr Metern Wasser unter dem Kiel dahinfährt und das Echolot plötzlich 140 Meter anzeigt, schreckt man auf. 150, 140, 125 … 147, meldet die monotone Computerstimme. Die Seekarte gibt die Erklärung dafür: Wir überfahren – ja überfahren! – einen Fünftausender. Mount Bonaparte heisst er. Sogar unter Wasser hat der kleine-grosse Korse Spuren hinterlassen! Als das Echolot plötzlich nur noch 20 Meter anzeigt, schreit Urs auf. Ein Fehlalarm. Das muss ein Fischschwarm gewesen sein. Der Schrei hat auch mich auf den Plan gerufen. Einige Zeit verfolgen wir zusammen die (Un)Tiefen unter uns. Plötzlich sind sie wieder weg. Wir sind froh, die Füsse wieder frei zu haben! Langsam nähern wir uns dem 10. Längengrad. Dort müssten wir unsere Uhren wohl wieder um eine Stunde zurückstellen. Von Bedeutung ist das für uns nicht. Bald werden wir auch den Falz in der Mitte der Karte überfahren. Das werden wir selbstverständlich feiern. Noch ist es nicht soweit. Etwas Sorgen bereiten uns zurzeit die Batterien. Mehrmals mussten wir schon den Motor laufen lassen, weil ein Teil der Anzeigen ausfiel. Dabei fahren wir jetzt wieder überwiegend mit der Windfahnensteuerung und nicht mit 226 dem Strom fressenden Autopiloten. Wieder einmal bewundern wir den unglaublich schönen Sternenhimmel. Hier – ungestört von anderen Lichtquellen und vor allem bei Leermond – kann man jeden Stern fast einzeln sehen. Heute ist das aber nur von kurzer Dauer. Von Osten her hat uns bereits wieder eine Front eingeholt. Der Wind bleibt allerdings mässig. Obwohl wir das Gross und die ganze Genua gesetzt haben, machen wir nur noch vier Knoten Fahrt. Bahnt sich eine neue Flaute an? Lange Fingernägel und ein plötzlicher Herztod «Das sind sie wieder, diese langen, langen Nächte, die nicht enden wollen! Es beginnt schon nach 18 Uhr einzunachten und wird erst wieder um 6 Uhr langsam Tag. Die Kehrseite der Tropen. Dafür ist es nachts nicht mehr so bitter kalt wie in den ersten Wochen. Vorbei die Nächte der ewig klammen Finger. Gott sei Dank!» «Immer wieder denke ich leicht schaudernd an den Mount Bonaparte zurück, den wir gestern überfahren haben. Schon eigenartig, dass man sich weit sicherer fühlt, wenn sich einige tausend Meter Wasser unter dem Kiel befinden!» «Ich tendiere immer, mich wettermässig nach vorne zu orientieren. Dabei kommt das Wetter von hinten: mit etwa der doppelten Geschwindigkeit von uns. Düstere Wolken am südöstlichen Horizont bedeuten, dass es bei uns schon in ein paar Minuten regnen kann.» «Schon der Erdumsegler Wilfried Erdmann hat es festgestellt: Auf See scheinen die Fingernägel schneller zu wachsen. Warum? Wegen der höheren Sauerstoff- Konzentration?» «In unserer ‹sakralen Stunde› – die Stunde nach dem Nachtessen – kommen wir auf die potenzielle Möglichkeit eines plötzlichen Herztodes zu sprechen. Für Männer in unserem Alter kein Un-Thema. Zwei Wochen von der südamerikanischen Küste entfernt und mit kaum einer Chance, per Notruf ein anderes Schiff zu erreichen, wäre die Situation klar: Ich müsste dir wahrscheinlich ein Seemannsbegräbnis bereiten – oder du mir, sinniere ich. Otti nickt nur still.» «Wir kämen gut voran, sagt der Skipper noch, bevor er sich aufs Ohr 227 legt. 3,5 Knoten sind es nur. Wie gehabt. Ich ertappe mich dabei, wie ich hochrechne und unsere Geschwindigkeit in Relation zur zurückzulegenden Distanz setze. Leistungsdenken? Otti hat das nicht. Nicht mehr. Was für ihn zählt, ist einzig: dass wir überhaupt vorankommen. Ich wünschte mir etwas mehr von dieser Gelassenheit, auch wenn ich sie selber zunehmend spüre. Das zeitlose Unterwegssein, das Gleiten durch Raum und Zeit, gefällt mir. Alles andere ist weit weg.» «Irgendwann erwache ich mit einem dröhnenden Kopf wie nach einer durchzechten Nacht. Otti, nicht gewohnt, dass ich ohne sein Dazutun zur Ablösung erscheine, erschreckt zu Tode und stösst einen Schrei aus. So weit sind wir schon: dass wir uns gegenseitig den Schreck einjagen!» Wir sind jetzt drei Tage unterwegs. Am Mittag lichtet sich der Himmel. Ein unglaublich blaues – tinten- oder mitternachtsblaues – Meer. Am Horizont tief liegende Passatwolken, die wie langgezogene Herden von Wollschafen aussehen, eine unendliche Kette kleiner, flockiger Kumuluswölkchen. Dann ein sensationeller Sonnenuntergang, in den wir auf unserem Westkurs förmlich hineintauchen. Oben hingepinselt flockige Wolkengebilde, die sich rabenschwarz vom türkisblauen Hintergrund abheben. Blutrot versinkt die Sonne in das von Wellen gepeitschte Meer. Dazwischen alle nur denkbaren Orangetöne. «Ein gigantisches Schlachtengemälde», bemerkt Urs. Unsere Etmals werden bescheidener. Am Mittag des dritten Tages feiern wir mit einer Flasche Weisswein unsere Passage über den Falz in der Mitte unserer Karte, mit Brasilien links und dem südlichen Afrika rechts. Der Schwarze Kontinent liegt definitiv hinter uns. Darum läuft bei unserer Bordunterhaltung jetzt auch das Samba-Programm an. Die Wassertemperatur hat 21 Grad erreicht, was mich dazu bewegt, die erste Meerwasser-Dusche zu nehmen. Am Abend gibt es Ravioli. Früchte und Gemüse fehlen uns, weil in Jamestown kaum etwas auf dem Markt war. Kurz vor Sonnenuntergang gefriert alles: der Wind, die Wellen, das Boot. So, als hielte alles den Atem an für das bevorstehende Schauspiel: 228 den grandiosesten, monumentalsten Sonnenuntergang unserer Fahrt. Wieder diese hingepinselten Schäfchen, einzeln und in Herden. Dahinter gewaltige Vorhänge dunkler Wolken. Eine Farbsymphonie von Türkisblau über Hellgelb, Orange und Blutrot bis zu Rabenschwarz. Wieder ein Schlachtengemälde! Und es wird wärmer. Viel wärmer. Endlich! Ab dem vierten Tag spazieren wir nur noch dahin. Unsere Schweizer Flagge hängt traurig an der Stange. Was uns noch vorwärts trägt, ist die Strömung. Unser Leben an Bord hat spürbar Mit Brasilien hinter dem Horizont werden unsere Träume feucht an Dramatik verloren, dafür ist es gemütlich geworden. Am Anfang, als es immer kalt war und ständig Action herrschte, hatte Urs meist einen Bärenhunger. Das inzwischen gemächlicher gewordene Leben mit viel weniger Bewegung wirkt sich direkt auf seinen Hunger aus. Das thematisieren wir in einem Gespräch. Unsere Rhythmen sind wegen des Schichtbetriebes unterschiedlich. Weil ich am Morgen früh im Einsatz stehe, habe ich am 229 Mittag natürlich einen gesunden Kohldampf, im Gegensatz zum Spätaufsteher Urs. Wir beschliessen, das Mittagessen – für ihn sozusagen das Frühstück – etwas vorzuverlegen und individueller zu gestalten. Wichtig bleibt für uns beide das gepflegte Nachtessen vor dem Sonnenuntergang. Für Urs wäre ein späteres Nachtessen ideal, doch leider geht die Sonne früh unter. Schichtprobleme! Die Wolken verschwinden. Wir sonnen uns und wärmen den Pelz, während wir gemächlich unsere Bahn ziehen. Herrlich! Wir sind beide grosse Leser und bewältigen auf unserer Fahrt eine enorme Menge an Lektüre. Urs liest abwechslungsweise Wilfried Erdmann, Paolo de Coelho, Time Magazines und mitgebrachte Weltwochen, die sich publizistisch für den Irak-Krieg aufrüsten. Er geniesst den gewaltigen Luxus der Zeit «kontemplativ», wie er das ausdrückt. Der sei für ihn einmalig und darum so kostbar. So weit weg von den Wirklichkeiten der Welt, von Machtgetöse, Kriegsrasseln und den lächerlichen Schweizer Problemen. Wieder einmal lege ich die Angel-Leine mit einem Plastik-Oktopus am Haken aus. Urs ist gerade am Kochen – es gibt Bratkartoffeln, Koteletts mit Champignon- und Paprikasauce –, habe ich wieder einen Thunfisch an der Strippe: diesmal einen kleineren blauen. Für das morgige Menu ist also gesorgt. Die Stimmung in unserer «sakralen Stunde» ist wieder einmal phänomenal. Tintenblaues, gekräuseltes Meer im Gegenlicht und dramatische Wolkentürme. Die Sonne verabschiedet sich genau vor uns. In solchen Momenten, in denen Zeit und Raum verschmelzen, packt uns meist die Andacht. In der Nacht des fünften Tages ist schon im Halbschlaf zu spüren, dass sich etwas verändert. Nein, es bockt nicht richtig, aber unsere Fahrt hat sich wieder beschleunigt und – wie es Urs ausdrückt – Leidenschaft bekommen. Der Wind nimmt bis zu einer Stärke von 18 Knoten zu. Nicht schlecht. Mit der ruhigen, hellen, glänzenden, glitzernden nächtlichen Pracht und dem intensiven Zwiegespräch mit den Sternen ist es entschieden vorüber. Begleitet von düsterem Gewölk, hat unsere Fahrt wieder Temperament gewonnen. 230 Die Passatwinde entstehen am Äquator, wo die Luft durch die Wärme ansteigt. Diese warmen Winde werden nördlich und südlich davongetragen, kühlen sich ab, sinken und drehen sich wieder in Richtung Äquator. Unsere Tradewinds, wie sie auf Englisch genannt werden, kommen wegen der Erddrehung aus Südost und blasen in nordwestlicher Richtung: also genau dorthin, wo wir wollen. Wir profitieren jetzt optimal vom Passat und erleben Segeln pur bei hellblauem Himmel und konstantem Wind aus Südost. Kitschiger geht’s nimmer! «Der junge Mond bietet am früheren Abend eine Schau der absoluten Sonderklasse, ein Bild, eines der vielen Bilder, das wir nur im Kopf mit an Land nehmen können. Der Mond versank wie ein blutiger Mandarinenschnitz im Meer. Sekundenlang sah das aus, wie wenn ein brennendes Papierschiffchen, wie wir es als Buben gefaltet hatten, versinken würde. Absolut fantastisch!» «Fantastisch auch die Wolkengebilde. Heute entspringen sie einer Märchenwelt. Zuerst waren da die zahllosen hingemalten Lämmer. Und jetzt? Riesige Kabisse, Blumenkohle und Broccoli: über das ganze Firmament aufgeblasenes Gemüse. Ein Miró!» «Ein Abend, so wunderbar, wie man ihn kaum träumen kann. Ich bin euphorisch, tanze mit den Sternen, umarme die Unendlichkeit. Die Harmonie ist total. lch bin glücklich!» «Gleissende Sterne, Millionen von ihnen. Für einen ist das Ende gekommen. Mit einem glühenden Schweif verabschiedet er sich aus dem Dasein.» «Vor dem Einschlafen weiss ich, dass uns jeder kleine Windstoss, selbst jeder Hauch eines Lüftchens unserem Ziel ein paar Zentimeter näher bringt. Auf der Karte sind das noch viele Zentimeter, in Wirklichkeit 1428 nautische Meilen oder rund 2600 Kilometer.» Wir sind im letzten Drittel unseres Langstrecken-Törns angelangt. Was mich ärgert, sind die Probleme mit dem automatischen 231 Piloten. Schon dreimal stieg er abrupt aus. Zweimal bemerkten wir das sofort und konnten eine Pirouette vermeiden. Wichtig wäre, und das fehlt bei diesem Gerät – übrigens hergestellt vom ehemaligen Swissair-Piloten Otto Hollborn – eine akkustische Warnung. Auf einen Autopiloten sollte man sich hundertprozentig verlassen können. Wir hätten die Möglichkeit, wieder auf die Windfahnensteuerung umzustellen. Dazu zeigen auch die thailändischen Batterien Schwächen. Schlafzottlig wie immer um zwei Uhr früh torkelt Urs am sechsten Tag aus der Koje, hangelt sich wacklig durch die Kabine, wirft im Vorbeigehen einen verschleierten Blick auf die Instrumente in der Navigations-Ecke und stolpert über die schwankenden Stufen des Niederganges in die rabenschwarze Nacht hinaus. Wie üblich behandle ich ihn in dieser grauen Stunde der Übergabe wie ein rohes Ei und reiche ihm schweigend den dampfenden Kaffee, den er, wie er sagt, mehr als alles andere brauche. Dieses Einfühlungsvermögen von einem, der üblicherweise sehr rasch wach ist, weiss er ausserordentlich zu schätzen. Heute muss er auch noch einen Traum von sich schütteln. Wir hatten, so träumte er, eine eigenartige Insel gefunden, die nirgends eingezeichnet war und bei uns alles durcheinander brachte. Etwas verwirrt, braucht Urs Zeit, um festzustellen, dass all das nur ein Traum war! Heute Samstag machen wir uns schön, auch wenn wir uns die Disco nur denken können. So gönnen wir uns auch mal eine Borddusche. Wasser haben wir genug, weil wir damit sehr sparsam umgehen. Wir brauchen Wasser für die übliche Katzenwäsche, zum Zähneputzen, zum Trinken vor allem in Kaffee- oder Teeform und natürlich zum Kochen, zumindest teilweise. Für Teigwaren oder Reis benützen wir Meerwasser, wie auch meist für das Abwaschen. Für die Toilette haben wir eine Seewasser-Pumpe. Neben unseren Tanks verfügen wir noch über Wasser in Kanistern, produziert vom Wassermacher. Das ist ein Nebenprodukt, wenn immer wir den Motor laufen lassen müssen. Synergien nützen! Am Mittag zaubere ich eine Tomatencrèmesuppe und Fisch auf 232 asiatische Art auf den Tisch; zum Dessert gibt es einen staubtrockenen Kuchen aus St. Helena, etwas munter gemacht durch einen Schuss Rum. Am Abend ist Urs dran. Er bereitet Spaghetti al olio mit Oliven und Speckwürfeli zu, dazu Sweetcorn-Salat. In Sachen Abwechslung sind wir wirklich Spitze! Während dieser prächtigen Tage auf dem Südatlantik beginnen wir mit unseren Vorbereitungen für Brasilien. Dazu gehört das Büffeln von portugiesischen Vokabeln. Am 13. Oktober, eine Woche nach unserer Abfahrt von St. Helena, überqueren wir – mit Kurs 290 Grad – um 15:03 Uhr einen magischen Punkt unserer Reise. Wir befinden uns auf Position S 14°30.250’/W 20°54.414’. Bis Salvador sind es noch lediglich 1000 nautische Meilen oder 1852 Kilometer. Von jetzt an zählen wir also nur noch dreistellig! Urs ist schon eine halbe Stunde vor der zweiten Ablösung erwacht. Höchst ungewöhnlich. Erwacht sei er wegen der absoluten Stille, bemerkt er. «Diese hat mich so erschreckt, dass es mich fast panisch aus der Koje trieb!» Ja, wir haben ihn wieder, diesen Zustand friedlichen Dahindümpelns wie auf dem Bodensee. Den ganzen Tag siechen wir einfach dahin. Monotonie stellt sich ein. Auch ein wenig Ungeduld. So langsam kann es doch nicht weitergehen! Irgendwann wollen wir in Brasilien ankommen! So wird das ewig dauern! Wir sehnen uns einen Luftzug herbei. Unsere Kreuzfahrtatmossphäre hat einen Vorteil. Wir können uns gastronomischen Freuden widmen. Wir hatten Zwiebeln und Knoblauch für ein Bataillon gebunkert und reichlich Gebrauch davon gemacht, doch ab heute, so lautet meine Order als Kommandant, ist der «Böllen» rationiert. Unsere Zwiebelküche muss in den Spargang und kürzer treten! Wieder ein Tag ist vorüber. Routine, nichts als Routine. Während ich am Vormittag noch döse und die Zeit einfach dahinplätschert, wischt sich Urs im Cockpit, als er sich kurz von seinem Buch abwendet, ungläubig die Augen. Er sieht einen grossen Frachter, der aus einer Distanz von schätzungsweise zwei Meilen von achtern auf Steuerbord in steilem Winkel genau auf uns zuhält. 233 Wir befinden uns auf exakt westlichem Kurs, der Frachter kommt aus Nordosten und steuert in Richtung Südwesten. Noch ist er hinter uns, aber viel schneller. Kurz: Wir befinden uns auf Kollisionskurs! Von Urs alarmiert – «Ein Riesending nähert sich erschreckend schnell von achtern!» –, wiesle ich in Sekunden an Deck. Seine Nerven liegen blank. Wir haben sechs Knoten Fahrt, der Frachter, er ist leer, darauf deutet seine Wasserlinie, muss mindestens viermal schneller sein! Ich rufe den Frachter über VHF Kanal 16. Nach dem zweiten Versuch kommt die Antwort: «Ich werde vor eurem Bug passieren. Have a good passage to Salvador!» Beruhigend. Das Schiff ist unterwegs nach San Francisco im Süden Brasiliens. Von einer Kursänderung ist aber vorerst nichts zu spüren. Wir könnten im Notfall die Genua einrollen und mit Hilfe des Motors 90° nach Backbord abdrehen. Der riesige Frachter kommt näher und näher. Sein Tempo ist beängstigend. «Der wird abdrehen», meine ich cool. Wirklich? Wir können bereits klar die Aufschrift sehen: «IVS Kingfisher» mit Immatrikulation Panama. Da. Endlich dreht der Riese leicht und kreuzt, in einer Distanz von etwa fünfzig Metern (!) vorne an uns vorbei. Zwei Seeleute winken uns lässig zu, dann ist der Riese bereits weg und wieder auf seinem normalen Kurs. Das war knapp und sorgte kurz für einen Adrenalin«Was wollen die so nahe?» schub! Zum Glück war es Tag. In der Nacht hätten wir eventuell keine Antwort auf den Funkaufruf bekommen. Vielleicht hätte uns die Crew gar nicht gesehen. Wir hatten Glück. Und was sicher ist: Der Steuermann machte ein Spielchen mit uns. Wollte er uns von nahe anschauen, vielleicht in der Hoffnung, ein paar barbusige Damen auf unserem 234 Boot zu sehen? Wollte er uns schrecken? Oder unterschätzte er schlicht unser Tempo? Verrückt. Wochenlang fuhren wir nun dahin, abseits der grossen Schifffahrtsstrassen, und sahen nichts. Die mathematische Wahrscheinlichkeit, mit einem anderen Schiff zu kollidieren schien gering. Und dann war plötzlich dieser Koloss da und hätte uns – ohne Kurskorrektur – mit Sicherheit gerammt! So was geht an die Nieren, bringt einen aber auch zum Philosophieren über Vorsehung und Schicksal. Wir machen jetzt wieder konstant 5 bis 6 Knoten Fahrt und werden dazu noch mit einem Bonus von einem halben Knoten wegen der Strömung begünstigt. Das tut gut. Heute stossen wir auf den Halbweg-Sprung zwischen St. Helena und Salvador an. Schon Sorgte bei uns für Adrenalinschübe: die «IVS Kingfisher» aus Panama bald machen wir auch den Dreiviertel-Sprung zwischen Kapstadt und unserem Ziel. Kurz: Wir kommen nicht aus dem Feiern heraus. Der Weisswein ist schon kalt gestellt! Vor allem unsere Frischvorräte gehen langsam zur Neige. Auch das Gemüse. Wir haben nur noch einen Kohl. Verhungern müssen wir trotzdem nicht. Noch lange nicht. Auch das Meer ist noch voll von Fischen. Unglaublich, wundert sich Urs immer wieder, dass es der «Essex»- 235 Crew, den Walfängern aus Nantucket, die nach dem Untergang ihres Schiffes monatelang im Pazifik herumirrten und langsam verhungerten, nicht gelang, einen einzigen Fisch zu fangen. In der Schlussphase brachen sie mit dem letzten Tabu und begannen, auch Hand an das Fleisch ihrer Kollegen zu legen. Das müssen wir zum Glück nicht! Im Taumel auf der Erdkrümmung «Wenn man – weitab vom nächsten Kontinent – in der Unendlichkeit dahingleitet und keine Spur menschlicher Existenz mehr wahrnimmt, auch nichts im Wasser, das auf Verschmutzung hinweisen könnte, ist kaum zu glauben, dass die Erde überbevölkert ist. Aus diesem Blickwinkel scheint die Menschheit auf einen kleinen Teil der Erde zusammengepfercht (und das ist sie ja auch wirklich). Zumindest der Südatlantik scheint noch nicht verschmutzt. Im Gegenteil: Täglich freue ich mich ob der unwahrscheinlichen Reinheit und tiefen Bläue des Ozeans. Diese Erde, deren Krümmung wir am Horizont sehen, ist gross und klein zugleich. Eine Seefahrerperspektive …» «Wie werde ich diese Weiten, diese Ruhe, diesen Himmel, diese Unendlichkeit vermissen! Diese Fahrt so weit weg von der Wirklichkeit der Welt. Doch vielleicht ist gerade das die Wirklichkeit.» «Der zweitletzte Tag beginnt nicht friedlich! Kaum wurde ich von Otti um 02:00 Uhr aus dem Tiefschlaf gerissen und habe meine Füsse auf dem Boden, wirft mich ein Brecher an die Wand. Unser Boot befindet sich wieder einmal in einem wilden Rodeoritt.“ Wir sind bereits wieder anderthalb Wochen unterwegs. Sonne, konstanter Passat, prächtige Wellen, die uns – genau von achtern kommend – mit ihrem Surf vorantragen. Perlendes Wasser. Sprühende Gischt. Wir reiten lustig von Wellenkamm zu Wellenkamm. Seit Tagen haben wir an unseren Segeln nichts mehr verändert. Es bleibt bei Korrekturen an der Windfahnensteuerung. Seit Jamestown habe ich schon drei Bücher verschlungen. Eine gewisse Lethargie bemächtigt sich unser. Langweile? Kaum, aber 236 das ewige Geschaukel platt vor dem Wind, kann schon auf die Nerven gehen. Wir müssten eine positive Einstellung zum Seegang und zum Schlingern unseres Bootes entwickeln, trichtere ich Urs ein. Das macht es wirklich leichter, und man schläft auch besser. Urs geniesst mit zunehmender Wärme die Sonnenbäder. Wir freuen uns auf die Ankunft in Brasilien, diskutieren zusammen auch portugiesische Grammatik und üben Redewendungen. Weil ich ja noch längere Zeit in Brasilien bleiben werde, möchte ich in Salvador auch Stunden nehmen, am liebsten natürlich Einzelstunden bei einer hübschen Lehrerin! An einem Abend überrasche ich meinen First Mate mit einem Raclette. Er findet das, mitten auf dem Südatlantik, «absolut phänomenal». Die Nacht des 17. Oktober ist so gleissend hell, dass es einen fast blendet. Erstmals haben wir einen völlig klaren Himmel, erhellt von einem hochstehenden Mond. Unsere rasante Fahrt der letzten 50 Stunden ist erlahmt. Damit zerschlägt sich auch die Hoffnung auf einen raschen Run ins Ziel. Erst am folgenden Abend frischt der Wind wieder etwas auf und schiebt uns flott voran. Nach aktuellen Hochrechnungen benötigen wir noch etwa 80 Stunden bis zur Küste vor Salvador. Wir möchten diese am Montagmorgen erreichen, um dann den letzten Teil bei Tag machen zu können. Im Moment sieht alles ideal aus. Nach einem weiteren Tag auf dem Weg zur Küste haben wir seit langem wieder einmal Besuch: ein kleines Vögelchen. Es ist der erste Vorbote des neuen Kontinentes. Am Abend belebt sich die See wieder spürbar. Wir hätten unsere Uhren bereits drei Stunden zurückstellen müssen, haben es aber noch nicht getan. Welche Rolle spielt das überhaupt? Doch so werden unsere Tage immer länger und für Urs die erste Nachtwache zu seinem Entzücken kürzer. Genau ein Monat ist es her, seit wir in Kapstadt in See gestochen sind. Davon verbrachten wir 28 Tage auf See. Wir haben fünf Zeitzonen durchfahren, sind von den kalten Gewässern des Kaps in tropischen Gefilden angelangt, haben über 6000 Kilometer zurückgelegt und ich weiss-nicht-wieviele 237 Flaschen Brandy gehöhlt. Locker und in unvermindertem Tempo tänzeln wir in einer weiteren lichtschwangeren Nacht Salvador entgegen. Es ist, als würde die Hasta Mañana von dieser mystischen Stadt magnetisch angezogen. Es gibt für uns nichts zu tun, als sie machen zu lassen, sie mit lockeren Zügeln ihrem Ziel entgegen rennen zu lassen. Noch 242 Meilen trennen uns von der Küste. Ein Katzensprung angesichts der gewaltigen Strecke hinter uns. Hielte unser Tempo unvermindert an, hätten wir ein Problem: Statt am frühen Montagmorgen würden wir bereits am Sonntagabend am Ziel eintreffen. Nicht ideal, weil wir bei Tag ankommen wollen. Zudem wäre der Sonntag nicht günstig wegen der Behörden. Mal sehen. Vielleicht hält der Wind einmal inne, sonst müssten wir «bremsen»! Am Samstag zeichnet sich klar ab, dass wir für eine Ankunft am Montag viel zu schnell sind, es aber am Sonntag nicht früh genug schaffen können. Ich reduziere die Genua, doch zeigt das praktisch keine Wirkung. Auch am zweitletzten Tag unserer Reise türmen sich die Wellen. Urs hat viele Filme durchgelassen beim Versuch, einen Eindruck dieser Wellentürme festzuhalten. Wohl erfolglos. Er wird diese Bilder, wie so viele andere, im Kopf mit an Land nehmen müssen. Nach einer weiteren silbrig gleissenden Nacht erwartet uns ein weiterer Traumtag. Durchwühlte See mit weissen Krönchen. Auf der Beaufort-Skala ist das überhaupt nichts, doch es knallt und kracht und rauscht und scheppert wie in unseren bewegtesten Tagen nach Kapstadt. Wir haben nur ein Problem: Wir sind nach wie vor viel zu schnell. Die Strömung und hohe Dünung halten an, Salvador zieht uns wie mit Geisterhand an. Ich muss wieder über die Bücher. Ich reduziere die Genua auf «Handtuchgrösse» und reffe auch das Grosssegel. Endlich wird das spürbar. Unser Log zeigt 4 Knoten an. Das sollte aufgehen. Wir rechnen, so um sechs Uhr morgens in der Bucht von Salvador anzukommen. Unglaublich, dass wir mit so wenig Segel so schnell sind. Während wir am Sonntagabend eine letzte «sakrale Stunde» auf See feiern, passiert 238 uns ein Riesenfrachter auf der Backbordseite, diesmal in gebührender Distanz. Wir leben noch immer nach Greenwich Time und wollen die Uhren erst nach unserer Ankunft umstellen. Deshalb ist die bevorstehende Nacht drei Stunden «länger». Die Sonne verabschiedet sich blutrot am Horizont, während im Osten gleichzeitig der Vollmond aufsteigt. Zwei Scheiben auf einmal am Himmel! Ein sensationeller Abend, der eines Finals würdig ist. Unsere letzte Nacht im Schichtbetrieb. Die brasilianische Flagge ist gehisst, und wir freuen uns unheimlich auf die Ankunft. Am Montagmorgen um 02:00 Uhr, am 21. Oktober, am 15. Tag nach dem Start in St. Helena, taucht vor uns ein blitzendes Leuchtfeuer auf. Dahinter hebt sich vom mondbeleuchteten Himmel eine rote Glocke ab: der Schein von Salvador de Bahia: Südamerika! «Wahnsinn!» jubelt Urs. Nein, es ist keine Fata Morgana. Im Radio bekommen wir einen Lokalsender mit Nachtmusik. Der Sprecher spricht – Gott, wie unglaublich melodisch das klingt! – brasilianisch. Eine Stunde später gibt die Erdkrümmung die ersten Lichter der Küste frei: wackelnd und immer wieder von den Wellen verschlungen. Um 05:00 Uhr geht seine letzte Wache zu Ende. Er muss sich zwingen, sich noch etwas hinzulegen, doch schlafen kann er nicht. Zu aufregend ist es, hier – und das mit aufreizender Langsamkeit! – anzukommen. Wir passieren ein paar Fischer, doch sonst sind wir die Einzigen unterwegs. Aus der Morgenröte steigt die Sonne blutrot aus dem Wasser und wirft ihr bleiches Licht auf die Skyline der Stadt, die von weitem wie ein Mini-Manhattan wirkt. Zeitgleich geht im Westen der Vollmond unter. Eine absolut einmalige Stimmung, die sich in die Erinnerung einbrennt. In der Einfahrt zum riesigen Hafenbecken bergen wir die Segel und starten den Motor. Der Moment ist beglückend. Urs steuert unser Boot von Hand zur «Bahia Marina», wo ich das heikle Einfahrtsmanöver übernehme. Wir bekommen einen guten Platz, den ich auch über den Winter behalten kann. Der Marinheiro Edi hilft uns beim Belegen am Steg. Wir klemmen uns zwischen zwei grosse Motorboote, die hier in der Mehrzahl sind. 239 Wir schütteln uns beglückt die Hände und lassen einen Spumante knallen. Auf der «Hasta Mañana» verlaufen die Karrieren schnell. Urs bekommt seinen zweiten Streifen und ist ab sofort First Officer an Bord. Auch darauf stossen wir an. Entspannen können wir uns allerdings noch nicht ganz, denn vorerst sind noch die Formalitäten zu erledigen, zuerst in der Marina, dann bei der Immigration und beim Zoll. Salvador de Bahia: das langersehnte Ziel ist erreicht Dass wir in Südamerika sind, spüren wir rasch. Das umständliche Einklarieren zieht sich über drei Tage dahin. Wir irren – von den einen Ämtern zu den anderen verwiesen und von Pontius zu Pilatus eilend – den weitläufigen Hafendocks entlang, bis wir endlich den Health-Beamten finden. Das nötige Papier beweist, dass wir seuchenfrei eingereist sind. Bei der Federal Police bekommen wir ein dreimonatiges Visum für Brasilien in den Pass geknallt. Damit ist Urs freigestellt. Nach der Frische des Meeres herrscht hier eine Affenhitze, so um die 35 Grad. Vor dem «Mercado Modelo» schlürfen wir in der Mittagspause eine kühle erste Cerveja, eifersüchtig umsorgt von Miranda, einer rundlichen 240 und fast zahnlosen Frohnatur unbestimmten Alters, die uns sofort unter ihre Fittiche nimmt und für unser Wohl sorgt. Laut dröhnen ein paar Trommeln hinter einer kleinen Bühne, auf der junge Männer eine Capoeira aufführen, eine besonders in Salvador heimische Symbiose von Tanz und Kampfsport, bei der Schnelligkeit und akrobatische Künste zählen. Wirbelnd stürzen sich die jungen Recken in immer neue Figuren und gleiten haarscharf aneinander vorbei. Die Capoeira hat, wie so vieles hier, afrikanische Wurzeln. Sie wurde von den einstigen Sklaven entwickelt, die ihren Körper zur Waffe machten. Wir sind mitten hineingeworfen ins quirlige Strassenleben mit seinen Gegensätzen von Glanz und Elend. Brasilien! Um zwei Uhr Miranda umsorgt uns muss ich beim Zoll sein, aber da tut sich nichts. Zu viele Agenten sind mit dicken Bündeln Frachtdokumenten bewaffnet daran, sich um den einzigen Beamten zu balgen. Erst um halb vier bin ich dran. Was ich brauche, ist nur noch eine einzige Unterschrift, doch der inzwischen abgeschlaffte Staatsdiener weist mich an, am nächsten Tag wieder zu kommen, um meine Papiere abzuholen. Das braucht Nerven wie Drahtseile. Am folgenden Morgen bin ich wieder rechtzeitig vor Ort, doch der Zollbeamte namens Jair kann – ich werde fast verrückt – meine Unterlagen nicht mehr finden! Er ist nett, verwirft theatralisch seine Hände und blickt zum Himmel. Damit will er wohl andeuten, dass sich der Allmächtige meiner Papiere angenommen habe. Es geht allerdings irdisch weiter, denn – ob mir das passt oder nicht – muss ich das ganze Prozedere nochmals von vorne beginnen, bis ich endlich beim Hafenkommandanten die Bewilligung erhalte, mein Boot für drei Monate temporär einzuführen. 241 Diese kann um maximal weitere drei Monate verlängert werden, dann muss ich leider Brasilien endgültig verlassen haben. Ziemlich geschafft, bin ich nun bereit für die lustigeren Seiten des Lebens in Brasilien. Mal schauen, was uns Salvador de Bahia sonst noch zu bieten hat. Auf jeden Fall hier bleiben möchte ich bis nach dem Karneval im nächsten Februar, der zu den berühmtesten der Welt gehört. Einen Vorgeschmack darauf erhalten wir schon an unserem ersten Abend im Altstadtviertel Pelourinho. Schon von weitem dringt uns das Trommelgehämmer in die Ohren. Der Musik – nicht immer schön, dafür in furioser Phonstärke – ist nirgends zu entgehen. Wo immer ein Lautsprecher dröhnt, und das scheint hier ständig der Fall zu sein, beginnen die Menschen leidenschaftlich zu tanzen. Hier zeigt sich ihre überschäumende Lebensfreude. Ein solches Fest geht jeden Dienstag über die Bühne! Die afrikanische Kultur, die Salvador – die «schwärzeste» Stadt Brasiliens – besonders prägte, ist überall spürbar. Schöne Frauen, Mulattinnen jeder Schattierung, strahlen uns an. Wir sind offenbar willkommen. Wunderbar. Das einst verruchte Pelourinho-Quartier, mit Unesco- und Regierungsgeldern renoviert, ist zum Juwel der Monster-Stadt mit ihren schrillen Kontrasten zwischen brutalem Verfall und Modernität geworden. Nur eines nervt uns, dass wir als Ausländer überall Freiwild sind – sehen wir denn wirklich wie Banken aus! – und höllisch aufpassen müssen, um nicht ausgenommen zu werden. Wir feiern Urs’ Beförderung mit einem «First Officer’s Dinner», saugen die ersten Eindrücke ein und sind – etwas caipirinhaselig – schliesslich froh, wieder im Schutze unseres Hafens zu sein. Ein letztes Bier, dann sind wir bei den Engeln. In unserer Marina reihen sich Luxusboote in Massen. Pompöse Millionen-Motoryachten mit ihren Mannschaften. Wem gehören diese Kähne? Womit wurden sie bezahlt? Brutaler Reichtum, der so im Gegensatz zur sonst gross ins Auge springenden Armut in dieser Stadt steht. Unsere Hasta Mañana scheint hier eine Exotin zu sein. Die Marina ist hervorragend geschützt, dazu hat sie auch eine gute Infrastruktur, zum Beispiel private WC- und 242 Duschräume. Nach ein paar Tagen sind wir nicht mehr die einzigen Schweizer. In einiger Entfernung von uns liegt ein grosses, schwarzes Segelboot, das den Namen «Musikaa Basilensis» trägt. Darauf ein dürres, greises Paar, das sehr wortkarg ist und sich verschlossen bis abweisend gibt. Wie die wohl das extrovertierte Brasilien ertragen! Mehr Aufmerksamkeit erregt am Kopf unseres Steges eine grosse, elegante Ketsch mit dem Namen «Colombaio» am Heck, eine Schweizer Yacht. Ein jüngerer Segler, der gerade den Rumpf reinigt, erkennt Urs schon von weitem: «Du kommst doch aus Schaffhausen!» Tatsächlich, es ist Markus Theiler, gegen den er einmal in einem Tennisturnier in Buchthalen gespielt hat – wie klein die Welt doch ist! Der Schaffhauser hat als «Hand-gegenKoje» auf dieser Jongert 25 angeheuert. Heinz, der Eigner, lädt uns spontan zu einem Bier an Bord ein. Er ist auch bereit, uns sein über 28 Meter langes und 120 Tonnen schweres Schmuckstück zu zeigen. Erlesene Hölzer und modernste Ausrüstung prägen den Innenausbau. Eine bezahlte vierköpfige Crew mit Kapitän und einer französischen Köchin betreibt das Schiff. Die Schweizer legen hier einen kurzen Stopp auf dem Weg nach Rio de Die Schweizer Yacht «Colombaio» Janeiro ein. Später wollen sie ums Kap Hoorn in die Südsee segeln. Als Urs auf der Suche nach den besten Bildern in der Altstadt herumpirscht, lernt er Cristiane kennen, eine bildhübsche und elegante junge Brasilianerin, deren Vater Staatsanwalt ist und die während mehreren Jahren in München lebte. Sie spricht hervorragend deutsch, besitzt den Laden «Shopping do Pelô» und ein Reisebüro an bester Lage und lacht mit ihren blendenden Zähnen 243 das unvergleichlich ansteckende brasilianische Lachen. Mit ihr flirtend, findet er auch heraus, dass sie einen Brasilianisch-Lehrgang für Deutschsprachige entwickelt hat und Einzelstunden gibt. Das sei die Lehrerin für mich, beschliesst er auf der Stelle und schleppt mich – stolz auf seinen Fang – am Abend an, um mir meine zukünftige «professora» vorzustellen. Etwas skeptisch bin ich vorerst schon, als sie mir eröffnet, meine Schulstunden fänden zwischen 08:00 und 09:30 Uhr am Morgen statt, doch ihrem Lachen kann auch ich nicht widerstehen. Von nun an verbringe ich jeden Montagund Mittwochmorgen mit Cristiane. Sie hat mich – als nicht gerade alltäglichen Meine Portugiesisch-LehSchüler – rasch im Griff, weshalb ich auch rerin Cristiane. gute Fortschritte mache. Am Samstagmorgen ist einiges los in der Marina. Die Luxusboote mit ihren Crews laufen nach endlosem Gepützel und viel Vorgeplänkel mit ihren Eignern und vielen hübschen Girls aus dem Hafen. Die Potenz-Show hat begonnen. Dazu gehören riesige Speedboote, die wie überdimensionierte Zigarren aussehen. Viele der Boote kommen schon bald wieder zurück. Wie wir erfahren, benützen sie diese Kähne nur, um damit zu ihren Weekend-Häusern auf den Inseln zu fahren. Nein, sympathisch sind uns diese Angeber nicht! Wir verbringen einen Nachmittag im etwas ruhigeren Vorort Barra. «Pass gut auf mein Zeug auf!» ermahnt mich Urs am Strand, bevor er sich ins Wasser stürzt. Von weitem beobachtet er den jungen Mann, der sich bei mir niederlässt und mich in ein intensives Gespräch verwickelt. Bei Urs gehen die Alarmglocken los. Nicht von ungefähr. Als er aus dem Wasser zurückkommt, ist sein geliebtes Feuerzeug-Etui weg, das ihn dreissig Jahre lang treu über alle Kontinente begleitet hat! Sein Ärger über meine Unachtsamkeit ist berechtigt. Ja wirklich, 244 ausgelernt hat man nie! Am Abend bebt die Stadt im Wahlfieber. Die Präsidentschaftswahlen erklimmen den Höhepunkt. Sambazüge, Musik überall. Luiz Inacio Lula da Silva ist das Thema. Er ist der sozialistische Kandidat, der Mann der Strasse. Der 27. Oktober wird in Brasilien zu einem denkwürdigen Tag. Das wissen wir am Morgen allerdings noch nicht. Wir fahren an diesem Sonntag mit einem öffentlichen Bus an der nördlichen Küste hoch, passieren bekannte Badeorte wie Ondina, Rio de Vermelho, Amaralina, Pituba, Costa Azul, Praia de Boca do Rio, Pituaçu, Jaguaribe, Praia de Piata und kommen schliesslich zum Strand von Itapuã: ein paar Stunden Fahrt für umgerechnet 60 Rappen. Es ist Sonntag, und Millionen sind auf dem Weg an die endlosen breiten Strände. Die Luft hat 30 und das Wasser 26 Grad, nicht eingerechnet der Temperaturanstieg durch die zahllosen Samba tanzenden Beach Girls. Musik auch Jeunesse dorée hier an allen Ecken. Brasilianische Wochenendstimmung eben. Kurz bevor wir den Heimweg antreten wollen, knallt es auf der Strasse. Ein grosser Bus brennt in einer gewaltigen Feuersäule völlig aus und ist nachher nur noch ein schwarzes Skelett. Die Rückfahrt nach Salvador ist nicht ganz einfach. Millionen von Badefreudigen wollen zur gleichen Zeit dasselbe tun, doch wir schaffen es schliesslich und kommen gerade rechtzeitig zu einem grossen Spektakel an. Am Abend gehen die Präsidentschaftswahlen zu Ende. Lula, welcher der Armut im Lande Abhilfe zu schaffen verspricht, hat die Nase vorn. «Agora é Lula!» lautet der Wahlschlager, den natürlich auch die Musiker auf der Strasse gerne aufnehmen. «Lula-la» tönt ja auch so gut! In Barra werden wir von einer gewaltigen Veranstaltung aufgesogen. Wie überall, drückt sich hier Freude in 245 einer Schlacht der Phone aus. Zwei Sattelschlepper fahren beim Leuchtturm auf, deren Anhänger mit einer Musikanlage mit eigener Stromversorgung und gigantischen Lautsprechern bestückt sind. Wenn die aufdrehen, sich gegenseitig zu übertönen suchen und man sich gerade in ihrer Nähe befindet, bläst es einem fast den Kopf weg! Auf einer Bühne bearbeitet eine Samba-Batterie ihre Trommeln, während Tänzerinnen in farbigen Kostümen herumwirbeln. Rot ist die Farbe des Tages. Wir werden oft angesprochen. Viele freuen sich, dass wir als Ausländer Anteil nehmen. Ich erhalte sogar ein Bier offeriert. Um 01:00 Uhr kommt endlich Wovon wir geträumt haben: Sonntagsvergnügen am Strand das Schlussresultat durch: Der kämpferische Gewerkschafter aus einfachen Verhältnissen hat es geschafft! Ein Feuerwerk steigt, alle fallen sich in die Arme, vergiessen Freudentränen, gratulieren sich gegenseitig. Auch wir werden umarmt. «Morgen wird Brasilien ein neues Land sein!» schreit uns Mauricio, ein lokaler Politiker, in die Ohren. Wir möchten es gerne hoffen. Wie wird der neue Präsident wohl mit diesem immensen Erwartungsdruck fertig? Wird es ihm gelingen, die Hoffnungen aller Hungernden und Darbenden in 246 Mein Logbuch: Meilenbestätigung für Urs 247 diesem Lande zu erfüllen? Kann er die düsteren Wolken am Wirtschaftshorizont verscheuchen? Oder geht er die Wege der meisten Politiker in Südamerika, deren wohltönenden Worten selten Taten folgen? Wir sind bewegt, dass wir diese Stunde des Wechsels so unmittelbar erleben durften und wünschen Brasilien viel Glück mit Lula. Inzwischen kennen wir viele Leute und Gesichter. Viele sind uns auch lästig, etwa Joseph, sprachlich auf der Höhe, der uns ständig verfolgt und uns touristische Leistungen andrehen will. Ins Herz geschlossen haben wir dagegen den kleinen Schuhputzerbuben Roberto: einen stolzen und charaktervollen Kleinunternehmer, der psychologisch mehr auf der Platte hat als die meisten Erwachsenen, die sich auf der Strasse mit irgendwelchen Diensten durchschlagen. Urs sponsort ihn, ohne dass er je darum gebeten worden wäre. Roberto ist ein wahrer Könner! Am 4. November sind Urs’ letzte Stunden auf der Hasta Mañana angebrochen. Morgen will er nach Rio de Janeiro abfliegen. Die Zeit dafür sei gekommen, erklärt er kleinlaut. Ein komisches Gefühl, wir beide spüren es im Magen. Nach sieben Wochen pausenlosen Zusammenseins auf engstem Raum fällt dieser Schritt nicht leicht. Wir haben intensive Stunden miteinander erlebt, nun trennen sich unsere Wege. Urs spendiert ein Farewell Dinner. Dann saufen wir zu viel. Depression am Morgen. Auch unsere Köpfe sind schwer. Urs packt wortlos. Wir bleiben auch beim Frühstück wortkarg. Um 12 Uhr begleite ich ihn mit dem Taxi zur Busstation. Der Bus kommt für uns viel zu früh. Ohne Worte drücken wir uns die Hände. Urs hat Tränen in den Augen. Ich auch. «In Buenos Aires findet man in jedem zweiten Haus einen Bücherladen. Hier gibt es keine Bücherläden. Die Brasilianer sind Körper- und Bewegungsmenschen. Als ich einmal am Strand in einem Buch las, empörte sich einer. Wie ich nur dazu komme, diesen einzigartigen Ort so zu missachten? Eine Beleidigung.» 248 Brasil, Brasil ... todo bem! Salvador JacarØ Fernando de Noronha rei Monate sind seit unserer Ankunft in Salvador verstrichen. Brasilien wird rasch zu einem meiner Lieblingsländer, schon wegen der durchwegs kontaktfreudigen und zugänglichen Menschen mit ihrer Sprache, die wie Musik klingt. In Salvador fühle ich mich auch sicherer als in Rio de Janeiro, wo ich schon am heiteren Tag beraubt wurde. Die Baianas, Nachkommen der afrikanischen Sklaven, die in den Zuckerrohrfeldern arbeiteten, sind dunkler als die Cariocas von Rio. Brasilien zählt als grösstes Land Südamerikas über 170 Millionen Einwohner. Der neue charismatische Präsident will mit seinem Programm «Fome Zero» den Kampf gegen Unterernährung und Armut aufnehmen. Sein Finanzminister, Antônio Palocci, ein Arzt, hat dem Land eine starke Medizin verschrieben, um die kränkelnde Wirtschaft anzukurbeln. Er hat auch Sparmassnahmen durchgeboxt und kann schon erste Erfolge verbuchen. Die Inflation konnte auf 8 Prozent pro Jahr gedrückt werden. Zumindest ein guter Anfang. Ende Februar 2003 besuchen mich Dorli und Heinz Tanner aus Spanien in der Marina. Mit Heinz bin ich seit unserer gemeinsamen Schulzeit in Stein am Rhein befreundet. Die beiden befinden sich auf einer Südamerikareise. Meine Portugiesischlehrerin Cristiane organisiert uns einen deutschsprechenden Reiseführer. Marcos ist auch unser Chauffeur und führt uns in die Chapada Diamantina, ins Land der Diamanten, wo die kostbaren Steine allerdings längst ausgebeutet sind. Nach über sechs Stunden Fahrzeit nehmen wir zuerst ein kühles Bier im Restaurant «Mucugezinho», dann ein Bad im unterhalb gelegenen Wasserfall Cachoeira do Diabo. Es ist schon dunkel, als wir im Hotel Portal D 249 de Lençois unsere Zimmer beziehen. Lençois ist das Zentrum der Chapada mit Tourismusaktiviäten wie Wandern und Bergsteigen. Mit Everaldo, einem lokalen Führer, besuchen wir ein Feuchtgebiet – hier Pantanal genannt –, wo wir mit einem Boot durch Seerosen und schilfartige Pflanzen gerudert werden. Nur das Zwitschern der Vögel ist zu hören, sonst ist es absolut ruhig. Das Picknick nehmen wir bei einem Wasserfall ein. Natur pur. Am nächsten Tag geniessen wir oberhalb des Dorfes Lençois ein Bad in Pools, die im Laufe der Jahrhunderte vom Flussschotter ausgespült wurden. Sie bieten sich in allen Grössen an: vom Einpersonenpool bis hin zur Familienbadewanne. Hier waschen auch Frauen ihre Wäsche und legen sie auf dem bunten Fels zum Trocknen aus. Vor unserer Rückfahrt besteigen wir den Pai Inácio. Nach einem schweisstreibenden Aufstieg erwartet uns als Belohnung ein atemberaubender Blick in die Schluchten dieses westlich von Salvador gelegenen Nationalparkes. Mit meinem Boot steuern wir dann die Insel Itaparica an und erreichen schon nach drei Stunden unseren Ankerplatz. Wir baden im trüben, lauwarmen Wasser. Heinz filetiert das eingekaufte Fleisch, und Dorli zaubert ein herrliches Nachtessen auf den Tisch. Bei einem Glas Wein geniesse ich das Zusammensein mit meinen langjährigen Freunden. Nach einer unruhigen Nacht verholen wir in die nahe gelegene Marina. Schliesslich legen wir in der Centro Nautico Marina an, begeistert begrüsst von der rassigen Clubsekretärin Dayse. Hier konnte ich mir einen der letzten freien Plätze ergattern. Dorli und Heinz reisen weiter nach Manaus an den Amazonas. Mit meinem Boot liege ich jetzt mitten in der Stadt. Von hier aus brauche ich kaum fünf Minuten zum «Elevador», dem Lift, der die Unterstadt mit der Altstadt verbindet. Er gehört wohl zu den billigsten Transportmitteln der Welt: 10 Fahrten kosten nur gerade 25 Schweizer Räppli. Eine angenehme Überraschung: Während des Karnevals ist der Elevador sogar gratis! Schon am Schmutzigen Donnerstag beginnt die Temperatur spürbar zu steigen. In Pelourinho dröhnen am Abend erste Trommeln in den engen Gassen. 250 Überall sind kleine Musikgruppen unterwegs, meistens gefolgt von tanzenden Fans, die versuchen, die Stimmung anzuheizen. Ich freue mich auf die kommenden Tage und Nächte. Noch ist es leicht, in einem der Restaurants einen Platz zu finden und einen Caipirinha als Apéro zu genehmigen. Dieses Nationalgetränk wirkt schnell. Ich beginne, bei der Musik mitzusummen und bin glücklich, hier zu sein. Wie angenehm ist es doch, an der Fasnacht nicht frieren zu müssen. Die Temperaturen fallen auch abends nicht unter 25 Grad Celsius. Dementsprechend leicht sind die Frauen bekleidet, die viel Haut zeigen. An der Sexta-feira – das ist auf Portugiesisch der Freitag (Bezeichnenderweise ist hier der Samstag der siebte und der Sonntag der erste Tag der Woche) – geht es richtig los mit dem Carnaval. Ich habe mir eine Eintrittskarte zur Terrasse des Othon Palace besorgt, am Circuito Dodô, einer abgesperrten Route, die vom Leuchtturm Barra nach Ondina führt. Langfinger haben natürlich in dieser Zeit Hochsaison. Vorsicht ist also geboten. Etwas Geld habe ich in den Schuhen und in den Unterhosen versteckt, doch fühle ich mich an meinem privilegierten Platz sicher genug, um auch meine Kamera mitzunehmen. So gegen sieben Uhr abends wird das Publikum unruhig. Überlaute Sambarhythmen dröhnen aus Riesenlautsprechern des ersten Trio Elétrico, «Nana Banana – Chiclete com Banana». Sattelschlepper ziehen im Schritttempo Musikwagen mit ihren eigenen Generatoranlagen heran. Darauf tanzen ausgelassen Frauen in phantasievollen Kostümen. Dazwischen, etwas vertieft, geben die über zehnköpfigen «Batterien» alles her, was sie an Lärm produzieren können. Schwarz bis weiss, alle Hautfarbschattierungen vermischen sich vor und hinter den Trucks. Alle tanzen und singen mit. Jung und Alt, Weiblein und Männlein wackeln mit den Hüften, so wie es nur die Brasilianer können. Die Musik dröhnt so laut, dass man damit Tote erwecken könnte. Sechserpatrouillen der Polícia Militar kämpfen sich durchs Gewimmel. Benimmt sich jemand daneben, so wird er ungehemmt mit dem Schlagstock traktiert und zurecht gewiesen. 251 Wie man sich im Gedränge wiederfindet? Hilfreich sind die Tafeln mit Nummern, auf denen «Onde você está!» steht. Diese Nummer gibt man dann am Handy durch und findet sich wieder. Ich bin froh, auf der Terrasse und damit über dem Schlamassel zu sein. Das Hauptmotto dieses Jahres ist «Carnaval da Paz» (Karneval des Friedens). Allein der Bloco «Filhos de Gandhy» umfasst Hunderte von Tänzerinnen und Tänzern. Immer wieder rufen sie zum Frieden auf und ermahnen Bush, er solle den Irak in Frieden lassen. Weitere Gruppen folgen bis in die frühen Morgenstunden: Banda Olodum, Zimbawe, Badauê, Muzenza, Ilê Aiyê und wie sie alle heissen. Der Karneval hilft im Lande, wo die Armut so weit verbreitet ist, Dampf abzulassen, die Dämonen zu vertreiben und die Batterien wieder aufzuladen. Alkoholisiert und musikselig wogt die dünner werdende Menge dem neuen Tag entgegen. Erst als sich die ersten Sonnenstrahlen zeigen und das letzte Trio Elétrico verstummt ist, wage ich mich auf die Suche nach einem Taxi, der mich zurück in den Hafen bringt. In der Altstadt versuchen schöne Tänzerinnen, mit ihren hohen Absätzen auf dem groben Kopfsteinpflaster sambatanzend das Gleichgewicht zu halten. Den Tanzgruppen folgen die Musiker, meist etwa fünf Trommler, zwei Posaunisten und Trompeter und ein Saxophonspieler. Manchmal kreuzen sich zwei Gruppen an einer engen Stelle, worauf das Chaos total ist. Hier sind auch viele Kindergruppen zu sehen. Keiner ist zu klein, um dabei zu sein. Kaum können Kinder stehen, so scheinen sie auch schon tanzen zu können. Farbig und fantasievoll gekleidet und herausgeputzt, freuen sich Mutter und Vater an ihrem Nachwuchs bis weit nach Mitternacht. Auf diese ausgelasseCarnaval in Pelourinho 252 nen Tage und Nächte folgt unweigerlich der Aschermittwoch. Es ist, als sei alles abgestellt. Die ungewohnte Stille wirkt bedrückend. Die meisten Geschäfte bleiben noch geschlossen, während die Tribünen abgebrochen, der Abfall weggeräumt und die grässlich stinkenden Toilettenhäuschen abgebaut werden. Traurig hängen noch Dekorationen an Lampenpfosten. Jetzt ist Fasten angesagt! Auch bei mir. Ich mache mich daran, etwas an meinem Boot zu werkeln. Noch ist einiges zu tun, bis ich wieder weitersegeln kann. Neben mir liegt die «Revo» aus Deutschland. Der Skipper heisst Reinhard. Dieser hievt mich ins Masttopp. Ich tausche den Windgeber aus: eine knifflige Angelegenheit. Am Bukh-Motor muss ich die hintere Leitung zum Ölkühler wechseln, was sich als langwierige Arbeit entpuppt. Die Kupferdichtung an der Ölwanne ist korrodiert. Sobald ich den Motor starte, tropft Öl, wenig zwar, aber ich hasse es, Öl in der Bilge zu haben. Die Hohlschrauben los zu bekommen, ist allerdings schwierig. Überhaupt erfordert der Bootsunterhalt mehr Zeit, als mir manchmal lieb ist. Dauernd habe ich ein Werkzeug in der Hand. Oft kommt auch Jonny Dorfbauer, ein Österreicher, auf ein Bier oder zwei vorbei. Er segelt einen schnellen Trimaran mit einem Aerorigg und ist um die vierzig Jahre alt. Meistens hat er eine dunkle Schöne dabei. Er wechselt seine Begleiterinnen so lange, bis er endlich eine Frau findet, mit der er nach Portugal segeln will, um von dort aus seine Heimat zu besuchen. Nun hat er eine gefunden, die auch mir gefällt. Jonny geht aufs Ganze. Er hat seiner Freundin auch einen neuen Pass besorgt. Ich wünsche dem Paar viel Glück auf der langen Reise. Ich bin in Sachen Frauen zurückhaltender. Mir ist meine Freiheit viel zu wichtig. Mit Anna-Paula, einer jungen Beleza, pflege ich einen losen Kontakt. Ich hatte sie mal in Pelourinho kennengelernt. Sie rufe ich jeweils an, wenn ich Lust zum Ausgehen habe. An unserem Nachhauseweg liegt das Hotel Ibiza … Über Mittag gehe ich meistens in den ehemaligen Sklavenmarkt, den Mercado Modelo, zum zahnlosen Mütterchen 253 Miranda. Sie besorgt mir frittierte Fische und eine grosse Flasche Bier. Hier trifft man neben vielen anderen Strassenkünstlern auch Sänger, die in Gedichtform neueste Nachrichten verkünden: über Krieg, Frieden, Saddam Hussein und den Karneval. Natürlich ist dieser Dienst nicht gratis. Auch ich spende meist meinen Obolus in den herumgereichten Hut. Gleich gegenüber liegt ein «Kilo»Restaurant mit seinem reichhaltigen Buffet. Bezahlt wird nach Gewicht. Zusammen mit einem Bier kostet mich hier ein gefüllter Teller sechs Reals, also etwa drei Franken. Das scheint auch für die vielen schönen Frauen günstig zu sein, die in den umliegenden Firmen arbeiten. Ein weiterer Grund, weshalb ich gerne hier esse! Um meine portugiesische Aussprache zu verbessern, verweile ich abends oft in einem Karaoke-Café. Den Text auf dem Bildschirm vergleiche ich mit der Aussprache der Sängerinnen und Sänger. Eine unterhaltsame Art des Lernens. Inzwischen kann ich leidlich portugiesisch sprechen und verstehe, was in der Zeitung steht. Das ist auch wichtig, denn in diesem Lande spricht kaum jemand eine Fremdsprache. Mir gegenüber liegen zwei Schweizer Boote: die «Momo» mit Yvonne und Bruno aus dem Bernbiet, daneben die «Stenfis» mit Sabina und Patrick aus Hinwil. Das letztere dient auch als Schulstube für die beiden Buben Stefano und Luca. Die Zürcher wollen zügig nach Süden segeln, weil es ihnen hier zu heiss ist. Wir freuen uns alle an der Tatsache, dass die Alinghi-Crew am 2. März in Neuseeland den America’s Cup in die Schweiz holen konnte. Aber auch hier ist das Regattafieber ausgebrochen. Salvador ist – als Zwischenstation der «Around Alone 2002/3» – zur «Vila das Regatas» geworden. Auch hier führt ein Schweizer! Auf der Etappe von Tauranga in Neuseeland ums Kap Hoorn nach Salvador hatte Bernhard Salvador wird zur Regattastadt Stamm ein Problem mit dem 254 Schwingkiel seiner 60-Fuss-Yacht «Bobst Group Amor Lux». Er war gezwungen, für eine Reparatur die Falklandinseln anzulaufen. Damit handelte er sich eine Zeitstrafe ein. Nun soll er in ein paar Tagen eintreffen. «One sailor – one boat – around the world – alone!» Das ist das Motto dieser Einhand-Regatta um die Erde. Mich freut es, dass ich die Ankunft hier hautnah erleben kann. Emma Richards aus England ist die einzige weibliche Teilnehmerin. Sie segelt «Pindar», eine Open 60-Fuss-Yacht in der Klasse I. Am 14. September hämmert Sambamusik vom Centro Nautico herüber. Draussen, hinter der runden Festung, tauchen die Segel eines Racers auf, das muss Emma sein. Am 8. Februar verliess sie Tauranga mit weiteren fünf Seglern ihrer Klasse, nebst sechs Booten in der Klasse II (50- und 40-Fuss-Boote). Als sich das türkisblaue Boot dem vorderen Ponton nähert, wird ein Feuerwerk gezündet. Es knallt und zischt. Die Musik wird lauter. Helfende Hände belegen das 18,3 Meter lange Boot am Steg. Da ist sie: Emma Richards, die jüngste Teilnehmerin mit 27. Sie wirkt frisch, entspannt, so, wie wenn sie für einen Tagestrip draussen gewesen wäre und strahlt. Sie geniesst es, als Vierte im Ziel zu sein. Dayse, die Sekretärin des Centro Nautico, ist als Baiana in Weiss gekleidet und reicht ihr eine Flasche Champagner hinüber. Emmas Augen werden feucht, als der Applaus anschwillt und sie den zahlreichen Zuschauern eine Champagner-Dusche verpasst. Dann springt sie auf den Steg. Ihre Eltern umarmen sie begeistert. Der Schweizer Bernhard Stamm, mit seiner «Bobst Group Amor Lux», kam am 10. März als Erster an, nur vier Stunden vor Thierry Dubois mit der «Solidaires». Thierry gewann zwar dieses Leg, weil Bernhard wegen seines Stopps auf den Falklands eine Zeitstrafe von 2 mal 24 Stunden erhielt. Dann kam die Nachricht, dass Derek Hatfield mit der «Spirit of Canada» kurz vor Kap Hoorn gekentert sei. Sein Mast war gebrochen, worauf er sich und sein havariertes Boot nach Ushuaia in Feuerland rettete. Ob er die Regatta fortsetzen kann, ist ungewiss. Als Dritter erreichte der Italiener Simone Bianchetti mit der «Tiscali» Salvador, einen Tag 255 vor der «Pindar». Emma liegt auf dem dritten Gesamtrang. Seit sie in Andrew Pindar einen potenten Sponsor hat, ist ihr Stern unaufhaltsam aufgestiegen. Zunehmend macht sie ihren männlichen Konkurrenten das Leben schwer. Ihre wachsende Fangemeinde schätzt ihre bescheidene Art, die mit einem unbeugsamen Willen gepaart ist. Verglichen mit dem, was diese Segler leisten, ist mein Segelabenteuer wirklich wie Honigschlecken. Kurz nach Emma trifft auch der Gesamtführende der Gruppe II ein: Brad van Liew mit «Tommy Hilfiger, Freedom America». Das Wochenende verbringe ich oft auf der Insel Itaparica. Die Fähre nach Vera Cruz braucht eine knappe Stunde. Ich miete jeweils ein Zimmer im «Espelho do Mar». So heisst die Pension wegen ihrer mannshohen Spiegel am Strand, die bei den schönheitsbewussten Brasilianern natürlich ein grosser Anziehungspunkt sind. Männchen und Weibchen nutzen hier die Gelegenheit, um ihre Figuren immer wieder kritisch zu prüfen. Geführt wird das Haus von Wim, einem Holländer, der mit einer Einheimischen verheiratet ist. Mit einem Bier in der Hand sitze ich gerne auf der Terrasse und erfreue mich an den Schönheiten, die sich – nur zu gerne die Aufmerksamkeit auf sich lenkend – unter der nahen Dusche vom Salzwasser befreien. Am Nachmittag wird die Musik lauter, worauf die ersten Samba zu tanzen beginnen. Immer mehr schliessen sich an. Eine Frau mittleren Alters fordert mich Dayse lebt in Itaparica zum Tanz auf. Sie stellt sich als Naodia vor. Ihre Freundinnen Denisi und Vera setzen sich auch zu uns. Die leeren Bierflaschen stellt man unter den Tisch, damit der Kellner weiss, wieviel er verrechnen muss. Die Zahl unserer leeren Flaschen nimmt rasant zu. Ich bin wieder einmal als Sponsor ent- 256 Mehr Bier muss her! deckt worden! Ich offeriere auch eine Colarunde für die acht Kinder der drei Frauen. Zum Glück ist hier alles spottbillig. Am Abend essen wir Moqueca de Camarão (Crevetten) mit Reis und Carne de Sol. Das Tanzen geht weiter in einer Tanzhalle beim Supermercado. Vor Mitternacht verabschiede ich mich, weil ich saumüde und besoffen bin und die Nase voll von der ewigen Zahlerei habe. Meine Nachtruhe ist allerdings kurz. Schon vor neun Uhr klopft es an meiner Zimmertür. Es ist Naodia. Sie will den Sonntagmorgen mit mir im Bett verbringen und begehrt Einlass! Das Temperament der Brasilianerinnen ist unglaublich. Oder bin ich ganz einfach etwas älter geworden? Ich überlege mir ernsthaft, ob ich nächstes Wochenende wieder nach Itaparica fahren soll! Ich verbringe auch schöne Abende mit Sergio und seiner Freundin, die in Barra wohnen. Sergios Telefonnummer hat mir Peter «Pesche» Hofer, ein Maître de Cabine der Swiss, gegeben. Er ist mit Sergios Schwester verheiratet und hat ein Ferienhaus in 257 Itaparica, nebst einer kleinen Wohnung beim Leuchtturm von Barra. Dort werde ich zu einer Churrasco-Party eingeladen. Die anderen Gäste behandeln mich wie einen alten Freund. Der Grill ist oben auf der Dachterrasse eingebaut. Der Sonnenuntergang mit freiem Blick aufs Meer und Itaparica ist überwältigend. Ich fühle mich hier wie zuhause. Sergio ist mir auch behilflich, wenn ich etwas für mein Boot brauche. Auch hier erfahren wir von den Kriegsvorbereitungen der Amerikaner, die den Irak angreifen und Saddam Hussein loswerden wollen. Am 20. März fallen die ersten Bomben auf Bagdad, amerikanische und britische Truppen überschreiten die Grenze von Kuwait aus. Wie lange wird dieser Kampf dauern, wieviele Opfer fordern? Was bin ich für ein Glückspilz! Am 4. April taucht die Holländerin Sanne bei meinem Boot im Centro Nautico auf und kommt gleich zur Sache: «I heard from Tako, a Dutch sailor, that you are heading north to the Caribbean.» Sie ist Seglerin, hübsch, um die dreissig, auf einer längeren Südamerikareise und möchte mich begleiten. Wir werden schnell einig. Ich wäre allein gesegelt, aber mit Sanne macht das sicher mehr Spass. Es fällt mir einmal mehr schwer, mich zu verabschieden: von Dayse, Bruno und all den Aktivitäten der «Around Alone»- Regatta. Bruno ist Franzose und arbeitet als Übersetzer auch für das Centro Nautico. Die Angestellten und befreundeten Segler lade ich zu einem Abschiedstrunk ins Regatta-Restaurant ein. Bei dieser Gelegenheit lerne ich auch Bernhard Stamm etwas näher kennen, auch seine Eltern. Bernhards Vater kommt aus dem schaffhausischen Schleitheim. Die Einhandsegler werden am 13. April zu ihrem letzten Teilstück nach Newport in den USA starten. Dem führenden Schweizer Bernhard Stamm drücke ich die Daumen, aber ich wünsche mir auch, dass Emma Richards ihren dritten Platz halten kann. Bis zum Start können wir nicht warten, weil mein Bootsvisa bald abläuft. Am 8. April kommt Sanne an Bord und richtet sich ein. Dann passen wir ihre Schwimmweste an und ich führe sie in die 258 Geheimnisse meines Bootes ein. Am Morgen nach der ersten Nacht an Bord schreit sie auf: Über 500 Reals seien ihr gestohlen worden! Tatsächlich liegt ihre erleichterte Geldbörse auf dem Kartentisch. Zum Glück hat der unbekannte Dieb, der am frühen Morgen eingestiegen sein muss, als wir noch schliefen, die Kreditkarte drin gelassen. Verrückt, noch gestern hatten wir über solche Gefahren diskutiert. Trotzdem lösen wir am Nachmittag die Leinen am Steg. Noch Diesel tanken und ein Blick zurück. Ein frischer Wind füllt die Segel, wir sind unterwegs! Salvador glitzert in der Abendsonne, als wir das offene Meer erreichen. 480 nautische Meilen trennen uns von unserem Ziel: Jacaré, das in einem Fluss etwa eine Stunde östlich von Recife liegt. Für die Überfahrt rechnen wir mit fünf Tagen. Wir müssen meistens kreuzen. Entlang der Küste halten wir nachts gut Ausschau, denn unzählige, spärlich beleuchtete Fischerboote säumen unseren Weg. Anfangs hat es wenig Wind, weshalb wir den Motor starten müssen, aber der Anlasser will nicht mehr. Ich liess ihn in Kapstadt überholen. Handstart ist jetzt angesagt. Seit ich unterwegs bin, ist es das erste Mal, dass ich die Anlasskurbel brauche, um unseren Bukh-Motor anzuwerfen. Ich weiss zum Glück, wie es geht: Dekompressionshebel betätigen, dann kurbeln, was das Zeug hält, Hebel umlegen – das macht Sanne auf meinen Befehl. Und er läuft, zum Glück! Vor lauter Freude verpasse ich der Kurbel mit Hilfe einer Spraydose einen neuen, roten Farbüberzug. An der so wichtig gewordenen Kurbel mag ich keinen Rost mehr sehen. Sanne ist aufgestellt und unterhaltsam, von Beruf diplomierte Psychotherapeutin, daneben Segellehrerin und dazu äusserst sprachbegabt. Sie spricht sechs Sprachen! Oft haben wir interessante Gespräche. Vor dem Nachtessen hockt sie sich vor den Mast, singt und zupft an ihrer Gitarre herum. Sakrale Stunden vor dem Sonnenuntergang, würde Urs von Schroeder sagen. Endlich haben wir keinen Gegenstrom mehr, und der Passat pendelt sich wieder ein. Das ist angenehmes Segeln, wie wir es lieben. In Cabedelo folgen wir den Bojen, die uns in den Fluss führen. Bei Jacaré – das heisst Krokodil – fällt unser Anker vor der 259 kleinen Ortschaft. Dort kann ich bei Brian, einem Engländer, der eine Werft betreibt, den Anlasser reparieren lassen. Die E-Mails erledigen wir bei Theo, einem jungen Schweizer Segler, der sich hier mit seiner brasilianischen Frau Lucy niedergelassen hat. Erst vor vier Wochen wurden sie Eltern der süssen Carolina. Theo verdient sein Geld mit Programmieren, auch für Firmen im Ausland. Hier fühlen wir uns wohl, aber am 22. April läuft mein Visa ab. Nur gerade sechs Monate darf ein Boot in Brasilien bleiben, und das bei einer über 7000 Kilometer langen Küste. Was soll’s – jedes Land hat seine Regeln. Am Wochenende kommen viele Besucher vom nahen Recife herüber, um hier die zahlreichen Restaurants am Flussufer zu bevölkern. Am Samstagabend ist bei eiLucy und Theo nem Openair-Tanzschuppen die Hölle los. Ein Orchester mit zwei Akkordeonisten spielt zum Forró auf. Zu dieser traditionellen Musik wird mit Körperkontakt getanzt. Erst am Morgen gegen fünf machen sich die Musiker davon, worauf sich auch die Gäste verflüchtigen. Von Jacaré, diesem Geheimtipp für Segler, hatte ich schon in Südafrika gehört. Beim Auslaufen pfeift ein bis 30 Knoten starker Wind über das Wasser, und die See ist aufgewühlt. Wir folgen dem Kanal zum Meer. An Backbord brechen sich die Wellen am Riff. Es wird ungemütlich. Auch das Grosssegel muss noch gehisst werden. Nur kein Motorausfall jetzt! Das Segel knattert fürchterlich, bis es endlich oben ist. Die Genua rollen wir nur zu einem Drittel aus. Immerhin können wir unser Ziel, die Insel Fernando de Noronha, die noch zu Brasilien gehört, gerade anliegen. Später dreht der Wind zu unseren Gunsten, worauf es flott vorangeht. Nach nur 48 Stunden fällt unser Anker in der Baia San Antonio. Diese grün bewachsene Insel mit ein paar zackigen Bergspitzen gefällt uns 260 sofort. Neben uns liegt die amerikanische Yacht «Fiona» und vor uns die «Nauty 40‘s» aus Südafrika. Crazy stuff: Unter Skipper Eric Forsyth hat die «Fiona» in nur acht Monaten die Erde umsegelt! Das Boot war letztes Jahr schon einmal hier. Ich sah es vergangenen August in Kapstadt. Von dort führte seine Reise über die Kerguelen nach Hobart in Tasmanien. Anschliessend war die Crew 46 Tage auf See, um das Kap Hoorn zu runden und Port Stanley in den Falklands anzulaufen. Darauf ging es in die Kälte von South Georgia zu den Pinguinen und Eisbergen. Dann kehrten die Erdumrunder wieder zurück in die Wärme nach Santos bei Sao Paulo und schliesslich nach Fernando de Noronha. Eric is still going strong – mit seinen 71 Jahren! Seine beiden Crewmitglieder Bob und David sind jünger und aus New York. Eric ist Engländer und war bei der Royal Air Force. Fliegen lernte er auf der Tiger Moth, später war er in einer Meteor-Staffel eingeteilt. Wir feiern die ausserordentliche Leistung dieser Segler ausgelassen im idyllisch über dem Hafen liegenden Restaurant «Cantinha do Porto». Nach einem Glas Wein wird auch Eric gesprächig und erzählt ein paar «Fiona»: In acht Monaten um Episoden aus seinem Fliegerleben. Auch die Erde! davon, dass er die Erde zusammen mit seiner inzwischen verstorbenen Frau schon einmal umsegelt hat. Nach drei Tagen segelt die «Fiona» weiter nach Barbados, während wir uns Zeit lassen, die ausgezeichneten Tauchreviere zu erkunden. Bei jedem Abtauchen begleiten uns Haie, Seeschildkröten, Stachelrochen und unzählige kleine Fische. Fernando de Noronha ist ein Tauchparadies. Das Fortbewegungsmittel auf 285 dieser Insel ist der Buggy. Wir mieten einen, um früh am Morgen in einer Bucht von einem Ausguck aus Delphine beim Spielen und beim sich Paaren im Wasser zu beobachten. Hier ist es den Behörden egal, ob wir mit unserem Boot noch in Brasilien bleiben, solange wir die Nationalparkgebühr von 20 Reals (ca 10 Franken) pro Tag und Person bezahlen. Sanne versucht sich im Surfen in den ansehnlichen Wellen. Das Einkaufen wird zum Problem, denn es sind kaum Frischprodukte zu finden. Alles wird von Natal per Schiff herübergebracht. Mir ist unerklärlich, warum hier kein Gemüse angepflanzt oder Hühner gehalten werden, um frische Eier zu haben. Darauf angesprochen, lacht ein Einheimischer und wischt mit einer entsprechender Geste über die Stirn: «Zu viel Arbeit!» Die Leute hier scheinen lieber von den zahlreichen Touristen leben zu wollen. Uns beiden fällt es schwer, Brasilien zu verlassen. Wir haben das Land, die Menschen und ihre Sprache sehr gerne bekommen. Unser nächstes Ziel: Die Îles du Salut, die zu Französisch Guayana gehören. Von dort werden wir weiter nach Trinidad und Tobago segeln. «Die Tage verwischen sich, reihen sich – mit sich gleichenden Ritualen und wachsender Routine – der eine an den anderen. Daten haben keine Bedeutung mehr.» 286 Ende einer langen, langen Reise Fernando de Noronha – Französisch Guayana – Tobago – Trinidad m 11. Mai 2003 lichten wir den Anker und setzen die Segel. Unser Ziel, die Îles du Salut, liegt 1350 Meilen entfernt. Diese Distanz entspricht einer halben Atlantiküberquerung. Sanne segelt zum ersten Mal über eine solche Strecke. Die ersten vier Tage verwöhnen uns schönste Verhältnisse mit Südostpassat mit 10 bis 15 Knoten und angenehmem Meer. Ab und zu bringen wir unser Boot zum Stillstand und nehmen ein erfrischendes Bad im Ozean. Wir bemalen auch das Unterwasserschiff des Dinghys mit einem neuen Anstrich, damit Äquatorpassage bei Nacht sich weniger Bewuchs ansetzt. Den Äquator überqueren wir nachts. Ich bringe es fertig, den Moment mit meiner Digitalkamera festzuhalten: N 00° 00.000’/W 39° 26.804’. Am folgenden Morgen überrasche ich Sanne als Neptun verkleidet. Vermutlich habe ich dem Neptun zu wenig Champagner ins Maul gegossen, denn schon am nächsten Tag bricht ein Bolzen, der die Kräfte der Autopilothydraulik aufs Ruder überträgt. Der neu eingebaute Alarm des Autopiloten meldet sich. Unser Boot läuft aus dem Ruder, das Gross steht back. Ich wache auf und schiesse aus der Koje. Zu spät! Der in Salvador ausgewechselte untere Block des Bullenstanders bricht. Patenthalse. Der Grossbaum saust übers Cockpit. Leider hatte Sanne ihren linken Fuss A 287 auf der Grossschott «abgestellt». Als die Schott auf dem Travellerschlitten auf die Steuerbordseite rauscht, wird sie herum wirbelt und auf den Cockpitboden befördert. Machtlos stehe ich im Niedergang. Die Folge: Meine Gefährtin hat eine stark blutende Schnittwunde am rechten Fussrücken. Sie klagt auch über Kopf-, Knie- und Rückenschmerzen. Hat sie auch eine Hirnerschütterung? Etwas viel auf einmal! In Sekundenschnelle werde ich zum Samariter und Einhandsegler. Sanne legt sich auf die Steuerbordkoje, wo ich ihr ein Schmerzmittel verabreiche und die Wunde am Fuss stille. Was tun? Uns trennen sechs Tage von unserem Ziel. Zurück nach Fortaleza? Unmöglich! Sofort wird uns bewusst, wie schnell ein Unfall fern von einem Spital zu einem grossen Problem werden kann. Wir entschliessen uns weiterzusegeln, zumal die medizinische Versorgung in Französisch Guayana sicher hervorragend ist. Langsam erholt sich die Patientin. Schon in der dritten Nacht übernimmt sie vom Krankenlager aus ihre Nachtwachen. Ich programmiere den Radar auf Watchmode, damit er uns vor Frachtschiffen und dunklen Wolken warnen kann! Sanne wird mich wecken, wenn der Radar Alarmtöne von sich gibt. Die junge Holländerin ist zäh und lacht schon wieder. Die Schnittwunde verheilt gut, doch sie kann sich nur unter Schmerzen und humpelnderweise fortbewegen. Dann verschlechtert sich das Wetter. Die Himmelsschleusen öffnen sich. Niederschläge, wie sie nur in den Tropen möglich sind, prasseln aufs Deck. Dazu werden wir auch durchgeschüttelt, vor allem nachts. Wir müssen die tropische Konvergenzzone erreicht haben. Am 11. Tag auf See können wir im Morgengrauen die Umrisse der drei Inseln Royale, Diable und St-Joseph vor unserem Bug ausmachen. Noch steuert unsere Windfahnenanlage. Wir lassen die Inseln rechts liegen und nehmen direkt Kurs auf Kourou, das am gleichnamigen Fluss liegt. Es regnet wieder stark. Kein Wunder, wir haben den schlimmsten Monat der Regenzeit erwischt! Das ist die Strafe dafür, dass ich die Jahresplanung auf den Karneval von Salvador ausgerichtet habe. Zum 288 Glück finden wir am Ponton des Yachtclubs einen Platz und machen erleichtert fest. Sanne besucht unverzüglich das nahe gelegene Spital. Der Befund der Ärzte: Ein Knöchel am rechten Fuss ist an zwei Stellen gebrochen! Das Knie wollen sie später anschauen. Mit einem Gipsverband verziert und mit zwei Krücken bewaffnet, klettert meine Patientin gegen Abend an Bord. Ich richte mein Fahrrad auf ihre Grösse ein, damit sie etwas mobil ist. Hier in Kourou befindet sich das europäische Raumfahrtszentrum. Am 26. Mai besuchen wir das Musée de l’espace und die Abschussanlagen für die Ariane 5. Mit dieser gigantischen Rakete lassen sich bis zu drei Satelliten mit einem Gesamtgewicht von etwa neun Tonnen in den Orbit schiessen. Die Zukunft sieht rosig aus, denn noch viele Satelliten warten darauf, in den Himmel befördert zu werden. Die Îles du Salut besuchen wir mit der täglich verkehrenden Fähre. Auf der Île St-Joseph sind die Gefängnisbauten der einstigen französischen Strafkolonie noch gut erhalten. Über 200 Jahre lang Kourou: Raumfahrt-Museum wurden hier von den Franzosen Gefangene gehalten. Das ist auch der Ort, wo Henri Charriès Roman und der spätere Film «Papillon» spielen. Ich lese die Originalausgabe dieses Buches und bekomme einen guten Überblick, wie es damals in Gefangenschaft zu und her ging. Französisch Guayana mit der Hauptstadt Cayenne, eines der überseeischen Territorien, ist etwa so gross wie Portugal und hat nur um die 180 000 Einwohner. Bewohnt wird das Land von Kreolen, Chinesen und Weissen. Unser Aufenthalt zieht sich in die Länge, weil Sanne das Spital noch zwei weitere Male besuchen muss. Auch die Bänder ihres rechten Knies sind gedehnt. Erstaun- 289 licherweise wird ihr nur der Preis für ein Radiogramm verrechnet, ansonsten übernimmt der französische Staat die Kosten. Hier wird mit Euro bezahlt, die Preise sind eher höher als in Frankreich, fast so hoch wie in der Schweiz. Viele Nahrungsmittel werden aus dem Mutterland herangeflogen. Dementsprechend riesig ist die Auswahl. All die guten Sachen, auf die wir so lange verzichten mussten, sind hier im Überfluss vorhanden. Im Yachtclub liegen viele Boote, deren Eigner bei der Raumfahrtsbehörde arbeiten und gut verdienen. Wir werden freundschaftlich aufgenommen. Mit unseren Stegnachbarn Philippe und John schliessen wir Freundschaft. 200 Liter Diesel kosten 176 Euro. Ich muss ihn mit Hilfe von Johns Kannen heranschaffen. Am 3. Juni sind wir zur Abfahrt bereit. Wir hätten zwar noch gerne den Urwald besucht, aber meine Patientin ist noch nicht fit für solche Abenteuer. Was solls, vielleicht ein anderes Mal. Den Anker, den ich achtern ausgebracht habe, um im reissenden Fluss mein Heck zu stabilisieren, ist schwierig zu bergen. Pilippe ist mir behilflich. Mit auslaufendem Wasser sausen wir nur so dem offenen Meer entgegen. Der Kanal ist markiert. Es ist wichtig, dass wir uns in der Mitte halten. Dauernd ist man mit einem holländischen Schiff daran, die Fahrrinne auszubaggern. Sanne unterhält sich über VHF ein Weilchen in ihrer Muttersprache mit dem Kapitän. Auch Schiffe, die Raketenteile transportieren, benützen diesen Fluss, um zur Entladerampe zu gelangen. Wir geniessen es, wieder unterwegs zu sein, obwohl wir unseren Stopp schon hinter der Île Royale einlegen. Erfreut treffen wir dort alte Freunde: Audry und Ken auf der «Fast Forward», Leo und Jamin auf der «Lord Nelson» und schliesslich Jenny und Roger auf der «Freelance». Kens Boot ist 62 Fuss lang, ein Riesending. Alle drei Yachten kommen aus Südafrika und sind auch unterwegs in die Karibik. Noch 600 Meilen trennen uns von Scarborough auf der Insel Tobago. Ein letztes Winken, dann lichten wir am 4. Juni den Anker und gehen bei schönstem Wetter auf Kurs. Sanne sitzt bei ihren 290 Wachen wieder im Cockpit, aber ganz schön in der Ecke. Man weiss ja nie, was passieren kann, erklärt sie tiefsinnig. Sie ist ein gebranntes Kind. Nach einer ruhigen Nacht, es ist gerade Tag geworden, ist es vorbei mit der Ruhe. Blitz und Donner. Im Stahlschiff fühlen wir uns sicher. Ich binde Reff 1 ein, der Windmesser zeigt über 30 Knoten an. Volle zwei Stunden dauert das Schauspiel. Zum Glück funktioniert der Radar einwandfrei. Das ist beruhigend, denn ein Frachter könnte uns in einer Wolkenwand ungesehen nahe kommen. Plötzlich klart es auf, und die Sonne blinzelt wieder hervor. Die tropische Konvergenzzone verabschiedet sich gebührend. Nun geht es mit zwei Knoten Rückenstrom rassig voran. Wir sind schnell – zu schnell! Als mich Sanne in der vierten Nacht um vier Uhr früh weckt, sind wir nur noch zehn Meilen von Scarborough entfernt. Im unangenehm hohen Schwell drehen wir bei, um das Tageslicht abzuwarten. Um acht Uhr steuern wir die Hafeneinfahrt an. Die Coast Guard weist uns einen Ankerplatz zu und winkt uns freundlich zu. Von einer Kirche am Hang erschallt Gesang, denn es ist Sonntag. Ich weiss aus meinem Handbuch, dass das Einklarieren am Sonntag Zuschlag kostet, aber das ist mir egal. Kaum an Land, erfasst uns die Karibikstimmung. Was für ein Unterschied zu Französisch Guayana! Steelband- und Calypsoklänge elektrisieren uns schon im Hafen. Dunkle Menschen lachen uns fröhlich zu. Wir werden oft mit «How are you?» angesprochen. Und Sanne bekommt den guten Rat: «Be careful with your leg!» Die freundliche Dame bei der Immigration gibt uns ein Dreimonatsvisum und knöpft mir lächelnd 100 TT-Dollar (ca. 15 USDollar) ab. Beim Zoll sind es nochmals 170 TT-Dollar. Der Zöllner meint treuherzig, wir hätten am Montag kommen sollen, dann wäre seine Leistung gratis gewesen. Wir kaufen Früchte und Gemüse ein und legen uns nach einem erfrischenden Salat und zuckersüssen Mangos schlafen. Nach zwei Tagen segeln wir weiter entlang der Südküste von Tobago nach Westen. In der Storebay, in der Nähe des Flughafens 291 und diverser Hotelbauten, fällt unser Anker ins glasklare Wasser und gräbt sich in den feinen Sand ein. Etwas nördlich liegt das BuccoRiff, das zum Schnorcheln einlädt. Noch ist es schön, aber bald wird auch hier die Regenzeit und die Saison der Wirbelstürme beginnen. Allerdings wird Tobago äusserst selten heimgesucht. Noch sicherer ist Trinidad. Je nördlicher, desto grösser die Gefahr. Wir vergnügen uns mit Baden und gehen am Abend aus. Hier ist viel los, obwohl die Hauptsaison abklingt. Magisch werden wir von Steelbandklängen angezogen. Ich liebe diese Musik und ich kann stundenlang zuhören und zuschauen, mit welcher Handfertigkeit und Unermüdlichkeit diese Künstler ihre Ölfässer bearbeiten. Am Strand mieten wir wie Touristen Liegestühle und geniessen die Sonne und das Meer. Die Familie Mok aus Toronto, die wir am Strand kennenlernen, will unbedingt unser Boot sehen. Wir laden sie zu einem Apéro an Bord ein. Die Kanadier können kaum glauben, dass man mit «so was» um die Erde segeln kann. Am Abend gegen 21 Uhr verabschieden wir uns von Tobago und segeln in einem Nachttörn die letzten 70 Meilen bis nach Trinidad. Obwohl mir im Meteobüro des Flughafens gutes Wetter versprochen wurde, finde ich Sanne bei der Wachübernahme um 04:00 Uhr im strömenden Regen am Ruder. Sie lacht: «No problem!» Wir müssen unser Boot von Hand steuern, der Autopilot ist nach wie vor defekt. Erst als ich die Boca de Mono, die erste Einfahrt nach Chaguaramas ansteure, bessert sich das Wetter. Ich singe fröhlich vor mich hin, Seemannslieder, die, welche mir gerade einfallen. Dann gehen wir vor Anker. Willi, der mit seiner «Mektoub» nebenan liegt, ein Deutscher, dessen Bekanntschaft ich in Salvador machte, gibt mir mit seinem Gummiboot einen «Lift» zum Zoll. Das Einklarieren geht schnell. Ich muss nur die Papiere von Scarborough abgeben. Hier rufe ich auch den Trinidad & Tobago Yacht Club an und reserviere einen Platz. Zur Feier des Tages zeigt sich die Sonne. Kurz vor der Hafenmohle rufe ich den TTYC auf Kanal 68. «Welcome, I am John, I will give you a hand at berth 64», bekomme ich zur 292 Antwort. Wir werden also erwartet. Beim Platz 64 nehmen John und zwei weitere Helfer unsere Leinen in Empfang und freuen sich über unsere Ankunft. Wir sind fest! Nach über acht Jahren, einer Erdumrundung und mit mehr als 40 000 Seemeilen im Trinidad & Tobago Yacht Club Kielwasser bin ich wieder hier. Im Office erledige ich bei Beverly die Anmeldung und zahle für einen Monat etwa 450 Franken inklusive Wasser und Strom. Den Kabelfernsehanschluss mit über 90 Stationen ist für 23 TT-Dollar pro Monat zu mieten. Wir sind wieder mit der ganzen Welt verbunden. Als ich zur «Hasta Mañana» zurückkomme, werde ich zu Tränen gerührt. Sanne hat in der Zwischenzeit mein Boot mit einem Banner geschmückt. «Otto, around the world! Congratulations!» steht darauf. Ballone wiegen sich im Wind. Sanne hält einen kühlen Champagner bereit. Segler von Booten am gleichen Steg kommen an Bord, Korken knallen, die Party steigt. Es sind 293 durchwegs Amerikaner, welche die Karibik nie verlassen haben. «Otto, just great!» bekomme ich zu hören. Alle fragen mich nach Strich und Faden aus. Wann Sanne an Bord gekommen sei, welche Route ich gesegelt sei, ob ich Stürme erlebt hätte, Piraten, Einbrüche ... Ich bin froh, dass ich heil zurück bin. Als Sanne ihre Gitarre holt und uns ihren speziell für mich komponierten Song vorträgt, bin ich völlig überwältigt: Follow your instincts You're sailing all the oceans Your ship it is your home The moon and stars your friends at night When you sail around the globe You've been in many countries You've seen the people dance You've seen them happy, sad and in love Yes, you, you took your chance Refrain: You're the happy sailor You sail across the night Wave and wind don't scare you off If your senses say it's right You follow your instincts Your dreams and how you feel That made you sail around the world After eight years it's for real Cause on this island Trinidad You've made your world around With trust in your ship, crew and yourself It was happiness you found Im Laufe des Tages kommen noch mehr Segler an Bord. Wir fühlen uns verbunden, obwohl wir uns am Morgen noch nicht 294 gekannt haben. Sanne schenkt mir auch eine Erdkugel, die sie mit Boot und Captain dekoriert. Als Dank für ihre tollen Ideen lade ich sie ins exklusive Clubrestaurant zum Nachtessen ein. Eineinhalb Millionen Menschen leben in Trinidad und Tobago. Allgemein sind die Einwohner sehr freundlich, aber wie in vielen Ländern ist auch hier der Gegensatz zwischen Arm und Reich gross. Sanne wird nur noch wenige Tage an Bord bleiben. Wir wollen aber noch die Insel näher kennenlernen, bevor sie wegfliegt. Unser Taxifahrer heisst Sterling. Unterwegs zum Asa Wright Nature Center, dort wo Vögel in der freien Natur leben, hält er oft an. Er zeigt uns entlang der Route Pflanzen, Blumen und uns unbekannte Bäume. Er stoppt auch vor einem Früchte- und Gemüseladen und erklärt alles geduldig. Im Vogelzentrum angekommen, hocken wir über zwei Stunden auf der Terrasse und beobachten Vögel, die zur Futterstelle heranschweben. Mir gefallen die quirligen Humming Birds am beSanne beschenkt mich sten. Wie kleine Helikopter schweben die Kolibri an Ort, um eine Blüte auszusaugen oder Wasser zu schlürfen. Dann fahren wir an die Strände der Nordküste und erreichen am Schluss meine Lieblingsbucht, die Maracas Bay. Es ist der Ort, wo jeweils am Aschermittwoch der Karneval verabschiedet wird. Ein Muss ist auch Ricardos «Shark and Bake». Ein Renner ist hier frittiertes Haifischfleisch, zwischen aufgeschnittenes, frisches Brot geklemmt und mit Salat garniert und gewürzt. Die Rückfahrt führt uns über erstaunlich hügeliges Waldgebiet. Dann verabschiedet sich Sanne. Sie will nach Curaçao, um Freunde zu besuchen und möchte sich dort nochmal ins Spital begeben und erfahren, was holländische Ärzte zu ihrem Fall meinen. «Will keep contact!» ruft sie mir zu, als sie beim Schalter am Flughafen von Port of 295 Spain verschwindet. Wir kamen sehr gut miteinander aus. Es war für mich eine Bereicherung, sie an Bord zu haben. Ich hoffe, sie denkt dasselbe über mich. Noch ist einiges zu tun! Zuerst bringe ich die Segel zur Reparatur. Dann mache ich mich daran, die Autopilothydraulik auszubauen und die Kraftübertragung auf den Ruderquadranten so umzubauen, dass sie für ewig hält. In Chaguaramas findet man alles, um ein Boot zu überholen. Unzählige Boote sind bei Werften auch an Land abgestellt. Nicht zuletzt, weil Trinidad von Wirbelstürmen verschont wird und die meisten Versicherungen verlangen, dass Boote sich während der Hurrikansaison südlich von 12 Grad Nord aufhalten. Diese dauert in der Karibik von Juli bis November. Gemäss Erhebungen von Jimmy Cornell liegen über 4000 Boote diese Zeit hier! Das ist zu einem ernsthaften Wirtschaftsfaktor für Trinidad geworden. Am 8. Juli wird auch mein Boot bei Peake Marine ausgewassert. Die professionelle Mannschaft, die den Travellift bedient, stellt es dort ab, wo ich auch an Bord leben oder am Boot arbeiten kann. Ich hoffe, dass es hier sicher untergebracht ist, damit ich sorglos in die Schweiz fliegen kann. Zu Hause gilt der erste Besuch meiner Mutter. Ich bin ihr dankbar, dass sie mich stets ermuntert hatte, mir meine Träume zu erfüllen und nichts aufzuschieben. Sie weiss genau, dass es mich bald wieder hinausziehen wird. Sie versteht mich wie kaum sonst ein Mensch. Leider leidet sie zunehmend unter ihren Altersbeschwerden. Ein paar Wochen später werden wir von der Tatsache überrascht, dass sich ihr Zustand plötzlich verschlechtert hat. Wir tun unser Möglichstes, um ihr beizustehen, doch sie hat keine Lebenskraft mehr. Anfangs Oktober müssen wir traurig von ihr Abschied nehmen. Drei Monate später wäre sie 88 Jahre alt geworden. Ende Oktober fliege ich mit der Swiss nach Hamburg, um rechtzeitig zum «Trans-Ocean-Treffen» in Cuxhaven einzutrudeln. Nach über acht Jahren Mitgliedschaft habe ich es endlich 296 fertig gebracht, in diese schöne Hafenstadt zu kommen. Das Wetter ist diesig, regnerisch und kühl. Schon um vier Uhr nachmittags wird es Nacht. Trotzdem lasse ich es mir nicht nehmen, einen mehrstündigen Spaziergang entlang der Elbe bis hin zum Wahrzeichen der Stadt, der Kugelbake an der Flussmündung, zu machen. Riesige Container-Frachter gleiten majestätisch vorbei in Richtung Hamburg oder Nordsee. Im Trans-OceanOffice bekommen Namen Gesichter. Der Commodore, Helmut Bellmer, begrüsst mich und stellt mir den guten Geist des Vereins vor, Sonnhild «Sonni» Sallmann. Sie strahlt, als ich ihr Blumen und Schweizer Schokolade überreiche. Die Jahresversammlung im Seepavillon ist schon nach 35 Minuten Vergangenheit, obwohl dieser Verein zur Förderung des Hochseesegelns inzwischen über sechstausend Mitglieder hat. Davon sind naturgemäss viele unterwegs auf irgend einem Ozean der Welt. Zum traditionellen Labskausessen erscheinen über zweihundert festlich herausgeputzte Seglerinnen und Segler. Nach dem Essen, dessen Ingredienzen vom Koch streng geheim gehalten werden, bekomme ich vom stellvertretenden Vorsitzenden des TO, Bernd Luetgebrune, einen der acht WeltumseglerPreise überreicht. Die Preisgewinner werden ans Mikrofon gebeten, um über ihre schönsten Erlebnisse im Laufe ihren Reisen zu sprechen. Für mich bestand der Höhepunkt ohne jeden Zweifel im zweimaligen Besuch der Inseln Vanuatus in der Südsee. Ich benütze die Gelegenheit, mich beim TO auch für die Unterstützung unterwegs zu bedanken. Der prestigeträchtige TransOcean-Preis geht an den jungen Uwe Röttgering als Anerkennung für seine erstaunliche Einhandreise abseits der ausgefahrenen Routen. Wie ich mich nach meiner Weltumseglung fühle? Entspannt und glücklich. Froh, dass es mir möglich war, diese Reise zu unternehmen, dankbar, dass ich die vergangenen Jahre von Krankheiten und Unheil verschont blieb. Immer wieder wurde ich angenehm überrascht, dass ich in allen besuchten Ländern 297 willkommen war und herzlich aufgenommen wurde, nicht zuletzt auch meiner Sprachkenntnisse wegen. Verhalten wir Schweizer uns auch so gastfreundlich gegenüber Fremden? Wohl kaum. Das wird einem erst ausserhalb unseres Landes richtig bewusst. Meine Wünsche habe ich mir erfüllt und blicke, inzwischen 65 Jahre alt geworden, gelassen in die Zukunft. Was noch möglich ist, empfinde ich dankbar als Zugabe. «Die ‹Lady› ist endgültig erschöpft und liegt ermattet da nach den Stürmen der letzten Tage.» 298 Zur ck im Hafen ach «Hasta Bananas» und «Hasta Luego!» ist die Erdumrundung auch zwischen Buchdeckeln vollendet. Damit geht der Schreiberling Otti Schmid in Pension, aber nicht ohne ein paar Dankesworte. Meine Schwester Dor hat einen wesentlichen Teil dazu beigetragen, dass ich überhaupt in See stechen konnte. Sie kümmerte sich all die Jahre, die ich unterwegs war, um meine Angelegenheiten in der Schweiz. Sie war immer da und war nie neidisch auf mein freies Leben. Im Gegenteil, sie ermunterte mich sogar, es in vollen Zügen zu geniessen. Weiter bedanke ich mich bei: ● Dr. Richard Altorfer, Inhaber der Rosenfluh Publikationen, für die positive Einstellung und aktive Unterstützung unserer Projekte. ● Willum Møller für seine sichere Hand bei der Gestaltung dieses Buches. Er ist mir inzwischen ans Herz gewachsen. Wie oft sassen wir bei einem Glas Wein zusammen und lösten anstehende Probleme. ● Unserem Lektor Urs von Schroeder für seinen Beitrag, dieses Buch lesbar zu machen, und die Auszüge aus seinem Tagebuch von unserer gemeinsamen Etappe von Kapstadt nach Salvador. Er hat doch tatsächlich als Segel-Greenhorn bei mir angeheuert, um den Südatlantik zu queren! Seine Auszüge lassen tief in seine Seele blicken. ● Pierre Fricker für sein lustiges Kapitel «Great White – born in South Africa». Wenn auf Besuch in der Schweiz, versuche ich bei einer Regatta an der Vorschot seines Starbootes nichts falsch zu N 299 machen. Arbeite ich gut, bemerkt er mich kaum, bin ich schlecht, knurrt er mich an. ● Klaus Beerli, der mit seinen einfühlsamen Karikaturen für Schmunzeln sorgt. Er bereicherte damit auch meine Berichte in den Mitteilungen des Yacht Club Schaffhausen. ● Manfred Müller, dem stellvertretenden Verlagsleiter, der darüber wacht, dass die Kasse der T.O.P. Books GmbH nicht ins Schleudern kommt. ● Claudia Mascherin, der aufgestellten und sympathischen Chefin des Verlags-Sekretariates. Kompetent sorgt sie dafür, dass unsere Bücher in die richtigen Hände gelangen. ● Thöme Oberholzer, Wilberg, der sich freut, dass unser Buch gleich heisst, wie seine Yacht an der Adria. ● Meinen Crewmitgliedern, die mich ein Stück des Weges begleiteten: Markus Zeberli aus Opfershofen, Anette Keller aus Muri, Peter «Hagi» Hagmann aus Stein am Rhein, Christoph Wisse, Marcelle Wijnnand und Marc Kerstel aus Holland, Peter Kägi aus Turbenthal, Susi «Wong» Koller aus Zürich, Stefan Beerli aus Rheinau, Caroline Nuc und Pierre Fricker aus Eschenz, Ruth Langlo aus Norwegen, Richard, le «Français spécial», Urs von Schroeder aus Schaffhausen und Sanne de Boer aus Holland. Ein Buch zu realisieren, hat viele Facetten. Es ist spannend, macht Spass, bedeutet aber auch viel Knochenarbeit. Dadurch haben sich Freundschaften vertieft. Alle Beteiligten sind sich menschlich näher gekommen. Herzlichen Dank für diese bereichernde Erfahrung. Hasta Luego! 300 305 Die Hasta Mañana Knud Olsen Design: Engholm 40 S D -1 Eignerkoje Pantry Salon WC/Dusche Gästekoje Ankerkette Stauraum Steuerbordkoje Navigation 306 Darwin Ambon Race Monohull results as at Juli 30, 1998. 6:14 pm DIVISION YACHT NAME MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL MONOHULL ZANZIBAR SHEY COWRIE.DANCER KARAKA III BREAKAWAY SWEET CAROLINE TRUANT II JENZMINC CAPRICORN III BOUTONNIERE MULLOKA III INFINITY II RIOT II WIND SPIRIT JASMIN MILLENNIUM ARTEMIS I ASHMORE GEMINI CONTENDER SEA FEVER OVERPROOF OF CEDUNA EVANNA EYE OF THE WIND HARMONY V BLUE SWIFT BUCCANEER IV BALLADIER ZEPHYR II FARR STAR DOLITA RETIRED ELAPSED TIME RETIRED RETIRED RETIRED RETIRED 77.1517 84.6481 72.4383 91.4964 82.2342 77.4278 99.3061 97.9308 100.5131 82.2253 84.6575 84.2114 107.4286 91.8608 97.9403 73.0578 107.4181 92.9442 98.3264 113.4867 91.5261 99.9256 108.3914 92.5661 111.9239 126.0253 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 HCP 0.7824 0.7578 0.8857 0.7083 0.7944 0.8602 0.6714 0.6903 0.6843 0.8448 0.8286 0.8377 0.6631 0.7912 0.7527 1.0133 0.6932 0.8034 0.7676 0.6710 0.8467 0.7839 0.7340 0.8600 0.7171 0.7174 0.6400 0.7168 0.7514 0.6567 CORRECTED TIME 60.3635 64.1463 64.1586 64.8069 65.3268 66.6034 66.6741 67.6016 68.7811 69.1639 70.1472 70.5439 71.2359 72.6803 73.7197 74.0295 74.4622 74.6714 75.4753 76.1496 77.4951 78.3317 79.5593 79.6068 80.2606 90.4106 0.0000 Darwin Ambon Race Multihull results as at Juli 30, 1998. 6:17 pm MULTIHULL MULTIHULL MULTIHULL MULTIHULL MULTIHULL MULTIHULL ZUMA THE BOSS AOWN THIS WAY UP LEE LENA JUDITH ANN DNF RETIRED 53.4992 73.3261 70.3072 84.3528 0.0000 0.0000 1.0500 0.8155 0.8665 0.7545 0.7448 0.7310 56.1742 59.7974 60.9212 63.6442 0.0000 0.0000 Darwin Ambon Race Rally results as at Juli 30, 1998. 6:18 pm RALLY RALLY RALLY RALLY RALLY RALLY RALLY RALLY RALLY RALLY RALLY RALLY RALLY RALLY MYVANWY TIME KARMINDA II SIRIUS ENTERPRISE OF ST HELIER BILLAROO ZEELANDER HASTA MAÑANA CARIAD CHRISTOBEL OF HAMBLE TRADITION SEA WOLF IDLEWISE QUITA RETIRED 109.5674 105.3253 101.3939 97.0275 77.7272 84.0643 100.8563 100.6067 91.7474 114.0175 98.8269 96.5475 113.7650 102.1344 0.5746 0.6190 0.6463 0.6760 0.8584 0.8133 0.7158 0.7182 0.7877 0.6375 0.7417 0.8097 1.0000 0.6655 62.9574 65.1964 65.5309 65.5906 66.7210 68.3695 72.1929 72.2557 72.2694 72.6862 73.2999 78.1745 113.7650 67.9704 307 Einige nautische Erl ute - abfallen: vom Winde wegdrehen Crew: Besatzung achtern: hinten Dingi (Dinghy): kleines Beiboot Achterstag: hintere Mastabstützung Dünung: nach einem Sturm entstehende Welle Ankerwinsch: Winde zum Hochholen oder Fallenlassen des Ankers Ebbe: infolge Gezeiten sinkender Wasserstand anluven: höher an den Wind gehen Etmal: Strecke, die das Schiff von Mittag bis zum nächsten Mittag zurücklegt anschlagen: Segel an Spiere oder Stag befestigen ausbaumen: die Fock oder Genua mit einem Fockbaum setzen Autopilot: elektronische (analoge oder digitale) Steuerhilfe Fall: Leine zum Setzen und Bergen eines Segels Fender: Schutzpolster beim Anlegen am Steg Flaute: Windstille Backbord: linke Seite des Schiffes in der Fahrtrichtung Flut: infolge Gezeiten steigender Wasserstand Backstag: flexible Abstützung des Mastes nach hinten Fock: kleines Vorsegel Foot/Fuss: 30,48 cm Baumniederholer: Flaschenzug, um den Grossbaum niederzuhalten Genset: kleiner Diesel-Generator zur Stromerzeugung und zum Batterieladen an Bord Beaufort: Skala von 1 bis 12 zum Bestimmen der Windgeschwindigkeit Genua: grosses Vorsegel belegen: Boot an einem Steg anbinden bergen: Segel herunternehmen Bilge: tiefster Raum im Schiff Böe: plötzlicher Windstoss Boje: Festmacher Bug: vorderer Teil eines Schiffes 308 GPS: Global Positioning System. Satelliten-gestütztes Navigationsinstrument Grossbaum: die untere Spiere am Grosssegel Grossfall: Leinen zum Hissen des Grosssegels Grossschott: Leine, um über einen Flaschenzug das Grosssegel dichtzunehmen halsen: mit dem Heck durch den Wind gehen Heck: hinterer Teil des Schiffes Schott: Leinen, um die Segel zu führen Sextant: Winkelmessinstrument zur Astronavigation Jolle: kleines Segelboot mit Mittelschwert Sloop: einmastige Yacht Kajüte: Bootskabine Spiegel: Heck des Bootes Katamaran: Doppelrumpfboot Spiere: Holz- oder Aluminiumbaum Knoten/Knots: Wind- und Schiffgeschwindigkeit – 1,852 Kilometer pro Stunde Spinnaker: leichtes Ballon-Vorsegel Koje: Schlafplatz an Bord SSB: Sprechfunkgerät für lange Distanzen kreuzen: gegen den Wind zickzacken Stag: Drahtseil Lee: vom Wind abgekehrte Seite Steuerbord: rechte Seite des Schiffes in der Fahrtrichtung Leine: Tau oder Ähnliches, um Schiff festzubinden Talje: Flaschenzug mit Rollen Liek: verstärkte Seite des Segels Törn: Segelreise Log: Instrument, das die Fahrt des Bootes anzeigt trimmen: das Segel so einstellen, dass es den Wind bestmöglichst ausnutzt Luk: verschliessbare Öffnung im Deck Mooring: Festmacherboje in einem Hafen Nautische Meile: 1852 m Niedergang: Treppe vom Cockpit in die Kabine Pantry: Küche an Bord Patenthalse: unbeabsichtigtes Halsen reffen: Segelfläche verkleinern Reling: «Geländer» am Boot Rigg: Takelage Saling: am Mast querschiffs angebrachte Stützen. VHF: Sprechfunkgerät für kurze Distanzen Vorstag: vordere Mastabstützung Wanten: seitliche Mastabstützung wenden: mit dem Bug durch den Wind gehen Wetterfax: Via SSB und Faxprogramm kann eine Wetterkarte auf dem Laptop empfangen und dargestellt werden. Winsch: Winde mit waagrechter oder senkrechter Achse Windfahnensteuerung: Mit der Kraft des Windes wird das Boot via Ruder automatisch gesteuert. 309 Notebook 310 Notebook 311 Notebook 312 Notebook 313 Notebook 314 Notebook 315 Notebook 316 Notebook 317 Notebook 318 Notebook 319 Haben Sie W nsche oder Anregungen an den Verlag? M chten Sie Otti Schmid kennenlernen? Noch mehr B cher bestellen? Hier ›unsere ›Anschriften: T.O.P. Books GmbH Rosenfluh Publikationen Schaffhauserstrasse 13 CH-8212 Neuhausen/Rheinfall Tel. ++41-(0)52-675 50 60 Fax ++41-(0)52-675 50 61 E-Mails Rosenfluh: [email protected] E-Mail Otti Schmid: [email protected] Internet: www.hastabananas.ch 320