Predigtreihe über die 10 Gebote zum Thema: Die zehn grossen

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Predigtreihe über die 10 Gebote zum Thema: Die zehn grossen
Predigtreihe über die 10 Gebote zum Thema:
Die zehn grossen Freiheiten – Gottes Gebote in unserer Zeit
Predigt über das 1. Gebot, 2. Mose 20,1-3: „Von Gott, der uns sagt, wer er ist“
(Du sollst keine anderen Götter neben mir haben);
gehalten in Mundart von Pfr. Peter Lehner in den Quartiergottesdiensten im Gschwader und in Nänikon am 5. und 6.1.08
Liebe Gemeinde
„Kennt ihr die 10 Gebote?“ Wenn man diese Frage im Konfirmandenunterricht stellt,
dann tönt es spontan: Du sollst nicht stehlen, du sollst nicht töten usw., also das, was
der Mensch tun soll oder nicht tun soll. Aber den ersten Teil, die ersten Gebote und
die Einführung dazu, sozusagen das Eingangstor, die Gottesvorstellung, das hat keiner im Kopf. Da heisst es nämlich: „Und Gott redete alle diese Worte und sprach:
2 Ich bin der Herr, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus einem Sklavenhaus. 3 Du sollst keine anderen Götter haben neben
mir.“
Damit stehen wir auf unserem Weg der Auslegung der Gebote schon an einem entscheidenden Punkt! Bevor wir in den eigentlichen Raum der Gebote eintreten können, müssen wir sozusagen durch eine Eingangstüre schreiten. „Ich bin der Herr,
dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus einem Sklavenhaus.“ Das ist so etwas wie die Inschrift über dem Türbogen. Denn ohne diese
Einleitung, ohne diese Präambel, würden wir die Gebote falsch verstehen und wir
könnten sie nicht positiv wahrnehmen.
Warum? Sie haben gemerkt, dass dieser Einleitungssatz kein Gebot ist. Schon
darum ist es für jüdische Ausleger unmöglich von „Zehn Geboten“ zu reden. Die Juden reden grundsätzlich nur von den Zehn Worten. Dass sie als „Gebote“ bezeichnet
werden ist eine christliche Erfindung.
Es geht bei den Zehn Geboten gar nicht um ein Gesetzeswerk. Es geht nicht darum,
dass es da irgendwo einen Gott gibt, der rigoros auf Paragraphen reitet. Sondern es
geht bei den Zehn Geboten zunächst um eine Liebesgeschichte! Die Zehn Gebote
sind nur zu begreifen im Rahmen einer Beziehungsgeschichte, einer Liebesgeschichte, die Gott mit seinem Volk, mit seinen Leuten hat.
Bevor nun Gott sagt, wie diese Beziehung gelebt werden kann, stellt er sich mit Namen vor: „Ich bin Jahwe, dein Gott.“ Mit diesem grossen ICH BIN stellt sich Gott
vor als der persönliche Gott. Er ist nicht eine unpersönliche Macht, nicht ein ES. Gott
ist Person. Und so hat er sich schon Mose (2. Mose 3,1-15) vor dem brennenden
Dornbusch vorgestellt. „Ich bin Jahwe, dein Gott“ und das heisst: „Ich bin der Seiende“ oder anders übersetzt: ‚ich bin da, wo du bist’. Jahwe – diesen Namen übersetzen die Juden mit „Quelle ewig fortdauernden Lebens“.
Die Zehn Gebote beginnen also nicht damit, dass wir rigoros aufgefordert werden
etwas zu tun, sondern Gott stellt sich zuerst vor. Ich bin der Gott, dessen ganze Leidenschaft darin besteht, mit dir zusammen zu sein. Gott hält – wie ein guter Vater –
die Arme und die Hände ausgebreitet, um mich aufzufangen, damit ich nicht ins Bodenlose versinke. Ich bin dein Gott.
Die Zehn Gebote beginnen also damit, dass Gott an seine Liebe zu den Menschen
erinnert, ja, dass er diese Liebe den Menschen neu zusagt: Meine Liebe zu euch gilt,
so wie in der Vergangenheit, auch heute und morgen. „Ich bin der Herr, dein Gott.“
Und wir müssen da genau hinsehen: Diese Liebeserklärung ist nicht nur eine Absichtserklärung, enthält keine hohlen Worte, sondern im Gegenteil, es ist etwas, das
schon längst gelebt wird.
Und darum erinnert Gott sein Volk an die Geschichte und sagt: „Ich bin der Herr, dein
Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus einem Sklavenhaus.“
Ich habe doch euer Schreien in Ägypten gehört. Ich habe wegen euch den Pharao
gedemütigt, der doch der mächtigste Mann der Erde war. Ich habe euch durch das
Meer geführt. Ich habe euch in der Wüste ernährt. Ich habe euer chronisches Misstrauen, euer ständiges Gemecker ertragen, euch immer wieder vergeben. Ich bin
euch bis heute treu geblieben, und ich bleibe treu. Ich bin dieser Herr, dein Gott, euer
Gott, der Gott, der für euch ist und der euch liebt.
D.h. es geht hier um eine konkrete Geschichte, die Gott mit seinem Volk schon
längst hat und in der die Menschen schon hundertfach erlebt haben: Auf diesen Gott
können wir uns völlig verlassen. ‚Ich bin der Herr, euer Gott, der euch das Leben
gönnt.’
Jetzt könnte man natürlich einwenden: Schön und gut, aber wir waren ja nicht in
Ägypten. Sind die Gebote nicht etwas, was damals galt, aber mit uns gar nichts zu
tun hat?
Im Neuen Testament wird das ausgeweitet. Bei Jesu Geburt heisst es: Du sollst den
Beinamen Immanuel (Matth. 1,23) tragen, was heisst: ‚Gott ist mit uns.’ Das, was
Israel hier erlebt, ist ein Beispiel für das, was durch Jesus zu allen Menschen kommt.
In Jesu Leben, in seinem Leiden und Sterben und in seiner Auferstehung zeigt Gott
sich einmalig; er zeigt, wie er ist, und wie er es meint und demonstriert aller Welt: Ich
bin dein Gott, der für euch ist.
Paulus schreibt den Christen in Rom: „Gott ist für uns, und wer kann dann noch gegen uns sein?“ (Römer 8, 31ff.). Was Israel im AT von Gott gesagt bekommt, gilt
durch Jesus jedem Menschen: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich in Jesus aus den
Klauen des Todes befreit, der dir die Schuld vergibt und dich liebt. Die Macht der
Gottlosigkeit ist durchbrochen, und du kannst lernen, mit mir im Vertrauen zu leben.
Ich hoffe Sie spüren, dass die Zehn Gebote kein Granitblock sind, der von oben heruntergefallen ist, und die einen ‚Kadavergehorsam’ fordern. Diese Zehn Gebote sind
aus einer Liebesgeschichte heraus entstanden, daraus, dass Gott seinen Menschen
Freiheit schenkt, Leben ermöglicht. Und dieses kostbare Leben, diese kostbare Freiheit, die will Gott jetzt bewahren, ja sogar mehren. Wenn man es einfach ausdrücken
will, könnte man sagen: Die Zehn Gebote wollen das beseitigen, was uns kaputtmacht. Sie wollen das zerstören, was uns zerstört.
Die Israeliten haben sich ja gesagt: Unsere Vergangenheit, die Sklaverei, Ägypten
sind wir los – aber was machen wir jetzt? Wie gestalten wir diese Freiheit, wie können wir sie bewahren, sie schützen? Christen sagen: Ich habe bei Jesus die Freiheit
entdeckt, Freiheit vom Tod, von Schuld und von belastender Vergangenheit, aber
wie gestalte ich das, wie wird das blühen, wie wird das lebendig, erlebbar?
Hier hinein sagt Gott: Ich bin für dich, ich bin dein Gott, ich habe dir Leben und Freiheit gegönnt, und nun geht es darum, dass das eben aufblühen kann und nicht kaputt gemacht wird. DARUM „wirst du keine anderen Götter neben mir haben!“
Wir sind uns gewohnt zu sagen „du sollst nicht.“ Die hebräische Verneinung, die im
Urtext gebraucht wird, müsste richtigerweise mit „Du wirst...“ übersetzt werden. Damit
ist die klare Erwartung ausgesprochen, dass etwas nicht getan werde. Gleichzeitig
wird damit ausgedrückt, dass die Gebote keine Last auferlegen wollen, sondern die
selbstverständlichen Verhaltensweisen umschreiben, die aufgrund der neuen Lebenssituation eigentlich selbstverständlich sind. Dietrich Bonhoeffer hat es so formuliert: „Das Gebot Gottes ist die Erlaubnis als Mensch vor Gott zu leben.“ Wenn ein
Mensch entschlossen ist, mit Gott zu leben, dann ergeben sich daraus selbstverständliche Verhaltensweisen. Es ist wohl auch so, wenn zwei Menschen sich kennen
und lieben lernen – sie passen sich einander an, sie ändern, mindestens teilweise,
ihre angewohnte Handlungsweise.
Ich darf Mensch sein und kann Gott Gott sein lassen. Denn das ist ja die Alternative,
wenn ich Gott nicht Gott sein lasse, dann mache ich den Menschen zum Gott. Entweder mache ich mich selber zu einem Gott oder andere Menschen und setze mein
Vertrauen auf Dinge, die doch nicht helfen können. ‚Du wirst keine anderen Götter
neben mir haben.’
D. h. also: Dieser Gott, der ganz für uns da ist, der alles für uns hingibt – ER erwartet
auf Grund seiner vorbehaltlosen Liebe, auf Grund seines ganzen Ja zu uns, unser Ja
zu ihm: Ich bin ganz, hundertprozentig verlässlich, immer für euch da; darum seid
doch auch für mich da. Nicht Gott und…, auch nicht neben Gott noch etwas anderes, aber auch nicht alles ohne Gott! ‚Habe keine anderen Götter neben mir.’
Jetzt kann man sich natürlich fragen: Was bedeutet das ‚andere Götter haben’?
Martin Luther erklärt das so: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“
Was gibt Ihnen/dir letzte Lebensorientierung? Man könnte auch fragen: Wer oder
was ist mir heilig? Auf wen vertraue ich mit ganzem Herzen? Das sind entscheidende
Fragen.
Für die Israeliten war das klar. Sie hatten in der Nachbarschaft Völker, die die Sonne
verehrten, den Mond, die Sterne. Sie hatten Nachbarn, die schnitzten Holzfiguren
oder gossen irgendwelche Götzenbilder und beteten sie an. Es gab Völker, die Erfolg
und Fruchtbarkeit verehrten. – Woran hängt unser Herz? Vielleicht an Karriere, Geld,
Horoskop oder Aktienpaketen? Die deutsche Geschichte z.B. hat gezeigt, was passiert, wenn Menschen sich zu Göttern erheben, zu ‚Führern’ machen und andere
ihnen folgen.
Wer oder was ist dein Gott? Und die Frage ist auch, was kommt dabei heraus, wenn
wir nicht diesen lebendigen Gott an erste Stelle setzen, sondern etwas anderes,
Dinge oder Menschen anbeten? Wenn wir etwas anderes als diesen lebendigen Gott
anbeten, dann fordert dieser andere Gott Opfer, nimmt in Beschlag, macht süchtig,
nimmt gefangen.
Dietrich Bonhoeffer sagt: „Unter Gott hat alles Platz, neben Gott nichts.“ Unter Gott
hat alles Platz, klar – Geld, Karriere, andere Menschen, alle haben unter Gott Platz!
Das ist nichts Schlechtes, aber nicht neben Gott oder über Gott! Unter Gott hat alles
Platz, neben Gott nichts. D.h. dieses erste Gebot zeigt, wenn es um Liebe geht, um
eine herzliche, innige Beziehung, dann gibt es auch nur einen Gott.
Und hier entdecken wir, dass die Zehn Gebote so etwas wie ein Spiegel sind. Sie
spiegeln uns nämlich wider, wo wir Gefahr laufen unsere Freiheit, unser Leben zu
verlieren. So hat Martin Luther einmal gesagt, man solle sein Leben so führen, dass
man täglich Busse tut, und zwar in dem Sinne, dass wir uns immer neu Gott zuwenden, uns täglich in einem Spiegel betrachten um zu sehen, wo ich mich wieder neu
zu Gott hin orientieren muss!
Also, weil Gott uns über alles liebt, sollen wir sein grosses Ja mit unserem Ja beantworten und ihn, so sagt es Luther, „über alles lieben, fürchten und vertrauen“.
‚Fürchten’ meint hier Ehrfurcht, Achtung, Respekt, nicht Angst. Oder wie Jesus selber
sagt: „Liebe Gott von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deiner Kraft“
(Matth. 22,37).
Es ist für uns nicht gleichgültig, wen wir anbeten: Gott, der uns mit Leben beschenkt,
der uns liebt, der in seiner Treue für alle Zeiten zu uns steht – oder etwas anderes,
das auf Dauer nicht tragen, nicht helfen, nicht retten kann, und das die Freiheit nimmt
und Leben zerstört.
Darum sind wir eingeladen, diese Selbst-Vorstellung Gottes noch einmal zu hören –
wie Gott sich zeigt, und wie er sein deutliches JA zu Ihnen und zu mir sagt: Ich bin
der Herr, Jahwe, ich bin da wo du bist. Ich bin dein Gott, ich bin der Gott, der für dich
ist. Und ich habe dich befreit, ich habe dir Leben geschenkt in Jesus Christus, ich
habe dich lieb. Darum antworte mir doch mit deiner Liebe, mit deiner Treue, damit
das Leben, das ich dir geschenkt habe, die Freiheit, die ich dir gönne, damit die nicht
von anderen oder von dir selbst kaputt gemacht wird. Deshalb „wirst du keine anderen Götter haben neben mir“, deshalb.