Bericht des Expertenbeirats, Langfassung
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Bericht des Expertenbeirats, Langfassung
ÖSTERREICH-TOURISMUS – Zurück zum Wachstumskurs Chancen und Herausforderungen Bericht des Expertenbeirats "Tourismusstrategie" Martin Lohmann, Hansruedi Müller, Harald Pechlaner, Egon Smeral (Koordination), Karl Wöber Wien, März 2011 Inhaltsverzeichnis Executive Summary 1. Einleitung 10 2 Zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten im internationalen und österreichischen Tourismus bis 2015 12 3 2.1 Makroökonomische Rahmenbedingungen 12 2.2 Mögliche Wachstumspfade für den österreichischen Tourismus 15 Zukunftsaufgaben für die Tourismuspolitik 19 3.1 Tourismuspolitische Herausforderungen 19 3.2 Mögliche strategische Ansätze und deren Umsetzung 20 3.2.1 Aufwertung des Angebots 20 3.2.2 Identifikation neuer Märkte 22 3.2.2.1 Internationalisierung und Wachstumsorientierung 22 3.2.2.2 Zukunftsmarkt Kurzreisen 23 3.2.2.3 Sozio-demografische Entwicklungstendenzen 24 3.2.2.4 Anpassung an neue Lebensstile in Arbeit und Freizeit 25 3.2.2.5 Trends im touristischen Nachfrageverhalten 27 3.2.3 Anpassung der Markt-, Organisations- und Vertriebsstrukturen 29 3.2.3.1 Bildung von Destinationen und Netzwerkallianzen 29 3.2.3.2 Informations- und Kommunikationstechnologie: Suchmaschinenoptimierung bringt Wettbewerbsvorteile 33 3.2.4 Verstärkte Qualitätsorientierung, Differenzierung und Positionierung 37 3.2.4.1 Begründung einer zunehmenden Qualitätsorientierung 37 3.2.4.2 Dimensionen einer umfassenden Qualitätsorientierung 37 3.2.4.3 Qualitätsanforderungen an die gesamte Dienstleistungskette 39 3.2.4.4 Qualität als Voraussetzung für erhöhte Markt- und Positionierungschancen 40 3.2.4.5 Inhalt und Instrumente einer umfassenden Qualitätsstrategie 40 3.2.5 Koordinierte und fokussierte Tourismuspolitik Literaturhinweise Mitglieder des Expertenbeirates I 42 Abbildungen Abbildung 1: Österreichs Marktanteil am internationalen Tourismus Abbildung 2: Entwicklung der realen Tourismusexporte Österreichs seit 1995 und mögliches Wachstumspotenzial 2010 bis 2015 Abbildung 3: Qualitätsdimensionen im Tourismus Abbildung 4: Dienstleistungskette einer touristischen Destination Abbildung 5: Entwurf eines möglichen "Qualitätshauses Tourismus Österreich" 13 17 39 40 42 Übersichten Übersicht 1: Wirtschaftswachstum nach Ländergruppen Übersicht 2: Entwicklungsmöglichkeiten des österreichischen Tourismus bis 2015 II 14 17 Executive Summary Makroökonomische Rahmenbedingungen Die Weltwirtschaft rutschte 2008/2009 durch die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise in eine schwere Rezession, die kräftigste seit dem 2. Weltkrieg. Der deutliche Einbruch im Außenhandel und in der Industrieproduktion, die rasch steigende Arbeitslosigkeit sowie das schwindende Konsumentenvertrauen in den wichtigen touristischen Herkunftsmärkten wirkten sich negativ auf die internationale Tourismuswirtschaft aus. Auch der Österreich-Tourismus konnte sich den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht entziehen und musste 2009 empfindliche Einbußen hinnehmen: So sanken die realen Einnahmen aus dem internationalen Reiseverkehr im Jahr 2009 um 7,9% und die realen Einnahmen im Binnenreiseverkehr um 0,9%. Insgesamt gingen die realen Einnahmen damit um 6,0% zurück, 2010 dürften diese in etwa stagnieren. Die Belebung der Weltwirtschaft – auch stark beeinflusst durch die Dynamik der Schwellenländer in Asien und Südamerika – hatte positive Auswirkungen auf den Welttourismus, der sich 2010 deutlich erholte. Mit Ausnahme von Europa konnten in jeder Weltregion mehr oder weniger kräftige touristische Zuwachsraten verzeichnet werden. Real – nach Ausschaltung der Preis- und Wechselkursverschiebungen – stagnierten 2010 in Europa und auch in Österreich die Einnahmen aus dem internationalen Reiseverkehr in etwa. In Bezug auf die EU-15 konnte Österreich – gemessen an den europäischen Tourismusexporten – 2010 seine Marktanteile knapp halten, nachdem diese im Rezessionsjahr 2009 leicht angehoben werden konnten. Gegenwärtig liegt der österreichische Marktanteil (gemessen an der EU-15) mit 6,4% um 1 Prozentpunkt über seinem Tiefpunkt im Jahr 2000. Das mittelfristige Wachstumspotenzial der Tourismusnachfrage von Wirtschaftsräumen oder einzelnen Quellmärkten hängt auf Basis der Ausgaben für Auslands- und Inlandsreisen (Tourismusimporte, Binnenreiseverkehr) entscheidend von den möglichen gesamtwirtschaftlichen Zuwachsraten ab. Die meisten gesamtwirtschaftlichen Prognosen gehen davon aus, dass die Unsicherheit über die Bewältigung der Zinsen- und Schuldenkrise in verschiedenen Euro-Ländern noch einige Zeit bestehen bleiben wird. Weitere Unsicherheitsfaktoren bilden neben der Rohstoffverteuerung die erheblichen Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen den USA und China oder zwischen Nord- und Südeuropa. Triebfedern der mittelfristigen weltwirtschaftlichen Entwicklung sind die Schwellenländer in Asien und Lateinamerika. Die Industrieländer bleiben im Wachstum deutlich hinter diesen Ländern zurück, wobei die 6 neuen EU-Länder (Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei), die USA und Großbritannien überdurchschnittlich wachsen. Der gesamte Euro-Raum bleibt deutlich hinter den USA zurück. Innerhalb des Euro-Raums verzeichnen Österreich, Deutschland und Frankreich die relativ stärksten Wachstumsraten. Die wirtschaftlichen Konsequenzen der dramatischen Unglücksfälle in Japan lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht absehen. Wahrscheinlich ist, dass die Industrieproduktion und der Außenhandel deutlich einbrechen werden und Rückgänge im privaten Konsum zu erwarten sind. Zumindest kurzfristig erscheint damit ein deutlicher Rückgang der Wirtschaftsleistung unvermeidbar zu sein. Der Wiederaufbau und die Beseitigung der Schäden dürften jedoch über eine längere 1 Periode betrachtet zu wirtschaftlichen Impulsen führen und damit eine Belebung der japanischen Wirtschaft bewirken. Mögliche Wachstumspfade für den österreichischen Tourismus Basis für die Prognose des Wachstums der Tourismusmärkte für Auslandsreisen – verstanden als mittelfristiges Wachstum der realen Tourismusimporte der wichtigen Quellmärkte – ist hier die gesamtwirtschaftliche Einkommensentwicklung (reales BIP), die entscheidend die Tourismusnachfrage bestimmt. Der Einfluss der relativen Preise in einheitlicher Währung wird hier mittelfristig als konstant angenommen. Die möglichen Auswirkungen von veränderten Transport- und Energiekosten, Terror- und Kriegsgefahren, Naturkatastrophen oder der globalen Erwärmung werden bei der Prognose nicht berücksichtigt bzw. als nicht vorhersagbare exogene Einflüsse angesehen. Unter den angeführten Bedingungen kann die Entwicklung der realen Tourismusnachfrage weitgehend vom prognostizierten Wirtschaftswachstum abgeleitet werden, wobei die Annahme über die implizite Größenordnung der Elastizität der Tourismusnachfrage in Bezug auf das BIP (= Einkommenselastizität der Tourismusnachfrage) eine wichtige Rolle spielt. Im Zentrum der Untersuchung steht die Nachfrage nach Auslandsreisen (reale Tourismusimporte) der 37 erfassten Quellmärkte 1. Die ermittelten Tourismusimporte bilden dann eine Basis zur Ableitung der möglichen realen Einnahmen Österreichs aus dem internationalen Reiseverkehr (Tourismusexporte). Auf Basis des Prognosemodells und der Prognoseannahmen für die gesamtwirtschaftliche Einkommensentwicklung lassen sich Wachstumsraten für die realen Tourismusimporte der erfassten 37 Quellmärkte ableiten (= Nachfrage nach Auslandsreisen je Herkunftsmarkt, bereinigt um Preis- und Wechselkursverschiebungen). Demnach ergibt sich für den Zeitraum 2010/2015 eine Steigerungsrate der realen Importnachfrage der EU-15 von etwa +2¾% pro Jahr. Auf Basis der internationalen Wachstumsdynamik erscheint in Bezug auf die Entwicklung des internationalen Reiseverkehrs in Österreich zumindest eine durchschnittliche jährliche Expansion der realen Tourismusexporte von rund 2% pro Jahr bis 2015 möglich 2, vorausgesetzt die Marktanteile in den erfassten Ländern können auf Grund von Qualitätsverbesserungen nicht erhöht werden und die Herkunftsstruktur bleibt unverändert. Gemessen an dieser Basiswachstumsrate bleibt damit Österreichs internationaler Reiseverkehr hinter den in der EU-15 gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten zurück. Im globalen Vergleich (reales Exportwachstum etwa 5%-6% p. a.) fallen die strukturbedingten hypothetischen Wachstumsverluste noch stärker aus. Die hypothetischen Wachstumsverluste auf Basis der zuvor angestellten Berechnungen kommen im Wesentlichen dadurch zustande, dass Österreich vorwiegend auf langsam wachsende Märkte wie Deutschland (trotz verbesserter Wachstumsaussichten), Niederlande, die Schweiz und Italien konzentriert ist. Die Übernachtungen der vier Märkte erreichen insgesamt rund drei Viertel der Übernachtungen ausländischer Gäste in Österreich und verzeichnen ein deutlich unterdurchschnittliches Entwicklungspotenzial. Eine Analyse der Herkunftsstruktur im internationalen Reiseverkehr und der potenziellen Entwicklungsmöglichkeiten zeigt klar, dass eine stärkere Forcierung der Märkte in den neuen EU-Mitglieds1) Folgende Länder wurden erfasst: EU-27, Australien, Brasilien, China, Indien, Kanada, Norwegen, Russland, Schweiz, Türkei, USA. 2) Bei konstanten länderspezifischen Marktanteilen sind die Steigerungsraten von Exporten und Importen identisch. 2 länder und den BRIC-Ländern das Wachstum der österreichischen Tourismusexporte spürbar erhöhen könnte. In diesem Zusammenhang erscheint realisierbar, dass die realen Einnahmen Österreichs im internationalen Tourismus um zusätzlich bis zu etwa ¾ Prozentpunkte pro Jahr expandieren könnten, wenn der Nächtigungsanteil der BRIC-Länder und der 12 neuen EU-Mitgliedsländer auf insgesamt ein Fünftel steigen würde. Bei einer wachstumsorientierten Tourismuspolitik bzw. einer zügigen Internationalisierung ist es somit möglich, die Basiswachstumsrate der realen österreichischen Tourismusexporte von +2% p. a. um bis zu ¾ Prozentpunkte pro Jahr auf +2¾% p. a. anzuheben. Weiters kann erwartet werden, dass zusätzlich Verbesserungen in der relativen Angebotsqualität angestrebt werden, so dass dadurch das Exportwachstum auf insgesamt etwa +3% p. a. gesteigert werden könnte. In Bezug auf die Einschätzung der zukünftigen Entwicklung des Binnenreiseverkehrs muss angesichts des hohen Niveaus und des hohen Sättigungsgrades davon ausgegangen werden, dass für die Periode 2010/2015 günstigstenfalls die Trendwachstumsrate der Vergangenheit erreicht werden kann. Diese liegt für die realen Ausgaben bei etwa +1% pro Jahr. Insgesamt betrachtet, ergibt sich daraus ein Entwicklungspotenzial für den österreichischen Gesamtreiseverkehr von real rund +2½% pro Jahr, das Gelingen qualitativ bedingter Marktanteilsgewinne auf den Auslandsmärkten und einer Internationalisierung im oben diskutierten Ausmaß wird jedoch vorausgesetzt. Werden hingegen keine Fortschritte bei der Internationalisierung und keine weiteren qualitativ bedingten Marktanteilsgewinne erzielt, so ist im Zeitraum 2010/2015 nur ein Wachstum der realen Umsätze von 1¾% im Bereich des Möglichen. Entwicklungsmöglichkeiten des österreichischen Tourismus bis 2015 Tourismusexporte Binnenreiseverkehr Gesamtreiseverkehr Ø Jährliche Veränderung 2010/2015 in %, real Keine weitere Internationalisierung und qualitativ bedingten Marktanteilsgewinne +2,0 +1,0 +1,8 Erfolgreiche Internationalisierung und qualitativ bedingte Marktanteilsgewinne +3,0 +1,0 +2,5 Q: Prognose und eigene Berechnungen. Für die Nächtigungsentwicklung kann davon ausgegangen werden, dass leichte mengenmäßige Niveauanhebungen möglich sind. Anders ausgedrückt lässt sich auf Basis des oben skizzierten Wachstumskorridors eine Steigerung der Zahl der Übernachtungen von höchstens 1% bis 2% pro Jahr ableiten. D. h. die Nächtigungen könnten von gegenwärtig 124,8 Mio. (2010) auf rund 131 Mio. bzw. höchstens 138 Mio. im Jahr 2015 ansteigen. Zukunftsaufgaben für die Tourismuspolitik Im Hinblick auf die Nutzung der zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten im österreichischen Tourismus sind geeignete Maßnahmen zur Absicherung bzw. Verbesserung der touristischen Position zu setzen. Mit anderen Worten sollte es ein Hauptziel der Tourismuspolitik sein, den gegenwärtigen Marktanteil Österreichs im internationalen europäischen Tourismus von 6,4% (gemessen an den Tourismusexporten der EU-15) nicht nur zu halten, sondern auch weiter auszubauen sowie das Aufkommen aus dem Binnenreiseverkehr zu optimieren. 3 Des Handlungsbedarfs bewusst, wurde im Rahmen einer Tourismusenquete des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ) im Februar 2010 für die Formulierung "Neuer Wege im Tourismus" ein Startschuss gesetzt (BMWFJ, 2010). Mit der vom Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend ins Leben gerufenen (in Zukunft alljährlich stattfindenden) "Tourismuskonferenz" (31. März – 1. April 2011, Linz) erfolgt die Etablierung des Abstimmungsprozesses zwischen den wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern in Bezug auf eine koordinierte tourismuspolitische Vorgangsweise. Mögliche strategische Ansätze und deren Umsetzung Im Hinblick auf die Nutzung der touristischen Entwicklungsmöglichkeiten bieten drei Segmente Erfolgschancen: • Der Kultur- und Städtetourismus, • der Wintersport sowie • erlebnisorientierte Kurzurlaube mit Wellness-Komponenten auf Basis der landschaftlichen Ressourcen wie z. B. Alpen, Flüsse oder Seen. Dabei sind • wachstumsorientiertes Marketing, • die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, • die Optimierung der Auslastung und • die Bildung von regionalen Netzwerkallianzen wichtige Kernstrategien, die durch • die Aufwertung des Angebots, • die Identifikation neuer Märkte, • die Anpassung der Markt-, Organisations- und Vertriebsstrukturen, • die Verstärkung der Qualitätsorientierung, Differenzierung und Positionierung sowie • eine koordinierte und fokussierte Tourismuspolitik umgesetzt werden sollen. Durch das Setzen effektiver Maßnahmen, welche die Hauptdeterminanten der Wettbewerbsfähigkeit einer Tourismusdestination beeinflussen, kann es unter Verfolgung der Kernstrategien gelingen, die österreichische Position zu verbessern. Tourismuspolitische Ansatzpunkte – Ein Katalog Aufwertung des Angebots • Stimulierung der Produktivitätsentwicklung durch Investitionen in das physische Kapital (insbesondere in Betriebsvergrößerungen) und das Humankapital sowie das Verfolgen einer Innovationsstrategie (überbetriebliche Etablierung von Innovationscoaches, Gründung von Innovationszentren, Erstellung von Innovationsdatenbanken, Verleihung von Innovationspreisen, Gründung von Innovationsfonds, mediale Aufbereitung der Ergebnisse der wissenschaftlichen touristischen Innovationsforschung, Errichtung eines Lehrstuhls für Innovationsforschung sowie Schaffung von informativen Netzwerken "Innovation im Tourismus"); 4 • Schaffung saisonunabhängiger Angebote für den Ganzjahrestourismus auf Basis der landschaftlichen Ressourcen (das sind zum Beispiel erlebnisorientierte Produkte mit hohem Erinnerungswert für kürzere Aufenthalte im Bereich des Wellness-, Kultur-, Unterhaltungs-, Event-, Sport- und Veranstaltungstourismus sowie zusätzliche innovative Dienstleistungen für Kongresse sowie für Dienst- und Geschäftsreisen); • Verfolgung einer innovativen Produkt- und Angebotspolitik mit relativ hohen Erlebnis- und Qualitätsstandards – vor allem im Hinblick auf eine erhöhte Nachfrage in der Zwischensaison (internationale Markenveranstaltungen wie z. B. einzigartige Sport- oder Unterhaltungsereignisse, virtuelle Erlebniswelten, moderne Museen, Camps für angewandte und darstellende Kunst); • Setzung von Angebotsschwerpunkten für die europäischen Fernmärkte und die Überseenationen (Entwicklung von wettbewerbsfähigen Produkt-Markt-Kombinationen auf Basis der Empfehlung der Österreich-Werbung); • Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Beherbergungs- und Gaststättenwesen. Identifikation neuer Märkte • Zur Forcierung des touristischen Wachstums und der Nutzung der sich ergebenden Beschäftigungschancen müsste das Tourismusmarketing seine Anstrengungen in Bezug auf die Erschließung von Fernmärkten deutlich erhöhen. Als österreichische Zukunfts- bzw. Wachstumsmärkte können die BRIC-Länder und die neuen EU-Mitgliedsstaaten, aber auch der Nahe und Mittlere Osten, die USA und Australien bezeichnet werden. Die Realisierung relativ hoher Einnahmen- und Nächtigungszuwächse dürfte in den erwähnten Herkunftsmärkten nicht allzu schwer fallen, da die betreffenden Länder mittelfristig über überdurchschnittliche Wachstumschancen verfügen und zusätzlich die Auslandsreiseintensität noch sehr niedrig ist. • Nutzung der Wachstumschancen bei Kurzreisen und Senioren; • Forcierung der Kultur- und Bildungsangebote; • Einstellung auf den konsumerfahrenen, anspruchsvollen und "multi-optionalen" Kunden; generell: Differenzierung ist gefragt; • das Interesse am Thema Gesundheit wächst; • authentische und neue Erlebnisse sind gefragt ("commodified experiences and emotions"); • preisgünstige Angebote (bei entsprechenden Qualitätsstandards) sind erfolgreich; • die Aufmerksamkeit der Kunden zu erringen wird wettbewerbsentscheidend. Anpassung der Markt-, Organisations- und Vertriebsstrukturen Bildung von Destinationen und Netzwerkallianzen • Entwicklung kooperativer Kompetenzen: Dies bedeutet, dass die Akteure einer Destination auf der Netzwerkebene kollektive Kompetenzen schaffen und die Destination somit zu einem im Wettbewerb schwer imitierbaren Kompetenzbündel machen. Entscheidend ist die Beteiligung am Netzwerk, um einen gemeinsamen Ressourcenpool entstehen zu lassen, auf dessen Basis sich kooperative Kernkompetenzen entwickeln. Entsprechende Anreizsysteme sowie Aus- und Weiterbildungsinstitutionen sind von staatlicher Seite zu schaffen. 5 • Implementierung des Destinationsmanagements: Hauptaufgabe dabei ist die Prüfung der Kompatibilität der strategischen Interessen der Akteure mit dem Ziel der Schaffung einer geeigneten Plattform im Wertschöpfungsnetzwerk. Dabei sind diese nicht von administrativpolitischen Grenzen abhängig, sondern vielmehr von kundenspezifischen Anforderungen und Bedürfnissen. • Anstelle von branchen- und sektorspezifischen Sichtweisen müssen zur Sicherstellung der Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit verstärkt prozess- und kundenorientierte Sichtweisen in die tourismuspolitische Diskussion Einzug halten. Dies erfordert eine entsprechende Förderung horizontaler, vertikaler und diagonaler Vernetzungen von Produkten, Dienstleistungen und Angeboten. • In der vernetzten Entwicklung wettbewerbsfähiger Erlebnisse auf Basis von für Zielgruppen verständlichen Prozessen geht es eigentlich zuerst darum, die Erlebnisse gemäß den Marktbedingungen zu definieren, um in einem weiteren Schritt darauf aufbauend die Dienstleistungsketten zu bündeln und dann entsprechende Zugänge und Erreichbarkeiten zu planen. • Erfolgreiche Destinationen sind als "Sinn-Räume" zu konzipieren, in denen der Gast eine Stimmigkeit von Kernkompetenzen und Markenbotschaften vorfindet. Kernthemen, wie Gesundheit/Wellness oder Natur, können dabei eine Brückenfunktion für das Erleben von Sinnräumen erfüllen. Ein Beispiel für eine als "Sinnraum" integrierte Tourismusdestination ist die Erweiterung der Wertschöpfungsketten mit den Leistungen der "creative industries". Eine stärkere Vernetzung der touristischen Angebote mit dem ländlichen Raum im Hinblick auf eine Synergieoptimierung zwischen Tourismus und Landwirtschaft wäre ein weiteres Beispiel ("Leben, arbeiten und genießen im ländlichen Raum"; Kulinarik). • Die Etablierung von erfolgreichen Marken-Systemen auf der Grundlage von Kompetenznetzwerken ermöglicht/erhöht die Wahrnehmung durch die potenziellen Kunden auf den Märkten. Weiters geben Marken-Systeme den Akteuren in den Kommunen und Regionen die Sicherheit, nachhaltige betriebliche Strategien zu verfolgen. Informations- und Kommunikationstechnologie • Die intelligente Bündelung von betrieblichen Leistungen sowie die elektronische Aufbereitung und Vermarktung sind entscheidende Faktoren für den globalen Wettbewerb zwischen den Destinationen, wobei natürlich die entsprechende Buchbarkeit der Angebote (bei optimaler Zahlungssicherheit) von hoher Wichtigkeit ist. Die logische und kreative Kombination von Dienstleistung und Technologie wird damit zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor und bestimmt die Länge der Wertschöpfungskette. • Die Qualität des Internetauftritts und der elektronischen Vernetzung (Kooperationsdichte) sowie die Leichtigkeit der Auffindung beeinflusst im entscheidenden Maß die Marktanteilsentwicklung einer Destination. • Die Nennung der eigenen Website in Suchmaschinen, Maßnahmen zur Verbesserung des Suchmaschinenrankings ("Suchmaschinenoptimierung") sowie bezahltes Suchmaschinenmarketing als ein wichtiger Teil des E-Marketings ist/wird für den wirtschaftlichen Erfolg eines touristischen Betriebes und einer Destination extrem wichtig. Die starke Verteuerung des Suchmaschinenmarketings erfordert dabei zwecks der Realisierung von Kostenersparnissen regionale und/oder nationale Koordinationsmaßnahmen und Absprachen zwischen den Anbietern einer Region. 6 • Um generell und nachhaltig weniger in Suchmaschinen-Marketing investieren zu müssen und allgemein die Online-Präsenz verstärken zu können, sind umfangreiche, online verfügbare Inhalte von großer Bedeutung. Ein systematischer Austausch dieser Inhalte (Betriebe, Destinationen, LTOs, Österreich Werbung) erhält zunehmend an Bedeutung und stiftet Synergien. • Eine mögliche strategische Maßnahme, die von regionalen und nationalen Tourismusverbänden unterstützt werden könnte, wäre die Förderung der Direktmarketingaktivitäten einzelner Betriebe (z. B.: Verbesserungen der technischen Voraussetzungen für Direktbuchungen; gegenwärtig sind nur rund 50% der Betriebe überhaupt buchbar). Um dabei die Auffindbarkeit des Tourismusangebots in Österreich zu verbessern, könnten Tourismusmarketingorganisationen Metabuchungsplattformen einrichten und damit das bestehende Angebot am Markt aggregiert darstellen sowie bereits bestehende Buchungsplattformen optimal für den Nutzer zugänglich machen. • Die zunehmende Notwendigkeit neuer Formen der online Medienanalyse zur Optimierung der Distributionsstrategien und Steigerung der globalen Konkurrenzfähigkeit österreichischer Anbieter ist ein weiterer Impulsgeber für den Tourismus in Österreich. • Das Vorhandensein von Wissen über die sich ständig erneuernden Strategien zur Verbesserung des Suchmaschinenmarketings und der Nutzung der sozialen Medien wird in Zukunft einen wichtigen Wettbewerbsvorteil einer Destination mit sich bringen. Durch Investitionen im Bereich der Aus- und Weiterbildung können hier positive volkswirtschaftliche Effekte erzielt werden. • Reisebüros und Reiseveranstalter werden zu Reiseberatern und "Informationsbrokern". Verstärkte Qualitätsorientierung, Differenzierung und Positionierung Im Zentrum einer umfassend verstandenen Qualitätsorientierung stehen die laufende Verbesserung und Sicherung der Qualität der Infrastruktur, der Serviceleistungen, der verantwortungsvolle Umgang mit der Umwelt und den Ressourcen sowie die Pflege der erlebbaren Atmosphäre mit einem geschickten Einsatz von Inszenierungsinstrumenten. • Österreich lanciert eine Qualitätsstrategie, die folgende Logik verfolgt: - Um Österreich als führende Tourismusregion in Mitteleuropa zu positionieren, sind qualitativ hochstehende Angebote unerlässlich. - Die Gäste sollen entlang der gesamten touristischen Dienstleistungskette professionellen, kompetenten Service sowie attraktive und differenzierte Angebote und Infrastrukturen erleben können. - Eine Qualitätsverbesserung ist nur durch die Zusammenarbeit aller am Produktionsprozess Beteiligten zu erreichen. - Die Qualitätsverantwortung liegt in erster Linie bei den Leistungsträgern der touristischen Dienstleistungskette. Sie werden unterstützt von den Tourismusorganisationen. Länder und Bund helfen mit, Instrumente für eine koordinierte Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung und Qualifizierung zu entwickeln. - Die Qualitätsstrategie nutzt und fördert die bestehenden und bewährten QualitätsProgramme und evaluiert die Ergebnisse. - Darauf aufbauend werden gezielt eigene Schwerpunkte gesetzt. 7 - Mit Information und Kommunikation sowie mit Aus- und Weiterbildungsmassnahmen zu den Qualitäts-Schwerpunkten werden die Mitarbeitenden auf allen Stufen des ÖsterreichTourismus unterstützt. - Qualitätsmanagement wird als zentrales Positionierungsmerkmal gezielt eingesetzt, um den Gästen einem Mehrwert zu bieten und damit die Marktchancen besser zu nutzen. • Gegebene Marktchancen können nur genutzt werden, wenn die Qualität weiterentwickelt wird; wenn intelligente, typische und feine Konsumgüter und Dienstleistungen angeboten und der Bildungs- und Wissenssektor (z. B.: Ausbildung-, Forschungs- und ConsultingInstitutionen) markant positioniert werden. • Zur Konkretisierung der Qualitätsstrategie ist ein "Qualitätshaus" mit den folgenden Elementen zu erarbeiten: - Qualitätscredo - Qualifikation bzw. Aus- und Weiterbildung - Qualitätsentwicklung, d. h. Infrastruktur-, Umwelt-, Erlebnis- und Servicequalität (insbesondere Zuverlässigkeit, Kompetenz, Freundlichkeit und Empathie) - Qualitätssicherung, d. h. Messung von Gäste-, Mitarbeiter- und Partnerzufriedenheit sowie der Nachhaltigkeit in der Tourismusentwicklung - Kommunikationsstrategie mit umfassender Orientierung Koordinierte und fokussierte Tourismuspolitik Wichtige Eckpunkte für die Formulierung der koordinierten tourismuspolitischen Strategien sind Maßnahmen, die • zu einer Verminderung der Saisonalität ("Ganzjahresorientierung"), • zu einer Fortsetzung der Internationalisierung, • zu einer Qualitäts-, Produktivitäts- und Innovationsorientierung (letztere inklusive Forschung und Ausbildung), • zu einer rascher vor sich gehenden Destinationsbildung (Verlängerung der Wertschöpfungskette sowie Optimierung der Wahrnehmbarkeit durch den Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologie) sowie • zu einer Verbesserung der Ausbildungs- und Forschungssituation (inklusive eines Monitorings des jeweiligen gegenwärtigen Status und der Entwicklungstendenzen) führen. Um das Wirkungspotenzial der öffentlichen Maßnahmen zu erhöhen sollen im Einzelnen • die Förderprogramme von Bund, Ländern, und Gemeinden thematisch abgestimmt bzw. Doppelgleisigkeiten vermieden (dies gilt auch für die Forschungsvorhaben), • die Kleinförderungen eingestellt, • dem Tourismus im Hinblick auf die hohen Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte höhere öffentliche Fördermittel für notwendige betriebliche Investitionen und für Marketingmaßnahmen sowie für eine Intensivierung von Ausbildung und Forschung zur Verfügung gestellt sowie 8 • die Marketingprogramme auf nationaler und regionaler Ebene – auch im Hinblick auf eine einheitliche Markenführungsstrategie – koordiniert werden. In Bezug auf die aktivierende Marktbearbeitung wäre es effizient, wenn sich die Österreich Werbung eher auf die Fernmärkte konzentrieren würde, wogegen die Bearbeitung der benachbarten ausländischen Nahmärkte und des Inlandsmarkts primär die Aufgabe der regionalen Verbände sein sollte. 9 1. Einleitung3 Der Tourismus hat eine zentrale Bedeutung für die österreichische Volkswirtschaft. Mit den im Jahr 2010 erzielten direkten und indirekten Wertschöpfungseffekten in der Höhe von 21 Mrd. € betrug der BIP-Anteil etwa 7½%. Der österreichische Tourismus besitzt Weltruf und hat einen hohen Spezialisierungsgrad erreicht: Gemessen an den Reiseverkehrsexporten der EU-15 betrug der österreichische Markanteil 6,4%. Dieser ist damit fast doppelt so hoch als der vergleichbare Marktanteil der Industriewarenexporte (3,4% im Jahr 2009). Die hohe Wertschöpfungskraft macht die österreichische Tourismuswirtschaft auch zu einem maßgeblichen Beschäftigungsgenerator, insbesondere für die Bevölkerung in ländlichen Gebieten mit Standortnachteilen in der Produktion von Industriewaren und nicht-touristischen Dienstleistungen. Nach gegenwärtig vorliegenden Daten beschäftigte der Tourismus nach Einrechnung der direkten und indirekten Effekte rund 360.000 Personen (Basis: Vollzeitäquivalente). Der Beitrag des Sektors zur Gesamtbeschäftigung (Erwerbstätige in VZÄ) beträgt etwa 10%. Die zukünftigen touristischen Entwicklungsmöglichkeiten werden entscheidend durch die gesamtwirtschaftliche Dynamik sowie durch die Ausrichtung des Tourismus im Hinblick auf die sich im Lauf befindlichen und zukünftig zu erwartenden strukturellen Veränderungen bestimmt. Bei der Beurteilung der vorliegenden gesamtwirtschaftlichen Prognosen sind die bestehenden Risikos und Unsicherheiten zu berücksichtigen. Dabei geht man davon aus, dass die Unsicherheit über die Bewältigung der Zinsen- und Schuldenkrise in verschiedenen Euro-Ländern noch einige Zeit bestehen werden. Weitere Unsicherheitsfaktoren bilden neben der Rohstoffverteuerung die erheblichen Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen den USA und China oder zwischen Nord- und Südeuropa. Von Bedeutung ist weiters auch, inwieweit die notwendige Sanierung der Staatshaushalte und die dadurch entstehenden Nachfrageausfälle in Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit die Wirtschaftserwartungen beeinflussen können, so dass eventuell negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung im Bereich des Möglichen liegen. Im Hinblick auf die Einschätzung der zukünftigen Wachstumsmöglichkeiten ist auch zu bedenken, dass die Weltwirtschaft die Tendenz zeigt sich in drei Blöcke aufzuteilen ("three-way-split"). Nämlich in die gemeinsam mit den USA mäßig expandierende Euro-Zone – wobei letztere jedoch im Wachstumstempo deutlich hinter den USA bleibt – und die boomenden Schwellenländer. Anders ausgedrückt verlagern sich die Wachstumspole der Weltwirtschaft in Richtung Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC-Länder), aber auch in Richtung Türkei und Indonesien, wodurch neue bedeutende touristische Wachstumspotenziale entstehen. In Zusammenhang mit dem geringen Internationalisierungsgrad der österreichischen Tourismuswirtschaft sollten deshalb Investitionen in die Entwicklung rasch wachsender Märkte in den neuen Wachstumszentren und die Schaffung entsprechender Angebotsstrukturen nicht versäumt werden. Die Betriebe müssen sich weiters darauf einstellen, dass auf Grund gestraffter Kreditvergaberichtlinien die Investitionsvolumina limitiert werden könnten. Dieses Problem wird durch den von den Überkapazitäten ausgehenden Preisdruck und die Produktivitätsschwäche des Beherbergungs- und Gaststättenwesens zusätzlich verstärkt. Die fortschreitende Globalisierung erhöht den KonkurrenzAn dieser Stelle richtigen wir für die wertvolle Unterstützung bei der Textbearbeitung und der Tabellenerstellung ein herzliches Dankeschön an Frau Mag. Susanne Markytan. 3 10 druck. Die rasche technische Entwicklung erfordert laufend Innovationen, der Wertewandel erhöht den Anpassungsdruck und die Klimaänderung ruft nach Diversifizierung. Ferner betonen die demografisch bedingten Engpässe bei jungen Arbeitskräften, der Reformstau bei der Ausbildung, die unumgänglichen Qualitätsverbesserungen, die relativ starke Saisonabhängigkeit und die erforderliche Koordinierung der tourismuspolitischen Aktivitäten von Bund und Ländern die Notwendigkeit, Maßnahmen zu setzen. Auf Grund der Notwendigkeit zur Setzung von Maßnahmen zur Optimierung der touristischen Entwicklung hat der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend einen Expertenbeirat "Tourismusstrategie" ins Leben gerufen. Hauptaufgaben des Expertenbeirats sind, im Rahmen eines Berichts tourismuspolitisch relevante Entscheidungsgrundlagen aufzubereiten bzw. touristische Entwicklungstrends, Wachstumschancen und Herausforderung aufzuzeigen sowie entsprechende Maßnahmen vorzuschlagen. Die Vorstellung des Expertenberichts soll alljährlich anlässlich einer bundesweit koordinierenden Tourismuskonferenz erfolgen, die erstmals 2011 in Linz stattfindet. Diesem Beirat gehören Wissenschaftler bzw. Tourismusexperten aus Deutschland (1), der Schweiz (1), Italien (1) und Österreich (2) an (zu den einzelnen Personen siehe den Abschnitt "Mitglieder des Expertenbeirats"). Der vorliegende Bericht des Expertenbeirats wurde am 11. März 2011 abgeschlossen. Orientierungsgrundlage für die Abfassung des Berichts bildete dabei eine im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend, im Frühjahr 2010 erstellte WIFO-Studie ("Tourismusstrategische Aussichten 2015 – Wachstum durch Strukturwandel"; Smeral, 2010B). Im Bericht des Expertenbeirats wurden die relevanten Entwicklungstrends, Herausforderungen und vorgeschlagenen Maßnahmen der alten Studie aktualisiert, ergänzt und neu beleuchtet bzw. strukturiert. Ebenso erforderten die Veränderung der mittelfristigen Wachstumsaussichten sowie die Neu-Evaluierung der möglichen Auswirkungen der Schuldenkrise eine entsprechende Neubearbeitung. 11 2 2.1 Zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten im internationalen und österreichischen Tourismus bis 2015 Makroökonomische Rahmenbedingungen Die Weltwirtschaft rutschte 2008/2009 durch die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise in eine schwere Rezession, die kräftigste seit dem 2. Weltkrieg. Der deutliche Einbruch im Außenhandel und in der Industrieproduktion, die rasch steigende Arbeitslosigkeit sowie das schwindende Konsumentenvertrauen in den wichtigen touristischen Herkunftsmärkten wirkten sich negativ auf die internationale Tourismuswirtschaft aus (Smeral, 2009, 2010A und 2011). Auch Österreich konnte sich den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht entziehen: 2009 sanken die realen Einnahmen aus dem internationalen Reiseverkehr (Tourismusexporte inklusive Transportaufwendungen) um 7,9% und die realen Einnahmen im Binnenreiseverkehr um 0,9%; insgesamt gingen die realen Einnahmen damit um 6,0% zurück. Der starke Wirtschaftseinbruch kam etwa Mitte 2009 zum Stillstand. Seither belebte sich die Konjunktur in den Industrieländern – hauptsächlich als Folge einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik (Schulmeister, 2011). Die Belebung der Weltwirtschaft – auch stark beeinflusst durch die Dynamik der Schwellenländer in Asien und Südamerika – hatte positive Auswirkungen auf den Welttourismus, der sich 2010 deutlich erholte. Mit Ausnahme von Europa konnten in jeder Weltregion mehr oder weniger kräftige touristische Zuwachsraten verzeichnet werden. Laut UNWTO dürften laut vorläufigen Schätzergebnissen im Jahr 2010 die internationalen Touristenankünfte um 6,7% angestiegen sein, nachdem sie 2009 um 4% sanken (UNWTO, 2011). Überdurchschnittlich stiegen 2010 die internationalen Ankünfte in Asien und im Pazifischen Raum (12,6%), im Mittleren Osten (14,%) sowie in Nord- und Südamerika (UNWTO, 2011). In Afrika entwickelten sich die internationalen Ankünfte etwas unter dem Weltdurchschnitt (6,4%; UNWTO 2011). Europa bleibt Nachzügler: Nach einer Stagnation der internationalen Ankünfte im Jahr 2008, mussten 2009 überdurchschnittliche Rückgänge in Kauf genommen werden, die durch den Anstieg um nur 3,2% im Jahr 2010 nicht ausgeglichen werden konnten. Typisch für die gegenwärtige konjunkturelle Situation ist, dass die nominelle Einnahmenentwicklung hinter der Dynamik der Ankünfte zurückbleibt. Hauptgründe sind die sinkende Aufenthaltsdauer, der Preisdruck sowie Sparmaßnahmen im Allgemeinen. Real – nach Ausschaltung der Preis- und Wechselkursverschiebungen – stagnierten 2010 in Europa und auch in Österreich die Einnahmen aus dem internationalen Reiseverkehr in etwa. In Bezug auf die EU-15 konnte Österreich – gemessen an den europäischen Tourismusexporten – 2010 seine Marktanteile knapp halten, nachdem diese im Rezessionsjahr 2009 leicht angehoben werden konnten (Abbildung 1). Gegenwärtig liegt der österreichische Marktanteil (gemessen an der EU-15) mit 6,4% um einen Prozentpunkt über dem Tiefpunkt im Jahr 2000. 12 Abbildung 1: Österreichs Marktanteil am internationalen Tourismus Gemessen an den nominellen Tourismusexporten der EU-15 8,5 8,12 8,0 7,59 7,5 In % 7,0 6,60 6,5 6,04 6,0 6,02 5,88 5,59 5,70 5,87 6,39 6,37 2009 2010 6,17 6,01 5,74 5,70 2006 2007 5,39 5,5 5,0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2008 Q: IMF, OeNB, UNWTO, WIFO, wiiw. Ohne internationalen Personentransport. Das relativ "günstigere" Abschneiden des österreichischen Tourismus im Jahr 2009 geht zum Teil auf seine "Nahmarktstärke" bzw. darauf zurück, dass in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Destinationen, die nahe an bevölkerungsreichen Herkunftsmärkten mit hoher Reiseintensität liegen, weniger von globalen Nachfrageeinbrüchen erfasst werden als Fern- bzw. Flugdestinationen, welche nicht über diese Attribute verfügen (Smeral, 2010B). Das mittelfristige Wachstumspotenzial der Tourismusnachfrage von Wirtschaftsräumen oder einzelnen Quellmärkten hängt auf Basis der Ausgaben für Auslands- und Inlandsreisen (Tourismusimporte, Binnenreiseverkehr) entscheidend von den möglichen gesamtwirtschaftlichen Zuwachsraten ab. Die meisten gesamtwirtschaftlichen Prognosen gehen davon aus, dass die Unsicherheit über die Bewältigung der Zinsen- und Schuldenkrise in verschiedenen Euro-Ländern noch einige Zeit bestehen bleibt. So ist zu bedenken, dass die dramatische Verschlechterung der Staatsfinanzen in einzelnen Euro-Ländern wie Griechenland und Irland sowie der sprunghafte Anstieg der Anleihezinssätze dieser Länder den Fortbestand der Europäischen Währungsunion gefährden könnte, sofern es nicht gelingt, die Ausbreitung der Krise auf die eventuell nächsten Kandidaten wie Portugal und Spanien einzudämmen (Schulmeister, 2011). Weitere Unsicherheitsfaktoren bilden neben den Rohstoffverteuerungen (insbesondere von Erdöl) – und die dadurch ausgelösten spekulativen Finanztransaktionen – erhebliche Leistungsbilanzungleichgewichte, wobei insbesondere das Defizit der USA und der Überschuss Chinas eine Rolle spielen bzw. handels- und währungspolitische Spannungen erzeugen. Im Euro-Raum sorgen die Nord-Süd-Leistungsbilanzungleichgewichte für erhebliche Spannungen. Weiters ist von Bedeutung, dass die konjunkturstützenden Maßnahmen der öffentlichen Haushalte 2011 auslaufen oder nur mehr abgeschwächt wirksam werden, da die meisten Regierungen im Hinblick auf die Sanierung der Staatsfinanzen einen Konsolidierungskurs eingeschlagen haben. Auf Grund der überwiegend zeitlich parallelen Sanierungsmaßnahmen entstehen dadurch Nachfrageausfälle. Dies könnte im Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit über resultierende pessimisti13 sche Wirtschaftserwartungen auch zu negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung führen. Bei der Einschätzung der zukünftigen Rahmenbedingungen muss auch in Betracht gezogen werden, dass in den Industrieländern durch den Schuldenabbau und die notwendigen massiven Refinanzierungsmaßnahmen der Manöverspielraum für eventuell notwendige wirtschaftspolitische Maßnahmen nur mehr äußerst beschränkt gegeben ist. Für den Zeitraum 2010/2015 wird sich gemäß der jüngsten mittelfristigen Prognose des WIFO das globale Wirtschaftswachstum von 3,3% pro Jahr (2005/2010) auf 4,5% pro Jahr erhöhen (Übersicht 1; Schulmeister, 2011): Triebfedern der mittelfristigen weltwirtschaftlichen Entwicklung sind vor allem Russland (4,9% pro Jahr), China (8,9% pro Jahr), Indien (8,6% pro Jahr) sowie Lateinamerika (4,6% pro Jahr). Die Industrieländer bleiben mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 2,4% pro Jahr deutlich hinter der weltwirtschaftlichen Entwicklung zurück, wobei die sechs neuen EU-Länder (Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei) mit 3,7% pro Jahr, die USA (2,7% pro Jahr) und Großbritannien (2,6% pro Jahr) überdurchschnittlich wachsen. Der gesamte Euro-Raum (1,9% pro Jahr) bleibt deutlich hinter den USA zurück. Innerhalb des Euro-Raumes verzeichnen Österreich (2,2% pro Jahr), Deutschland (2,1% pro Jahr) und Frankreich (2,0% pro Jahr) überdurchschnittliche Wachstumsraten (Baumgartner et al., 2011). Übersicht 1: Wirtschaftswachstum nach Ländergruppen 2000/2005 Weltproduktion (BIP) 2005/2010 Ø Jährliche Veränderung in % 2010/2015 6 neue EU-Länder2 ) Polen Tschechien Slowakei Ungarn Russland China Indien OPEC Afrika +3,5 +2,0 +2,4 +1,3 +1,8 +0,6 +1,6 +0,9 +2,5 +1,5 +4,0 +3,1 +3,7 +7,7 +4,3 +6,1 +9,8 +6,6 +4,8 +4,3 +3,3 +0,9 +0,9 +0,1 +0,8 +1,1 +0,8 –0,4 +0,4 +0,8 +3,2 +4,6 +2,7 +0,9 –0,2 +3,5 +11,1 +8,3 +5,4 +4,6 +4,5 +2,4 +2,7 . +2,2 +2,1 +2,0 +1,3 +2,6 +1,9 +3,7 +3,4 +2,9 +6,7 +3,0 +4,9 +8,9 +8,6 +5,0 +5,5 Lateinamerika +2,9 +3,9 +4,6 Industrieländer1 ) USA Japan EU 27 Deutschland Frankreich Italien Großbritannien Euro-Raum 1 2 Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO. ) 29 OECD-Länder. – ) Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei. Die wirtschaftlichen Konsequenzen der dramatischen Unglücksfälle in Japan lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht absehen. Wahrscheinlich ist, dass die Industrieproduktion und der Außenhandel deutlich einbrechen werden und Rückgänge im privaten Konsum zu erwarten sind. Zumindest kurzfristig erscheint damit ein deutlicher Rückgang der Wirtschaftsleistung unvermeidbar zu sein. Der Wiederaufbau und die Beseitigung der Schäden dürften jedoch über eine längere Periode betrachtet zu wirtschaftlichen Impulsen führen und damit eine Belebung der japanischen Wirtschaft bewirken. 14 2.2 Mögliche Wachstumspfade für den österreichischen Tourismus Die gegenwärtige mittelfristige Tourismusprognose stellt eine Neu-Evaluierung der etwa vor einem Jahr durchgeführten Prognose dar (Smeral, 2010B). Unterschiede liegen im Prinzip in der Einschätzung des internationalen Wirtschaftswachstums, wobei österreichbezogen (wegen des hohen Gästeanteils) insbesondere die günstigeren Wirtschaftsaussichten für Deutschland ins Gewicht fallen. Die vorliegende mittelfristige Prognose bis 2015 geht vom Gelingen der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ohne Gefährdung einer wirtschaftlichen Erholung aus. Staatsbankrotte der EU-Problemländer Irland, Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und Ungarn sowie ein Zerfall des EuroRaums und eine drastische Abwertung des Euro werden ausgeschlossen. Basis für die Prognose des Wachstums der Tourismusmärkte für Auslandsreisen – verstanden als mittelfristiges Wachstum der realen Tourismusimporte der wichtigen Quellmärkte – ist hier die gesamtwirtschaftliche Einkommensentwicklung (reales BIP), die entscheidend die Tourismusnachfrage bestimmt (Lim, 1997B; Smeral, 2010B). Da ein wesentlicher Teil der Tourismusnachfrage auch Dienstund Geschäftsreisen betrifft, stellt das BIP einen aussagekräftigeren Indikator dar als das persönlich verfügbare Einkommen. Der Einfluss der relativen Preise in einheitlicher Währung wird hier mittelfristig als konstant angenommen. Die möglichen Auswirkungen von veränderten Transport- und Energiekosten, Terror- und Kriegsgefahren, Naturkatastrophen oder der globalen Erwärmung werden bei der Prognose nicht berücksichtigt bzw. als nicht vorhersagbare exogene Einflüsse angesehen. Unter den angeführten Bedingungen kann die Entwicklung der realen Tourismusnachfrage weitgehend vom prognostizierten Wirtschaftswachstum abgeleitet werden, wobei die Annahme über die implizite Größenordnung der Elastizität der Tourismusnachfrage in Bezug auf das BIP (= Einkommenselastizität der Tourismusnachfrage) eine wichtige Rolle spielt. Im Zentrum der Untersuchung steht die Nachfrage nach Auslandsreisen (reale Tourismusimporte) der 37 erfassten Quellmärkte 4. Die ermittelten Tourismusimporte bilden dann eine Basis zur Ableitung der möglichen realen Einnahmen Österreichs aus dem internationalen Reiseverkehr (Tourismusexporte). Für die spezifischen Annahmen über die Einkommenselastizität der Tourismusimporte wurde auf Erfahrungswerte aus der Vergangenheit und internationale Untersuchungen zurückgegriffen, teilweise wurden eigene Annahmen getroffen (Crouch, 1992, 1994 und 1995; Lim, 1997B und 1999; Smeral, 2003A, 2009, 2010A und 2010B). Auf Basis des angewandten Prognosemodells und der Prognoseannahmen lassen sich Wachstumsraten für die realen Tourismusimporte der 37 Quellmärkte ableiten (= Nachfrage nach Auslandsreisen je Herkunftsmarkt, bereinigt um Preis- und Wechselkursverschiebungen). Demnach ergibt sich für den Zeitraum 2010/2015 eine Steigerungsrate der realen Importnachfrage der EU-15 von etwa +2¾% p. a. Auf Grund der internationalen Wachstumsdynamik erscheint in Bezug auf die Entwicklung des internationalen Reiseverkehrs in Österreich zumindest eine durchschnittliche jährliche Expansion der realen Tourismusexporte von rund 2% bis 2015 möglich 5, vorausgesetzt die Marktanteile in den erfassten Ländern können nicht auf Basis von Qualitätsverbesserungen erhöht werden und die Herkunftsstruktur bleibt unverändert. Anders ausgedrückt heißt das, dass sich die realen Tourismus4) Folgende Länder wurden erfasst: EU-27, Australien, Brasilien, China, Indien, Kanada, Norwegen, Russland, Schweiz, Türkei, USA. 5 ) Bei konstanten länderspezifischen Marktanteilen sind die Steigerungsraten von Exporten und Importen identisch. 15 exporte Österreichs mit dem gleichen Wachstumstempo entwickeln wie die mit den österreichischen Nächtigungsanteilen gewichteten realen Tourismusimporte der 36 internationalen Herkunftsmärkte (die Tourismusimporte Österreichs erhalten hier ein Gewicht von Null). Gemessen an dieser Basiswachstumsrate bleibt damit Österreichs internationaler Reiseverkehr hinter den in der EU-15 (+2¾% p. a.) gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten zurück. Im globalen Vergleich (etwa 5%-6% p. a.) fallen die länderstrukturbedingten hypothetischen Wachstumsverluste noch stärker aus. Die hypothetischen zukünftigen Wachstumsverluste auf Basis der zuvor angestellten Berechnungen kommen im Wesentlichen dadurch zustande, dass Österreich vorwiegend auf langsam wachsende Märkte wie Deutschland (trotz verbesserter Wachstumsaussichten), Niederlande, Schweiz und Italien konzentriert ist. Die Übernachtungen der vier Märkte erreichen insgesamt rund drei Viertel der Übernachtungen ausländischer Gäste in Österreich und verzeichnen ein deutlich unterdurchschnittliches Entwicklungspotenzial. Dennoch muss gesagt werden, dass sich gegenüber der Prognose des Vorjahres die mittelfristige Basiswachstumsrate der realen Tourismusexporte um etwa ¼ bis ½ Prozentpunkt erhöhte (großteils wegen den günstigeren Wachstumsaussichten für Deutschland) und diese um 1¼ Prozentpunkte über der Trendwachstumsrate 1995/2010 liegt. Eine Analyse der Herkunftsstruktur im internationalen Reiseverkehr und der potenziellen Entwicklungsmöglichkeiten zeigt klar, dass eine stärkere Forcierung auf die neuen EU-Mitgliedsländer und die BRIC-Länder das Wachstum der österreichischen Tourismusexporte spürbar erhöhen könnte (Abbildung 2). In diesem Zusammenhang erscheint realisierbar, dass die realen Einnahmen Österreichs im internationalen Tourismus um zusätzlich bis zu etwa zu ¾ Prozentpunkte pro Jahr expandieren könnten, wenn der Nächtigungsanteil der BRIC-Länder und der 12 neuen EUMitgliedsländer auf insgesamt ein Fünftel stiege. Bei einer wachstumsorientierten Tourismuspolitik bzw. einer zügigen Internationalisierung ist es somit möglich, die Basiswachstumsrate der realen österreichischen Tourismusexporte von +2% p. a. um bis zu ¾ Prozentpunkte pro Jahr auf +2¾% p. a. anzuheben. Weiters kann erwartet werden, dass zusätzlich Verbesserungen in der relativen Angebotsqualität angestrebt werden bzw. möglich sind, so dass dadurch das Exportwachstum auf insgesamt etwa +3% p. a. gesteigert werden könnte. Für die Anhebung des Wachstums müsste ein tourismuspolitischer Paradigmenwechsel in Bezug auf eine Neuorientierung der herkunftsspezifischen Schwerpunktsetzungen eingeleitet werden. In diesem Zusammenhang ist es auch offensichtlich, dass ein Fuß fassen auf neuen Märkten gleichbedeutend mit einer Neuorientierung in der Angebotspolitik ist, wovon wichtige Impulse für die Verbesserung der Angebotsqualität ausgehen könnten. 16 Abbildung 2: Entwicklung der realen Tourismusexporte Österreichs seit 1995 und mögliches Wachstumspotenzial 2010 bis 2015 Bisherige Entwicklung (1995/2010 +0,6% p. a.) 12,5 Wachstumskorridor Mrd. USD, zu Preisen und Wechselkusen 2000 13,0 Konstante Marktanteile des Jahres 2010 (2010/2015 +2,0% p. a.) 12,0 Erfolgreiche Internationalisierung und qualitativ bedingte Marktanteilsgewinne (2009/2015 +3,0% p. a.) 11,5 11,0 10,5 10,0 9,5 9,0 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 Q: OECD, OeNB, Statistik Austria, UNWTO, WIFO, wiiw. 2011 bis 2015: Prognose, eigene Berechnungen. Die reale Nachfrage der Österreicher nach Inlandsaufenthalten wird gesondert aus der mittelfristigen Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage Österreichs (reales BIP) abgeleitet, wobei eine Elastizität von rund 0,5 angenommen wurde. In Bezug auf die Einschätzung der zukünftigen Entwicklung des Binnenreiseverkehrs muss angesichts des hohen Niveaus und des hohen Sättigungsgrades davon ausgegangen werden, dass für die Periode 2010/2015 günstigstenfalls die Trendwachstumsrate der Vergangenheit erreicht werden kann. Diese liegt für die realen Ausgaben bei etwa +1% pro Jahr. Die Nachfrageelastizität in Bezug auf die Entwicklung des österreichischen BIP erreicht damit eine ähnliche Größenordnung (rund knapp 0,5) wie für die Periode 2000/2010 errechnet wurde. Insgesamt betrachtet ergibt sich daraus ein Entwicklungspotenzial für den österreichischen Gesamtreiseverkehr von real rund +2½% pro Jahr; das Gelingen qualitativ bedingter Marktanteilsgewinne auf den Auslandsmärkten und einer Internationalisierung im oben diskutierten Ausmaß wird jedoch vorausgesetzt (Übersicht 2). Werden hingegen keine Fortschritte bei der Internationalisierung und keine qualitativ bedingten Marktanteilsgewinne erzielt, so ist im Zeitraum 2010/2015 nur ein Wachstum der realen Umsätze von 1¾% pro Jahr im Bereich des Möglichen. Übersicht 2: Entwicklungsmöglichkeiten des österreichischen Tourismus bis 2015 Tourismusexporte Binnenreiseverkehr Gesamtreiseverkehr Ø Jährliche Veränderung 2010/2015 in %, real Keine weitere Internationalisierung und qualitativ bedingten Marktanteilsgewinne +2,0 +1,0 +1,8 +3,0 +1,0 +2,5 Erfolgreiche Internationalisierung und qualitativ bedingte Marktanteilsgewinne1 ) 1 Q: Prognose, eigene Berechnungen. – ) Wie oben angenommen. 17 Für die Nächtigungsentwicklung kann davon ausgegangen werden, dass leichte mengenmäßige Niveauanhebungen möglich sind. Anders ausgedrückt lässt sich auf Basis des oben skizzierten Wachstumskorridors eine Steigerung der Zahl der Übernachtungen von höchstens 1% bis 2% pro Jahr ableiten. D. h. die Nächtigungen könnten von gegenwärtig 124,8 Mio. (2010) auf rund 131 Mio. bzw. höchstens 138 Mio. im Jahr 2015 ansteigen. 18 3 3.1 Zukunftsaufgaben für die Tourismuspolitik Tourismuspolitische Herausforderungen Die jüngste Rezession hat sich deutlich auf den österreichischen Tourismus ausgewirkt. Nach empfindlichen Nachfragerückgängen im Jahr 2009 sind im Vorjahr die Einbußen zum Stillstand gekommen. Gegenwärtig kann der österreichische Tourismus das Wachstum seiner Tourismusmärkte nur suboptimal nutzen. Auf Grund der existierenden Überkapazitäten besteht ein erheblicher Druck auf die Preise. Letzteres wird zusammen mit gestrafften Kreditvergaberichtlinien die Investitionsvolumina limitieren, so dass die für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit notwendigen Investitionen von den Klein- und Mittelbetrieben mit beschränktem Zugang zum Kapitalmarkt nicht oder nur zum Teil durchgeführt werden können. Verstärkt wird dieses Problem durch die Produktivitätsschwäche des Beherbergungs- und Gaststättenwesen und der anderen personengebundenen Produktionsformen in der touristischen Dienstleitungskette. Neben dem Preis-, Finanzierungs- und Rentabilitätsdruck hat auch die voranschreitende Globalisierung den Konkurrenzdruck erhöht. Die rasche technische Entwicklung steigert den Innovationsdruck, der Wertewandel erhöht den Anpassungsdruck und die Klimaänderung verstärkt den Diversifikationsdruck. Die zu erwartenden, demografisch bedingten Engpässe bei jungen Arbeitskräften, der Reformstau bei der Ausbildung, die unumgänglichen Qualitätsverbesserungen, die relativ starke Saisonabhängigkeit und die notwendige Koordinierung der tourismuspolitischen Aktivitäten von Bund und Ländern im Sinne eines kooperativen Föderalismus in Verbindung mit der Abstimmung der regionalen und nationalen Marketingpläne bzw. -aktivitäten sind weitere Symptome des tourismuspolitischen Handlungsbedarfs. Ferner ist auch zu bedenken, dass der geringe Internationalisierungsgrad der österreichischen Tourismuswirtschaft und die Verlagerung der Wachstumspole der Weltwirtschaft in Richtung Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC-Länder) neue bedeutende touristische Wachstumspotenziale entstehen lässt, so dass Investitionen in die Entwicklung neuer Märkte und die Schaffung entsprechender Angebotsstrukturen nicht außer Acht gelassen werden sollten. Diese einleitende Skizzierung wichtiger Problemfelder zeigt klar die Notwendigkeit zum Setzen entsprechender tourismuspolitischer Handlungen. Hierbei gilt es, die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten sorgfältig zu durchleuchten, um geeignete Maßnahmen zur Festigung bzw. Verbesserung der touristischen Position Österreichs durchführen zu können. Mit anderen Worten sollte es ein Hauptziel der Tourismuspolitik sein, den gegenwärtigen Marktanteil Österreichs im internationalen europäischen Tourismus von 6,4% (gemessen an den Tourismusexporten der EU-15) nicht nur zu halten, sondern auch weiter auszubauen sowie das Aufkommen aus dem Binnenreiseverkehr zu optimieren. Für die Bewältigung der Herausforderungen müsste der Tourismus maßgeblich von der Wirtschaftspolitik unterstützt werden, wobei es hier vor allem um den politischen Willen zur Betrachtung des Tourismus als Schlüsselsektor für das Beschäftigungswachstum und die Einkommenssicherung breiter Bevölkerungskreise (vor allem im ländlichen Raum) ginge. Eine koordinierte Vorgangsweise von Bund und Ländern bei der Ausübung ihrer tourismuspolitischen Kompetenzen auf der Basis eines kooperativen Föderalismus würde dabei eine entscheidende Basis darstellen. 19 Des Handlungsbedarfs bewusst, wurde im Rahmen einer Tourismusenquete des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ) im Februar 2010 für die Formulierung "Neuer Wege im Tourismus" ein Startschuss gesetzt (BMWFJ, 2010). Mit der vom zuständigen Bundesminister ins Leben gerufenen (in Zukunft alljährlich stattfindenden) "Tourismuskonferenz" (Linz, 31. März – 1. April 2011) erfolgt die Etablierung des Abstimmungsprozesses zwischen den wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern in Bezug auf eine koordinierte tourismuspolitische Vorgangsweise. 3.2 Mögliche strategische Ansätze und deren Umsetzung Im Hinblick auf die Nutzung der touristischen Entwicklungsmöglichkeiten bieten drei Segmente Erfolgschancen: • Der Kultur- und Städtetourismus, • der Wintersport sowie • erlebnisorientierte Kurzurlaube mit Wellness-Komponenten auf Basis der landschaftlichen Ressourcen wie z. B. Alpen, Flüsse oder Seen. Dabei sind • ein wachstumsorientiertes Marketing, • die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, • die Optimierung der Auslastung und • die Bildung von regionalen Netzwerkallianzen wichtige Kernstrategien, die durch • die Aufwertung des Angebots, • die Identifikation neuer Märkte, • die Anpassung der Markt-, Organisations- und Vertriebsstrukturen, • die Verstärkung der Qualitätsorientierung, Differenzierung und Positionierung sowie • eine koordinierte und fokussierte Tourismuspolitik umgesetzt werden sollen. Durch das Setzen effektiver Maßnahmen, welche die Hauptdeterminanten der Wettbewerbsfähigkeit einer Tourismusdestination beeinflussen, kann es unter Verfolgung der Kernstrategien gelingen, die österreichische Position zu verbessern. 3.2.1 Aufwertung des Angebots Für die Durchführung von Erneuerungsinvestitionen und Innovationen, das Angebot an konkurrenzfähigen Arbeitsplätzen, die Verbesserung der Service- und Angebotsqualität sowie die Sicherung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit werden ausreichende Produktivitätssteigerungen benötigt. In diesem Sinne ist die Produktivität ein Schlüsselindikator für die Wettbewerbsfähigkeit eines Sektors oder auch der gesamten Volkswirtschaft. Ein sektoraler Vergleich der Produktivität fällt für die österreichischen Tourismusbetriebe ungünstig aus, da die reale Wertschöpfung je Erwerbstätigem (hier als Maßzahl der Produktivität verstanden) in der Hotellerie und Gastronomie – den Kernbereichen des Tourismus - niveau- und 20 entwicklungsmäßig deutlich unter dem Durchschnitt der Gesamtwirtschaft liegt sowie einen der geringsten Werte im Branchenvergleich aufweist (Smeral, 2003A, 2003B, 2007 und 2010B). Untersuchungen für Österreich ergaben, dass Investitionen in das physische Kapital (insbesondere die Firmengröße betreffend), die Wettbewerbsintensität sowie die jeweilige Größe der Destination den stärksten Einfluss auf das Produktivitätsniveau haben (Smeral, 2007). Die Wettbewerbsintensität ist ein wichtiger Faktor für die Produktivitätsentwicklung. Ein intensiver Wettbewerb führt zu mehr Innovationen, erhöht die Effizienz und senkt ferner die Kosten. Die Wettbewerbsintensität wird entscheidend durch die Marktstruktur bedingt: Ein wenig konzentrierter Markt wird eher eine erhöhte Wettbewerbsintensität aufweisen als ein stark konzentrierter Markt mit hohen Eingangs- und Ausgangsbeschränkungen. Ein wichtiges Ziel der Wirtschaftspolitik ist es daher, die Eingangs- und Ausgangsbeschränkungen ("barriers to entry and to exit") möglichst niedrig zu halten bzw. zur Gänze zu beseitigen. Erleichterungen bei der Unternehmensgründung (Minimierung der Gründungsdauer, Ausbildungsmodule "entrepreneurship" in allen Bildungsstufen, Bereitstellung von Risiko- und Venturekapital, liberale Befähigungsbestimmungen) und -veräußerung (Gewährung von Steuererleichterungen bei der Notwendigkeit von Strukturbereinigungen) sind in diesem Zusammenhang relevante Beispiele. Faktoren wie Investitionen in das Humankapital und die Forcierung von Innovationen und des Technologieeinsatzes sind "Folgemaßnahmen" und wirken zusätzlich produktivitätsstimulierend. Anders ausgedrückt kommt es zu Aktionen in den anderen Bereichen, nachdem der physische Kapitalstock durch investive Maßnahmen erweitert und verbessert wurde (wodurch auch die Einführung neuer Technologien sowie Innovationen und Qualitätsverbesserungen erleichtert werden) und durch den Wettbewerbsdruck zusätzlich produktivitätssteigernde Wirkungen erzielt werden konnten. Der Prozess der Produktivitätsverbesserung kann ferner durch die überbetriebliche Etablierung von Innovationscoaches und -assistenten, forcierte Innovationsforschung, die Erstellung von Innovationsdatenbanken, Innovationspreise und -fonds, die mediale Aufbereitung der Ergebnisse der wissenschaftlichen touristischen Innovationsforschung, die Gründung eines Lehrstuhls für Innovationsforschung sowie die Schaffung von informativen Netzwerken "Innovation im Tourismus" maßgeblich unterstützt werden. Zur Optimierung der Auslastung müssten auf der Angebotsseite verstärkt Anstrengungen unternommen werden, saisonunabhängige Produkte für den Ganzjahresbetrieb zu schaffen bzw. die touristischen Kernbereiche wie Hotellerie und Gastronomie mit entsprechenden Zusatzangeboten anzureichern. Solche Zusatzangebote sollten überwiegend für Kurzaufenthalte auf Basis der landschaftlichen Ressourcen gebildet werden und können dem Wellness-, Kultur-, Unterhaltungs-, Event-, Sport und Veranstaltungsbereich entstammen. Wichtige Beispiele in diesem Zusammenhang stellen Wellnesshotels und die mittelfristigen Erfolge der neuen Thermenorte sowie die Expansion im Kulturund Städtetourismus dar. Weitere Maßnahmen sind die Errichtung von Kultur- und Freizeitparks mit regionsspezifischen, authentischen Themen sowie die Profilierung im Bereich von Veranstaltungen oder Events und erlebnisorientierten Kurzurlauben ("commodified experiences"). Saisonunabhängige Angebotsformen tragen nicht nur zur Steigerung der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität und der Reduktion der touristischen Arbeitslosigkeit bei, sondern bedeuten auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen bzw. setzen insbesondere für qualifizierte inländische Arbeitskräfte durch stabilere Karrieremöglichkeiten Anreize, im Tourismussektor zu arbeiten. Weitere 21 Vorteile von Ganzjahresbetrieben ergeben sich durch eine geringere Spitzenbelastung wegen der gleichmäßigeren Auslastungssituation sowie durch höhere Durchschnittseinkommen im Vergleich zu Saisonbetrieben. Das Bieten vorteilhafter Arbeitsbedingungen wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen, da durch den demografischen Wandel eine Knappheit bei jüngeren (insbesondere inländischen) Arbeitskräften zu erwarten ist und sich die Beschäftigungsstruktur des Beherbergungs- und Gaststättenwesens auf Grund häufiger, physischer Spitzenbelastungen überwiegend auf jüngere Arbeitskräfte konzentriert (drei Viertel der im österreichischen Beherbergungs- und Gaststättenwesen unselbständig Beschäftigten waren 2009 unter 45 Jahre alt). Österreich verfügt mit Ausnahme der gegebenen einzigartigen Landschaftskulisse (Alpen, Flüsse, Seen), welche Möglichkeiten zur Durchführung hochwertiger erholungs-, sport- und gesundheitsorientierter Aufenthalte bietet, der traditionellen Kulturgüter und Veranstaltungen sowie einiger innovativ inszenierter Erlebnisse (Kristallwelten, Life-Ball) noch zu wenig über moderne Angebotskomponenten und Attraktionen (Themen- und Freizeitparks, moderne Museen, virtuelle Erlebniswelten) oder internationale Markenveranstaltungen (einzigartige Sport-, Gesellschafts- und Unterhaltungsereignisse, Ausstellungen, Festivals). Die Schaffung innovativer Angebote trägt auch dazu bei, vermehrt jüngere Gäste anzulocken, die direkt angesprochen werden müssten (z. B. Einführung von günstigen Produkten mit relativ hohen Qualitäts- und Erlebnisstandards). Innovative Angebote bilden auch die Voraussetzung, neue, urbane Schichten mit hohem Einkommen und kreativen Konsum- und Freizeitgewohnheiten als Gäste zu gewinnen (z. B. Camps für angewandte und darstellende Kunst wie Malen, instrumentale Musik, Gesang usw.). Im Bereich der Produktpolitik müssten weiters deutliche, spezifische Angebotsschwerpunkte für die europäischen Fernmärkte und die Überseenationen zur Unterstützung der Internationalisierung gesetzt werden. Weiters müssten diesbezüglich auch die entsprechenden Angebotsstrukturen (Öffnungszeiten, Servicebereitschaft, Zimmerausstattung, gastronomisches Angebot, Sprachkenntnisse bzw. geeignete Fremdenführer) geschaffen werden. 3.2.2 3.2.2.1 Identifikation neuer Märkte Internationalisierung und Wachstumsorientierung Zur Forcierung des touristischen Wachstums und der Nutzung der sich ergebenden Beschäftigungschancen müsste das Tourismusmarketing seine Anstrengungen in Bezug auf die Erschließung von Fernmärkten deutlich erhöhen. Dabei sollten mit Hilfe einer überzeugenden Internationalisierungsstrategie relativ rasch wachsende Märkte mit hohen Einkommenselastizitäten erschlossen werden. Dabei muss eine Optimierung der Gewichte unterschiedlicher Nachfragequellmärkte angestrebt werden, bei der sowohl die Chancen der neuen (Fern-)Märkte genutzt werden, als auch die damit verbundenen Risiken mit deutlichen Nachfrageausfällen, welche z. B. in der globalen Wirtschaftskrise 2009 deutlich wurden, nicht zu groß werden. Eine starke Präsenz auf den Nahmärkten ist wegen ihrer stabilisierenden Funktion in Krisenzeiten und ihrer quantitativ hohen Bedeutung unverzichtbar. Ein Großteil der Nächtigungen von ausländischen Gästen in Österreich (gut zwei Drittel) stammt von nur drei Märkten (Deutschland, Niederlande, Italien) mit mittelfristig eher mäßigen Wachstumsaussichten. Da Österreichs Tourismuswirtschaft damit stark von diesen Quellmärkten abhängig ist, die 22 Präsenz auf Nahmärkten in Krisenzeiten "Versicherungscharakter" hat und die Konkurrenzdestinationen einen hohen Wettbewerbsdruck ausüben, dürfen diese Märkte nicht vernachlässigt werden, so dass eine fortgesetzte Internationalisierung nur im Zuge einer Doppelstrategie möglich ist, die zugleich Wachstumsmärkte forciert. Als österreichische Zukunfts- bzw. Wachstumsmärkte können die BRIC-Länder und die neuen EU-Mitgliedsstaaten, aber auch der Nahe und Mittlere Osten, die USA und Australien bezeichnet werden. Die Realisierung relativ hoher Einnahmen- und Nächtigungszuwächse dürfte in den oben erwähnten Zukunftsmärkten nicht allzu schwer fallen, da die betreffenden Länder mittelfristig über überdurchschnittliche Wachstumschancen verfügen und zusätzlich die Auslandsreiseintensität noch sehr niedrig ist. Eine größere Streuung der Herkunftsmärkte würde außerdem die konjunkturellen Risiken deutlich vermindern. Weiters erhalten die Anbieter durch die rasch steigende Zahl der Erstbesucher wertvolle Marktinformationen, so dass deren Berücksichtigung zu einer Anreicherung des Angebotes führt, wodurch sich die Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Die Forcierung der Internationalisierung – auch verstanden als die Erschließung neuer Gästeschichten aus verschiedenen Klimazonen bzw. mit unterschiedlichen Arbeits- und Freizeitstrukturen ("cross cultural marketing") – ist nicht nur eine spezifische Strategie des wachstumsorientierten Marketings, sondern auch eine wichtige Maßnahme zur Verringerung der Saisonabhängigkeit und zur Verbesserung der durchschnittlichen Auslastung bzw. der Reduktion der Saisonarbeitslosigkeit. In Bezug auf die Doppelstrategie – Forcierung der Fernmärkte bei gleichzeitiger Bearbeitung der Nahmärkte – muss jedoch bedacht werden, dass sich auch die Anzahl der Zielgruppen und die Heterogenität der Nachfrage erhöht. Obwohl eine größere Heterogenität zwar z. B. im Hinblick auf konjunkturelle Abhängigkeiten von Vorteil ist, ergeben sich jedoch Nachteile bzw. Schwierigkeiten bei der Image- und Produktgestaltung (z. B.: ein potenzieller Städtetourist aus Indien, der Wien besucht, verbindet andere Vorstellungen mit Österreich, als eine deutsche Familie, die als Gast für einen Urlaub am Bauernhof in Frage kommt). Um beide Zielgruppen anzulocken, müsste man in der Kommunikation über Österreich in Abhängigkeit vom Quellmarkt unterschiedliche Imageaspekte nutzen. Dabei entsteht das Risiko, dass die Kommunikation über Österreich insgesamt an Prägnanz verliert. 3.2.2.2 Zukunftsmarkt Kurzreisen Es hat sich bewährt, bei den (privaten) Reisen grundsätzlich verschiedene Segmente zu unterscheiden, nämlich solche mit Übernachtung (Tourismus i. S. der UNWTO-Definition) und solche ohne Übernachtung (Tagesreisen bzw. Tagesbesucher). Im Urlaubstourismus trennt man außerdem zwischen Urlaubsreisen (ab vier Übernachtungen) und Kurzurlaubsreisen (max. drei Übernachtungen). Die Bestimmung erfolgt hier nachfrageseitig. Auf der Angebotsseite kann auch ein Urlaubsreisender, der z. B. drei Wochen in Österreich verbringt, in einer Stadt als Tagesbesucher auftreten – oder ein Tourist macht eine Rundreise durch verschiedene Regionen, wobei er eine lange Reise macht, an einzelnen Orten aber nur jeweils einen kurzen Aufenthalte verbringt. Die drei nachfrageseitig definierten Segmente (Urlaubs-, Kurzurlaubs- und Tagesreisen) verlangen im Marketing völlig unterschiedliche Behandlung. Sie differieren i. d. R. schon in ihrer Herkunft (je kürzer die Reisedauer, umso näher der Herkunftsmarkt), aber auch in Motiven und Aktivitäten (z. B. Shopping beim Tagestrip, Tapetenwechsel bei der Kurzreise und entspannte Erholung beim längeren Urlaub). 23 Insbesondere Kurzreisen sind für Österreich wichtig geworden, sowohl aus dem Inland als auch aus den nahegelegenen Quellmärkten wie Deutschland. Der Kurzurlaub eröffnet nicht nur die Möglichkeit, in den Hauptsaisonen noch offene Bettenkapazitäten zu belegen und einen höheren Aufwand je Nacht zu realisieren, sondern auch in den Nebensaisonen eine Erhöhung des Cashflows zu verzeichnen. Für Deutschland zeigt sich beispielhaft (FUR, 2001, 2010 und 2011), dass • das Gesamtvolumen der Kurzurlaubsreisen stark gestiegen ist; • der auf sie zurückzuführende Anteil an den Gesamtnächtigungen der deutschen Urlauber gegenwärtig etwa 20% beträgt; • im vergangenen Jahrzehnt bei einem Wachstum der Zahl der Urlaubsreisen insgesamt um 4% die Zahl der Nächtigungen um knapp 10% gesunken ist (Grund: kürzere Reisedauer bei Urlaubsreisen); • in Österreich die steigende Zahl von durch Kurzurlaubsreisen generierten Nächtigungen (+1,4 Mio. von 2000 bis 2010) die rückläufige Zahl von durch Urlaubsreisen generierten Nächtigungen (–9 Mio. von 2000 bis 2009) nicht aufwiegen konnte. Kurzreisen bieten zwar in der Zukunft Wachstumspotenziale, andererseits sind sie ein "unzuverlässiges" Segment mit von Jahr zu Jahr großen Schwankungen. Die Gründe für die Schwankungen stammen einerseits aus der jährlich unterschiedlichen Lage von Feiertagen, andererseits aus der wahrgenommenen persönlichen wirtschaftlichen Lage. Da Kurzreisen in den Konsumprioritäten eine viel niedrigere Bedeutung haben als längere Urlaubsreisen, ist man recht leicht bereit z. B. in Rezessionen, auf einen Kurzurlaub zu verzichten. Destinationsseitig ist aus beiden Entwicklungen (stagnierendes Volumen von Urlaubsreisen, steigendes Volumen von Kurzreisen) mit einer weiter sinkenden durchschnittlichen Aufenthaltsdauer pro Gast am Ort zu rechnen. Maßnahmen zur Verlängerung der Aufenthaltsdauer können dieser Tendenz zwar entgegenwirken, diese jedoch kaum umkehren. 3.2.2.3 Sozio-demografische Entwicklungstendenzen Die Gesellschaften in den für Österreich wichtigen Quellmärkten zeigen einen kontinuierlichen demografischen Wandel. Er umfasst: • • • • Verschiebungen im Altersaufbau der Gesellschaft (mehr Alte, weniger Kinder) "buntere" Gesellschaft (mehr Mitbürger mit Migrationshintergrund durch internationale Wanderungsbewegungen) geänderte Lebenssituationen und Haushaltsstrukturen (z. B. mehr Kleinhaushalte, dynamische Lebensformen im individuellen Lebensverlauf) steigendes Bildungsniveau Diese Prozesse führen auch zu einem Strukturwandel der Touristen insgesamt bzw. der Nutzer des touristischen Angebotes. Dies bewirkt, dass neue Zielgruppen und deren Ansprüche und Erwartungen identifiziert und diese Entwicklungen in ihren Auswirkungen jeweils im Einzelfall geprüft werden müssen. In keinem Fall wirkt ein Faktor des sozio-demografischen Wandels isoliert auf den Reisemarkt, sondern immer zusammen mit anderen Einflussgrößen. Senioren zeigen ein deutlich anderes Urlaubsreiseverhalten als jüngere Menschen: Gegenüber früheren Seniorenkohorten bevorzugen die gegenwärtigen Senioren nun verstärkt Auslandsziele, Flugreisen, Hotelübernachtungen und Kreuzfahrten. Die Senioren werden auch in der Zukunft die 24 Rolle eines Wachstumsmotors im Tourismus haben. Das liegt nicht allein in ihrer steigenden Bedeutung in der Bevölkerung (relativ und absolut), sondern ist auch die Folge des Festhaltens an im Lebensverlauf erworbenen Reisegewohnheiten (einschließlich der Beibehaltung der hohen Urlaubsreiseintensität). Dadurch ergibt sich auch ein gegenüber früheren Seniorengenerationen geändertes Reiseverhalten mit anderen Zielpräferenzen, Urlaubsformen etc. Das Schlagwort von den "jungen Alten" wird aber der Entwicklung alleine nicht gerecht: Es geht nicht nur um den vorzeitig in den Ruhestand getretenen Endfünfziger, sondern auch um die Dynamik im Segment der über 70-Jährigen oder der Hochbetagten. Innerhalb der breiten Gruppe der Senioren ist also eine weitere Segmentierung unabdingbar. Hinsichtlich der Entwicklung des Anteils der älteren Menschen in der Gesellschaft gibt es ähnliche Entwicklungstendenzen nicht nur in Österreich und Deutschland sondern in vielen Quellmärkten. Folgt man einer Studie aus Deutschland (Grimm et al., 2009), so ist der Effekt der veränderten Altersstruktur aus anderen ausländischen Quellmärkten nicht automatisch positiv für den ÖsterreichTourismus. Chancen zeigen sich bei Kultur- und Städtereisen, wobei hier die immer stärker werdende Konkurrenz durch Destinationen in Ostmittel- und Südosteuropa großen Zuwächsen entgegenwirken könnte. Das durchschnittliche Bildungsniveau ist in der jüngeren Vergangenheit deutlich angestiegen. Auch in Zukunft ist mit einem Anhalten dieser Tendenz zu rechnen. Die rasante Entwicklung neuer Technologien sowie von Informations- und Kommunikationssystemen setzt einen Prozess des lebenslangen Lernens in Gang, um auf dem Arbeitsmarkt mithalten zu können. Der Anstieg des allgemeinen Bildungsniveaus (auch Fremdsprachenkenntnisse) – und der damit verbundene höhere kulturelle Anspruch an die Reise (letzteres gilt insbesondere für Frauen, deren Erwerbsbeteiligung und Kaufkraft zunimmt) – ist für die touristische Entwicklung ein bedeutender Einflussfaktor. Es ist daher damit zu rechnen, dass in Zukunft nicht nur die Reisetätigkeit wegen des höheren Bildungsniveaus im Allgemeinen, sondern auch spezifischeres Reisen mit kulturellen Schwerpunkten bzw. Hintergründen sowie Bildungsinhalten überproportional zunehmen wird. Die zunehmende Migration führt in der westlichen Welt zu einer "bunteren" Gesellschaft, deren Mitglieder sich auch im Reiseverhalten unterscheiden werden (Lohmann – Aderhold, 2009). In Zukunft ergeben sich dadurch vor allem Zielgebietsverschiebungen zugunsten der Heimatländer der Migranten (Verwandtenbesuche – "roots travel"). Grundsätzlich wirkt diese Entwicklung stimulierend auf den Tourismus, dürfte jedoch die "alten" europäischen Tourismusdestinationen benachteiligen. Trotz der absehbaren Änderungen in der Alters- und Haushaltsstruktur wird sich am Anteil der alleinreisenden Urlaubssingles in den nächsten Jahren nicht viel ändern. Leicht wachsende Bedeutung hat das Segment der nicht allein und ohne Kinder reisenden Erwachsenen. Dabei wird die Gruppe von Personen bedeutender, die zwar zusammen reisen, aber nicht unbedingt ein Paar sind. Hier besteht Anpassungsbedarf beim Angebot, z. B. in den Unterkünften. Weiters an Bedeutung gewinnt die Zielgruppe der Patchwork-Familien sowie die 3-Generationen Urlauber. 3.2.2.4 Anpassung an neue Lebensstile in Arbeit und Freizeit Für die strategische Ausrichtung der Tourismuspolitik ist von Bedeutung, wie sich die Alltagssituation (Gesellschaft, Arbeit, Familie) auf das touristische Verhalten potenzieller Kunden auswirkt. Die Veränderung der Produktionsstrukturen durch Globalisierung, Outsourcing und das zunehmende Gewicht der Dienstleistungsproduktion wird sich deutlich auf die Arbeitsmärkte, die Beschäftigungs25 verhältnisse, die Lebensstile und auf die Freizeitmärkte auswirken. Durch die touristische Nutzung der daraus resultierenden neuen Nachfragestrukturen können erhebliche Wachstumschancen entstehen. Allerdings werden diese neuen Strukturen nicht durch eine klare Richtung gekennzeichnet sein, an der man sich leicht orientieren kann, sondern eher durch eine verwirrende Vielfalt. Flexiblere Arbeitszeitstrukturen lösen die bisherigen Standards bezüglich der Tages-, Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit auf. Hinzu kommt, dass sich der Arbeitsmarkt zu Gunsten von Dienstleistungen de-industrialisiert. Ein Teil der Bevölkerung wird z. B. ein Erwerbsleben führen, das sich aus Projekten zusammensetzt oder durch eher kurzfristige, abhängige Beschäftigungsverhältnisse charakterisiert ist. Eine klare Trennung von Freizeit und Arbeitszeit wird für manche Berufstätige kaum mehr möglich sein. Solche Strukturen beeinflussen auch das Reiseverhalten. Das wird sich nicht unbedingt auf die Menge der Reisen auswirken, wohl aber auf ihre Gestaltung (Reiserhythmus, Reisezeitpunkt, Zielwahl, kombinierte Geschäfts- und Privatreisen etc.). Weiter werden sich Wirkungen vor allem im Bereich der Differenzierung (mehr unterschiedliche Nachfragegruppen) ergeben. Hierbei spielen die geänderten Arbeitszeitstrukturen und die stärkere Teilung der Gesellschaft in Personen mit viel Zeit und wenig Geld und solche mit wenig Zeit und viel Geld, in Gelangweilte und Gehetzte, eine wichtige Rolle. Schließlich können sich die stetig wachsenden Anforderungen des Arbeitslebens auch in den Urlaubsmotiven niederschlagen: Eine Gesellschaft unter (Zeit-)Druck erwartet auch im Urlaub hohe Effektivität bzw. führt tendenziell zu einem noch größeren Bedürfnis nach Erholung im psychischen Sinne. Der "Kunde der Zukunft" ergibt sich durch gesellschaftliche Entwicklungen und Marktprozesse einerseits (Strukturwandel, Differenzierung, gelegentlich auch Polarisierung), andererseits durch den jeweils individuellen Zuwachs an Kompetenz und als befriedigend wahrgenommenen Wahlmöglichkeiten (Multi-Optionalität). Es kann davon ausgegangen werden, dass der potenzielle Reisende ein erfahrener und sehr bewusster Kunde sein wird, dem auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen sehr viele Möglichkeiten offen stehen (multioptionaler Verbraucher), von denen er kenntnisreich Gebrauch macht ("smart shopper"). Für das zukünftige Freizeit- und Reiseverhalten sind persönlichkeitsbezogene Selbstentfaltungswerte hedonistischer und individualistischer Prägung von besonderer Bedeutung, also z. B. Genuss, Abenteuer, Spannung, Abwechslung, Kreativität, Spontaneität und Ungebundenheit. Die Ausprägungen der modernen Gesellschaft – Stress, Hektik, Sorge um den Arbeitsplatz – lassen den alltäglichen Druck auf die Individuen anwachsen. Im Reiseverhalten kann es dazu sowohl eine Entsprechung (Beschleunigung des Reisens; schneller, weiter, mehr) wie auch einen Gegenpol (Ruhe, Besinnung) geben, wie er z. B. im Ansteigen der Bedeutungswerte für die psychische Erholung im Urlaub zum Ausdruck kommt. Auffällig ist, dass der Wunsch nach selbstbestimmten Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten in vielen gesellschaftlichen Gruppen größer wird. Dies gilt nicht nur für Berufstätige, sondern insbesondere für diejenigen, denen durch die Doppelbelastung "Beruf und Familie" (also meistens den Frauen) zu wenig Eigenzeit bleibt. Denkbar ist sowohl, dass die Sehnsucht nach freier Zeit zu einer bewussten Entschleunigung führt, als auch, dass die reine Freizeit nach und nach verdrängt wird von der Zeit, die für Ausbildung, Arbeit und Regeneration benötigt wird. Auch das allgemeine Interesse am Thema Gesundheit wächst. Diese Veränderung lässt sich sowohl aus einer Umorientierung in der Medizin, als auch aus der chronischen Misere des Krankenversicherungswesens ableiten, für deren Lösung regelmäßig auf eine wachsende Eigenverantwortung der 26 Patienten hingewiesen wird. Für den Tourismus stellt das steigende Gesundheitsbewusstsein ein großes Potenzial dar. Die Verbraucher werden konsumerfahrener und -bewusster. Der alltägliche Umgang mit unterschiedlichen Dienstleistungen und Produkten, verbunden mit breit gestreuten und durch das Internet (zumindest potenziell) jedermann zugänglichen Informationen, führt zu einer höheren Kompetenz der Konsumenten. Diese wiederum schlägt sich in einer ausgeprägten Anspruchshaltung nieder, die immer mehr Konsumenten an den Tag legen. Interessant ist dabei, dass zunehmend nicht nur hochwertige Ware und/oder niedrige Preise, sondern Markenartikel zu günstigen Preisen erwartet werden. Dies gilt nicht zuletzt für das Konsumgut Urlaubsreise: Die Touristen sind in den letzten 30 Jahren auf Grund ihrer individuell umfangreichen Reiseerfahrung zu sehr bewussten Urlaubskonsumenten geworden, die wissen, was sie wollen (und wie viel sie dafür bezahlen wollen). Viele Studien zur Entwicklung der Urlaubsmotive und -erwartungen zeigen einen anspruchsvoller gewordenen Kunden. Die grundsätzlichen Motive für Urlaubsreisen werden sich auch in den kommenden zehn Jahren nicht ändern: Entspannung, kein Stress, über sich selbst frei verfügen, Abstand zum Alltag finden und gleichzeitig frische Kraft zu dessen Bewältigung tanken. Zu erwarten ist aber eine weitere Differenzierung in den Erwartungen, wie diese grundlegenden Motive in der konkreten Reise realisiert werden sollen. Hinter den Grundmotiven gibt es beachtenswerte Entwicklungen, die sich eher auf das "Wie?" der Urlaubsreise als auf das "Warum?" beziehen. Mehr Erlebnis, mehr Genuss – das kennzeichnet den Wandel der Urlaubswünsche, der Urlaub ist der "Eindrucks-Lieferant". Reine Dienstleistung reicht nicht aus, "einzigartige" Erlebnisse mit persönlicher Beteiligung sind gefragt. Das Urlaubsleben der Zukunft wird geprägt durch mehr Intensität und Geschwindigkeit (mehr Urlaubsinhalt pro Zeiteinheit) und die Suche sowohl nach "Authentischem" wie nach "neuem Erleben". In den Daten zeigt sich eine Tendenz, "mehr in einen Urlaub zu packen", d. h. eine Reise soll mehrere Funktionen erfüllen. 3.2.2.5 Trends im touristischen Nachfrageverhalten Im Tourismus gibt es eine Reihe von länderübergreifenden Entwicklungen, die das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage charakterisieren: Die Differenzierung kann als aktueller Megatrend im Tourismus aufgefasst werden. Alles wird differenzierter, fragmentierter: Zielgruppen, Motive, Reiseverhaltensmuster etc., aber auch die Angebote. Wenn im Tourismus etwas Neues hinzukommt, dann löst es in der Regel das Alte nicht völlig ab, sondern ergänzt die Palette der Möglichkeiten. Das gilt z. B. für Informations- und Buchungswege (+ Internet), Reiseziele (Karibik kommt dazu, Tirol bleibt), Urlaubsformen (Wellness kommt dazu, Kur bleibt) und Sportaktivitäten (Mountainbiken kommt dazu, Wandern bleibt). Natürlich verschieben sich die Marktanteile durch diese Entwicklung: Die herkömmlichen Produkte ziehen relativ weniger Nachfrage auf sich. Aber sie verschwinden deswegen nicht vollständig vom Markt, meistens bleiben sie bedeutend. Analog finden wir Differenzierungsprozesse auch auf der Nachfrageseite, eine Entwicklung in immer mehr und immer kleinere Segmente mit immer höheren Anforderungen. Ein Beispiel dafür sind Winterferien im Schnee, für die immer mehr Möglichkeiten angeboten werden, wie man einen verschneiten Hang hinunter kommen kann. Ähnliche Wandlungsprozesse gibt es in anderen touristischen Segmenten, z. B. beim Gesundheitsurlaub. 27 Die Preise werden im Tourismus auch in den nächsten Jahren eine die Entwicklung bestimmende Rolle spielen. Der schärfere Wettbewerb und unausgelastete Kapazitäten lassen viele Anbieter im Marketing zum Mittel der Preisreduktion greifen (man denke z. B. an das Verschleudern von Restplätzen). Wer als Anbieter ganz knapp am Limit kalkuliert, hat kaum Spielraum, unerwartete Kostensteigerungen aufzufangen, und in der Regel nicht die Möglichkeit, Rücklagen für schlechte Zeiten oder Investitionen zu bilden. Die Kunden werden währenddessen preisbewusster und haben wenig Neigung, mehr zu bezahlen als offensichtlich nötig. Die wachsende Kompetenz der erfahrenen Kunden ist eine Voraussetzung, der die Tourismusanbieter im Marketing gerecht werden müssen. Einfach gesagt: Diesen Kunden kann man nichts vormachen, sie kennen sich aus. Die Kompetenz äußert sich in einer kritischen Preis-Leistungs-Orientierung ebenso wie in langfristig wachsenden Ansprüchen. In diesem Zusammenhang muss sorgfältig auf die Qualität der angebotenen Serviceleistungen geachtet werden. Eine ausgezeichnete Leistung wird aber andererseits von den Gästen hoch geschätzt und ist im Nachhinein der beste Werbeträger. Multi-Optionalität reflektiert den Trend, dass der Kunde selbst zunehmend Wahlmöglichkeiten sieht, mit denen er einen für ihn positiven Urlaub gestalten kann. Natürlich ist dafür eine wichtige Voraussetzung, dass es ein entsprechend breites Angebot gibt. Das spannende auf der Kundenseite ist, dass die potenziellen Urlauber so breit gestreute Interessen und Motive haben, dass sie mit ganz verschiedenen Angeboten glücklich werden können. Konkret bedeutet dies, dass für einen einzelnen Urlauber die Palette der von ihm als interessant eingestuften Urlaubsziele und Urlaubsformen immer breiter wird. Diese Breite erlaubt ihm eine Flexibilität in seinen Entscheidungen. Der wandelbare Konsument tritt auf dem Tourismusmarkt einmal in der einen, einmal in der anderen Rolle auf. Die Urlaubsentscheidungen werden auch durch die neuen Marktbedingungen im Tourismus beeinflusst. Das Verhalten der Konsumenten in westlichen Industriegesellschaften ("Überflussgesellschaft") wird hauptsächlich beeinflusst durch: • Informationsüberflutung mit dem Risiko von Informationsüberlastung und Konsumentenverwirrtheit als deren Folge, • einen hohen Sättigungsgrad und • austauschbare Produkte. Diese Aspekte gelten auch für die Verhältnisse auf dem Tourismusmarkt, unter marktpsychologischer Perspektive führen sie zu einem geringen "Involvement" der Kunden bei ihren Konsumentscheidungen. Das bedeutet, dass sie für rationale Argumente bei der Produktauswahl nur begrenzt zugänglich sind und viele Entscheidungen mehr aus dem Bauch heraus treffen. Es handelt sich im strengen Sinn nicht um Entscheidungen, sondern um Entschlüsse. Hierzu gehören auch die so genannten hybriden Kaufentscheidungen, die u. a. auf dem Wunsch nach Abwechslung ("variety seeking") basieren. Um Wünsche zu wecken, die zu neuem Konsum führen, werden Aspekte thematisiert, die über den Hauptnutzen der Produkte und Dienstleistungen hinausgehen. Im Konsumverhalten werden deshalb u. a. zwei Entwicklungen relevant, nämlich Erlebnisorientierung und Convenience-Orientierung. Natürlich sind "Erlebnisse" nichts Neues. Entscheidend ist, dass Erlebnisse und die zugehörigen Emotionen käuflich sind ("commodified experiences and emotions"). Das bezieht sich aber nicht nur auf die Produkte und Dienstleistungen, sondern auch auf den Einkauf selbst (Erlebniseinkauf). 28 In dieser Situation gewinnen die Informationen vor der Urlaubsreise angesichts der zunehmenden Zahl von Reiseangeboten eine immer größere Bedeutung. Besonders schnell wächst die Nutzung elektronischer Medien, vor allem die des Internets. Die neuen Medien ersetzen aber nicht die alten Informationswege, sie ergänzen sie. Die immer zahlreicher zur Verfügung stehenden Informationen führen zu einer potenziellen Überlastung der Kunden. Dem Informationsverhalten der Verbraucher kommt im zukünftigen touristischen Wettbewerb eine Schlüsselrolle zu. Nur Produkte, denen es gelingt, im Laufe des Entscheidungsprozesses überhaupt bedacht zu werden (die im "relevant set" des Konsumenten sind), haben eine Chance, in die nähere Auswahl zu kommen. 3.2.3 3.2.3.1 Anpassung der Markt-, Organisations- und Vertriebsstrukturen Bildung von Destinationen und Netzwerkallianzen Der Wettbewerb von Regionen, Standorten und touristischen Destinationen gewinnt durch die Globalisierung von Wertschöpfungsketten sowie die sich entsprechend verändernden Kundenbedürfnisse an Intensität. Destinationen buhlen um Gäste und Besucher mittels spezieller Attraktionspunkte, professionellen Dienstleistungen sowie nachhaltigen Strategien. Für die Destinationsentwicklung stellen standortspezifische Aspekte wie beispielsweise die geografische Lage, die naturräumlichen Ressourcen oder die Infrastruktur relevante Rahmenbedingungen dar. Um der Globalisierung entgegenzuwirken, geht es in der Diskussion vor allem darum, die Wettbewerbsfähigkeit von Destinationen über die betriebliche und netzwerkspezifische Ebene zu sichern. Die Globalisierung benachteiligt gewissermaßen kleine und mittlere Betriebe, weil – bedingt durch die Größennachteile und die entsprechenden Anpassungsschwierigkeiten bei Management und Unternehmertum – Kooperations- und Koordinationsmaßnahmen zu wenig schnell und flexibel angewandt werden. Unternehmen werden von Menschen geführt, welche die zentralen Ressourcen des Tourismus zur Verfügung stellen – Gastlichkeit und Gastfreundschaft. Hier geht es um verschiedene Aspekte: • Es geht um Dienstleistungen auf betrieblicher Ebene, welche jedoch – und das ist ein zentraler Aspekt – nur unter entsprechendem Marktdruck mit Dienstleistungen anderer touristischer und nicht-touristischer Unternehmen integriert werden, um den potenziellen Gästen eine entsprechende Auswahl bei den Dienstleistungsketten zu ermöglichen. Diese Integrationsleistungen haben ihre Grundlage in spezifischen interorganisationalen Beziehungen zwischen den Akteuren einer Destination. Diese sind regionale Wertschöpfungsnetzwerke, zu welchen die Betriebe bzw. Unternehmer am Standort mit ihren Kompetenzen, Fähigkeiten und ihrem Wissen beitragen. • Es geht um kooperative Spezialisierung der einzelnen Akteure, welche sich beispielsweise in sogenannten Angebotsgruppen zusammenschließen, um besondere Kundenbedürfnisse eben durch Spezialisierung besser zu lösen. Diesbezüglich hat Österreich auf Grund einer frühzeitig begonnenen Initiative durchaus Erfolge aufzuweisen. Auf diesem Wege entsteht durch die Kombination und Organisation der vielfach komplementären Leistungen der Anbieter ein schwer imitierbares Produkt. • Es geht auch darum, dass zukünftig Wettbewerbsvorteile zusätzlich über die Entwicklung sogenannter kooperativer Kompetenzen ermöglicht werden können. Dies bedeutet, dass die Akteure einer Destination auf der Netzwerkebene kollektive Kompetenzen schaffen, und die Destination somit zu einem im Wettbewerb schwer imitierbaren Kompetenzbündel machen. Entscheidend ist die Beteiligung am Netzwerk, um einen gemeinsamen Ressourcenpool 29 entstehen zu lassen, auf dessen Basis sich kooperative Kernkompetenzen entwickeln. Entsprechende Anreizsysteme sind von staatlicher Seite zu ermöglichen. Eine spezifische Ausund Weiterbildung für die Akteure ermöglicht die spezielle Fähigkeit bei Unternehmern und Vertretern von tourismusrelevanten Institutionen, die Bildung von Netzwerken als Strategie zur Stärkung der betrieblichen und destinationsspezifischen Wettbewerbsfähigkeit zu verstehen. In Bezug auf die Destinationsbildung ergeben sich zwei zentrale Fragestellungen: • Welchen Beitrag können die Unternehmer leisten, damit neben dem Unternehmen vor allem das Destinationsnetzwerk profitiert und damit die Produktivität aller Netzwerkteilnehmer gesteigert wird? • Was kann das Destinationsnetzwerk leisten, damit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gesteigert werden kann? Eine Aufgabe des Destinationsmanagements ist die Prüfung der Kompatibilität der strategischen Interessen der Akteure mit dem Ziel der Schaffung einer geeigneten Plattform im Wertschöpfungsnetzwerk. Dabei sind diese nicht von administrativ-politischen Grenzen abhängig, sondern vielmehr von kundenspezifischen Anforderungen und Bedürfnissen. Mehr als bisher geht es darum, zukünftig jene Rahmenbedingungen zu schaffen, welche dem Destinationsmanagement noch mehr als bisher die Möglichkeit eröffnen, Wertschöpfungsnetzwerke jenseits der politisch-administrativen Grenzen zu entwickeln. Kooperative Kernkompetenzen von unternehmerisch geprägten Netzwerken stellen eine Grundlage dar, um die Mitglieder zu befähigen, sich einerseits auf Kundenbedürfnisse einzustellen, aber andererseits auch mit jenen Ressourcen zu arbeiten, welche die Grundlage für die Produkte und Angebote darstellen. Dies bedeutet, dass als ein weiterer zentraler Aspekt von staatlicher Seite zukünftig ein besonderer Schwerpunkt auf die Produktentwicklung und weniger auf das Marketing zu legen ist, zumal die Schaffung – auf der Grundlage von (kooperativen) Kernkompetenzen – eines schwer imitierbaren Produkts erst die Basis für seine erfolgreiche Vermarktung darstellt (Pechlaner et al., 2011). Eine umfangreiche Konzeption und Definition von Kernkompetenzen hat obendrein den Vorteil, dass diese sowohl als Grundlage für die Entwicklung von tourismus- als auch standortspezifischen Kernprodukten dienen kann. Innovation (z. B. durch Clusterbildung und Innovationsförderung auf betrieblicher Ebene), Internationalisierung (z. B. durch Exportförderung, aber auch durch die Ansprache neuer touristischer Märkte), Positionierung (durch Alleinstellungsmerkmale), Aufbau eines Destinationsimages, Branding und standortspezifische Fragen der Lebensqualität (z. B. Kultur oder kreative Bereiche) sind die Grundlage für eine erfolgversprechende Produktentwicklung im Tourismus. Anstelle von branchen- und sektorenspezifischen Sichtweisen müssen zur Sicherstellung der Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit verstärkt prozess- und kundenorientierte Sichtweisen in die tourismuspolitische Diskussion Einzug halten. Dies erfordert vor allem eine Reduktion geografischer und politisch-administrativer Abgrenzungen in Tourismuspolitik und -management und eine entsprechende Förderung horizontaler, vertikaler und diagonaler Vernetzungen von Produkten, Dienstleistungen und Angeboten. Mit anderen Worten: Kompetenz-, Erfahrungs- und Wissens-Systeme machen selten an politisch-administrativen Grenzen Halt. Eine konsequente Prüfung und entsprechende Umsetzung "grenzüberschreitender" Potenziale der Vernetzung auf Produkt- und Markenebene 30 von Orten, Regionen und Ländern sollten mittelfristig Standards bilden, und zwar nicht nur, um neue Bewegungsräume für spezifische Gästesegmente zu schaffen, sondern vor allem auch, um der Erlebnisorientierung auf der Grundlage neuer Produkte und Angebote verstärkt Rechnung zu tragen. Vom räumlichen Gesichtspunkt aus betrachtet stellen Destinationen Mobilitäts-, Attraktions- und Erlebnisräume dar: • Destinationen sind Mobilitätsräume, um auf Basis von modernen Verkehrs- und Transportsystemen den Zugang und die notwendige Erreichbarkeit mit dem Ziel einer hohen Bewegungsqualität zu regeln. • Destinationen sind natürlich auch auf der Grundlage von Dienstleistungsketten und den entsprechenden Attraktionspunkten als Attraktionsräume aufzufassen. • Destinationen sind Erlebnisräume, wobei Erfahrungen, Stimmungen und Atmosphäre den Aufenthalt für die Gäste und Besucher zu einem unverwechselbaren Ereignis werden lassen. In der vernetzten Entwicklung wettbewerbsfähiger Erlebnisse auf Basis von für Zielgruppen verständlichen Prozessen geht es eigentlich zuerst darum, die Erlebnisse gemäß den Marktbedingungen zu definieren, um in einem weiteren Schritt darauf aufbauend die Dienstleistungsketten zu bündeln und dann die entsprechenden Zugänge und Erreichbarkeiten zu planen. Zumindest in übergreifenden Planungsprozessen kann diese Vorgehensweise dazu führen, dass zukünftig bei der touristischen Produkt- und Angebotsentwicklung stärker die Erlebnisorientierung im Vordergrund steht und weniger die politisch-administrative Infrastrukturpolitik als Ausgangspunkt für die Destinationsbildung gilt. Orte und Regionen sind häufig Kristallisationsebenen von Identität und gesellschaftlicher Verbundenheit. Diese gilt es auch in größere Räume einzubetten, und zwar im Sinne von potenziellen Produkten, welche sowohl für die Gäste als auch für die Einwohner eine zukunftsorientierte Perspektive beinhalten, zumal sie beispielsweise auf Innovation oder Qualität ausgerichtet sind. Diese sind dann auch die Grundlagen für die Markensysteme, welche dann eine Chance haben, von Zielgruppen auch erkannt zu werden. Die Identifikation jener Werte, welche die regionalen Stärken widerspiegeln, sind dann auch das stabile Fundament für innovative Produkte und eine nachhaltige Wertsteigerung. Dabei gilt es zu kommunizieren, wofür eine Region steht, welche zentralen Werte verfolgt werden, worin die Einzigartigkeit besteht und ob eine gemeinsame Überzeugung bezüglich der gesellschaftlichen und regionalen Verantwortung besteht. Im Zusammenhang mit den Markenbildungsprozessen muss bedacht werden, dass sich erfolgreiche Marken weniger über die dafür zur Verfügung stehenden Budgets, sondern über die Glaubwürdigkeit der Aussagen und entsprechende Botschaften zur Nachhaltigkeit im Sinne eines Beitrages zur Lösung regionaler und globaler Herausforderungen definieren. Erfolgreiche Destinationen sind zukünftig als "Sinn-Räume" zu konzipieren, in denen der Gast eine Stimmigkeit von Kernkompetenzen und Markenbotschaften vorfindet. Gäste interessieren sich für Kommunal- und Bundesländergrenzen nur eingeschränkt. Kernthemen wie Gesundheit/Wellness oder Natur können dabei eine Brückenfunktion für das Erleben von Sinnräumen erfüllen. Ein Beispiel für eine als "Sinnraum" integrierte Tourismusdestination ist die Durchdringung der Wertschöpfungsketten mit den Leistungen der "creative industries" (CIs; siehe auch Ratzenböck et al., 2006; Pechlaner et al., 2009). Die CIs erzeugen nicht nur gesellschaftliche und kulturelle Werte, sondern steigern durch ihre Anreicherung des Angebotes insbesondere die Attraktivität von Städten, 31 erhöhen den Freizeitwert der Einwohner und produzieren Attraktionspotenziale für auswärtige Besucher, Betriebsansiedlungen und deren Beschäftigte. Hauptsächlicher Produktionsfaktor der "creative industries" ist Kreativität, welche die Schaffung von Angeboten in den Bereichen bildende und darstellende Kunst, Musik, Museen, Mode, Design, Unterhaltung, Architektur usw. ermöglicht. Auch eine stärkere Vernetzung der touristischen Angebote mit dem ländlichen Raum im Hinblick auf eine Synergieoptimierung zwischen Tourismus und Landwirtschaft wäre denkbar ("Leben, arbeiten und genießen im ländlichen Raum"). Dabei würden z. B. der Wein- und Radtourismus, aber auch die Kulinarik mögliche Angelpunkte darstellen. Weiters könnten bäuerliche Leistungsringe dazu beitragen, ein regionales Image aufzubauen, das z. B. Wellnesskompetenzen mit einem informationsangereicherten Angebot von Bio- und Naturprodukten verbindet. Für die Schaffung von Alleinstellungsmerkmalen, die über Marken-Systeme transportiert werden können, ist die Herausbildung von kooperativen Kernkompetenzen eine wichtige Grundvoraussetzung. Bundesländerübergreifende sowie tourismusübergreifende Kompetenznetzwerke können die Grundlage für die produktspezifische Weiterentwicklung der Österreich-Botschaften sein. Insofern sind die Bundesländer selbst zunehmend aufgefordert, einerseits in Kooperation mit anderen Bundesländern Kernthemen zu etablieren, welche zum Teil über die Vertriebsschiene der Österreich Werbung die Erschließung neuer Märkte ermöglichen, andererseits sollen sie innerhalb der Länder zu stark orts- und regionsspezifische Abgrenzungen durch die Bildung von Destinations- bzw. Erlebnisnetzwerken auflösen und weiters diese Netzwerke auch jenseits der Bundesländergrenzen sowie gegebenenfalls jenseits nationaler Grenzen stärker verankern. In einer produkt- und marktspezifischen Abgrenzung käme den Bundesländern dabei noch stärker die Aufgabe zu, die Inlands- und Auslandsnahmärkte zu bearbeiten, während die Österreich Werbung ihre Energien noch stärker in die sich äußerst dynamisch entwickelnden Fernmärkte investieren soll. Die Etablierung von erfolgreichen Markensystemen auf der Basis von Kompetenznetzwerken ermöglicht/erhöht die Wahrnehmung durch die potenziellen Kunden auf den Märkten. Weiters geben Markensysteme den Akteuren in den Kommunen und Regionen die Sicherheit, nachhaltige betriebliche Strategien zu verfolgen. Die konsequente Überprüfung von möglichen Synergien auf der Grundlage der Kooperation von Kleinbetrieben wird dabei zu einem notwendigen Handlungsmuster des strategischen Denkens und Handelns. Gerade weil in der Vergangenheit die vielfach marketingspezifischen Kooperationen von Betrieben nicht immer erfolgreich waren, weil entweder die Produkte zu wenig klar herausgearbeitet wurden oder die Kooperationen auf Grund von zu kleinen Budgets sich am Markt nicht durchsetzen konnten, sind stärker integrierte Kooperationssysteme zwischen Unternehmungen auf dem Vormarsch und bedürfen daher auch entsprechender Regelungen in der Raumordnung sowie in der Förder- und Kooperationspolitik: Ressorts sind zum Beispiel integrierte Destinationseinheiten, welche neben den Kernleistungen Beherbergung und Verpflegung zumeist einen spezifischen Produkt- und Erlebnisfokus aufweisen. Hybride Formen von kooperativen Ressorts stellen eine weitere Möglichkeit dar, die Nachteile von Kleinbetrieben zu überwinden, indem mehrere Beherbergungsbetriebe – häufig in denselben Regionen – im Produktentwicklungs- und Marketingbereich eng zusammenarbeiten und in einer weiteren Integrationsstufe bei rechtlicher Selbstständigkeit der Betriebe die Personalpolitik und Bereiche des Managements zusammenlegen. Diese betrieblichen Entwicklungen benötigen neben den räumlich definierten Produkten ebenso ein starkes Markensystem, innerhalb welchem sie sich entfalten können. 32 3.2.3.2 Informations- und Kommunikationstechnologie: Suchmaschinenoptimierung bringt Wettbewerbsvorteile Immer mehr Menschen benutzen das Internet für Information und Buchung; das Internet ist aus dem Tourismus heute nicht mehr wegzudenken. Eine auf Deutschland bezogene Untersuchung ergab für die Zahl der Personen mit Internetzugang einen Anstieg von 2001 bis 2009 um 20 Mio. auf 41 Mio. (Lohmann – Aderhold, 2009). Fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung – das sind rund drei Viertel der Deutschen mit Zugang zum Internet – hat diese Quelle schon einmal zu Informationszwecken für Urlaubsreisen genutzt. Befragungen ergaben, dass rund 90% der Personen mit Internetzugang dieses Medium bei der Urlaubsplanung in Betracht ziehen (Lohmann – Aderhold, 2009). Lohmann und Aderhold gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2020 etwa 85% der Deutschen Zugang zum Internet haben werden und die Nutzungsintensität in Bezug auf die Informationsbeschaffung und Buchung noch merklich ansteigen wird. Im Rahmen einer von der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) beauftragten und vom Consultingunternehmen Roland und Berger durchgeführten Studie wurde festgestellt, dass mittlerweile bereits 38% aller Hotelbuchungen weltweit über das Internet abgewickelt werden und ein weiteres Drittel der Buchungen über das Internet beeinflusst werden. In den USA verwenden bereits 73% der Internetnutzer online Reiseinformationen (TIA, 2010), und laut einem Bericht der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) spielt das Internet in den touristischen Hauptmärkten der EU bereits eine bedeutsamere Rolle als persönliche Empfehlungen. Dies zeigt deutlich, dass sich das Internet zu einem zentralen touristischen Informationsmedium entwickelt hat. Der Stellenwert von elektronischen Medien als Kommunikationsplattform und Buchungskanal zwischen Anbietern und Kunden wird im Tourismus aber noch weiter steigen. Das zukünftige Wachstum in der Internetnutzung wird vor allem von Personenkreisen mit geringerem Einkommen, niedrigerer Bildung und höherem Alter generiert werden. Zu erwarten ist außerdem nicht nur ein kräftiger Anstieg an Online-Angeboten und entsprechenden Vernetzungen (z. B. Verkehrsinformationen, Unterhaltungs- und Kulturangebote, usw.), sondern auch eine stärkere Differenzierung in den Angeboten. Touristische Angebote werden noch rascher und näher an den Konsumenten herangebracht werden. Spezielle mobile Dienste mit touristischem Schwerpunkt werden sich zunächst als Kommunikationsinstrument, später auch als Entscheidungsunterstützungs-, Reservierungs- und Buchungsinstrument entwickeln (Stock et al., 2006). Die aktuell schon vorhandenen technischen Möglichkeiten, Informationen in Abhängigkeit vom jeweiligen Standort eines Reisenden zu filtern und zu präsentieren, wird die Entwicklung dieser intelligenten Systeme zusätzlich positiv beeinflussen. Im Hinblick auf die Informationsüberlastung des Kunden bezüglich austauschbarer Produkte und die Produktauswahl spielen soziale Medien, die den Austausch von Reiseerfahrungen sowie die persönliche Bewertung von Angebotselementen ermöglichen, eine zunehmend wichtige Rolle (McCarthy et al., 2010). Reiseentscheidungen von Erstbuchern werden in Zukunft kaum mehr ohne Konsultation einer oder mehrerer Reisebewertungsplattformen getroffen werden. In jedem Fall wird die Produktentscheidung nicht Resultat eines möglichst kompletten Vergleichs aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten sein, sondern immer nur ein Teilprozess, der dann beendet wird, wenn eine angemessen gute Lösung gefunden wurde. Um den gestiegenen Ansprüchen der zunehmend heterogenen Masse an Benutzern gerecht zu werden und um das Problem der Informationsüberlastung zu bewältigen, werden zudem intelligentere, personalisierte Entscheidungsunterstützungssysteme entstehen. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass der Marktanteil der klassischen "Laden-Reisebüros" weiter zurückgehen wird (Lohmann – Aderhold, 2009). Allerdings ergeben sich auf Grund der auf die 33 Konsumenten zukommenden Informationsflut auch Chancen für die Reiseveranstalter und Reisebüros. Durch ein professionelles Handling der Informations- und Suchprozesse können sie neue Dienstleistungen entwickeln, die den Konsumenten durch das nur schwer überschaubare Informationsangebot führen. Eine radikale Änderung der traditionellen Geschäftsmodelle wird wohl dafür notwendig sein. Die intelligente Bündelung von betrieblichen Leistungen sowie die elektronische Aufbereitung und Vermarktung sind entscheidende Faktoren für den globalen Wettbewerb zwischen den Destinationen, wobei natürlich die entsprechende Buchbarkeit der Angebote (bei optimaler Zahlungssicherheit) von hoher Wichtigkeit ist. Die logische und kreative Kombination von Dienstleistung und Technologie wird so zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor und bestimmt die Länge der Wertschöpfungskette. Die Qualität des Internetauftritts und der elektronischen Vernetzung (Kooperationsdichte) sowie die Leichtigkeit der Auffindung beeinflusst im entscheidenden Maß die Marktanteilsentwicklung einer Destination. Ein Drittel jener amerikanischen Konsumenten, die das Internet zur Planung ihrer Urlaubsreise nutzen, hat sich vor Beginn der Suche noch nicht auf ein bestimmtes Reiseziel festgelegt (TIA, 2010). In Zukunft wird ein optimales Erscheinungsbild im Internet für Tourismusdestinationen zur notwendigen Voraussetzung für das wirtschaftliche Überleben, unprofessionelle Websites werden zu Marktanteilsverlusten und Ertragseinbußen führen. Der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Konsumenten wird sich markant verschärfen. Ausgangspunkt von knapp mehr als der Hälfte aller Reiseplanungsprozesse im Internet sind laut einer aktuellen Studie in den Vereinigten Staaten die allgemeinen Suchmaschinen, wie Google, Yahoo, Live Search, Ask, Kayak, etc. Studien zum Nutzungsverhalten der Suchmaschinen belegen, dass sich die Aufmerksamkeit des Konsumenten auf die ersten Suchergebnisse beschränkt. Bei der Optimierung des Internetauftritts einer Tourismusdestination geht es daher nicht nur um eine möglichst tiefgehende und weitreichende Aufbereitung des Tourismusangebots, sondern insbesondere auch um eine Forcierung des Webmarketings. Folglich werden die Nennung der eigenen Website in diesen Suchmaschinen, Maßnahmen zur Verbesserung des Suchmaschinenrankings ("Suchmaschinenoptimierung") sowie bezahltes Suchmaschinenmarketing eine zentrale Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg eines touristischen Betriebes und einer Destination einnehmen. Ähnliches gilt für die im Internet verfügbaren Reservierungs- und Buchungssysteme im Hinblick auf Transport- und Beherbergung. Insbesondere im Städtetourismus stellt dies für viele Betriebe bereits die wichtigste Vertriebsschiene dar. Da in diesem Segment die produktpolitische Standardisierung sehr stark ausgeprägt ist, kann der wirtschaftliche Erfolg oft nur über den Preis oder eine besonders effektive Vertriebsstrategie beeinflusst werden. Insgesamt betrachtet kommt es somit zu einer zunehmenden Abhängigkeit der Unternehmen von den Betreibern der Reservierungs- und Buchungssysteme. Die sozialen Medien veränderten neuerlich die Spielregeln des touristischen Marketings. Empfehlungen von Verwandten oder Bekannten waren bei der Urlaubswahl immer sehr wichtig. Grundsätzlich ist die Meinung Anderer von großer Bedeutung. Wenn Meinungen in einem erkennbaren Kontext stehen, ist ihre Relevanz noch besser einschätzbar. Heute kann jeder Kunde über das Internet via Blogs oder soziale Netzwerke Informationen einholen und gleichzeitig Empfänger und Sender sein. Dies führt zur Notwendigkeit eines Umdenkens in touristischen Unternehmen, da Kunden deutlich aktiver am Kommunikationsprozess teilhaben als noch vor wenigen Jahren. Auf Grund dieser Tatsache sind soziale Medien im Tourismusmarketing bereits unverzichtbare Werkzeuge. Eine geschickte Anwendung bietet der Hotellerie, den Destinationen und anderen Tourismusunternehmen 34 ein enormes Potenzial, sich im Web überzeugend und authentisch zu präsentieren sowie Neukunden zu gewinnen. Destinationen, die zukünftig Marketing in diesen neuen Medien ignorieren, riskieren den fehlenden Aufbau eines positiven Images und weiters, bei negativer Resonanz korrigierend eingreifen zu können. Der Einfluss der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Tourismuswirtschaft führt zu einer nachhaltigen Verlagerung der Marketingressourcen. Waren bisher überwiegend nationale oder europäische Marketingagenturen sowie Betreiber von Reservierungssystemen Empfänger der Marketingmittel österreichischer Tourismusverbände und Leistungsträger im Tourismus, so sind es nun zunehmend Anbieter amerikanischer Buchungs- und Reservierungssysteme, Betreiber von Suchmaschinen und von sozialen Medien. Auch immer mehr Klein- und Mittelbetriebe im Tourismus nutzen die scheinbar einfache und kostengünstige Möglichkeit, weltweit Aufmerksamkeit für das eigene Angebot zu erzielen. Provisionszahlungen für Kommunikations- und Reservierungsleistungen, Ausgaben für Suchmaschinenmarketing und Werbeeinschaltungen in sozialen Medien reduzieren aber zunehmend die positiven ökonomischen Auswirkungen der Tourismuswirtschaft auf die österreichische Volkswirtschaft (dieser Effekt ist natürlich auch in anderen Branchen zu beobachten). Wegen der klein- und mittelbetrieblichen Struktur der Tourismuswirtschaft ist das Ausmaß der tatsächlich durchgeführten Marketinginvestitionen, die in diese neuen Kommunikations- und Vertriebskanäle fließen, nur schwer zu ermitteln. Ein weiteres Problem für den Tourismus ergibt sich auf Grund des Geschäftsmodells von Google, der weltweit führenden Suchmaschine und beliebtesten Plattform für Suchmaschinenmarketing. Die von Google implementierte Preisstrategie für Werbeeinschaltungen richtet sich nicht, wie in traditionellen Medien, nach der Größe und Häufigkeit der Einschaltungen, sondern nach den tatsächlich hergestellten Kontakten und der Wertigkeit der Suchwörter, die zum Auffinden des Web-Angebots geführt haben. Die Preise der Suchwörter definieren sich, ähnlich wie auf einem Aktienmarkt, nach der Zahlungsbereitschaft der Unternehmer. Da im Tourismus die Anzahl der Anbieter besonders groß ist, gehören typische Suchwörter, die zu touristischen Angeboten führen, zu den teuersten Begriffen im Suchmaschinenmarketing. Je mehr österreichische Betriebe also die Möglichkeiten des kommerziellen Suchmaschinenmarketing nutzen, umso teurer wird dieser Bereich, ohne die erzielbare Werbewirkung für Österreich zu erhöhen. Nur durch regionale und/oder nationale Koordinationsmaßnahmen und Absprachen zwischen den Anbietern einer Region könnte dieser negative Effekt erhöhter Kosten für das Suchmaschinenmarketing vermieden bzw. gemildert werden. Auch wenn diese Koordinationsaufgabe im ersten Moment aufwendig erscheint, so ist an diesem Beispiel gut erkennbar, wie stark sich der Aufgabenbereich einer Tourismusorganisation im Zeitalter des online Marketings verändert hat. Auch in Zukunft wird es technologische Entwicklungen geben die – bei Akzeptanz und Annahme durch die heimischen Wirtschaft – zusätzliche Möglichkeiten für den Tourismus in Österreich bringen. Obwohl die Entwicklung eines global agierenden und in Österreich ansässigen Buchungs- und Reservierungssystems nicht mehr zu erwarten ist, wird es auch weiterhin wichtige Forschungs- und Entwicklungsfelder im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien im Tourismus geben. Ziel einer Technologieförderung sollten daher Programme sein, die zu einer Reduktion der Abhängigkeit der Betriebe von den Vertriebskanälen ausländischer Anbieter führen. Eine mögliche strategische Maßnahme, die von regionalen und nationalen Tourismusverbänden unterstützt werden könnte, wäre die Förderung der Direktmarketingaktivitäten einzelner Betriebe 35 (z. B.: Verbesserungen der technischen Voraussetzungen für Direktbuchungen; gegenwärtig sind nur rund 50% der Betriebe überhaupt buchbar). Um dabei die Auffindbarkeit des Tourismusangebots in Österreich zu verbessern, könnten Tourismusmarketingorganisationen Metabuchungsplattformen einrichten. Damit könnte das bestehende Angebot von verschiedenen Anbietern am Markt aggregiert dargestellt werden, wodurch bereits bestehende Buchungsplattformen für den Nutzer optimal zugänglich wären. Die zunehmende Notwendigkeit neuer Formen der Online-Medienanalyse zur Optimierung der Distributionsstrategien und Steigerung der globalen Konkurrenzfähigkeit österreichischer Anbieter ist eine weitere Entwicklungschance für den Tourismus in Österreich. Die Verschiebung der Marketingdominanz vom Unternehmen zum Kunden, der seine persönliche Meinung öffentlich und dauerhaft publizieren kann, führt zu einer gezielteren Auseinandersetzung des Unternehmens mit dem Kunden und mit den durch Kunden und Interessenten geschaffenen Inhalten. Neue Instrumente der OnlineMedienanalyse können hier wichtige Grundlagen für Entscheidungsträger liefern. Destinationen, die in die Entwicklung dieser innovativen Technologien investieren, werden in Zukunft Wettbewerbsvorteile erzielen können. Der Online-Werbetreibende im Tourismus steht vor ähnlich komplexen Fragestellungen wie damals die Anbieter in der Offline-Welt. Die allgemein steigenden Online-Werbeausgaben erfordern vom Management ein Verständnis für die Wirksamkeit der einzelnen Werbekanäle. Da einige Werbekanäle neben den internen Ressourcen auch direkte Kosten für die Schaltung verursachen, ist ein präzises Verständnis für den Wirkungsmechanismus der einzelnen Kanäle notwendig, um Fehlallokationen von Werbeaufwendungen zu vermeiden. Die Metrik der neuen Erfolgsfaktoren des Vertriebs, die Zusammenhänge sowie die Analysemethoden müssen für die Akteure der Tourismuswirtschaft nachvollziehbar sein. Konsequenterweise dürfen die Methoden der traditionellen Werbewirkungsmessung, die Orientierung an angepeilten Zielgruppen, die Erforschung ihrer Einstellungen, Werte, Motive und Bedürfnisse, nicht vernachlässigt werden. Das Vorhandensein von Wissen über die sich ständig reformierenden Strategien zur Verbesserung des Suchmaschinenmarketings und der Nutzung der sozialen Medien, wird in Zukunft einen wichtigen Wettbewerbsvorteil einer Destination mit sich bringen. Durch Investitionen im Bereich der Ausund Weiterbildung können hier vermutlich die besten volkswirtschaftlichen Effekte erzielt werden. Bei der Wahl von touristischen Berufen wurde oft die Freude am Kontakt mit Gästen aus anderen Kulturen als das zentrale Motiv für eine Berufswahl im Tourismus beobachtet. Präsentations- und Kommunikationsfähigkeit, Sprachkenntnisse und Kulturinteresse waren folglich wünschenswerte Attribute eines Touristikers. Dem Aus- und Weiterbildungsbedarf im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der Förderung von Know-how für die Entwicklung von technologischen Anwendungen für den Tourismus wurde bisher deutlich zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Der Bildungsbedarf im Tourismus wird sich in Zukunft mehr an die tatsächlichen Anforderungen der Branche orientieren müssen. Der Informations- und KommunikationstechnologieBildungsstandard kann im Tourismus nur kontinuierlich und langfristig aufgebaut werden; dieser wird aber schließlich auch zu einer Erweiterung des Aufgabengebiets im Tourismus allgemein und zu einer Imageverbesserung der Branche insgesamt führen. 36 3.2.4 3.2.4.1 Verstärkte Qualitätsorientierung, Differenzierung und Positionierung Begründung einer zunehmenden Qualitätsorientierung Die Qualitätsorientierung gründet einerseits in der schleichenden Krise, in der sich der Tourismus in vielen Regionen befindet oder befand, andererseits in der hoffnungsvollen Chance, die dieser Ansatz bietet, nämlich sich zu differenzieren, Angebote zu "branden" und zu positionieren und sich so von der Konkurrenz abzusetzen, aber auch, um effizienter zu werden und damit Kosten zu sparen. Die hauptsächlichsten Ursachen für die Qualitätsoffensive sind: • Zunehmende Konkurrenzierung: Der Preisverfall, vor allem im Luftverkehr, hat die Ferne immer attraktiver gemacht. Entwicklungsregionen haben den Tourismus zunehmend als Rettungsanker entdeckt. Dies führte weltweit zu riesigen Überkapazitäten in allen touristischen Teilbereichen. • Zunehmender Zwang zur Rationalisierung: Der Kostendruck zwang auch die Betriebe der touristischen Dienstleistungskette, Aufgaben möglichst effizient zu lösen. Qualität soll in vielen auch persönlich erbrachten Serviceprozessen durch die Gestaltung von Abläufen und Umfeld der Mitarbeitenden vermehrt direkt und indirekt beeinflusst werden. • Zunehmende Vermassung: Kaufkraftstarke Individualgäste werden immer mehr durch den Massencharakter touristischer Angebote verdrängt. Im Zeitalter der Individualisierung führt dies zu Umsatz- und Rentabilitätsverlusten. • Neue Betriebsgrößen: Mit zunehmenden Betriebsgrößen ist es schwieriger geworden, das Qualitätsverständnis persönlich zu prägen, zu vermitteln und zu kontrollieren. Daher ist es wichtiger geworden, Qualität auch personenunabhängig zu definieren. • Abnehmende Attraktivität: Im Zuge des schnellen touristischen Wachstums wurden viele (ästhetische) Sünden begangen. Natur und Kultur wurden freizeitgerecht zugerichtet, die Authentizität wurde vernachlässigt, Landschaften verunstaltet und möbliert. Vieles geschah schleichend und beinahe unbemerkt. • Abnehmende Gastlichkeit: Wohlstandserscheinungen machen sich immer mehr bemerkbar. Über eine "Wir-haben-es-nicht-nötig-Mentalität" verbreitet sich da und dort eine Abwehrhaltung, Überheblichkeit, ja Arroganz den Gästen gegenüber. Servicebereitschaft, Zuvorkommenheit, Freundlichkeit oder gar Gastfreundschaft laufen Gefahr, verdrängt zu werden. • Veränderte Gästebedürfnisse: Die Alltagssituation mit weitverbreiteten Merkmalen wie Stress, Individualisierung, Vereinsamung, Denaturierung etc. haben zu einer verstärkenden Sehnsucht nach Stimmigem, Schönem und Authentischem geführt. Die zunehmende Reiseerfahrung verstärkte die Möglichkeit, Vergleiche unter Ferienangeboten anstellen zu können. 3.2.4.2 Dimensionen einer umfassenden Qualitätsorientierung Der facettenreiche Begriff "Qualität" wird sehr unterschiedlich beschrieben. Man ist sich jedoch einig, dass die Sicht bzw. das Urteil des Gastes einen zentralen Maßstab darstellt. Damit wird der Anspruch einer objektiven Messbarkeit relativiert und die subjektive Bewertung durch den Gast akzeptiert. So verstanden, kann Qualität umschrieben werden als die wahrgenommene oder erlebte Beschaffenheit eines Produktes, einer Leistung oder einer organisatorischen Einheit, gemessen an den Erwartungen der anvisierten Zielgruppen (Müller, 2004, S. 21). 37 Im Zentrum der Qualitätsorientierung steht heute sehr oft die Servicequalität. Sie hat sehr viele Ausprägungen, wie Parasuraman, Zeithaml und Berry, (1992) in verschiedenen Untersuchungen offen gelegt haben. Im Hinblick auf die Relevanz für touristische Dienstleistungsbündel werden sie häufig auf fünf Dimensionen verdichtet: • Zuverlässigkeit und Sicherheit: Die Zuverlässigkeit von Betrieben oder Organisationen, die versprochenen Leistungen zeitlich und qualitativ erfüllen zu können. • Freundlichkeit und Entgegenkommen: Die Fähigkeit von Betrieben oder Organisationen, auf Kundenwünsche einzugehen und diese rasch erfüllen zu können. • Leistungs- und Fachkompetenz: Die Versicherung, dass die in Aussicht gestellte Leistungen kompetent und fachgerecht erbracht werden können. • Einfühlungsvermögen: Die Fähigkeit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sich in die Kunden einzufühlen und die Erwartungen und Bedürfnisse zu erkennen. • Annehmlichkeit des materiellen Umfeldes: Das Erscheinungsbild, die Atmosphäre und die Ausstattung eines Betriebes oder einer Organisation. Eine umfassend verstandene Qualitätsstrategie ist vielschichtig. Einerseits sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: • Qualitätsanspruch: das selbst festgelegte Leistungsniveau, um segmentspezifische Gästeund Mitarbeiterwünsche zu befriedigen; • Qualitätsentwicklung: die aktive Pflege dieses Leistungsniveaus und dessen kontinuierliche Verbesserung; • Qualitätssicherung: die bewusste Überprüfung des Leistungsniveaus sowie die Reaktionen bei festgestellten Abweichungen; • Qualifizierung des Managements sowie der Mitarbeitenden. Im Zentrum einer umfassend verstandenen Qualitätsorientierung steht somit die laufende Verbesserung und Sicherung der Qualität der Infrastruktur, der Serviceleistungen, der verantwortungsvolle Umgang mit der Umwelt und den Ressourcen sowie die Pflege der erlebbaren Atmosphäre mit einem geschickten Einsatz von Inszenierungsinstrumenten ("Erlebnisqualität"; Müller – Scheurer, 2007). 38 Abbildung 3: Qualitätsdimensionen im Tourismus Qualität im Tourismus Infrastrukturqualität (Hardware) Umweltqualität (Ökologie / Kultur) Servicequalität (Software) Erlebnisqualität (Atmosphäre) Infrastruktur / Ausstattung Kultur / Brauchtum Service Attraktionen / Aktivitäten Funktionalität Landschaftsbild / Ortsbild Information Szenerie / Umgebungsgestaltung Ästhetik / Design Beeinträchtigung / Verschmutzung / Ressourcenverbrauch Gastfreundlichkeit / Mentalität Besucherlenkung / Wohlbefinden Q: Eigene Darstellung und Erweiterung in Anlehnung an Romeiss-Stracke (1995). 3.2.4.3 Qualitätsanforderungen an die gesamte Dienstleistungskette Im Zentrum der Qualitätsanstrengungen steht der Gast. Voraussetzungen einer hohen Gästezufriedenheit sind das starke Engagement der obersten Führung – Qualitätsmanagement heißt Führungsverantwortung – sowie eine stark ausgeprägte Mitarbeiterorientierung. Nur wenn alle Mitarbeitenden in einen Qualitätsentwicklungsprozess involviert sind, können sowohl eine höhere Gästezufriedenheit wie auch eine höhere Effizienz erreicht werden, denn Tourismus ist zu einem großen Teil "people business". Aus all diesen Gründen spielt im Qualitätsmanagement die Prozessorientierung eine zentrale Rolle: Jedes Produkt oder jede Dienstleistung ist ein Ergebnis eines Leistungsprozesses, in dessen Verlauf ein Arbeitsvorgang mit dem folgenden verknüpft ist. Qualitätsprogramme müssen also das Prozessdenken in den Vordergrund stellen. Da sich die touristische Dienstleistung, von den Gästen betrachtet, aus einem ganzen, von verschiedenen Akteuren angebotenen, Leistungsbündel zusammensetzt, müssen die Prozesse der gesamten Dienstleistungskette miteinander verknüpft werden. Dabei ist den Schnittstellen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Das macht das Qualitätsmanagement ganzer Destinationen so anspruchsvoll. Allerdings, nur wenn die Qualität der gesamten Dienstleistungskette stimmt, ist der Gast zufrieden, spricht gut über das Erlebte und kommt wieder. 39 Abbildung 4: Dienstleistungskette einer touristischen Destination Vor Ort Vorher Information/ Reservation • Tourismusinformation • Andere Betriebe Reise • Bus • Bahn • Flugzeug • Privatauto Örtliche Information Verpflegung Beherbergung • Tourismus- • Restaurants • Hotel information • Hotels • Ferien• Andere • Snack-Bars wohnung Betriebe • Jugendherberge • Ferienheim • Camping Nachher Aktivität/ AnimaTransport tion/ Unterhaltung • Bergbahnen • Schifffahrt • Bus • Skilift • Sportcenter • Bars • Discos • Theater • Kino Landschaft/ Umwelt • Gemeinde • Kanton • Bund Abreise • Bus • Bahn • Flugzeug • Privatauto Nachbetreuung • Alle Betriebe Q: Müller (2008), 140. Wird Qualitätsmanagement umfassend verstanden, so spricht man auch von Total Quality Management (TQM). TQM steht für den Einbezug aller Bereiche und Mitarbeitenden, die Orientierung aller Aktivitäten an den Qualitätsanforderungen der Gäste sowie für die Verantwortung der obersten Leitung für die systematische Qualitätssicherung. 3.2.4.4 Qualität als Voraussetzung für erhöhte Markt- und Positionierungschancen Zur Verbesserung der Marktchancen ist es notwendig, touristische Angebote klarer zu positionieren. Positioniert werden kann aber nur, was sowohl eine hohe Qualität wie auch eine hohe Unverwechselbarkeit aufweist ("monopolistic competition"; Chamberlin, 1933; Robinson, 1933). Vier Kriterien machen eine gute Positionierbarkeit aus (Barney 1991, 106): • Eignung, um Kundennutzen zu stiften, also hohe Qualität • Einzigartigkeit, Knappheit • keine/beschränkte Imitierbarkeit • keine/beschränkte Substituierbarkeit Langfristig sind gegebene Marktchancen aber nur zu nutzen, wenn die Qualität weiterentwickelt wird. Dabei sind die Gestaltung intelligenter, typischer und feiner Konsumgüter und Dienstleistungen (Produkte der "creative industries"; feine Nahrungsmittel) sowie die Positionierung des Bildungs- und Wissenssektors (z. B. Ausbildung-, Forschungs- und Consulting-Institutionen in Tourismus- und Freizeitwirtschaft) von Wichtigkeit. 3.2.4.5 Inhalt und Instrumente einer umfassenden Qualitätsstrategie Eine fokussierte Qualitätsstrategie hat folgender Logik zu folgen: • Um Österreich als führende Tourismusregion in Mitteleuropa zu positionieren, sind qualitativ hochstehenden Angebote unerlässlich. • Die Gäste sollen entlang der gesamten touristischen Dienstleistungskette professionellen, kompetenten Service sowie attraktive Angebote und Infrastrukturen erleben können. 40 • Qualität ist die zentrale, aber übergreifende Thematik. Eine Qualitätsverbesserung ist nur durch alle am Produktionsprozess beteiligten Personen zu erreichen. • Die Qualitätsverantwortung liegt in erster Linie bei den Leistungsträgern der touristischen Dienstleistungskette. Sie werden unterstützt von den Tourismusorganisationen. Länder und Bund helfen mit, Instrumente für eine koordinierte Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung und Qualifizierung zu entwickeln. • Mit Hilfe der Qualitätsstrategie wird die Bereitschaft bei allen Akteuren gestärkt, sich ständig zu verbessern und die Kooperationen zu intensivieren. • Die Qualitätsstrategie nutzt und fördert die bestehenden und bewährten Qualitäts-Programme und evaluiert die Ergebnisse. • Darauf aufbauend werden gezielt eigene Schwerpunkte (z. B. in den Bereichen Erlebnis- und Umweltqualität) gesetzt. • Mit Information und Kommunikation sowie mit Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu den Qualitäts-Schwerpunkten werden die Mitarbeitenden auf allen Stufen des Österreich-Tourismus unterstützt. • Qualitätsmanagement wird als zentrales Positionierungsmerkmal gezielt eingesetzt, um den Gästen einem Mehrwert zu bieten und damit die Marktchancen besser zu nutzen. Um die Qualitätsstrategie zu konkretisieren, ist ein "Qualitätshaus" mit den folgenden Elementen bzw. thematischen Säulen zu erarbeiten: • Qualitätscredo • Qualifikation bzw. Aus- und Weiterbildung • Qualitätsentwicklung, d. h. Infrastruktur-, Umwelt-, Erlebnis- und Servicequalität (insbesondere Zuverlässigkeit, Kompetenz, Freundlichkeit und Empathie) • Qualitätssicherung, d. h. Messung von Gäste-, Mitarbeiter- und Partnerzufriedenheit sowie der Nachhaltigkeit in der Tourismusentwicklung • Kommunikationsstrategie mit umfassender Orientierung 41 Abbildung 5: Entwurf eines möglichen "Qualitätshauses Tourismus Österreich" Q: Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus (FIF), Universität Bern, 2011. 3.2.5 Koordinierte und fokussierte Tourismuspolitik Wichtige Eckpunkte für die Formulierung der koordinierten tourismuspolitischen Hauptstrategien sind Maßnahmen, die zu einer • • • • • Verminderung der Saisonalität ("Ganzjahresorientierung"), Fortsetzung der Internationalisierung, Qualitäts-, Produktivitäts- und Innovationsorientierung (inklusive Forschung und Ausbildung), Erhöhung der Dynamik im Destinationsbildungsprozess (wobei eine Verlängerung der Wertschöpfungskette sowie die Optimierung der Wahrnehmbarkeit durch den Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologie anzustreben ist) und Verbesserung der Ausbildungs- und Forschungssituation (inklusive eines Monitorings des jeweiligen gegenwärtigen Status und der Entwicklungstendenzen) führen. Im Produktbereich bilden dabei der Kultur- und Städtetourismus, der Wintersport sowie erlebnisorientierte Kurzaufenthalte bzw. Aktivitäten auf Basis der landschaftlichen Ressourcen wie z. B. Alpen, Flüsse oder Seen thematische Schwerpunkte. Um das Wirkungspotenzial der öffentlichen Maßnahmen zu erhöhen, sollten im Einzelnen die Förderprogramme von Bund, Ländern und Gemeinden thematisch abgestimmt bzw. Doppelgleisigkeiten vermieden (dies gilt auch für Forschungsvorhaben) sowie die Kleinförderungen eingestellt werden. Weiter wäre es wünschenswert, dass dem Tourismus im Hinblick auf die hohen Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte höhere öffentliche Fördermittel für notwendige betriebliche Investitionen und für Marketingmaßnahmen sowie für eine Intensivierung von Ausbildung und Forschung zur Verfügung stünden. Ferner sollten die Marketingprogramme auf nationaler und regionaler Ebene – auch 42 im Hinblick auf eine einheitliche Markenführungsstrategie – koordiniert werden. In Bezug auf die aktivierende Marktbearbeitung wäre es damit effizient, wenn sich die Österreich Werbung eher auf die Fernmärkte konzentrieren würde, wogegen die Bearbeitung der benachbarten ausländischen Märkte und des Inlandsmarkts primär die Aufgabe der regionalen Verbände sein sollte. Für die Marktbearbeitung gelten folgende Prämissen: Im Wege einer gemeinsamen Internationalisierungsstrategie müssten rasch wachsende Märkte durch gezielte Marketingaktivitäten erschlossen und Segmente mit hohen Einkommenselastizitäten entwickelt werden. Wachstumsmärkte für den österreichischen Tourismus sind die BRIC-Länder, die neuen Mitgliedsstaaten der EU, aber auch der Nahe und Mittlere Osten sowie die USA und Australien. Für die genannten Märkte müssten auf Basis der Empfehlungen der Österreich Werbung spezifische Produkt-Markt-Kombinationen erstellt werden, wobei deren gezielte Förderung die Angebotsund Nachfragestrukturen in die gewünschte Richtung lenken soll. Die Fakten zeigen aber auch die Notwendigkeit, eine Doppelstrategie zu verfolgen: Einerseits darf die Bearbeitungsintensität der etablierten Herkunftsmärkte (Deutschland, Österreich, Niederlande, Italien), von denen Österreichs Tourismuswirtschaft in hohem Maße abhängig ist, auf Grund des starken Wettbewerbsdrucks der Konkurrenzdestinationen nicht reduziert werden. Hier ist zu beachten, dass die Nahmarktstärke Österreichs in der Rezession 2009 den Rückgang im Gesamtergebnis deutlich milderte, da in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Nähe zu bevölkerungsreichen Herkunftsmärkten mit hoher Reiseintensität einen entscheidenden Vorteil darstellt. Unbestritten der Vorteile, in Krisenzeiten auf Nahmärkten präsent zu sein, müssen dennoch aus Gründen der Optimierung der Wachstumschancen spürbare Maßnahmen zur Forcierung der Fernmärkte gesetzt werden. Da es sich bei diesen neuen, entfernter gelegenen Märkten um Regionen mit unterschiedlichen klimatischen Bedingungen bzw. Arbeits- und Freizeitstrukturen handelt, kann hier durch eine verstärkte Bewerbung auch der starken Saisonabhängigkeit und den damit verknüpften Problembereichen, wie z. B. der Saisonarbeitslosigkeit, entgegengewirkt werden. Die Erschließung neuer Märkte hat nicht nur eine erhöhte Tourismusnachfrage zur Folge, sondern trägt auch zur Steigerung der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit des Angebotes bei, da Erstbesucher neue Marktinformationen generieren bzw. neue Kunden auch Impulse für die Angebotsverbesserung geben. Die von einer Internationalisierung ausgehende Stimulierung der Nachfrage erhöht nicht nur die Auslastung und die Ertragslage, sondern die Implementierung der neuen Marktinformationen löst auch Investitionen aus, wodurch die gesamtwirtschaftliche Aktivität belebt wird. In diesem Sinne kann Internationalisierung auch als Innovationsform aufgefasst werden (Williams – Shaw, 2011). In Bezug auf die Doppelstrategie – Forcierung der Fernmärkte bei gleichzeitiger Beibehaltung der Bearbeitungsintensität auf den Nahmärkten – muss jedoch bedacht werden, dass sich auch die Anzahl der Zielgruppen und die Heterogenität der Nachfrage erhöht. Dabei entsteht das Risiko, dass bei der Orientierung an einer höheren Anzahl von deutlich differenzierten Zielgruppen Unschärfen in der Kommunikation über Österreich entstehen können. 43 Literaturhinweise Barney, J., "Resources and sustained competitive advantage", Journal of Management, Vol. 17, No 1, 1991. Baumgartner J., Kaniovski, S., Pitlik, H., Schratzenstaller, M., Url, Th., "Wachstum gewinnt durch die Exportdynamik an Schwung – Binnenkonjunktur bleibt verhalten, Mittelfristige Prognose der österreichischen Wirtschaft", WIFO-Monatsberichte, 1/2011, 49-62. Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ), Neue Wege im Tourismus, Wien, Februar 2010. Chamberlin, E., H., The Theory of Monopolistic Competition, 1933. 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Nach dem Studium zunächst Tätigkeit als Studien-Reiseleiter (Klinger-Reisen); 1981 bis 1984 Assistent am Psychologischen Institut der Universität Würzburg; 1984 bis 1991 Referent für Forschung beim Studienkreis für Tourismus in Starnberg; seit 1991 Leiter des N.I.T. Seine Arbeitsfelder liegen in der touristischen Grundlagenforschung (Themenbeispiele: Trends, Impactforschung, Erholung), der touristischen Marktforschung (z. B. Gästebefragungen, Imageanalysen; Reiseanalyse im Auftrag der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen, FUR) und in der anwendungsbezogenen Forschung und Beratung (z. B. für touristische Unternehmen und Verbände, Urlaubsregionen und -orte, für nationale und supranationale Institutionen). Mehr Informationen unter www.NIT-Kiel.de, www.fur.de und www.leuphana.de Hansruedi Müller Hansruedi Müller, Prof. Dr. rer. pol., 1947 in Buchs (SG) geboren, lehrt Freizeit und Tourismus an der Universität Bern und leitet das Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus (FIF) seit 1989. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann er dort 1982 als Assistent. Er befasste sich in seinen Forschungsarbeiten mit allen Belangen von Freizeit und Tourismus. In den letzten Jahren hat er die Gebiete der Erlebnisökonomie, der touristischen Wertschöpfung, der Umweltökonomie sowie des Qualitätsmanagements vertieft. Ursprünglich absolvierte er eine Lehre als Betriebsdisponent bei den SBB, arbeitete sieben Jahre in der SBB-Generaldirektion, betreute die Güterverkehrswerbung und studierte auf dem zweiten Bildungsweg. Seit 2006 ist Hansruedi Müller zudem Präsident von Swiss Athletics, dem Schweizerischen Leichtathletik-Verband und präsidiert den VR der Leichtathletik-Europameisterschaften 2014 in Zürich. Mehr Informationen unter [email protected], http://www.fif.unibe.ch 46 Harald Pechlaner Univ.-Prof. Dr. Harald Pechlaner ist Inhaber des Lehrstuhls für Tourismus sowie Leiter des Zentrums für Entrepreneurship der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Regionalentwicklung und Standortmanagement der Europäischen Akademie Bozen (EURAC research). Univ.-Prof. Dr. Harald Pechlaner studierte Wirtschaftsund Handelswissenschaften an den Universitäten Verona und Innsbruck. Bis 1993 wirkte Harald Pechlaner als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Unternehmensführung der Universität Innsbruck und promovierte dort zum Doktor der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Von 1993 bis 1998 war Harald Pechlaner als Leiter der Abteilung Tourismus der Südtiroler Landesregierung und Direktor der Südtirol Tourismus Werbung in Bozen tätig. Nach diesen Praxisjahren kam er an das Institut für Unternehmensführung, Tourismus und Dienstleistungswirtschaft der Universität Innsbruck zurück und konzentrierte sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit auf das touristische Destinationsmanagement. Es folgte 2002 die Habilitation an der Universität Innsbruck im Fach "Betriebswirtschaftslehre". Forschungsaufenthalte und eine Gastprofessur führten ihn 1999 an die University of Wisconsin-Stout und 2001 an die University of Colorado at Boulder. Von Oktober 2002 bis Ende September 2003 war er an der Freien Universität Bozen als Gastprofessor für Tourismus tätig. 2009 war er an der University of Surrey (School of Management) sowie an der School of Tourism der University of Queensland. Er ist Mitglied des Vorstandes der AIEST (Association Internationale d'Experts Scientifiques du Tourisme) und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT e.V.). Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte liegen vor allem in der Verknüpfung des Regional- und Standortmanagements mit dem Tourismus E gon Smeral Universitätsprofessor Dr. Egon Smeral ist Ökonom, Forschungsbereichskoordinator für Strukturwandel und Regionalentwicklung und Experte für Tourismus und Freizeitwirtschaft am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und unterrichtet an verschiedenen in- und ausländischen Universitäten. Seine Forschungstätigkeit erstreckt sich über die Bereiche angewandte Wirtschaftstheorie und -politik (insbesondere im Bezug auf die Tourismus-, Freizeit- und Dienstleistungswirtschaft), Prognosen und Modelle zum Tourismus, Impact-Analysen, TourismusSatellitenkonten und die Erstellung und Evaluierung von Programmen über Tourismuspolitik und Marketingstrategien. Er ist Vize-Präsident der International Association of Scientific Experts in Tourism (AIEST), Mitglied der Travel and Tourism Research Association (TTRA), des Tourist Research Center (TRC), der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT), der Österreichischen Gesellschaft für Angewandte Forschung in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft (ÖGAF), der International Academy for the Study of Tourism (IAST) und des International Institute of Forecasters (IIF). Weiters ist Egon Smeral als koordinierender Herausgeber des Journals Annals of Tourism Research tätig. Ferner ist er Mitglied des Herausgeberbeirates des Journal of Travel Research und der Tourism Review sowie der Zeitschriften Tourism Analysis, Tourism Economics und Anatolia. Mehr Informationen unter [email protected], http://egon.smeral.wifo.ac.at/ 47 Karl Wöber Universitätsprofessor Dr. Karl Wöber ist Gründungsrektor der MODUL University Vienna. Nach dem Besuch des Fremdenverkehrskollegs MODUL begann er 1986 mit dem Studium der Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Von 1988 bis 2007 wirkte Karl Wöber als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Tourismus und Freizeitwirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien, wo er im Jahr 1993 sein Doktoratsstudium mit Auszeichnung abschloss. Nach mehreren Forschungsaufenthalten in den USA erfolgte im Jahr 2000 die Habilitation und die Verleihung der venia docendi für das Fach Betriebswirtschaftslehre. Seit 2007 ist Karl Wöber Rektor der MODUL University Vienna und leitet die Masterlehrgänge für Internationale Tourismuswirtschaft. Die Entwicklung interaktiver Werkzeuge zur Unterstützung von Managemententscheidungen, insbesondere in der Tourismuswirtschaft, stellen neben der Auseinandersetzung mit Fragen der Tourismusstatistik seine wissenschaftlichen Hauptarbeitsgebiete dar. Referenzarbeiten inkludieren die Entwicklung eines intelligenten Reiseberatungssystems im Auftrag der Europäischen Union (in Zusammenarbeit mit TISCover), die Konzeption und Umsetzung einer domain-spezifischen Suchmaschine für den Europäischen Städtetourismusverband und die kontinuierliche Entwicklung der weltweit größten Plattform für internationale Tourismusstatistik mit mehr als 16.000 registrierten Benutzern (ausgezeichnet durch die UN Welttourismusorganisation im Jahr 2010). Seit 1994 fungiert Karl Wöber als Technischer Berater der beiden in Europa führenden Interessensvertretungen im Bereich Destinationsmanagement (European Cities Marketing und European Travel Commission). Karl Wöber ist Visiting Senior Fellow an der School of Management der Universität Surrey (UK) und an der School of Tourism and Hospitality Management der Temple Universität in Philadelphia (USA). Er ist Mitglied der International Association of Scientific Experts in Tourism (AIEST), der Travel and Tourism Research Association (TTRA), des Tourist Research Center (TRC), der International Federation of Information Technology and Tourism (IFITT) und Mitglied des Vorstands der Österreichischen Gesellschaft für Angewandte Tourismuswirtschaft (ÖGAF). Ferner ist er Mitglied des Herausgeberbeirats des Journal of Travel Research, Journal of Information Technology and Tourism und des Journal of Modelling in Management. Mehr Informationen unter [email protected], http://www.modul.ac.at/woeber 48