Jubiläumsbericht - Wohngruppe Kanzler Frauenfeld

Transcription

Jubiläumsbericht - Wohngruppe Kanzler Frauenfeld
Jubiläum 25 Jahre Sozialpsychiatrische Wohngruppe Kanzler
Einweihung Um- und Erweiterungsbau Kanzler
Sozialpsychiatrische Wohngruppe Kanzler
Kanzlerstrasse 15
8500 Frauenfeld
Telefon 052 721 17 10
E-Mail: [email protected]
Homepage: www.wohngruppe-kanzler.ch
PC-Konto 85-897-8
Trägerschaft
Thurgauische Evangelische Frauenhilfe (TEF)
Betriebskommission
Esther Ott-Debrunner, Weinfelden (Präsidentin)
Christel Röthlisberger, Steckborn (Präsidentin TEF)
Alfred Ernst, Weinfelden
Ursula Haag, Frauenfeld
Dr. Roland Mayer, Frauenfeld
Giacun Valaulta, Märstetten
Impressum
Redaktion: Ursula Haag
Auflage: 600 Exemplare
Genius Media AG, 8500 Frauenfeld
25 Jahre Sozialpsychiatrische Wohngruppe Kanzler
Einweihung Um- und Erweiterungsbau an der Kanzlerstrasse 15
Ich freue mich, im Namen des Kantons
Thurgau der Thurgauischen Evangelischen
Frauenhilfe zu ihrem Kind, der Institution
«Im Kanzler» zu gratulieren. Mit seinen
25 Jahren hat das Kind die Adoleszenz und
den Entwicklungsabschnitt eines jungen Erwachsenen abgeschlossen. Das Geburtstagsgeschenk hat sich der junge Jubilar selbst
gemacht, indem er die Liegenschaft an der
Kanzlerstrasse 15 einer umfassenden Erneuerung unterzogen und mit einem grosszügigen Anbau versehen hat. Dies wurde möglich
dank einer konzertierten Aktion von privater
und öffentlicher Hand. Hochachtung und
Anerkennung gebührt den fleissigen und
zahlreichen Paten des Geburtstagskindes, die
für das Geburtstagsgeschenk unermüdlich
die Spendentrommeln geschlagen haben.
Mit berechtigtem Stolz darf der «Kanzler» auf 25 erfolgreiche Jahre zurückblicken.
Der Institution ist es gelungen, ein wegweisendes Modell in der Übergangsbetreuung
vom stationären zum ambulanten Betreuungsbereich umzusetzen. Dank dem «Kanzler» haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Personen ihre Reintegration in den
Alltag geschafft.
Der «Kanzler» mit seinen 12 Plätzen gehört zu den kleinen Institutionen in unserem
Kanton. Dieser Umstand kann mit Vor- und
Nachteilen verknüpft sein. Eine kleine Einrichtung ist im Allgemeinen flexibler und kann
flinker auf Änderungen im Umfeld reagieren. Belegungsschwankungen treffen kleine
Institutionen dagegen bedeutend stärker.
Der Kanzler hat sich in diesem Spannungsfeld behauptet und seine Stellung gefestigt.
Die Zusammenarbeit zwischen dem
Kanton und dem Geburtstagskind läuft gut
und ist von gegenseitiger Achtung geprägt.
Bei Aufsichtsbesuchen lässt sich immer wieder ein beeindruckendes Engagement der
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen feststellen.
Ein grosses Dankeschön für die wertvolle
Arbeit und den Einsatz zum Wohle unserer
Mitmenschen mit Behinderung gebührt der
ehrenamtlich tätigen Trägerschaft, der Thurgauischen Evangelischen Frauenhilfe, dem
Betreuungsteam und allen Personen, die sich
für den Kanzler haben einbinden lassen. Ihnen allen wünsche ich für die Zukunft Wohlergehen, Befriedigung bei ihrer Aufgabe und
alles Gute bis zum nächsten Jubiläum.
Florentina Wohnlich, Amtsleiterin
Fürsorgeamt des Kantons Thurgau
1
Vom Töchterheim «Sonnhalde» zur Sozialpsychiatrischen
Wohngruppe «Im Kanzler»
Die Evangelische Frauenhilfe Thurgau eröffnete 1937 als ihr drittes Werk das Töchterheim «Sonnhalde» in Frauenfeld. Die anderen zwei Werke der Frauenhilfe waren das
im Jahr 1914 gegründete Kinderheim in Romanshorn (heutiges Chinderhuus und WAZ)
sowie die 1919 eröffnete Beratungsstelle für
Frauen.
Dieses Töchterheim war vor allem für
schwachbegabte und psychisch gestörte jüngere und ältere Frauen ein Zufluchtsort. Man
passte die Konzeption des Heimes immer
wieder den neuen Anforderungen an und
wurde im Jahr 1968 in den Schweizerischen
Hilfsverband für Schwererziehbare aufgenommen. Der Bund erklärte das Heim nun
subventionsberechtigt, was eine gewisse finanzielle Erleichterung bedeutete.
Leider änderte die Einweisungspraxis
gesamtschweizerisch innert kurzer Zeit wesentlich. Es wurden immer schwierigere
Mädchen eingewiesen, denen der geeignete
Rahmen nicht mehr geboten werden konnte.
So musste im März 1979 das Heim schweren
Herzens geschlossen werden.
Verschiedene Abklärungen ergaben, dass
mit der Eröffnung einer sozialpsychiatrischen
Wohngruppe im Raume Frauenfeld eine
Marktlücke geschlossen würde. Die Evangelische Frauenhilfe beschloss, das Töchterheim dem neuen Zweck zuzuführen.
So wurde aus der «Sonnhalde» neu «Im
Kanzler». Die ersten Bewohner zogen im Januar 1981 ein.
Heute hat der Kanzler eine sehr gute
Beziehung zu den verschiedenen sozialen
Institutionen im Thurgau, dank der sehr
engagierten Arbeit des Betreuungsteams.
Christel Röthlisberger, Präsidentin
Evangelische Frauenhilfe Thurgau
Die Entwicklung der Wohngruppe Kanzler
«In Frauenfeld gibt es ein Haus, das Leute
beherbergt, die den Schritt aus der Psychiatrie suchen. Dieses Haus liegt an einer sehr
ruhigen Lage. Man nennt es den Kanzler.
Darin sucht man zu leben wie in einer organisierten Ehe. Es gibt öfters Streit um unangenehme Dinge. […] Ich glaube, man kann
mit Stolz sagen, dass das Leben im Kanzler in diesem Jahr sehr angenehm war. Das
Hand in Hand gehen war identisch mit den
Reibereien, die es in jedem Haus gibt. Mit
einem guten Blick in die Zukunft, suche ich
den Kanzler als guter Begleiter zu verlassen.»
So äusserte sich im zweiten Betriebsjahr der
Sozialpsychiaterischen Wohngruppe ein Bewohner über das Leben im Kanzler.
Dieses Zitat zeigt, dass das damalige
Betreuungskonzept bereits in der Gründerzeit weitgehend mit dem heutigen übereinstimmte. Wie damals geht es darum, psychisch behinderte Menschen zu betreuen,
die Entwicklungen im persönlichen, sozialen
und lebens-praktischen Bereich zu unterstützen und die Menschen zu befähigen, mit ihrer Krankheit besser umgehen zu können.
Als prägende Neuerungen der letzten Jahre
sind zu erwähnen:
1. Der Kanzler verfügt seit einigen Jah-
ren über ergänzende Betreuungsplätze in
Mietwohnungen in der näheren Umgebung.
Diese haben sich ausserordentlich bewährt
und helfen den Betreuten, ihren Weg in die
vollständige Selbstständigkeit in angepassten
Teilschritten zu vollziehen.
2. Seit drei Jahren wurde die Führungs-
struktur den geänderten Anforderungen
angepasst. Die seit den Anfängen gepflegte
Team-Führung wurde ersetzt durch die alleinige Führungsverantwortung des Heimleiters Rolf Kessler. Die beiden Team-Mitarbeiterinnen Edelgard Sick und Sonja Keist
unterstützen mit klar zugewiesenen Aufgabenbereichen und Kompetenzen.
3. Die Qualitätssicherungsvorschriften des
Bundes und Kantons erfüllt der Kanzler
vorbildlich, ist er doch seit 2005 auch ISOZertifiziert. Unter der kompetenten Leitung
von Rolf Kessler lebt das Team ein gut eingeführtes und transparentes Qualitätsmanagement-System, das die Stärken und Risiken
kontinuierlich dokumentiert.
Auch wenn sich die tägliche Arbeit und
die Art und Weise wie Problemstellungen
angegangen werden, gewandelt haben, die
Inhalte und Zielsetzungen sind im Wesentlichen die Gleichen geblieben. Die Wohngruppe Kanzler – insbesondere seine Leitung
und das Team – haben in der Vergangenheit
bewiesen, dass sie den Herausforderungen
des sich verändernden gesellschaftlichen Umfeldes gerecht werden. Die Trägerschaft und
die Betriebskommission können den Kanzler
zuversichtlich in die Zukunft begleiten.
Esther Ott-Debrunner
Präsidentin Betriebskommission
2 |3
Einige Gedanken aus ärztlicher Sicht
Im Jahre 1982, kurze Zeit nach Eröffnung
meiner Hausarztpraxis in Frauenfeld, wurde
ich eingeladen, als ärztlicher Berater mit
psychiatrischer Ausbildung in der Betriebskommission mit zu arbeiten. Die kurz zuvor
eröffnete Sozialpsychiatrische Wohngruppe
«Im Kanzler» war damals ein Pionierprojekt.
Im Verlaufe der Siebzigerjahre war man
nämlich zu der Einsicht gelangt, dass für
viele Patienten ein Zwischenschritt von der
Psychiatrischen Klinik zurück in die Arbeitswelt und zum selbständigen Wohnen
unumgänglich ist, um Rückfälle – Stichwort
«Drehtürpsychiatrie» – zu vermeiden. Als
Konsequenz wurden parallel zur Modernisierung der Psychiatrischen Kliniken nach
und nach die klinikexternen Institutionen
(Externe Psychiatrische Dienste, geschützte
Werkstätten, geschütztes Wohnen, Beratungsstellen) ausgebaut. Heute sind diese
Einrichtungen aus einem ganzheitlichen Behandlungskonzept nicht mehr wegzudenken.
Zunehmend wurden auch Psychiatrische
Arztpraxen im Thurgau eröffnet.
Das Konzept des «Kanzler» hat mich
von Anfang an fasziniert durch seine Praxisbezogenheit, das Engagement der Teammitglieder und auch die schlanken Strukturen
(1982 teilten sich die 3 MitarbeiterInnen
Beatrice Güntert, Matthias Steudler und
Ernst Huber 2 Stellen). Es wurden tragende
Beziehungen aufgebaut, die weit über den
Kanzleraufenthalt hinaus Bestand haben.
Die vielen Besuche ehemaliger Bewohner
machen dies deutlich. Die Arbeit des «Kanzler» war erfolgreich. Viele Bewohner konnten
und können wieder selbständig wohnen und
arbeiten.
Der Kanzler hat sich weiter entwickelt:
Aussenwohngruppen, Strukturen, Qualitätssicherung und Zertifizierung gemäss Vorgaben des BSV, und eben auch baulich mit
Renovation und Neubau, kurz, der Kanzler
ist für die Zukunft gut gerüstet.
Dr. med. Roland Mayer
Neue Wege gehen: 25 Jahre Wohngruppe Kanzler
In der Pionierrolle. Die Thurgauische
Evangelische Frauenhilfe (TEF) hat 1980
die Zeichen der Zeit erkannt und mit Mut
und Weitsicht die erste sozialpsychiatrische
Wohngruppe im Thurgau eröffnet. Das
Konzept basierte auf dem Gedanken des
partnerschaftlichen Zusammenlebens: «Wir
versuchen, auf der Beziehungsebene, mit
Sozialtraining und Mitbestimmung, Hilfe
zur Selbsthilfe zu leisten. Wir bieten einen
geschützten Rahmen, in dem die Bewohner
sich auf ein selbständigeres Leben ausserhalb
der Wohngruppe vorbereiten.»
Das Konzept hat sich in seinen Grundzügen bewährt, der «Kanzler» hat sich in
den 25 Jahren gefestigt und Bedeutung in
der Wohnrehabilitation psychisch erkrankter
Menschen erlangt. In der Zwischenzeit sind
im Thurgau verschiedene Institutionen der
Wohn- und Arbeitsrehabilitation mit unterschiedlichen Betreuungsintensitäten entstanden.
Kontinuität. Die Wohngruppe Kanzler
hat seit ihrer Gründung über 140 Menschen
aufgenommen und während kürzerer oder
längerer Zeit betreut. Dies entspricht durchschnittlich 5–6 Ein- und Austritten pro Jahr.
Die damit verbundene Dynamik steht im
Gegensatz zum Bedürfnis nach Ruhe und
Stabilität in der Bewohnergruppe. In einem
Übergangswohnheim kommt deshalb der
Kontinuität der Betreuerinnen und Betreuer
eine zentrale Stellung zu. Betreuungsarbeit
ist Beziehungsarbeit. Immer wieder erleben
wir, wie schmerzlich und hemmend Beziehungsabbrüche in der Vergangenheit der Be-
treuten erlebt wurden. Beziehungskonstanz ist
eine Voraussetzung für individuelle Entwicklungsschritte im persönlichen und sozialen
Bereich. Im «Kanzler» liegt die Kontinuität
des Betreuungsteams überdurchschnittlich
hoch: in den vergangenen 25 Jahren war
nur gerade sechsmal eine Stelle neu zu besetzen.
Anforderungen an eine professionelle Betreuung. Die Betreuung in
der sozialpsychiatrischen Wohngruppe erleben wir als anspruchsvolle Förderungsform.
Kaum eine mitbetreuende Stelle erlebt ihre
Klienten so intensiv und so nahe an den realen Lebensproblemen, oft während vieler
Jahre. Weil die Freizeit und das soziale Zusammenleben wenig strukturiert sind, ist es
wichtig, dass die therapeutische Beziehung
durch ein bewusstes Gleichgewicht von Nähe
und Distanz, Akzeptanz und Verlässlichkeit gekennzeichnet ist. In der Wohngruppe
prallen widersprüchliche Bedürfnisse aufeinander. Menschen, welche in ihren sozialen
Beziehungen oft enttäuscht wurden, wollen
neue positive Erfahrungen in der Gemeinschaft machen.
Aufbruch in eine neue Zeit. Seit Ende
der 80-er Jahre wurde in regelmässigen Abständen die Idee diskutiert, eine Wohnung
für austretende Bewohner zu mieten und
ebenso oft wieder verworfen. Es wurde u. a.
argumentiert, dass dadurch der Rehabilitationsprozess nicht zur grösstmöglichen Selbständigkeit führen könnte. Diese Haltung
änderte sich mit dem wirtschafts- und sozial-
4|5
Umfrage und statistische
Auswertung der ehemaligen
Bewohnerinnen und Bewohner
politischen Wandel der nachfolgenden Jahre.
Es traten neue Begriffe ins Vokabular der Sozialtätigen. Der Patient wurde zum Kunden,
Marktpositionierung zum Schlagwort, das
kantonale Fürsorgeamt führte mit der Bedarfsplanung und Leistungsvereinbarung Instrumente zur Koordination und Steuerung
ein und das Bundesamt für Sozialversicherung verlangte die Einführung eines Qualitätsmanagement-Systems.
Der «Kanzler» hat diese Dynamik des
Wandels genutzt. Im Jahr 2000 erfolgte der
Platzausbau von 9 auf 12 Plätze bei unterproportionalem Anstieg der Kosten, das
Konzept Externat wurde umgesetzt und das
Betreuungsteam mit einer Springerin erweitert. Im Jubiläumsjahr wurde der «Kanzler»
ISO-zertifiziert. Den krönenden Abschluss
dieser Wachstums- und Veränderungsphase
bildet zweifelsohne der Bezug des Um- und
Erweiterungsbaus.
Chancen und Stärken. Wohnrehabi-
litation wird sich in Zukunft noch stärker
am Bedarf des einzelnen Betroffenen orientieren. Individuelle und krankheitsbedingte
Eigenheiten sollen nicht durch einseitige Anpassung an das kollektive Leben verwischt
werden. Darin liegt die Stärke einer kleinen
Institution. Der «Kanzler» bietet einen familiären Rahmen, in dem das Selbsthilfepotential optimal genutzt wird und in dem der
Mensch mit seiner Individualität im Zentrum steht.
Rolf Kessler, Heimleiter
Seit Bestehen der Wohngruppe Kanzler
wurden insgesamt 142 Personen (72 Frauen
und 70 Männer) im Alter zwischen 18 und
58 Jahren betreut. Bei 40 Personen beträgt
die Aufenthaltsdauer weniger als 4 Monate (Kurzaufenthalte, vorzeitige Abbrüche,
Übertritt in andere Institutionen) die längste
Aufenthaltsdauer beträgt 6 1⁄2 Jahre.
Wir haben all jene ehemaligen Bewohner
befragt, welche in den letzten 10 Jahren ausgetreten sind und mindestens 6 Monate in
der Wohngruppe wohnten. Von den 27 Antwortenden leben heute 85% in einer eigenen
Wohnung, 92% leben zusammen mit einem
Partner / Partnerin oder Angehörigen. 78%
arbeiten heute teilzeitlich zu 50% oder mehr.
Mehr als zwei Drittel gehen nach wie vor regelmässig zur Therapie, Unterstützung im
Alltag benötigen lediglich noch 20%. Die
durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug
2 1⁄2 Jahre.
Nach eigener Einschätzung sind die Befragten mit ihrer heutigen Situation in fast
allen Bereichen zufrieden bis sehr zufrieden,
wobei mehr als die Hälfte noch Kontakt zu
anderen ehemaligen Bewohnern und Bewohnerinnen hat, was einen guten Teil ihrer sozialen Beziehungen ausmacht.
Edelgard Sick
Berichte ehemaliger Bewohner
Nach einem Versuchsjahr in einer eigenen
Wohnung und einem Klinikaufenthalt riet
man mir zu einem Aufenthalt in einer betreuten Wohngemeinschaft. Ich hatte keine
Wahl und stimmte dem schliesslich zu.
Von Anfang an erfuhr ich in der neuen,
unbekannten Umgebung viel Akzeptanz
und Verständnis, sowohl vom Team, als auch
von den übrigen Bewohnern und Bewohnerinnen. Zum ersten Mal konnte ich offen
über meine Ängste und Probleme sprechen,
ohne auf Ablehnung zu stossen. Beunruhigend fand ich manche Drogenausfälle oder
Alkoholexzesse, die mir vor Augen führten,
wie nahe ein Absturz manchmal sein kann.
Doch auch mit diesen Ängsten fand ich ein
offenes Gehör und auch deutliche Worte und
Regeln, die mir den kontrollierten Umgang
erleichterten.
Ich lernte durch das Vorbild meiner Mitbewohner, und durch aktive Anleitung und
Unterstützung vom Team das Haushalten
mit all seinen Facetten wie kochen, waschen
und das Zimmer in Ordnung zu halten.
Nach gut 4 Jahren zügelte ich in eine
Externatswohnung, um meine Alltagstauglichkeit zu prüfen. Auch gab mir diese Wohnung die Gelegenheit, eine neue Beziehung
langsam wachsen zu lassen.
Mittlerweile lebe ich seit über einem Jahr
mit dieser Partnerin zusammen in einer eigenen Wohnung. Gerne denke ich an die Zeit
im Kanzler zurück.
R. K., August 2005
Nach meinem Klinikaufenthalt war mir
klar, dass ich noch nicht so weit war, alleine
zu wohnen. Ich fürchtete, mich zu verzetteln
und suchte deshalb jemanden, der mir eine
Alltagsstruktur geben konnte. Auch fühlte
ich mich verloren und brauchte Zeit, um
meinen Weg in die Zukunft zu finden. Aus
diesen Gründen entschloss ich mich, in die
betreute Wohngemeinschaft Kanzler zu gehen.
Zu Beginn fühlte ich mich regelrecht
eingesperrt, merkte aber bald, dass ich alle
Freiheiten hatte. In dieser Phase hätte ich mir
mehr Unterstützung vom Team gewünscht.
Ich fühlte mich in der Gruppe nicht wohl,
da ich mich nicht öffnen konnte. Auch erlebte ich die Gruppenzusammensetzung als
schwierig und die vielen Wechsel in der Belegung als mühsam. Während meines Aufenthaltes lernte ich, meine Freizeit sinnvoll und
befriedigend zu nutzen, was mir auch heute
noch hilfreich ist.
Nach gut 6 Jahren wechselte ich von einer Externatswohnung in meine eigene Wohnung. Die Anfangszeit war nicht einfach.
Ich hätte mir gewünscht, mich langsamer
abnabeln zu können und jemanden im Hintergrund zu wissen, der mir auch in Krisensituationen Sicherheit gibt. Dies ist einer der
Gründe, warum ich heute noch ein betreutes
Wohnen vorziehen würde.
A. B., August 2005
6 |7
Bericht eines ehemaligen Bewohners
Nach einem langen Klinikaufenthalt wollte
ich nicht zu meinen Eltern, mutete mir aber
keine eigene Wohnung zu. Ich fürchtete mich
vor Einsamkeit und Isolation.
Ich brauchte Hilfe bei der Strukturierung
des Alltags und im sozialarbeiterischen Bereich (Kontakte zu IV-Stelle etc). Vor allem
benötigte ich Unterstützung bei der Suche
nach einem vernünftigen Job.
Das Leben in der Wohngruppe war ähnlich wie in der Reha-Abteilung der Psychiatrischen Klinik, aber mit mehr Freiheiten.
Zuerst hatte ich Angst ewig in solchen Institutionen bleiben zu müssen.
Anfänglich sträubte ich mich gegen Kontakte zum Team und zur Gruppe, später fand
ich sehr gute Beziehungen, Freundschaften
und Abwechslung.
Nach und nach lernte ich, wieder ein so
genannt «normales» Leben zu führen.
Heute lebe ich in einer eigenen Wohnung, habe eine Partnerschaft und mache
eine Ausbildung und bin Mitglied bei einem
lokalen Sportverein. Während meiner Zeit
im Kanzler habe ich gelernt, mich bemerkbar zu machen, wenn es mir schlecht geht
und kann in einer Krise Gegensteuer geben.
Ich würde diesen Weg in einer ähnlichen Situation immer wieder wählen.
D. K., August 2005
Das Kanzler Team
8 |9
Rolf Kessler Heimleiter
Edelgard Sick
Dipl. Soziale Arbeit FH
Weiterbildungen in Sozialversicherungsrecht, Qualitätsmanagement und Betriebswirtschaft – Seit 1988
Wohngruppe Kanzler
Diplomsozialpädagogin FH
Weiterbildung als Betriebswirtin VWA und Lösungsorientiertes Arbeiten
– Seit 2002 Wohngruppe
Kanzler
Sonja Keist
Monika Ernst-Hofbauer
Dipl. Pflegefachfrau DN II
Weiterbildung in sozialpädagogischer Beratung
– Seit 2004 Wohngruppe
Kanzler
Dipl. Pflegefachfrau DN II
Weiterbildung als Dipl. Yogalehrerin SYG
Eigene Yogaschule
– Seit Mitte 2005 Wohngruppe Kanzler
Streifzug durch 25 Kanzler-Jahresberichte
1980 Umwandlung des Mädchenheims
Sonnhalde in die Sozialpsychiatrische Wohngruppe für Frauen und Männer. Neuer
Name: Im Kanzler
tur verändert sich: Menschen mit psychischen und sozialen Schwierigkeiten leben im
Kanzler. Die neue Präsidentin der Betriebskommission ist Irma Stämpfli, Frauenfeld
1981 Die
1985 Die Jahresbelegung von 90.6% ist
sozialpsychiatrische Wohngruppe im Kanzler, getragen von der Thurgauischen Evangelischen Frauenhilfe, wird
mit vier Klinikpatienten aus der Langzeitabteilung eröffnet. Die Betreuung übernehmen
Beatrice Güntert, Ernst Huber und Matthias
Steudler. Das Bedürfnis nach Plätzen in dieser für den Kanton Thurgau neuartigen Institution steigt bereits im ersten Jahr. Präsidentin der Betriebskommission ist Adelheid
Ganz-Wetter, Frauenfeld.
1982 Das Betreuungsteam stellt sich den
Herausforderungen, vertieft das Konzept und
baut es weiter aus. Verlangt werden Stabilität, Kontinuität, Vollbelegung sowie Bewältigung von grösseren und kleineren Krisen
und die Arbeitslosigkeit bei den Bewohnern.
Neue Präsidentin der Betriebskommission ist
Margrit Schmid-Altwegg, Frauenfeld.
1983 Beatrice Güntert verlässt den Kanz-
ler im Herbst. Marie-Louise Eiholzer tritt
ihre Nachfolge an. Der Kanzler erhält Bundessubventionen sowie rückwirkend Jahresbeiträge. Am Konzept, «keine Betreuung
während der Nacht» wird festgehalten.
1984 Der regelmässige Kontakt zu Zuwei-
ser-Institutionen wird vertieft. Die Nachbetreuung ehemaliger Bewohner nimmt immer
mehr Zeit in Anspruch. Die Bewohnerstruk-
die höchste seit Bestehen der Wohngruppe.
Die Aufenthaltsdauer der Bewohner steigt an.
Der Zustand des Hauses und seiner Einrichtung wird begutachtet. Verschiedenes muss
renoviert und die Heizung ersetzt werden.
1986 Der im Jahre 1985 vorbereitete Ver-
trag mit der IV kommt zustande. Im Sommer wurde eine neue Gasheizung eingebaut.
Die Aussenrenovation wird als dringlich
eingeschätzt. Mit einer Subvention von 50%
beteiligt sich das Bundesamt für Sozialversicherung an den Kosten.
1987 Der Kanzler erstrahlt in neuem
Glanz (zartes abricot mit hellgrauen Fensterläden), wozu auch das kantonale Amt für
Denkmalpflege beigetragen hat. Die Gesamtkosten der Aussenrenovation inkl. Isolation
von Kellerdecke und Estrichboden betrugen
Fr. 109 500.–.
1988 Im Kanzler-Team gibt es eine grosse
Veränderung. Marie-Louise Eiholzer und
Ernst Huber, die seit der Eröffnung das Konzept Kanzler mitgetragen haben, kündigten
auf Ende April. Mit Rolf Kessler, Sozialpädagoge und Ulrike Wagner, Diplompsychologin können neue engagierte Mitarbeiter gewonnen werden, die, zusammen mit
Matthias Steudler, dem einzig verbliebenen
aus dem ursprünglichen Team, die gleichen
Ideen verfolgen wollen. Auch keine neue
Form der Teamzusammenarbeit ist angesagt.
1989 «Das Jahr 1989 stand für das Team
unter dem Zeichen der Gruppenerneuerung.
So sind alle «alten» Bewohner/innen ausgezogen und an ihre Stelle kamen «neue» zu
uns. Die Belegung fiel in diesem Jahr auch
etwas weniger gut aus. Jedoch konnte gegen
Ende des Jahres wiederum eine Vollbelegung
erreicht werden.» (Auszug aus dem Jahresbericht).
Durch die Eröffnung der Geschützten Werkstätte Murghof hat sich die Arbeitsplatz-Situation etwas entschärft.
1990 10 Jahre seit der Gründung der Wohn-
gruppe Kanzler. Zeit Rückschau zu halten.
Im Jubiläums-Jahresbericht kommen Bewohner, Institutionen, Zuweiser, Arbeitgeber, Nachbarn zu Wort.
«Die Vermittlung von besonderen Fähigkeiten, welche im alltäglichen Leben notwendig
sind, ist einer der Zwecke einer therapeutischen Wohngruppe. Dem Leben Sinn und
Orientierung zu geben, scheint ein weiterer,
sehr wichtiger Zweck des Kanzlers zu sein.»
(Reto Meister, Stiftung Pro Mente Sana)
«Der Kanzler hat diese Aufgabe im Raume
Frauenfeld übernommen und ist ein wichtiges
Glied in der Kette der Eingliederung geworden. Gäbe es den «Kanzler» nicht, müsste er
raschestens geschaffen werden.» (F. Hungerbühler, IV-Regionalstelle St. Gallen)
«Das Wohnheim wurde gegründet zu einer
Zeit, als im Thurgau solche Institutionen
ein Novum darstellten. Inzwischen hat der
Kanzler seine Effizienz längstens bewiesen
und vielen Patienten ist es auf diese Weise
gelungen, den oft schweren Weg aus einer
geschützten Institution, wie einer psychiatrischen Klinik, zur Selbständigkeit zu finden.»
(Dr. med. K. Studer, ärztlicher Leiter der
Psychiatrischen Klinik Münsterlingen).
«Turbulentes Jahr mit teilweiser Vollbelegung. Zum Teil versuchen wir auch Bewohner aufzunehmen, die als äusserst schwierig
zu bezeichnen sind.» (Betreuungsteam)
1991 Da im Januar 1981 erstmals Bewoh-
ner in den Kanzler einzogen, war das Gartenfest im September der Höhepunkt des 10jährigen Jubiläums. Der Anlass stand ganz
im Zeichen, einer breiteren Öffentlichkeit
den notwendigen Einblick in die Arbeit des
Kanzlers zu geben.
Die Bewohnerstruktur verändert sich laufend. Im vergangenen Jahr wohnten u. a. 5
Bewohner/innen (4 Frauen und 1 Mann) im
Kanzler, die in Scheidung lebten oder kürzlich geschieden wurden und insgesamt 10
Kinder haben.
Für die Bewohner ist es wegen der sich abzeichnenden Rezession immer schwieriger,
in der freien Wirtschaft eine Arbeitsstelle zu
finden.
Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen wird gesucht und intensiver gestaltet.
10 | 11
Streifzug durch 25 Kanzler-Jahresberichte
1992 Finanzielle Probleme infolge Ver-
minderung der Subventionspraxis verursachen Sorgen. Die Kluft zwischen geschützten Werkstätten und freier Wirtschaft wird
grösser.
1993 Ulrike Wagner verlässt den Kanzler
Ende Februar. Nach intensiver Suche stösst
Maya Meili, Sozialpädagogin, Oberwil zum
Team.
1994 Neue Situation im Kanzler: Der Ar-
beitsplatzverlust einiger Bewohner bringt für
das Team neue Herausforderungen für die
Betreuung. Die Suche nach Nischen und Alternativen, besonders auch in der Freizeitgestaltung ist zeitraubend.
1995 Institutionell betrachtet ein ruhiges
Jahr. Auf Bewohnerebene aber ist es geprägt
von Ein- und Austritten, Unruhe und der
damit verbundenen Neuorientierung. Eine
Verbesserung der Wohnqualität durch Sanierung des Wohn- und Esszimmers wird
gesucht.
1996 Vollbelegung (9 Plätze): dem Aus-
tritt von 6 Bewohnerinnen und Bewohnern
stehen 6 Neu-Eintritte, alle aus Psychiatrischen Kliniken gegenüber. Das Team konzentriert sich auf die soziale Rehabilitation.
Im Keller wurde ein Computerraum eingerichtet und den Bewohnern interne Einführungskurse angeboten.
1997 Das Team setzte sich schwerpunkt-
mässig mit Bezugspersonen- und Bezie-
hungsarbeit auseinander. Zum ersten Mal
seit Bestehen des Kanzlers gab es keinen Bewohnerwechsel während eines ganzen Jahres.
Eine Verschiebung der Sanierungspläne, da
eine Unsichertheit wegen der Neuordnung
der Beitragszahlungen des BSV in Richtung
Globalbudget und Entscheidungsbefugnisse
für die Kantone besteht, ist notwendig.
1998 Die Zusammenarbeit für die Be-
nützung der Liegenschaft zwischen dem
Vorstand der Trägerschaft (TEF) und der Betriebskommission wird neu geregelt.
Ebenso war das Jahr 1998 durch das
Heimbewilligungsverfahren (BSV fordert 12
Plätze, Kanzler bietet 9 Plätze an) geprägt.
Die Betriebskommission ist von einer guten
Ausgangsposition überzeugt.
Der Kanzler ist mit einer eigenen Homepage
im Internet präsent.
1999 Der Weiterentwicklung des Kanzlers
ist durch die auf den neuen kantonalen Richtlinien basierende Bewilligung zur Führung
der Wohngruppe der Weg geöffnet worden.
Zudem bewilligte das Kantonale Fürsorgeamt mit Zustimmung des Bundesamtes für
Sozialversicherung der Erweiterung von 9
auf 12 Plätzen zu. Die Stellenprozente werden auf 250% erhöht und für Vertretungen
wird eine Springerin, Jacqueline Bär, Psychiatrieschwester angestellt
Die Einführung eines Qualitätsmanagements wird beschlossen und die zurückgestellten Renovations- und Umbaupläne an
die Hand genommen. Durch die Realisierung einer Aussenwohngruppe (Zumietung
einer 3- und 4-Zimmer-Wohnung) schliesst
sich die Lücke im individuellen Rehabilitationsprozess.
verantwortlicher Leiter des Kanzler-Teams
an.
2003 Es wurden enorme Anstrengungen
2000 Die Betriebskommission und das
Leitungsteam erarbeiten gemeinsam ein
Leitbild. Rolf Kessler, Mitglied des Betreuungsteams, beginnt die Ausbildung als Qualitätsleiter.
Irma Stämpfli, Präsidentin der Betriebskommission seit 1984 tritt zurück. Esther
Ott-Debrunner, Weinfelden, stellt sich als
Präsidentin der Betriebskommission zur Verfügung. Es wird ein neues Um- und Ausbaukonzept erarbeitet.
2001 Es sind zwei Themen, die das Jahr
2001 prägen: Qualitätssicherung und Vorprojekt für einen Um- und Neubau Kanzler.
Das «Projekt Externatswohnungen» zeigt
nach zwei Jahren, dass der eingeschlagene
Weg erfolgreich ist. 4 Externatswohnungen
sind besetzt.
2002 Matthias Steudler, der zum Grün-
derteam gehört und in den zwei Jahrzehnten
die Wohngruppe Kanzler wesentlich mitgeprägt hat, sucht nach 22-jähriger Tätigkeit
im Kanzler eine berufliche Neuorientierung.
Als Nachfolgerin wurde Edelgard Sick, Diplom-Sozialpädagogin gewählt.
Mit der Zertifizierung nach der Norm BSVIV 2000 wurde ein wichtiger Meilenstein auf
dem Weg zur Qualitätsentwicklung erreicht.
Durch den Wechsel im Team wurde die Führungsstruktur überdacht. Rolf Kessler
nimmt die Herausforderung als nunmehr
unternommen, die kantonalen Auflagen nach
Erhöhung der Eigenmittel des Kanzlers für
das Bauvorhaben zu erreichen.
Die Nachfrage nach Wohnheimplätzen war
überdurchschnittlich hoch. Durch verschiedene Umstände entstand erstmals die Situation, dass einerseits im Externat nicht alle
Plätze belegt waren, in der Wohngruppe aber
eine Warteliste geführt werden musste. Die
engen Raumverhältnisse erschweren das Einhalten eines Belegungsplanes.
2004 Nach elfjähriger sehr geschätzter
Betreuungsarbeit kommt nun auch für Maya
Meili der Zeitpunkt für eine berufliche Neuorientierung. Als Nachfolgerin für das Team
kann Sonja Keist gewonnen werden.
Der Kanzler ist mobil durch einen 9-plätzigen Van, der von der Firma ProMobil gratis
zur Verfügung gestellt wird.
Mit den Beitragsverfügungen von Bund und
Kanton stand trotz Kürzung der beitragsberechtigten Kosten durch das BSV der Realisierung des Bauprojekts nichts mehr im
Wege.
Der Spatenstich für den Um- und Erweiterungsbau fand Ende Oktober statt und mit
der tatkräftigen Unterstützung der «Jungen
Wirtschaftskammer Frauenfeld» wurde in
das gemietete Provisorium an die Zürcherstrasse 218 gezügelt.
Ursula Haag, Aktuarin Betriebskommission
12 | 13
Vom Babeli zum Deckel zu
Die beiden Kegelbahnen in der Kartause widerhallten vom Grollen der braunen Kugeln
und vom vielstimmigen Gelächter der fröhlichen Gesellschaft. Die einen mit vor Aufregung heraus hängender Zunge, andere mit
zugekniffenen Lippen, andere mit lässigem
Lächeln oder lautem Wiehern, so standen
Bewohner, Leiterteam und Betriebskommission vor den beiden Bahnen, kommentierten
da ein Babeli, belächelten dort eine hüpfende
Kugel mit einem Nuller und während dem
Cola trinken gab es einen Kranz zu bejubeln.
Matthias, der Könner, bat nun um Aufmerksamkeit. Es gelte, sich einsargen zu lassen,
je die schlechteste Passe bedeute ein Brett.
Mir wurde ein wenig mulmig, wie ist jetzt
das mit Suizid gefährdeten? Dann begann
der Heidenspektakel. Beinahe jede und jeder
hatte schon zwei Bretter. Mir gelang nichts
mehr. Brett um Brett umschloss mich und
endlich: Deckel zu. Kein Requiem, sondern
der Trost: Totgesagte leben länger.
Klär Egloff, langjähriges Mitglied der
Betriebskommission
Menschen mit psychischer
Beeinträchtigung brauchen Raum
und Licht
Jahrzehnte der intensiven Nutzung haben im
Wohnheim an der Kanzlerstrasse ihre Spuren
hinterlassen. In dieser Zeit haben sich sowohl
die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner als auch die gesetzlichen Vorschriften
hinsichtlich Raumangebot für Wohnen und
Freizeit gewandelt. Da die Nachfrage nach
Wohnheimplätzen anhaltend gross ist, haben
Vorstand und Betriebskommission beschlossen, die Liegenschaft mit den Infrastrukturen zu erneuern und zu erweitern.
Erweiterung des Platzangebotes.
Einweihung Um- und
Erweiterungsbau Kanzler
4. November 2005
Abschluss für die Unternehmer
und deren Mitarbeiter
Nachbarn des «Kanzler»
5. November 2005
Samstagnachmittag
Offizielle Einweihungsfeier
mit geladenen Gästen
6. November 2005
Einladung an alle Interessierten
zum «Tag der offenen Tür»
Mit der Sanierung des Altbaus sind drei zusätzliche Einzelzimmer entstanden. Damit
ist gewährleistet, dass BewohnerInnen des
Externats in Krisensituationen jederzeit eine
Rückkehr ins Haupthaus möglich ist. Zudem
dienen sie für Schnupperwochen, Gästezimmer für Angehörige oder Notzimmer, wenn
eine hohe Nachfrage nach Plätzen besteht.
Sie ermöglichen eine flexible Aufteilung in
Wohnheim- und Externatsplätze.
Ein separates Besprechungszimmer ermöglicht flexibles Arbeiten bei gleichzeitiger
Anwesenheit von zwei Betreuern.
Verbesserte Betreuungs- und Freizeitsituation. Durch die Verlegung des
Wohn- / Essbereichs in einen Neubau sind
helle Räume mit ausgezeichneter Wohnatmosphäre entstanden. Der grosse Esstisch in
Naturholz bietet auch dann genügend Platz,
wenn mehrere Externatsbewohner oder Gäste
gleichzeitig zum Essen angemeldet sind. Die
extern Wohnenden verbringen einen Teil ihrer Freizeit in der Wohngruppe. Der bislang
14 | 15
fehlende Mehrzweckraum für Freizeitaktivitäten präsentiert sich einladend grosszügig.
Individuelle Wohnqualität. Durch die
Schaffung zusätzlicher Duschen / WC’s ist
nun eine Trennung nach Geschlechtern möglich. Es sind zwei Einzelzimmer mit eigenen
Nasszellen entstanden, ansonsten teilen sich
je zwei BewohnerInnen ein Badezimmer. Die
Erneuerung der Böden, Wände und Fenster
steigern mit dem verbesserten Schallschutz
die individuelle Wohnqualität. Es ist dem
Architektenteam Heidi Stoffel und Martin
Schneider gelungen, durch ein einheitliches
Licht- und Farbkonzept ein aufmunterndes
Wohnambiente zu schaffen.
Höhere Wirtschaftlichkeit. Das er-
weiterte Platzangebot ermöglicht durch eine
optimale Belegungsplanung eine höhere
Auslastung und damit bessere Wirtschaftlichkeit. Plätze können dann belegt werden, wenn die meist wellenartig verlaufende
Nachfrage gross ist. Mit den infrastrukturellen Neuerungen wird der «Kanzler» für Bewohner und Mitarbeitende zu einer modernen und zukunftsgerichteten Institution.
Breite
Unterstützung. Die Wohngruppe Kanzler ist in der Region Frauenfeld
gut verankert. Dies zeigt die finanzielle Unterstützung und das Wohlwollen, welche uns
von Privatpersonen, Gewerbe, gemeinnützigen Institutionen, der evangelischen Kirchgemeinde Frauenfeld und der Stadt Frauenfeld entgegengebracht wurde. Einen ganz
herzlichen Dank an die Mitglieder der Jun-
gen Wirtschaftskammer Frauenfeld für ihre
tatkräftige Unterstützung bei der Provisoriumssuche und für die effizienten Zügelaktionen sowie an den Lions-Club Iselisberg für
die Abbrucharbeiten im Altbau und ihren
Einsatz bei den Umgebungsarbeiten.
Dank. Ein ganz herzliches Dankeschön an
alle Bewohnerinnen und Bewohner für ihre
Geduld während der Umbauzeit und ihre
Bereitschaft neues zu wagen, sowie dem
Betreuungsteam für die kompetenten Leistungen in zusätzlichen Arbeitsbereichen.
Danken möchte ich auch dem Vorstand TEF
und der Betriebskommission «Kanzler» für
ihren Einsatz und den Mut, Strategien zu
entwickeln und ein zukunftsweisendes Konzept umzusetzen. Einen ganz besonderen
Dank an Giacun Valaulta, Alfred Ernst und
Magdalena Wydler für ihr unermüdliches
Engagement in der Baukommission, sowie
Martin Schneider und Heinz Giger für ihre
grosse Fachkompetenz. Ein grosses Dankeschön möchte ich auch allen Anwohnern der
Nachbarschaft aussprechen. Sie haben die
Umtriebe während der Bauphase sehr tolerant aufgenommen.
Wir freuen uns sehr, Bewohnerinnen und
Betreuungsteam, in diesen freundlichen und
grosszügigen Räumlichkeiten wohnen und
arbeiten zu dürfen.
Rolf Kessler, Heimleiter
Bericht der Baukommission
Planungsanfänge. Erste Pläne für einen
Umbau der «Kanzler-Liegenschaft» wurden
in der Betriebskommission im Jahre 1993
«geschmiedet». Damals stand die Idee im
Vordergrund, das Wohn / Esszimmer zu vergrössern und dafür den Küchenbereich zu
verkleinern. Die Idee wurde soweit konkretisiert, dass im Jahre 1994 das Baugesuch
bei der Stadt Frauenfeld eingereicht werden konnte. Nach positiver Beurteilung des
Gesuches durch die Stadt wurde Architekt
Edwin Bächi, in Berlingen, im Jahre 1995
beauftragt, detaillierte Pläne auszuarbeiten. Im darauffolgenden Jahr bewilligte die
Trägerschaft – die Thurgauische Evangelische Frauenhilfe (TEF) – eine Aufstockung
der Hypothek auf die Liegenschaft um Fr.
150’000.– auf neu Fr. 275’000.– zur Finanzierung des Umbaus. Zur gleichen Zeit wurde
die TEF bzw. die Wohngruppe Kanzler mit
der Forderung konfrontiert, dass für die Weiterführung des Betriebes eine Heimbewilligung einzuholen sei. Bei dieser Gelegenheit
sei auch die Vorgabe des Bundesamtes für
Sozialversicherung (12-Plätze-Klausel) zu
beachten. Diese Situation führte zu einiger
Verunsicherung über die Zukunftsperspektiven der Wohngruppe Kanzler, weshalb
die Jahresversammlung der TEF vom Jahre
1998 den vom TEF-Vorstand im Jahre 1997
beschlossenen Baustopp bestätigte. Der Vorstand erhielt die Ermächtigung, «grünes
Licht» für ein neues Bauprojekt zu geben,
sobald die Zukunft des Wohnheims Kanzler
gesichert ist. Obschon die Mitglieder der Betriebskommission und das Betreuungsteam
Verständnis für die Haltung der Trägerschaft
aufbrachten, waren die Beteiligten doch
sichtlich enttäuscht darüber, dass das Projekt
nicht weiterverfolgt werden konnte!
Einsetzung
der
Baukommission.
Nachdem die Hemmnisse, die zur Sistierung
des Bauprojektes durch die TEF geführt
hatten, beseitigt werden konnten – die TEF
erhielt die erforderliche Betriebsbewilligung
(Entscheid des Departementes für Finanzen und Soziales vom 10. 09. 1999) und es
wurde eine Aufstockung der Heimplätze von
9 auf 12 Plätze zugestanden – wurde in der
Betriebskommission die Diskussion um den
Umbau der «Kanzler-Liegenschaft» wieder aufgenommen. Zur Weiterverfolgung
der Ideen beschloss die Betriebskommission an der Sitzung vom 21. 03. 2000, eine
Baukommission einzusetzen, bestehend aus
Mitgliedern der Betriebskommission, einem
Mitglied des Betreuungsteams und einem
Mitglied des TEF-Vorstandes. In der Folge
nahm die Baukommission Kontakt mit
dem Hochbauamt des Kantons Thurgau auf
zwecks Erörterung des weiteren Vorgehens.
Mit dessen Unterstützung wurde als erster
Schritt der Raumbedarf definiert, und zwar
unter Berücksichtigung der Vorgaben des
Bundes. Zudem waren Auflagen des Elektrizitätswerks des Kantons Thurgau betreffend
die Sanierung der elektrischen Anlagen und
die Auflagen des Lebensmittelinspektorats zu
berücksichtigen. Aufgrund dieser Ausgangslage zeigte sich dabei bald, dass das Projekt
grössere Dimensionen annehmen wird, als
ursprünglich vorgesehen. Auf Empfehlung
des Hochbauamtes wurde im Jahr 2001 ein
16 | 17
Studienauftrag bei vier Architekturbüros
durchgeführt. Auf der Basis der formulierten
Aufgabenstellung wurden diese eingeladen,
Vorschläge für den Umbau und die Erweiterung der Liegenschaft an der Kanzlerstrasse
auszuarbeiten. Das mit Fachleuten bestückte
Beurteilungsgremium entschied nach intensiv geführten Beratungen, das Projekt der
Architekten Stoffel / Schneider mit der Weiterbearbeitung zu beauftragen.
Die Baukommission schloss sich dieser
Beurteilung an und erteilte hierauf den Architekten Stoffel / Schneider den Auftrag, ein
detailliertes Projekt mit einer Kostenschätzung auszuarbeiten. Aufgrund der erstellten
Berechnungen kamen die Architekten auf
mutmassliche Kosten von Fr. 2’421’000.–.
Nach Berücksichtigung der vom Bund und
dem Kanton zu erwartenden Beiträge verblieb eine Differenz von Fr. 1’135’800.–, die
von der Trägerschaft zu finanzieren war.
Die Mitgliederversammlung der TEF vom
23. 10. 2001 stimmte der von der Betriebskommission vorgeschlagenen und vom TEFVorstand unterstützten Finanzierung des Bauprojektes einstimmig zu.
Nach diesem Vertrauensbeweis der TEFMitglieder ging die Baukommission sofort
daran, die Finanzierungszusagen des Bundes
und des Kantons einzuholen. Sie war guter
Dinge, dass dies innert kurzer Frist der Fall
sein wird. Dieser Optimismus erhielt einen
argen «Dämpfer» als sowohl seitens des Bundes als auch des Kantons signalisiert wurde,
dass die Abklärungen einige Zeit in Anspruch
nehmen würden und aufgrund der geänderten Rahmenbedingen mit Abstrichen bei der
Finanzierung durch die öffentliche Hand zu
rechnen sei. Die finanzielle Zusicherung des
Kantons wurde zudem mit der Auflage gekoppelt, dass die Bauherrschaft Eigenmittel
von Fr. 600’000.– aufbringen müsse.
In den folgenden Jahren war die Baukommission in zweierlei Hinsicht gefordert.
Einerseits galt es, in Zusammenarbeit mit
dem Architektenteam Stoffel / Schneider und
dem Bauleiter Heinz Giger die Detailplanung zu erstellen und die erforderlichen Bewilligungen einzuholen. Zum anderen waren
Ideen und Engagement bei der Beschaffung
von Spenden gefragt. Nachdem im Juli 2004
die Beitragszusicherungen von Bund und
Kanton vorlagen und die Bauherrschaft aufzeigen konnte, dass von verschiedener Seite
namhafte finanzielle Zusagen eingegangen
waren und somit die Auflage des Kantons
betreffend die Eigenmittel zu einem grossen
Teil erfüllt werden konnte, war der Kanton
grundsätzlich damit einverstanden, dass die
Ausführung des Bauprojektes in Angriff genommen wird. Am 16. Oktober 2004 konnten die Bewohner/innen das Provisorium an
der Zürcherstrasse 218 beziehen, so dass der
Termin für den Beginn der Bauausführung
in greifbare Nähe gerückt war. Mit dem Spatenstich vom 29. Oktober 2004 erfolgte der
Auftakt zum Um- und Erweiterungsbau der
Kanzler-Liegenschaft. Die Erleichterung darüber war gross! Bei der Ausführung des Bauprojektes traten keine grossen Verzögerungen
auf, so dass das «neue Wohnheim» vereinbarungsgemäss bezogen werden konnte. Nach
einer Bauzeit von gut 10 Monaten konnten
die Bewohner/innen am 17. September 2005
Umbau und Erweiterung Wohnheim
im Kanzler, Frauenfeld TG
wieder in ihr «angestammtes Zuhause» zurückkehren – in ein Zuhause, das grosse Veränderungen erfahren und an Wohnqualität
gewonnen hat!
Dank. Zum Gelingen des Bauprojektes ha-
ben nebst Bund, Kanton und Stadt Frauenfeld öffentliche und private Organisationen
sowie Privatpersonen mit der Leistung von
finanziellen Beiträgen oder der Erbringung
von fachlicher Unterstützung beigetragen.
All diesen Institutionen und Personen gebührt ein herzliches Dankeschön! Danken
möchte ich auch dem Architektenteam Stoffel/Schneider, im Speziellen Martin Schneider und Heinz Giger – verantwortlich für die
Bauleitung – für die gute Zusammenarbeit.
Ein ganz besonderer Dank geht an die Mitglieder der Baukommission. Bei unzähligen
Sitzungen und Anlässen haben sie ihre Fachund Tatkraft eingesetzt und so Entscheidendes zur Realisierung des Bauvorhabens
beigetragen. Zum Schluss möchte ich dem
TEF-Vorstand und der Betriebskommission
Kanzler den Dank aussprechen für das grosse
Vertrauen, welches sie der Baukommission
entgegengebracht haben.
Giacun Valaulta
Präsident der Baukommission
Ausgangslage. Im Sommer 2001 ver-
anstaltete die Thurgauische Evangelische
Frauenhilfe in Zusammenarbeit mit dem
Hochbauamt des Kantons Thurgau einen
Studienauftrag mit vier lokalen Architekturbüros. Die Projektierungsarbeiten konnten im folgenden Jahr in Angriff genommen
werden und fanden mit dem Baubeginn im
November 2004 ihren Abschluss. Die Bauzeit dauerte knapp 10 Monate. Im September
2005 konnten die neuen Räume wieder bezogen werden.
Situation. Die Wohngruppe «Im Kanzler»
besteht seit 1980 und befindet sich in einem
ruhigen Wohnquartier von Frauenfeld. Die
Häuser stammen vorwiegend aus den 20-er
und 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts
und verfügen über einen grossen Garten.
Das Grundstück zeichnet sich durch die
wunderbare Aussicht über die Thurebene
und den Seerücken aus. Das Wohnhaus sitzt
im Süden der Parzelle. Im Norden folgt der
Garten über drei Terrassen dem leicht abfallenden Hang.
Konzept. Der neue, zweigeschossige An-
bau fügt sich nordseitig an den Altbau und
entwickelt sich entlang der Ostgrenze in den
Garten. Er tritt von der Strassenseite eingeschossig in Erscheinung und konkurrenziert
damit den Altbau in seiner vertikalen Wirkung nicht.
Die bauliche Erneuerung und Erweiterung beruht auf der Aufteilung des Raumprogramms in einen Gemeinschafts- und Individualbereich. Die Bewohnerzimmer sind
18 | 19
im Altbau zusammengefasst. Zugleich sind
dort im Hochparterre auch die Büroräume
untergebracht. Die gemeinschaftlichen Zonen liegen im Neubau.
Mit einfachen Sanierungsmassnahmen
konnten im Altbau die wohnliche Stimmung
der Zimmer erhalten und betont werden. Das
ehemalige Bad für je vier Personen wurde in
zwei kleinere Bäder mit Duschen für je zwei
Personen unterteilt und in klaren Blautönen
aufgefrischt.
Im Neubau ist aus dem Wohn- und Esszimmer durch grosse Fensteröffnungen die
Fernsicht auf den Seerücken zu geniessen.
Eine überdeckte Pergola, die vom Essraum
aus zu betreten ist, spendet im Sommer willkommenen Schatten und wird in den nächsten Jahren von einem dichten Laubdach überwachsen werden. Im Untergeschoss befindet
sich der Mehrzweck- und Arbeitsraum. Der
direkte Ausgang in den Garten lädt dazu ein,
die Pausen im Grünen abzuhalten.
Konstruktion. Die Konstruktions- und
Materialwahl ist im Hinblick auf eine lange
Lebensdauer getroffen worden. Die Fassade
besteht aus einem Zweischalenmauerwerk
aus Sichtbackstein mit Holzmetall-Fenstern
und erfordert kaum Unterhaltsarbeiten. Eine
Quelllüftung verringert in der Heizperiode den Energieverlust erheblich und führt
gleichzeitig frische Raumluft zu. Das Biotop
im Garten nimmt das Regen- und Dachwasser auf und entlastet die Kanalisation vom
Meteorwasser.
Flexibilität. Sollten sich die Bedürfnisse
unerwartet ändern, kann der Neu- und
Anbau mit minimalen Eingriffen in Wohnungen umgewandelt werden. Im Altbau
müssten nur noch die Küchen in die Geschosswohnungen eingebaut werden. Der
Neubau lässt sich zur Maisonettewohnung
umfunktionieren. Im unteren Geschoss können im Mehrzweckraum drei Schlafzimmer
abgetrennt werden.
Stoffel Schneider Architekten
Studienwettbewerb 2001
1. Preis Projektierung 2002
Ausführung Herbst 2004–Sommer 2005
:
Gut siehst du wieder aus, altes Haus!
Für die Wohngruppe Kanzler haben wir von der Jungen Wirtschaftskammer und von
den Lions gerne beim Um- und Wiedereinzug sowie bei den Umbauarbeiten angepackt.
Wir wünschen unzählige gemütliche und lichtvolle Stunden in den renovierten und neuen
Räumen.