True Fantasy of Eurovision: Backstage beim Grandprix 2007

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True Fantasy of Eurovision: Backstage beim Grandprix 2007
Wissenswerte
F a r i z Gasimli
2003). Der Gewinn von „Molitwa“ bedeutet,
True Fantasy of Eurovision:
Backstage beim Grandprix
2007
dass hier zum ersten Mal seit fünf Jahren,
in denen immer die Show im Vordergrund
stand, das Lied selbst gewonnen hat, und zwar
ein nichtenglisches Produkt. Damit liefert das
diesjährige Ergebnis ein Gegenargument gegen die Kritik von Experten und Medien, dass
bei der Eurovision nur Show und englische
Der Songwettbewerb Eurovision, das größte
Songtexte eine Siegeschance hätten.
Musikfestival der Welt, hat einen neuen Re-
Ebenfalls gute Plätze belegten ein moderner
Griechenland usw. Von der „Verstreuung“
kord gebrochen – 42 Länder haben insgesamt
Popsong der russischen Mädchenband (Platz
seiner Bürger profitiert eindeutig der Osten.
am diesjährigen Wettbewerb teilgenommen.
3) und ein Song der türkischen Gruppe, der
Ein weiteres Problem ist die Nachbarschafts-
Es fand in Helsinki statt, nachdem letztes
dem Genre orientalischer Pop zuzuordnen
kooperation der teilnehmenden Länder: Die
Jahr in Athen die finnische Heavymetal-Band
ist (Platz 3). Der Vertreter Deutschlands, der
Nachbarn – so im Osten als im Westen
„Lordi“ mit ihrem Song „Halleluja“ den ersten
Swing-Sänger Roger Cicero, belegte mit sei-
– bilden Allianzen. Gründe hierfür sind in
Platz belegt hatte. Da Finnlands Bestergebnis
nem Song Platz 19 (siehe Interview für das
der Geschichte, Politik, den gemeinsamen
bisher der 6. Platz war (1973), haben nach
ISB-Magazin).
ethnischen Wurzeln und nicht zuletzt im ähn-
Bekanntgabe des Gewinners im vorigen Jahr
Welche aktuellen Probleme gibt es heute bei
lichen Musikgeschmack zu suchen. Beispiele
8000 überraschte Finnen auf dem Markt in
der Eurovision? Erstens möchten zu viele
für eine solche Nachbarschaftskooperation
Helsinki gejubelt. Seit diesem Tag wird der
Länder an der Eurovision teilnehmen. Es
sind Griechenland-Zypern, Norwegen-Schwe-
Spruch kolportiert, 5. 299. 996 Finnen hätten
würde dazu führen, dass die Fernsehübertra-
den, Andorra-Spanien, Rumänien-Moldawien,
nicht geglaubt, dass Finnland bei der Eurovi-
gung und insbesondere die Abstimmung all-
Großbritannien-Irland, GUS-Staaten sowie
sion gewinnen kann. Die übrigen 5 Finnen
zu lange dauern und die Aufmerksamkeit der
Staaten des ehemaligen Jugoslawiens. Man
hätten das ignoriert und endlich gewonnen.
Zuschauer nachlassen würde. Der zweite Pro-
versucht dem Problem beizukommen, indem
Da Eurovision ja viel mehr ist als Songs und
blembereich ist das Abstimmungsverfahren
vorgeschlagen wurde, dass die Abstimmung
Abstimmungsverfahren, hatte es für mich
selbst. Seit ca. sieben Jahren wird über Anrufe
zu 50% auf den Juryentscheidungen basieren
als akkreditiertes Mitglied der Deutschen
und SMS abgestimmt. Das bringt das Problem
und zu 50% durch SMS und Anrufe des Pu-
Delegation (für das ISB-Magazin) und des
Showbusiness, Presse, Glamour und sogar
mit sich, dass Immigranten, die in der Dias-
blikums zustande kommen soll. Diese Lösung
Deutschen Eurovisionclubs einen besonde-
Politik begegnen. Das Privileg, die Sänger
pora leben, gezielt die Wettbewerbteilnehmer
bedeutet allerdings, dass die Telekommunika-
persönlich sprechen zu können, habe ich u.a.
aus ihren Heimatländern unterstützen, z.B.
tionsunternehmen ihre Profite verlieren wür-
dazu genutzt, exklusiv für das ISB-Magazin
Litauer in Irland, Ukrainer in Portugal, Ar-
den und andererseits eine Korruptionsgefahr
Roger Cicero zu interviewen.
menier in Frankreich, Türkei, Niederlanden,
bei der Jury bestünde. Es wurde auch vorge-
Am Halbfinale haben 28 Länder teilgenom-
>>
men, was ein Rekord war, und davon sind 10
Teilnehmer zum Finale qualifiziert geworden,
allesamt aus Osteuropa. Für dieses Ergebnis
fand man u.a. die Begründung, dass die Bürger dieser Länder sich im Ausland kooperativ
verhalten, indem sie füreinander abstimmen,
und dass sie darüber hinaus insgesamt konkurrenzfähiger sind und ein hohes Niveau
pflegen. Beim Finale wurden die besten fünf
Plätze durch Beiträge aus Bulgarien (157
Punkte), der Türkei (163), Russland (207), der
Ukraine (237) und Serbien (268) belegt. Der
diesjährige Gewinner Serbien wurde von Marija Serifovic mit dem Lied „Molitwa“ („Gebet“)
vertreten. Es kann zu Recht die Frage aufkomren Reiz, einen Blick hinter die Kulissen
men, was denn der Sieg von „Molitwa“ für
zu werfen und die Möglichkeit zu nutzen,
den Wettbewerb bedeutet, wenn gleichzeitig
verschiedene Veranstaltungen im Rahmen
unwahrscheinlich ist, dass diese Ballade zum
der Eurovision zu besuchen. Man taucht hier
Hit wird, wie einst „Number One“ (Griechen-
in eine Welt ein, in der sich Sänger, Musik,
land 2005) oder „Every way that I can“ (Türkei
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Wissenswerte
schlagen, statt eines einzigen zwei Semifinals
zu veranstalten, und zwar entweder für Ost
Fariz Gasimli
und West getrennt oder zwei Finals, zusammengestellt nach dem Zufallsprinzip. Nur
Interview mit
Roger Cicero fürs
ISB-Magazin
diejenigen Länder, die am Finale teilnehmen,
dürften abstimmen. Im Endeffekt könnte
die Zahl der Teilnehmerländer bei jedem
Semifinale gesenkt und der Diaspora-Effekt
Wohnen Sie zur Zeit in Berlin?
Roger Cicero: Nein, ich wohne meistens
in Hamburg.
Was war für Sie die beste Adresse in Berlin,
wenn Sie ausgehen wollten?
neutralisiert werden.
Roger Cicero: Konzerte! Ich habe verschie­
Wie man sieht, haben Entscheidungen bei
dene Konzerte besucht. In Berlin hat man
einem solchen Wettbewerb immer etwas
Hallo! Das ISB-Magazin schreibt über
problematisches, und es ist tatsächlich sehr
ausländische StipendiatInnen, die in Berlin
schwierig, ein vollkommen gerechtes System
leben, deshalb interessieren uns hier vor al-
In welchem Teil von Berlin haben Sie gewohnt?
für derartige musikalisch-politische Veran-
lem die Fragen, die einen Bezug zu „unserer“
Haben Sie hier gelebt, als die Mauer fiel?
staltungen zu finden. Allerdings testet EBU
Stadt haben. Ich weiß, dass Sie aus Berlin
Konnten Sie das miterleben?
zur Zeit alle Möglichkeiten, und anschei-
kommen, aber Ihre musikalische Ausbildung
Roger Cicero: Ich komme aus Westberlin.
nend werden wir noch Modifizierungen der
in den Niederlanden abgeschlossen haben.
Traurigerweise habe ich den Mauerfall
Wettbewerbsregeln erleben. Von wichtigster
Warum war ausgerechnet Holland für Sie
verpasst. Ich war im Ausland. Ich konnte
Bedeutung ist trotz all der ungelösten Fra-
da viele Möglichkeiten.
attraktiv?
das alles nicht glauben, bis ich es persön-
gen, dass die Popularität des Wettbewerbs
se Riesenveranstaltung allen teilnehmenden
Roger Cicero: Damals, als ich eine pro-
lich gesehen habe.
ständig wächst und immer mehr Länder
Völkern Gelegenheit, einander besser ken-
fessionelle Ausbildung brauchte, war die
ihr Interesse an der Teilnahme zeigen. Bei
nen zu lernen. Mit dem Eurovision Song
Schule für Jazzmusik in Berlin noch sehr
Ihr Song „Frauen regieren die Welt“ hat bei
diesem Festival ist ohne Zweifel der Konkur-
Contest können wir die Vielfalt der Kulturen
klein. Deshalb habe ich mich entschie-
der Deutschen Vorentscheidung am Frauen-
renzgeist spürbar, aber gleichzeitig gibt die-
in Europa genießen.
den, in der berühmten Musikschule von
tag gewonnen. Morgen, im Finale, singen Sie
Hilversum („Media City“ von Holland) zu
wiederum ausgerechnet am Muttertag für
studieren.
ganz Europa. Wurden Sie bei der Entscheidung für diesen Song durch irgendeine be-
Und hat diese Berliner Musikschule seitdem
kannte weibliche Persönlichkeit, wie z.B.
eine Entwicklung durchgemacht? Haben Sie
Angela Merkel, Segolene Royal oder eine
überhaupt jemals in Berlin studiert?
andere Berühmtheit inspiriert?
Roger Cicero: Ja, schon, in Berlin habe ich
Roger Cicero: Nein. Diese Inspiration
mehrmals Privatunterricht genommen.
ist auf keine prominente Frau zurück-
Die Musikschule in Berlin ist jetzt viel
zuführen, sondern rein privat.
größer und bedeutender als zu meiner
Studienzeit.
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Danke für das interessante Gespräch!
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