Inhaltsverzeichnis
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1 Inhaltsverzeichnis Text 1............................................................................................................................. 3 Kurzzusammenfassung...................................................................................... 3 „Basisdemokratie“ und die Delegation............................................................. 4 Text 2............................................................................................................................. 6 Kurzzusammenfassung...................................................................................... 6 „Basisdemokratie“ im Bildungsstreik aus der Sicht eine_s Bloggenden.......... 7 Text 3.............................................................................................................................10 Kurzzusammenfassung......................................................................................10 „Basisdemokratie – Eine historische Analyse“..................................................11 Text 4.............................................................................................................................16 „Basisdemokratie - Definition“.........................................................................16 Text 5.............................................................................................................................17 Kurzzusammenfassung......................................................................................17 „Wie könnte man Basisdemokratie lokal umsetzen?“.......................................18 Text 6.............................................................................................................................21 Kurzzusammenfassung......................................................................................21 „Die Unvereinbarkeit von Anarchie und Basisdemokratie“..............................22 Text 7.............................................................................................................................28 Kurzzusammenfassung......................................................................................28 „Basisdemokratie“.............................................................................................29 Text 8.............................................................................................................................31 Kurzzusammenfassung.......................................................................................31 „Was ist eigentlich Basisdemokratie, Selbstverwaltung und Anarchismus?“....32 Dieser Workshop wurde erstellt von: Freikæmpfer – https://www.freikaempfer.net - 2011 Das gesamte Konzept und die dazugehörigen Materialien stehen unter einer CC-Lizenz, die eine kommerzielle Nutzung verbietet. Weitergabe unter gleichen Bedingungen. Änderungen erwünscht. Für ein Feedback bin ich dankbar. 2 Kurzzusammenfassung von Text 1: In diesem Text wird der Schwerpunkt auf das Delegations-Prinzip gelegt. Zu beginn wird die These aufgestellt das Basisdemokratie nicht funktionieren kann. Im folgenden wird dies dann untermauert. Hierbei werden keine politischen Punkte sondern organisatorische behandelt. So geht der Text davon aus, dass Bürokratie zu viel Zeit in Anspruch nimmt und eine Delegation immer ein Problem darstellt. Vor allem wird dabei der Punkt angeführt, dass Delegierte durch die geheime Wahl nicht an Weisungen aus ihren Kreisen o.ä. gebunden sind und frei entscheiden können z.b. welche_n Kandidat_in sie wählen. Meinungen, welche in der Diskussion in der Gruppe keine Mehrheit gefunden haben, durch einzelne einer Delegation aber geteilt werden, könnten durch die Delegation ein größeres Gewicht erhalten. 3 Text 1: „Basisdemokratie“ und die Delegation Die Presse verkündet, dass die SPD einen neuen Programmentwurf beim SPD-Parteitag präsentieren will, der konträr zu dem von den Herren Platzek, Steinmeier und Steinbrück beschriebenen Weg der Zukunfts-SPD wieder alte Traditionen der SPD in den Vordergrund stellt. Aber was ist ein Parteiprogramm denn nun wirklich? Ein Papier mit hochtrabenden Floskeln, an die sich beim Machterhalt niemand hält. Seit geraumer Zeit wird deshalb in der Basis der Parteien gerne das Wort Basisdemokratie verwendet. Doch Basisdemokratie hat einen entscheidenden Nachteil. Sie funktioniert nicht. Woran liegt das? Ausschlaggebend in einer Partei sind die Mechanismen und der strukturelle Aufbau. Die Basis, das sind die Parteimitglieder in den einzelnen Kreisen. Dort trifft man sich in regelmäßigen Abständen, diskutiert über anstehende politische Fragen, meist regionaler Natur. Ein wichtiges Instrument eines solchen regionalen Partei-Vereins ist die Satzung, die bestimmt, wer die Finanzen überwacht, wer im Vorstand sitzt, wie das Rederecht vergeben wird, welches Schiedsgericht bei internen Querelen zuständig ist und, sehr wichtig, wer als Delegierter den regionalen Kreis auf Landesebene vertritt. Sieht man einmal davon ab, dass bei jedem Treffen fast die Hälfte der Zeit für die Verwirklichung der bürokratischen Vorbedingungen verwendet wird, sehe ich das Problem der Basisdemokratie bei den Delegierten. Stehen Landesparteitage an, sollen die Delegierten die im Kreis getroffenen Entscheidungen zu den anstehenden Fragen der Agenda des Landesparteitags vertreten. Vor einem Landesparteitag werden in der Regel Anträge formuliert und eingereicht, über die dann auf den Landesparteitagen abgestimmt werden soll. Damit ist sichergestellt, dass auf dem Landesparteitag ellenlang über jeden Antrag diskutiert wird, weil ein gesunder Pragmatismus einfach nicht zum Wesen eines deutschen Parteimitglieds passt. Ist es dann endlich spät geworden, die Teilnehmer entsprechend müde und von dem Gedanken an die Heimreise beseelt, geht es in die letzte Phase, die Personalabstimmungen. Auch dieses Thema wurde bereits im heimischen Kreis durchgehechelt und die Delegierten mit entsprechenden Weisungen versehen. Auf dem Parteitag werden dann die zur Wahl anstehenden Kandidaten mit einer begrenzten Redezeit dafür werben, dass man sie wählt, weil sie die einzig richtigen Personen für die Ämter innerhalb des Landes sind. Dabei wird eines schon im Vorfeld auffällig. Jeder Bewerber hat eine bestimmte Redezeit, dann wird er vom Parteitagsgremium gemahnt, zum Ende zu kommen und im Zweifelsfalle auch seine Rede abgewürgt. Doch schon hier zeigt sich, dass bereits eine Art Vorselektion stattfindet, indem man bei Favoriten toleranter mit der Überschreitung der Redezeit ist, als bei anderen Bewerbern. Zum Schluss wählen dann die Delegierten in geheimer Wahl und das ist das eigentliche Problem. Durch die geheime Wahl können sie wählen, wen sie wollen, ohne Rücksicht auf den eigentlichen Auftrag des Kreises, mit dem sie angereist sind. Sie können anders wählen, als durch Mehrheitsbeschluss auf Kreisebene bestimmt wurde. Haben sie selbst auf Kreisebene beispielsweise anders gestimmt als die Mehrheit, was hindert sie, entgegen dem Mehrheitsbeschluss des Kreises trotzdem denjenigen zu wählen, für den sie bereits im Kreis stimmten und unterlegen sind? Ebenso gut kann es sein, dass ein Schaumschläger auf der Bühne eine zündende Rede hält und der Delegierte davon so angetan ist, dass er ihn wählt, obwohl er im Kreis gar nicht zur Disposition stand. Bei den Delegierten hört der basisdemokratische Prozess auf. Das wäre anders, wenn Delegierte wirklich nur die Position des Delegierten ausfüllen würden und bei Personalabstimmungen einfach das im Kreis protokollierte Abstimmungsergebnis zu jedem einzelnen Kandidaten mit genauer 4 Spezifikation, wie viel Kreismitglieder für, gegen oder Stimmenthaltung für die einzelnen Kandidaten abgegeben wurden. Diese Form, bereits bei Beginn des Landtages an ein dafür gewähltes Gremium übergeben und dann für jeden Kreis in einen Schlepptop (pardon, Laptop) eingetippt und nach der Auswertung protokolliert und verkündet. Jeder Kreis bekommt ein Protokoll der Auswertung und kann sich so von der ordnungsgemäßen Wahl selbst überzeugen. Damit wäre zumindest für Personalentscheidungen die Basisdemokratie verwirklicht. Würde das gleiche Verfahren dann auch für die nächste Stufe, vom Landesverband zur Bundesebene verwirklicht säße so mancher Abgeordnete nicht auf dem Posten, auf dem er nur sitzt, weil ein oder mehrere Delegierte(r) den demokratischen Prozess unterbrochen haben. Solange diese Abstimmungsprozesse auf den alten und ausgefahrenen Gleisen laufen, werden die Führungspositionen in den Parteien immer von den gleichen Gesichtern besetzt werden und Veränderungen nur für die Partei gültig werden, der es im jeweiligen Kreis gelingt, einen Kandidaten per Direktwahl der Wähler in den Landtag (wenn dort die Wahl analog zur Bundestagswahl abläuft) oder in den Bundestag zu implantieren. Aus diesen Gründen ist Basisdemokratie ein Wunschtraum und wenn man den Parteitag der Grünen und das Veto der Basis gegen den Afghanistaneinsatz sieht und dann Bütikofer hört, den der Wille der Basis nicht zu scheren scheint, muss man sich fragen, was eigentlich demokratisch an den demokratischen Parteien ist. Liest man dann, dass Söder tönt, die Grünen verraten Joschka Fischer, muss man sich doch die Frage stellen, verraten die Grünen nun Joschka oder hat Joschka die Grünen verraten??? Parteiprogramme sind nur Worte auf einem Stück Papier bzw. Bits in einem Computer. Relevant wären sie nur dann, wenn sie auch umgesetzt würden. Aber ich kenne keine Partei, die ihr Parteiprogramm auch lebt. Erstelldatum: 18.09.2007 http://www.flegel-g.de/basisdemokratie.html 5 Kurzzusammenfassung von Text 2: In diesem Text beschreibt ein Bloger aus Salzburg seine Ansicht von „Basisdemokratie“ in zusammenhang mit den Unibesetzungen in Österreich. Schwerpunkt liegt dabei auf der Unibesetzung in Salzburg im Oktober 2009. In seinem Text geht der Blogger Sascha davon aus, dass die Schweiz keine Basisdemokraite umsetzt wenn die Bürger_innen gelegentlich um ihre Meinung gefragt werden. Als basisdemokratisches Argument führt er an: »Man spricht nicht „mit“ den Machthabern, sondern stellt sie dar.« Als anschauliches Beispiel wird Basisdemokratie mit einem Chat gleichgesetzt. Anhand dessen wird beschrieben, wie die Umsetzung von Basisdemokratie aussehen könnte. Es wird auch darauf eingegangen, dass nicht alle Anwesenden ihre/eine Meinung äußern müssen und das auch für Leute die später gekommen sind ein Einstieg in die Diskussion möglich sein muss. Besonderen Wert liegt Sascha hierbei auf die Tatsache, dass Leute ihre eigene Meinung äußern wenn sie sprechen. Zum Ende wird auch kurz darauf eingegangen, dass auch Leute die nicht persönlich anwesend sein können/konnten mitentscheiden sollen. 6 Text 2: „Basisdemokratie“ im Bildungsstreik aus der Sicht eine_s Bloggenden VIel wird über sie geschrieben. Viel wird ihr zugeschrieben. Und die Plena in den besetzten Hörsälen basieren auf ihr: Der Basisdemokratie. Doch wie soll man das einem an die althergebrachte repräsentative Demokratie gewöhnten Bürger erklären? Wie funktioniert sowas? Nein, Basisdemokratie ist nicht das, was die Schweizer seit Jahrzehnten machen. Zumindest nicht in der radikalen Form. Alle paar Monate mal Abstimmen dürfen über Gesetze ist noch keine Basisdemokratie. Höchstens ein Zugeständnis zum Willen des Volkes, auch außerhalb von Wahlen mitsprechen zu wollen. Nicht umsonst spricht man ja auch von einem „Mitspracherecht“, sei es bei Volksabstimmungen, Gewerkschaftsbeteiligungen oder ähnlichem. Basisdemokratie ist keine reine Mitsprache. Man spricht nicht „mit“ den Machthabern, sondern stellt sie dar. Es gibt keine Repräsentanten, keine Wahlen, keine Parteien. (Sollte es zumindest nicht, aber dazu später.) Sondern man repräsentiert sich höchstens selbst und stimmt entweder dafür oder dagegen. Oder enthält sich, man hat ja nicht zu allem eine Meinung. Doch wie kann man das denen, die mit dem repräsentativen Modell aufgewachsen und großgeworden sind, z.b. der ÖH und ihren Funktionären, Referenten usw. erklären? Vielleicht so: Basisdemokratie ist wie ein riesiger Chat. Wie knuddels oder IRC. Leute kommen, melden sich an, reden mit, führen Gespräche fort, idlen (sprich sitzen nur rum), treffen manchmal Entscheidungen und gehen wieder. Ist ein Benutzer nicht online, sprich im Plenum, ist er nicht da. Beteiligt er sich nicht, sondern sitzt er nur rum, sitzt er nur rum. Und (und darauf lege ich wert) meldet er sich zu Wort und redet, gibt er seine Meinung kund. Nicht die von anderen. Es sollte keine Fraktionen oder Grüppchen geben. Denn es ist wie im Chat: Wenn sich mehrere zu einem festen Grüppchen zusammenschließen, werden andere dadurch abgestoßen, da es natürlich schwerer ist, gegen ein solches festes Grüppchen zu argumentieren. Zu so einer Art Demokratie-Chat gehört es auch, dass Quellen von außen eingebracht werden. Die Wiener machen das recht gut, Anfragen aus Facebook, Twitter oder dem stream-eigenen Chat werden aufgegriffen und von anderen vorgebracht, oder werden mithilfe einer Twitterwall direkt ins Plenum projektiert. So können auch Interessierte an der Basisdemokratie teilnehmen, die nicht vor Ort im Hörsaal sein können. Permanent anwesend kein kann keiner. Wer das meint, vergisst, dass Menschen auch noch andere Bedürfnisse wie die Uni-Politik haben. Freunde, Arbeiten, Studieren, Familie. Zeit ist begrenzt. Doch das ist in einem Chat kein Problem, sofern die Organisation funktioniert, wenn jemand, der zwischenzeitlich weg war oder neu dazukommt, nicht vor einer Mauer steht, die er nicht zu erklimmen weiß, sondern vor einer Treppe, um zu den anderen auf den Sims steigen zu können. Wie kann man das jetzt auf die derzeitige Protestbewegung zuschreiben. Nun ja, ich beobachte ja vor allem die Salzburger Unibesetzung, von daher kann ich nur auf diese eingehen. Zunächst einmal: Das Grundprinzip dieses „Chats“ existiert: Jeder kann ins Plenum gehen, wann er möchte, es gibt zwar nicht 24 Stunden Plenum, aber es gibt natürlich auch sehr wenige IRC-Chats (als Beispiel), die 24h aktiv sind. Also jeder kann ins Plenum, sich dort beteiligen, was sagen. Die Plenumstermine werden auf Facebook verbreitet und auch auf die Homepage gestellt. Soweit klappt es. 7 Was derzeit irgendwie weniger klappt ist der Treppenbau. Am Freitag habe ich es miterleben dürfen, dass zwei an der Mitarbeit interessierte Studierende nicht wussten, wo sich die Arbeitsgruppen treffen. Es gab keinen Aushang, keine Information im Internet, keine Ansprechpersonen. Es fehlte quasi ein „Bot“, den man fragen konnte (im IRC gibt es Bots, dass sind Programme, die auf bestimmte Befehle reagieren und Informationen geben, z.b. Hilfen.) Wenn man will, dass die Bewegung nicht ausstirbt bzw. sich am Ende nur auf einen sehr kleinen Teil der Studierenden beschränkt, muss also unbedingt die Information wieder stärker im Vordergrund stehen. Information und Kommunikation sind die wichtigsten Bausteine einer Basisdemokratischen Organisation, denn nur wer die nötigen Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten bekommt (sprich an den Arbeitsgruppen teilnehmen kann), kann mitentscheiden. Was auch nicht so gut klappt, ist derzeit das Hereinholen von „Links“, sprich von auswärtigen Quellen. In Wien geht es, in Salzburg läuft die Debatte in Twitter, Facebook und Plenum eher parallel denn zusammenhängend statt. Als kritische Frage an die im Hörsaal anwesenden Besetzer formuliert: Wie oft lest ihr Twitter? Holt euch ein Meinungsbild über Twitter, Facebook, ähnliches ein? Wie oft gebt ihr Replik darauf? Das Problem hierbei ist vielleicht: Die meisten im Hörsaal aktiv beteiligten sind eher „RL“-Typen. Das heißt, man weiss was Twitter, Facebook, Blogs sind, sieht aber vor allem die Arbeit im HS als wichtig an. Das mag für normale politische Arbeit stimmen, diese wird in der „Parteizentrale“ bestimmt… aber diese Besetzungen wurden mit begonnen durch das Internet, durch Vernetzung. Und diese Vernetzungsarbeit fehlt zur Zeit. Man muss keine hochtrabenden Pressemitteilungen mit vielen Forderungen usw. formulieren. Denn die Zielgruppe Nr. 1 sind nicht die Medien, sind nicht die Politiker. Die Zielgruppe Nr. 1 sind die Studierenden. Mir wurde gesagt: „Entwirf einen Flyer“ auf die Kritik, dass irgendwie bei den meisten Studierenden der Protest nicht ankommt. Einen Flyer… das ist ein Mittel, das höchstens noch die PR-Leute benutzen. Flyer werden angeschaut und weggeworfen. Banner werden angestaunt, gelesen und vergessen. Flyer und Banner sind keine Vernetzung, denn sie sind einseitig. Vielleicht, Selbstkritik ist ja erlaubt, hätte ich einen „Flyer“ entwerfen sollen, der die Studierenden anspricht. Damit meine ich aber nicht irgendwas papierartiges. Sondern z.b. die Leute auffordern, mehr die Facebook-Seite zu füllen. Und auf der anderen Seite dafür einzutreten, dass auch die Fragen aus Facebook und Co. behandelt werden. Denn diese Proteste und auch die nächsten, die sicher kommen werden, denn die Situation an den Unis wird sich derzeit ja kaum verbessern, sind anders als früher. Sie sind nicht mehr lokal beschränkt auf das „Reale Leben“ im Hörsaal oder Audimax. Sondern sie finden überall statt, in Wohnzimmern, Arbeitszimmern, Schlafzimmern. Nämlich im Virtuellen Raum… In Chats, im Twitter, auf Facebook. Und sie sind vielschichtiger, es gibt kein „Wir vs. Die“ mehr. Bei der Gruppe „Studieren statt Blockieren“ wird ebenso über die derzeitige Situation diskutiert wie auf „AudimaxBesetzung“. Und wer nicht total einseitig ist in seinem Denken, sieht das auch. Denn, das ist halt das besondere an einer Basisdemokratie: Da hat nicht nur eine Clique aus Gleichgesinnten miteinander zu diskutieren. Sondern alle. Egal ob über Twitter, Facebook oder im 8 Plenum. und alle sind gleichberechtigt, haben mitzuentscheiden. Nicht „wenn du nicht im Plenum bist, kannst du nicht mitentscheiden“. Nein, das ist keine Basisdemokratie! Das ist Repräsentantendemokratie par exelance! 23. November 2009 — saschap http://saschap.wordpress.com/2009/11/23/basisdemokratie/ 9 Kurzzusammenfassung von Text 3: Diese historische Analyse bezieht sich vor allem auf die Arbeiter_innenbewegung und die WASG und PDS. Mit kurzen Ausflügen in den Marxismus und Trotzkismus sowie ein paar Worten zu Stalin und Lenin ist dieser Text recht umfassend und zeigt interessante Aspekte der Arbeiter_innenbewegung von damals und auch hier und da von heute. Zu Beginn wird die Hauptthese aufgestellt, dass Basisdemokratei nur auf internationaler Ebene funktionieren bzw. Erfolg bringen kann. Dazu gesellen sich die Thesen, dass die Schweiz keine Basisdemokratie praktiziert und das Naturstämme vor über 3.000 Jahren noch basisdemokratisch waren bis die reine Herrschaftsgesellschaft in Mesopotamien und Griechenland entstand. 10 Text 3: „Basisdemokratie – Eine historische Analyse“ Das alle antineoliberale Flügel in der WASG verbindende Wort wird schon von vielen von uns benutzt. Es heißt Basisdemokratie. Es scheint jetzt nach der Niederlage der Antineoliberalen etwas unpassend, über dieses Wort zu reflektieren. Es bleibt aber von grundsätzlicher Bedeutung und die Klärung dieser Frage wird früher oder später wieder auftauchen. Dazu am Ende dieser Analyse einige Frage- oder Feststellungen. Von den Nichtmarxisten gibt es eine ganze Web-Seite mit dem Namen: www.basis-demokratie.de oder Eckhardt Hildebrandt hat mit dem WASG Kreisverband Oldenburg ein basisdemokratisches Modell auf Verbandsbasis ausgearbeitet. www.berlin-unzensiert.de Auch die Marxisten benutzen es oft, z.B. Edith Bartelmus-Scholich als Trotzkistin propagiert: "Für eine basisdemokratische neue Linkspartei - lasst uns mit der Basisdemokratie beginnen - auf diesem Parteitag!". (Netzwerk) Wie wir sehen, ist dies das Schlüsselwort. Die Erklärung bei Wikipedia lautet: "Die Basisdemokratie ist die älteste Form der Demokratie. Sie kommt ohne Repräsentanten aus. Das bedeutet, alle relevanten Entscheidungen werden von den Betroffenen selbst abgestimmt. Die Basisdemokratie eignet sich sowohl für triviale Probleme, die ohne Fachwissen einfach zu entscheiden sind, als auch für Fragen, die erheblichen Einfluss auf das Leben der Mehrheit haben, wie die Struktur des Gesundheitswesens, Kriegseinsätze, neue Verfassungen, Eigentumsfragen, Löhne, Arbeitszeitregelungen, Streikentscheidungen, Grundrechte und Menschenrechte." Das war die Erklärung der Basisdemokratie bei den Naturstämmen, wobei diese manchmal in Notzeiten untereinander im Krieg standen. Dieser wurde aber vom ganzen Stamm beschlossen und bildete daher eine Ausnahme. Seit den Anfängen der reinen Herrschaftsgesellschaften vor knapp 3000 Jahren in Mesopotamien und Griechenland aber war der Krieg ein regelmäßiger Begleiter des Menschen, und da gab es keine Basisdemokratie mehr. "Von 650 vor Christus (seit den Anfängen der reinen Klassengesellschaften) bis heute zählten die Historiker 1656 Versuche, durch Wettrüsten den Frieden zu bewahren. Dies führte 1640 mal zum Krieg. In den anderen Fällen zum wirtschaftlichen Ruin der Beteiligten." (SIPRI) Heute aber produzieren wir weltweit Überfluss, er wird nur ungerecht verteilt. Also, Kriege brauchen wir nicht mehr. Deshalb kann die Basisdemokratie heute nur internationalistisch durchgeführt werden. Wenn wir den ganzen Herrschaftsmüll nicht mehr wollen, dann können wir ja basisdemokratisch darüber entscheiden, wobei wir schon bei den unterschiedlichen Ansätzen der Basisdemokratie-Vertreter wären. Die unterschiedlichen Ansätze entwickeln sich unter den heutigen ökonomischen Bedingungen fast zwangsläufig aufeinander zu bzw. haben sich bei der Diskussion bereits schon mehr oder weniger angenähert. Die Nichtmarxisten wollen diesen Begriff erst nur auf die Partei, Vereine und Verbände angewendet wissen. Aber verschiedentlich werden auch schon die Grenzen dieses Konstruktes gesehen und Schritte darüber hinaus angedacht. Die Grenzen, in denen eine Basis sich bewegt, müssten frei sein, damit diese sich auch wirklich frei entscheiden kann. Auch wenn alle Berliner sich basisdemokratisch "frei" entscheiden könnten, könnten sie nur die Armut verteilen. Sie könnten nicht darüber entscheiden, z.B. den Spitzensteuersatz wieder anzuheben, da steht der Bundestag und das Bundesverfassungsgericht davor. 11 Und wenn die Basis auch im Bundestag entscheiden könnte und den Spitzensteuersatz wieder auf 56% anhöbe, dann zieht das Kapital in die Slowakei oder nach China ab. Und wenn die Basis dem Kapital das verbietet, dann könnte sie keine Waren mehr verkaufen, weil in China die Arbeiter gezwungen werden, für 50 Cent zu arbeiten und damit deren Waren billiger verkauft werden können, ergo müssten wir auch für 50 Cent arbeiten. Also die Basis könnte sich nicht wirklich frei entscheiden, solange es nicht antikapitalistisch, international ist, die Löhne nicht gemeinsam von der gesamten Weltbevölkerung festgelegt werden und die Produktion nicht solidarisch auf alle Betriebe der Welt verteilt wird. Nur so kann die Weltwertschöpfung auch gerecht verteilt werden. Und nur so ist die Weltbasis auch gleichberechtigt, um über den Anteil des Konsums und den der Rücklagen frei entscheiden zu können. Dank Internet und seinem Entwickler CIA können wir das jetzt auch. Sonst waren der CIA und seine Auftraggeber überflüssig. Die Überlegung sollte leicht einleuchten, dass eine Gesellschaft nicht wirklich basisdemokratisch organisiert ist, solange etwas Drittes wie das Akkumulationsgesetz des Kapitals einem Grenzen setzt, noch dazu sehr knappe. Die weitergehende Erklärung bei Wikipedia, insbesondere, dass die Schweiz basisdemokratisch mit Volksabstimmung organisiert sei, ist voll daneben. Hier entscheidet die Regierung, stellvertretend, wann wir abstimmen dürfen, eine Art Mitbestimmung bei der Clopapierqualität. Die Schweizer entschieden sich "basisdemokratisch" in einer Volksabstimmung für höhere Grenzen für Ausländer. Nachdem also die Begüterten - 25% der Bevölkerung wählen dort die Regierung die wenigen Krümel fürs einfache Volk festgelegt haben, kann nur unter denen "basisdemokratisch" ein harter Verteilungskampf entbrennen. Da kann nur die Basis übereinander herfallen. Das ist ganz nach dem Geschmack der Herrschenden, denn sie möchten uns Lohnabhängige spalten und damit schwächen, in Frau und Mann, jung und alt, In- und Ausländer, Verheiratete und Ledige, Beschäftigte und Arbeitslose usw., und damit sind wir vereinzelt viel schwächer. Untersuchungen in den USA in den Gebieten, wo die Schwarzen wenig verdienten, haben ergeben, dass auch die Weißen dort unterdurchschnittlich verdienten, da der Lohn der Schwarzen den der Weißen drückt. Also mit einem "Alle gegen Alle" schadet man sich nur selber. Die Volksabstimmung in der Schweiz wäre nur wirklich frei gewesen, wenn auch alle über die gesamte Wertschöpfung entscheiden. Wenn ich jetzt das basisdemokratische Modell der Marxisten beschreibe, dann nicht aus dem Interesse, dass wir heute uns für dieses entscheiden. Nein, wir müssen diese Diskussion mit den Wählern diskutieren, sonst wären wir ganz schnell eine 0,1%-Partei. Aber das kann sich in der Geschichte, gerade der heutigen mit dem desaströsen Weltmarkt, schlagartig ändern und wir hätten dann nur damit eine Chance. Edith hat in ihrem Artikel "Noch nicht angekommen oder schon das Ziel verfehlt? - Die neue Linke nach dem "Superwahltag" 26. März 06" in der Praxis mit diesem Satz Brücken für diese Diskussion aufgezeigt: "Die neue Linke kann die sozialen Bewegungen ermutigen, auf allen Ebenen Ratschläge zu veranstalten und Räte zu bilden, die Fragen und Forderungen an sie formulieren und die Aktivitäten der Partei und der Parlamentsfraktionen kritisch begleiten. In der Praxis kann dies so aussehen, dass Ratschlägen und Räten der sozialen Bewegungen Rechte eingeräumt werden, wie z.B. das Antragsrecht gegenüber Partei und Fraktionen." 12 Die marxistischen Basisdemokraten, in der Regel Trotzkisten und einige Rätekommunisten und Anarchisten in der WASG, wollen diese Form konsequent überall und international, auf der Arbeit, im Wohnhaus, im Gericht, bei der Polizei und beim Militär, so lange es dies noch geben muss, in der Umwelt, in den Medien und, und, und. Manche haben immer erzählt bekommen, dass wir Marxisten für die Diktatur seien. Aber, ein für alle mal, das stimmt nicht, das ist eine Fehlinformation, die einmal daraus resultiert, dass Stalin nach Lenins Tod und seiner blutigen Konterrevolution zwar das genaue Gegenteil vom Marxismus machte, aber sich weiterhin Marxist nannte, genauso, wie seine Nachfolger, nur um die kleinen Leute für sich gewinnen und leichter ausfleddern zu können. Nur Trotzki verblieb auf den Pfaden des authentischen Marxismus. Andererseits nahmen die bürgerlichen Marxhasser diesen Etikettenschindel liebend gerne auf, um so die Marxisten leicht diffamieren zu können. Wenn man aber weiß, dass Trotzki der gewählte Sprecher des basisdemokratischen Arbeiterrates in Russland 1905 und dann wieder in der Revolution 1917 war, sieht man das Vertrauen, welches die einfachen Leute in ihn setzten und kann daran messen, dass auch wir Trotzkisten nichts anderes wollen, als eine Basisdemokratie, nur überall, auch in den Betrieben. Die basisdemokratischen Arbeiterräte werden Nachfolger sein der jetzt schon in Europa zaghaft entstehenden Streikräte. Sie werden genau wie diese nach 3 Prinzipien arbeiten: 1. Jederzeitige Abwählbarkeit 2. Sie sind an die Beschlüsse der Basis gebunden 3. Sie erhalten nicht mehr als einen Facharbeiterlohn Die Ähnlichkeit der Prinzipien, mit denen das Thing der Germanen, die Stammesversammlung der Irokesen oder aller Naturvölker verbunden waren, finden wir überall in der Geschichte der Arbeiterbewegung wieder. Die Idee der Arbeiterräte stammt von den Arbeitern selber. Sie müssen immer zwangsweise wegen des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit diese Idee entwickeln. Höhere Rendite für das Kapital heißt Kürzung der Löhne bzw. weniger Arbeitsplätze oder umgekehrt. In der auf Konkurrenz aufgebauten Marktwirtschaft wird für mehr Rendite nur sein Lohn gekürzt und die Arbeitshetze steigt. Oder umgekehrt, wenn sie solidarisch streiken. Erst wählen die Arbeiter in einem "wilden" Streik spontan Streikräte (So geschehen schon in London - Post und Feuerwehr, Belfast - Postler, und Rom - Busfahrer), die sie später, wieder spontan, in Arbeiterräte umbenennen. So geschehen 1905 und 1917 in Russland, 1918 in Deutschland, 1921 in Italien und Ungarn, 1936 in Spanien, 1956 in Ungarn, 1974 in Portugal und 1979 im Iran (Schoras). Diese Idee der basisdemokratischen Arbeiterräte ist nichts anderes als der authentische Sozialismus, wie er von Marx, Engels, Lenin, Trotzki und Luxemburg entwickelt wurde. Was hat der VW-Kollege davon, wenn sein südafrikanischer Kollege nur die Hälfte verdient? Nichts, nur einen Dumpinglohn und damit nur einen Lohndruck. Deshalb ist sein objektives Interesse internationalistisch. Nur ein weltweiter solidarischer Basisplan nach den Bedürfnissen aller kann in dieser globalisierten Weltwirtschaft einen menschenwürdigen Lohn bereitstellen, nicht mehr die auf Konkurrenz aufgebaute Marktwirtschaft. 13 Deshalb kann nur die Arbeiterklasse, und kein stellvertretender Bürokrat eine Wirtschaft für die Zukunft aufbauen. Daher der Satz von Marx, dass "die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein kann". Auch, weil nur in einem emanzipierten Kampf die Arbeiter ihr objektives Interesse entdecken können. Sie sind immerhin 85-90% in Europa. Natürlich haben in den Arbeiterräten auch die Rentner, die Bauern und alle Kleinbürger ihre Vertreter sitzen. Wichtig ist, dass nur das objektive Interesse der Arbeiter in der Wirtschaftspolitik durchgesetzt wird, aber das wird es auch bei 85% und dann mehr. Die Räte sind auch ein viel besseres Instrument für die Basisdemokratie als das bürgerliche Parlament. In den Betrieben kann die Basis in regelmäßigen Abteilungs- und Betriebsversammlungen, in Stadtteilplenen und Bauernversammlungen usw. ihre Beschlüsse fassen und ihre Delegierten wählen, die an die Beschlüsse gebunden sind. In das bürgerliche Parlament kann man nur alle vier Jahre wählen und die machen dann, was sie wollen. Schon früh hatte Trotzki die Notwendigkeit der demokratischen Selbstorganisation der Arbeiterklasse aufgezeigt (in "Mein Leben"), weshalb er 1905 als Vorsitzender des Arbeiterrates gewählt wurde. Nach der Zerschlagung durch den Zarismus hat er dann seine Erfahrungen in "Ergebnisse und Perspektiven" niedergelegt. 1917 ist er wieder als 1. Sprecher gewählt worden und Lenin hatte sich dann 1917 mit den "Aprilthesen" Trotzki angeschlossen. Aber da die Arbeiterklasse bei dem Tode Lenis nur 3% betrug, hatte Stalin leichtes Spiel mit ihr mit seinen Schlägerbanden, Arbeitslagern und Hinrichtungen. Er behielt trotz blutiger Diktatur unseren Namen und Bücher bei und fälschte alles ins Gegenteil. Die Zeit war noch nicht reif. Das Kapital übernahm liebend gerne diese Fälschungen, weil es ein Horror hat vor wirklicher Demokratie und Selbstbestimmung. 1921 scheiterten die Räte, weil die noch nicht stalinisierte Luxemburgische KPD nur 3000 Mitglieder hatte und somit die SPD leicht die Arbeiterräte zutexten konnte, die Macht der Arbeiterund Soldatenräte an das bürgerliche Parlament abzugeben. Man hatte noch keine Erfahrung mit dem Kapitalismus und der hatte außerdem noch Entwicklungsmöglichkeiten. Jetzt aber gibt es nur eine Richtung: Noch mehr Arbeitlose, noch mehr Stunden für weniger Geld, noch mehr Kriege und noch mehr Folter. 1936 erledigten dann in Spanien die Stalinisten das Geschäft der Zerschlagung der Selbstorganisation und Franco konnte dann leicht durchmarschieren. Ebenso in Ungarn schlugen die Stalinisten die Arbeiterräte zusammen. 1974 in Portugal erledigte das unser Willy zusammen mit dem CIA und seinem Geld. 1979 im Iran dann wurde Khomeini von der "Weltgemeinschaft" in Guadeloupe gegen die Arbeiterräte (Schoras) dann an die Macht gehoben. Heute aber sind wir Arbeiter aber ca. 85-90% der Bevölkerung in Europa, da haben die Konterrevolutionäre keine Chance mehr. Ihre letzte Großtat wird die Zerschlagung der WASGLinken sein (jetzt leider Gegenwartsform) und in den USA werden sie noch einige Kinder zum "ImBlut-Baden" schicken. Sie haben doch nichts mehr anzubieten - Null. Ihre Zeit wird so enden wie in Leipzig, als 100000 Kollegen sich zum gemeinsamen Spaziergang verabredeten, da waren auch die Kassen leer. Schaut die 4000000 auf Frankreichs Straßen, da ist die Macht von Renault & Elf zu Ende. Und aus Turin und Rom reisten die Studenten mit Bussen an. Unser Widerstand läuft doch schon europaweit, weltweit - als die Opelaner streikten, bekamen sie Solidaritäts-E-Mails aus aller Welt und die Porsche-Kollegen sind mit dem Bus durch die Nacht gereist, um die Opelaner bei ihrem Kampf zu unterstützen. Das ist Basisdemokratie mit den Füßen. Basisdemokratie kann auch Spaß machen. 14 Wir Marxisten haben kein anderes Interesse als alle Arbeiter, wir sind nur zufällig früher in der Arbeiterbewegung gewesen und beteiligen uns als das Gedächtnis der Bewegung. Sonst gibt es bei uns alle Schwächen wie bei den Nichtmarxisten auch. Bei uns gibt es auch Populismus, wie wir dies bei Linksruck beobachten können. Sie betätigen sich an der Zerstörung der WASG in dem tiefen Glauben, in der PDS könnte man noch etwas verändern. Ramelow und Konsorten werden ihre Basis mit den im Ausland deponierten Geldern, über die nur die SED-Kader die Verfügungsgewalt haben, vortrefflich erpressen können. Nur Karriere kann man bei uns authentischen Marxisten noch nicht machen. Das wichtigste für die WASG-Opposition ist jetzt, dass wir als WASG-Opposition zusammenbleiben, da bleibt das Richtige oder Falsche eines Schrittes zweitrangig. Der individuelle Austritt einer Minderheit wird nicht glücklich enden. Sie haben sich schon in mehrere Gruppen gespalten: Die Alternative, die Föderalisten, die Demokraten und die WASD. Diese Gruppen besitzen nicht einen politischen und theoretisch besonders erfahrenen Kern, was schnell zu Spaltungen, Hilflosigkeit und Rückzug ins Private dort führen wird. Andererseits ist noch ein gemeinsames Handeln der WASG-Opposition machbar, wie es die AnkettAktion der Berliner vor dem Abschiebeknast oder die Kasseler Konferenz am 20.05. zeigen. Spätestens aber bei dem Zwangszusammenschluss wird mit der Oppositionsarbeit Schluss sein, entweder hat ein Teil von uns kein Interesse mehr an einer orwellschen Machtpartei - der "große Bruder" lässt grüßen - oder die PDS-Chefs werden sich keine neue Laus in den Pelz setzen, die Wagenknecht langt ihnen. Aber wer weiß, bis dahin wird sich vielleicht schon eine neue Alternative aus den Betriebskämpfen ergeben. Es gibt in Deutschland kaum mehr noch etwas an das große Kapital zu verteilen, einfach, weil das schon alles hat. Der Bundeskassenwart Steinbrück hat deshalb schon mal das Ende des Sozialstaates angekündigt. Die Unternehmerverbände dürfen sich freuen, bald wird ihre Lohndrückerarmee unendlich lang. Der Herbst wird wahrscheinlich heißer werden als der Sommer. Eines aber ist ganz gewiss. Die WASG wird mitsamt seinen Spezies im Schwarzen Loch verschwinden. Der konsequenten, internationalen Basisdemokratie in den Betrieben und überall wird die Zukunft gehören. von Norbert Nelte [email protected] http://www.basis-demokratie.de/basisdemokratie.htm 15 Text 4: Basisdemokratie – Definition Die Basisdemokratie ist wohl die älteste Form der Demokratie. Sie kommt ohne Repräsentanten aus. Das bedeutet, alle relevanten Entscheidungen werden von den Betroffenen selbst abgestimmt. Die Basisdemokratie eignet sich besonders gut für triviale Probleme, die auch ohne Fachwissen einfach zu entscheiden sind. Sie wird sehr häufig (zum Teil auch unbewusst) in kleineren Gruppen angewandt, so zum Beispiel, wenn die Mitglieder einer Familie darüber beratschlagen, ob sie lieber ins Schwimmbad gehen oder die Burg besichtigen. Aber auch in der Politik wäre Basisdemokratie möglich. Sie würde bedeuten, dass jedes volljährige Mitglied der Gesellschaft das gleiche Mitspracherecht hat wie die Mitglieder der Regierung. Dazu müsste das Prinzip der Macht aufgegeben werden, was zur Zeit in den Bereich der Utopie verwiesen werden muss. Derzeit gibt es auf der Welt keinen basisdemokratischen Staat, wohl aber basisdemokratische Organisationen. Oder auch Staaten, die zumindest einen Teil ihrer Machbefugnisse an die Gesellschaft abgegeben haben. Eine Organisation, die in den von ihr beherrschten Landesteilen Mexikos die Basisdemokratie durchgesetzt hat, sind beispielsweise die Zapatistas, ein Staat der einen Teil seiner Macht mittels Volksentscheid und Volksbegehren abgegeben hat, wäre die Schweiz. Noch weitergehende basisdemokratische Elemente gibt es in Brasilien, wo die Einwohner verschiedener Städte und Dörfer, ja sogar eines ganzen Bunsdesstaates (Rio Grande do Sul), über den Finanzhaushalt entscheiden. Eine Partei Deutschlands, die sich in ihrer Gründerzeit explizit zur Basisdemokratie bekannte, sind die Grünen. Damals machte die Partei ihrem Ruf als „Partei neuen Typs“ alle Ehre. Nach und nach wurden jedoch die Grundsätze, die einer Hierarchisierung entgegenstanden, zum Teil aufgegeben, da eine feste Führungsspitze aufgrund der Konstanz von der breiten Bevölkerung eher angenommen wird als ständig wechselnde Personen. Näheres zu der basisdemokratischen Struktur der Partei ist in ihrem Artikel zu finden. Das Internet bietet neue Möglichkeiten praktikabler Basisdemokratie. Entscheidungen können auch dann schnell getroffen werden, wenn alle Mitglieder beteiligt werden. Chancen führte als erster Verein in Deutschland die e-Basisdemokratie per Satzung ein. Die Wikipedia ist ebenfalls in Teilen basisdemokratisch in ihrer Struktur, da alle Mitglieder und sogar „Außenstehende“ (I.P.-Benutzer) zu einem Meinungsbild ihre Meinung hinzufügen können. http://www.onlineenzyklopaedie.de/b/ba/basisdemokratie.html 16 Kurzzusammenfassung von Text 5: In diesem Text wird in vier Abschnitten der konkreten Frage der lokalen Umsetzung von Basisdemokratie nachgegangen. Eine Definition findet hierbei jedoch nicht statt, sondern wird in Form von Grundprinzipien, wie z.b. Verständigung und Zusammenarbeit, zugrunde gelegt. Der Text setzt voraus, dass bei einer Umsetzung eine möglichst breite Zielgruppe angesprochen werden muss. Dies soll auch Strömungsübergreifend stattfinden. Es soll Kontakt zu Parteien aufgebaut werden, um auf diese Weise einen Einfluss auf die lokale Politik zu erwirken. Weiter werden fünf „Träume“ definiert, die „bei eigentlich jedem Menschen dieselben“ seien. Darunter fällt z.b. „Frei zu sein“ oder „satt zu werden“. Anhand dieser Träume soll dann der kleinste gemeinsame Nenner gefunden werden. Zudem wird in dem Text die Idee aufgeworfen, eine basisdemokratische lokale „Lobby“ zu bilden um allein durch Öffentlichkeitsarbeit einfluss auf die lokalen Parteien und deren Politik zu nehmen. Auch die Entscheidungsfindung durch das bekannte „Tagesplenum“ wird in diesem Text hinterfragt und als ungeeignet bezeichnet. Hierbei wird die These aufgestellt, dass durch solche Tagesplena Informationskader entstehen. Zum Ende hin setzt sich der Text in einem kurzen Absatz mit der schrittweisen Umsetzung auseinander. Dabei geht er davon aus, dass zunächst eine „kleine [..] Oase“ geschaffen werden muss. Wenn die Strukturen dort dann (quasi) ausreichend getesten wurden kann die Oase vergrößert werden. 17 Text 5: Wie koennte man Basisdemokratie lokal umsetzen? Zielsetzung Ziel ist, einen basisdemokratischen Freiraum vom Alltag zu schaffen, gedeihen zu lassen und zu foerdern, dass es als Erfolgsprojekt Vorbildcharakter hat und sich ein neuer Ansatz der sozialen und politischen Aktivitaet ergibt. Der fuer alle Menschen attraktiv ist, die Verstaendigung und Zusammenarbeit wollen, durch die verschiedenen sozialen und politischen Gruppen hindurch, Einen Weg zu finden, dass moeglichst viele Menschen aus der depressiven Passivitaet, die aus den (oft nur subjektiv) geringen Handlungsmoeglichkeiten des Einzelnen herruehrt, einen attraktiven Ausweg finden. Naemlich in der Gemeinschaft etwas fuer die Gemeinschaft zu tun, Schoenes und Nuetzliches. Einleitung, Grundsaetzliches Die groessten Hindernisse, sehr verschiedene Menschen zusammenzubringen, sind Vorurteile, Intoleranz, Angst und Hass. Daher muss diesem Aspekt durchgehend bei allen Ueberlegungen und Planungen groesste Beachtung geschenkt werden. Vorstufe von Angst und Hass kann sich in Ablehnung zeigen, ob nun aus dogmatischen oder aufgrund von (subjektiven) aeusserlichen Reizwirkungen. Daher muessen Dinge, die (potentiell) abstossende Reizwirkung ausueben koennen, aufmerksam im Vorfeld wie im laufenden Betrieb beruecksichtigt werden. Sonst wird nicht die ganze Zielgruppe (die, die sich ungefaehr das Gleiche wuenschen wie in der Grundzielsetzung oben beschrieben) erreicht, weil Untergruppen der Zielgruppe sich abgeschreckt/abgestossen fuehlen oder eine Mitarbeit fuer sich nicht vereinbar ansehen. Das wuerde dann auf ein Randgruppenprojekt hinauslaufen, sei es politisch, religioes, sozialschichtenmaessig oder altersgruppenbezogen. Die Grundzielsetzung zu erreichen, setzt also voraus, Dingen, die bestimmten Gruppen die Schwelle erhoehen, sich hinzuzugesellen und auch mitzuwirken, groesste Aufmerksamkeit geschenkt wird. (Solche Dinge sind zu vermeiden bzw. ausschliesslich dann einzusetzen, wenn es darum geht, das Projekt fuer Personen/Gruppen, deren Teilnahme nicht erwuenscht ist, unattraktiv zu machen.) Idealerweise gelingt es, Offenheit und Akzeptanz in einem Masse zu schaffen, dass eine hohe Beteiligung durch alle moeglichen gesellschaftlichen Gruppen hindurch erreicht wird, dann besteht auch die Moeglichkeit ueber den Kontakt zu Abgeordneten und Parteien auf politischer Ebene Verbesserungen zu erreichen. Dies waere dann wie eine Bruecke von Waehler zu Politik. So koennten Buerger, ohne sich mit parteipolitischem Engagement zu belasten, direkten Einfluss auf das lokale politische Geschehen nehmen. Dies koennte ein Loesungsweg sein fuer das vielbeklagte Problem, dass die Politiker „keinen Kontakt zur Basis“ mehr haetten. So koennte eine wichtige Ursache der „Politikverdrossenheit“ angegangen werden, die letztlich nur der Demokratie schadet. Konkretisierung Jeder Mensch hat als Kind Traeume gehabt. Im Laufe des Erwachsenwerdens sind der Grossteil dieser Traeume durch die Resignation aufgrund aller moeglichen „Sachzwaenge“ des taeglichen Lebens usw. praktisch „untergegangen“. Diese Traeume, „Utopien“ sind bei eigentlich jedem Menschen dieselben: 1. Frei zu sein. Gluecklich zu sein. Sich wohlzufuehlen. Schoenheit statt Missfallen. 2. Keine Not spueren muessen, sondern satt zu werden. 3. Akzeptiert und respektiert zu sein/zu werden. Freundschaft statt Bedrohung, Feindschaft, Hass und Kampf. 4. Nicht ertragen muessen, was man nicht in seiner Naehe haben moechte. 5. Wahrhaftigkeit und Vertrauen [ usw ] 18 Jeder hat diese Traeume tief in sich, unabhaengig von Geschlecht, Alter, sozialer Stellung, Religion oder Lebensphilosophie und politischer Ideologie. Diese „Traeume“ oder „Utopien“ koennten eine gute Basis sein, ein Minimum von Grundsaetzen zu definieren, wofuer das Projekt stehen und umgesetzt werden soll. Daher ist so wichtig, die Sache so umzusetzen, dass nicht gegen diese Grundwuensche der Menschen verstossen wird oder ihnen ein solches Gefuehl entstehen koennte. Wenn sich also eine Ansatzmoeglichkeit finden laesst, die unterschiedlichste Menschen unterschiedlicher Religionen und Ideologien konstruktiv zusammenkommen zu lassen, die auch noch offen fuer alle, also attraktiv und ohne Hemmschwellen sich zu beteiligen ist, koennte sich eine Perspektive auftun, im lokalen, kleinraeumig regionalen Bereich basisdemokratische Strukturen aufzubauen. Wenn es gelingt, ausreichende Beteiligung der Menschen in der oertlichen Umgebung des lokalen Projekthauses zu erreichen, laesst sich eine direktdemokratische lokale „Lobby“ umsetzen, die auf die reale Politik Einfluss nehmen kann. Ohne dass man Vereine oder Parteien gruendet. Alleine durch Oeffentlichkeitsarbeit. Es muss also Neuland beschritten werden. Wege und Ansaetze, die frueher undenkbar waren, weil chancenlos, oeffnen sich. Neue Moeglichkeiten wollen genutzt werden. Also muss man sich von alten Denkweisen befreien. Um voranzukommen und den Kurs mitzubestimmen, auf die als „sustainable“ erkannten Ziele hinarbeiten. Damit Bewusstsein schaffen. Bewusstsein schafft ueber kurz oder lang Veraenderung. Also ist die Vereinbarkeit der konkreten Projektumsetzung mit diesen „Traeumen“ unbedingte Erfolgsvoraussetzung. Alles, was gemacht wird, muss so gemacht werden, dass es mit allen diesen Pruefsteinen vereinbar ist. Dass beispielsweise die verbreitete basisdemokratische „Regierungsform“ Tagesplenum nur mangelhaft geeignet fuer eine erfolgreiche Projektumsetzung ist, ergibt sich so aus verschiedenen Gruenden: - Wer nicht die Zeit hat, jeden Tag stundenlang anwesend zu sein, wenn das Plenum stattfindet, ist gehindert an der Meinungsbildung und Beschlussfindung. - Die fuer die Beurteilung und Entscheidungsfindung wichtige Information ist nur moeglich, wenn man stets anwesend ist. Umso schlimmer, wenn die Plena zu unterschiedlichsten Zeiten stattfinden. Seiteneffekt: wegen diesem Informationsrueckstand derjenigen, die nicht staendig da sein koennen, bildet sich ohne offenes Informationswesen ueber kurz oder lang ein kleiner, informierter Kreis, quasi eine Kadernomenklatura. Und damit ist das nicht mehr wirklich basisdemokratisch. - Die Schlussfolgerungen sind also u.a. die Wichtigkeit von Offenheit und Transparenz, und ein Modus der Beschlussfindung, der allen eine vergleichbare Moeglichkeit gewaehrt, eine „informed decision“ zu treffen und mitabzustimmen. Das zeigt, dass es sich lohnen koennte, ueber andere konkrete Umsetzungsformen der Basisdemokratie als die „Plenumsdemokratie“ nachzudenken. Umsetzung Konkret ist das kurzfristige Ziel also erst einmal, eine kleine, nicht profitorientierte „Oase“ in einem vorhandenen Laden mit Garten zu schaffen, einen Freiraum in der „Welt der grauen Maenner“ (also um es mit Momo zu sagen, unserer realkapitalistischen Gesellschaft). Einen Modus zu finden, wie so etwas funktionierend umgesetzt werden koennte. Dass die grundlegende Zielsetzung erreicht 19 wird, indem die richtigen Dinge getan werden, und grundlegende Konzept- und Ausfuehrungsfehler vermieden werden. Dies wiederum setzt voraus, dass man das Konzept fortwaehrend (auch im Laufe der Umsetzung!) kritisch prueft, um die wichtigsten potentiellen Knackpunkte moeglichst von vornherein zu (er)kennen und umzugehen. Viele Dinge, die einen Erfolg ausschliessen wuerden, lassen sich schon im Vorfeld anhand der o.g. Pruefsteine identifizieren und konzeptionell und bei der konkreten Umsetzung beruecksichtigen. Wenn das funktioniert, dann kann solch ein Ort Kristallisationspunkt fuer viele andere Basisaktivitaeten neben der Kommunikation und dem Zusammenessen werden. Im naechsten Artikel entwickle ich einige Rahmengedanken ueber Gesichtspunkte, die fuer eine weite Akzeptanz eines solchen Projekts wichtig sein koennten. Was geht, was geht warum nicht? Wie geht es, wie geht es nicht, und warum? Daraus dann in spaeteren Artikeln die Schlussfolgerungen, wie in einem solchen Rahmen dann konkret (hoffentlich) erfolgreich gearbeitet werden koennte. Kritik ist wie immer willkommen. 4. Juli 2009 in Allgemein und Basisdemokratie http://denkverbot.blogsport.de/2009/07/04/wie-koennte-man-basisdemokratie-lokal-umsetzen/ 20 Kurzzusammenfassung von Text 6: Dieser Text teilt 14 Thesen in fünf Themenabschnitte ein um darzulegen, dass Basisdemokratie mit der Anarchie nicht kombinierbar ist. Die zentrale These ist hierbei „Basisdemokratie und Anarchie passen überhaupt nicht zusammen.“ Dabei wird Basisdemokratie als ein Herrschaftssystem von Menschen über Menschen dargestellt während bei der Anarchie eine konsequente Herrschaftsfreiheit dargelegt wird. Eingangs geht der Text von einem Opportunismus vieler Menschen zum Thema Anarchie aus. Dies wird dadurch belegt, dass viele sich anarchistisch nennende Menschen sich auch basisdemokratisch nennen und dies, laut dem Text, eine Mitläufer_innen-Haltung sei. Im Mittelpunkt steht das Konsensprinzip, welches hier als Prinzip zur Herrschaft von Entscheidenden über Menschen die aus verschiedensten Gründen nicht mitentscheiden können gezeigt wird. „Demokratie steht immer für eine Totalität des Anspruchs auf Entscheidung.“ Das Rätemodell wird in diesem Text ebenfalls aufgegriffen und als ein Konstrukt für die Förderung von Informationshierarchien hingestellt. Laut dem Text stellen Räte einen Widerspruch zur Horizontalität, also der Gleichberechtigung von Menschen/Informationen, dar. Desweiteren beschäftigt sich eine der Thesen mit dem Konstrukt eines „Innen“ und eines „Außen“ in der basisdemokratischen Entscheidungsfindung. Eine andere These wiederrum greift auf, dass Sachverhalte zugunsten der Entscheidungsfindung stark verkürzt werden müssten. Das schaffe Möglichkeiten zur Beeinflussung seitens der Fragesteller_innen. Auch in der Frage der offenen Räume und der Medien wird die Frage der Fremdbestimmung, bzw. der basisdemokratischen Herrschaft von Menschen über Menschen, aufgegriffen und Basisdemokratie als Herrschaftssystem wider dem Anspruch der Freiheit in der Anarchie dargelegt. 21 Text 6: Die Unvereinbarkeit von Anarchie und Basisdemokratie Basisdemokratie und Anarchie werden häufig zusammen genannt, für viele Menschen fühlen sie sich als dasselbe an, d.h. die Menschen hängen beidem an. So sind Entscheidungsmethoden der Basisdemokratie in anarchischen Zusammenhängen weit verbreitet - und sie werden auch als Entscheidungsmethode ,der' Anarchie propagiert in vielen einschlägigen, sich anarchistisch nennenden Zeitungen, Gruppen und Strömungen, ebenso in Büchern und Broschüren. Doch kann das sein? Die in der Praxis oft nervig langen Plena, endlosen Debatten und formsteif ausgeführte Konsensabstimmungen sind geradezu das Markenzeichen einer gelebten Anarchie? Die Lustkurve geht zwar bei all dem regelmäßig nach unten, aber offenbar muss mensch leiden für das Gute. Eine kritische Reflexion über Basisdemokratie und Anarchie fehlt dagegen fast immer. So bleibt unentdeckt, was These dieses Papieres ist: Basisdemokratie und Anarchie passen überhaupt nicht zueinandern. Verknüpft werden sie nur in der Ideologie vieler (leider dominierender) Kreise mit dem A-Label und von denen, die deren Propaganda einfach übernehmen, weil es sich so gut anfühlt und die AnleiterInnen in den auch so horizontalen Plena mit Konsensprinzip das so nett-kuscheligwohlfühlorientiert darstellen ... These 1: Anarchie und Basisdemokratie passen nicht zueinander Entgegengesetzt der meist formulierten Positionen und der gelebten Praxis halte ich Basisdemokratie für ein Herrschaftssystem. Sie ist, das gibt schon das Wort her, eine Form der Demokratie. Demokratie aber ist Volks-Herrschaft oder, auf den kleineren Maßstab angewendet, die Herrschaft des Kollektivs als Ganzes. Das ist im großen Rahmen das ,Volk' (mit der Besonderheit, dass dieses erst frei erfunden wird), im kleineren ,die Gruppe', ,das Camp' oder was auch immer aber immer als Kollektiv, d.h. als handelndes Einheit, gedacht. Damit tritt das Kollektiv konkurrierend den Einzelnen und deren Kooperationen gegenüber: Ressourcen an Aufmerksamkeit, Durchsetzungskraft usw. werden zwischen ihnen verteilt. Anarchie kann das nicht sein, denn ein herrschaftsfreier Raum ist mit der Existenz eines über oder auch nur neben den Einzelnen und ihren Kooperationen stehenden Subjekts mit Handlungskompetenzen nicht vereinbar. Folglich kann Basisdemokratie nicht Teil der Anarchie sein, denn das eine stammt aus der Welt der Macht und der Herrschaftsmethoden, das andere ist eine Idee der Herrschaftsfreiheit. These 2: Anarchie ist die Abwesenheit kollektiver Entscheidungsfindung Kollektive Entscheidungsfindung bedeutet, dass innerhalb einer nicht für einen konkreten Zweck entstandenen Runde von Menschen Entscheidungen getroffen werden, die für alle gelten - auch für die, die sie nicht gut finden, die sich an der Entscheidung nicht beteiligt haben, noch nicht da waren (später gekommen, geboren ...). Kollektive Entscheidungsfindung dient der Konstruktion eines ,Wir' und einer für alle im konstruierten Kollektiv geltenden, d.h. genormten Verhaltensweise. Anarchie verträgt sich mit der Konstruktion eines ,Wir' nicht, weil dieses niemals die Vielfalt selbstbestimmter Menschen und ihrer Kooperationen, Gruppen usw. wiederspiegeln kann. Daher kann Anarchie nur dort existieren, wo auf die Konstruktion des Kollektivs als Einheit und die dort hin führende kollektive Entscheidungsfindung verzichtet ist. Alles, was ist, ist die Entscheidung der Menschen und die Kooperation zwischen ihnen ohne Anspruch auf Vertretung anderer oder Schaffung eines überindividuellen "Wir" als Kollektivsubjekt. Unter Abwesenheit von Herrschaft würden vielfältige, sich überlagernde offene Systeme (Räume, Netzwerke, Kommunikationsnetze, soziale Gruppen ...) entstehen, die eine Entscheidungsfindung immer nur (wenn überhaupt) zu konkreten Fragen und in der dann dazu passenden Zusammensetzung von Menschen herbeiführen. Das aber wäre dann Entscheidung in der Kooperation, d.h. niemand ist gezwungen, sich dem zu unterwerfen - es gibt kein gedachtes Kollektiv. 22 Zur Kollektivität These 3a: Basisdemokratie ist kollektive Entscheidungsfindung Demokratie ist ein System des Treffens von Entscheidungen. Dabei wird zwischen verschiedenen Formen der Demokratie entschieden, die sich hinsichtlich der Methode der Entscheidungsfindung unterscheiden, aber immer den Kern kollektiver Entscheidungsfindung aufweisen. D.h. es wird von einem Gremium oder in einem Abstimmungsgang eine Entscheidung gefällt mit dem Anspruch, dass diese für alle bzw. für die in der Abstimmung definierten Menschen zu gelten hat - ob die wollen oder nicht. Die Beteiligungsmöglichkeiten der Menschen, auch der betroffenen, sind je nach Form der Demokratie (repräsentative, direkte, Basisdemokratie ...) verschieden, in allen aber besteht keine Möglichkeit, sich dem grundsätzlich zu entziehen. Demokratie steht immer für eine Totalität des Anspruchs auf Entscheidung. Ob demokratisch gewählte Regierung, Volksabstimmung der direkten Demokratie oder Plenumsbeschluss im Konsens - das Ergebnis gilt für alle, auch die, die sich nicht beteiligen. Zwar gibt es Abwandlungen, in denen unklar ist, ob tatsächlich der Anspruch auf Zuständigkeit für alle erhoben wird, dann aber wird nicht eine erweiterte Form der Demokratie betrieben, sondern keine mehr. Werden z.B. Entscheidungen aus den zentralen Gremien in kleinere Treffen verlagert, die dann aber auch nur noch für sich entscheiden, so wächst Autonomie - und die ist von Prinzip her nicht mehr demokratisch. Demokratie ist die mehr oder weniger entfaltete Selbstbestimmung des Kollektivs als Kollektiv. Die Selbstbestimmung der Einzelnen für sich und in der Gestaltung der gesellschaftlichen Interaktion ist demgegenüber nicht mehr demokratisch. These 3b: Anarchie ist die Abwesenheit von Kollektivität Ob Regierung, Parlament, Vorstand oder Plenum - immer beziehen sich diese Gremien auf eine Kollektivität, d.h. eine Menge von Menschen, die als Ganzes entscheidet und Regeln und Normen festlegt, die dann auch für die Einzelnen gelten, die als Teil der Gesamtheit gedacht werden. Das macht von der Logik her nur Sinn, wenn auch erwartet wird, dass die aufgestellten Regeln und Normen eine Wirkung haben, d.h. befolgt werden oder im Zweifelsfall auch durchgesetzt werden können. Zur Stellvertretung These 4a: Rätemodelle sind immer Stellvertretung und meistens Steuerung von Informationen und Diskursen Neben der Basisdemokratie, zum Teil auch verbunden mit basisdemokratischen Elementen, werden Rätesysteme als Möglichkeit für herrschaftsfreies Entscheiden vorgeschlagen. In den Räten soll ein imparatives Mandat herrschen, d.h. die dort Handelnden sind an die Beschlüsse derer, die sie vertreten, gebunden. Ob das funktionieren kann, ist die eine Frage, denn der Rückfluss an Informationen aus dem Geschehen in den Räten entscheidet darüber, ob die Vertretenen ihre Vorgaben erfüllt sehen. Steuerung über Information ist aber ein Mittel der Herrschaft und wirkt der tatsächlichen Möglichkeit imparativer Mandatierung entgegen. Zum zweiten aber ist schon in der Logik auch des imperativen Mandats die Stellvertretung integriert. Auch das ständige Recht, die Person jederzeit abzuberufen, hebelt Stellvertretung nicht aus, sondern begrenzt sie nur in der zeitlichen Dimension. Die Privilegierung in der Phase, in der die Stellvertretung andauert, ist dennoch vorhanden und sichert sich selbst über die Steuerung der Informationsflüsse ab. Was über die Vorgänge in den Räten nach außen dringt, unterliegt der privilegierten Beeinflussung durch die Personen in diesen Räten. Noch bedeutender ist ihr Einfluss auf die Diskurse, d.h. über das, was allgemein als wahr angenommen wird: Welche Probleme liegen vor? Was sind die Ursachen? Wer ist schuld? Gibt es eine Krise und welche? All das sind Diskurse, die in einer Gesellschaft ständig wirken und deren Steuerung in den modern-medialen sozialen Systemen der wichtigste Machtfaktor 23 darstellt. Bestehen hier Privilegien, ist Horizontalität weit weg. Räte schaffen solche Privilegien, weil die Aufmerksamkeit für deren Handlungen höher ist als für die anderer. These 4a: Anarchie ist die Abwesenheit von Stellvertretung Herrschaftsfreiheit besteht nur dort, wo gar keine Stellvertretung besteht, d.h. alle Menschen nur für sich reden und direkte Vereinbarungen schließen. Das schließt komplexe Absprachevorgänge nicht aus - jedoch handeln auch in komplexen bzw. überregionalen Kooperationen die Tätigen nie im Namen anderer, sondern für sich. Im günstigsten Fall stellen sie ständig Transparenz her, so dass andere, die betroffen sind, sich wiederum direkt einmischen können. Sie können dabei Einzelne ansprechen, sie als Kontaktpersonen nutzen, aber niemals werden diese zu ihren VertreterInnen. These 5: Basisdemokratie braucht Innen und Außen Jede demokratische Abstimmung braucht eine Definition darüber, wer mitstimmen darf oder nicht. Die Übergänge können zwar fließend sein, aber nicht gänzlich verschwinden, weil jede Versammlung, die als Kollektivsubjekt handelt, zumindest hinsichtlich der Frage, wer davon informiert bzw. eingeladen wird und somit auch nur mitstimmen kann, einer Festlegung bedarf. Damit entsteht immer ein "Innen" und "Außen", also die Dazugehörenden und die nicht Dazugehörenden. In der Praxis basisdemokratischer Bewegungen wird zwar oft intern die Gleichberechtigung erhöht, aber es entsteht regelmäßig eine sehr deutliche Konstruktion von Innen und Außen. Es gibt nicht nur eine bestimmte Logik der Einladung zur Versammlung, sondern ständig sogar die konkrete Ausgrenzung von als nicht zugehörig definierten Personen - also über das Privileg des Eingeladenseins hinaus. These 6: Basisdemokratie braucht und schafft vereinheitlichte Fragestellungen Analyse von Herrschaft muss genau analysieren. Dann fällt auf, dass nicht nur mit der Abstimmung als Kollektiv massive Strukturierungsprozesse in einer (eigentlich) vielfältigen Menge an Menschen ablaufen, sondern das alles schon zu einer Vereinheitlichung zwingt hinsichtlich der Fragestellung. Abstimmen kann mensch nur über etwas, was abstimmungskonform formuliert wird. Soziale Frage werden damit auf Abstimmungsfähigkeit reduziert, wobei Komplexität und auch die unterschiedlichen Sichtweisen der vielen Einzelpersonen auf das Thema verloren gehen. Wenn über etwas abgestimmt werden soll, muss es halt um ,Ja' oder ,Nein' gehen - auch wenn der Abstimmungsprozess so organisiert sein sollte, dass diese beiden Positionen im Diskussionsverlauf änderbar sind. Es bleibt der Druck, die Lösung von Fragen immer im Rahmen der Abstimmungsfähigkeit zu halten - und nicht als offenes Systeme, ungeklärt, dynamisch, unterschiedlich interpretiert. Die Vereinheitlichung der Fragestellung verschärft die Tendenz von Einheit und Kollektiv, sie schafft Identität, Gruppe, Geborgenheit. Die Wichtigkeit der Formulierung einer Frage kollektiven Entscheidungsprozessen birgt noch eine andere Gefahr: Hier werden Machtkämpfe ausgetragen. Wer sich dabei durchsetzt, wie eine zur Abstimmung stehende Frage formuliert wird, hat entscheidenden Einfluss auf das Geschehen genommen. In den ganzen Erklärungen zur Basisdemokratie kommt dieser Punkt jedoch regelmäßig gar nicht vor. Das ist entweder ein Defizit an kritischem Denken oder Taktik, weil sich diejenigen, die wissen, wie wichtig die Fragestellung ist, einen Durchsetzungsvorsprung vor denen behalten, die das nicht klar haben und deshalb entscheidende Phasen der Abstimmung nicht aufpassen ... Zu offenen Räumen These 7a: Basisdemokratie schafft soziale Räume mit definierten Aufenthaltsberechtigungen Der Sinn basisdemokratischer Entscheidung ist, soziale Räume (Orte, Netzwerke, virtuelle Räume, Aktionen, Veranstaltungen ...) mit vereinheitlichten Regeln zu schaffen. Diese können nur Einzelpunkte betreffen und grundsätzliche Verhaltensnormen. Sinn der Entscheidungsfindung ist 24 die daraus entstehende Erwartungshaltung, dass die Menschen sich den geschaffenen Bedingungen auch anpassen. Sollte das nicht geschehen, müssten Sanktionen erfolgen oder festgelegt werden. Innerhalb konkreter Handlungsgruppen (Aktionsgruppe, WG, Betrieb ...) sind bezüglich des konkreten Zweckes der Gruppe Entscheidungsfindungen unumgänglich. Die Form, in der diese erfolgt, ist in dieser Betrachtung zweitrangig. Entscheidend ist, dass sie nicht über den eigenen konkreten Wirkungsbereich und auf Nichtanwesende u.ä. ausgedehnt wird, sondern für die konkret zusammen Handelnden gilt. Plena, Regierungen, Koordinierungskreise, Vorstände usw. entscheiden aber regelmäßig nicht nur für sich, d.h. die Anwesenden, sondern für alle, das Kollektiv aller Menschen, in deren Struktur das Gremium agiert. These 7b: Anarchie ist dort, wo Schranken und Grenzen fehlen, wo alles offene Systeme sind Das Festlegen von Bedingungen für den Aufenthalt von Menschen in einem sozialen Raum ist ein Akt der Herrschaft. Es muss dafür privilegierte Kreise oder Gremien geben, die das ,Recht' haben, diese Bedingungen festzulegen und auch durchzusetzen. Anarchisch ist nur der offene Raum, d.h. das Treffen, das Gebäude, der Prozess oder das Projekt, in das alle Menschen frei eintreten können und über Konflikte kommunikative Prozesse ohne jegliche Vorbedingungen ausgetragen werden. Das bedeutet nicht die Abwesenheit von Veränderungsprozessen, sie werden aber immer zwischen Menschen in einem horizontalen Verhältnis miteinander ausgehandelt, nie über Gremien oder aus privilegierten Positionen heraus. Räume, Netzwerke, Kommunikationsnetze und vieles mehr sind offene Systeme, in denen es keine vereinheitlichten Regeln gibt, sondern im Fall von Krisen, Unbefriedigung und als Reaktion auf alltägliche Übergriffe, Einschüchterungen, Diskriminierungen oder Zugangsbeschränkungen die kommunikative Reaktion, die direkte Intervention und die offene Debatte - aber ohne kollektive Entscheidung. Über Medien These 8a: Basisdemokratie bedeutet Regeln und Entscheidungen in Medien Am Beispiel von Medien ist der Unterschied gut erkennbar. Basisdemokratie sind Zeitungen, Internetplattformen u.ä., bei denen die Auswahl der Beiträge, die Gestaltung usw. von den Beteiligten am Projekt entschieden werden. Basisdemokratie ist dabei der Verzicht auf Obrigkeit und Mehrheitsabstimmung. Konsens und gleichberechtigte Beteiligung aller Projektmitglieder an den Entscheidungen prägen das Geschehen. These 8b: Anarchie in Medien bedeutet offene Plattformen und das ExpertInnentum von allen und ihrer Kommunikation Anarchie bedeutet Herrschaftsfreiheit. In Medien müsste das bedeuten, dass Medien als offene Plattformen organisiert werden, bei denen die Grenzen von Sender und Empfänger aufgelöst werden. Die NutzerInnen des Mediums werden zu gleichberechtigten GestalterInnen. Einige wenige Beispiele aus dem Internet zeigen, wie das in der Wirklichkeit aussehen könnte, z.B. Wikis und Indymedia. Printmedien, freie Radios u.ä. könnten durchaus solche Elemente verwirklichen. Sie tun es aber fast überall nicht - ein Zeichen dafür, dass es anarchistische Zeitungen gar nicht gibt, auch wenn sich einige so nennen. Über (Fremd-)Orientierung These 9a: Basisdemokratie schafft ein "Wir", erzeugt Einheit und Geborgenheit - das macht sie erfolgreich Die Zurichtung im Leben eines Menschen (Erziehung, Bildung, soziales Umfeld, Medien ...) bringt fast alle Menschen dazu, sich selbst lieber als Rädchen im System zu begreifen statt eines selbstbewussten, selbst handelnden Individuums, dass sich soziales Umfeld und 25 Kooperationsebenen selbst wählt. So enden fast alle in vorgegebenen Rollen (Haushalt, Kindererziehung, Job, Jobsuche, Ausbildung ...). Da sie Selbständigkeit nicht gelernt haben, fühlen sie sich in Räumen mit vorgegebenen Orientierungen wohl. Entsprechend erfolgreich ist die Basisdemokratie als Strategie von Entscheidungsfindung in politischen Bewegungen. Mensch will was anderes als "die da oben", aber es darf eben keine ungewohnten Lebensverhältnisse schaffen. Basisdemokratie schafft Einheit, Geborgenheit und ein kollektives "Wir". Damit kommt sie den erzeugten Bedürfnissen er unter den realen Verhältnissen aufgewachsenen Menschen entgegen. Auch "Linke" suchen Orientierung von außen statt dem offenen Prozess, in dem sie immer wieder ihre eigene Position finden oder klären müssten. These 9b: Offene Systeme geben keine Orientierung - das macht sie unbeliebt Was für die Basisdemokratie Vorteile schafft angesichts der auf Unselbständigkeit zugerichteten Menschen, ist für die Anarchie zur Zeit immer schnell das Ende. Offene Systeme, in denen die Menschen selbst agieren, für sich entscheiden, sich positionieren, selbst handeln und intervenieren (z.B. bei Krisen oder Übergriffen) müssen, sind fremd, bereiten Angst, erzeugen Unsicherheit. Wer aber Welt verändern und bisherige Normalität brechen will, kommt darum nicht herum. Statt nun den Rückzug in eine neue Geborgenheit und Kollektivität zu organisieren, wäre es an der Zeit, den gewollten Bruch mit dem bisher Üblichen und (Fremd-)Orientierung Gebenden auch offensiv zu organisieren - von Methoden der Kooperationsanbahnung und Organisierung über offene Räume und offenen Zugang zu allen Ressourcen bis zu Reflexion, Seminaren und mehr, deren Ziel das Hinterfragen der Normalität, das Entwickeln von Utopien und das Aneignen von Know-How im selbstorganisierten Leben ist. Fazit Basisdemokratie und Anarchie unterscheiden sich in mehreren grundlegenden Punkte. Herrschaftsfrei ist nur die Abwesenheit, kollektiver Identität, Einheitlichkeit und daher der Verzicht auf kollektive Entscheidungsfindung. Basisdemokratie ist eine Methode, die Entscheidungsfindung aller für alle gleichberechtigter zu organisieren. Sie schafft Kollektivität und kollektive Entscheidung aber nicht ab. Jenseits der Kritik auch im Detail an Konsens, Vetorecht, der Einteilung an "Innen" und "Außen" usw. ist dieser Unterschied zwischen Abwesenheit des Kollektiven (Anarchie) und anderer Organisierung des Kollektivs (Basisdemokratie) zentral. Basisdemokratie schafft tendenziell eine Vereinheitlichung. Das immer angeführte Argument, das Vetorecht würde gerade die abweichenden Meinungen stärken, wirkt sich anders aus als meist behauptet. Tatsächlich zwingt das zu Annäherungen der Unterschiedlichkeit und Kompromissen. Die Dynamik von Streit und Vielfalt wird verringert - stärker sogar als in der Mehrheitsdemokratie, wo Abstimmungsschlachten zwar ebenfalls Einheitlichkeit nach außen schaffen und krasse Dominanzen fördern, aber die Minderheiten bleiben erkennbarer - auch für sich selbst als interne Opposition. Basisdemokratie hat die Tendenz, die Unterschiedlichkeit zu verschleiern und das "Wir" zu stärken. Eine anarchistische Gesellschaft wird nur entstehen, wenn Stück für Stück kollektive Entscheidungsfindung und ihre Durchsetzung aus der Gesellschaft verdrängt werden. Horizontalität aller Menschen, d.h. gleiche Handlungsmöglichkeiten und die Steuerung von Prozessen über freie Vereinbarung statt Entscheidungsfindung wären das Ziel. Konkrete Projekte wie Medien, alternative Lebensprojekte, Betriebe oder Lernorte von unten haben die Chance, Experimentierflächen zu sein für den Verzicht auf kollektive Regeln, Vorbedingungen oder Entscheidungsfindung. Dann wäre Anarchie nicht nur eine Werbephrase, eben eine Mogelpackung für Basisdemokratie, sondern zumindest als Ziel der Versuch eines Ausgangs auch der "Linken" aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit, sprich: Der Unterwerfung unter das Kollektive. 26 Mehr Informationen - Methoden des Hierarchieabbaus: www.hierarchnie.de.vu. - Demokratiekritik: www.demokratie-total.de.vu - Herrschaftsfreie Utopien: www.herrschaftsfrei.de.vu Der Text basiert auf der kritischen Demokratieanalyse des Buches „Demokratie. Die Herrschaft des Volkes. Eine Abrechnung“ (Verlag: www.seitenhieb.info). Rot: Mögliche Kürzungen bei Platzmangel. Jörg Bergstedt www.projektwerkstatt.de/anarchie/download/anarchie_basisdemo.rtf http://de.indymedia.org/2005/11/133847.shtml 27 Kurzzusammenfassung von Text 7: In diesem Text geht es um die Basisdemokratie in einem Wirtschaftssystem. Eingangs wird aus Ott Valentins Buch „Die Lösung der sozialen Frage“ zitiert. Der Auszug stammt aus dem Kapitel »III. Stufenleiter des Totalitarismus, 6. Politische Scheinrechte«. Im folgenden Text wird die Demokratei als die Unfähigkeit zur Selbstbestimmung betitelt. Die „Natürliche Wirtschaftsordnung“ wird als Ersatz für die Politik und „heutige Spitzenpolitiker“ genannt. Durch (über-)regionale Sachentscheidungen soll gegen Kapitalinteressen und Beamtenwillkür vorgegangen werden und die Wirtschaftlichkeit und technologische Weiterentwicklung von Recyclingverfahren gefördert werden. Auch in diesem Text wird davon ausgegangen, dass nicht immer alle Mitenscheiden wollen oder können. An dieser Stelle soll ein PIN/TAN-Verfahren angewandt werden. „Das ist alles; so einfach ist Basisdemokratie.“ Auf diese Weise sollen auch Personenwahlen abgehalten werden, welche allerdings keine „Volksvertreter“ sondern „Projektmanager“ wählen sollen um bestimmte Projekte wie z.b. „die Schaffung nicht länger planwirtschaftlicher sondern marktwirtschaftlicher Bildungseinrichtungen“. 28 Text 7: Basisdemokratie "Die Not der breiten Volksmasse führt zu starken innerpolitischen Spannungen. Der Staat ist der mit Gewalt verhinderte Bürgerkrieg. In der Absicht, diese Spannungen zu mildern, werden der Masse politische Rechte gewährt; man gelangt allmählich zur Staatsform der Demokratie. Die Arbeitenden leben in dem Glauben, ihre politische Gleichberechtigung werde die wirtschaftliche nach sich ziehen. Allein, die erwartete Besserung tritt nicht ein, kann ja gar nicht eintreten. Was man durch das allgemeine Wahlrecht und den Parlamentarismus zu erreichen hofft, ist ja das wirtschaftliche Ziel des vollen Arbeitsertrages. Dieses Ziel aber setzt, wie wir wissen, die wirtschaftliche Freiheit voraus, das heißt den freien Wettbewerb, die Zerstörung bzw. Unschädlichmachung der Monopole. Diese Monopole hat man aber zum Teil als solche gar nicht erkannt. Wie soll sich da die Lage der Arbeitenden bessern? Weil die Marktwirtschaft infolge der bestehenden Monopole nicht richtig funktionieren kann, müssen sich ständig wirtschaftliche und soziale Störungen ergeben. Anstatt nun aber das Übel bei der Wurzel zu packen und die Monopole unschädlich zu machen, begnügt man sich damit, an den Erscheinungen herumzukurieren. Man beschließt immer neue und immer tiefere Eingriffe in die Wirtschaft, wodurch man bald dieser bald jener Gruppe Sondervorteile verschafft. Beim Aushandeln dieser zahllosen Planwirtschaftsgesetze tritt der parlamentarische Kuhhandel in Aktion, das Feilschen der politischen Parteien um die Vorteile, die jede von ihnen "ihren" Wählern zu verschaffen trachtet. So entartet unter der Herrschaft der Monopole der an sich gesunde Gedanke der Demokratie zum parlamentarisch verbrämten Schacher um Gruppenvorteile. Das Parlament wird zur Gesetzesfabrik, aus der sich unaufhaltsam eine Paragraphenflut über das hilflose Volk ergießt, in dessen Namen man regiert. Die Monopole und die von ihnen veranlasste Planwirtschaft morden die Demokratie. Das darf nicht wundernehmen. Demokratie setzt Freiheit und Gleichberechtigung voraus; beides aber kann es in der herkömmlichen Monopolwirtschaft nicht geben." Otto Valentin, aus "Die Lösung der sozialen Frage", 1952 Eine "repräsentative Demokratie" ist keine Demokratie, sondern nichts weiter als die Unfähigkeit des (noch) unbewussten Menschen, sein Leben selbst zu gestalten. Der religiös verblendete Kulturmensch (Untertan) unterwirft sich einer Regierung, von der er glaubt, dass sie dem "Willen des Volkes" entspricht. Dabei sollte mittlerweile auch den Gutgläubigsten aufgefallen sein, dass die "gewählte Regierung" in einer kapitalistischen Wirtschafts(un)ordnung sich nicht wesentlich von einem politischen. Kabarett unterscheidet, außer dass es nichts mehr zu lachen gibt, wenn die nächste Liquiditätsfalle vor der Tür steht. Die Natürliche Wirtschaftsordnung macht die Seifenoper, die wir heute als "hohe Politik" bezeichnen, überflüssig. Alles, was durch faule Kompromisse zwischen sinnfreien politischen Ideologien ohnehin nicht "geregelt" werden kann, funktioniert in der idealen Makroökonomie durch vollständige Selbstregulation. Der Kinderkram, mit dem sich heutige "Spitzenpolitiker" beschäftigen, ist so trivial, dass es sich nicht lohnt, Gedanken daran zu verschwenden. Darüber hinaus müssen auf vielen regionalen und überregionalen Ebenen vernünftige Sachentscheidungen getroffen werden, die auf der Grundlage des allgemeinen Bodennutzungsrechtes die konkrete Gestaltung der Erdoberfläche betreffen, die nicht länger Kapitalinteressen oder der Beamtenwillkür unterworfen sein kann. Ferner müssen jeweils optimale Steuersätze, für den Verbrauch von verschiedenen Naturressourcen einerseits und für die Belastung der Umwelt durch verschiedene Abfallstoffe andererseits, bestimmt werden, um nicht zuletzt die Wirtschaftlichkeit und die technologische Weiterentwicklung von Recyclingverfahren zu fördern. 29 Für alle Sachentscheidungen, die in der Natürlichen Wirtschaftsordnung nicht jeder für sich treffen will, weil sie einen mehr oder weniger großen Personenkreis oder auch alle Wirtschaftsteilnehmer betreffen können, gibt es PINs (persönliche Identifikationsnummern) und TANs (Transaktionsnummern), jeder kann jedes beliebige Projekt zur Abstimmung vorschlagen und nach eigenem Ermessen dafür werben, und jeder kann sich an beliebigen Abstimmungen beteiligen oder auch nicht. Das ist alles; so einfach ist Basisdemokratie. Neben Sachentscheidungen können auch Personen durch Wahlen bestimmt werden, die aber keine "Volksvertreter" (es hat sie nie gegeben und es wird sie nie geben) sind, sondern Projektmanager. Dabei mag es sich um die überfällige Substitution unseres veralteten Schienennetzes durch solarbetriebene Magnetschwebebahnen handeln oder auch um die Schaffung nicht länger planwirtschaftlicher sondern marktwirtschaftlicher Bildungseinrichtungen, die sich zum Teil oder auch ganz über eigene Patente finanzieren könnten. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Die Menschheit muss nur den Mut aufbringen, sich nicht länger von Wahnsinnigen (jeder Priester ist ein Schweinepriester) etwas über den "lieben Gott" erzählen und von irgendwelchen Wichtigtuern "regieren" zu lassen. © deweles.de 2009 http://www.deweles.de/files/basisdemokratie.pdf 30 Kurzzusammenfassung von Text 8: Dieser Text stellt einen Auszug mit ergänzender Erklärung von „Freiheit pur“ von Horst Stowasser dar. Eingangs wird Demokratie grundlegend definiert. Diese Definition erfolgt aufgrund des Wortsinn, in dem es heißt „jeder Mensch [hat] jedem anderen genauso viel zu sagen […], wie er sich von anderen zu sagen lassen hat.“ Auch wird ein Vergleich zwischen Demokratie und Diktatur gemacht. Dabei wird angeführt, eine Diktatur ist die Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit während die Demokratie die Herrschaft einer Mehrheit über viele Minderheiten darstellt. Der Text stellt die These auf, dass Demokratie nur in kleinen Gruppen tatsächlich umgesetzt werden kann und das die Interaktion dieser Kleingruppen die Anarchie darstellt. Als Basis wird hier die „unterste Ebene“, also alle, genannt. Somit geht der Text davon aus, dass Basisdemokratie eine Form der Demokratie der Basis, organisiert in Kleingruppen, ist. Die daraus folgende Selbstverwaltung wird mit „Selbstverwaltung ist Bürokratiefeindlich“ eingeleitet. Für eine Selbstverwaltungsstruktur wird auch das Konzept der Arbeitsgruppen aufgegriffen und die These aufgestellt, dass kleine Gruppen leichter einen Konsens finden. Zudem wird darauf hingewiesen, dass auf Informationshierarchien zu achten ist und alle beteiligten gleich wertvoll sind, gleichgültig welche Aufgabe sie übernehmen. 31 Text 8: Was ist eigentlich Basisdemokratie, Selbstverwaltung und Anarchismus? Orientiert an „Freiheit pur“ von Horst Stowasser Der flüssigeren Lesbarkeit zuliebe, wird auf Gendering verzichtet und dafür einfach die Geschlechterformen (ungefähr) abgewechselt. „Metzger“ heißt also nicht männlicher Metzger, „Ärztin“ nicht weibliche Ärztin. 1. Basisdemokratie 1.1 Demokratie »Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber« – Volksweisheit – EIGENTLICH IST SCHON DAS WORT DEMOKRATIE eine Zumutung. ›Demokratie‹ heißt ›Volksherrschaft‹. Herrscht irgendwo ›das Volk‹? Natürlich nicht, bestenfalls darf das Volk Menschen wählen, von denen es sich beherrschen lässt. Und selbst die bekommt es vorsortiert angeboten. Eine wirkliche Demokratie wäre, wenn das ganze Volk über das ganze Volk herrschte, also jeder Mensch jedem anderen genauso viel zu sagen hätte, wie er sich von anderen zu sagen lassen hat. Das ist entweder Unsinn oder das Ende der Herrschaft von Menschen über Menschen. Da Menschen aber unterschiedliche Meinungen haben, kann (solch eine) Demokratie in einem Staat nicht funktionieren, es sei denn, eine Meinung setzte sich durch und unterdrückte viele andere. Genau das aber ist in unseren ›Demokratien‹ der Fall. Der Unterschied zwischen Diktaturen und Demokratien besteht genau besehen darin, dass in ersteren eine Minderheit die Mehrheit und in letzteren eine Mehrheit zahlreiche Minderheiten unterdrückt. Beides aber ist eine Herrschaft einiger über viele, also eine Oligarchie und keine Demokratie – auch, wenn sich die Herrschenden ihre Herrschaft von einer Mehrheit legitimieren lassen. Weil aber Menschen verschiedene Meinungen haben, die sich eben nicht in „einer Gesellschaft“ unter einen Hut bringen lassen, ist Demokratie – die Herrschaft aller über alle – entweder nur in kleineren Gruppen möglich oder gar nicht. Ein Netz kleiner Gruppen, eine Föderation verschiedener Gesellschaften aber ist nichts anderes als Anarchie (s.u.). Wirkliche Demokratie ist also entweder an-archisch (ohne Herrschaft) oder unsinnig. Nun wissen wir ja alle, dass man bei uns unter ›Demokratie‹ etwas ganz anderes versteht, nämlich das parlamentarische System. Die meisten Menschen halten es für das beste aller Systeme. Zugegeben, es gibt schlechtere. Aber hier geht es nicht um die Frage, wie viele Menschen sich in der ›parlamentarischen Demokratie‹ ziemlich wohl fühlen weil nichts besseres zur Hand ist, sondern darum, dass der Parlamentarismus im genauen Sinne überhaupt keine Demokratie ist. Warum wohl wehren sich Politiker so wortreich gegen die einfachsten Formen unmittelbarer Demokratie wie Volksbegehren oder Volksentscheid? Vor allem, weil der Staat ein Selbstzweck ist und seine Existenz gegen jede Konkurrenz verteidigen muss. Könntet ihr euch vorstellen in eurer Clique oder eurem Freundeskreis eine Präsidentin, Premierministerin oder einen Kanzler zu wählen? Oder ein Parlament, das ohne euer Zutun entscheidet, wie z.B. das Wochenende gestaltet wird? Sicher nicht. Wenn jemand etwas anderes tun will als die andern, dann würde doch niemand aus dem Freundeskreis ihm das verbieten wollen. Die Clique würde sich einfach für diesen Abend trennen. Spaltung vor Unterwerfung wäre also die Priorität. Solange alle Individuen der Gruppe dennoch ihre Bedürfnisse befriedigt sehen, ist das überhaupt kein Problem, ganz im Gegenteil. Was aber passiert, wenn eine Person, mit der du unbedingt zusammen sein willst, den Abend anders verbringen möchte als du? Ihr werdet euch natürlich einigen und einen Kompromiss finden. 32 1.2 Die Basis Nachdem der oft fälschlich gebrauchten Begriff „Demokratie“ nun enttarnt ist, ergibt sich die Bedeutung von „Basisdemokratie“ fast schon von selbst. Die Basis, also die „unterste Ebene“, das Fundament, wird im Falle oben geschilderter Gleichberechtigung von allen gebildet. Es gibt nur „eine“ hierarchische Ebene, weil es keine Hierarchie gibt. Eine eigene, andere Bedeutung bekommt „Basisdemokratie“ in einer hierarchisch strukturierten „Demokratie“ (z.B. Volksentscheide) oder wenn in gleichberechtigten Gemeinwesen Delegierte zur Vernetzung verschiedener Gruppen bestimmt werden müssen. In einer einzelnen Gruppe mit einer Vollversammlung sind Basisdemokratie und echte Demokratie (s.o.) das selbe. 2. (Basisdemokratische) Selbstverwaltung »Der Grundirrtum [...] ist die Annahme, Organisation sei ohne Autorität nicht möglich.« – Errico Malatesta Verwaltung lässt sich in drei Kategorien unterscheiden: a) Fremdverwaltung, d.h. Monarchie, Diktatur b) Stellvertreterinnenverwaltung: gewählte (Stell-)Vertreter verwalten meine bzw. unsere Angelegenheiten, z.B. im Parlamentarismus c) Selbstverwaltung: ich verwalte meine Angelegenheiten selbst, wir verwalten gemeinsame Angelegenheiten gemeinsam. Was heißt es, wenn ein Projekt (z.B. ein Gebäude) selbst verwaltet wird? Selbstverwaltung ist Bürokratiefeindlich. Es gibt keinen gesonderten „Verwaltungsapparat“, sondern ich, du, er und sie verwalten unser Projekt gemeinsam. Niemand kann in eine höhere Position gewählt werden, sei diese nun politischer oder administrativer Art. D.h. jede ist an allen Entscheidungen beteiligt. Dieses Vorgehen ist logisch, wenn sich eine Gruppe keine politischsystemische Struktur geben kann oder möchte. Die Grundidee des Funktionierens der basisdemokratischen Selbstverwaltung ist, dass mehrere Menschen die das selbe Ziel haben und ihrer gegenseitigen Hilfe zur Erreichung dieses Ziels bedürfen, sich einigen werden.Das Treffen auf dem sich alle austauschen nennt man (Groß-)Plenum oder Vollversammlung. Eine gemeinsame Entscheidung, die von allen mitgetragen wird, nennt man Konsens. Im Großplenum sollte eine mind. zweiköpfige Diskussionsleitung bestimmt werden, die am besten mit dafür ausgebildeten Erfahrenen besetzt werden sollte. An der Arbeit und den detaillierten Diskussionen, zu jeder einzelnen Frage/Aufgabe , kann in größeren Gruppen nicht jeder beteiligt sein, das ist organisatorisch und zeitlich oft nicht möglich. Außerdem verleitet die partielle Anonymität größerer Gruppen eher dazu, inhaltlich weniger zielführend Beiträge (z.B. Wiederholungen, belangarme Detailfragen, etc.) beizusteuern. Es macht also Sinn, Arbeitsgruppen zu bilden, die dem Großplenum ihr Erarbeitetes präsentieren und ergänzen lassen, bevor es im Großplenum zur Diskussion und Entscheidung kommt. (Ähnlich Referatsgruppen in der (Hoch-)Schule, macht aber mehr Spaß!) Jede AG arbeitet gänzlich transparent. Jede kann an jeder Arbeitsgruppe teilnehmen, diese wechseln, parallel in verschiedenen mitarbeiten, je nachdem wie viel sie sich individuell zutraut. Dabei gilt es vor allem darauf zu achten, dass sich keine informellen Hierarchien einschleichen. Es gibt immer Teilnehmerinnen, die mehr machen, besser informiert sind oder redegewandter sind als andere. Wer kocht ist aber nicht weniger wertvoll, als jemand der Pressemitteilungen verfasst. Die Selbstverwaltung läuft ideal, wenn jede über alles bescheid weiß und jede anfallende Aufgabe bearbeiten kann. 33 Vor allem in Kleingruppen muss auch Platz für persönliche Unsicherheiten und Ängste sein, besonders bei Projekten mit möglicherweise massiver Repression gegen die Beteiligten. Wenn persönliche Zweifel übergangen werden, ist nicht nur die Stabilität der Gemeinschaft in Gefahr, auch Arbeit und Diskussion können sich durch „Unsicherheits-Vetos“ endlos ziehen. Von mitmenschlichen Erwägungen einmal ganz abgesehen. Eine spezielle Form der Arbeitsgruppe ist die Konsensfindungsgruppe. Wenn einzelne im Großplenum sich nicht einigen können, sollte diese Diskussion von den Betreffenden außerhalb des Plenums ausgetragen werden. In der persönlicheren Atmosphäre einer kleineren Gruppe ist es meist einfacher einen Kompromiss zu finden. Ein weiterer Vorteil ist, dass in Konsensfindungsgruppen sich in der Regel die Menschen mit einem Thema beschäftigen, denen dieses wichtig erscheint. Wenn doch einmal kein Konsens gefunden werden kann, gibt es 3 Möglichkeiten: 1. Das Problem bleibt ungelöst 2. Es wird doch abgestimmt, aber nur wenn vorher Konsens pro Abstimmung besteht. 3. Es kommt zur Spaltung. Letzteres ist bei Projekten, bei denen es auf jeden ankommt (z.B. besetzte Häuser, autonome Zentren) meist nicht möglich. Nun könnte man anführen, dass eine solch idealistische Herangehensweise zum Scheitern verurteilt sei (was meist bei Variante 3 der Fall ist). Abgesehen davon, dass es Tausende Beispiele verschiedener Größenordnungen gibt, bei denen basisdemokratische Selbstverwaltung bestens funktioniert (s.u.), muss noch Folgendes eingestanden werden. Bei einer Kultur der Mehrheitsentscheidung mittels Abstimmung findet eine Spaltung bei jeder Fragestellung statt. Einmal überstimmt, stehen die Minderheiten nicht mehr mit vollem Einsatz hinter der Sache. Basisdemokratische Selbstverwaltung ist also nicht nur eine pragmatisch logische Herangehensweise, sondern auch eine höchst effiziente ,wenn Entscheidungsprozesse auch manchmal langwierig scheinen. Sie ist unsere größte Stärke und hat sich bisher als alternativlos gezeigt. Wenn noch bedacht wird, dass alle Regeln freiwillig gesetzt und jederzeit veränderbar sind, kann sie auch als moralisch überlegene Ordnung angesehen werden, die individuelle Willensbildung und Mündigkeit fördert und fordert. 3. Und was hat das alles mit Anarchie zu tun? »Anarchisten bekämpfen keine Menschen, sondern Institutionen.« – Buenaventura Durruti – Anarchie ist doch Terror, Chaos und Gewalt?! Oder? Anarchie – ein Wort, das von jeher Schrecken und Gruseln ausgelöst hat, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als faszinierende Wundertüte. Sie will das »brutale Chaos« unserer Gesellschaft durch das »sanfte Chaos« vernetzter horizontaler Gesellschaften ersetzen, in der die Herrschaft der Menschen über andere und die Natur sinnlos wird. (An archia: griech. ohne Herrschaft) Wusstest du, dass es im 20. Jahrhundert bereits große, funktionierende anarchistische Gemeinwesen gab, ganze Länder umfassend, mit Großstädten, Dörfern und Industrie, in denen von der U-Bahn über die Milchwirtschaft bis hin zum Schulwesen eine moderne Massengesellschaft nach an archischem Muster funktionierte? Oder war dir bekannt, dass es anarchistischen Guerillaarmeen in den 1920er Jahren gelang, riesige Landstriche zu befreien, um in ihnen den Aufbau einer Gesellschaft in freier Selbstverwaltung zu versuchen? Kein Mensch ahnt heute, dass das Mittel des ›zivilen Ungehorsams‹, das Kolonialmächte in die Knie zwang und Regierungen stürzte, voll und ganz in der Tradition des gewaltfreien Anarchismus steht. Und wer weiß schon, dass es Anarchisten waren, die vor über siebzig Jahren bereits einen Sechsstundentag in der Schwerindustrie erkämpften? 34 Anarchismus (die Vorstellungen des Zustandes der Anarchie) bezeichnet ein Sammelbecken von Ideen, die die Behauptung gemeinsam haben, dass die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen in selbstorganisierten Initiativen besser befriedigt werden können als vom Staat oder von kapitalistisch organisierten Unternehmen. Vielfalt der Ideen ist, anders als bei (anderen) Ideologien, keine Schwäche, sondern Quelle eines ständigen Entwicklungsprozesses. Kompromisse und überhaupt alles muss auf Freiwilligkeit beruhen. Revolution bedeutet daher nicht vordergründig bewaffneter Kampf, sondern vielmehr die Schaffung einer Parallelgesellschaft zum Staat, die sich aufgrund ihrer offenkundigen Vorzüge durchsetzt. Die anarchistische Revolution ist also keine, die beginnt und endet. Sie ist ständig im Gange, mal mehr mal weniger, im Leben einzelner und in Gemeinschaften, oft ohne dass die Betreffenden sie so nennen. Anarchismus ist keine politische Ideologie, sondern eine Art zu leben, eine Lebensweise. Frei, unkontrolliert, selbstbestimmt und selbstbewusst mit Respekt für sich selbst und andere. Beim Anarchismus geht es nicht vorrangig um Erfolg, vielmehr um Wahrheit und Freiheit und vor allem um dich und mich. Das Argument, dass „es doch nicht funktioniert“ ist also nebensächlich. Es spielt höchstens für die persönliche Motivation eine Rolle, nicht aber für die Idee an sich. Anarchismus funktioniert natürlich dann nicht, wenn man nicht will, dass er funktioniert, wie bei allem im Leben. Seine Kritiker werden zu ihrem eigenen Argument. Anarchismus sieht als unveränderbar nur das an, was tatsächlich für Menschen unveränderbar ist. Die Schwerkraft, die Drehung des Sonnensystems, unsere Sterblichkeit usw.. Heute werden oft Dinge als gegeben hingenommen, die von Menschen erdacht und eingeführt wurden. Regierungen, Nationalitäten, Polizei, Hierarchien, Kapitalismus und Geld generell und selbst Geschlechterrollen sind nichts als allgemein verbreiteter Glaube. Wenn ich nicht an Gott glaube, hat die Idee „Gott“ keine Befehlsgewalt über mich. Wenn ich nicht an Nationalitäten glaube, ist meine Nationalität nichts als ein seltsamer Vermerk in meinem Personalausweis. Wenn wir nicht daran glauben, existieren sie nicht. Wenn ich nicht an die Polizei glaube, sind Polizisten nur freiheitsberaubende bewaffnete Schläger. Wenn wir nicht an die Polizei glauben, existiert sie nicht. Wenn ich nicht an Hierarchien glaube, ist mein Chef nur ein selbstverliebter, größenwahnsinniger Spinner. Wenn wir nicht an Hierarchien glauben, gibt es keinen Chef. Der Glaube an Autorität beruht vor allem auf der Furcht, dass andere Menschen mir etwas schlechtes wollen und die Autorität mich beschützt. Dieser Glaube, z.B. an Regierung und Polizei begründet sich also darauf, dass ich Misstrauen gegenüber meinen Mitmenschen hege, gegenüber Polizistinnen und den Regierenden aber nicht. Anarchismus will alles was von Menschen geschaffen ist hinterfragen und Fragwürdiges praktisch testen, ob es wirklich notwendig ist, oder ob es eine Alternative gibt, ob nicht eine bessere Welt möglich ist. Anarchismus kann aber kein Blankoschein sein, um „alles zu dürfen“. Die meisten Anarchistinnen sind sich einig, dass das Ziel in den Mitteln enthalten sein muss. In den gegen die Faschisten notwendigen anarchistischen Gefangenenlagern während des spanischen Bürgerkriegs schliefen Bewacher und Gefangene in den gleichen Betten und aßen das gleiche Essen... Wer sich näher mit den Ideen und der Geschichte des Anarchismus, des Basisdemokratie und der Selbstverwaltung beschäftigen möchte, dem ist als Einstiegswerk „Freiheit pur“ von Horst Stowasser ans Herz zu legen. Gibt’s im Internet zum legalen, kostenlosen Download unter www.mama-anarchija.net Als Buch ist es in der Neuauflage unter dem einfachen Titel „Anarchie“ erhältlich. 35