Ausgabe 105 - Buchkultur
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Ausgabe 105 - Buchkultur
01_COVER_105 16.05.2006 9:55 Uhr Seite 1 BUCHKULTUR P.b.b. Verlagspostamt 1150 Wien Nr. 02Z033122M Erscheinungsort Wien EURO 4,35/SFR 8,50 Das internationale Buchmagazin Heft 105 | Juni/Juli 2006 PACKEND Michael Stavaric EINFÜHLSAM Thomas Sautner SCHRÄG Norbert Zähringer W I L D E R O ST E N Merle Hilbk Geschichten vom neuen Europa E R ür f I E her g! - F büc jun M all d W ßb un Fu alt B res Rele ny Pictu 005 So ©2 Weitere Infos und viele Gewinnspiele unter www.dan-brown.de www.davincicode-derÿ lm.de www.luebbe.de mbH asing G ˜ e Da Vinci Code Das o° zielle Begleitbuch zum Film Paperback ISBN 3-404-28502-6 | € 17,40 [A] 03-05 edito/inhalt 16.05.2006 12:00 Uhr Seite 3 Editorial Die Volltextsuche CHEFREDAKTEUR Europäische Stellen im Bibliotheksbereich dachten zwar schon länger darüber nach, aber es fehlte einfach an den Mitteln. Google jedoch hatte das Geld – und vor allem die Technologie. Jean-Noël Jeanneney, der Präsident der Französischen Nationalbibliothek, hat über „Googles Herausforderung“ ein Buch geschrieben (Wagenbach). Darin erläutert er seine Bedenken gegen Google und versucht stattdessen ein von staatlichen europäischen Stellen gefördertes Projekt zu positionieren. Er argumentiert etwa, Google wäre von Werbung abhängig … Schon bei der normalen Suchfunktion würden bestimmte Pages weiter oben gereiht und hätten dadurch mehr Besuch. Das würde nicht anders aussehen, wenn es sich um Bücher dreht. Außerdem sei nicht das reine Erfassen der Bücher zentral, die dann irgendwo auf einem Server landen, sondern eine Systematik, wie bestimmte Inhalte gefunden werden können. Und schließlich wäre Google auch nicht unsterblich. Und wer hätte in diesem Fall die Verfügungsgewalt über die ganzen Daten? DAS BÖSE. DAS GRAUEN. DIE ANSTALT. Ein Psychothriller von John Katzenbach Nun soll das europäische Projekt langsam auf Schiene kommen. Und in fünf Nicht das Erfassen der Jahren könnte dann jeder Zugriff auf rund Bücher ist das Problem, sechs Millionen Bücher haben. Eine stolze sondern die Systematik, Zahl, doch verschwindend im Verhältnis zu wie Inhalte wieder geden Büchern, die es insgesamt gibt. Über funden werden können. die organisatorischen, technischen und rechtlichen Fragen wird noch diskutiert. Währenddessen entwickeln Google und auch Amazon schon wieder etwas Neues. Mit einem Tool namens „Pages“ soll es möglich sein, auch nur einzelne Teile eines Buches zu erstehen, und Google bietet Verlagen die Möglichkeit, Onlineversionen ihrer Bücher über eine Plattform zu verkaufen. Doch was werden denn dort für Bücher vorrätig sein? Wenig Literatur, dafür juristische, technische und wissenschaftliche Texte. Abgesehen davon wird wohl kaum wer einen Roman oder einen Lyrikband online lesen wollen. Es ist also schon erfreulich, wenn es ein europäisches Projekt gibt, das vielen Menschen kostenlos zur Verfügung steht. Aber die Kriterien, nach denen die Inhalte, sprich: Bücher, ausgesucht werden, werden eben in Gremien verhandelt. Und wenn dann das Ergebnis bekannt ist, gibt es möglicherweise große Augen … Vor kurzem hat der Börsenverein des deutschen Buchhandels eine Initiative für den deutschsprachigen Raum gestartet, die auch Buchhandlungen integriert. Sie könnten damit zu Informationsstellen werden, mit neuen Angeboten und erweitertem Service. Über 120 namhafte Verlage sollen ihre Bereitschaft zur Mitarbeit bereits gegeben haben. Nützliches Werkzeug oder digitale Revolution – das wird die Zukunft weisen. BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 752 Seiten € [A] 9,20 www.knaur.de/die-anstalt Tobias Hierl Viele werden bei dem Begriff „Volltextsuche“ an ein nützliches Werkzeug bei digitalen Texten denken, die manche Arbeit erleichtert. Doch dann gibt es noch jene, die damit eine „digitale Revolution“ verbinden. Anlass war vor rund eineinhalb Jahren die Ankündigung der Gründer von Google, rund 15 Millionen Bücher einzuscannen und deren Inhalt im Internet zur Verfügung zu stellen. So wurde es plötzlich hektisch in Europa. 16.05.2006 12:13 Uhr Seite 4 BUCHKULTUR HEFT 105 | 19. JHRG. I N H A LT ■ SPEKTRUM 6 ■ B U C H W E LT 13 Vom Dasein Dazwischen ......................................................14 Die unbekannte Literatur Mittel- und Osteuropas Ein Mann der Bilder ..............................................................17 Über den Autor und Filmemacher Georg Stefan Troller Blutorte mit Panorama ........................................................18 „Transflair“: Paulo Lins traf Alfred Komarek zum kulturellen Austausch Über den Wolken ..................................................................20 Norbert Zähringer sprach über seinen neuen Roman mit Tobias Hierl Gewonnen! Gewonnen! ........................................................22 Thomas Sautners Debütroman war nach wenigen Tagen vergriffen Lebe. Atme. ............................................................................23 Michael Stavaric lässt die Protagonistin seines ersten Romans leiden Fußballfieber ..........................................................................24 Hannes Lerchbacher über die Bücherflut vor der WM ■ M A R K T P L AT Z Entdeckungen im neuen Europa: u. a. mit Merle Hilbk (li.), Karl-Markus Gauß – und fotografiert von Kurt Kaindl. SEITE 14 FOTO: SUSANNE SCHLEYER, AUS „DER RAND DER MITTE“ VON KURT KAINDL/OTTO MÜLLER 03-05 edito/inhalt 29 Belletristik ..............................................................................29 Kolumne von Peter Hiess ....................................................42 Taschenbuch ..........................................................................43 Sachbuch ................................................................................48 Hörbuch ..................................................................................55 Neue Medien ..........................................................................56 ■JUNIOR FOTO: SUSANNE SCHLEYER 58 Geprüfte Qualität ..................................................................58 Prämierte Kinder- und Jugendbücher Runde Sache ..........................................................................60 Fußballbücher für Jungen und Mädchen < 3x3 ............................................................................................61 Buchtipps für alle Alterstufen ■ CAFÉ Norbert Zähringer verblüfft gerne seine LeserInnen. SEITE 18 62 ■ SCHLUSSPUNKT FOTO: AUS „365 FUSSBALL-TAGE“ VON KAI SAWABE/WERKSTATT Buchkultur-Gewinnspiel ......................................................62 Kolumne von Thomas Feibel ..............................................64 Impressum ............................................................................64 Zeitschriftenschau ..............................................................65 66 COVERFOTO: SUSANNE SCHLEYER www.buchkultur.net Chimärismus Der rumänische Schriftsteller Vasile Baghiu über die Sehnsucht nach der Freiheit, die Welt zu erkundschaften. 4 Aktuell auf www.buchkultur.net: Langfassung des Interviews mit Christfried Tögel zu Freud. Ausführlicher Überblick: die Bücher zu Freud Noch mehr Fußball-Bücher Lesen Fußballfans? Sie haben auf alle Fälle Gelegenheit dazu: Fußballbücher im Überblick! SEITE 24 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 03-05 edito/inhalt 16.05.2006 12:17 Uhr Seite 5 www.rororo.de JUNI/JULI 2006 ■ ALLE BÜCHER Belletristik 29 Abdolah, Kader: Dawuds Traum 29 Ayoub, Susanne: Schattenbraut 37 Broeckhoven, Diane: Einmal Kind, immer Kind 38 Chaplet, Anne: Sauberer Abgang 40 Dean, Debra: Palast der Erinnerungen 34 Dempf, Peter: Das Amulett der Fuggerin 37 Ford, Ford Madox: Der Mann, der aufrecht blieb 35 Francic, Franjo: Heimat, bleiche Mutter 33 Frankenberg, Pia: Nora 34 Franzetti, Dante Andrea: Passion 31 Gaudé, Laurent: Die Sonne der Scorta 31 Grill, Evelyn: Der Sammler („Pro & Contra“) 38 Hahn, Ulla: Dichter in der Welt 32 Hofstadter, Douglas R: Gödel, Escher, Bach 30 King, Dave: Homecoming 29 Kramer, Theodor: Laß still bei dir mich liegen 39 Moody, Bill: Bird lives! 40 Nothomb, Amélie: Attentat 36 Riel, Jørn: Vor dem Morgen 33 Schuemmer, Silke Andrea: Remas Haus 36 Seth, Vikram: Zwei Leben 30 Vázquez, Ángel: Das Hundeleben der Juanita Narboni 30 Vázquez-Rial, Horacio: Der Mann, der sich Carlos Gardel nannte 41 Widmer, Urs: Ein Leben als Zwerg 30 Zähringer, Norbert: Als ich schlief 32 . Sachbuch 48 Gürtler, Christa: Ingeborg Bachmann Koebner, Thomas: Filmklassiker Lattmann, Dieter: Einigkeit der Einzelgänger Medici, Lorenzo de’: Die Medici Thema: Bildband Heimkehr in den Tod 51 52 51 52 46 Balog, James: Baumriesen Thema: Freud 48 Bücher von und über den Jubilar Sigmund Freud Thema: Kulinarisch Lesen 53 Fuchs, Christa, Gudrun Harrer: Besoffene Kapuziner Gates, Stefan: Der Gastronaut Schott, Ben: Schotts Sammelsurium Essen & Trinken Steingarten, Jeffrey: Der Mann, der alles isst Steinhauer, Erwin, Günther Schatzdorfer: Einfach. Gut. Waberer, Keto von: Vom Glück eine Leberwurst zu lieben Thema: Alltag im Irak € 9,20 (A) / sFr. 16,50 54 Anderson, Jon Lee: Die verwundete Stadt Reuter, Christoph, Susanne Fischer: Café Bagdad Riverbend: Bagdad Burning Sgrena, Giuliana: Friendly Fire Eigentlich wollte er nur seine Mutter beerdigen. Doch als Privatdetektiv Edward Loy nach vielen Jahren erstmals wieder in seine Heimat Dublin kommt, bittet ihn die Frau seines besten Freundes, ihren verschwundenen Mann zu finden. Kurz darauf wird sie erdrosselt aufgefunden, und Loy stürzt in einen lebensgefährlichen Strudel aus Lebenslügen, Gewalt und Rache. Exklusive Leseprobe unter: www.rororo.de/lesen 06_12 spektrum 15.05.2006 16:01 Uhr Seite 6 SPEKTRUM BEQUEM DURCHBLICK Buchzusammenfassungen online n der Schule waren sie beliebt, um den Inhalt eines Romans nacherzählen zu können, ohne diesen gelesen zu haben und Readers Digest bot einmal eine ganze Bibliothek davon an: Kurzfassungen. Wer sich den Genuss des Lesens sparen und trotzdem mitreden will, greift angeblich gerne darauf zurück. In den USA haben bereits eine halbe Million Kunden die Kurzversionen des auf Sachbücher spezialisierten Unternehmens Business Book Review (http:// businessbookreview.com) abonniert. Beim deutschen Anbieter short- I Al Pacino ist überall SYLVIA TREUDL I n einem meiner absoluten Lieblingsfilme spielt Al Pacino den Teufel. Zwar geht sich im Verlauf der Handlung selbst für Beelzebub das Spiel nicht ganz wunschgemäß aus, trotzdem triumphiert er letztlich. In der Schlusssequenz lächelt er maliziös und spricht den genialen Satz: „Meine Lieblingssünde ist die Eitelkeit.“ Mir geht’s wie dem Teufel. Ich kann mich ebenfalls nicht von der Lieblingssünde trennen, denn sie begegnet einem auf Schritt und Tritt, hat sich im Literaturbetrieb ein geradezu paradiesisches Nestchen eingerichtet. Wir sprechen (wieder) nicht vom scriptor vulgaris, der gehätschelt, getröstet, psychotherapeutisch betreut und vor allem auf dem roten Teppich gelobt werden muss – in der Funktion als kreativer Schöpfer. Es geht um die Metaebene, auf der Netzwerke auf- und ausgebaut werden, Berufsrelevantes diskutiert wird, durchaus berechtigte Forderungen an die Kulturpolitik angedacht werden. Unglaublich geradezu, wie man (seltener frau) sich auch auf dieser eher trockenen Ebene der innerbetrieblichen Verwaltung gerieren kann – pfau! Exemplarisch soll hier – sagen wir – Eduard vorgeführt werden. Eduard hat eventuell ein Problem mit seiner Eigenwahrnehmung und seiner narzisstischen Bedürftigkeit. Kein Satz, der nicht mit einem fetten ICH beginnt, um der Genialität und Wichtigkeit seines Tuns das nötige Gewicht zu verleihen. Gepaart mit blanker Lüge, die schamlos aus der Behauptung „Ich möchte nur ganz kurz anfügen ...“ grinst und ihre Meisterschaft in dem hinterhältigen Nachschuß „Ich möchte also vorschlagen ...“ erreicht. Diese Absichtserklärung ist eine nachlässig maskierte Forderung im Eigeninteresse, das in der Eduardwelt mannigfaltig erscheint, aber nur dem Ziel dient, Eduard mit allen Mitteln in den Mittelpunkt zu stellen, und wird so lange vorgeschlagen, bis sich die demokratische Minderheit geschlagen gibt. In der nächsten Runde geht es dann zu einem kurzen Exkurs, der lediglich der Verschleierungstaktik für die nachfolgende Durchsetzung von Eduard-Zielen dient. Abgebrühte im Betrieb, die aus Resignation oder schlichter Langeweile nicht mehr die Kraft zum Formalprotest aufbringen, verlassen an dieser Stelle ungeniert das Forum, welches längst zur Eduard-Plattform geworden ist, um getrost auf mehrere Biere zu gehen, das geht sich aus bis zum nächsten Tagesordnungspunkt. Hält man/frau es bis zum bitteren „Allfälliges“ aus, kommt die Rede eventuell auch noch auf kreative Leistungen. Zum Beispiel die Ausstrahlung eines Features im Regionalsender von Ulan Bator über die Interkulturalität der Banane und ihren Einfluss auf die artbedrohte Verwendung der Genetivmetapher im Schreibgestus zeitgenössischer Autoren. Al Pacino lacht sich schief. 6 books (http://www.shortbooks.de), der auch Romane und Klassiker anbietet, können sich Lesefaule die Zusammenfassung sogar als mp3 vorlesen lassen und beim Schweizer Unternehmen getAbstract (http://www.getabstract.com) werden je nach Bedarf verschiedene Abonnements angeboten. Das Veröffentlichen von Kurzfassungen unterliegt übrigens dem Copyright und ist nur mit Zustimmung der betroffenen Verlage möglich, die aber zunehmend eine weitere Verbreitungsschiene darin sehen. AUFGEKLAPPT Der lyrische Zettelkasten ie Idee ist klar und einfach: Es sind meist nur ein oder zwei Gedichte eines Bandes, eines Autors oder einer Autorin, die man in Erinnerung behält und immer wieder liest oder zitiert. Der gegenwärtigen Beliebtheit von Cross-Media folgend, hat daher die Künstlerin Angelika Richter einen Zettelkasten entworfen, in dem 50 Gedichte aus 3 Jahrhunderten auf liebevoll gestalteten Karten und noch einmal 50 Leerkarten für die eigenen Lieblingsgedichte Platz finden. Geeignet zum Sammeln, D Verschenken und Tauschen. Warum auf Naheliegendes wie Gedichte des für seine Zettel berühmten Autors Arno Schmidt oder das eine oder andere Sonett des begnadeten Spötters und Jubilars Heinrich Heine verzichtet wurde, ist nicht ganz einsichtig, da sich sowohl moderne Autoren (Erich Fried) als auch Romantiker und Klassiker (Novalis, Goethe) darin finden. Angelika Richter: Der lyrische Zettelkasten. Edition Büchergilde 2006, 100 Karten, EurD/A 24,90/sFr 45,90 A LT U N D N E U Gebrauchtbücher online er Onlinemarkt war schon in seinen Anfängen ideal für den Vertrieb von Büchern. Besonders bei antiquarischen Büchern ist die Präsentation nicht zentral, denn hier genügen Titel und Autor. Wen wundert es da, dass der Online-Markt mit Gebrauchtbüchern schneller wächst als der mit Neubüchern! 22 Prozent des Gesamtmarktes bei Gebrauchtbüchern laufen bereits über das Internet, bei Neubüchern macht D dieser Anteil nur 7 Prozent aus. Der Vorteil des Vertriebskanals Internet liegt in der Verfügbarkeit der weltweiten Angebote, was die früher mühsame Suche nach einem vergriffenen Buch per Mausklick erheblich erleichtert. Und darin liegt, neben der Kostenersparnis, ein triftiger Grund für die gestiegene Nachfrage nach Antiquarischem: 98 Prozent der jemals gedruckten Bücher werden nicht neu aufgelegt. BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 06_12 spektrum 16.05.2006 12:59 Uhr Seite 7 SPEKTRUM ÖSTERREICH HILFREICH Lomographien aus Kikuyu esen kann Blinde sehend machen. Und zwar indem man ein Exemplar des Buches „It’s good to see (again) – LOMO KIKUYU“ ersteht. Der Betrag entspricht exakt den Kosten einer Operation von Grauem Star, wie sie im Kikuyu Eye Hospital in L Kenia durchgeführt werden. Ein Tiroler finanzierte feinerweise zusammen mit der Lomographischen Gesellschaft die Produktion der ersten 10.000 Exemplare – somit geht der Kaufpreis direkt an die Licht-für-die-Welt-Mission. Der Graue Star kann unbehandelt zur Erblindung führen. Und diese wiederum kann in 15 Minuten durch den einfachen Austausch der Linse behoben werden. Das dokumentiert der Band „LOMO KIKUYU“ in unprätentiösen Bildern und Sachtexten. It’s good to see (again) Lomography 2006, 142 S., Euro 30 Buchlieblinge gewählt! ie Leserinnen und Leser der Alpenrepublik wählten im ersten Jahresviertel ihre Lieblingsbücher aus den unterschiedlichsten Kategorien. Organisiert vom Verlagsbüro Schwarzer und unterstützt vom heimischen Bildungsministerium und dem Buchhandel ist der Rücklauf überraschend groß gewesen. An die 26.000 Buchnominierungen wurden genannt. Höhepunkt der Aktion war eine Gala in der Wiener Urania, zu der die D PreisträgerInnen kamen, u. a. Autor Felix Mitterer („Superhenne Hanna“) aus Irland, Waris Dirie („Wüstenblume“) aus Afrika und Klaus Baumgart brachte aus Berlin „Lauras Weihnachtsstern“. Die Literaturpreise wurden von der literaturkundigen Direktorin der Österreichischen Nationalbibliothek, Johanna Rachinger, überreicht. Alle PreisträgerInnen und weitere Informationen finden Sie unter www.buchliebling.com VERMISCHT INTERESSANT Habsburgisch Cool English echs neue Musiksprachkurse der feinen Art sind jetzt bei digital publishing herausgekommen: „The Grooves“ heißen die Sprachkurse mit Pfiff. Fremdsprachentraining mit Pop- und Jazz-Begleitung – wenn das keinen Appetit macht! Das System ist einfach, aber wirkungsvoll: Da werden Vokabeln und Redewendungen in die Musikumrahmung gepackt und im Wechsel von Deutsch und der jeweiligen Fremdsprache mehrmals wiederholt. S digital publishing hat die Reihe des Düsseldorfer Media Verlags geschickt in sein eigenes Hörbuchprogramm aufgenommen. Die ersten sechs CDs, etwa mit dem Schwerpunkt „Flirten und andere schöne Dinge“ oder „Reisefieber – Travelling the world“, lassen einen mit dem „Ohrwurm-Effekt“ schnell und sicher neue Sprachen lernen. Die Kurspakete mit AudioCD und Lernheft kosten 16,90 Euro (das Angebot wird ausgebaut!). Info: www.digitalpublishing.de Sammelsurien kommen noch immer gut. Es ist ein Buch und doch keines, es lässt sich lesen, aber enthält keine langen Texte. Es ist nur wichtig, ein neues Thema oder Sammelobjekt zu finden. Der Rest lässt sich drumherum arrangieren. So auch im „Habsburger Sammelsurium“ erschienen im Styria Verlag. Bei einer Rekordherrschaft von 640 Jahren fällt ja einiges Material ab. Kurzweilig und nicht nur Harald Havas, der schon das „Wiener für Fans geeignet: „Habsburger Sammelsurium“ Sammelsurium“ vorlegte, hat wieder fleißig gesammelt. Nun erfährt man darin die komplette Besetzung der Franziskanergruft, den Wortlaut des Habsburgergesetzes und mancherlei Anekdoten über ausgewählte Kaiserfiguren wie Sisi oder Maximilian. Despektierliche Geschichten kommen bei den Fundstücken nicht vor. Zwar gäbe es so manches zu erzählen, doch wichtiger erscheint die Frage, wie die Habsburger in Manga-Comics vorkommen. Kurzweiliges für Habsburgfans. 06_12 spektrum 16.05.2006 12:20 Uhr Seite 8 SPEKTRUM PERSONALIA Christa Gürtler Ingeborg Bachmann Klagenfurt – Wien – Rom blue notes 30 128 Seiten, Halbleinen € 14,40 / ISBN 3-938740-11-6 Auf literarischen Spuren folgen wir Ingeborg Bachmann (–) in ihre Kindheit in Klagenfurt, später nach Wien und Rom und begleiten sie auf ihren Reisen nach München, Berlin, Zürich und zu anderen Orten. Inga Westerteicher Das Paris der Simone de Beauvoir blue notes 4 128 Seiten, Halbleinen € 14,40 / ISBN 3-931782-60-3 Ein Spaziergang durch Beauvoirs Paris mit Auszügen aus ihren Werken, Briefen und Tagebuchnotizen – und natürlich mit vielen Fotos. Eine Paris-Karte sowie ein Register der Örtlichkeiten erleichtern dem weiblichen wie männlichen Flaneur die Orientierung. edition ebersbach Horstweg 34 14059 Berlin www.edition-ebersbach.de ■ Der Österreichische Staatspreis für Kinderlyrik des Jahres 2005 wurde an Heinz Janisch verliehen. Mit dieser, alle 2 Jahre verliehenen und mit 7.300 € dotierten, Auszeichnung wurde einmal mehr verdeutlicht, was der Redakteur der Ö1-Sendereihe „Menschenbilder“, der Radiojournalist und Fotograf im Besonderen ist: ein Dichter. Von der Lyrik über Romane und Erzählungen für Kinder bis zu den Ideen und Buchvorlagen für Tanz- und Kindertheater reicht sein breites Spektrum. Mit „Ich schenk dir einen Ton aus meinem Saxophon“ setzte er Maßstäbe im Umgang mit Gedichten, Geschichten und Wortspielen. Für sein Bilderbuch „Rote Wangen“ (Ill. Aljoscha Blau; Aufbau) bekam Janisch übrigens bei der diesjährigen Kinderbuchmesse in Bologna den großen „Fiction Award“. (siehe Seite 58) ■ Mit dem seit 1917 jährlich vergebenen Pulitzer-Preis hat Geraldine Brooks heuer den wichtigsten amerikanischen Literaturpreis erhalten. Die 1955 in Sydney geborene Autorin lebt heute in Virginia. Sie bereiste 11 Jahre lang als Auslandskorrespondentin des Wall-Street-Journals verschiedene islamische Länder wie Bosnien, Somalia und den Mittleren Osten. Mit ihrem ersten Roman „Das Pesttuch“ landete sie einen Bestseller. Ihr nun ausgezeichneter Roman erschien im Herbst 2005 zeitgleich mit der amerikanischen Ausgabe „March“ auf Deutsch unter dem Titel „Auf freiem Feld“. Er zeichnet das schwierige Verhältnis zwischen familiären und leidenschaftlichen Bindungen vor dem Hintergrund des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges nach. „Geraldine Brooks gelingt das Kunststück, aus einer modernen Perspektive die damaligen Ereignisse zu schildern“, schrieb die Detroit Free Press. ■ Die österreichische Lyrikerin und Präsidentin der Grazer Autorenversammlung Heidi Pataki ist am 25. 4. 2006 unerwartet an einer schweren Erkrankung gestorben. Sie hatte Anfang des Monats noch wie jedes Jahr die Lyrikim-März-Veranstaltung der Grazer Autorenversammlung an der Univerrsität Wien unter dem Motto „Schwanenhals und Luderloch“ zusammengestellt und sich somit bis zuletzt für die Lyrik engagiert. Heidi Pataki hat in Wien Publizistik und Kunstgeschichte studiert, sie war von 1970 – 1980 Redakteurin der Monatszeitschrift „Neues Forum“. Sie war Mitarbeiterin des österreichischen Rundfunks, der „Presse“, des „Jüdischen Echo“, des Senders Freies Berlin. 1968 erschienen bei Suhrkamp erste Gedichte: „Schlagzeilen“. Es folgten u. a. 1972 „Fluchtmodelle“ in der Edition Literaturproduzenten, 1978 „Stille Post“ in der edition neue texte, 1993 „Kurze Pause“ in der herbstpresse, 1994 „Amok und Koma“ bei Otto Müller, wo auch 2001 ihr letzter Band „Contrapost“ erschienen ist. ■ Den bedeutenden Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt bekommt heuer Oskar Pastior. In Rumänien geboren, lebt der 78jährige Schriftsteller heute in Berlin. Pastior ist vor allem durch seine „Lautmalereien“ bekannt, experimentelle Lyrik und Prosa, geprägt vom Dadaismus. Aber auch als Petrarca-Übersetzer erwarb er Renommee. 2002 erhielt Oskar Pasior für seine Arbeitenbereits den Erich-Fried-Preis. (Der Büchner-Preis ging in den vergangenen Jahren u.a. an Brigitte Kronauer, Elfriede Jelinek, Alexander Kluge.) BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTOS: PATMOS VERLAG, JUNGBRUNNEN VERLAG, GERRIT FOKKEMA, LITERATURHAUS SALZBURG Mit Bachmann und Beauvoir unterwegs ■ Am 30. Mai 2006 wird Georg Bydlinski 50 Jahre alt. Ein guter Anlass, um dem neben vielen anderen Preisen auch mit dem Österreichischen Staatspreis für Kinderlyrik ausgezeichneten Lyriker und Kinderbuchautor zu gratulieren. Der Vater von vier Söhnen, der mit seiner Familie in Mödling lebt, hat in den letzten 24 Jahren über 50 Bücher verfasst und zahlreiche Lesereisen mit Texten und selbstkomponierten Liedern für Kinder und Erwachsene bestritten. Er wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und übersetzte seinerseits unter anderem gemeinsam mit Käthe Recheis Gedichte nordamerikanischer Indianer. Sein neuestes Buch „Wie ein Fisch, der fliegt“ ist ein buntes Mosaik bezaubernder Geschichten über das Glück. Es wurde von der Deutschen Akademie für Kinderund Jugendliteratur e. V. als Kinderbuch des Monats März 2006 ausgezeichnet. 06_12 spektrum 15.05.2006 16:08 Uhr Seite 9 SPEKTRUM WOLFGANG KOEPPEN Gedenkausstellung nlässlich des 100sten Geburtstages von Wolfgang Koeppen (1906 -1996) gerät eine wahre Medienlawine ins Rollen. Briefwechsel (mit Siegfried Unseld), Fragmente und hunderte Versionen einzelner Textpassagen werden aufgestöbert, diverse Werke wieder aufgelegt und alle diese Aktivitäten werden im Feuilleton rauf und runter rezipiert. Der soeben bei Suhrkamp erschienene Band „Ich wurde eine Romanfigur“ von Hiltrud und Günter Häntzschel wird bis zum 25. Juli von einer Ausstellung in der Münchner Stadtbibliothek am Gasteig begleitet. Exponate aus dem Greifswalder Nachlass stellen einige der „gewandten Lügen“, die A Koeppen gewissermaßen als das Handwerk des Schriftstellers hinstellte, richtig. Zum Beispiel, dass nach Erscheinen seines ersten Romans „Eine unglückliche Liebe“ Arbeitslager für den Verfasser gefordert worden sei. Tatsächlich hieß es Arbeitsdienst, und dieser Forderung standen zahllose positive Kritiken gegenüber. Dass aber das Arbeitszimmer nachempfunden statt nachgestellt wurde und von mehr oder weniger zentralen Metaphern der Ausstellung zum Werk Wolfgang Koeppens die Rede ist, lässt mutmaßen, dass Tatsachentreue auch nicht unbedingt zum Handwerk von Ausstellungsmachern gehört. Info: www.koeppen-ausstellung.de BIBLIOPHIL Lyrisch in schmaler, aber feiner Gedichtband, bibliophil, vom Hamburger Schriftsteller und Journalisten Peter Engel. 111 Exemplare, 12 Seiten, 7 Gedichte, Bleisatz in Garamond-Antiqua, fadengeheftet, Papier, das es genießt, angegriffen zu werden. Eines der Gedichte kann als Paradigma stehen: „VERWISCHTE SPUR / Ein winziges Tierchen, / das wie ein iPunkt / über die Tagebuchseite lief: / Statt es unter der Lupe genau zu betrachten, / wischte ich es weg mit / ungeduldigem Finger / zu einer blaßroten Spur, / einem mißverständlichen Akzent / in meinen Notizen.“ Genauso wenig sollte man diesen Gedichtband wegwischen und nicht stattdessen zu einem Romanschmöker greifen, sondern das winzige Tierchen unter der Lupe genauer betrachten. Peter Engel. 7 Gedichte. Peter Luedwig 2005, 12 S., EurD 11/ EurA 11,40/sFr 19,80 ENGAGIERT 30 Jahre Antje Kunstmann Verlag ücher für Mehrheiten, die wie Minderheiten behandelt werden“, lautete das Motto des von Antje Kunstmann 1976 gegründeten Frauenbuchverlags. Inzwischen hat auch die Mehrheit der Frauen Eingang in die Männerwelt gefunden und mag nicht so gerne an die Anfänge des Aufbruchs erinnert werden. Dieser Entwicklung trug Antje Kunstmann Rechnung, indem sie 1990 den Verlagsnamen änderte und das Programm in Richtung Belletristik entwickelte. Mit dem großen Erfolg von Axel Hackes „Der kleine Erziehungsberater“ ging es schließlich weiter in Richtung höhere Komik, die von Erfolgsautoren und -autorinnen wie Wiglaf Droste und Marie Macks beigesteuert wurde. Heute bringt der Verlag pro Jahr etwa 30 neue Bücher und fünf Hörbücher heraus, und zwar nach wie vor Sachbücher zu brennen- B den politischen Themen wie Barbara Ehrenreichs Recherchen in der Welt der Working poor und der hochqualifizierten Arbeitslosen oder die erschütternde Dokumentation des russischen Fotografen Igor Kostin zum zwanzigsten Jahrestag der Atomreaktorkatastrophe von Tschernobyl, in der zum ersten Mal die Geschichten zu den Fotos erzählt werden: Blühende Landschaften, die nicht mehr betretbar sind oder eine Geisterstadt, die für 48.000 Jahre verstrahlt ist. Damit auch der seit Jahrzehnten sorgfältig gepflegte belletristische Bereich nicht in den Schatten fällt, wurden neun Erfolgsbücher, unter denen sich klingende Namen wie Fay Weldon mit „Die Teufelin“ und Véronique Olmi mit „Meeresrand“ finden, als limitierte Edition zum wohlfeilen Einzelpreis von zehn Euro wieder aufgelegt. Zum 150. Geburtstag: Die erste große, populär geschriebene Freud-Biografie vollständig aktualisiert Der österreichische Publikumsliebling in einer persönlichen Biografie zum 80. Geburtstag Zeitgeschichte und Kulturgeschichte: Die Autobiografie eines der vielseitigsten Künstler Österreichs Das neue Buch der Erfolgsautorin: Herzerfrischender Einblick in die österreichische Seele www.amalthea.at Die Kriminalgeschichte Österreichs vom Mittelalter bis in die Gegenwart – packend-informativ 256 Seiten, € 17,90 ISBN 3-85002-546-2 288 Seiten mit Abb., € 24,90 ISBN 3-85002-549-7 176 Seiten, € 17,90 ISBN 3-85002-553-5 304 Seiten mit Abb. u. Illustr., € 22,90 ISBN 3-85002-562-4 304 Seiten mit Abb., € 22,— ISBN 3-85002-564-0 JETZT IM BUCHHANDEL BEI AMALTHEA UND LANGENMÜLLER 352 Seiten mit Abb., € 22,90 ISBN 3-7844-3041-4 FOTOS: STEFAN MOSES, ANTJE KUNSTMANN VERLAG E Enthusiatische Verlegerin: Antje Kunstmann Das beliebte Ö1-Kulturquiz als Buch mit 444 Fragen und Antworten 06_12 spektrum 15.05.2006 16:11 Uhr Seite 10 SPEKTRUM P H A N TA S T I S C H ■ T-Online hat gemeinsam mit dem S. Fischer Verlag ein Literaturspecial ins Leben gerufen. Neuerscheinungen, Porträts, Gewinnspiele und vieles mehr unter http://onleben.tonline.de/lesezeichen ■ Hohe Auszeichnung für die Chefin: „In Anerkennung und Wüdrigung ihrer besonderen Leistungen im Bereich der Wahrnehmung des frankophonen Literaturerbes“ wurde die Direktorin der Österreichischen Nationalbibliothek, Dr. Johanna Rachinger, zum „Chevalier de l’Ordre National du Merité“ ernannt. ■ Die Bezirkshauptstadt Perg im südlichen Mühlviertel wird Bücherstadt. Unter Einbindung der Volksschule und des Kindergartens finden viele interessante Projekte statt, die unter dem Motto Rad-KulTOUR vorbeikommende Touristen dazu bewegen sollen, öfter mal vom Donauradweg abzuzweigen. ■ Das Schweizerische Literaturarchiv der Schweizer Landesbibliothek hat das literarische Archiv von Peter Bichsel und von Franz Böni erworben sowie den Nachlass von Otto Marchi übernommen. ■ Die schwedische Bestsellerautorin Liza Marklund schrieb jüngst die Vorlage für ihr erstes eigenes PC-Spiel „Dollar“, das sie mit dem schwedischen Publishing-Partner von Modern Games entwickelt hat. ■ 70% des weltweit hergestellten Insulins werden von 16 % der Bevölkerung verbraucht. Daher startet der Verband österreichischer DiabetesberaterInnen zusammen mit dem Hubert Krenn Verlag eine Insulin-Sammelaktion. Info: www.hubertkrenn.at ■ Die Constantin Film AG plant die Neuverfilmung des Romans „Effi Briest“ von Theodor Fontane unter der Regie von Hermine Huntgeburth. Es ist bereits die fünfte Verfilmung des Stoffs. ■ Auf Initiative der Künstlerin Erika Kronabitter erhielt Feldkirch einen Literaturbahnhof, in dessen Halle wartende Passagiere verschiedene Texte der heimischen und internationalen Literatur auf Monitoren lesen können. ■ Book on Demand, die Alternative zum herkömmlichen Publikationsweg über Verlagslektorate für finanzstarke Autoren, bekommt prominente Unterstützung: Vito von Eichborn, Verlagsgründer und Erfinder des „Programms der Frechheiten“ mit Titeln wie „Kleines Arschloch“ wird ab sofort die Edition BoD herausgeben. Augenblickmal etallschrott und Bakelit-Teile, wie sie in alten Elektrogeräten vorkommen, werden unter Zuhilfenahme von ein paar Knöpfen, Sieben und alten Kabeln zu unterschiedlichsten Robotermännchen, fliegenden Untertassen, Micky-Mouse oder bizarren Vögeln. Der Züricher Maler Orlando Vazau lässt in Alltagsutensilien, aus denen er seine „objets recyclés“ formt, Gestalten erkennen, die uns die M ÜBERSCHÄUMEND Bier-Export Wer denkt beim Seidl nicht ans Bier? Das Hohlmaß schreibt sich zwar mit -e-, aber lautlich ist es nicht vom Namen des österreichischen „Bierpapstes“ Conrad Seidl zu unterscheiden. Und der hat 2006 wieder einen Bier-Guide herausgebracht – der sich ebenso dafür eignet, neue Bierlokale und -sorten wie das Emmer-Einkorn-Dinkel zu entdecken, wie dafür, das eigene Lieblingsbeisl mit anderen zu vergleichen. Ab 2007 gibt es neben der österreichischen Ausgabe auch einen eigenen Guide für die Bierlandschaft Deutschlands. Und der soll ebenso mit der strengen Beurteilung zwischen einem und fünf Krügeln aufwarten. Österreichweit wurde die Höchstmarke „5 Krügel“ nur zehn Mal vergeben. Der „Diewald“ in Raach zum Beispiel, auf den abseits vom Bier-Guide ein Autorenfilm des Duos Ilse Kilic Fritz Widhalm aufmerksam macht, weil die beiden darauf den „Wohnzimmerweg“ zum besagten Gasthaus beschreiten, liegt mit drei Krügeln in der ehrenhaften Mitte, die dem Vernehmen nach dem Standard des Münchener Hofbräuhauses entsprechen. Conrad Seidl Bier-Guide-2006. KGV 2006, 332 S., EurD/A 14,40/sFr 26 Das besetzte Paris, Anfang der vierziger Jahre: Ein Flaneur zwischen zwei Welten. Eine Frau mit zwei Gesichtern. Und eine unschuldige Liebe, die nie unschuldig war. © Mathias Bothor »Das erinnert an Schlinks Vorleser. Ein Buch, das man von Herzen verschenken kann.« Angela Wittmann, Brigitte April in Paris. Roman. 240 Seiten. € 20,60 [A] Auch als Hörbuch bei Random House Audio. www.luchterhand-literaturverlag.de magischen Bedeutungen von Kindheitsobjekten in Erinnerung rufen. Und nicht nur das: Wer einmal selbstgebautes Kinderspielzeug aus Afrika gesehen hat, wird sich von den Objekten im Fotoband „Augenblickmal“ gewiss daran erinnert fühlen. Orlando Vazau. Augenblickmal Gerstenberg 2006, 160 S. EurD 15,90/EurA 16,40/sFr 28,50 ILL: AUS „AUGENBLICKMAL“ VON ORLANDO VAZAU/GERSTENBERG; FOTO: KGV KURZMELDUNGEN 06_12 spektrum 15.05.2006 16:13 Uhr Seite 11 SPEKTRUM VERSCHENKT D R . T R A S H E M P F I E H LT Innsbruck liest nderswo mag man darauf setzen, das Image einer Stadt durch die Namen von Bestsellerautoren aufzupolieren, in Innsbruck hat man sich entschieden, die Ressourcen einer Stadt zu nützen, um unterschätzter Literatur ein Sprungbrett zu bieten. Deshalb wurde die Jury der jährlichen Gratisbuchaktion verpflichtet, für ein trotz seiner Qualität kaum wahrgenommenes Buch einer lebenden Autorin oder eines lebenden Autors des deutschsprachigen Raumes zu votieren und damit kulturpolitische Impulse zu setzen. Und damit fiel heuer die Wahl auf Dimitré Dinevs Erzählband: „Ein Licht über dem Kopf“, dessen Öffentlichkeitswirkung hinter Dinevs fulminantem Romandebüt „Engelszungen“ zurück blieb. A Die faszinierenden, berührenden und komischen Geschichten des aus Bulgarien stammenden und in Österreich in deutscher Sprache schreibenden Autors packen auch thematisch ein heißes Eisen an: Sie sind im Soziotop der Immigranten angesiedelt und schieben so die Kultur der Ränder ins Zentrum. Allerdings gilt auch für Innsbruck, was für Wien gilt: Obwohl Frauen die überwältigende Mehrzahl der Belletristik-Lesenden stellen, wurde im Rahmen der Gratisbuchaktionen noch keine einzige AutorIn mit einem Werk einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Vielleicht ist die Werteskala insgeheim noch immer zwischen herrlich und dämlich angesiedelt. PRAKTISCH Flüssige Sprachen ie Welle der Innovationen, die das Langenscheidt-Jubiläumsjahr 2006 prägt, ist noch lange nicht verebbt. In einer limitierten Auflage erschienen im März Sprachführer für die vier wichtigsten Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch mit einem transparenten Umschlag als Eyecatcher. Vor ozeanblauem Hintergrund schwimmen Wasserbälle, Quietschenten und Fische, deren Anblick schon zur Konversation beitragen D kann. „De qué material es?“ „Ich glaube aus Plastik.“ Und schon hat man das Fischlein an der Angel! Ansonsten: alles, von der klar strukturierten Seitengestaltung bis hin zur Lautschriftangabe bei allen fremdsprachigen Übersetzungen in der gewohnten Langenscheidt-Qualität. Sprachführer Spanisch. Langenscheidt 2006, 256 S., EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 18,20 NIEDERÖSTERREICH Literatur zum Hören Die Dokumentationsstelle für Literatur in Niederösterreich trägt dem Prinzip Rechnung, regionale Kultur zu pflegen und internationale Größen an die Region zu binden. Zuletzt, indem sie die verstärkte Nachfrage nach Hörbüchern nützte, um eine CD mit Texten und Textausschnitten niederösterreichischer Autoren wie Manfred Chobot, Karin Ivancsics, Elisabeth Schawerda, Margit Schreiner, Peter Henisch und Silke Hassler zusammenzustellen, die von diesen selbst auf Veranstaltungen oder für die Edition vorgelesen wurden. Das kann und will sich nicht mit Aufnahmen von Profisprechern im Studio messen, bringt aber interessante Texte unter die Leute. Info: www.literadio.org BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 Der Doc hasst Hippies S o, jetzt ist es heraußen (obwohl es sich mancher Leser schon gedacht haben wird). Der Doc hegt eine tiefe und seit Jahrzehnten währende Abneigung gegen die Alt-68er, die sich nach dem langen Arschkriechen durch die Institutionen an die Sessel der Macht klammern. Er möchte kotzen, wenn er vor Bahnhöfen Sandler-Punks herumhängen sieht, die nichts anderes sind, als die alten Gammler im neuen Kostüm. Er hält „alternative“ Stadtzeitungen und Radiosender, Museumsquartiere und pseudo-avantgardistische Literaturvereinigungen für verbeamtete Subventionskassierer, die sich vor allem mit gegenseitigem Steigbügelhalten beschäftigen und die Welt mehr verblöden, als es die sogenannte Hochkultur oder Bourgeoisie je gekonnt hätte. Kurz und gut: Der Autor dieser Zeilen hat sich nie irgendeiner „Gegenkultur“ zugehörig gefühlt – schon allein deswegen, weil er in guter alter Tradition bei keinem Verein sein möchte, der Leute wie ihn als Mitglieder aufnimmt. Deshalb verfiel er auch gleich in klammheimliche Freude, als er den Buchtitel „Konsumrebellen. Der Mythos der Gegenkultur“ (Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins) in einer Verlagsvorschau erblickte. Schließlich weiß niemand besser als er, dass all die Verweigerer, Widerständler und „Outlaws“, die sich in Kultur, Politik und Kulturpolitik herumtreiben, in Wahrheit die schlimmsten Verräter, EUBefürworter und Machtmenschen sind. Die kanadischen Autoren/Wissenschaftler Joseph Heath und Andrew Potter schlachten in ihrem provokanten Buch dann auch ein paar heilige Kühe ab, dass es eine Freude ist: Sie weisen nach, dass die selbsternannten „Konsumverweigerer“ selbst die schlimmsten Einkaufs-Junkies sind und mit den erworbenen Alternativ-Kulturerzeugnissen, genfreien Biotechnik-Lebensmitteln, Häuschen im Grünen etc. nur cooler, besser und klüger dastehen wollen als ihre dummen, manipulierten Mitmenschen. Sie zerlegen die Argumente der „Rebellen“ und zeigen, dass in Wahrheit niemand konformer und uniformierter agiert als die Leute, die dauernd beweisen müssen, wie unkonventionell sie sind. Wunderbar. Das alles musste schon lang einmal gesagt und geschrieben werden. Das Problem bei Heath und Potter ist nur ihre Alternative zum angeprangerten Nichtdenken der HippieYuppies und ihrer Erben. Da fällt ihnen nämlich auch nichts Besseres ein als die angebliche Selbstregulierungsfähigkeit des freien Marktes, kombiniert mit politischen und „Grassroots“Reformen. Und das, meine Herren, ist leider pure Sozialdemokratie – deren Folgen wir ja täglich in den Nachrichten erleben müssen. Es bleibt also dabei: Der Doc hasst Hippies. Auch wenn sie so tun, als wären sie gar keine … 11 06_12 spektrum 15.05.2006 16:15 Uhr Seite 12 SPEKTRUM RUHE LOS SOMMERLICH Waldviertelfestival ■ Literaturfestival Leukerbad von 30. Juni bis 2. Juli 2006 von Wortkünstler Bodo Hell durch die Rieden hinauf zur Weingartenhütte mit dem Tanzplatz, wo bereits Andràs Fekete mit seinen Musikern wartet. Mei Tschtschtschenereschn: 16. Juli, in einem aufgelassenen Steinbruch in Schönberg am Kamp und am 8. September, in einem leer stehenden Geschäftslokal in Gmünd: Im Rahmen dieses Projektes schreiben und lesen drei alte (in den 1960er Jahren geborene) und drei junge Literaten (Geburtsjahr 80+) mit- und gegeneinander. Eine ruhelose Geschichte: Die Kulturbrücke Fratres gibt an zwei Tagen im Juli Einblick in die regionale jüdische Geschichte. Dazu gehört auch eine Lesung des Autors Erich Hackl aus seinem Buch „Die Hochzeit von Auschwitz“. Info: www.viertelfestival-noe.at Vor der Bergwelt der Walliser Alpen findet heuer bereits zum 11. Mal das Literaturfestival im historischen Thermalbad Leukerbad statt. Die Mitter- Österreichische Sportjournalisten schreiben über 22 der größten und wichtigsten Fußball-Länderspiele aller Zeiten, von England gegen Schottland 1872 bis zu Griechenland gegen Portugal 2004. Dabei geht es nicht nur um die 90 Minuten auf dem Rasen, sondern auch um die damalige Zeit, die Gesellschaft, das Zustandekommen des Spiels und dessen Auswirkungen. Die Texte geben Einblicke in die Denkweisen der Trainer, porträtieren die Stars, nennen Namen und Zahlen. 236 Seiten, Reich bebildert, Hardcover, runde Ausführung Preise: € 29,90 (A), € 29,10 (D), SFR 47,00 ISBN-10: 3-902480-16-5 ISBN-13: 978-3-90248016-5 Erscheinungstermin: 05/06 ■ Comic-Salon Erlangen von 15. bis 18. Juni 2006 Alle 2 Jahre steht die Stadt Erlangen ganz im Zeichen des Comics. Wesentlicher Punkt heuer: Erstmals wird der Max und Moritz-Preis in der Kategorie „bester auf deutsch erschienener Manga“ vergeben. Und am Familiensonntag gibt es das Gesamtpaket zu stark reduzierten Eintrittspreisen für Kinder und Jugendliche. Info: www.comic-salon.de ■ Literaturlandschaften Bayern 2006 noch bis 30. Juni Viel los im Waldviertel iteRADtour: Anfang Mai werden in allen teilnehmenden Gemeinden Texte auf Wegen mit Kalkfarbe aufgebracht. Jeder ist eingeladen, sich aktiv zu beteiligen und seine LiteRADtour zu schreiben. Dreh.punkt: am 17. Juni 2006 geht es vom Loisum in Langenlois zu einer Weinberg-Wanderung unter der fachkundigen Führung L GEWINNSPIEL Fussballspielen online Die Buchhandelskette Thalia läßt sich für ihre Kunden ständig neue Attraktionen einfallen. Vor Weihnachten konnten Kinder beim Bälle- Mit dem Welttag des Buches beginnend feiert Bayern zum zweiten Mal zehn Wochen lang Literatur und Musik und setzt dabei vorwiegend auf Bewährtes von Adalbert Stifter, Friedrich Nietzsche, Arnold Schönberg. U.a. mit Alfred Komarek, Konstantin Wecker, Herbert Rosendorfer und Veit Relin. Info: www.dieliteraturlandschaftenbayerns.de werfen in den Filialen Bilderbücher vom Feinsten ergattern und nun gibt es für alle, die ihre Geschicklichkeit beim Online-TorwandSchießen unter Beweis stellen, zwei Wochenenden im Wellnesshotel zu gewinnen. Man kann aber auch ganz klassisch tippen, denn die Fußball-WM steht vor der Tür. Und zwar jedes einzelne Ergebnis oder gleich den Weltmeister. Damit lässt sich eine ganze Woche Skiurlaub am Nassfeld gewinnen. In allen Filialen in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Info: www.thalia.at, www.thalia.de, www.thalia.ch. PREISE UND AUSZEICHNUNGEN PREIS PREISTRÄGER BUCHTITEL Preis der Literaturhäuser Heinrich Mann-Preis Hans Christian Andersen-Medaille LiteraTour Nord Riverton-Preis Hermann Lenz-Preis Friedrich Glauser-Preis Henri Nannen-Preis Bertha von Suttner-Preis Max und Moritz-Preis Uwe Kolbe Peter von Matt Margaret Mahy, Wolf Erlbruch Karl-Heinz Ott Frode Grytte Jürgen Becker Astrid Paprotta Joachim Fest Peter Bürger Jacques Tardi Vermittlung von Literatur Essayistik Gesamtwerk Endlich Stille Flytande Bjorn Schnee in den Ardennen Die Höhle der Löwin Gesamtwerk Kino der Angst Lebenswerk PREISGELD 9.000 € 8.000 € 50.000 € 15.000 € Goldener Revolver 15.000 € 5.000 € 5.000 € 2.000 € undotiert BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTO: VIERTELFESTIVAL NÖ – WALDVIERTEL 2006 Spiele, die Geschichte schrieben nachtslesung auf dem Gemmipass und die literarische Schluchtenwanderung haben dabei schon Tradition. Heuer werden neben BestsellerautorInnen wie Margriet de Moor und Cees Noteboom auch wieder etliche Newcomer sowie Autoren aus der arabischen Welt erwartet. Auch die beiden Österreicher Josef Haslinger und Werner Kofler haben ihre Teilnahme zugesagt. Info: www.wuerfelwort.ch Das Beste vom vagabundierenden Kulturwissenschafter Zum 65. Geburtstag von Roland Girtler versammelt dieses Lesebuch das Beste und Schönste aus seinem Werk. Ein Leckerbissen für Fans, Wiederentdecker und Neueinsteiger. Roland Girtler Ein Lesebuch Das Beste vom vagabundierenden Kulturwissenschafter 2006. 135 x 210 mm. 306 S. Gb. Euro 19,90 ISBN 3-205-77492-2 www.boehlau.at Inserat_Girtler_Schwarzer.indd 1 Böhlau Verlag Wien • Köln • Weimar 10.05.2006 15:33:35 Uhr 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:18 Uhr Seite 14 Kurt Kaindl versteht es, Atmosphäre und Lebenswelten einzufangen. Hier am Stadtplatz von Levoca, Slowakei. Vom Dasein dazwischen Europa wächst, die literarischen Landschaften kommen sich näher. JournalistInnen und SchriftstellerInnen bereisen unbekannte Regionen in Mittel- und Osteuropa. Und mancher fragt sich: Ist diese ganze Osterweiterung nicht eigentlich ein Witz? VON ALEXANDER KLUY utschatsch, Pidvolotschysk, Zolotonoscha. Namen mit exotischem Klang. Orte, die literarische Landvermesser erkunden, Reporter ohne Auftrag, Reporter aus Ostmitteleuropa. Doch deren Geschichten aus Glaisín Álainn und Kapustin Jar, Pogradec und Boliqueime, Virbails, Leoncin, Vardø und Hohenlychen handeln vom Verschwinden, von Pauperisierung, Nivellierung, Auslöschung. Nicht die Patina des Pittoresken beschreiben sie, sondern die Tristesse und Unentrinnbarkeit des Verfalls. Denn Ostmitteleuropa, so der Ukrainer Juri Andruchowytsch, „das fast ein halbes Jahrhundert unbeweglich und unveränderlich zwischen zwei eisernen Vorhängen festzusitzen schien, spürte, wie es langsam von seinem kanonischen Territorium verdrängt wurde – dem B 14 Territorium der neuen Mitgliedsstaaten der EU. Es ist eine sanfte, aber konsequente und stetige Verdrängung, die ihm keinen Raum mehr lässt. Die Ambiguität, das „Dasein dazwischen“, verschwindet auf allen Ebenen – von der Unifizierung der Landschaft zur Pragmatisierung der Mentalitäten.“ Ein Antidot zu realpolitischer Amnesie sind jüngst erschienene literarische und journalistische Arbeiten. Es beginnt in einer Küche in Hamburg. Und endet in einem Zimmer einer burjatischen Wodka-Schamanin. Dazwischen liegen drei Monate im tiefsten Sibirien. Ein Stipendium ermöglichte es der Hamburger Journalistin Merle Hilbk, im Sommer 2004 diese Region zu bereisen. Sie traf Akademiker und Sciencemanager, Schamaninnen, die einen Automobilclub gründeten, „businesmeny“, Punkrocker und Handleser, lebt in einer Wissenschaftsstadt, in heruntergekommenen Wohnblöcken, badet in abgelegenen Seen, lauscht melancholischen Liedern. „Warum habe ich nur die ganze Zeit geglaubt, ich müsste die Russen nachahmen, um den russischen Rock’n’Roll, die russische Seele zu finden?“ Die Antwort darauf gibt sie umgehend: „Ich habe sie doch schon ein paar Mal gespürt, in Kasachstan, in Nowosibirsk und im Altai, als einen leisen, melancholischen Hauch, der meine Gefühle verwirrt und mich wach und lebendig gemacht hat; und so ist es doch nur wahrscheinlich, dass ich sie die ganze Zeit in mir getragen habe – und vielleicht nur ein bisschen intensiver in mich hineinhorchen muss, um sie auch wahrzunehmen.“ Reisen als Lebenskunst, Reisen als Selbsterkenntnis – das führt Hilbk in ihrer sehr lesenswerten Reportage vor. Was macht Reisen nach Russland aus? Hilbks Fazit fällt etwas floskelhaft aus. „Die Fähigkeit, sich mit jeder Faser auf das Leben einzulassen. Besser gesagt: die Kunst, das richtige Leben im falschen zu leben“, was dann doch sehr im Modernekitsch verharrt. BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:21 Uhr Seite 15 B U C H W E LT FOTOS: AUS „DER RAND DER MITTE“ VON KURT KAINDL/OTTO MÜLLER Eine Reportage der anderen Art stammt auch von Kurt Kaindl mit Texten von Karl Markus Gauß. Gauß hat schon einige berührende Bücher über vergessene Landstriche und deren Menschen geschrieben. Begleitet wurde er dabei vom Fotografen Kurt Kaindl. Dieses Mal wurden die Rollen getauscht. Zu sehen sind die sehr stimmigen Fotoarbeiten von Kaindl, zu denen Gauß begleitende Texte verfasste. Lebensreisekunst hat elementar mit Grenzen und Grenzübertritt zu tun. „An der Grenze leben! Wäre das nicht eine Bereicherung, an beiden Welten teilzuhaben und einer neuen Identität gehören, oder ist das Leben an der Grenze etwa der Anfang eines Verlustes?“ räsoniert Lindita Arapi und nimmt den Titel der Textsammlung „Grenzverkehr“, den Annemarie Türk für KulturKontakt Austria edierte, wörtlich. Wie dies auch die anderen Autorinnen und Autoren aus Ostmitteleuropa tun, die KulturKontakt einen Arbeitsaufenthalt in Wien verdanken. Sie vermessen das „besondere Territorium des Visums, wo der Druck einer Doppelherrschaft wirkt“ (Nelly Bekus). Inklusive Ernüchterungen wie Grenzkontrolle und konsularischer Demütigung. Doch das Problem von Stipendiatenanthologien ist an dieser gut zu studieren: mitunter polyphone Unschärfe, thematisch unvermeidliche Beliebigkeit und ein stark schwankendes Niveau. Höchst lesenswerte Beiträge finden sich neben bemüht formulierten. Das ist dem Band „Last & Lost“ von Katharina Raabe und Monika Sznajderman nicht vorzuhalten. Raabe, Lektorin im Suhrkamp Verlag, und Sznajderman, Leiterin des Czarne Verlags und Ehefrau des Romanciers Andrzej Stasiuk, luden namhafte europäische Autoren ein, Orte des Verschwindens zu dokumentieren, „an denen das süße Gift der Begeisterung unser Herz stillstehen ließ“ (Andrzej Stasiuk). „Wie wenige kennen eigentlich Vergangenheit!“, zitieren die Herausgeberinnen Friedrich Wilhelm Schelling. „Ohne kräftige, durch Scheidung von sich selbst entstandene Gegenwart“, so der deutsche Philosoph, „gibt es keine. Der Mensch, der sich seiner Vergangenheit nicht entgegenzusetzen fähig ist, hat keine, oder vielmehr er kommt nie aus ihr heraus, lebt beständig in ihr.“ K. M. Gauß schrieb über die Menschen von Svinia, Slowakei, ein beeindruckendes Buch. Der geographische Bogen der Spurensu- che, der entgegenzusetzenden Historie, reicht von Südirland bis an die Wolga, von Sizilien bis Nordnorwegen, von der Algarve bis Brandenburg, von East Anglia bis zu einer untergegangenen Donauinsel, vom BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 Szene aus Vilnius: In Litauen war Kurt Kaindl auf der Suche nach den Memeldeutschen. In der Slowakei besuchten Kaindl und Gauß die Zipser. Hier vor einer Kirche in Ladomirová. 15 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:23 Uhr Seite 16 solchem. Hier währt immer noch der Anfang, ziehen sich immer noch die ersten sechs Tage der Schöpfung hin.“ Staunen machen auch die überaus lesens- In der Tiefe des Vergangenen ruht auch Sarmatien. Sarmatien? Worum es sich dabei handelt, darauf gibt der Wiener Übersetzer und Schriftsteller Martin Pollack in der Anthologie „Sarmatische Landschaften“ Auskunft. „Sarmatien“, so definiert es Pollack, „ist eine Welten-Gegend, in der die Geschichte grausam gewütet hat wie kaum sonst wo. Eine Gegend, vergiftet von gegenseitigem Hass und Verachtung, die Vorurteile und Feindbilder hervorbrachten. Nicht nur, dass sich diese bis heute als ungemein hartnäckig und langlebig erweisen, sie werden auch noch durch andere, neue ergänzt.“ Das europäische Sarmatien umfasst den Raum vom Don bis zur Slowakei. Versammelt hat Pollack allerdings einen „Multigemüsecocktail“, so der Titel des Textes von Natasza Goerke. Vieles, zu vieles, vor allem die Beiträge deutscher Autoren, wirkt schwerfüßig, überanstrengt und akademisch abgehoben. Die besten Beiträge stammen von Jan Maksymiuk, der von seinem Großvater erzählt, der in drei Jahrzehnten in fünf verschiedenen Staaten lebte – und sein Dorf nie verließ. „Es waren eher die Staaten, die hier die Zuwanderer waren.“ (Jan Maksymiuk) Und von Andrzej Stasiuk. Dieser steuerte einen brillanten Essay bei. Dort findet man folgenden trefflichen Gedanken: „In gewissem Sinne sind diese Gebiete Europas noch immer ‚Wilde Felder‘ – im siebzehnten Jahrhundert, irgendwo am Dnjepr, im polnisch-tatarischtürkisch-russisch-moldawischen Grenzgebiet. Hier herrscht immer noch Kampf, Verwirrung, Panik und Angst vor dem Zukünftigen und Unbekannten. Es gibt zwar keine Kriege mehr, kein Pferdegetrappel, keine Krummsäbel, keine Turbane, kein Brandschatzen, keine Kosaken und Tataren, kein Pfählen – Orthodoxie, Katholizismus und Islam springen sich nicht gegenseitig an die Kehle. Und doch scheint dieser Teil des Kontinents zu mentaler Unsicherheit, geistigem Waisentum und ewigen Minderwertigkeitskomplexen verurteilt zu sein. Alles ist mit Angst durchsetzt, mit Groteske und Staunen angesichts des Seins als DIE BÜCHER Merle Hilbk |Sibirski Punk. Eine Reise in das Herz des wilden Ostens| Gustav Kiepenheuer 2006, 256 S., EurD 17,90/EurA 18,40/sFr 32,50 Kurt Kaindl |Der Rand der Mitte. Reisen ins unbekannte Europa| Texte von Karl-Markus Gauß. Otto Müller 2006, 144 S., EurD/A 25/sFr 43,80 Annemarie Türk (Hg.) |Grenzverkehr. Literarische Streifzüge zwischen Ost und West| Drava 2006, 320 S., EurD/A 21/sFr 36,90 Katharina Raabe und Monika Szajderman (Hg.) |Last & Lost. Ein Atlas des verschwindenden Europas| Suhrkamp 2006, 336 S., EurD 29,80/EurA 30,70/sFr 52,70 Martin Pollack (Hg.) |Sarmatische Landschaften. Nachrichten aus Litauen, Belorus, der Ukraine und Deutschland| S. Fischer 2006, 368 S., EurD 28/EurA 28,80/sFr 49 Martin Pollack (Hg.) |Von Minsk nach Manhattan. Polnische Reportagen| Zsolnay 2006, 272 S., EurD 21,50/ EurA 22,10/sFr 38,70 Spannende Literatur, andererseits öde Landstriche in „Last & Lost“ (re. u. o.) 16 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTOS: AUS „LAST & LOST“ VON KATHARINA RAABE UND MONIKA SZNAJDERMAN (HG.)/SUHRKAMP früheren Regierungsviertel in Tirana zum Zufluchtsflecken sozialer Drop-outs in Amsterdam. Durchgehend auf hohem Niveau, findet sich hier von melancholischen Fotografien begleitete exzeptionelle Prosa von Christoph Ransmayr, Lavinia Greenlaw, Mircea Cartarescu, Geert Mak und Vetle Lid Larssen, Juri Andruchowytsch und Andrzej Stasiuk. Letzterer träumt davon, „eines Tages die melancholische Geographie unseres Kontinents (zu) schreiben. Dort werden Orte zu finden sein, die keiner besucht, Orte, deren Gegenwart die Vergangenheit ist, Orte, die man der Zeit zum Fraß vorgeworfen hat, wie sie einst den Barbaren zur Beute wurden. Nach den Einfällen der Nomaden sind sie aus Schutt und Asche auferstanden. Doch unter dem Einfluss der Zeit, dieser zarten Kraft, die leichter als Luft ist, sind sie zerfallen, verwittert und streben mit dem Trotz der ursprünglichsten Materie in die Tiefe der Erde, des Vergangenen.“ werten elf Reportagen aus der polnischen Zeitung „Gazeta Wyborcza“ im Band „Von Minsk nach Manhattan“, Prosaglanzstücke von heutzutage im Westen ungewohnter Tiefe, Präzision, Formulierungslust und Länge. Als „Die Presse“ „Reality“ von Mariusz Szczygiel nachdruckte, war es der umfangreichste, jemals dort publizierte Text. Szczygiel zufolge müsse eine Reportage wie ein guter Roman sein. Diesen Anspruch erfüllen diese Texte über neben anderem einen Suizidanten, einen Ahnenforscher, eine Graphomanin vorbildlich. So führte Tomasz Paturas und Marcin Stelmasiaks „Hautjäger von Lodz“ über Machenschaften von Bestattungsunternehmern und Medizinern zu Verhaftungen. Von solcher Ost-Erweiterung wünschte man sich mehr. Aber: „Ist diese ganze ‚Osterweiterung’ nicht eigentlich ein Witz?“, fragt Juri Andruchowytsch ketzerisch. „Denn hier bin ich ja doch zuhause – es ist nicht ihr [der Politiker], sondern mein Europa, unser Europa, ein anderes Europa. Gut, dass es existiert.“ 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:25 Uhr Seite 17 B U C H W E LT Ein Mann der Bilder Anlässlich der Präsentation seines neuen Bandes „Ihr Unvergesslichen. 22 starke Begegnungen“ traf der Dokumentarfilmer und Autor Georg Stefan Troller für ein Gespräch SYLVIA TREUDL. r ist ein Mann der Bilder, auch beim Schreiben. Denn: „Filmen ist aufregender als Schreiben. Die Kombination von Bild, Bewegung, Sprache, Ton, Musik ist ja sozusagen für mich geschaffen worden.“ Gelassen, voller hintergründigem Humor, mit milder Nachsicht und brennend vor Zorn, eloquent in Schrift und gesprochenem Wort – so begegnet Georg Stefan Troller seinem Publikum. Ein Grandseigneur des Dokumentarfilms und eine beeindruckende, markante Erscheinung. Die Schreiberei ist für ihn eher eine Art von Beschäftigung gegen den Stillstand zwischen zwei Filmen. Und so sind die Porträts in dem Band „Ihr Unvergesslichen“ auch angelegt, den LeserInnen wird der Blick durchs Kameraobjektiv gestattet, sie sind mitten am Set dabei. Und durchlaufen eine gigantische Flut an Material, die atemlos macht in der Mischung aus dramatischen, eitlen, und anrührenden Schicksalen, Momentaufnahmen, Sätzen. Woody Allen möchte man aus seiner Attitüde schütteln, Muhammad Ali weckt sehr ambivalente Gefühle, genau wie die Piaf, das Axel-Corti-Porträt darf eine Liebeserklärung genannt werden. E FOTO: PATMOS VERLAG Es handelt sich bei dieser Publikation weni- ger um ein „Skript“ zum Filmmaterial, sehr viel mehr ist es diesem Band gelungen, Film in literarischer Form zu werden. Und alle diese großen und klingenden Namen haben sich der Choreografie des Meisters gefügt, egal wie arrogant, widerborstig oder medienverwöhnt sie sein mögen. Nach der Methode gefragt, meint er schlicht: „Ich habe sie nicht bloß reden lassen, sie ‚erscheinen‘, mit ihrer ganzen Körpersprache, wie im Film. Aber ich frage nicht den VIP, ich frage aus echter Neugierde – und das hat ihnen gefallen. Außerdem“, kommt der schmunzelnde Nachsatz, „trifft hier Eitelkeit auf Eitelkeit, das ergibt einen Dialog, wenn man’s richtig macht, dann geht es um den Kern und man vergisst auf die ganze Berühmtheit.“ Troller ist einer, der über die eigenen tektonischen Schichten recht genau Bescheid weiß: Wäre da nicht dieser Spaß am ProvoBUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 zieren und Evozieren, trügen seine Arbeiten nicht die unverwechselbare Handschrift, hätte er nicht „das Privileg, mit jenen Personen zu filmen, die ich haben will“. Gleichzeitig sieht er sich selbst als „introvertiert, menschenscheu, ablehnend – bis heute“, als jemanden, „der lieber eine halbe Stunde in die falsche Richtung geht, bevor er nach dem Weg fragt“. Zu seiner Einschätzung der aktuellen TVLandschaft befragt, verortet Troller, der das Medium in- und auswendig kennt, eine „erschütternde Plattheit vor allem der Reality-Shows“ und fragt sich: „Wieso interessieren sich Leute dafür, die ich vor Jahren interessieren konnte?“ und liefert im selben Atemzug eine seiner wunderbaren Anekdoten: „Als ich mit den ‚Pariser Journalen‘ begonnen habe, war das Anforderungsprofil eigentlich empörend, nämlich locker, lecker, leicht gewürzt. Heute schätzt man dasselbe Zeug als viel zu anspruchsvoll ein.“ „Politiker müssen ja lügen, sonst können sie ihren Job nicht machen!“ großes Freilichtmuseum, das ist schon in Ordnung. Aber für mich wohnen da zu viele Erinnerungen.“ Ein Standpunkt von einem Emigranten wider Willen, von einem, der nie aufgehört hat zu fragen, „wie wird man, was man geworden ist“, von einem, den die Menschen interessieren. Einer, der ohne großes Brimborium erzählt: „Ich hab auch viele Filme im Knast gemacht, mit Mördern, und um die zum echten Erzählen zu bewegen, muss man ihnen vermitteln, dass man sich selbst den Moment des Außer-sich-Seins ebenfalls vorstellen kann, sich für fähig dazu hält – denn das Verstehen ist ja der Beginn jeder menschlichen Verbindung.“ Jener Mann, der das Ehrenkreuz der Repu- blik Österreich ausgeschlagen hat und bis heute auf eine Reaktion auf seinen Ablehnungsbrief wartet, tut diese Angelegenheit mit einem beinahe schelmischen Schulterzucken ab: „Ist auch in Ordnung, hat man halt Portokosten gespart. Aber ich war ja in Paris mit auf der Straße bei den Protesten gegen Haider – da kann ich doch so einen Orden nicht annehmen.“ Bei all dieser Leichtfüßigkeit an der Oberfläche darf aber der scharfe Blick auf die (internationale) Politik nicht unterschätzt werden. Neben einem publikumswirksamen Ausspruch wie „Politiker müssen ja lügen, sonst könnten sie ihren Job nicht machen“, steht die brillant verdichtete Analyse des angeblich mächtigsten Mannes der Welt: „Ich erkenne im entschuldigenden Lächeln des ehemaligen Trunkenbolds die einzige echte Erfahrung, die er je gemacht hat: die Bekehrung zum „anständigen“ Menschen – und Millionär.“ Zu Wien mag Georg Stefan Troller nicht allzu viel sagen, „sein“ Wien ist ja nachzulesen in dem Band „Das fidele Grab an der Donau“. Ansonsten: „Ein Touristenstadl, ein AUTOR & BÜCHER Georg Stefan Troller, geboren 1921 in Wien, emigrierte 1938 über die Tschechoslowakei nach Frankreich, wo er als „feindlicher Ausländer“ interniert wurde, gelangte 1941 in die USA, wurde US-Bürger, diente 1943-46 freiwillig in der US-Army und lebt seit 1949 in Paris. 1962-94 drehte er neben diversen anderen Filmen für WDR und ZDF die Fernsehserien „Pariser Journal“ und „Personenbeschreibung“. 2005 wurde G. S. Troller mit dem Theodor-KramerPreis ausgezeichnet. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen: Dichter und Bohemiens. |Literarische Streifzüge durch Paris| Artemis & Winkler 2003, 240 S., EurD 19,90/ EurA 20,50/sFr 34,90 |Das fidele Grab an der Donau. Mein Wien 1918-1938| Artemis & Winkler 2005, 300 S., EurD 24,90/EurA 25,60/sFr 43,70 |Ihr Unvergesslichen. 22 starke Begegnungen| Artemis & Winkler 2006, 296 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 34,90 17 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:27 Uhr Seite 18 B U C H W E LT Blutorte mit Panorama „Transflair“ nennt sich eine spannungsvolle literarische Begegnung im ULNÖ, dem Literaturhaus in Niederösterreich. Eingeladen waren zuletzt Paulo Lins und Alfred Komarek. Moderiert wurde das Treffen VON KLAUS ZEYRINGER, der es für die Buchkultur dokumentierte. B 18 Eine spannende Begegnung: Paulo Lins (m.) und Alfred Komarek (re.) Literarischen eine Atmosphäre. Das Inferno kann sich in allen möglichen Gegenden befinden. Komarek und Lins schildern Blutorte, die Bücher sind verfilmt, die Polt-Krimis und „City of God“, mit mehreren Oscar-Nominierungen versehen. Für Paulo Lins bildet freilich Rios schreckliches Viertel keine Krimikulisse: Hier geht es kaum um die Suche nach dem Täter, hier ist offensichtlich, wer wen umlegt. Für die Entstehung des Romans „Die Stadt Gottes“ spielte ein austrobrasilianischer Kritiker eine wesentliche Rolle, und nun ist der Autor dieses Bestsellers zum ersten Mal in Österreich. Er liest in seinem weichen, melodiösen Rio-Portugiesisch. Die vom Moderator vorgetragene deutsche Fassung klingt härter. „Fehlt das Wort. Spricht die Kugel“, heißt es, wenn der Dichter nach alter Manier die Poesie anruft, „Falha a fala. Fala a bala“ im Original. Paulo Lins ist im Armenviertel aufge- wachsen, hat in Rio de Janeiro studiert. Zwischen 1986 und 1993 arbeitete er an einem Projekt der Anthropologin Alba Zaluar über Kriminalität in unteren sozialen Schichten mit, über organisiertes Verbrechen und Drogenhandel. Die tatsächlichen Begebenheiten und den Bandenkrieg in der Cidade de Deus verdichtete er unter diesem Titel zu einem schonungslosen, erschütternden Roman, in einer mit dem Vokabular der Favela durchsetzten Sprache. Mehrere Handlungsstränge, Rückblicke sowie auch Vorgriffe ergeben eine Spannung und eine Dynamik, die dem Leben in der Stadt Gottes gerecht werden. Dialoge und innere Monologe erhöhen die Glaubwürdigkeit, die Elemente der Poesie müssen es mit dem Lärm der Schüsse aufnehmen. Die Kugel spricht dauernd in dieser Vorhölle. „Inferninho“, kleine Hölle, heißt der erste der drei Romanteile. Sie sind jeweils nach einem Gangsterchef benannt und enden mit seiner Ermordung. Die Gewalt ist repetitiv und blank, sie braucht kaum eine andere Motivation als die sozialen Zustände, den Blutort. Die Kindheit in der Favela, die Armut, die die Menschen in einen aggressiven Alltag zwingt, mit eigenen Regeln, einem Macho-Ehrenkodex. Laut Alba Zaluar lag hier die Lebenserwartung bei 25 Jahren, im Bandenkrieg der Cidade de Deus starben über 720 Jugendliche. In Göttweig liest Paulo Lins aus einer anderen Welt. Österreich sei sehr seriös, sagt der Dichter aus Rio, der ein Buch über die Sklaverei in Arbeit hat. Für ihn sei das Schreiben eine Möglichkeit, seine persönliche Erfahrung mit dem Rassismus zu verarbeiten. Célia Mara steigt mit der Gitarre aufs Podium. „Mercado modelo“ singt sie über einen Sklavenmarkt, ihre Stimme wechselt eindrucksvoll zwischen weich und rau. „Bastardista“ heißt ihre CD. Mit Alfred Komarek kommt ein anderes BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTOS: PETER WILLENSDORFER oa tarde, guten Abend, auf dem Podium Paulo Lins, ein Romancier aus Rio de Janeiro, eine Dolmetscherin, ein Moderator, Alfred Komarek, ein österreichischer Krimidichter, später eine brasilianische Sängerin, die das halbe Jahr in Wien lebt, zwischendurch ein Winzer und Weine aus der Gegend. „Transflair“ Drive: Sitzt man spätabends im Panoramasaal des hügelhoch gelegenen Stiftes Göttweig, bedarf es keiner ausufernden Phantasie, sondern nur einer Filmreminiszenz, um aus dem Lichtermuster da unten in der Ebene bis zur Donau, bis Krems ein Nachtbild von Los Angeles entstehen zu lassen. Boa tarde, der Carioca Lins hat seinen bunten Wollschal abgelegt, er blickt lächelnd ins Publikum, der Saal ist gesteckt voll, Alfred Komarek nippt verschmitzt am Wasserglas, im Panorama leuchtet L. A. an der Donau. Die Veranstalter, das ULNÖ diesmal mit dem Wiener Lateinamerikainstitut, haben den Abend als Kontrapunkt zum klösterlichen Raum unter den Titel „Blutorte. Rio. Weinviertel“ gestellt. Idylle und Inferno, Kellergassen und Kriminalfall. Die einschlägige Gattung, in der Gewalt als Rätsel angelegt und aufgelöst wird, ist der Krimi, der literarisch an Bedeutung gewonnen hat. Bei allem Variantenreichtum bleiben eine Detektivfigur und eine örtliche, regionale Fixierung seine spezifischen Fundamente. Die Umwelt des Tatortes setzt das Unmenschliche in einen menschlichen Kontext, sie gibt dem Verbrechen einen Hintergrund, dem 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:28 Uhr Seite 19 B U C H W E LT Ambiente zur Sprache. Er trägt eine PoltGeschichte vor, in den Dialogen dialektal. Lins erzählt vom Plündern, Morden, Vergewaltigen im Elendsviertel, vom jungen Banditen als eine Art Popstar dieses Milieus, in dem Kinder Whisky trinken und koksen. Bei Komarek geht es weit weniger wild zu, da wird in Preßhäusern bei einem guten Tropfen sinniert. Und dennoch ist in seinen Romanen weder das Weinviertel noch das Salzkammergut nur eine gemütliche Gegend. Komarek hat sich seine Blutorte gut ausgesucht. Ihn habe es gereizt, einen Krimi in einer oberflächlich ereignisarmen Gegend anzusiedeln. Das fiktive Wiesbachtal, in dem der bedächtige Gendarm Simon Polt waltet, verweist namentlich auf einen locus amoenus. Bis der gewaltsame Tod im Mittel der Gemütlichkeit sichtbar wird: In den Rebensaft mischt sich das Blut des Mordopfers. Die Jurybegründung des Glauser-Preises für den besten Krimi in deutscher Sprache, den Alfred Komarek 1999 erhielt, lobt insbesondere die bildhafte, die atmosphärisch dichte Schilderung des Schauplatzes. Hier agiert Polt, der jedoch keinen Maigret auf dem Dorfe gibt, er ist selbst ein Landmensch und ermittelt gegen jene, die ihm nahe stehen. FOTO: HIGHLIGHT VIDEO So weltenweit unterschiedlich sie erschei- nen – in dem von Sigrid Stroh fein gedolmetschten Gespräch sind sich Lins und Komarek einig, dass ihre Literatur eine präzise, nachvollziehbare Örtlichkeit braucht. Seine Topographie der Weinkeller, sagt Komarek, führe in eine Unterwelt, die einige Geheimnisse berge. Der Mord sei die größte mögliche Ausnahme im Leben. Da solle die Darstellung glaubhaft sein und zeigen, wie die Dorfgemeinschaft reagiert. Um mit Aufrüttelnd: Szenenfoto aus „City of Gods“ Verbrechen einen Lektürespaß zu bereiten, müsse der Krimi ein Spiegelbild einer sozialen und einer geographischen Wirklichkeit liefern. Paulo Lins betont, dass er selbst aus einer Realität der Gewalt komme und auch eigene Erfahrungen wiedergebe. Die Blutorte bemühe er sich umso genauer darzustellen, als er ihnen eine Persönlichkeit zuschreibe. Sowohl bei Paulo Lins als auch bei Alfred Komarek bilden eindringliche Dialoge einen wesentlichen Aspekt der Erzählung, in der „Stadt Gottes“ im kräftigen Soziolekt und im Weinviertel in der Sprache eines Umgangs, der ins Ungemütliche kippen kann. Auf die Frage, was die Poesie vermöge, wenn die Kugel spricht, antwortet Komarek, das Unrecht müsse einen Ausdruck finden – im Weinviertel werde viel geschwiegen, es handle sich um eine Gesellschaft mit starken Ressentiments gegen „das Andere“. Dies könne, im ganz unterschiedlichen Kontext, auch für Brasilien gelten, erklärt Paulo Lins, der seinen starken Bezug zur Poesie, etwa von Guimarães Rosa, betont. Von Anfang an sei die Entwicklung seines jungen Staates mit Gewalt verbunden gewesen, sagt er und verweist auf Seit Monaten auf der Bestsellerliste: »Dieses Buch wird Ihr Leben verändern.« Sunday Times den großen brasilianischen „Nationalroman“ „Os sertões“ von Euclides da Cunha. Über Ungerechtigkeiten, Armut, Rassismus werde oft geschwiegen. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen Hautfarbe und Armut; in den Favelas, schätzt Lins, leben zu 90 Prozent schwarze Bewohner. Von Sklaverei und Rassismus werde sein nächstes Buch handeln. Célia Mara steigt auf das Podium, sie singt eine Antwort auf das weiße Brasilien: Manifesto bastardista. Die beiden Schriftsteller signieren. Man spricht dem Wein zu. An Worten fehlt es nicht. Das Panorama sind Lichter in der Nacht. Klaus Zeyringer ist Vorstand des Deutsch-Département an der Université Catholique de l’Ouest, Angers/F und Dozent an der Universität Graz THEMA „Transflair“ heißt die Lese-GesprächsSerie, die seit zwei Jahren im Unabhängigen Literaturhaus Niederösterreich (ULNÖ; www.ulnoe.at) stattfindet. Literatur bietet Transfer über diverse Grenzen hinweg, das Flair des Bekannten mit dem Flair des Fernen, des Anderen vermengend. „Transflair“ präsentiert Literatur verschiedener Provenienz, Gespräche österreichischer Autorinnen und Autoren mit Kolleginnen und Kollegen von anderswo. Sie vermögen eine Momentaufnahme von Ästhetik, Schreiben und Öffentlichkeit, von Verfahrensweisen und Vorstellungen zu bieten. Paulo Lins |Die Stadt Gottes – City of God| Übers. v. Nicolai von Schweder-Schreiner. Heyne 2006, 496 S., EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 18,20 Alfred Komarek |Die Schattenuhr| Haymon 2005, 208 S., EurD/A 17,90/sFr 31,70 »Harry G. Frankfurts Traktat erklärt das Geschwätz der Gegenwart.« Die Zeit 80 S. Geb. € 8,30 (A) Suhrkamp www.suhrkamp.de 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:30 Uhr Seite 20 _ premium Über den Wolken Das Tor zum Himmel. Das Tor zur Hölle. I l k k a REMES Das hiroshima-Tor _ premium Thriller Übersetzt von Stefan Moster Deutsche Erstausgabe 440 Seiten ¤ 15,– ISBN 3-423-24535-2 Atemlose Spannung im zweiten Thriller des Bestsellerautors. »Verschwörungstheorien und alte Kulturen geben sich bei Ilkka Remes die Hand wie in dem Erfolgsroman von Dan Brown. Doch Remes ist glaubwürdiger, ›Das Hiroshima-Tor‹ einer seiner besten Romane.« Etelä-Saimaa Es hat einige Zeit gedauert, bis Norbert Zähringer auf sein vielbeachtetes Debüt „So“ einen weiteren Roman folgen ließ. Über den jüngsten Roman sprach er mit TOBIAS HIERL. er ein gelobtes Debüt vorlegt, hat es nicht so? In dem Roman ist es so, dass einigen Druck durchzustehen. Denn der Erzähler, der die meiste Zeit im Koma das zweite Buch wird am ersten liegt, der Einzige ist, der diese ganzen Zusamgemessen. Bei Norbert Zähringer menhänge kennt. Die anderen Figuren, die hat es fünf Jahre gedauert, bis der neue Roman miteinander zu tun haben, begegnen sich, fertig war. Doch das Warten hat sich gelohnt aber wissen gar nicht um diese Zusammen(siehe auch Rezension auf Seite 32). Dazwi- hänge, dass sie sich kennen oder dass sie schen waren Arbeiten fürs Radio, immer mal gemeinsame Wurzeln in der Vergangenheit wieder Geschichten in Anthologien und Zei- haben. Ich hatte ja vorher kein Konzept oder tungen. Das erste Buch hatte sich auch nicht so eine komplizierte Struktur, die gebaut so schlecht verkauft und hin und wieder wird und sich am Schluss wieder löst, sonbekam er auch ein Stipendium. „Das sollte dern das passiert einfach. Das ist für mich das man nicht unterschätzen“, meint Zähringer, Spannende beim Schreiben und da steckt für „einen Autor auszuhalten kostet nicht viel mich auch ein Stück Welterfahrung dahinGeld.“ Es ging, aber es wurde schon ein wenig ter. Jeder spricht über die Globalisierung eng. Doch dann war sie fertig, eine sehr ver- heute und was ich da vielleicht gemacht habe, zahnte Geschichte. Eigentlich viele Geschich- ist eine Art der Globalisierung der kleinen ten, die zu unterschiedlichen Zeiten spie- Leute. Aber das ist schon ein wenig Interlen, nach dem 2. Weltkrieg, in den 1980er pretation. Jahren, in der Gegenwart, und doch hängen BUCHKULTUR: Was war eigentlich sie alle miteinander zusammen. Geschickt zuerst da, die Idee für die Geschichte oder verwebt Zähringer seine verschiedenen Erzähl- der Erzähler? stränge und hat sich dafür einen ungewöhn- Zähringer: Ich habe immer so eine Idee, worlichen Erzähler einfallen lassen. Den Stu- auf alles hinauslaufen könnte. Bei diesem denten Alp Tazafhadi, Buch jetzt hatte ich am der bei einer DemonAnfang mehrere Bilder Die Figuren stellten sich im Kopf. Zuerst von stration bewusstlos gedann ein, ich begann sie dem Jungen, der sich im schlagen wird, ins Koma auszuschreiben und fällt, aber im Weiteren Fahrzeugschacht verals Erzähler fungiert. steckt. Dann war mir irgendwann, wenn ich Daneben treten noch diese seltsame AtmosGlück habe, werden sie eine Reihe anderer, phäre der 1980er-Jahre selbstständig. manchmal wunderlicher im Kopf geblieben, und schließlich war ich in den Gestalten auf. Und noch etwas zeichnet Zähringer aus, er scheut sich USA auf diesem Versuchsgelände. Die Figunicht davor witzig zu sein, wenn er es für ren stellten sich dann ein, ich begann sie auszuschreiben und irgendwann, nach einem nötig hält. BUCHKULTUR: Ihr Buch spielt in sehr Drittel etwa, wenn ich Glück habe, werden sie selbstständig. Sie machen dann, was sie unterschiedlichen Gegenden, es lässt sich wollen, lassen sich dann auch nicht mehr nicht genau verorten, spielt auch in verzwingen, etwas anderes zu machen. Das ist schiedenen Zeitebenen. Über allem für mich schön, also zum Schreiben. schwebt ein Erzähler, der überall heimisch W ist. Wollten Sie aufzeigen, dass alles irgendwie zusammengehört und zusammenpasst? BUCHKULTUR: Man merkt eine gewisse Norbert Zähringer: Das ist die große Frage, die ich mir auch selbst immer wieder stelle: Hängt alles mit allem zusammen? Hat alles was wir tun Auswirkungen in der nächsten Zeit oder in der nächsten Welt oder ist Zähringer: Das Abgedrehte kommt nur überbordende Fantasie. Sie lieben also eher schrägere, abgedrehte Geschichten? durch die Zusammenballung zustande. Manches lasse ich mir einfallen, doch manches, hat einen realen Hintergrund. Und ich habe eine Freude daran, immer viele Geschich- www.dtv.de – Ihr Kulturportal BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 13-28 buchwelt 16.05.2006 12:07 Uhr Seite 21 Norbert Zähringer: Der Autor verschwindet, und nur noch das Buch ist da. BUCHKULTUR: Man könnte auch sagen, unter Umständen wäre es auch ein Berlinroman oder würden sie das gezeigte Berlin eher als eine Metapher ansehen? Zähringer: Ich würde schon sagen, dass ist eine Art Metapher für eine Art Insel und auch eine Metapher für eine Art Bundesrepublik, die es eine Weile lang gab, aber im Weiteren auch für eine Insel, wo man überhaupt nicht merkt, was um einen herum passiert. Wenn die Welt aufbricht, merkt es keiner bis auf den Erzähler, der im Koma liegt. Aber einen Berlin-Roman oder unsere Zeit in der WG und so oder einen 80er-Jahre-Roman, das würde ich keine 30 Seiten durchhalten. Weil ich versuche es in einen größeren Zusammenhang zu setzen. *A 'ES VIER-AR 4AN ICHTMOR ÓAS G ZUND4R EN 3EITE A N UM $EIN erschien, ist einige Zeit vergangen? Zähringer: Fünf Jahre. Ich war schon ten zu erzählen. Am Ende hängt das damit zusammen, dass ich selbst ein ganz langweiliges Leben führe. Ich denke, die eine Welt reizt mich und warum soll ich nicht noch ein paar andere dazu bauen. BUCHKULTUR: Es ist nicht nur der Witz, der sie antreibt, es gibt auch da und dort politische Markierungen drin. Das beginnt mit den Demonstrationen und mit dem Doppelagenten und endet noch lange nicht mit den SS-Ärzten. Das ist nicht unbedingt witzig. Zähringer: Naja, um es in einen weiteren Kontext zu bringen, Sie nehmen so viel auf an Informationen, doch das, was wir sehen, ist doch sehr abstrakt. Wir haben die Information, aber nicht die Geschichte dahinter und wenn man historische Wegmarken aufgreift, sollte man versuchen, diesen in die Geschichte geworfenen Figuren ihre Geschichte wieder zurückzugeben. Mein Versuch ist nun, den Menschen literarisch zu retten, aber auch zu bestrafen. Wie eben den SSArzt. ein wenig auf der Suche. Nach Themen, Umfang und so. Ich hatte Erzählungen angefangen, die dann relativ kurz endeten oder aber Anfänge blieben. Das hat gebraucht, bis ich nach meinem ersten Roman wieder meinen Tritt gefunden habe. Es war auch sehr schwierig, nachdem das erste Buch sehr gut aufgenommen wurde, war dann auch der Druck da. BUCHKULTUR: Und beim Schreiben, ist man da nicht unsicher, ob man auf dem richtigen Weg ist? Zähringer: Man ist gerne unsicher. Man muss den Druck für sich selbst aufbauen und dann muss man, was von Außen kommt, filtern. Man überlegt sich, wenn ich mit dem und dem noch rede, bekomme ich vielleicht diesen oder jenen Preis. Da geht viel Zeit drauf. Im Betrieb rudern, seine eigene Werbemaschine sein und noch schreiben, das kann ich nicht. Ich muss dann verschwinden. Ich finde es auch gut, dass der Autor verschwindet und nur noch das Buch da ist. BUCHKULTUR: Und wird Ihr nächster Roman wieder so ornamental und so verzahnt sein? Zähringer: An manchen Stellen ein wenig FOTO: SUSANNE SCHLEYER ZUM AUTOR Norbert Zähringer, geboren 1967 in Stuttgart, lebt mit seiner Familie in Berlin. Nach seinem Debütroman „So“ legte er nun seinen zweiten Roman vor. Norbert Zähringer |Als ich schlief| Rowohlt 2006, 288 S. EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 34,90 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 geradliniger, aber dass es irgendwann nicht ein wenig durchgeht, das werde ich nie ganz verhindern können. Ich nehme an, der nächste Roman wird ein wenig umfangreicher sein und wenn der Raum größer ist, ist das Tempo und der Rhythmus anders. Im Moment macht es mir aber noch Spaß so zu erzählen. Insofern wird von diesem Ton im nächsten Roman was drin sein. :EIGTESSICHHEUTE BUCHKULTUR: Bis dieser Roman 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:35 Uhr Seite 22 B U C H W E LT Die Überraschung des Lesefrühlings: Schon wenige Tage nach der Auslieferung war der Roman von Neoautor Thomas Sautner vergriffen. „Fuchserde“ besticht durch eine Familiengeschichte aus der Welt des fahrenden Volkes. VON DITTA RUDLE u wenig Sitzplätze bei der Präsentation des Buches, Wochen davor schon das erste Kapitel in der „Presse“ abgedruckt und die erste Auflage bereits verkauft, ehe alle RezensentInnen das Vorausexemplar zu Ende gelesen haben. Ein Erfolg, der PicusVerleger Alexander Potyka zum ausgelassenen Stepptänzer werden ließ. „Erfolg, das ist eine unberechenbare Mischung aus Talent, Glück und Arbeit, und oft auch ein Missverständnis“ formulierte etwas boshaft Carl Zuckmayer. Hätte der Autor seinen neuen Kollegen Thomas Sautner gekannt, hätte er vom falschen Verständnis nicht gesprochen. Der überraschende Erfolg von Sautners Debütroman „Fuchserde“ ist nichts weniger als ein Irrtum. Sonst aber hat Zuckmayer schon Recht. Talent, harte Arbeit und auch eine gute Portion Glück sind dem 36jährigen sehr wohl zu bescheinigen. Zwei Jahre lang hat er recherchiert, um mehr über die Jenischen zu erfahren, als ihm sein Freund, selbst einer aus dem Volk der Fahrenden, bisher erzählt hat. Sein Talent zum Schreiben hat er bereits während seines Studiums als Journalist bewiesen. Möglich, dass die journalistische Ausbildung und das abgeschlossene Studium der Politik- und Z 22 Zeitgeschichte ihn davon abhalten, einfach nur so daherzufabulieren. Was Sautner erzählt hat realen Hintergrund und aufklärerische Wirkung. Wer weiß denn schon, wer oder was diese „Jenischen“ sind? Eine kurze Erklärung ist deshalb notwendig. Wie Sinti und Roma sind die Jenischen Angehörige des „fahrenden Volkes“. Ihre Herkunft ist nicht restlos geklärt, doch sind sie vermutlich europäischen Ursprungs, vielleicht Nachfahren der Kelten. Das Fahren und Umherziehen, einst wohl aus der Not geboren, ist ihnen Tradition und Lebensform. Im 19. Jahrhundert verdienten sie ihr Brot als Kesselschmiede, Korbflechter, Hausierer oder Schausteller. Oft wurden sie als „weiße Zigeuner“ bezeichnet. Heute, so nimmt man an, leben in Europa zwischen 250.000 und 1,5 Millionen Jenische. Auch nach der Verfolgung durch die Nationalsozialisten waren die Fahrenden als „asoziale Störenfriede“ nicht gern gesehen. Nicht nur in der Schweiz, auch in Österreich, wurden ihnen vielfach die Kinder weggenommen, um aus ihnen „brave Bürger“ zu machen. Nicht verwunderlich, dass die Jenischen nicht als solche erkannt werden wollten. Erst in jüngster Zeit erwacht wieder neues Selbstbewusstsein in den Jenischen, vor allem Künstler, Schriftsteller und Puppenspieler geben ein deutliches Lebenszeichen. In Österreich sind Jenische als Volksgruppe anerkannt. Thomas Sautner ist kein Jenischer, auch wenn er in jener Gegend geboren wurde, in der große Teile seines Romans spielen, in Gmünd. Wie gesagt, das Interesse an den Fahrenden und ihrer Geschichte weckte ein Freund, dem Sautner Löcher in den Bauch fragte. „Jedes Kapitel hat er gegengelesen. Ich wollte, dass der Roman der Realität entspricht.“ Um diese zu belegen, sind der abenteuerlichen Geschichte zweier fiktiver Familien sachliche, kursiv gedruckte Absätze eingefügt. Ohne dies würde manches aus dem Leben von Lois und Frieda, erzählt von Urgroßvater Lois seinem „kleinen Fuchs“, als pure Fantasie abzutun sein. Ein Geschichtsbuch sollte „Fuchserde“ nicht werden, auch wenn die Geschichte der Jenischen den Handlungsstrang bildet. Zugleich wollte der Autor aber die LeserInnen anregen, auch über sich nachzudenken. „Wie lebst du dein Leben? Das ist eine Frage, die zwischen den Zeilen steht.“ Bei der vorsichtigen Andeutung, dass neben sensiblen Naturschilderungen und köstlichem unterschwelligem Humor auch „missionarisches Bestreben“ und liebevolle „Romantisierung der Fahrenden“ spürbar sei, reißt er verschreckt die dunklen Augen auf, schüttelt die schwarzen Locken: „Da muss ich aufpassen.“ Das nächste Thema hat Sautner bereits im Kopf, im Herzen und auch auf 50.000 Zetteln, die durchwühlt werden, wenn er an seinem Laptop sitzt. Sautner huldigt nicht der von vielen Schriftstellern geübten Praxis des umständlichen händischen Kritzelns – er beschreibt den Computer nahezu als Muse: „Die Sprache ist schneller und nicht mehr so edel.“ Vor allem aber erfreut ihn die Technik des Streichens, Löschens und Verschiebens. „Wenn ich mir die Melodie anhöre und es kratzt und quietscht, muss ich eine neue Note suchen.“ Das geht technisch ganz einfach, ohne dass chaotisches Geschmiere entsteht.“ Dennoch wird der nächste Roman „kein klassischer Nachfolger, sondern ganz was anderes.“ Davor aber steht ihm weit Größeres bevor, die Geburt seines ersten Kindes. Wenn der Bub in die Schule geht, hat der Vater vielleicht sein Ziel erreicht: „Vom Schreiben leben zu können“. Ach ja, eine Zuckmayersche Zutat zum Erfolg fehlt ja noch: das Glück. Dieses brachte Waldviertel-Nachbar und nun auch Kollege Robert Menasse ein. Er legte ein gewichtiges Wort für den Neuling ein: „Dieser außergewöhnliche Debütroman … ein Buch voller Weisheit, berührend, humorvoll und unglaublich spannend.“ Wer könnte da widerstehen. Schon der dritte angefragte Verleger konnte nicht. ZUM AUTOR Thomas Sautner, geboren 1970 in Gmünd, lebt und arbeitet in Wien und im Waldviertel. Thomas Sautner |Fuchserde| Picus 2006, 220 S., EurD/A 19,90/sFr 34,90 Informationen über die Jenischen: www.jenisch.info BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTO: ALEXANDRA EIZINGER Gewonnen! Gewonnen! 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:37 Uhr Seite 23 B U C H W E LT lisa ist Immobilienmaklerin. Sie ist gut in ihrem Job, aber irgendwas stimmt nicht mit ihr. „Ich hatte zu viele Totgeburten“, sagt sie über sich. Plötzlich brennen Wohnungen aus, die sie eigentlich vermieten sollte. Ist sie für die Brände verantwortlich? Und was hat es mit den Mädchenmorden auf sich, die in ihrer Kindheit stattgefunden haben? „stillborn“, der erste Roman von Michael Stavaric, schickt eine raue Heldin auf den Weg zu sich selbst. Für Elisa ist das ganze Leben, sogar das Atmen eine Aufgabe, die sie sich nicht ausgesucht hat und zu der sie sich jeden Moment neu überwinden muss: Lebe, verdammt, atme. Wer so mit dem Alltag kämpft, braucht keine großen Katastrophen mehr, um erschöpft zu sein. Die Liebesbeziehung mit dem Ermittler Georg, der die Brände aufklären soll, lässt Elisa eher überrascht über sich ergehen, Chef und Kolleginnen im Büro gehen ihr in unterschiedlichen Abstufungen auf die Nerven. Warum sie nicht glücklich ist, kann ihr auch ihr Psychiater nicht sagen. Aber als sie sich auf den Weg zurück zu ihrer Mutter macht, erwarten sie einige Antworten. E FOTO: RESIDENZ VERLAG Atemlose Sprache. Michael Stavaric, 1972 in Brünn in der damaligen Tschechoslowakei geboren und im niederösterreichischen Laa an der Thaya aufgewachsen, ist Assistent des tschechischen Botschafters in Wien, er übersetzt aus dem Tschechischen – und er schreibt auf Deutsch. Und so atemlos, wie Elisa durch ihr Leben hetzt, so atemlos ist auch die Sprache, die er für sie gefunden hat, die mäandert und vorwärts drängt und voller Assoziationen, Zitate und spontaner Einfälle steckt. Kaum einmal kommt Stavaric bei einem eindeutigen Ausdruck zur Ruhe, sondern setzt immer wieder von neuem an, die Ereignisse zu beschreiben. Auch pflegt Elisa als Erzählerin die Liebe des Autors zu Listen oder spielt in Gedanken Lebensmodelle durch, die sie nie gehabt hat: einen Ehemann, Kinder, gemeinsames Abendessen, Alltag. All das zusammen genommen ergibt das Bild einer Welt, die über Elisa fast zusammenschwappt und die sie gerade noch aufzeichnen, aber kaum mehr ordnen kann. – Einen ähnlichen überbordenden Tonfall kennen die LeserInnen von Stavaric’ Buch „Europa. Eine Litanei“ (kookbooks), in dem er recherchierte und erfundene Informationen, Gesetze und Sprichwörter verschiedenster Provenienz zu einem bunten Panoptikum verwob und dem menschlichen Gerede ein ebenso lieBUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 Michael Stavaric mutet seiner Heldin einiges zu. Denn eigentlich geht es um Elisa und Lebe. Atme. Michael Stavaric beeindruckt mit seinem Romanerstling „stillborn“. Auch PAMELA KRUMPHUBER war von dessen rauer Heldin angetan. bevolles wie ironisches Denkmal setzte: „Und jeder meldet“. – Die Suche nach dem richtigen Ton stand auch am Beginn des Schreibens von „stillborn“, erzählt Michael Stavaric: „Ich weiß noch, dass ich auf dem Rückweg von einer Frankfurter Buchmesse im Zug saß und zu schreiben begonnen habe. Das Geräusch der Schwellen, über die der Zug fährt, ihr regelmäßiger Rhythmus hat sich wohl in der Sprache niedergeschlagen. Bevor ich mir Gedanken über eine Handlung mache, beschäftige ich mich immer mit formalen Fragen.“ Dass die Krimielemente von Bränden und Morden auf der Handlungsebene im Vergleich dazu eher nebenbei eingestreut werden und Michael Stavaric auf die im Krimi obligatorische dramatische Aufklärung fast verzichtet, ist deshalb auch beabsichtigt. „Für mich war die Krimihandlung immer nur ein Ausgangspunkt. Ich wollte die Erwartungen, die damit geweckt werden, enttäuschen, damit der Leser sich intensiver mit dem Buch auseinander setzen muss.“ darum, wie sie mit ihrem Leben und ihrer Vergangenheit zurechtzukommen lernt. Einige Rezensenten hat diese Figur vor den Kopf gestoßen, sie empfanden sie als sehr düster und halb wahnsinnig. Die differenzierte innere Perspektive, die Michael Stavaric für seine Figur entwickelt hat, mag ein wenig den Blick verstellen auf die konkreten Fortschritte, die sie im Laufe des Buches macht und dass sie alles andere als verrückt ist. Tatsächlich gewinnt sie Abstand und entwickelt eine ironische Sichtweise auf sich selbst, sie stellt sich der Auseinandersetzung mit ihrer Mutter und mit ihrem Psychiater – auch wenn gerade der immer wieder an der Nase herumgeführt wird. Die Botschaft ist jedenfalls hoffnungsvoll: Reden, hinschauen, zu sprechen beginnen setzen die Entwicklung in Gang. Danach kann es nur mehr besser werden. Trotzdem umschifft „stillborn“ geschickt die Gefahr, zur Nabelschau oder zum bloßen Psychogramm zu geraten. Schon allein die Tatsache, dass Elisa als toughe Maklerin arbeitet, verhindert Larmoyanz und Selbstverliebtheit. Sehr genau zeigt der Roman, dass sich eine gute Verkäuferin keine Animositäten leisten kann und auch im Privatleben eher auf Witz und Durchhaltevermögen setzt, als sich auf die Unterstützung durch andere zu verlassen. Die geschilderten Zumutungen des Büroalltags und gar das Verkaufen-Müssen als Lebensunterhalt verankern „stillborn“ zusätzlich in einer sehr realen Arbeitswelt, in der um jeden Preis Abschlüsse gemacht werden müssen und die Angestellten sehen können, wo sie bleiben. Dass sie sich deshalb manchmal für tot geboren halten, ist da nur logisch. Dass sie trotzdem leben und atmen und das auch lernen können, zeigt dieser spannende Roman. ZUM AUTOR Michael Stavaric wurde 1973 in Brno geboren, lebt heute in Wien als Autor, Übersetzer und Herausgeber. Michael Stavaric |stillborn| Residenz 2006, 171 S., EurD/A 17,90/sFr 31,70 23 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:38 Uhr Seite 24 lle vier Jahre treffen sich die – in aufreibenden Qualifikationsspielen ermittelten – besten Fußball-Mannschaften der Welt, um die stärkste, am schönsten spielende, rundum beste Nation zu ermitteln. Denn Weltmeister wird nicht nur eine Mannschaft von mehr oder minder überragenden Spielern, sondern stets ein ganzes Land. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass während der WM-Endrunde 2002 in Japan und Südkorea über 30 Milliarden Zuseher vor dem TV mitfieberten. Selbst jene, deren Nationalmannschaften nicht dem erlauchten Kreis angehören, verfolgen die Wettkämpfe mit Spannung. Im Gastgeberland ist die Vorfreude durch zahlreiche Werbeeinschaltungen, in denen, trotz Fehlens jeglicher Affinität, Fußbälle durchs Bild rollen oder Fangesänge angestimmt werden, schon etwas ausgereizt. Als ob die endlosen Teamchef- und Torhüterdiskussionen nicht ermüdend genug gewesen wären. Der medialen Übersättigung zum Trotz, wird die WM-Endrunde ein faszinierendes Ereignis, das jede/n in seinen Bann zieht. Und sei es, weil sich uneingeweihte Zuseher über den Enthusiasmus der Fußballverrückten Anhängerschaften samt ihrer magischen Rituale amüsieren dürfen. A 24 Wenn am 9. Juni unter der Münchner Abendsonne Deutschland und Costa Rica zum Eröffnungsspiel der 18. Fußball-Weltmeisterschaft aufeinander treffen, regiert einen Monat lang das runde Leder. Um die Wartezeiten zwischen den Spielen zu verkürzen, haben die Verlage für ausreichend Lesestoff gesorgt. VON HANNES LERCHBACHER La Ola Von dieser „Magie des Fußballs“ schreibt Luisa Francia in ihrem ein wenig zu esoterischen Buch „Ballzauber“. Neben den symbolischen Bedeutungen von Trikotnummern und -farben, erklärt sie kultische Rituale am sowie abseits des Spielfeldes. Es sind tatsächlich magische Momente, wenn La Ola, die Welle, durch eine ausverkaufte Fußballarena läuft, während die auserwählten Balltreter auf dem Rasen ihre natio- nale Ehre verteidigen. Nicht dass diese Begegnungen zwangsläufig auf höherem Niveau wären als gewöhnliche Länderspiele, aber der Enthusiasmus auf den Rängen und die große mediale Aufmerksamkeit verleihen dem Ganzen einen gewissen Zauber. Die rund 700 Fotos, die Christian Eichler für „FußballWeltmeisterschaften – Tag für Tag“ zusammengetragen und kommentiert hat, zeigen Szenen wie sie eigentlich in jedem x-beliebigen Spiel vorkommen. Aber dennoch merkt man vielen dieser Bilder ihre historische Bedeutung und die großen Emotionen an. Derartig kultische Zusammenkünfte benötigen einen entsprechenden Rahmen. Diesen stellt der 30 mal 47 cm große Bildband „2:0 0:6 – Die Stadien“ in rund 350 Abbildungen und informativen Texten vor. 2000 Jahre Stadionbau und die 12 hochmodernen WM-Arenen, für Architektur- und Fußballfans kompakt präsentiert. Große Leidenschaft und Hingabe zeigt der Fotoband „365 Fußball-Tage“. 25 Jahre lang hat Kai Sawabe in Stadien, Cafés, auf der Straße, … weltweit Szenen der Hingabe und Begeisterung eingefangen. Während sich die einen nun hemmungslos dem Kult mitsamt seinen Ritualen hingeben, steht anderen eine harte Zeit bevor. Auch wenn das Image vom reinen Männersport BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTOS: AUS „365 FUSSBALL-TAGE“ VON KAI SAWABE/WERKSTATT (LI.), „FUSSBALL-WELTMEISTERSCHAFTEN“ VON CHRISTIAN EICHLER/KNESEBECK Fussballfieber 13-28 buchwelt 16.05.2006 12:22 Uhr Seite 25 B U C H W E LT lange überholt ist, leiden viele Frauen unter dem männlichen Passivsportverhalten. In „Abseitsfallen“ geben Harald Braun und Julia Möhn Nachhilfe in Sachen Fußball und haben mehr oder weniger nützliche Tipps parat, wie frau die WM schadlos übersteht. Die Frage ist allerdings, ob es sich lohnt, zu diesem Zweck 300 Seiten über Fußball zu lesen. Harald Braun, Julia Möhn |Abseitsfallen| Lübbe 2006, 280 S. EurD 6,95/EurA 7,20/sFr 12,90 Christian Eichler |Fußball-Weltmeisterschaften – Tag für Tag| Knesebeck 2005, 744 S., EurD 25/EurA 25,70/sFr 44,70 Luisa Francia |Ballzauber| Nymphenburger 2006, 200 S. EurD 14,90/EurA 15,40/sFr 26,80 Kai Sawabe, Bertram Job |365 Fußball-Tage| Die Werkstatt 2006, 372 S., EurD 24,90/EurA 25,60/sFr 43,70 Chris van Uffelen |2:0 0:6 – Die Stadien| Verlagshaus Braun 2005, 180 S., EurD 49,90/EurA 51,30/sFr 76,90 Wissenschaft Vollblutfans werden die WM zur Weiterbildung nutzen und die Zeit zwischen Schluss- und Anpfiff dem Studium widmen. Von wegen einfach gegen den Ball treten. Quantenphysiker und Fußballwissenschafter Ken Bray schildert in „Wie man richtig Tore schießt“ informativ und verständlich die Entwicklung des Sports – auf körperlicher, mentaler sowie technischer Ebene – und analysiert Spielsysteme, Schusstechniken, Standardsituationen etc. Wie jede Wissenschaft hat auch das Spiel elf gegen elf seine eigene Sprache. Zum besseren Verständnis von Kommentatoren und Spielern erläutert Ulf Geyersbach in „Fußballdeutsch“ oft verwendete Begriffe, von „AMannschaft“ bis „Zwingend“. Dass so ein Lexikon auch nicht immer ausreicht, zeigt „Sprechen Sie Fußball?“, eine Sammlung großteils überstrapazierter Zitate. Denn Karl-Heinz Rummenigges Aussage, „Wenn man über rechts kommt, muss die hintere Mitte links wandern, da es sonst vorn Einbrüche gibt.“, lässt sich auch damit nicht so recht entwirren. In seiner ein wenig unübersichtlichen Kickerbibel „Das sind Gefühle, wo man schwer beschreiben kann“ versammelt Harald Braun neben altbekannten Sprüchen einige interessante Spielpaarungen, für jede Spielminute ein geschichtsträchtiges Ereignis, die 10 Gebote für Fußballer, Spielerfrauen, Trainer u. v. m. Unterschiedliche Ansichten sind an Fußballstammtischen, vor allem zu später Stunde, keine Seltenheit. Hat sich Günther Netzer einst wirklich selbst eingewechselt und war Sepp Maier der beste deutsche Torwart? BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 Großer Einsatz: Frankreichs Tormann Fabien Barthez verteidigte im WM-Finale 1998 gegen Brasilien sein Tor mit allen Mitteln („Fußball-Weltmeisterschaften“, Knesebeck). Wolfgang Hars bestätigt bzw. berichtigt viele mehr oder minder interessante Fragen und räumt dabei mit so manchem Mythos auf. Fußball basiert auf Zahlen. Es gibt einen Ball, zwei Halbzeiten, das 3. umstrittene Wembley-Tor, … Stefan Mayr versucht mit „Es steht 0:0. Oder umgekehrt?“ Ordnung in das Zahlen-Chaos zu bringen. Von elementarer Bedeutung für alle Fans sind Tabellen und Statistiken. Ohne die geht gar nichts. Umfassende Daten, zu zahlreichen nationalen Ligen und Pokalbewerben sowie den internationalen Turnieren, finden sich übersichtlich aufbereitet im Handbuch „Ich sag dir alles – Fußball“. Da erfahren wir unter anderem, dass sich die bislang 17 WM-Titel auf gerade mal sieben Nationen verteilen: Brasilien (5), Italien und Deutschland (je 3), Argentinien und Uruguay (je 2), England und Frankreich (je 1). Glaubt man den Wettbüros, wird am 9. Juli keine weitere Nation dem elitären Kreis beitreten. Dennoch lebt die Hoffnung auf eine spannende Endrunde. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Favoriten auch erst einmal gewinnen müssen. Weniger trockene Fakten bietet „Fast alles über Fußball“. Für sein verspieltes Sammelsurium hat Christoph Biermann eine Vielzahl ausgefallener Tabellen zusammengetragen. Eine Linksfüßer-Weltelf ebenso wie ausgefallene Vereinsfarben, Pokalsensationen, Klubs, die nach einem Stadtviertel benannt sind ... Die Herausgeber von „Der Ball ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“ haben ein hochkarätiges Team aufgestellt, um die 32 Nationen der WM-Endrunde zu porträtieren. Henning Mankell, Nick Hornby, Tim Parks und 29 weitere Autoren beschreiben, mit unterschiedlichen Herangehensweisen, die teilnehmenden Staaten. Christoph Biermann |Fast alles über Fußball| KiWi 2005, 240 S., EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 18,20 Harald Braun |Das sind Gefühle, wo man schwer beschreiben kann!| dtv 2006, 192 S., EurD 4,95/EurA 5,10/sFr 8,90 Ken Bray |Wie man richtig Tore schießt| Übers. v. Annika Tschöpe. Pendo 2006, 290 S., EurD 17,90/EurA 18,40/sFr 32 Ulf Geyersbach |Fußballdeutsch| Ullstein 2006, 160 S. EurD 14,95/EurA 15,40/sFr 26,80 Wolfgang Hars |Nullkommafünfzunull| Scherz 2005, 240 S. EurD 17,90/EurA 18,40/sFr 31,70 |Ich sag dir alles – Fußball| Bertelsmann Lexikon 2005, 400 S.EurD 14,95/EurA 15,40/sFr 26,90 Stefan Mayr |Es steht 0:0. Oder umgekehrt?| Eichborn 2006, 192 S., EurD 14,95/EurA 15,40/sFr 26 |Sprechen Sie Fußball?| Residenz 2006, 64 S., EurD/A 2,90/ sFr 5,40 Matt Weiland, Sean Wilsey (Hg.) |Der Ball ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann| Goldmann 2006, 444 S. EurD 8,95/EurA 9,20/sFr 16,50 Geschichte Der Ursprung des Fußballs reicht weit zurück. Die ältesten vergleichbaren Ballspiele sind aus dem 3. Jahrtausend v. Ch. aus China überliefert. Die modernen Fußball-Regeln, nach denen heute noch gespielt wird, wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England erstmals formuliert. Und es hat lange gedauert, bis die Mannschaften vom Kontinent jenen von der Insel zumindest ebenbürtig waren. Raphael Honigstein schildert in „Harder, better, faster, stronger“ die Geschichte des englischen Fußballs – von der Gründung des ersten Fußballverbandes 1863 bis zur glamourösen Premier League, deren Spiele jede Woche weltweit bis zu einer Milliarde Menschen begeistern. Birgit Schönau setzt sich in „Calcio“, der kurzweiligen Geschichte des italienischen Fußballs, unter anderem mit allmächtigen Vereinspräsidenten und den zunehmenden 25 16.05.2006 11:51 Uhr Seite 26 Stimmungsbilder von Kai Sawabe wie jene holländischen Fans, die noch auf den ersten WM-Titel warten (Verlag Die Werkstatt): 1974 scheiterten Johann Cruyff und Co. erst im Finale an Franz Beckenbauers Mannschaft (Knesebeck). faschistischen Ausschreitungen auseinander. Derlei Schattenseiten hat auch Franklin Foer bei seiner Reise durch die Fußballstadien der Welt kennen gelernt. In „Wie man mit Fußball die Welt erklärt“ schildert er, welche Rolle die Anhänger von Roter Stern Belgrad im Jugoslawien-Krieg spielten, warum das „Old Firm“-Derby in Glasgow nach wie vor Todesopfer fordert, aber auch, was den FC Barcelona so einzigartig macht. Ein faszinierendes Buch über Fans, Funktionäre und Nationalismus. Ein wertvolles Buch für Geschichtsinteressierte ist Dietrich Schulze-Marmelings „Davidstern und Lederball“, die Geschichte der Juden im internationalen Fußball. Politik ist dabei ebenso Thema wie die unvergesslichen Erfolge jüdischer Funktionäre, Trainer und Spieler, die das Spiel prägten. Gibt es im Fußball heute noch Platz für regionale Identitäten, oder positionieren sich Fußballvereine mittlerweile bewusst international? Dieser Frage geht Harald Irnberger in „Die Mannschaft ohne Eigenschaften“ nach. Spannend und schonungslos beschreibt er die Entwicklungen und Mechanismen des internationalen Fußballgeschäfts. Literarisches So ein Fanleben, meist geprägt von seltenen Glücksmomenten und umso längeren Leidensphasen, bietet viel Stoff für Literatur. „Auch ich war einst Pelé“ ist eine unterhaltsame Anthologie geplatzter Träume. Prominente Frauen und Männer erzählten Torsten Körner, woran ihre Fußball-Karrieren einst scheiterten. Nun sind Anne Will, Peter Lohmeyer, Marcel Reif und wie sie alle heißen abseits des Rasens aktiv. Dieses „Versagen“ verbindet Sie mit uns. Claus Farnberger und Gerald Simon beschreiben in „Beruf: Fußballfan“ Freud und Leid des Fanseins. Indem sie über Spielabsagen, Sportkommentatoren und Rassismus sinnieren, locken sie aber keinen Fan hinter dem sprichwörtlichen Ofen hervor. „Die verhinderten Weltmeister“, herausgegeben von Herbert Perl, erzählt in kurzweiligen Beiträgen von 22 herausragenden, aber letztlich gescheiterten Spielern. An oberster Stelle steht der tragische Held Roberto Baggio, dessen verschossener Elfmeter im WM-Finale 1994 in ewiger Erinnerung bleiben wird. Aber auch anderen Legenden wie George Best, Michele Platini oder Johan Cruyff blieb der große Triumph verwehrt. Eine nette Geschichte hat Jan Weiler zum WM-Jahr beigesteuert. „Gibt es einen Fußballgott?“, illustriert von Hans Traxler, erzählt von einem untalentierten Spieler, der mithilfe des Fußballgottes ein Star wird. Aber er muss dem Erfolg Tribut zollen. Eine ebenfalls gelungene Einstimmung auf die WM verspricht die ballrunde Anthologie „Spiele, die Geschichte schrieben“. 11 Autoren lassen 22 bedeutende Fußballspiele zwischen 1872 und 2004 Revue passieren. Neben dem Sportlichen werden auch die gesellschaftlichen Umstände und Auswirkungen der Spiele berücksichtigt. Eine Sternstunde unter den Fußballbüchern ist „Der Ball ist rund“. Wenn Eduardo Galeano über wichtige Ereignisse und große Spieler schreibt, dann tut er das im Stile eines Pelé oder Maradona: tänzelnd und voller Fantasie: „So gehe ich durch die Welt, den Hut in der Hand, und in den Stadien bitte ich: ‚Nur einen schönen Spielzug, Gott vergelt’s‘.“ |Spiele, die Geschichte schrieben| Egoth 2006, 250 S., EurD 29,10/EurA 29,90/sFr 47 Claus Farnberger, Gerald Simon |Beruf: Fußballfan| Molden 2005, 256 S., EurD/A 19,80/sFr 33,90 Eduardo Galeano |Der Ball ist rund| Übers. v. Lutz Kliche. Unionsverlag 2006, 274 S., EurD/A 9,90/sFr 17,90 Torsten Körner |Auch ich war einst Pelé| Aufbau 2006, 219 S., EurD 8,95/EurA 9,20/sFr 16,60 Herbert Perl (Hg.) |Die verhinderten Weltmeister| Kunstmann 2006, 240 S., EurD 16,90/EurA 17,40/sFr 29,90 Jan Weiler |Gibt es einen Fußballgott?| Kindler 2006, 72 S., EurD 7,90/EurA 8,20/sFr 14,60 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTOS: AUS „365 FUSSBALL-TAGE“ VON KAI SAWABE/WERKSTATT (LI.), „FUSSBALL-WELTMEISTERSCHAFTEN“ VON CHRISTIAN EICHLER/KNESEBECK 13-28 buchwelt 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:48 Uhr Seite 27 Die Reise(ver)führer! Günther Schatzdorfer. Erwin Steinhauer EINFACH. GUT. Eine kulinarisch-kulturelle Reise ins Friaul und nach Triest 216 Seiten, 12,5 x 18,5 cm zahlreiche Farbbilder Hardcover mit Schutzumschlag Lesebändchen € 19,90 · ISBN 3-85378-612-X Christoph Wagner · Kurt-Michael Westermann VON VENEDIG NACH TRIEST Traumstraße der Genüsse 224 Seiten, 21 x 21 cm durchgehend farbig, Hardcover € 24,90 · ISBN 3-85378-611-1 Gerhard Pilgram Wilhelm Berger Gerhard Maurer DAS WEITE SUCHEN Eine Reise zu Fuß ans Meer – Wanderungen von Kärnten nach Triest 256 Seiten, 14,5 x 20,5 cm zahlreiche Farbbilder Flexo-Cover € 19,90 · ISBN 3-85378-594-8 Herbert Hacker · Joachim Riedl · Michael Leischner DAS NEUE PIEMONT Im Land von Barolo, Trüffel und Slow Food – Porträt einer Genußregion 240 Seiten, 21 x 21 cm, Hardcover € 26,- · ISBN 3-85378-590-5 www.carinthiaverlag.at 13-28 buchwelt 15.05.2006 16:48 Uhr Seite 28 MITDENOHREN LERNEN $IENEUEN!UDIOTRAINER FàR#$ODER-00LAYER SINDEINE3PRACHREISEFàRDIE/HREN%INFACH ZUHÚRENUNDMITSPRECHENnNOCHNIEWAR 3PRACHENLERNENLEICHTER AUDIOENGLISCH UNTERWEGS )3". !UDIO#$\& AUDIOFRANZÚSISCH UNTERWEGS )3". !UDIO#$\& AUDIOSPANISCH UNTERWEGS )3". !UDIO#$\& AUDIOITALIENISCH UNTERWEGS )3". !UDIO#$\& 7EITERE)NFORMATIONENUND(ÚRPROBEN WWWDIGITALPUBLISHINGDE 4ELEFON INFO DIGITALPUBLISHINGDE 29-42 marktplatz 15.05.2006 16:51 Uhr Seite 29 M A R K T P L AT Z Marktplatz der Bücher Aktuelles. Gutes oder Schlechtes. Auf alle Fälle Bemerkenswertes finden Sie auf den folgenden Seiten. FOTO: AUFBAU VERLAG „Ich bin von normaler Intelligenz“ steht auf den Visitenkarten, die Howard Kapostash bei sich trägt, aber kaum jemals verteilt. Als 18jähriger wurde er nach Vietnam und nach zwei Wochen bei einer Granatenexplosion mit einer schweren Kopfverletzung wieder nach Hause geschickt. Howie ist aus dem Koma erwacht, konnte aber weder lesen noch schreiben noch sprechen – nur denken kann er – seine Intelligenz hat nicht gelitten. Doch wem teilt er das mit? Die quälenden Therapien hat er aufgegeben, als seine Eltern verstorben sind. Jetzt lebt er in seinem Haus wie eine Schnecke. Eine vietnamesische Suppenköchin und zwei Handwerker sind stumme Untermieter. Dann aber wird ihm nicht nur Kommunikation, sondern auch Verantwortung abgefordert. Seine Jugendliebe Sylvia muss eine Entziehungskur machen und hängt dem gutmütigen, stets verfügbaren Howie ihren neunjährigen Sohn an. Vorbei ist es mit dem Scheinfrieden im Schneckenhaus, der neunjährige Ryan verändert allein durch seine Anwesenheit die Menschen und das Leben in Howards Haus. Schade, dass der Aufbau Verlag mit der Titelgebung so auf die Tränendrüsen drückt, denn Dave Kings Erstling ist alles andere als eine sentimental angelegte Behindertengeschichte. Im Original heißt „Homecoming“, im Übrigen flüssig übersetzt von Edgar Rai, „The Ha-Ha“, und das sagt schon eine Menge über die Intentionen des Autors, der Malerei studiert hat, aber seinem Howard auch diese Gnade verwehrt – Howies Welt ist durch seine mangelnde Kommunikationsfähigkeit winzig klein, erst Ryan bringt ihm bei, dass es an ihm selbst liegt, sie ein wenig größer zu machen. Der „Ha-Ha“ also ist Titel und Programm zugleich und auch ein aufgeschütteter Hügel im Kloster, in dem Howard als Gärtner arbeitet. Dort mit dem Mähtraktor hinaufzufahren, bis an die Kippe, ist lebensgefährlich, die Schwestern haben es verboten, doch Howie tut es immer wieBUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 der. Dort nämlich ist die Welt groß und weit und alle Möglichkeiten stehen offen. „Ha-Ha“ ist nicht das unartikulierte Gestammel Howies sondern ein Fachausdruck aus der Landschaftsarchitektur für eine optische Illusion. Eine für den Besucher unsichtbare Geländestufe erweckt den Eindruck, der Garten führte in die Unendlichkeit. Doch in der deutschen Übersetzung scheint der Begriff für alle, die mit der barocken Gartenarchitektur nicht vertraut sind, als bedeutungsloses Gestotter. Für Howard steht der HaHa für jenen Moment während der Explosion, als sich der Boden von seinen Füßen löste, der Körper schwerelos rotierte, er goldenen Staub am blauen Tropenhimmel sah. Danach wurde es finster. Am Scheitelpunkt des Hügels erlebt Howie diesen Moment immer S P E Z I A LT I P P AUF DER KIPPE SELTENE AUGENBLICKE Es ist eine eigenartige Gruppe, die da durch Südafrika reist. Dawud, ein persischer Dichter, der für eine Lesereise eingeladen wurde und seine Begleiter Attar, Soraya, Frug, Malek und Rumi. Eine merkwürdige Gesellschaft. Denn drei davon sind tot. Um gleich allen Unmut auszuräumen, es handelt sich nicht um eine Zombiegeschichte! Ganz im Gegenteil ist es eine höchst poetische Erzählung von Kader Abdolah, einem iranischen Autor, der vor 16 Jahren mit seiner Familie aus politischen Gründen flüchtete und nun in Amsterdam lebt. Eine Geschichte über drei Kulturen, die persische, die niederländische und die südafrikanische und über einen Dichter, der nirgends so richtig zugehörig ist und immer in anderen Sprachen leben muss. Gekonnt verwebt er dazu Verse südafrikanischer und persischer Dichter. Jedes Kapitel wird noch durch ein Zitat aus einem mittelalterlichen persischen Reisebericht eingeleitet. Durch diese wieder, diesen Moment, in dem sich die Welt in die falsche Richtung gedreht hat. Doch „Homecoming“ ist kein Buch über die Folgen des Krieges oder gar über Politik, so billig gibt es King nicht. Auch vermeidet er die ach so korrekte Bitte „Seid lieb zu den Behinderten, denn sie sind gute Menschen“. Im Zentrum der Geschichte von Howie und Ryan, Laurel und Sylvia steht das Zoon politikon, das gesellige Wesen, das aus seinem Schneckenhaus heraus kommen muss, dann wird es auch Hilfe und Zuneigung finden. Eine zutiefst humanistische Botschaft. DITTA RUDLE Fazit: Es nützt nichts, das Wort muss heraus: berührend. Außerdem: humorvoll, aufregend, begeisternd und stilvoll. Dave King |Homecoming| Übers. v. Edgar Rai. Aufbau 2006, 471 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 36 Stilmittel entstehen weitere Ebenen, die viele Sichtweisen zulassen. Durch den Kunstgriff mit den ungewöhnlichen Begleitern, von denen einer sogar der Erzähler ist, wird es Abdolah möglich, Vergangenheit und Gegenwart fließend zu verbinden. Da wären die Verfolgungen und die Unterdrückung im Iran, sowie Südafrika mit seinen Rassenkonflikten und den alten Geistern, die noch immer existieren. Dawuds Gefährten sind real und sind es doch nicht. Vielleicht ein Traum. Sie reisen mit in seiner Seele und manchmal gehen sie auf eigene Faust los und er hat keine Kontrolle mehr über sie. Sie können noch mehr, nämlich auch trösten, trauern und feiern. Die verschiedenen Episoden, die Begegnungen und Orte von denen Abdolah erzählt ergeben ein verzauberndes Mosaik, flirrend, sinnlich und auch fröhlich. SE Fazit: Poetischer Roman, einfach geschrieben, doch komplex erzählt. Kader Abdolah |Dawuds Traum| Übers. v. Christiane Kuby Klett-Cotta 2005, 191 S., EurD 18,50/EurA 19,10/sFr 33,60 29 29-42 marktplatz 15.05.2006 16:55 Uhr Seite 30 ERLESEN M A R K T P L AT Z DITTA RUDLE Verdammte Gier! Jetzt besitze ich ihn endlich, den einst ersehnten Kultband von Douglas R. Hofstadter, der vor 20 Jahren von der Intelligenzia aller Länder unterm Arm getragen wurde, und deshalb meinerseits eher missachtet. Schon kann sich kaum noch jemand an Gödel, Escher, Bach, ein Endloses Geflochtenes Band erinnern, dennoch bringt Klett-Cotta eine Neuausgabe dieser Bibel der Informatiker heraus. Zum 100. Geburtstag des Mathematikers Kurt Gödel! Hofstadter verknüpft Gödels Denkfiguren mit J. S. Bachs Kompositionstechnik und M. C. Eschers unmöglichen Bildern. Endlosbänder, die sich um eine Frage schlingen: Woher kommt das Bewusstsein? Inzwischen haben Hirnforscher gute Antworten gefunden und die Computergehirne sind auch ins nächste Jahrtausend gesprungen. Kurz, der schier endlose Band (mehr als 800 Seiten) wird wohl als sich selbst verwirklichendes Klischee des Kultbuches enden: Viel gepriesen, kaum gelesen. Trotz der köstlichen, selbsterklärenden Dialogschleifen von Achilles, der Schildkröte und Herrn Krebs. Ebenso Schmuck fürs Regal, aber leichter fassliche Lektüre ist Vikram Seths Nacherzählung des Lebens, Liebens und Leidens seines Onkels Shanti und dessen Frau, der deutschen Jüdin Henny. Gewiss, Zwei Leben. Porträt einer Liebe (S. Fischer) umspannt das gesamte vorige Jahrhundert samt Blut und Tränen, doch ist die viel gerühmte geschliffene Prosa Seths vom Familiensinn weggeschwemmt worden. Dem Autor ist es nicht gelungen, das Private ins Allgemeine zu heben und auch formal zu fesseln. So liest sich die abenteuerliche und auch leidvolle Geschichte von Shanti und Henny als sentimentales Tagebuch eines liebevollen Neffen. Authentisch, schlicht und berührend. Die feine Ausstattung der Chronik als bebildertes Familienalbum bestimmt den Band fürs Schauregal. 30 WIE KILOWEISE KAVIAR LÖFFELN Da gibt es einen Autor, 1929 in Tanger geboren, der Spanisch schrieb, drei Romane veröffentlichte, seit 1965 in Spanien lebte und 1980 verstarb. Im deutschen Sprachraum ist Ángel Vázquez so gut wie unbekannt. Nun ist sein Roman „Das Hundeleben der Juanita Narboni“ im Grazer Droschl Verlag erschienen. Grandios von Gundi Feyrer übersetzt. Denn die Hauptperson Juanita Narboni redet Hakitía, das Spanisch der nordmarokkanischen Sepharden. 1976 in der Originalsprache publiziert, könnte der Roman zum Kultbuch werden. Wie Kultbüchern eigen, man denke an den „Ulysses“ von James Joyce, den „Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil, werden viele darüber sprechen, aber das Buch vermutlich kaum zu Ende lesen. Einfach ist die Lektüre jedenfalls nicht, das „Hundeleben“ ist kein Buch, das sich nebenbei oder vor dem Einschlafen konsumieren lässt. Eine Frau unbestimmten Alters redet von ihrem Leben, ihrer Befindlichkeit, monologisiert von Subjektivem und Allgemeinem, gleichberechtigt stehen die persönlichen Belange neben brisanten oder politischen Ereignissen. Juanita Narboni ist den Freuden des Lebens keineswegs abgeneigt, denen ZWERGE LANGWEILEN SICH NIE Held des neuesten Buches von Urs Widmer ist ein Zwerg, ein Gummizwerg. Bemerkenswert, denn es folgt auch zwei ungemein intensiven, berührenden Büchern wie „Der Geliebte der Mutter“ und „Das Buch des Vaters“. Also, es dreht sich um einen Spielzeugzwerg aus dem Besitz eines gewissen Uti. In diesem Uti kann man unschwer den Autor Urs Widmer erkennen. Der Zwerg heißt Vigolett alt, vigolett deswegen, weil er ein violettes Jöppchen trägt. Er ist einer von siebzehn, aber er ist für Urs Widmer der wichtigste, er ist sein Lebenszwerg, wenn man das so sagen darf. Vigolett erzählt und erzählt und erzählt. Und es wird einem nie langweilig dabei. Weil man ja vom Leben der Zwerge relativ wenig weiß. Man sich sozusagen auf unbekanntem Terrain bewegt. Er erzählt mit hinter- und recht oft auch vordergründigem Wortwitz, der insofern eine Steigerung darin erlebt, als man sich vorstellen darf, dass er ja alles, was er erzählt, in diesem ungemein sympathischen, langsamen, ganz eigenartig gefärbten schweizerischen Deutsch erzählt. Immer mit der Beto- sie dennoch kritisch gegenübersteht. Wenn bloß einmal und endlich genügend Geld vorhanden und die Wohnsituation besser wäre, würde alles ganz anders sein, dann wäre es wie in den Filmen, die sie sich gerne ansieht, wo alles anders ist als in ihrer Realität. Der Roman von Manuel Puig „Der Kuß der Spinnenfrau“ kommt einem in den Sinn, der allerdings detailreicher auf die erwähnten Filme Bezug nimmt. Oder man denkt an den „Herrn Karl“, der sich gewieft zwischen den Hürden seines Lebens durchlaviert. Juanita Narboni hingegen hadert mit ihrem „Hundeleben“, dialogisiert darüber mit sich selbst, imaginiert sich in eine Unterhaltung. Äußerst sparsam mit Absätzen, einer Gliederung sowie einer dramaturgischen Struktur fordert der Autor von seiner Leserschaft eine bedingungslose Konzentration. Die Grenze zur Überforderung ist fließend. Der Übersetzerin ist jedenfalls die Quadratur des Kreises gelungen. MANFRED CHOBOT Fazit: Ein Buch, das sich zu lesen lohnt, wenn man Lesegeduld aufbringt und gewillt ist, sich auf die Lektüre einzulassen. Keine Kost für den Badestrand oder vorm Einschlafen. Ángel Vázquez |Das Hundeleben der Juanita Narboni| Ü. v. Gundi Feyrer. Droschl 2005, 376 S.,EurD/A 25/sFr 46 nung auf der ersten Silbe, oder? Diese Zwerge erleben Abenteuer, die mindestens so aufregend sind, wie die der Menschen. Hier tobt sich Urs Widmer aus, hier lässt er seiner Fantasie freien, ungezügelten Lauf, er denkt nicht daran, sich irgendwie einzubremsen. Er parodiert Abenteuergeschichten, Bergsteigerdramen. Und er kann die Stimmung kippen lassen. Wenn zuvor alles so recht gemütlich und urig-humorig abgelaufen ist, dann wechselt er von jetzt auf gleich – in der Geschichte eines Zwerges – zum Morden in der Natur, dann zieht er es durch, beginnend bei den Pflanzen über Insekten, Säugetiere, Vögel, Schlangen bis hin zu den Menschen. Und wechselt darauf gleich wieder ins Gefühlsselige, Sentimentale. Das Foto auf dem Umschlag des Buches ist erst dann zu verstehen und zu erkennen, wenn man den Text gelesen hat, den Urs Widmer auf der hinteren Umschlagseite geschrieben hat. KONRAD HOLZER Fazit: Man ertappt sich dabei, diese Zwergenwelt ernst zu nehmen, sie als eine wirkliche Welt anzusehen, weil Urs Widmer sie so erzählt. Urs Widmer |Ein Leben als Zwerg| Diogenes 2006, 192 S., EurD 16,90/EurA 17,40/sFr 29,90 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 29-42 marktplatz 16.05.2006 11:45 Uhr Seite 31 PIPER. BÜCHER, ÜBER DIE MAN SPRICHT. IN DER KRISE Dante Andrea Franzetti, 1959 in Zürich geboren, geht mit seinen Talenten sparsam um. Trotz der zahlreichen Auszeichnungen bleibt sein Werk überschaubar. Was nichts mit Franzettis Fleiß zu tun hat, arbeitet er doch auch als Journalist und Essayist. Sparsam ist Franzetti auch mit den Wörtern, die er sorgsam sucht und genau setzt. Der nun vor allem in Rom als Korrespondent lebende Autor ist zweisprachig (italienisch und deutsch) und daher wohl auch zwiekulturell aufgewachsen, was sich nicht nur im Denken, sondern auch im Schreiben zeigt. Oft scheint ihm ein italienisches oder auch ein französisches Wort treffender als das deutsche. Mit seinem jüngsten Roman bleibt sich Franzetti, zumindest was die Sparsamkeit betrifft, treu. Nicht mal 115 locker bedruckte Seiten ist die Geschichte von Nerbal, der die Trümmer seiner Ehe betrachtet und sie als Trümmer des gesamten Lebens sieht. Geschichte ist es ja keine, die Franzetti uns mitteilt, eher ein Gemütszustand. Nerbal ist traurig, ja verzweifelt, weil er nicht begreifen kann, warum sich seine Liliane von ihm getrennt hat. In Gedanken reist er zurück in die Jugend, als er bereits wusste, dass Liliane die Eine und Einzige sein würde. Sie ITALIANITÁ Ort der Handlung ist Montepuccio, ein kleiner Ort in Apulien. Sie beginnt 1875 und endet in unseren Tagen. Die handelnden Personen kommen hauptsächlich aus der Familie der Scorta, gewalttätig sind sie am Anfang, völlig verarmt in der Mitte, angesehene Bürger am Ende. Erzählt wird die Geschichte von einem Franzosen. Laurent Gaudé wurde die Liebe zu Italien schon von seinen Eltern eingeimpft. Für „Die Sonne der Scorta“ hat er 2004 den wohl berühmtesten französischen Literaturpreis, den Prix Goncourt, erhalten. Dabei ist das kein Buch der überhöhten literarischen Ansprüche. Es ist eine einfache Familiengeschichte, eher grob, holzschnittartig erzählt. Oft hat man das Gefühl, sie sei vor mehr als hundert Jahren geschrieben worden. So sehr gleicht der Autor seinen Erzählstil dem Inhalt an. Es gibt nur das grelle Licht der Sonne und den Schatten, keine Zwischentöne. Die Sonne der Scorta verbrennt alles, andererseits schafft sie Leben: „Sie ist in den Früchten, die wir essen, Pfirsichen, Oliven und Orangen. Es ist ihr Geruch. Mit dem Öl, das wir trinken, fließt sie durch unsere Kehlen.“ Es sind einfache Menschen BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 hat ihn dann später genommen, doch hat sie ihn auch erkannt? So wenig, wie er sie erkannt hat. Die Welten von Mann und Frau sind einander fremd geblieben. Das Feine an Franzettis Erzählung von Nerbal – ein Liebesroman soll diese „Passion“ nicht genannt werden, das klänge allzu trivial – ist die Absenz jeglicher Sentimentalität. Nerbal ist ein Suchender, aber kein Jammernder. Und er gibt nicht auf, er wird weiter suchen: „L’erreur c’est de vouloir conclure“ steht am Ende, das ein Anfang sein könnte. Der Irrtum ist, abschließen zu wollen oder auch: Schlussfolgerungen zu ziehen. Ohne geschwätzig zu sein, unterhält Franzetti seine LeserInnen auch mit freundlichen und unfreundlichen Urteilen über die Literatur und beruft sich immer wieder nicht nur auf Samuel Beckett, sondern auch auf den Philosophen und Lyriker Paul Valéry und seine „poésie pure“, den Poeten und Zeichner Henry Michaux und seinen persönlichen Freund Gerhard Amanshauser. Dennoch möchte er vor einer Verwechslung der fiktiven Figur Nerbal mit der realen Person Franzetti warnen. DITTA RUDLE Tiefes Leid. Tiefer Haß. Tiefer Schmerz. Fazit: Dichte, präzise Prosa Dante Andrea Franzetti |Passion. Journal für Liliane| Haymon 2006, 114 S., EurD/A 15,90/sFr 28,50 mit einfachen Gedanken, deren Schicksale erzählt werden: Auswanderung und Rückkehr, Liebe und Hass, Arbeit und die seltenen Feste, Erdbeben und immer wieder die Hitze, die allgegenwärtige Hitze, das sind die Themen. Und der Schmuggel, mit dem die Scortas ihr Geld verdienen, der sich vom Zigarettenschmuggel der alten Zeiten zum viel einträglicheren Menschenschmuggel unserer Tage ausweitet. Der Autor lässt uns auch an den Gerüchen von Montepuccio teilhaben. Sinnlicher und emotioneller Höhepunkt des Romans ist ein Essen, ein ganz besonderes Essen im Rahmen eines Familienfestes. Und schon allein wegen der Beschreibung dieses Essens lohnt es sich, dieses Buch zu lesen. Es ist ein Eintauchen ins direkte, lustvolle, überschwängliche Genießen. „Im Süden isst man mit einer Art besessener Leidenschaft und Gier, solange man kann, als stünde das Schlimmste zu befürchten, als wäre es das letzte Mal. KONRAD HOLZER Fazit: Eine Geschichte wie ein alter SchwarzWeiß-Film: intensiv und mitreißend. Laurent Gaudé |Die Sonne der Scorta| Übers. v. Angela Wagner. dtv premium 2006, 260 S., EurD 14,40/ EurA 15/sFr 25,20 »Eines der besten Bücher dieses Genres. Eines, das eine wüste Geschichte schnell und spannend erzählt.« Süddeutsche Zeitung SP 4697. € 8.95 (D)/€ 9.20 (A) www.piper.de 29-42 marktplatz 15.05.2006 17:01 Uhr Seite 32 M A R K T P L AT Z ALPS TRÄUME Einer sucht seine Vergangenheit, weil er beim Sturz aus einem Flugzeug sein Gedächtnis verloren hat. Der andere flieht die Vergangenheit, weil er seine Verbrechen aus dem Gedächtnis löschen will. Und ein Dritter liegt im Koma und träumt Vergangenheit und Zukunft zugleich. Dieser ist ein verbummelter Physikstudent in Berlin, kommt aus dem Iran und bekommt bei einer Demo im Jahr 1985 einen kräftigen Schlag auf den Kopf, der ihn das Bewusstsein verlieren lässt. Dennoch kann Alp Tazafhadi seine Träume und Visionen erzählen. Dass diese krumm und kraus, wild und innig, traurig und komisch, poetisch und banal sind, kann sich die Leserin vorstellen, denn im Koma ist jegliche Logik außer Kraft gesetzt, der Zufall führt sein ungeordnetes Regiment und schlingt die Personen der Handlungsstränge zu einem immer wirrer werdenden Knäuel. Alles hängt mit allem zusammen und erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Norbert Zähringer, 1967 in Stuttgart geboren, hat mit seinem ersten Roman „So“ gezeigt, dass er urkomische, schräge Geschichten erfinden kann und sein Fundus keinen Boden hat. Auch in „Als ich schlief“ ergibt sich aus jeder Geschichte eine neue und wenn Alp in seinem Spitalsbett müde wird, dann lässt er eine der Personen ein Buch lesen und ein anderer Icherzähler spinnt den Faden zurück. Das amüsierte Entzücken aber macht auch die Leserin müde, der Überblick geht ihr verloren, die Figuren der Handlungen haben ihn ohnehin nie gehabt und auch dem Autor wird der Faden immer dünner. Die Überfülle an Absurdem lähmt Aufmerksamkeit und Geduld. Am Ende abe, gibt es eine Sekunde – Schrödingers Sekunde, in der die Katze weder tot noch lebendig ist und die Welt, eine kleine Welt zumindest, auf der Kippe steht – eine Sekunde also, in der ein Mensch, nämlich der einst, in einer anderen Welt, aus dem Flugzeug in den Papiercontainer gestürzte Ismael, sich entschließt sein Leben zu riskieren, um das eines kleinen Mädchens zu retten. Alles wird gut oder ist schon längst gut geworden. DITTA RUDLE Fazit: rasant gedrehtes Geschichtenkarussell, in das einzusteigen schwindlig machen kann. Norbert Zähringer |Als ich schlief| Rowohlt 2006, 288 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 34,90 32 DAS ETWAS ANDERE ADRESSBUCH FÜR DIE NOT Ulla Hahns Lesebuch „Dichter in der Welt“ Fortschritt trägt sich anderswo zu. Ob in Steine gehämmert oder in den Computer, ob in der Höhle gelesen oder im Glaspalast – Gedichte sind ein Sicherheitsrisiko. Denn wer sie schreibt und wer sie liest, geht der gewohnten Sprache, der Welt mit ihrem Gerede, den Verallgemeinerungen und Phrasen verloren. Der ist sonst zu nichts zu gebrauchen, vergisst Umfeld und Horizont, Detail und Ganzheit und Schall und Rauch. Dichtung – äusserste Verdichtung, wo die Wörter wahrhaftig sind, präzise und bar jeder Ausmalung – ereignet sich in verschwörerisch kodierten Bereichen: „Dichtung ist Anderssagen, Sprechen aus der Anderswelt“ nennt Ulla Hahn denn auch die Ausdrucksweise, der sie mit ihrem Buch „Dichter in der Welt“ ein festliches Loblied singt. Ulla Hahn, die in Hamburg lebende Germanistin – sie feierte am 30. April ihren 60. Geburtstag –, bekennt sich im Vorwort zu ihrer Sucht: „Seit ich es kann, ist kein Tag ohne Lesen vergangen, und seien es nur ein paar Sätze. Sucht? Ja. Nach Glück. Lesen macht (mich) glücklich.“ Und nun sind also die Folgen dieser lebenslangen Abhängigkeit in einem Band gesammelt – für gleichermaßen Süchtige sozusagen: Gedichte aus drei Jahrtausenden, Essays, Reden, Kritiken und eigene Lyrik. Es finden sich Überlegungen zu Goethe, Annette von DrosteHülshoff, Hilde Domin, Else Lasker-Schüler, Sylvia Plath, Erich Fried, Nelly Sachs, Inger Christensen, Gottfried Benn … – Werkimmanentes, Persönliches, Geschichtliches, Anekdotisches. Immer tritt dabei der veritable Respekt Ulla Hahns vor Person und Werk zutage, ein mitmenschliches Lieben und Verstehenwollen oftmals schwieriger Lebenssituationen. Immer? – Sagen wir meistens. Eine Ausnahme ist Bert Brecht, dem sie auch Gedichte von „versifiziertem ideologischem Schrott“ attestiert, nebst einem agilen Wesenskern, den sie mit „List“ beziffert und einigermaßen überzeugend begründet: „Bei seiner Rückkehr aus dem Exil wählte er den ostdeutsch-sozialistischen Teil Deutschlands; versehen mit einem österreichischen Pass, einem westdeutsch-kapitalistischen Verlag und einem Konto in der Schweiz.“ Das Handwerk der Lyriker hat keinen goldenen Boden. „Wer weiss, ob es über- haupt einen Boden hat“, schrieb einst Paul Celan. Die Gründe, weshalb einer sein Leben mit Sammeln von Wortbildern verbringt, sind vielfältig und haben, so belegen es Ulla Hahns Aufsätze, doch alle etwas gemeinsam. Gedichte entstehen in jenen Bereichen, da sich leidvolle Erfahrungen zutragen. Da, wo die soziale Anpassung nicht gelingt, da, wo sich der Verlust von Liebe, Heimat, Vertrauen, ereignet – da wird bei Wörtern um Hilfe gefleht. Es ist ein Akt, der auf den Grund geht – zum Grunde. „Schreiben, das nicht an die Substanz geht, lohnt den ganzen Aufwand nicht“, sagt Ulla Hahn. Aus welchen Abgründen die Zeilen aufsteigen können, zeigt sie an Else Lasker-Schüler, die, nachdem sie einem Verehrer ihr Gedicht „Die Verscheuchte“ vorgelesen hatte, mit ihrem Elberfelder Dialekt fragte: „Wie finden Sie dat?“ Als er sich erschüttert zeigte, präzisierte sie: „Nein, Nein! Nich ob es Ihnen jefällt, sondern „Wat heisst denn dat hier?“ Um nach seiner Erklärung ihrer Verse staunend und beglückt zu rufen: „Ja, Jung, so kann dat jemeint jewesen sein.“ Gedichte schreiben und Gedichte lesen ist ein Unterfangen mit ungewissem Ausgang. Das war vor dreitausend Jahren so und ist es auch heute. Wer auf Eindeutigkeit setzt und auf die gewohnte schnelle Information, der lasse die Finger davon. Gedichte fordern nicht nur geduldige Lesearbeit, sondern nachschöpferisches Mittun. Wie eine Partitur, so Ulla Hahn, die erst durch den ausübenden Musiker zum Klingen gebracht wird, so werden die verwendeten Worte des Dichters erst durch den (ausübenden) Leser zum Gedicht. Eines, das ihm – im Glücksfall – zum vertrauten, intimen Gesprächspartner wird. „Menschen für ein Gespräch sucht man sich sorgfältig aus. Nicht anders sollte man mit Gedichten verfahren.“ Fraglos steht Ulla Hahns Resümee mit ihrem Lesebuch auf Du und Du. Denn es kann als Adressbuch dienen in der Not. Aber auch in Glücksmomenten. Und dann, wenn die ganz bestimmte Sucht sich geltend macht. SILVIA HESS Fazit: Ein Lese- und Nachschlagebuch für glückliche und andere Stunden. Ulla Hahn |Dichter in der Welt. Mein Schreiben und Lesen| DVA 2006, 316 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 35,20 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 15.05.2006 16:58 Uhr Seite 33 ARKTISCHE KÄLTE Die Inuit-Großmutter Ninioq und ihr siebenjähriger Lieblingsenkel Manik verbringen Teile eines Sommers, der etwa zweihundert Jahre zurückliegt, auf einer winzigen arktischen Insel, um den reichen Fang des Stammes für die Lagerung zu trocknen. Als jedoch die Nächte wieder länger zu werden beginnen, werden sie nicht wie vereinbart von den Männern abgeholt. Die beiden müssen nun versuchen, den Winter gemeinsam zu überstehen. Der Sommer vor diesen Ereignissen ist geprägt von einer stillen Heiterkeit und Fröhlichkeit. Tagsüber macht Manik unter Ninioqs weiser Anleitung die ersten Schritte als tüchtiger Fänger und lernt aus eigenen Erfahrungen sowie denen seiner Großmutter stetig dazu. Nachts lässt die alte Frau ihr langes Leben Revue passieren, sie erzählt Episoden und Geschichten, gibt so manch persönliches Detail preis und lehrt Manik die Achtung vor der Natur. Eine uns völlig fremde Kultur tut sich da auf, eine karge Lebensweise in Eis und Finsternis, die den modernen, an Bequemlichkeit gewöhnten Menschen durch ihre Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit einfach berühren muss. Eine Lebensweise, die durch ihre Härte und ATEMLOS Ein Buch, das einem bereits nach den ersten paar Absätzen den Atem stocken lässt. Da erzählt sich einer seine Seele aus dem Leib in einem Tempo, dass es einem nach ein paar weiteren Seiten den Atem verschlägt. Durchatmen und Weiterlesen, sich ein Glas Wein einschenken, um eine Verschnaufpause zu haben. Selten schwappen Emotionen derart ungeschminkt und direkt aus einem Roman heraus, wiewohl Franjo Francic sich cool gibt: Ständig saufen und gelegentlich ficken, dazwischen das Studium bleiben lassen, bloß so viel Geld zum Überleben verdienen, wie unbedingt notwendig. Im Nachwort des Übersetzers Erwin Köstler erfährt man, dass der Autor 1958 in Ljubljana geboren wurde und sein Roman „Heimat, bleiche Mutter“ 1986 in einem alternativen slowenischen Kleinverlag erschien, bald vergriffen war, zu einem Kultbuch der slowenischen Literatur wurde und von der größten slowenischen Tageszeitung zur Jahrtausendwende unter die „Meilensteine der slowenischen Literatur des 20. Jahrhunderts“ gereiht wurde. Grandios schildert Francic den Verlust der Werte, die Desillusionen, in der jugoslawiBUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 Kälte abschreckt, gleichzeitig aber fasziniert durch ihre positive Einstellung. Im Laufe der Geschichte lernt der Leser einzelne Figuren kennen, gewinnt sie lieb und beweint ihr Schicksal. Der dänische Autor weiß ganz offensichtlich, wovon er in seinem 1975 erschienenen Roman schreibt: Er lebte selbst insgesamt sechzehn Jahre in Grönland, nahm als kaum erwachsener Mann an einer geologischen Expedition in die Arktis teil, verbrachte zwei Jahre mit einem gleichaltrigen Eskimo auf einer Insel und begann 1971 seine Geschichten über den eisigen Norden niederzuschreiben. Hier zeichnet er, den mündlichen Erzähltraditionen der Inuit folgend, das eindringlich-fesselnde Bild eines Eskimo-Stammes vor der Berührung mit der Zivilisation und sucht nach einer Erklärung für Funde, die er während eines Aufenthaltes in Nordostgrönland auf einer unscheinbaren Insel entdeckte. KAROLINE PILCZ Fazit: Ein schmaler, zeitloser Roman, fröhlich und tragisch zugleich Jørn Riel |Vor dem Morgen| Übers. v. Wolfgang Th. Recknagel. Unionsverlag 2006, 188 S. EurD 14,90/EurA 15,40/sFr 26,80 schen Gesellschaft, wo sich der Alkohol als scheinbare Alternative anbietet. Der IchErzähler wird zum Militärdienst einberufen, verweigert sich den tradierten Spielregeln von Männlichkeit, Duckmäusern und Mitläufertum, nimmt stattdessen lieber in Kauf, in die psychiatrische Anstalt des Heeres eingewiesen zu werden. Auch dort ist er nicht bereit, sich unterzuordnen oder einordnen zu lassen, erträgt alle Konsequenzen, ein Außenseiter zu sein, wobei er sich keineswegs dazu stilisiert, sondern diese Rolle durchlebt, denn es ist die einzige, in der er zu sich selbst finden kann. Ja, der Ich-Erzähler ist egoistisch, selbstzerstörerisch und radikal. Seine Generation ist sowohl hungrig als auch wach, ebenso kompromisslos wie desillusioniert, dennoch ehrgeizig und zum Überleben entschlossen. Die Lektüre dieses Romans muss man erst hinunterschlucken, obwohl es bloß 143 Seiten sind – inklusive des Nachworts, man liest das Buch nicht, man erlebt und erleidet es mit dem Erzähler. MANFRED CHOBOT 216 Seiten, gebunden ISBN 3-927743-87-9 Was heißt hier alt Ein Buch für Menschen, die sich nicht von Altersklischees beirren lassen wollen – aufmunternd, positiv und mit einer Fülle von Anregungen, neuesten Ergebnissen aus der psychologischen Forschung und frischen Gedanken über das selbstbestimmte Alter. Ergänzt durch Interviews, u. a. mit • Robert Gernhardt, • Trude Unruh, • Dieter Hildebrandt, • Diane Rizzetto, • Willigis Jäger • und der Altersforscherin Ursula Staudinger. Fazit: Ein Buch zum Trinken, zum Leben und zum Leiden ^ ^ 29-42 marktplatz Franjo Francic |Heimat, bleiche Mutter| Übers. v. Erwin Köstler. Drava 2005, 143 S. EurD/A 21/sFr 36,90 A1 Verlag www.a1-verlag.de 29-42 marktplatz 15.05.2006 17:00 Uhr Seite 34 M A R K T P L AT Z »… eine Sammlung von detailreichen und fundierten EU-Analysen, ohne jenen provinziellen und nationalistischen Geist, der EU-Kritik hierzulande nur allzu oft durchweht.« profil 320 Seiten. Klappenbroschur € 20,50 [A] / sFr 36,–. www.deuticke.at Mit Liebe und Einfühlungsvermögen hat die amerikanische Autorin Debra Dean hier einen Roman vorgelegt, der sich beinahe zu viel vornimmt und trotzdem gelungen ist. Eine Menge an außerordentlich intelligent verquickten Handlungsverläufen stürzt auf die LeserInnen ein: Zum einen ist da der schreckliche Kriegswinter 1941 im eingekesselten Leningrad, in dem Kälte und Hunger mehr Opfer forderten als die Granatbeschüsse der Deutschen, da ist die blutjunge Russin Marina, deren Verlobter irgendwo an der Front an den Sieg der Roten Armee glauben muss, während Marina in der leer geräumten Eremitage daran arbeitet, sich die verstauten oder abtransportierten Gemälde, Möbel, Leuchter, Vasen und andere Kostbarkeiten vor gähnenden Bilderrahmen und Vitrinen einzuprägen, damit die Schönheit eine Zeugin hat. Die ehemalige Museumsführerin ist mittlerweile als Brandwache auf dem Dach des legendären Museums eingesetzt, als Packerin für noch verbliebene Schätze, in der Folge als Hilfe für den Sargtischler. Gleichzeitig ist da jene alte und gebrechliche Marina, die mit ihrem Ehemann in Amerika lebt und welche immer seltener sagen kann, warum sie das tut, wie sie hierher gekommen ist und wer die Frau ist, die S P E Z I A LT I P P Attac GEGEN DAS VERGESSEN ZWEI FRAUEN IN NEW YORK Genauso wie ihre Protagonistin Nora, eine Übersetzerin, lebt auch die Autorin Pia Frankenberg in New York: Sie wurde 1957 in Köln geboren, hat als Regisseurin von Filmen bedeutende Preise gewonnen und lebt seit Mitte der neunziger Jahre in New York. Nora ist Mitte vierzig, trifft sich mit Vorliebe mit verheirateten Männern, hat einen interessanten Beruf – ihr Verleger schickt ihr pausenlos immer wieder Texte, Romane zum Übersetzen –, und nebenher bleibt ihr noch viel Zeit, um auf Partys zu gehen und ihren Freundeskreis von Staatsanwälten, Künstlern usw. zu bedienen. Die zweite Hauptperson des Romans, Amy, lebt in einer Bilderbuchehe mit zwei kleinen Kindern in einem Vorort von New Jersey, bis sie bei dem Terroranschlag am 11. September ihren Ehemann verliert und ihr Leben aus den Fugen gerät. Nora beginnt, sich für Amy zu interessieren sie zu einer Hochzeitsgesellschaft abholt. Zynismus des Schicksals – Marina, die Hüterin der Erinnerung, die unter Anleitung einer steinalten Wächterin in der Eremitage begonnen hat, minutiös den Palast der Erinnerungen zu bauen, ist nicht mehr in der Lage, den Alltag zu bestehen, da Alzheimer ihr Gedächtnis frisst. Auf der Hochzeit ihrer Enkeltochter verschwimmen für Marina die Eindrücke und sie findet sich im Keller ihres geliebten Museums wieder, bei einer Kriegstrauung mit ihrem zurückgekehrten Dimitri. Kraft und Wirklichkeit bestehen für Marina nur noch im Erinnern des lange Zurückliegenden, aus der Realität des Jetzt hat sie sich verabschiedet und sehr viel Zeit wird ihr wohl nicht mehr bleiben. Der Titel ist eine Liebeserklärung an die Liebe, an die Macht der Kunst und an zwei Menschen, denen die Autorin sehr verbunden war und deren gemeinsamer Weg im Alter in die Nebel der Alzheimer-Erkrankung führte. SYLVIA TREUDL Fazit: Ergreifend, mutig und gelungen Debra Dean |Palast der Erinnerungen| Übers. v. Judith Schwab. Droemer 2006, 304 S., EurD 19,90/ EurA 20,50/sFr 34,90 und wird zur Verfolgerin, während auch ihr eigenes Leben auseinander fällt – die künstlerische Mutter, mit der sie sich vor Jahren überworfen hat, stirbt in Portugal; ihre Affäre mit einem Staatsanwalt geht zu Ende und sie selbst sieht sich mit einem Land konfrontiert, das sich als blinder Rächer gebärdet. Anfangs erschien mir Noras Beschreibung als Intellektuelle in New York allzu oberflächlich und plakativ – aber schließlich wecken die Figuren doch Interesse. Pia Frankenberg schreibt mit einer klaren, eindringlichen Sprache, ohne aber ihre Charaktere sehr auszufeilen oder in ihrer Schilderung ins Detail zu gehen. Fast schemenhaft läuft die Handlung mit ihren Figuren vor der Leserin ab, dabei wirkt so manche Beschreibung schablonenhaft oder gar realitätsfern, lebt jedoch durch die Konfrontation der beiden Frauen , DÖRTE ELIASS Fazit: Als tragisch-interessanter Frauenroman lesenswert Pia Frankenberg |Nora| Rowohlt Berlin 2006, 256 S., EurD 18,90/EurA 19,50/sFr 33,40 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 29-42 marktplatz 15.05.2006 17:02 Uhr Seite 35 KRIEG UND FRIEDEN UND LIEBE Von Ford Madox Ford war Konrad Holzer ganz hingerissen. Ford Madox Ford ist wahrscheinlich einer der ganz großen Dichter des 20. Jahrhunderts. Und im deutschen Sprachraum kaum bekannt. Was uns Nachgeborenen den heutzutage doch relativ seltenen Genuss ermöglicht, einen bedeutenden Schriftsteller zu entdecken. Ford Madox Ford (1873 -1939) wurde als Sohn eines Deutschen und einer Engländerin unter dem Namen Ford Hermann Hueffer in eine Familie von Malern, Schriftstellern und Intellektuellen geboren. Er schrieb zusammen mit Joseph Conrad zwei Bücher, für seine Literaturzeitschriften entdeckte und förderte er die Avantgarde der Zeit: Joseph Conrad, Henry James, D. H. Lawrence, James Joyce und Ernest Hemingway. Sein Ehe- und Liebesleben war äußerst verworren, ernst zu nehmende Biografen schreiben von 20 intensiven Bindungen. Am Ersten Weltkrieg hat Ford auf englischer Seite teilgenommen, wurde schwer verwundet, er erlitt einen Nervenzusammenbruch, legte auch seinen deutschen Namen ab und lebte in Frankreich und Amerika. In vier Romanen – jeweils mit Christopher Tietjens als Hauptfigur – gelang es ihm „das innere Durcheinander, das der Krieg in mir angerichtet hat“, schreibend zu überwinden. Das nun vorliegende Buch „Der Mann, der aufrecht blieb“ ist das dritte in dieser Tetralogie nach „Manche tun es nicht“ und „Keine Paraden mehr“. Doch lässt sich jedes dieser Bücher recht gut unabhängig vorneinander lesen. Valentine Wannop ist die Heldin des ersten Kapitels. Und man wird gleich einmal mit der Erzählweise von Ford Madox Ford konfrontiert, mit einer wahnwitzigen Erzählkonstruktion. Valentine antwortet einer vorerst noch unbestimmten Anruferin am Telefon – von der nur Satzbrocken zu verstehen sind. Erinnerungen, Missverständnisse, Gefühlsausbrüche, all das läuft parallel ab. Und es stellt sich die Frage, wie sich die Weltliteratur auf diese Art und Weise weiter entwickelt hätte, wenn nicht der Rückschlag gekommen wäre: dieses ungebremste, intellektuell anscheinend unreflektierte Dahinerzählen wie es sich in unseren Tagen breit macht. Valentines Gedanken, die sich damit befassen, wie denn nun das gesellschaftliche Leben nach dem Krieg sich neu ordnen wird müssen, werden durch dieses Telefonat in eine BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 andere Richtung gelenkt, an einen Schwierigen erinnert, den sie zwei Jahre lang versucht hat, zu vergessen. Christopher Tietjens hat einiges gemeinsam mit Hofmannsthals Kari Bühl, dem „Schwierigen“ und auch mit Melzer aus der „Strudlhofstiege“ von Doderer. „Dieser Mann, der ihr einmal einen Liebesantrag gemacht hatte und dann ohne ein Wort davongegangen war und ihr nie auch nur eine Ansichtskarte geschickt hatte.“ Aus dieser durch Enttäuschungen, Eifersüchteleien und Verleumdungen nervös aufgeheizten Stimmung wird man in den Mittelteil des Buches geworfen, in die endlose, lethargisch-hoffnungslose Monotonie des Krieges in Flandern. Ironisch bricht der Erzähler das, was sich auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs abspielt, dennoch ist dahinter, darunter ununterbrochen die Angst zu spüren, die Angst vor dem Verletztwerden, vor dem Tod. Warum liest man dennoch so einen Roman, in dem Fürchterliches ganz intensiv beschrieben wird? Ford Madox Ford war sich dieses Problems bewusst „Übertreibt man die Greuel, veranlasst man seine Leser zur Gleichgültigkeit gegenüber diesen Greueln“. Er hat es auf seine Art gelöst. Joachim Utz, der dieses Buch (und auch die anderen bisher erschienenen) einmalig übersetzt hat, hat im Nachwort darauf hingewiesen, aus Schriften Fords zitiert, dass dieser einen Menschen, den er einmal gekannt und geschätzt hat, als Vorbild für diesen Christopher Tietjens genommen hat: „Wie sähe dies alles aus durch die Augen von X …“ Im dritten Teil des Buches kehren wir nach London zurück, es ist noch immer – oder wieder – der 11.11.1918. Die ganze Stadt feiert lautstark das Kriegsende. Valentine sucht Tietjens in einem riesigen, leer geräumten Haus. Die Atmosphäre darin – beschrieben von einem, dessen Bilderwelt noch nicht so vom Film geprägt sein konnte, wie das der Erzähler unserer Tage – ist echt und beklemmend. Und dennoch – weil die Menschen es schaffen, noch die Kraft haben, alles umzudrehen – endet das Buch in einem unwahrscheinlich glücklichen Tanz. Es kann alles gut werden, privates Leben wird wieder möglich sein. Fazit: Einer der besten Romane über den Ersten Weltkrieg. Ford Madox Ford |Der Mann, der aufrecht blieb| Übers. v. Joachim Utz. Eichborn Berlin 2006, 310 S., EurD 22,90/EurA 23,60/sFr 39,90 »Ein wunderbarer Roman, der einem über Jahre gegenwärtig bleibt.« Isabel Allende ISBN 3-8333-0149-X s 10,50 [D] / sFr 19,10 / s 10,80 [A] Berliner Taschenbuch Verlag 29-42 marktplatz 15.05.2006 17:03 Uhr Seite 36 M A R K T P L AT Z © Paul Schmitz Gebunden. 528 Seiten. € (D) 19,90 / € (A) 20,50 / sFr 34,90 EIN BIESTIGES BIEST Amélie Nothomb lockt ihre LeserInnen durch Provokation. Sie weiß, dass das Schwarze, Böse, Schmerzende fasziniert und bereitet durch bedingungslose Heimtücke, scharfe Beobachtungsgabe und fröhlichen Zynismus höchsten Lesegenuss. Jetzt wurde der bereits 1997 erschienene Roman „Attentat“ ins Deutsche übertragen und LeserInnen mit gutem Magen sollten sich darauf stürzen. Blut schwitzen. Tränen lachen. Weil seine Eltern den am 6. Jänner geborenen Knaben nicht Kaspar, Melchior oder Balthasar nennen wollten, gaben sie ihm den Namen des christlichen Festtages Epiphanie (Erscheinung). Epiphanie ist tatsächlich eine besondere Erscheinung, eine besonders abstoßende. Mit boshaftem Vergnügen schildert er selbst seine grenzenlose Hässlichkeit. Als er sich auf ein Inserat meldet, in dem für einen Kunstfilm ein „hässlicher Mann“ gesucht wird, sieht er das schönste Mädchen der Welt und, wie das Märchen so spielt, verliebt sich das Biest in die Schöne. Zum Film kommt er nicht, weil so hässlich sollte der Statist nun wieder nicht sein, doch mit Hilfe von Ethel, die sein abstoßendes Äußeres nicht zu bemerken scheint, macht er eine beispiellose Karriere als Dressman. Bald kann kein Designer seine Kreationen ohne Epiphanie auf den Laufsteg bringen und die lang- DURCH MILCH-GLAS Warum der Hai den Menschen fürchtet ... So spannend wie sein Thriller »Der Schwarm«: Frank Schätzings packendes Sachbuch über die Weltmeere – ein unbekanntes Universum unter Wasser. Danach sieht man die Ozeane mit anderen Augen. www.kiwi-koeln.de www.frankschaetzing.com „Die Briefe, die ich ihnen schreibe, sind die einzige Verbindung nach draußen.“ Es sind die Briefe eines namenlosen Protagonisten, der aus seinem selbst gewählten letzten Zimmer heraus Zeugnis ablegen will über die Stadt seiner Kindheit, seine Flucht daraus, das Leben seiner Mutter und seine Liebe zu Rema. Langsam und behutsam, um nur ja die Gunst der/des Lesenden nicht zu verlieren, erzählt er von seinem Leben, das ihn zu dem gemacht hat, was er jetzt ist und ihn so für Rema vorbereitet, zugeschnitten oder sogar vorbestimmt hat. „Mein Zimmer hier hat ein einziges Fenster, und das entschädigt mich für alles. Ich sehe was ich sehen muss: Remas Haus.“ Ein gefallener dreiflügeliger Engel bildet das Fundament für das Haus, jenen surrealen Ort, an dem Rema lebt. Dort, beschützt und bewacht vom Milchkoch, der ständig gegen ihre Verunreinigungen kämpft, überzieht und tränkt sie alles mit ihrer weißen, milchigen Sinnlichkeit. In seinen Träumen besucht der Dichter das Haus, um die milchweiße Hausherrin endlich zu unterwerfen, nicht wissend, beinigen Blonden machen ihm schöne Augen. Doch Epiphanie will nur Ethel anbeten. Das Verhältnis ist intim, aber keusch, und beide scheinen zufrieden zu sein. Dann aber verliebt sich Ethel in einen Hohlkopf, der mit seiner Malerei leidlichen Erfolg hat und Epiphanie stürzt in ein tiefes Loch. Auf einer Tournee in Japan, fern von der Schönen, kommt dem Biest die abstruse Idee, der Schönen seine Leidenschaft zu gestehen. Ethel will ihn nicht mehr sehen, doch Epiphanie, der weiß, dass es keine unmögliche Liebe gibt, findet eine Lösung. Nothomb führt mit ihrer grellen Farce, in der nicht nur die so genannte Schönheit zerpflückt wird, sondern auch das Geschäft damit, die LeserInnen ganz bewusst in die Irre. Wie sehr wünscht man sich doch, dass das Biest mit der strahlenden Intelligenz die Schöne gewinnt, auf dass sie ewig leben, weil sie nicht gestorben sind. Doch wer mit der Nothomb aufs Eis geht, kann sicher sein, einzubrechen und als letzten Gruß Amélies silberhelles Lachen vom Ufer her zu hören. DITTA RUDLE Fazit: Intelligent, bösartig und ironisch. Ein Genuss Amélie Nothomb |Attentat| Übers. v. Wolfgang Krege. Diogenes 2006, 208 S. EurD 18,90/EurA 19,50/sFr 32,90 dass er dadurch das empfindliche Gleichgewicht des Hauses zerstört und Zerfall und Auflösung initiiert. Silke Andrea Schuemmer zeichnet in „Remas Haus“ das fantastisch-irreale Bild einer unerfüllten Sehnsucht. Eine unglaubliche Liebe, die als schwärmerische Huldigung beginnt und mehr und mehr in Manie, Obsession und pathologischen Hass herumschlägt. Vielleicht ist es gerade die morbide Schönheit dieser Metaphern, die einen gefangen nimmt und zugleich auch das Geschenk des Erkennens macht. Eine Erkenntnis über den Wahnsinn und die Monstrosität, die auch unseren eigenen Emotionen und Gedanken inhärent sind. „Wehren Sie sich nicht, auch wenn Ihnen die Sätze manchmal im Hals stecken bleiben, während Sie versuchen, sie wie üblich hinunterzuschlingen.“ DANIELA FÜRST Fazit: Ein Buch, das es langsam zu lesen gilt, nicht nur, damit es nicht all zu schnell zu Ende ist, sondern auch, um sicher zu gehen, von all den poetischen Absurditäten gänzlich ergriffen worden zu sein. Silke Andrea Schuemmer |Remas Haus| Kookbooks 2004, 160 S., EurD 15,90/EurA 16,40/sFr 28,50 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 16.05.2006 12:27 Uhr Seite 37 DUNKLE DÄMONEN Nachts geht Valerie auf Männerjagd in ihrer Lieblingsbar, erträgt aber nach einem kurzen Rausch in der dunkelsten Stunde der Nacht keine Nähe und schickt ihre Lover unmissverständlich weg. Der Schmerz nach einer gescheiterten Beziehung ist zu groß, als dass sie sich noch mal aussetzen würde. Ihre nicht immer ganz ungefährliche Taktik ist bei weitem harmloser als die Biografien ihrer Mutter und ihrer Großmutter. Als Verwalterin einer gut florierenden Immobilienkanzlei hat sie keine existenziellen Sorgen und ausreichend Muße, um sich nachlässig ihrem Kunstgeschichtestudium zu widmen. Ein wenig verloren treibt Valerie durch ihr Leben, zu den Fixpunkten ihrer Tageseinteilung gehören die Besuche bei ihrer Mutter Ona, die in der Nervenklinik lebt. Ona, die obsessive Raucherin, die mit den Vögeln spricht, Bilder malt und auch in ihren Siebzigern noch eine beeindruckend agile und attraktive Frau ist, kämpft seit ihrer Jugend mit Dämonen, die sie quälen. Ona hat sich von ihrer Mutter Friederike abgewandt, zu der auch Valerie kein gutes Verhältnis hat. Jede der drei Frauen leidet an der dunklen Familiengeschichte – aus unterschiedlichen SCHATTEN DES REICHTUMS Der Augsburger Peter Dempf, versiert im historischen Metier, wartet erneut mit einem opulenten Roman auf. Der Hauptschauplatz ist wiederum Augsburg. Diesmal sind es die Fugger, um die es sich dreht – im Speziellen um Sibylla Fugger, die Ehefrau des Jakob Fugger, genannt „der Reiche“. Einziges Kind und Spross der alteingesessenen und angesehenen Patrizierfamilie Arzt ist Sibylla schon von klein auf äußerst eigenwillig, um nicht zu sagen stur. So schlägt das zu einer Schönheit herangewachsene Mädchen die Hand Konrad Rehlingers, ihres um zehn Jahre älteren Vertrauten aus Kinder-und Jugendtagen, aus, ebenso alle anderen renommierten Bewerber, um ausgerechnet den Mann zu ehelichen, dem der Zugang in die Herrenstube verwehrt geblieben ist: Jakob Fugger, der zwanzig Jahre ältere erfolgreiche Geschäftsmann und König der Kaufleute. Die Ehe bleibt kinderlos, eine seltsame Art der Liebe und Zuneigung bindet Sibylla an Jakob, den Geld und Arbeit zur geistigen und körperlichen Liebe beinahe völlig unfähig machen. Während Jakob den ersten multinationalen Konzert der Welt aufbaut, erkennt Sibylla seine Gier, die vor nichts und niemandem Halt macht, und erfährt, dass Reich- Gründen und mit unterschiedlicher Detailkenntnis. Ona wird nach der Machtübernahme der Nazis mit einem Kindertransport verschickt, landet nach einer qualvollen Schiffsreise in Kuba, danach in England und kehrt als verstörter, bockiger Teenager nach Österreich zurück, wo Friederike und ihr Mann alles für sie zu tun versuchen. Und sie tun mehr, als sie sich zumuten können. Vor allem Friedrike trägt schwer am eigenen Erbe, an einem unverzeihlichen Verrat und an einer familiären Bindung, die sie nicht auflösen kann. Und Friederike ist die Hüterin von grauenhaften Geheimnissen, die sie schließlich der Enkelin Valerie Stück für Stück enthüllen muss, als die Vergangenheit in Form eines Verwandten aus Brasilien plötzlich vor der Tür steht. Man begehrt nicht nur Einlass und Friederike weiß, dass ihre Kräfte fast aufgebraucht sind. SYLVIA TREUDL Fazit: Verschlungener, mysteriöser und spannungsgeladener Roman um drei Frauengenerationen Foto © Katharina Behling 29-42 marktplatz Susanne Ayoub |Schattenbraut| Hoffmann und Campe 2006, 480 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 34,90 tum allein nicht zu einem glücklichen Leben verhilft. Sie hat nicht Jakobs Geld gewollt, sondern Anerkennung, nicht den Glanz des Goldes, sondern vielmehr den Glanz des Namens, doch muss sie einsehen, dass Letzterer immer mehr verblasst. Zwar einerseits geblendet von Geld und Reichtum, andererseits ihrer Menschenliebe und ihrem eigenen Willen verpflichtet, diskutiert sie mit Martin Luther und Albrecht Dürer und setzt bei ihrem Mann die erste Sozialsiedlung, die „Fuggerei“, durch und kümmert sich beinahe ihr Leben lang um eine mittellose Weberfamilie. Bereits emotional getrennt von Jakob, trifft sie ihren Jugendfreund wieder ... Peter Dempf schildert hier nicht nur eindringlich das persönliche Schicksal der Sibylla Fugger, sondern zeichnet – exzellent recherchiert – ein Bild Augsburgs und ganz Europas in der Zeit zwischen 1479 und 1526, als die Pest, politische sowie religiöse Unruhen die Länder erschütterten, gleichzeitig ein neues Wirtschaftsdenken Einzug hielt und die Kunst florierte. KAROLINE PILCZ Fazit: Ein dichter und vielschichtiger Roman über die faszinierende Zeit der Renaissance. Peter Dempf |Das Amulett der Fuggerin| edition Lübbe 2006, 575 S., EurD 22,90/EurA 23,60/sFr 40 »Sowieso mein Lieblingsautor.« Harry Rowohlt Bodo Morten ist nach schwerer psychischer Erkrankung nach Griechenland ausgewandert. In einer abgelegenen Bucht führt er ein asketisches Leben: viel meditieren, viel schwimmen, wenig Kleidung, kein Alkohol, keine Zigaretten, keine Frauen. Bis Monika Freymuth auftaucht. Eine Frau, die ihn an jemanden erinnert – und sein Leben aus den Fugen bringt ... »Mit einem furiosen und alkoholschweren Finale beschließt Frank Schulz seine Trinker-Triologie.« Der Spiegel Frank Schulz |Das Ouzo-Orakel 545 Seiten | gebunden mit Schutzumschlag Euro 25,60 (A) | ISBN 3-8218-0729-6 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 www.eichborn-berlin.de 29-42 marktplatz 15.05.2006 17:06 Uhr Seite 38 M A R K T P L AT Z FALSCHER SCHUTZ OBSESSIV Allzu große Fürsorge ist oft ein Fehler, auch wenn es sich um ein behindertes Kind handelt. Rund 20 Jugendbücher hat die niederländische Autorin Diane Broeckhoven geschrieben, doch auch mit Büchern für Erwachsene ist sie vertraut. Nach dem unsentimentalen aber intensiven „Ein Tag mit Herrn Jules“ erschien nun ihr Romanerstling auf Deutsch. Er spielt in den 1950erJahren in einer kleinen Gemeinde in Flandern. Die Männer arbeiten, die Frauen kümmern sich um die Familie. Es ist eine stickige Welt – auch für Flora, die keine Kinder bekommen kann, da ihr Bauch nach mehreren Operationen wie eine „Landkarte“ aussieht. Darauf weist ihre Mutter bei Familienfesten nachdrücklich hin und zeigt auch mal den Bauch. Doch nach dem Tod der Mutter ändert sich manches. Flora heiratet Mon, einen fleißigen Handwerker und bekommt Roza, eine Tochter. Bald stellt sich heraus, dass sie etwas langsamer ist als alle anderen, doch Mon will sie nicht in ein Heim geben. Flora spart eisern, einerseits um für die Zukunft ihrer Tochter zu sorgen, andererseits um sich einmal etwas leisten zu können. Bevor sie stirbt, verrät sie Roza das Versteck des Geldes. Aber Geld ist Roza nicht so wichtig, dafür Wout, ein Freund, mit dem sich Roza ein Zusammenleben vorstellen könnte. Doch ihr Vater und auch Wouts Mutter sind dagegen. So bleibt alles beim Alten. Auch mit 50 Jahren lebt Roza noch bei ihrem Vater, bis er ins Altersheim muss. Und dann verrät sie ihrem Vater das Versteck. Der ist überrascht, aber sie hat ganz andere Vorstellungen, was sie damit machen wird. Über mehrere Generationen spannt sich der schmale Roman von Broeckhoven, die für ihre Geschichte einfache Bilder findet, die aber haften bleiben. Sie erzählt lakonisch und mit leichter Ironie von falsch verstandener Fürsorglichkeit, die nicht hilfreich ist, sondern nur einen Zustand stabilisiert und von Mutterliebe, die nicht loslassen kann. Manche Szenen sind sehr eindringlich gelungen, doch sind auch viele Sprünge vorhanden. Noch fehlte ihr die Kontinuität im Erzählen, die sie beim zweiten Roman meisterhaft erreichte. BRIGITTE SCHNEIDER Der Sammler Alfred Irgang ist selber eine Kuriosität. Zwar ist er als einziger Erbe nach dem Tod seiner Eltern mehr als wohlhabend, hat aber die spießige Sozialisation, die verpfuschte Karriere als Student und den Erfolgsdruck seitens des Elternhauses nicht verkraftet und lebt mehr oder weniger wie ein Sandler. Mit dem Unterschied, dass er sich nicht nur eine Wohnung, sondern auch mehrere angemietete Kellerräume leistet, die er für seine Sammlung benötigt. Alfred Irgangs Begehr richtet sich aber nicht auf wertvolle Antiquitäten – er sammelt das, was andere als Müll entsorgen. In seiner Bleibe ist kein Platz für ein Bett, er nächtigt auf einem Schlafsessel, durchquert die Wohnung auf schmalen Pfaden und treibt in seiner Küche zwischen leeren Joghurtbechern und Fischdosen rege Jagd auf Kakerlaken. Alfred Irgang ist glücklich mit seiner Obsession. Sehr zum Missfallen seiner so genannten Freundesrunde, die sich aus arroganten Wissenschaftern und Künstlerinnen, einer selbstgerechten Sozialarbeiterin und einer devoten Studentin zusam- Fazit: Eindringlich erzählte Geschichte über das Leben mit einer Behinderten Diane Broeckhoven |Einmal Kind, immer Kind| Übers. v. Isabel Hessel. C. H. Beck 2005, 173 S., EurD 14,90/EurA 15,40/sFr 26,80 38 + mensetzt. Doch unbeirrt von wütenden Hausmeistern und angeblich besorgten Freunden sammelt Alfred weiter, bis eine Zufallsbekanntschaft, die er sozusagen im Schatten eines Mistcontainers aufgabelt, bei den Normalbiografieinhabern die Alarmglocken schrillen lässt. Schließlich kann man einen verkappten Millionär nicht kampflos einer Müllmamsell überlassen und die „Freunde“ wissen um ein paar wertvolle Erbstücke unter Alfreds schmierigem Krempel. Als der Sammler nach einem bizarren Unfall ins Krankenhaus muss, beschließt man, in seinem Leben aufzuräumen. Das Verhängnis beginnt. Mit bestechender Ironie und scharfer Beobachtung schildert Evelyn Grill die soziale Interaktion zwischen einem Randständigen und den braven Bürgern, die zu jeder Brutalität fähig sind, um ihre Werte zu schützen. SYLVIA TREUDL Fazit: Eine feinsinnige, schwarzhumorige Studie über arrogante Selbstgerechtigkeit, Gier, Sozialhelfersyndrom und kaltschnäuzige Ausbeutung. Pro & Kontra: Evelyn Grill »Der Sammler« Residenz 2006, 240 S., EurD/A 19,90/sFr 34,90 ZUGEMÜLLT Alfred Irgang ist ein „Messie“. So nennt man die Menschen, die am Vermüllungssyndrom leiden, die ihre Wohnung durch Ansammeln von Unbrauchbarem nahezu unbewohnbar machen. Erklärung für diese Zwangsstörung gibt es keine, Behandlung in Form einer Therapie schon. Evelyn Grill, die mit „Vanitas oder Hofstätters Begierden“ 2005 für den Deutschen Buchpreis nominiert worden ist, hat diesen Alfred Irgang zum Helden ihres soeben erschienenen Buches gemacht. Rund um ihn schart sich eine Anzahl von mehr oder weniger befreundeten Menschen. Um die erste Irritation gleich los zu werden: Man weiß nicht genau, wann die Geschichte spielt. Irgang ist zu Ende des Krieges 10, also muss er jetzt ca. 70 sein, so alt wirkt er aber nicht, wirken auch seine gleich alten Freunde nicht. Was zur Vermutung Anlass geben kann, dass dieser Roman schon vor längerer Zeit geschrieben worden ist. Unfair ist es, Äußerungen aus dem Buch gegen die Auto- – rin zu verwenden, aber in diesem Fall deckt sich das, was eine der handelnden Person (eine angehende Schriftstellerin) über Irgang meint, mit der Ansicht des Rezensenten: „Ich überlege mir, ob Alfred Irgang wirklich so interessant ist, dass man über ihn gar einen Roman schreiben kann oder soll. Vielleicht trägt er eine Novelle, aber da müsste etwas passieren.“ Er sammelt, er häuft an. Und schon an der Beschreibung dessen, was er sammelt und wie es bei ihm zu Hause ausschaut, scheitert die Autorin. Chaos oder irre Sammelsysteme detailliert zu beschreiben, das eine ans andere zu reihen, wird bald langweilig. Langweilig wird auch der immer gleiche Ablauf der wöchentlichen Treffen des Freundeskreises. Monoton spult sich das Geschehen ab. Die Autorin erzählt, ihre Figuren sprechen und denken in papierenen Floskeln, so heißt es etwa einmal „Ich könnte mich häuten vor Entsetzen“. KONRAD HOLZER Fazit: Mag sein, dass es als Satire gedacht war, so ist das Buch aber nicht angekommen und kann vergessen werden. BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 29-42 marktplatz 15.05.2006 17:07 Uhr Seite 39 M A R K T P L AT Z existierte in dürftigsten Verhältnissen, vom deutschsprachigen Leser wurde er THEODOR KRAMERS rasch vergessen. Mit ruiLYRIK nierter Gesundheit kehrte er 1957 zurück nach Wien Vor vielen Jahren und verstarb im folgenden Jahr. Er hat die verdiente ich unvorstellbare Zahl von 12.000 (zwölftaumein Brot im send!) Gedichten hinterlassen (zum Vergleich: RICHARD CHRIST Lektorat eines Vom schreibfleißigen Franz Werfel kennen Berliner Verlags. Ich saß Wand an Wand mit wir etwa tausend Gedichte). Die erste Sammeinem älteren Lektor, der mir zum begehr- lung von Kramer, die ich las, „Spätes Lied“ ten Gesprächspartner wurde: Er hatte nach (1996) enthielt ungemein schwermütige, dem Ersten Weltkrieg Lyrik veröffentlicht schwerblütige Verse, ein wortgewaltiger und war Mitglied im Kartell lyrischer Auto- Hymnus auf den Herbst in der Natur und ren, zudem besaß er eine Sammlung Litera- im menschlichen Leben, eingeleitet von „Späturzeitschriften aus der Weimarer Zeit (sie tes Lied“, worin es hieß: „Längst hat mein kam später auf mich) – von ihm hörte ich Land mich vergessen.“ Nach dieser Lektüre zuerst den Namen Theodor Kramer und ließ glaubte ich den Autor festgeschrieben auf Stimmungen in Moll, war dann umso übermir dessen Gedichte zeigen. Kramer, Sohn eines jüdischen Arztes, 1897 raschter, in dem Band „Die Wahrheit ist, in Niederösterreich geboren, überstand den man hat mir nichts getan“ (1959) eine ganz Ersten Weltkrieg schwer verwundet, brach andere Seite kennen zu lernen. Herausgebedas Studium aus Geldmangel ab, sein erster rin Herta Müller kommentiert: „Kein andeGedichtband „Die Gaunerzinke“ erschien rer Autor der deutschen Lyrik hat die pani1929 bei Rütten & Loening. Als Hitler in sche Liebesgier im Alter, das Aug-in-Auge Wien einmarschierte, floh er nach England, mit dem Lebensende so kompromisslos im Thomas Mann erwirkte das Visum. Kramer Lachen und Klagen und in allen Facetten Zum Wiederlesen beschrieben.“ Nichts ist dem Dichter zu gering, zu fragwürdig oder banal als Gegenstand einer Lyrik. Kramer dichtete „Vom Wirtshaus“, „Von den Küchenschaben“, „Von den Furzen“, „Von der Onanie“, „Vom Schnorrer“ und immer wieder klagt er übers Alleinsein und den „Geschmack der Bitternis“. Er widmet seine Strophen den sozialen Randexistenzen, dem Abhub der bürgerlichen Gesellschaft Wiens oder Londons, er porträtiert mit scharfem Blick und sicherem Strich, aber nie ohne Mitgefühl die erfrorene Säuferin, die Vorstadthure, den Zuhälter, den Wanzenvertilger. Ich weiß keinen Lyriker, bei dem sich das Elend des Exils, der Schmerz ums verlorene Heimatland in einem derart gigantischen Werk niederschlägt. Es lebendig zu halten bemüht sich in Wien eine Theodor-KramerGesellschaft, sie gibt die Zeitschrift „Zwischenwelt“ heraus und vergibt einen Preis für Schreiben im Widerstand und Exil. Theodor Kramer |Laß still bei dir mich liegen. Liebesgedichte| Herausgegeben von Erwin Chvojka, Nachwort von Daniela Strigl. Zsolnay 2005, 159 S., EurD 15,90/EurA 16,40/sFr 29 © Donata Wenders 2005 www.amerikanische-literatur.de Familienbande à la Auster – ein bezaubernder Reigen menschlicher Torheiten. 352 Seiten. Gebunden € 19,90 (D) / sFr. 34,90 29-42 marktplatz 15.05.2006 17:09 Uhr Seite 40 M A R K T P L AT Z KRIMINELL BÜROKRATISCH „Schlechter Jazz kann tödlich sein“, heißt es im Klappentext – und damit ist lapidar umrissen, worum es bei diesem Gustostück für Jazz- und Krimifans geht. Der Autor, dem Herausgeber Thomas Wörtche bescheinigt, dass er ein herausragender Pendler zwischen Schlagzeug und Lesepult, zwischen musikalischer und literarischer Synkope ist, bringt jede Menge Insiderwissen und Branchenkenntnis in seinen Titel ein. Beinahe schon unaufgeregt, uneitel, schlicht einerseits, begeistert und enthusiastisch, wenn’s um das Feeling bei einem Auftritt, einer gelungenen Probe geht – und voller authentischer Empörung bei der Entstellung von Jazz zu flachem Mainstreampseudogedudel als Hintergrundmusik für gelangweilte Yuppis – so legt Bill Moody seinen „Helden“ wieder Willen an. Evan Horne ist Jazzpianist, der nach einem Unfall lange Zeit, zähen Einsatz und viel Disziplin braucht, um mit seiner schwer verletzten Hand endlich wieder spielen zu können. Nach einem ComebackAuftritt in L. A. wird er von einem kleinen aber feinen Label zu einem Plattenvertrag ermuntert und Hornes Glückssträhne scheint endlich wieder zu funktionieren: Die Beziehung mit seiner Lebensgefährtin, die ihn moralisch unterstützt, funktioniert, er hat eine neue Formation mit exzellenten Musikern, er ist zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Die schwierige Phase, als er über seinen Polizisten-Freund Coop in unerquickliche kriminalistische Zusammenhänge eingebunden war, scheint ebenfalls abgehakt. Bis Coop ihn anruft und um Hilfe bittet, weil in der Künstlergarderobe eines Softjazzers ein demoliertes Horn neben einem toten Musiker gefunden wird und am Spiegel die trotzig hingeschmierte Botschaft „Bird lives!“ prangt. Horne braucht in seinem Fachwissen nicht allzu tief zu schürfen, um seinem Freund zu erklären, dass diese beiden Worte eine Art Beschwörungsformel darstellen, welche nach dem Tod der Jazzlegende Charlie Parker allerorten auftauchte. Die Frage ist nun, ob es sich beim Mörder um einen fanatischen Parker-Fan, einen eifersüchtigen Kollegen oder um einen subtileren Zusammenhang handelt. SYLVIA TREUDL Als Cora Stephan schreibt die Politologin und Historikerin Sachbücher, als Anne Chaplet ist sie KrimiliebhaberInnen vertraut. Der Autorin, welche mit zahlreichen renommierten Krimipreisen ausgezeichnet wurde, ist mit dem neuen Titel nicht nur eine soghafte Story gelungen, sondern auch ein Stück sozialkritischer Geschichte der jüngeren Vergangenheit sowie die berührende Schilderung einer Vater-Sohn-Beziehung. Alles beginnt damit, dass die Putzfrau Dalia Sonnenschein, beschäftigt bei Pollux Facility Management, im Rahmen ihrer Arbeit den Geschäftsführer eines Großunternehmens in dessen Büro tot auffindet. Dalia gerät in Panik, allerdings nach innen gerichtet, der Tod ist nicht neu für sie. Putzend und wischend und als personifizierter Albtraum jeder Spurensicherungstruppe durchlebt die junge Frau eine traumatische Kindheitssituation, liegt wieder mit der Mutter gemeinsam auf den Knien und entfernt verräterische Flecken vom Boden, die sich neben einer Leiche ausgebreitet haben. Bevor Dalia sich so verhält, wie es diese spezielle Situation landläufig erfordert, steckt sie ein Amulett ein, das der Chef in der erkaltenden Faust hält, und säubert auch noch den Rest des Büros akribisch. Die Chefin der Putzkolonne findet Dalias verspäteten Zusammenbruch und so manches andere an der Situation seltsam, hat aber gute Gründe, verschlagen zu lächeln und die Dinge ihren bürokratischen Gang gehen zu lassen. Und in die Mühlen der Bürokratie gerät dieser Fall natürlich und landet auf dem Tisch der Staatsanwältin Karen Stark. Todesursache ungewiss. Handlungsbedarf ist angesagt, zumal der Tote ein Freund von Karens Kollegen war. Und der Kollege hat seit Studententagen eine Freundesrunde, die sich regelmäßig trifft, zu welcher auch der so plötzlich Hingeschiedene gehörte – ein grundsätzlich gesunder Mann in seinen Vierzigern. Man ist betroffen, beunruhigt, nervös, denn man hat seit den Tagen, als sich in Frankfurt die Startbahn-West-Gegner mit den Hausbesetzern solidarisierten, die junge Generation gegen die Betonköpfe der Vaterfiguren revoltierte, eine sehr spezielle gemeinsame Geschichte. Eine, die man lieber vergessen würde, die aber plötzlich ganz manifest wieder im Raum steht. Und dann kommt der Nächste aus der Runde zu Tode. Die mittlerweile properen Herren mit ihrer sauberen beruflichen Erfolgsgeschichte Fazit: Gelungenes Crossover aus Jazz und Literatur mit psychologischem Gespür Bill Moody |Bird lives! |Übers. v. Anke Caroline Burger Unionsverlag 2006, 272 S.EurD/A 19,90/sFr 34,90 40 Anne Chaplet ist in unterschiedlichen Genres sehr erfolgreich zu Hause. sind am Rande der Panik. Alles ein schrecklicher Zufall, ein Zynismus des Lebens oder der lange und geduldige Arm des Fatums, das jetzt zupackt? In einer sehr gelungenen Mosaiktechnik lässt die Autorin ihre Figuren mit der individuellen Biografie jonglieren und führt sie glaubwürdig zu einem Plot zusammen, der das ganz normale, das extrem dramatische, das hundsgemeine, in Teilen lächerliche, in Teilen anrührende Existenzielle auf den Punkt bringt. Neben der verzweifelten Bemühung der gestandenen Anwältin, mit einem international gefragten Gerichtsmediziner eine Beziehung zu führen, neben der fatalen Geschichte der Putzfrau Dalia, neben den geschönten Lebensläufen der Freundesrunde, die ihre Schwächen, Begierden und Leidenschaften leugnet, ist die Geschichte des Lokalreporters Will jener Handlungsstrang, der dem Titel eine schmerzhaft bitter-schöne Ausrichtung verleiht. Der „Versager“ unter den Freunden zieht nach einer verkrachten Beziehung praktisch mittel- und arbeitslos wieder zu seinem verwitweten Vater – zu einem der „Betonköpfe“ von früher. Und Will, der es hasst, wieder „Willi“ genannt zu werden, bleibt. Bis zum Ende. Von allem. Aber das dauert. Denn die Freundesrunde dezimiert sich weiter. SYLVIA TREUDL Fazit: Anrührend, spannend und auf eine undogmatische Art weise zu nennen. Eine als Krimi codierte Geschichte über in die Jahre gekommene Revoluzzer, Lebenslügen und das Verzeihen. Anne Chaplet |Sauberer Abgang| Antje Kunstmann 2006, 288 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 34,90 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTO: SVEN PAUSTIAN SCHWERMÜTIG 29-42 marktplatz 15.05.2006 17:10 Uhr Seite 41 SPANNENDE SEITEN TANGOKÖNIG, GUT ERFUNDEN Carlos Gardel gilt als die wichtigste Persönlichkeit des argentinischen Tangos. Nicht nur in Argentinien, auch in Spanien, Frankreich und Hollywood war er zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ein angebeteter Showstar. Vermutlich der erste, der Frauen aller Altersstufen zum Weinen und Kreischen brachte. Dunkle Augen, sinnliche Stimme, geheimnisvolle Herkunft, tragischer Tod auf dem Höhepunkt der Karriere – der Stoff aus dem die Mythen gemacht werden. Angeblich ist er 1890 in Toulouse geboren, also ein Franzose, und 1935 bei einem Flugzeugunglück in Medellin umgekommen. Carlos Gardels Originalaufnahmen sind von der UNESCO zum Weltdokumenterbe erklärt worden. Der argentinische Autor Horacio Vázquez-Rial („Tango, der dein Herz verbrennt“) hält die veröffentlichte Lebensgeschichte Gardels für eine mythische Konstruktion und versucht die wahre Geschichte des Charles Romuald Gardés, genannt Carlos Gardel, zu erforschen. 62 Jahre nach dem Flugzeugzusammenstoß in Kolumbien, bei dem Gardel ums Leben kam, findet er einen Augezeugen, der für ihn in seinen Erinnerungen kramt und später spricht er auch mit zweien der zahlreichen Halbbrüder Gardels (oder angeblichen Halbbrüdern). Aus dem Puzzle aus Erinnerungen und Vermutungen entsteht das verwirrende Gespinst einer immer wieder neu geschriebenen Lebensgeschichte, die mit der offiziellen Biografie nur das Todesdatum gemein hat. Die Frage, die sich der Autor und Icherzähler stellt, ist aber nicht die nach der wahren Identität des Tangostars Carlos Gardel, sondern die nach den Mechanismen der Mythenbildung und den (irrelevanten) Bezügen zur Realität. Vermutlich könnte ein solcher Roman, genauso über John Lennon, James Dean oder Greta Garbo geschrieben werden. Über Marilyn Monroe, Romy Schneider oder Elvis Presley gibt es sie, doch haben deren AutorInnen, vergeblich nach der ganzen Wahrheit gesucht und daher am mythischen Gespinst nichts ändern können. Da hat Vázquez-Rial schon die bessere Idee gehabt: Weil es die Wahrheit ohnehin nicht gibt, stellt er dem bekannten Mythos einen unbekannten entgegen, konstruiert und fabuliert wild darauf los und tanzt mit seinen LeserInnen einen Kriminaltango, der leidenschaftlicher nicht sein könnte. Im Original heißt der Roman „Las dos muertes de Gardel“, doch eigentlich sind es viel mehr, denn nicht nur die Schallplatten- und Filmbosse, die Fans, Brüder und Autoren, auch Gardel selbst hat Carlos Gardel immer wieder neu erfunden. Die vielen Tode sind ein untrügliches Kennzeichen für einen Star, der als Kultfigur weiterlebt. KARIN SLAUGHTER DREH DICH NICHT UM € ULRIKE PURSCHKE HENDRIKJE, VORÜBERGEHEND ERSCHOSSEN Es ist schon der dritte Tote in einer Woche. Am Grant College haben die Studenten offenbar ein makabres neues Hobby entdeckt: Sterben. Aber Chief Jeffrey Tolliver und die Gerichtsmedizinerin Sara Linton werden den Verdacht nicht los, dass mit diesen Selbstmorden etwas nicht stimmt … 464 Seiten 10,20 € 12,40 Kennen Sie nicht auch solche Menschen, die sich immer selber im Weg stehen? Ein ungewöhnlich warmherziger und witziger Roman über Hendrikje, den Pechvogel. 220 Seiten JOHN KATZENBACH DIE ANSTALT FOTO: PIPER VERLAG DITTA RUDLE Fazit: Dramatische Lebensgeschichte im Sumpf des beginnenden 19. Jahrhunderts, als Lateinamerika für viele Europäer das Hoffnungsland war. Atmosphärisch dicht und spannend. Achtung Falle: Wenn es nicht wahr ist … Horacio Vázquez-Rial |Der Mann, der sich Carlos Gardel nannte| Übers. v. Petra Zickmann und Stine Lehmann. Piper 2006, 370 S., EurD 22,90/EurA 23,60/sFr 40,10 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 € Vor zwanzig Jahren, als junger Mann, ist Francis Petrel gegen seinen Willen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden. Mehrere Jahre hat er dort zugebracht - bis die Anstalt nach einer Mordserie geschlossen wurde ... 752 Seiten 9,20 15.05.2006 17:12 Uhr Seite 42 Neue Krimis Schmauchspuren 42-53 TB_SB VON PETER HIESS ■ Wir Krimileser sind gefinkelt. Wenn ein Psychothriller den Titel „Die Anstalt“ trägt und von einem Insassen selbigen Narrenhauses an die Wand seiner Wohnung gekritzelt wird; wenn bereits der erste Teil des Buches „Der unzuverlässige Erzähler“ heißt – ja, dann werden wir aufmerksam. Weil: Vielleicht ist der Erzähler gar nicht so unzuverlässig, wie der Autor uns glauben machen will. Und er – Francis Petrel, der mit 20 Jahren in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde und sich Jahrzehnte später an die Ereignisse dort erinnert – ist es natürlich auch gar nicht. Schade um den roten Hering, der in diesem Fall wirklich vom Kopf her stinkt. Trotzdem aber großes Lob für den Roman des amerikanischen Ex-Gerichtsreporters Katzenbach, weil seine Serienmörder-Story spannend erzählt ist, stellenweise an „Einer flog über das Kuckucksnest“ erinnert und erst am Schluß ein wenig verärgert. Aber da will man dann schon unbedingt wissen, wie’s ausgeht. John Katzenbach |Die Anstalt| Übers. v. Anke Kreutzer Knaur TB 2006, 749 S., EurD 8,95/EurA 9,20/sFr 16,50 ■ Trotzdem freut man sich über die Routine eines John Sandford viel mehr. Der betreibt sein Handwerk – vor allem mit den Krimis um Lucas Davenport – aber auch schon um einiges länger als obiger Kollege. Sein Romanheld ist mittlerweile bei der Staatsanwaltschaft von Minnesota für politisch besonders heikle Fälle zuständig und soll sich in dieser Eigenschaft um den Mord an einem Russen und die Aufdeckung eines stillgelegten Rings von „Sleeper“-KGB-Spionen kümmern. Und das tut er so cool, wie man es von ihm gewöhnt ist. Ordentliche Arbeit. John Sandford |Kalter Schlaf| Übers. v. Manes H. Grünwald Goldmann TB 2005, 444 S., EurD 8,95/EurA 9,20/sFr 16,50 42 ■ Weil wir Krimileser nicht nur gefinkelt, sondern auch höchst ungeduldig sind, musste der neue Jasper Fforde im Original her. Der lässt seinen aktuellen Fall aus der Welt der Literatur (oder vielmehr in dieser Welt) nicht mehr von der beliebten Heldin Tuesday Next aufklären, sondern von der britischen „Nursery Crime Division“. Was geschehen ist? Nun, Humpty Dumpty ist von der Mauer gefallen und zerbrochen – und möglicherweise steckt ein Mord dahinter. Großartig erzählt, mit unzähligen literarischen und märchenhaften Anspielungen, ein echtes Lesevergnügen. Jasper Fforde |The Big Over Easy| Hodder & Stoughton 2005, 402 S., Euro 12,90 ■ Ähnliches gilt auch für den dritten Band der neuaufgelegten Abenteuer von Gentlewoman-Gaunerin Modesty Blaise. Sie und ihr Kumpan Willie Garvin werden in ein afghanisches Tal verschleppt, wo sie einen paramilitärischen Angriff auf Kuwait vorbereiten sollen. So sehr dieser Plot auch nach aktueller Nachrichtensendung klingt – Peter O’Donnells Roman ist ganze 40 Jahre alt und verbreitet beste, spritzige Sixties-Atmosphäre. Nur Emma Peel war noch cooler … Peter O’Donnell |Modesty Blaise: Operation Säbelzahn| Übersetzt von Anton & Adele Stuzka. Unionsverlag TB 2006, 319 S., EurD/A 9,90/sFr 17,90 ■ Was in einem kühlen Land passieren kann, wenn dort eine Hitzewelle und zugleich ein Kinderkiller ausbrechen, erfahren wir im Buch eines schwedischen Autorenduos. Aber wir können es ja auch gleich an dieser Stelle verraten: „Die Bestie“ und ihre Untaten machen alle Beteiligten, vom Täter bis zum frustrierten Cop, vom bisexuellen Arzt bis zum bangen Vater, zutiefst betroffen, nachdenklich, supersensibel und introspektiv. Was wir daraus lernen? Politisch korrekte Dokumentarfilmer und/oder Strafgefangene sollten keine Krimis schreiben. Und der Hype um die skandinavischen Genrever- treter ist schwer übertrieben. Nur die Verlage haben das noch nicht begriffen. Anders Roslund/Börge Hellström |Die Bestie| Übers. v. Gabriele Haefs. Fischer TB 2006, 304 S., EurD 7,95/ EurD 8,20/sFr 14,70 ■ Statt nordeuropäischen Kriminalschrott für therapiegeschädigte Hausfrauen auf den Markt zu werfen, sollten die Verlagshäuser lieber die US-„Hard Case Crime“-Serie übersetzen lassen. Tun sie aber nicht. Deswegen halten wir uns an die Originale – diesmal die Bände acht bis zehn: Allan Guthries „Kiss Her Goodbye“ (2005) ist ein hartgesottener schottischer Thriller in der Tradition guter britischer Gangster-Filme (also „Get Carter“ statt Guy Ritchie): Schuldeneintreiber Joe Hope will den Selbstmord seiner Tochter rächen, steht aber plötzlich als Hauptverdächtiger für den Mord an seiner Ehefrau da. Da helfen nur mehr der treue Baseball-Schläger – und eine schlagfertige Nutte. Auch so kann’s im hohen Norden zugehen. Donald E. Westlakes „361“ (1962) erzählt die Geschichte eines jungen Ex-Soldaten, der nach seiner Entlassung aus der Armee erlebt, wie sein Vater erschossen wird, und danach immer tiefer in einen Mafia-Krieg hineingerät. Wie er die diversen Parteien gegeneinander ausspielt, das erinnert wiederum an den Abenteurer in David Dodges „Plunder Of The Sun“ (1949), einer südamerikanischen Story um verlorene Inkaschätze, unseriöse Wissenschaftler und (natürlich) geheimnisvolle Frauen. Merke: Wenn man sich beim Lesen Humphrey Bogart in der Hauptrolle vorstellt, ist das immer ein gutes Zeichen – zumindest für uns gefinkelte Krimileser. Allan Guthrie |Kiss Her Goodbye| Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2005, 223 S., 6,99 US-$ Donald E. Westlake |361| Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2005, 208 S., 6,99 US-$ David Dodge |Plunder Of The Sun| Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2005, 223 S., 6,99 US-$ BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTO: ANGELIKA HERGOVICH Vergeßt Skandinavien! Wer braucht schon Krimis, die sich wie vulgärpsychologische Handbücher lesen? Peter Hiess läßt lieber die wahren Routiniers morden. 42-53 TB_SB 15.05.2006 17:14 Uhr Seite 43 TA S C H E N B U C H | M A R K T P L AT Z ETIKETTENSCHWINDEL HILFREICH In vier Bänden werden berühmte Erzählungen und Novellen von der Klassik bis zur Wiedervereinigung gesammelt. Hauptherausgeber ist der Germanist Albert Meier. Zu Entdecken ist hier kaum etwas, es ist eher eine grundsolide Sammlung bewährter Texte, die großteils als biedere Schullektüre in Verwendung sind und die einen brauchbaren, aber selten spannenden Überblick über die bewährten Literaturepochen bilden. Die jeweiligen Lesebücher werden durch kurze Texte des Herausgebers eingeleitet, in denen eher sehr grob einige Aspekte der literarischen Entwicklung angerissen werden. So weit so gut, nicht aufregend. Warum diese Bände jedoch den Haupttitel „Deutschland erzählt“ führen, wird nicht erklärt. Wenn also von 68 AutorInnen, die insgesamt vertreten sind, 19 nicht aus Deutschland sind, sondern aus der Schweiz und Österreich, darf wohl gefragt werden, warum. Hier muss keine Diskussion über Nationalliteratur angezettelt werden, noch dazu ist ja nicht geklärt, welche denn gemeint wäre. Zuerst gab es die sehr erfolgreiche Homepage (www.frag-mutti.de), die auch durch einige Artikel noch bekannter wurde und dann folgt nun konsequenterweise das Buch. Die Hilfestation für flügge gewordene Jungmänner hat sich als wichtige Instanz erwiesen. So alle Lebensbereiche werden angesprochen, von der ersten Wohnungssuche, dem Einzug, über das Wäsche Waschen, das Einkaufen, das Bügeln, Putzen und Kochen. Fern von mütter- oder väterlichen Einflussnahmen sollte damit das Überleben gesichert sein. Die Tipps sind sehr praxisbezogen und hilfreich. Backpulver in Kombination mit Essig macht eben den verstopften Abfluss wieder sauber und es sind keine stechenden Chemikalien nötig. Locker geschrieben sollten selbst notorische Haushaltsverweigerer einen Zugang zur Thematik finden. Bei den Rezepten erleben mitunter klassische Gerichte des Wirtschaftswunders wie Leberkäse Hawaii fröhliche Auferstehung. Aber wenn es schmeckt … Albert Meier (Hg.) |Deutschland erzählt| 4 Bde. Klassik und Romantik; Realismus; Fin de Siècle, Avantgarden, Exil; Vom Kriegsende bis zur Wiedervereinigung 464, 492, 378, 312 S., Fischer TB 2006, je EurD 8,95/ EurA 9,20/sFr 16,50 FOTO: „DAS ROLF HOCHHUTH LESEBUCH“ VON GERT UEDING/DTV EINFÜHREND Zu seinem 75. Geburtstag ist ein Lesebuch aus den Werken von Rolf Hochhuth erschienen. Eine Sammlung herauszugeben ist ein schwieriges Unterfangen, denn Hochhuths Werk ist doch sehr vielfältig und reicht von Dramen über Erzählungen und Essays bis zu Gedichten. Kaum eine Gattung, mit der er nicht gearbeitet hat. Und er ist noch immer ein eifriger Autor. Schon mit seinem ersten Stück, dem „Stellvertreter“ verursachte er einen ordentlichen Skandal, als er die Rolle des Papstes bei der Judenverfolgung beschrieb. Heute ist das Stück Schullektüre. Hochhuth hat aber nicht nachgelassen. Er trug zum Rücktritt eines Ministerpräsidenten bei, der unter den Nazis Todesurteile vollstrecken ließ und auch heute hat er mit dem Stück „McKinsey kommt“, in dem er die Praktiken der Unternehmensberater attackierte, für Wirbel gesorgt. Einer Auseinandersetzung geht er selten aus dem Weg. Dafür ist er zu engagiert, zu sehr von seinen Ideen überzeugt. Doch auch die unbekannteren Seiten werden in diesem Lesebuch gezeigt, etwa Hochhuth als Lyriker, der sehr sensibel seine Umwelt wahrnimmt. Gert Ueding (Hg.) |Das Rolf-Hochhuth-Lesebuch| dtv 2006, 333 S., EurD 12/EurA 12,40/sFr 21,10 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 Bernhard Finkbeiner, Hans-Jörg Brekle |Frag Mutti| Fischer TB 2006, 247 S., EurD 7,95/EurA 8,20/sFr 14,70 COOL Die kleinen Anthologien zur modernen Literatur eines Landes aus dem Wagenbach Verlag (es gibt sie unter anderem zu Frankreich oder Österreich) sind rundweg zu empfehlen. Noch dazu, wenn in diesem Fall mit A. L. Kennedy eine höchst renommierte Herausgeberin gewonnen werden konnte. Trotzdem, auf relativ wenig Raum einen schönen breiten Überblick zu erfahren ist höchst brauchbar. In diesem Fall wurden 12 AutorInnen ausgesucht, die großteils noch nicht auf Deutsch zu lesen waren. Es sind Erzählungen, die sich wohl mit der Gesellschaft Hochhuth als Taschenbuch: Ein Lesebuch mit der ganzen Bandbreite von Dramen bis zu Gedichten. auseinander setzen, auch manchmal durch Ironie auszeichnen, doch insgesamt an der Sprache abarbeiten. Schnelle Sprache, derber Jargon, Schockelemente gehören nicht zum Handwerkszeug dieser AutorInnen oder zumindest haben sie es hier nicht verwendet. Einen Großteil der Übersetzungen haben übrigens die Studenten des Aufbaustudienlehrganges „Literarische Übersetzung“ der Uni München übernommen. Und das Ergebnis liest sich gut. A. L. Kennedy (Hg.) |Cool Britannia| Wagenbach TB 2006, 158 S., EurD 9,90/EurA 10,20/sFr 18,10 EMPÖRT Die Nachschrift nach „Die Wut und der Stolz“, jener vehementen Anklageschrift gegen den Islam und alle Menschen, die sich dazu bekennen, ist noch genauso kämpferisch. Eigentlich wollte die ehemalige Starjournalistin nur auf die Angriffe ihrer Kritiker antworten, doch dann ging es mit ihr durch. Wieder zählt sie fast atemlos ein Beispiel nach dem anderen auf, um zu belegen, wie der Islam die westliche Kultur attackiert und an ihrem Niedergang arbeitet. Als Beweis erzählt sie Fälle aus ihrer Arbeit, etwa als sie Muhammad Ali interviewte. Damals konnte sie aber die wahre Gefahr noch nicht abschätzen und damals war sie auch noch eine liberale Journalistin, aber das nur nebenbei. Ihr neues Buch liest sich flott, ist aber ein derart vorurteilsbehaftetes Pamphlet, dass es fast als Lehrbeispiel für diese Art Literatur gelten könnte. Sie benutzt jeden Trick, um ihre Mission zu erfüllen und Untergriffe sind ihr dabei genauso recht. Oriana Fallaci |Die Kraft der Vernunft| Übers. v. Paula Cobrace. List TB 2006, 317 S., EurD 7,95/EurA 8,20/sFr 14,80 GEREIST Auf Einladung des Goethe Instituts verbrachte Steffen Kopetzky vier Wochen in Marokko. Klingende Namen werden lebendig, denn natürlich reiste er nach Marrakesch, nach Tanger und nach Rabat oder in die Hafenstadt Salé. In seinem Tagebuch, das er von der Reise führte, erzählt er von den Menschen, die er traf, von den Orten, die er besuchte. Ein Reisetagebuch eines sehr wachen, genau beobachtenden Reisenden. Kopetzky erzählt wenig von der Geschichte der Orte, ihn interessieren mehr die Gegenwart, die Lebensverhältnisse, seine Reaktionen auf die Geschehnisse. Er weiß, dass er wieder zurückfahren wird, dass er kein Aussteiger ist oder werden wird, denn seine Frau ist schwanger und wartet zu Hause. Und sie taucht auch in seinen Beschreibungen des Öfteren auf. „Marokko“ ist kein spektakuläres Buch, eher 43 42-53 TB_SB 15.05.2006 17:19 Uhr Seite 44 M A R K T P L AT Z | TA S C H E N B U C H TASCHENBUCH TIPPS eine sehr persönliche Beschreibung einer Reise, bei der nicht die Sensation gesucht wird, sondern eher einfache Begegnungen mit dem Unbekannten. Ein Sixpack, also diese Karton-Tragetasche für sechs Flaschen Bier steht da. Im konkreten Fall kriegen Sie sogar sieben. Aber nicht Biere, sondern Bücher. Gerade richtig als handliches Lektüremöbel für die anstehende, wohlverdiente Sommererholung. Und weil laut Jean Paul „Bücher nur dickere Briefe an Freunde“ sind, ist besagtes Sixpack ein besonders dicker Freundschaftsbeweis. 407 Texte wurden vom Diogenes Verlag ausgewählt: deutschsprachige Erzähler bringt ein Band, Erzähler aus aller Welt ein weiterer, dann Kriminalgeschichten, Satirisches, Biografisches … . Grund für das praktische Köfferchen: Der Verlag hat bislang über 100 Millionen seiner Taschenbücher verkauft und hatte somit keine Schwierigkeiten, aus dem reichhaltigen, gewichtigen Angebot auszuwählen. Zum (Wieder-) Lesen auf über 3500 Seiten: Alfred Andersch und Erich Hackl, Friedrich Dürrenmatt und Loriot, Somerset Maugham, John Irving, Patricia Highsmith, Georges Simenon, Donna Leon, Nietzsche, Tschechow, Marcuse, Camus, Barbara Vine, Magdalen Nabb, Ingrid Noll. – Ach ja, die sieben Bücher sind auch einzeln zu erstehen, aber der geneigte Leser, die aufmerksame Leserin werden sich diesem Sixpack mit hochprozentigem Inhalt kaum entgehen lassen (kostet knappe 20 Euro)! Sie ist den meisten wohl als ausgezeichnete (und bepriesene) Kinder- und Jugendbuchautorin bekannt: Renate Welsh. Die Wienerin schreibt aber auch Romane für die ältere Klientel („Das Lufthaus“, dtv). Ihr neuester Wurf, „Die schöne Aussicht“ (dtv premium), bringt das beeindruckende Bild einer Frau und ihres verwinkelten Werdegangs in den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Im Gasthaus der Eltern aufgewachsen, nicht gerade mit Bildung gesegnet, erfährt sie ein Dasein als unerwünschtes Kind und als wenig gelittene Person. Ihre Lehrmeisterin muss als Jüdin 1938 fliehen, ihr erster Freund stirbt bei einem Unfall, im elterlichen Gasthaus treffen sich die Nazis … Keine sentimentale Zeitreise, auch nicht die heroische Darstellung einer zur kühnen Kämpferin gewordenen (dazu ist Rosa viel zu unbedarft), doch ein stimmiger Rückblick, ein Zeitbild, wohl auch Erinnerungen und schmerzliche, späte Erkenntnisse. NJ Steffen Kopetzky |Marokko| btb 2006, 188 S., EurD 8,50/EurA 8,80/sFr 15,80 44 BEWEGLICH Im Fußball besteht eine Mannschaft nun mal aus elf Personen. Nahe liegend, dass für eine Anthologie von Fußballgeschichten von Frauen auch elf Autorinnen gesucht wurden. Prominente Namen sind zu finden, etwa Sibylle Berg, Fanny Müller, Sibylle Lewitscharoff, Annette Pehnt oder Eva Rossmann. Die Herangehensweisen sind unterschiedlich, manchmal wird fabuliert, dann wieder ein Stück aus der eigenen Erinnerung angeboten. Trotzdem, jeder Text tendiert eher zum Spielerischen und scheut sich nicht vor dem Witz. Manchmal mehr, manchmal weniger. Dahinter ist jedoch oft eine Gegnerschaft zu spüren. Fußball ist eben ein Männersport und Frauen interessieren sich weniger dafür, und wenn, dann machen sie sich ein wenig lustig darüber. Dass immerhin die deutsche Nationalmannschaft der Frauen den Weltcup gewann, wird zwar einmal erwähnt, doch wirklichen Nachhall hat es nicht hinterlassen. Wie auch bei vielen Männern nicht. Aber dafür gibt es vielleicht andere Gründe. Eine recht launige und unterhaltsame Sammlung, die als lustvoller Einstieg für die WM gelten kann und die auch Klischees bedient. literaturhaeuser.net (Hg.) |Aus der Tiefe des Traumes| Sammlung Luchterhand 2006, 171 S., EurD 9/EurA 9,30/sFr 16,60 ANALYTISCH Vor 100 Jahren starb der Norweger Henrik Ibsen und ist trotzdem heute noch immer einer der meistgespielten Dramatiker der Welt. Mit seinen Stücken wie „Nora oder ein Puppenhaus“ hat er Theatergeschichte geschrieben. Vier seiner wichtigsten Werke sind in dem Band versammelt. Neben der Nora sind es „Hedda Gabler“, „Baumeister Solness“ und „John Gabriel Borkmann“. Er hat nichts von seiner Kraft und Modernität verloren, das zeigt sich so richtig in den neuen Übersetzungen von Hinrich SchmidtHenkel. Da er bei seiner Übertragung auf sprachliche Modernismen verzichtete, lässt sich die Sprache nicht mehr zeitlich verorten und wird die Gültigkeit Ibsens für unsere Zeit deutlich herausgearbeitet. Denn immer noch sind seine Attacken auf die Lebenslügen, auf die bigotten Verhaltensweisen honoriger Bürger und deren hohles Lebensglück erfrischend zu lesen. Unbarmherzig seziert Ibsen seine Figuren, legt ihre Schwächen bloß. Ein guter Einstieg, um einen wichtigen Schriftsteller kennen zu lernen. Henrik Ibsen |Theaterstücke| Übers. v. Hinrich Schmidt-Henkel rororo 2006, 480 S., EurD 12,90/EurA 13,30/sFr 23,50 NACHGEFRAGT Mit einem Zettelkasten oder einer Datenbank und genügend Konsequenz und Durchhaltewillen lässt sich manches machen. So auch ein Buch, das Auskunft über Redewendungen und Wörter gibt. Wolfgang Seidel hat zahlreiche Wörterbücher konsultiert und aufmerksam Worte gesammelt. Herausgekommen ist ein verführerisches Buch für alle, die gerne wissen wollen, woher die Worte stammen, die tagtäglich verwendet werden. Aus allen Lebensbereichen hat Seidel Wörter und Redewendungen gesammelt, ob nun Sport und Freizeit oder Kultur und Medien. Wissenschaft, Medizin oder Wirtschaft bieten auch viele Grundbegriffe. Wenn nun noch die Herkunft der Markennamen erklärt wird oder die Entstehung von Tiersymbolen als Markenzeichen, wird nicht nur ein informatives Wörterbuch, sondern auch ein kulturgeschichtliches Lesebuch daraus, das sich an beliebiger Seite aufschlagen lässt und zum Schmökern verleitet. Wolfgang Seidel |Woher kommt das schwarze Schaf?| dtv 2006, 256 S., EurD 9,50/EurA 9,80/sFr 16,80 ERKLÄRT Durch ihre Bücher über die „Frauen der Nazis“ wurde die österreichische Historikerin Anna Maria Sigmund bei Veranstaltungen auch oft mit Fragen zur Person Hitlers konfrontiert. Diese Fragen waren Anlass für ihr jüngstes Buch, das auf sieben Fragen basiert, etwa, was machte die Faszination Hitlers aus? Oder warum hat niemand Hitler umgebracht? Neue Materialien legt Sigmund bei ihren ausführlichen Antworten nicht vor, doch war das auch nicht die Intention. Die Literatur über Hitler und die Nazis ist umfangreich und für viele schwer zu überblicken. Hier ging es darum, möglichst lebendig, trotzdem fundiert, naheliegende Fragen für ein breiteres Publikum zu beantworten. Und das ist ihr gut gelungen. Viele Zitate und Querverweise sorgen für Anschaulichkeit. Anna Maria Sigmund |Diktator, Dämon, Demagoge| dtv 2006, 260 S., EurD 12,50/EurA 12,90/sFr 21,90 VERBLÜFFEND Sicher sind Naturwissenschaften wichtig, doch so richtig will sich nach der Schulzeit niemand damit auseinander setzen, außer es ist beruflich nötig. Anders ist es aber, wenn es sich um praktische Beispiele aus dem AllBUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 42-53 TB_SB 15.05.2006 17:16 Uhr Seite 45 Unglaubliche Lebensgeschichten zweier Frauen aus Österreich Tristesse pur, aber als Buch wie als Film beeindruckend: Szene aus „Tsotsi“. tag handelt: Das ist so Grundidee hinter der Fernsehsendung „Clever!“. Wigald Boning und Barbara Eligmann moderieren und stellen dem Publikum dabei Fragen über die Belastbarkeit von Haaren oder in welchem Haushaltsgerät sich Bier brauen lässt. Auch die Frage, warum der Magen knurrt, wird untersucht. Und weil sich niemand so eine Sendung längere Zeit merkt, war es wohl nahe liegend, aus den witzigsten Fragen und Antworten ein Buch zu fertigen. Übrigens, angeblich lässt sich eine Waschmaschine fürs Bierbrauen nützen. Aber es wird empfohlen nicht alle Experimente, die im Studio durchgeführt wurden, auch zu Hause zu überprüfen. Zum Knobeln ist das Buch auf alle Fälle geeignet. Tsotsi lässt sich nicht gerne ausfragen. Weder über seine Vergangenheit, noch über seine Wünsche oder Träume. Er ist Anführer einer kleinen Gang und lebt von Überfällen. Das Leben seiner Opfer ist ihm nicht viel wert, allerdings auch nicht sein eigenes. Doch plötzlich ändert sich alles, als ihm zufällig ein kleines Baby auf seinen Streifzügen in die Hände fällt. Ungeschminkt, drastisch und mitunter sehr brutal schildert Athol Fugard das Leben in den Townships während der 1950er-Jahre in Südafrika. Das Buch konnte allerdings erst 1980 veröffentlicht werden und gilt heute als einer der wichtigsten Romane der südafrikanischen Literatur. Für die oscarprämierte Verfilmung wurde die Handlung in die Gegenwart verlegt. Noch immer streift ein neuer Tsotsi durch die nächtlichen Straßen. Wigald Boning, Barbara Eligmann |Clever!| rororo 2006, 218 S. EurD 9,90/EurA 10,20/sFr 17,90 Athol Fugard |Tsotsi| Übers. v. Kurt Heinrich Hansen Diogenes 2006, 330 S., EurD 9,90/EurA 10,20/sFr 16,90 S P E Z I A LT I P P FOTO: FILMLADEN/WWW.FILMLADEN.AT DRASTISCH UNRUHIGER GEIST Als junger Dichter wurde Jakob Michael Reinhold Lenz als der neue Shakespeare gefeiert und zählte neben Goethe zu den wichtigen Schriftstellern des Sturm und Drang. Doch bald kam es zu Rückschlägen. Während Goethe sich in Weimar etablierte, konnte Lenz von seinen Arbeiten kaum leben. Zum großen Zerwürfnis mit Goethe kam es in Weimar, wo sich Lenz niederlassen wollte, doch Goethe die Konkurrenz fürchtete. Er lancierte einige Intrigen und schickte ihn dadurch wieder auf die Wanderschaft. Bei Lenz zeigten sich erste Depressionen. Georg Büchner hat diese Phase in seiner Novelle „Lenz“ eindringlich geschildert. Lenz war zu unangepasst und schrieb auch mit seinen Stücken, wie dem „Hofmeister oder Vorteile der Privater- BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 ziehung“ gegen die Dressur der Menschen an. Verarmt starb er 1792 mit 41 Jahren auf den Straßen Moskaus. Sein Einfluss auf die spätere Dramenentwicklung, den Naturalismus, Expressionismus und das epische Theater sind heute unbestreitbar. Durch diese von Sigrid Damm herausgegebene Ausgabe besteht eine gute Gelegenheit, sich intensiver mit Lenz zu beschäftigen. Fast das gesamte Werk von ihm sowie Briefe an und von Lenz wurde aufgenommen, umfassend kommentiert und mit einem biografischen Essay versehen. Leider wurde ein Text, der bei seiner Wiederentdeckung 1994 als literarische Sensation galt, die „Philosophischen Vorlesungen für empfindsame Seelen“, nicht mit aufgenommen. TH ISBN 3-293-20357-4 420 Seiten, € 9.90 [D]/sFr 17.90 »Inge Sargent ist die letzte Prinzessin der Shan. Ihre schier unglaubliche Lebensgeschichte schildert die Försterstochter aus Kärnten einfach und klug.« Frankfurter Allgemeine Zeitung ISBN 3-293-20353-1 144 Seiten., € 8.90 [D]/sFr 16.50 »Grond erzählt die abenteuerliche Geschichte einer faszinierenden Frau, die ihr Leben - in einem ganz wörtlichen Sinn - selbst entwirft.« Norddeutscher Rundfunk Sigrid Damm (Hg.) |Jakob Michael Reinhold Lenz Werke und Briefe in drei Bänden| Insel TB 2005, 2739 S., EurD 32/EurA 32,90/sFr 56 Unionsverlag www.unionsverlag.com 46-47 bildbände_neu 16.05.2006 10:19 Uhr Seite 46 M A R K T P L AT Z | B I L D B Ä N D E Scharf konturiert Ein monumentales und beeindruckendes Buch über riesige Bäume. VON TOBIAS HIERL FOTO: AUS „BAUMRIESEN“ VON JAMES BALOG/FREDERKING & THALER S echs Jahre benötigte der Fotograf James Balog für sein Projekt: 92 Bäume von 47 verschiedenen Arten der mächtigsten, größten und ältesten Bäume der USA zu fotografieren. Er beschaffte sich weiße Stoffbahnen, ließ sie von Kränen hochziehen und fotografierte jeden Baum, als ob er im Studio arbeiten würde. Doch die Bäume sind riesig und die Weite und Offenheit eines Baumes schwer einzufangen. Selbst wer neben einer großen Eiche steht oder darüber hinwegfliegt, sieht eben nur einen Teil des Baumes, niemals das Ganze von den Wurzeln bis zu den letzten Verzweigungen. Und das war eben die Herausforderung. Denn wer weiß, dass beispielsweise in Baumstämmen das Wasser innerhalb einer Stunde 45 Meter steigen kann; oder dass in den Kronen bestimmter großer Bäumen Hunderte von Tieren und Pflanzen leben können. Ein neuer Zugang, eine neue Technik war nötig. Um sich also dem Thema Bäume anzunähern, fügte er mehrere Bilder zusammen und entwickelte daraus später ein System der Fotosequenzen. In Folge arbeitete er mit digitalen Mehrfachbelichtungen und kam so zu mosaikartigen Bildarrangements, die an kubistische Bilder gemahnen. Um das Ausmaß der Bäume drastisch darzustellen, fotografierte er bisweilen jede Ebene des Baumes in Dutzenden von Fotografien. Dazu kletterte er mit seiner Ausrüstung auf einen gegenüberliegenden Baum und seilte sich langsam ab. Daheim setzte er dann seine Fotoausbeute am Computer zu unglaublichen neuen Mosaiken zusammen. Bis zu 800 Fotos waren für eine Collage nötig 46 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 46-47 bildbände_neu 16.05.2006 10:20 Uhr Seite 47 B I L D B A N D | M A R K T P L AT Z Die mächtige Eiche in Covelo, Kalifornien, wurde von Balog Schicht für Schicht fotografiert. Ì James Balog |Baumriesen| Übers. v. Frank Auerbach Frederking & Thaler 2006, 192 S., EurD 75/EurA 77,25/sFr 126 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 47 42-53 TB_SB 15.05.2006 17:18 Uhr Seite 48 Auf Atmosphäre setzt Ute Mahler bei ihren Fotos zur Freud-Biografie von Birgit Lahann. Familiäre Bezüge. Über Freuds Familie weiß Nur zu Mozart ist eine ähnliche Dichte an Neuerscheinungen zu verzeichnen wie zum Freud-Jubiläum. Vorwiegend die Person, weniger die Theorie steht dabei im Mittelpunkt. Ein kritischer Überblick von RICHARD CHRIST und TOBIAS HIERL er sich über Freud informieren möchW te, hatte in den letzten Wochen gute Gelegenheit dazu. Kaum eine Zeitschrift oder ein Fernsehsender, wo nicht zumindest ein Artikel, eine kleine Sendung über die Gründungsfigur der Psychoanalyse vorkam. Aufmerksame Beobachter wissen nun vielleicht besser Bescheid, ansonsten bleiben noch eine große Stückzahl an Publikationen, teilweise wieder aufgelegt, teilweise erstmals publiziert. Die biografischen Ansätze. Noch immer frisch, informativ, sehr literarisch ist die schon 1956 erstmals erschienene Studie über Freuds Leben und Werk von Ludwig Marcuse. Weitaus opulenter ist die Biografie von Peter Gay, die jetzt neu aufgelegt wurde. Auch die Bücher von Max Schur und Georg Markus sind Neuauflagen. Die Freud-Biografie von Georg Markus erschien erstmals 1989. Er verfolgt darin den Weg eines Mannes, der gleichviel Genie wie Original war. Sehr aufschlussreich sind die Angaben über Einkommen, Honorare usw., besonders da stets eine Umrechnung der damaligen Währungen in Euro beigegeben ist. Neu und rechtzeitig zum Jubiläum fertig geworden sind die Biografien von Katja Behling, von Birgit Lahann und Barbara Sternthal. Einen speziellen Gesichtspunkt hat sich Linde Salber ausgesucht, nämlich Freuds Beziehung zu Frauen. Sehr lebendig 48 und anschaulich schreibt Birgit Lahann. Sie bereiste alle Wirkungsstätten von Freud und dieser Aufwand hat sich gelohnt. Die Fotos von Ute Mahler sind eine originelle Beigabe. Mit reichlichem zeitgenössischen Bildmaterial kann das Buch von Barbara Sternthal aufwarten. Katja Behling beschreibt neben der Person Freud die Entwicklung der psychoanalytischen Gesellschaft und gibt einige Ausblicke auf die weitere Entwicklung von Freuds Werk nach seinem Tod. Ausschließlich auf Zitate aus Briefen und Werken stützt sich die Bildmonografie von Ernst Freud, Lucie Freud und Ilse Grubrich-Simitis. Vielleicht der objektivste Zugang. Ludwig Marcuse |Sigmund Freud. Sein Bild vom Menschen| Diogenes 2006, 253 S., EurD 21,90/EurA 22,60/sFr 37,90 Peter Gay |Freud| Fischer TB, 904 S., EurD 10/EurA 10,30/ sFr 18 Max Schur |Sigmund Freud| Suhrkamp TB 2006, 701 S., EurD 15/EurA 15,50/sFr 27,40 Georg Markus |Sigmund Freud. Die Biografie| Langen Müller 2006, 352 S., EurD 22,90/EurA 23,60/sFr 39,90 Katja Behling |Dunkler Seele Zauberbann| Pichler 2006, 272 S., EurD/A 24,90/sFr 43,70 Birgit Lahann, Ute Mahler |Als Psyche auf die Couch kam| Aufbau 2006, 180 S., EurD 24,90/EurA 25,60/sFr 44,50 Barbara Sternthal |Sigmund Freud. Leben und Werk 1856 – 1939| Brandstätter 2006, 159 S., EurD/A 29,90/sFr 52,90 Großformatiger Bildband Linde Salber |Der dunkle Kontinent. Freud und die Frauen| rororo 2006, 317 S., EurD 8,90/EurA 9,20/sFr 16,50 Ernst Freud, Lucie Freud, Ilse Grubrich-Simitis |Sigmund Freud. Sein Leben in Bildern und Texten| Suhrkamp TB 2006, 352 S., EurD 12/EurA 12,40/sFr 22,10 Eva Weissweiler |Die Freuds. Biographie einer Familie| Kiepenheuer & Witsch 2006, 479 S., EurD 24,90/EurA 25,60/sFr 42,30 Lilly Freud-Marlé |Mein Onkel Sigmund Freud| Aufbau 2006, 341 S., EurD 22,90/EurA 23,60/sFr 41,10 Sophie Freud |Im Schatten der Familie Freud| Übers. v. Erica Fischer u. Sophie Freud. Claassen 2006, 475 S., EurD 19,95/ EurA 20,60/sFr 35 Die Texte im Original. Zum Jubiläum erschienen auch einige Sammlungen aus den Schriften Freuds, die besonders für LeserInnen, die sich erstmals mit Freud beschäftigen interessant sein dürften. Im Lesebuch sind seine Schriften aus vier Jahrzehnten versammelt. Auch für bibliophile Naturen gibt es Lesestoff, etwa die „Freud Fundamente“. Eine Kassette mit den beiden zentralen Büchern von Freud, der Traumdeutung (1900) und den drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905) sowie den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916/17). Umfassender ist noch die Werkausgabe in zwei Bänden. Herausgegeben wurde die zweibändige Ausgabe (Elemente der Psychoanalyse und Anwendungen der Psychoanalyse) von Anna Freud und Ilse Grubrich-Simitis. Freuds Tochter hat die Einführungen zu den einzelnen Kapiteln geschrieben. Eine richtige Neuentdeckung ist aber der Briefwechsel von Anna Freud mit ihrem Vater. Ausführlich kommentiert zeigt BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTO: AUS „ALS DIE PSYCHE AUF DIE COUCH KAM“ VON BIRGIT LAHANN UND UTE MAHLER/AUFBAU Familienanalysen im Hause Freud man relativ wenig. Jetzt kommen aber sukzessive Berichte und Erinnerungen seiner Verwandten zur Veröffentlichung, die auch ein persönlicheres Bild erlauben. Einen opulenten Familienroman legte Eva Weissweiler mit ihrer Biografie der Familie Freud vor. Sie arbeitete alle derzeit verfügbare Literatur ein und wir erfahren sehr viel über die einzelnen Familienmitglieder. Manches ist schockierend und manches zeigt die Person Freud in einem neuen Licht. Sie wird weitaus nicht mehr so sympathisch gezeigt, wie in vielen anderen Biografien. Wichtige Kritikpunkte an Freuds Handlungen hat Weissweiler aber von C. G. Jung übernommen. Dessen Glaubwürdigkeit ist zumindest ein wenig zu hinterfragen. Trotzdem bleibt noch immer eine große Materialfülle über. Sicher eine der interessantesten Neuerscheinungen zum Thema. Ungeschönte Familieneindrücke lassen sich auch aus den Büchern der Nichte von Freud, nämlich Lilly FreudMarlé und seiner Schwiegertochter Ernestine ziehen. Beide Bücher sind auch von kulturhistorischem Interesse. 42-53 TB_SB 15.05.2006 17:20 Uhr Seite 49 INTERVIEW S A C H B U C H | M A R K T P L AT Z Eine Wissenschaftslegende privat Christfried Tögel ist sicher einer der besten Kenner von Freuds Werk. Zum Jubiläum kann er mit einem Band „Freud für Eilige“ und der Herausgabe einer Biografie von Freuds Nichte aufwarten. Für einen Film über Freud wurde er auch herangezogen. Mit ihm sprach Tobias Hierl. BUCHKULTUR: Über Freud wurde eigentlich schon so viel geschrieben, mit der Person Freuds beschäftigte man sich intensiv. Das Einzige, was vielleicht noch nicht so richtig beackert ist, wäre Freud und Familie, also die persönliche Note Freuds, der man noch etwas abgewinnen könnte. Sind die Bücher von der Schwester oder der Nichte in diesem Umfeld anzusiedeln? Christfried Tögel: Die persönliche Note ist manchmal relevant. Sie finden in der Biografie von Lilly keinen Satz über eine psychoanalytische Hypothese oder Theorie, aber sie können viel Atmosphäre mitbekommen. Sie finden Details über die Tischordnung, wie Freud den Raum betreten und seine Enkel begrüßt hat. Dinge, die Sie normalerweise in Biografien nicht finden. Dinge, die jungen Menschen aufgefallen sind, die einen alten Mann beobachtet haben. Die Nichte ist 1888 geboren und wie sie zehn war, war Freud noch nicht 50. Es sind immerhin Eindrücke von einem Wissenschaftler, der in der Mitte des Lebens stand. Das ist schon interessant, nicht vom theoretischen Gesichtspunkt aus, aber atmosphärisch. BUCHKULTUR: Welchen Erkenntnisgewinn ziehen wir daraus, außer dass wir seine Person, also eine Wissenschaftslegende privat näher kennen lernen? FOTO: SUSANNE SCHLEYER Tögel: Mich als Wissenschaftshistoriker fas- ziniert das schon, wenn man auch nur ein kleines Mosaiksteinchen zu einem Bild findet und stückchenweise dieses Bild vervollständigt und man weiß ja nicht, wann irgendein Detail einmal Bedeutung erlangt. Die Nichte schreibt zum Beispiel an einer Stelle, dass Freud seinen Vater versprechen musste, nie einen Verwandten zu behandeln und das war, als Freud noch Medizinstudent war, wo es überhaupt nicht um Psychoanalyse ging. Dass das später in der Psychoanalyse ein wichtiger Punkt in der Behandlung war, also aufgrund der Abstinenzregel Verwandte nicht behandelt werden können, bekommt vor diesem Hintergrund vielleicht ein wenig eine andere Bedeutung. Vielleicht war dieser Teil der psychoanalytischen Technik schon biografisch angelegt. Also, man weiß nie genau, an welcher Stelle gewisse Details vielBUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 on bei Freud. Sind Sie jemand, der die menschlichen Seiten bei Freud präsentieren möchte? Tögel: Eigentlich nein, das hat sich so ergeben. Ich als Wissenschaftshistoriker klebe sehr an Details und habe viele sehr spezifische Arbeiten veröffentlicht, die eigentlich nur 100 Leute interessieren, die sich damit beschäftigen. Und irgendwann bin ich mal dazu gekommen auch etwas für ein breites Publikum zu schreiben, mal einen Überblick oder „Freud für Eilige“. Ich bin dem früher etwas überheblich gegenübergestanden, aber ich halte das heute doch für etwas Wichtiges. Freud hat Fragen gestellt, an denen kommt niemand vorbei, egal ob er sie immer richtig beantwortet hat. BUCHKULTUR: Können Sie ein Beispiel bringen, für so eine Detailfrage, die für Sie relevant ist? Tögel: Ein Thema, das für mich interessant Seit rund 30 Jahren hat Freud einen Fixplatz im Leben von Christfried Tögel. leicht sogar auch in die Therapie- oder Theoriegeschichte eingeordnet werden. BUCHKULTUR: Seine Aussagen werden dadurch weder wahr noch falsch, wenn sie durch biografische Aussagen überlagert werden. Aber umgekehrt, im öffentlichen Diskurs stehen dann nur mehr die biografischen Details. Tögel: Das ist doch überall so. Sie wissen doch, was in den Medien Einschaltquoten bringt und woran die Leute interessiert sind. Das Publikum wird über eine bestimmte Situation angesprochen, die den Menschen emotional nahe bringt und nicht über seine Theorie. Letzteres geht in der Regel nicht, mit Ausnahme von Fachleuten. Und wir haben schon ein gewisses Interesse an einer Popularität. Das geht hin bis zu Finanzierungen. Die deutsche Forschungsgemeinschaft wird ein Projekt eher finanzieren, wenn in der allgemeinen Öffentlichkeit das Thema diskutiert wird. Egal ob jetzt über Verhältnisse mit Hausangestellten oder Schwägerinnen. Es ist im öffentlichen Bewusstsein und hat größere Chancen finanziert zu werden. Das sehe ich ganz pragmatisch. BUCHKULTUR: Was ist dann ihre Positi- war, war eine ganz kurze Episode 1859 in Leipzig, damals war Freud drei Jahre. Sein Vater hat dort die ständige Aufenthaltsgenehmigung beantragt. Sie ist dreimal abgelehnt worden. Und wenn er die bekommen hätte, hätte die Familie Freud nicht in Wien, sondern in Leipzig gelebt und die Psychoanalyse wäre nicht in Wien, sondern in Leipzig entstanden, in Sachsen. Ich fand das schon interessant. Das ist aber nichts für ein breites Publikum. BUCHKULTUR: Sie beschäftigen sich jetzt seit rund 30 Jahren mit Freud. Ist noch viel zu tun? Tögel: Es gibt noch 5000 unveröffentlichte Briefe. Und so viele weitere Dinge, wie Dokumente, Aufzeichnungen, Patientenkalender, Abrechnungsbücher, die Informationen über Freuds Praxis, über seinen Tagesablauf, über den Umgang mit Patienten liefern können. Da haben Generationen von Forschern noch genügend Arbeit. Da brauchen sie keine Angst zu haben. CHRISTFRIED TÖGEL, geb. 1953, promovierte über die Traumforschung, habilitierte über Entwicklung und Rezeption der klassischen Psychoanalyse und betreute die Erfassung und Neuordnung der großen Freudarchive in Wien, in London und teilweise in der Kongressbibliothek in Washington. Und ist heute Direktor des SALUS-Instituts für Trendforschung und Therapieevaluation in Mental Health. Mehr als 100 wissenschaftliche Publikationen zur Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie, zur FreudBiografik und mehrere Editionen von Briefen Sigmund Freuds. Er ist Herausgeber u. a. von Anna Freud-Bernays „Eine Wienerin in New York“ und Lilly FreudMarlé „Mein Onkel Sigmund Freud“. 49 42-53 TB_SB 15.05.2006 17:21 Uhr Seite 50 M A R K T P L AT Z | S A C H B U C H Zur Hinterlassenschaft im Freud-Museum in London zählt auch die Brille, die Freud in seinen letzten Jahren trug. dieser Briefwechsel die wechselvolle VaterTochter-Beziehung, die zentral für das Weiterwirken von Freuds Werk werden sollte. Sigmund Freud |Das Lesebuch| S. Fischer 2006, 350 S. EurD 12/EurA 12,40/sFr 21,90 Sigmund Freud |Freud Fundamente| S. Fischer 2006, 1312 S. EurD 39,90/EurA 41,10/sFr 69,40 Anna Freud/Ilse Grubrich-Simitis (Hg.) |Sigmund Freud| Werkausgabe in zwei Bänden. S. Fischer 2006, 624 S., EurD 25/EurA 25,70/sFr 43,80 Sigmund Freud, Anna Freud |Briefwechsel 1904 – 1938| Ingeborg Meyer-Palmedo (Hg.). S. Fischer 2006, 680 S., EurD 34,90/EurA 35,90/sFr 60,40 * unverbindliche Preisempfehlung Kurz und originell. Als Auffrischung oder einfach als kurzweiliger Einstieg können die schmalen Bände von Hans-Martin Lohmann und Christfried Tögel gelten. Tögel konzentriert sich auf das Werk und liefert kurze Einführungen zu den zentralen Themenkomplexen. Ein guter Einstieg. Das lässt sich auch von Hans-Martin Lohmann sagen. Über Freud schrieb er auch eine Rowohlt Monografie und bei „Freud für die Westentasche“ genügen ihm jeweils einige schmale Seiten, um Themen wie das Unbewusste oder Freud und die Frauen abzuhandeln. Im Rahmen eines Reise- oder besser Stadtwanderführers bieten Lisa Fischer und Regina Köpl einen interessanten Einstieg in die Welt der Psychoanalyse. In Form eines Spazierganges führen die beiden Autorinnen zu den wichtigsten historischen Stätten der Psychoanalyse in Wien. Anhand der einzelnen Schauplätze ergeben sich gute Möglichkeiten, sehr anschaulich und informativ über Personen und Entwicklungen der Psychoanalyse zu schreiben. Ein höchst kurzweiliger Stadtführer der anderen Art. Freud schrieb nicht nur über den Witz, sondern hatte auch selbst Humor. Anregende Beispiele dafür fand Ludger Lütkehaus in seiner Zitatensammlung „Genug von meinen Schweinereien. Freud zum Vergnügen“. Das ist aber nicht eine bloße Sammlung skurriler Aussprüche oder Texte, sondern ein schmaler, doch origineller Einstieg in die Arbeit von Freud, von seinen Ansichten über Frauen bis zum Stellenwert der Sexualität. Christfried Tögel |Freud für Eilige| Aufbau TB 2006, 232 S., EurD 7,95/EurA 8,20/sFr 14,80 Hans-Martin Lohmann |Freud für die Westentasche| Piper 2006, 126 S., EurD 9,90/EurA 10,20/sFr 18,10 Lisa Fischer, Regina Köpl |Sigmund Freud – Wiener Schauplätze der Psychoanalyse| Böhlau 2006, 221 S., EurD/A 19,90/ sFr 34,90 Ludger Lütkehaus (Hrsg.) |Genug von meinen Schweinereien| Freud zum Vergnügen. Reclam 2006, 159 S., EurD 4/EurA 4,20/sFr 7,40 Ein großer Wurf! und Einstein nur einmal begegneten, nämlich 1927, leiteten sie für den Wissenschaftsjournalisten Richard Panek einen Paradigmenwechsel in den Denkhaltungen und damit der Erforschung der Welt ein. Eher enzyklopädisch agiert Henri F. Ellenberger. Seine umfassende Untersuchung der Geschichte und Entwicklung der dynamischen Psychiatrie gilt als Standardwerk und wurde nun wieder neu aufgelegt. Akribisch zeigt er den Weg vom 19. Jahrhundert bis etwa Mitte des letzten Jahrhunderts. Eine umfassende große Zusammenschau, die allerdings mehr in unsere Gegenwart reicht und versucht, Positionsbestimmung der Psychoanalyse für unsere heutige Zeit vorzunehmen, stammt von Eli Zaretsky. Zur Diskussion ist es sicher die anregendste Veröffentlichung. Und wer sich über die eigentliche Behandlungsweise von Freud aus erster Hand informieren möchte, sei auf die Sitzungsprotokolle von Ernst Blum verwiesen. Manfred Pohlen hat sie herausgegeben. Blum war selbst Psychiater und absolvierte eine Lehranalyse bei Freud. Nach jeder Sitzung fertigte er ein Gedankenprotokoll an. Es ist höchst interessant Freud bei der Arbeit zu erleben, denn sonst gibt es eben nur Berichte über die einzelnen Fälle. Hier wird erstmals deutlich, wie sich Freud seinen Patienten nähert und auch wann er von seiner eigenen Theorie manchmal abweicht. Richard Panek |Das unsichtbare Jahrhundert| Übers. v. Hainer Kober. Berlin Verlag 2005, 272 S., EurD 19,90/ EurA 20,50/sFr 34,90 Henri F. Ellenberger |Die Entdeckung des Unbewußten| Übers. v. Gudrun Theusner-Stampa. Diogenes, 1226 S., EurD 29,90/EurA 30,80/sFr 51,90 Eli Zaretsky |Freuds Jahrhundert. Die Geschichte der Psychoanalyse| Zsolnay 2006, 622 S., EurD 39,90/EurA 41,10/ sFr 69 Manfred Pohlen |Freuds Analyse| Rowohlt 2006, 399 S., EurD 22,90/EurA 23,60/sFr 39,90 4 CD, 24,95 E/ 43,60 sFr* DER STANDARD Arno Geiger liest selbst! der hörverlag . . FOTO: AUS „ALS DIE PSYCHE AUF DIE COUCH KAM“ VON BIRGIT LAHANN UND UTE MAHLER/AUFBAU Und die Wissenschaft? Obwohl sich Freud 42-53 TB_SB 16.05.2006 12:30 Uhr Seite 51 LITERATUR UND POLITIK Es ist nur zu verständlich, dass Dieter Lattmann aus seinem Leben erzählen will. 1926 geboren hat er den Krieg aktiv erlebt, dann begonnen sich ins Verlagswesen einzuarbeiten, hat Romane, Essays, Hörspiele und Filmdrehbücher geschrieben, war Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Schriftstellerverbände und dann Bundestagsabgeordneter der SPD. Und er nimmt gleich mit einem Satz in seiner Vorbemerkung zu dem Buch ein, in dem er schreibt: „Nachts blättern Träume mir ungeschriebene Bücher auf, tags neide ich dem Unbewussten die Phantasie.“ Also gibt es solche Träume auch bei anderen, wahrscheinlich bei vielen, die mit Büchern zu tun haben, die mit Büchern leben. Der 80-jährige macht sich also Gedanken über eine Unzahl von Themen, die so ein langes Leben halt mich sich bringt. Und oft hat man das Gefühl, dass er die Vergangenheit wieder erstehen lassen will, vor dem Vergessen retten will, weil er das Gefühl hat, zur Gegenwart nicht mehr zu gehören. Und so räsonniert er über die Herbstzeitlosen als Altersblumen, erzählt von den Menschen, die er getroffen hat: Willy Brandt und Michail Gorbatschow, Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll, er lässt aber auch den Selbstmord seines Sohnes nicht aus und den Ver- VIELE ORTE Im Juni würde Ingeborg Bachmann 80 Jahre alt werden. Ein Jubiläum, dem Christa Gürtler einen kleinen Band über die Autorin widmet, der zum einen als Biografie zu lesen ist und zum anderen auch als Einführung in ihr Werk gelten kann. Über Bachmann ist viel geschrieben worden und deshalb schwer, dem noch Neues hinzuzufügen. Auch ist die Rezeption von Bachmann heute etwas gedämpft. Mit neuen Erkenntnissen kann und will Gürtler, die schon früher über Bachmann gearbeitet hat, nicht aufwarten, gilt es doch vielmehr das Porträt einer Frau zu zeigen, die eigentlich nie so richtig eine Heimat oder besser Heimstätte gefunden hat und doch auf ihren Reisen und Umzügen ein höchst vielseitiges Werk schuf. Diese Ruhelosigkeit nimmt Gürtler zum Anlass über die Orte bei Bachmann zu schreiben, von ihrer Jugend am Ende des Krieges, dem miefigen Klagenfurt der Nachkriegszeit und den ersten Jahren in Wien. Mit Wien wird Bachmann eine andauernde Hassliebe BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 dacht, Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein. Er stellt Überlegungen über die Vereinigung der beiden deutschen Staaten an, über den Narzissmus in der Politik, aber auch über die Familie, die Kränkungen, Enttäuschungen und Erfolge. All das erzählt er mit einer gewissen Bedeutung, einem – wahrscheinlich dem Alter entsprechenden – zurückgenommenen Pathos. Der Titel des Buches „Einigkeit der Einzelgänger“ war 1970 sein Vorschlag für das Motto des ersten deutschen Schriftstellerkongresses, dessen Vorsitzender er soeben geworden war. Und auch wenn Dieter Lattmann hier in Österreich nicht so bekannt ist, kann man sich schon vorstellen, dass er überall, wo er gewirkt hat, in der Literatur, im Verlagswesen, in der Politik, dass er überall dort etwas bewirkt hat. Ein Intellektueller mit Macht und Skrupel. Die letzten drei Kapitel sind so symptomatisch für dieses Buch, wahrscheinlich für sein Leben. Warum er Sozialdemokrat bleibe, wie er sterben lernen möchte und ganz zum Schluss ein stilles Reflektieren des Drinnen und des Draußen und was noch kommen kann. KONRAD HOLZER Fazit: Ein überzeugender Bericht von einem Leben auf vielen Schauplätzen Dieter Lattmann |Einigkeit der Einzelgänger| A1 Verlag 2006, 376 S., EurD 24,80/EurA 25,50/sFr 43,50 verbinden und sie ist froh, als sie wegzieht, nach München, nach Berlin, nach Rom, wo sie dann die letzten Jahre ihres Lebens verbringen wird. Und dann war noch die Zeit in Zürich mit Max Frisch, die ziemlich schrecklich für sie endete. Sehr behutsam erzählt Gürtler, mit einer gewissen Vertrautheit, aber auch Distanz. Sie bespricht diverse Beziehungen, doch lässt sie sich dabei nicht auf Interpretationen oder Klatsch ein. Die Beschreibungen der einzelnen Stationen kontrastiert Gürtler mit manchmal ausführlichen Zitaten aus den Erzählungen von Bachmann. Interessant ist, wie genau sie dabei ihre Personen verortet hat, wie sie mit Ortsnamen arbeitete, wie wichtig ihr diese Orte waren. Zum „Malina“ wird eine längere Passage angeführt, die in der späteren Textfassung gestrichen wurde, auf Anraten von Martin Walser und Unseld. In dieser Beschreibung einer Stadtrundfahrt zeigt sich eine höchst witzige Bachmann. Joyce Tyldesley erzählt die abenteuerliche Geschichte der Wiederentdeckung des Alten Ägypten: Vom trickreichen Schatzgräber Belzoni, vom genialen Hieroglyphen-Entzifferer Champollion, vom Glückspilz Carter und vielen anderen großen Forschern. Mit ihnen führt sie zurück zu den Pharaonen, ihren Frauen und Kindern, Tempeln und Palästen. Joyce Tyldesley: Mythos Ägypten Die Geschichte einer Wiederentdeckung Übers.: I. Rein · 340 S. · 30 z. T. farb. Abb. Gebunden · ISBN 3-15-010598-6 € (A) 20,50 · € (D) 19,90 · sFr 34,90 w w w. r e c l a m . d e TOBIAS HIERL Fazit: Eine charmante Art, Leben und Werk einer großen Autorin kennen zu lernen. Christa Gürtler |Ingeborg Bachmann| edition ebersbach 2006, 128 S., EurD 14/EurA 14,40/sFr 25,30 Viel mehr als Klassiker in Gelb. 42-53 TB_SB 15.05.2006 17:29 Uhr Seite 52 M A R K T P L AT Z | S A C H B U C H Der leidenschaftliche Bericht einer jungen Irakerin. Niederschmetternd, sarkastisch und doch hoffnungsfroh ... Riverbend BAGDAD BURNING Ein Tagebuch 3 7017 3013 X Euro 22,90 Für Riverbend ist es kein Widerspruch, amerikanische Popkultur zu konsumieren und gleichzeitig die islamfeindliche Außenpolitik der USA entschieden abzulehnen. In ihrem Internet-Blog beschreibt sie die Mühen des Kriegsalltags und eröffnet einen Einblick in den Irakkrieg, wie er westlichen Journalisten gar nicht möglich ist. ADEL VERPFLICHTET Medici ist der Name, der Florenz zur heute allgemein anerkannten säkularen Wiege der Kultur, Kunst und Kulturgeschichte des Abendlandes gemacht hat. Die Geschichte dieser Dynastie wird in einem populären Sachbuch zusammengefasst und „von innen“ heraus erzählt, nämlich aus der persönlichen Sichtweise eines Familienangehörigen. Lorenzo de’Medici, der als Schriftsteller in Barcelona lebende Spross des Hauses Medici, verfolgt mit diesem Buch das hochgesteckte Ziel, dem Leser einen neuen Zugang zur Geschichte zu eröffnen, indem er erzählt, was historische Werke zumeist unberücksichtigt lassen: Das Leben und Privatleben von verschiedenen Medici-Persönlichkeiten. Der Autor stellt seine Urahnen vor und versucht, sie in neuem Licht zu interpretieren. Er liebt vor allem die Unbekannteren, darunter Frauen wie Claudia de’ Medici, Erzherzogin von Österreich oder Anna Maria Luisa de’Medici, Kurfürstin von Pfalz-Neuburg. Vor allem aber geht es ihm darum, Zusammenhänge fassbar zu machen. In diesem Sinne schreibt er über den Namen, die Abstammung, den Begründer der Dynastie, die Renaissance im Allgemeinen, die FILM KOMPAKT Das zurzeit umfangreichste Nachschlagewerk zur Filmgeschichte in deutscher Sprache. 1995 zum ersten Mal erschienen, beinhaltet es in der nun herausgekommenen 5. Auflage 500 Beispiele aus 100 Jahren Kino. Dem Herausgeber selbst ist da die Problematik der Auswahl bewusst. Daher seien Einwände nur ganz kursorisch gehalten: Ganz abgesehen von persönlichen Vorlieben ist das Fehlen von Regisseuren wie Dziga Vertov und Marguerite Duras ebenso störend wie die Auslassung von Meisterwerken großer Regisseure. Von Kubrick fehlt sein grandioser Erstling „Path of the Glory“ ebenso wie der so viel Aufsehen erregende Film „Eyes wide shut“. Gänzlich unverständlich ist es, dass für Terence Malick zwar „The thin red line“ besprochen ist, seine beiden überragenden älteren Werke („Badlands“ und „Days of Heaven“) aber unerwähnt bleiben. Dass der österreichische Nachkriegsfilm kaum vorkommt, vermag nicht wirklich zu überraschen. Dennoch: Von Michael Haneke hätte sich neben „Bennys Video“ zumindest auch „Die Pianistin“ – schon der Breitenwirkung wegen – eine Berücksichtigung verdient. Stellung der Medici in Italien sowie über das Papsttum. Drei Päpste stellte die Familie im Lauf der Geschichte und präsentiert damit etwas absolut Einmaliges. Außerdem geht es in der zweiten Hälfte des Buches um die Blutsverwandtschaft der Medici mit anderen Herrscherhäusern und die Entwicklung der Familie während der letzten dreihundert Jahre, in denen ihre Mitglieder „recht normal“ lebten – was anhand der Biografien der Eltern des Autors sowie eigener Kindheitserinnerungen illustriert wird. Manchmal etwas emphatisch und ein wenig unkritisch, aber doch durchaus historisch fundiert bietet das Buch einen schön zu lesenden, mit 18 Farbtafeln illustrierten Überblick über Glanz und Reichtum, politische Intrigen, Korruption sowie den Kampf um Macht dieser interessanten Familie. KAROLINE PILCZ Fazit: Geschichte aus heutiger, persönlicher Perspektive. Lorenzo de’Medici |Die Medici. Die Geschichte meiner Familie| Übers. v. Silvana Albinoni. Lübbe 2006, 319 S., EurD 24,90/EurA 25,60/sFr 43,70 Das sind nun alles keine grundlegenden Einwände, vor allem, weil das Verhältnis zwischen Kommerz und Anspruch insgesamt recht ausgewogen wirkt. Schwerer wiegen da schon die Vorbehalte, die die Gewichtung in den einzelnen Artikeln betreffen. Bei der großen Mehrzahl der Filmbeschreibungen nimmt nämlich die Inhaltsangabe einen überwiegenden Raum ein. Bei einem Opus wie „Tod in Venedig“ wirkt eine dreiseitige Nacherzählung doch ein wenig überflüssig. Bei einem so exponierten Werk wie „Weekend“ von Godard hingegen scheint eine ebenso lange Inhaltsangabe geradezu inventiv: So viel Geschichte nimmt der Seher auch bei mehrmaliger Betrachtung des Filmes gar nicht wahr. Dass für den „Rest“ nur jeweils eine halbe Seite bleibt, wird dem Gewicht beider Werke einfach nicht gerecht. Das handliche Kompendium ist dennoch zu empfehlen: Die Register sind ausführlich und übersichtlich, und vor allem der Wiedererkennungswert ist hoch. THOMAS LEITNER Fazit: Trotz mancher Mißlichkeit ein empfehlenswertes Kompendium. Thomas Koebner |Filmklassiker| Reclam 2006, 2716 S., 5 Bde. in Kassette. EurD 48/EurA 49,40/sFr 82,50 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 www.residenzverlag.at 42-53 TB_SB 16.05.2006 12:46 Uhr Seite 53 M A R K T P L AT Z In der richtigen Stimmung ist ein Krake eine feine Sache. gibt (eine Ausnahme sind vielleicht Vincent Klink und Wiglaf Droste mit ihrer unorthodoxen Publikation “Häuptling eigener Herd”), die derart fundiert über das Essen schreiben können. Kulinarische Lesereisen Gut essen wollen die meisten – oder zumindest viele. Und deshalb ist auch das Interesse an dProdukten und Inhaltsstoffen gestiegen. Und darüber steht in normalen Kochbüchern wenig. Und noch weniger über den Genuss beim Essen. Aber manche Bücher helfen, meint Tobias Hierl. FOTO: AUS „EINFACH. GUT.“ VON ERWIN STEINHAUER UND GÜNTHER SCHATZDORFER/CARINTHIA ehr auf die Sinnlichkeit des EssgeM nusses sind die kleinen kulinarischen Glossen von Keto von Waberer ausgerichtet. Mit Leidenschaft und Inbrunst schreibt sie etwa von ihrer Liebe zur Leberwurst in allen Variationen. Schon als kleines Kind begann diese Beziehung, die sich auf diversen Reisen nur noch steigerte. Sie ist aber auch anderen Genüssen gegenüber aufgeschlossen und hatte reichlich Gelegenheit, exotische Speisen unterschiedlichster Art zu kosten. Sie schreibt über Desserts, die Lust am Grießbrei oder über die Melancholie der Esser in einem Haubenlokal. Keine Rezepte, aber eine elegant-sinnliche Reise in kulinarische Welten, die Appetit macht und von einer großen Weltoffenheit zeugt. Das ist hierzulande eher die Ausnahme. Im englischen Sprachraum ist der literarische Umgang mit Essen oft viel zwangloser, wobei hier öfters eine fast akribische Freude an der Suche nach Absonderlichkeiten und Merkwürdigkeiten zu finden ist. Bekannt ist Ben Schott nun auch hier- zulande durch sein Sammelsurium. Und der zweite erschienene Band dreht sich um „Essen & Trinken“. Unter Stichworten wie Völlerei, Tatar oder Bagel werden kurze Definitionen sowie praktische Tipps, z. B. das richtige Schärfen eines Tranchiermessers oder Lagerzeiten im Kühlschrank geboten. Ein höchst praktisches Buch, in dem sich garantiert Entdeckungen machen lasBUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 sen. Im Layout ähnlich, doch nicht in der Intention, ist Stefan Gates „Der Gastronaut“ angelegt. Es ist ein wirklich unorthodoxes Kochbuch mit vielen kleinen Geschichten, etwa über denkwürdige Mahlzeiten, wie dem letzten Dinner auf der Titanic oder dem Gastmahl des Trimalcho, einem berüchtigten Gelage. Wir erfahren auch etwas über Kannibalenrezepte, Eier ausblasen oder welche Nahrungsmittel uns zum Furzen bringen. Manches ist kurios, aber zumeist verblüffend und gut erklärt. Dazu gibt es immer auch Musiktipps fürs Essen. Kurzweilig und höchst informativ ist auch Jeffrey Steingarten. Er ist der Esskritiker der Vogue. Aber er liefert eben nicht Restaurantkritiken und macht sich Gedanken über die Qualität des Amuse Geule. Es interessieren ihn auch keine Hauben oder Sterne. Er schreibt übers Essen. Dafür reist er um die Welt, beobachtet und berichtet. Etwa über Rinder, die in Japan mit Bier eingerieben und massiert werden sollen, damit das Fleisch mürber wird. Oder über das ideale Brot, für das er lange mit Sauerteig experimentiert. Er schreibt auch über Nahrungsmittelzusätze und Gift im Essen. Er weiß viel, ist belesen, hat keine Vorurteile, doch dafür viel Witz. Und das zeichnet seine spannenden Reportagen aus. Nun ist der zweite Band seiner Geschichten erschienen. Und wieder stellt sich uns die Frage, warum es hierzulande kaum Kulinariker Viele Geschichten kennen auch Christa Fuchs und Gudrun Harrer. Die beiden Kolumnistinnen sind nicht in erster Linie Kochbuchautorinnen, aber eben auch – und vor allem – passionierte Köchinnen. Bemerkenswert sind weniger die Rezepte, wobei sich auch Exoten wie Stierhoden darunter befinden, in anderen Rezepten werden aber Morcheln, Tauben oder Kartoffel verarbeitet, sondern deren Präsentation. Sie erzählen eine Geschichte, berichten über ihre Kindheit, erzählen über die Produkte oder Essgewohnheiten und das auf eine so direkte und schon kulinarische Art, die einfach unterhält. Und ein Rezept, eines das auch klappt, wurde geschickt in diese Geschichte verpackt. Kulinarische Reiseführer gibt es manche, doch wenn der Kabarettist und Schauspieler Erwin Steinhauer mit dem Schriftsteller Günther Schatzdorfer ins Friaul und nach Triest reist, wird ein Buch daraus für Leute, die eigentlich ohne Reiseführer verreisen wollen. Es werden keine Öffnungszeiten für Museen oder Ähnliches angegeben, selbst Adressen für Restaurants sind nicht zu finden, aber wer genau liest, wird auch so dorthin finden. Den beiden geht es ums Reisen, um kulinarische Grenzerlebnisse und um Rezepte so wie deren Geschichte. Wichtig sind auch die Begegnungen mit den Menschen vor Ort und dann der Wein. Recht elegisch wird es manchmal, doch mitunter kommt diese gewisse mediterrane Stimmung auf. Selbst beim Lesen. Und dann empfiehlt es sich, ein wenig zu kochen, damit die Stimmung anhält. Christa Fuchs, Gudrun Harrer |Besoffene Kapuziner| Mandelbaum 2005, 239 S., EurD/A 19,90/sFr 36 Keto von Waberer |Vom Glück eine Leberwurst zu lieben| Edition Ebersbach 2006, 96 S. EurD 13/EurA 13,40/sFr 23,60 Ben Schott |Schotts Sammelsurium Essen & Trinken| Übers. v. Matthias Strobel u. a., Berlin Verlag 2005, 159 S., EurD 16/EurA 16,50/sFr 28,60 Stefan Gates |Der Gastronaut| Übers. v. Hans Wolf u. a. Gerstenberg 2006, 240 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 34,80 Jeffrey Steingarten |Der Mann, der alles isst| Übers. v. Fritz Schneider. Rogner & Bernhard 2006, 346 S., EurD 17,90/EurA 24,20/sFr 44,80 Erwin Steinhauer, Günther Schatzdorfer |Einfach. Gut| Carinthia 2006, 215 S., EurD/A 19,90/sFr 34,90 53 42-53 TB_SB 15.05.2006 17:33 Uhr Seite 54 M A R K T P L AT Z | S A C H B U C H Über spektakuläre Attentate im Irak wird fast täglich berichtet, doch wie die Menschen dort leben, ist eher selten ein Thema in den Nachrichten. Berichte aus einem Land, das kurz vor dem Bürgerkrieg steht. Von Tobias Hierl enn es überhaupt Berichte gibt, so stamW men sie meist von Journalisten. Schon vor zwei Jahren erschien „Café Bagdad“ von den deutschen Journalisten Christoph Reuter und Susanne Fischer, die rund ein dreiviertel Jahr in Bagdad nach dem Krieg verbrachten. Im Irak reisten sie in kleine Dörfer und moderne Städte. Sie besuchten irakische Familien und kleine Cafés. Deshalb finden sich auch viele Eindrücke von Geschehnissen, die es nicht in die Schlagzeilen schafften, wie dem Verkehrschaos oder den langen Schlangen vor den Tankstellen in einem Land, das zu den größten Erdölexporteuren der Welt zählt. Anekdoten stehen neben Analysen ‚wichtiger‘ Themen wie Öl und Besatzungsmacht oder dem Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Reuter war 1990 das erste Mal im Irak und kann deshalb seine früheren Erfahrungen einfließen lassen. Bei Guiliana Sgrena, einer italienischen Journalistin, die entführt und erst nach langen Verhandlungen wieder freigelassen wurde, stehen natürlich die Erlebnisse ihrer Gefangenschaft im Mittelpunkt. Die erfahrene Journalistin belässt es aber nicht bei der Beschreibung der Geiselnahme und ihrer Haft. Sie wollte Flüchtlinge aus Falludscha interviewen, einer Stadt, die als Hochburg des sunnitischen Widerstands galt und die von den US-Streitkräften angegriffen wurde, als sie von einer sunnitischen Gruppe entführt wurde. Geschickt verknüpft sie etwa die Beschreibung ihrer Bewacher, um die verschiedenen Widerstandsgruppen im Irak zu charakterisieren. Sie zeigt in dem schmalen, aber faktenreichen Buch ein detailliertes Bild des 54 Irak, etwa über die steigende Reislamisierung des Landes, die nach dem ersten Golfkrieg 1991 begann, doch jetzt viel schneller voranschreitet, oder über einen beginnenden Bürgerkrieg, den sie für fast unvermeidlich hält. Weit umfangreicher sind Berichte von John Lee Anderson, die auf seiner Kolumne „Letter from Baghdad“ beruhen, die er für das Magazin „New Yorker“ schreibt. Anderson bereiste den Irak schon zu Regierungszeiten Saddams, war auch während des Krieges in Bagdad, er wollte wohl ausreisen, doch die Grenzen waren dicht und er fährt jetzt noch immer in den Irak. Gekonnt erzählt er auch die Historie des Landes, die Hintergründe für verschieden Konflikte und beschreibt natürlich aus seiner Perspektive ausführlich Erlebnisse während der Kriegshandlungen. Die Zeit danach wird eher kurz abgehandelt, wohl weil er den Irak nur mehr in gewissen Abständen besuchte. Auch dieses Buch ist im Original schon 2004 erschienen. Anderson traf ehemalige Regierungsmitglieder, Künstler aber auch etwa durch Vermittlung seines Fahrers oder seines Übersetzers weit weniger prominente Menschen. Er unterhält sich mit Friseuren, Bauern oder Soldaten. Seine Beschreibungen werden zu einem sehr verwobenen Panorama eines Landes, auch weil er nicht parteiisch agiert, sondern versucht, sich möglichst zurückzuhalten und einfach zu berichten. Dabei benützt er eher literarische als journalistische Techniken, die aber recht hilfreich sind, besonders wenn er von seinen Eindrücken manch- mal fast überwältigt wird. Sehr plastisch wird sein Bericht von der Zeit vor dem Krieg, wenn er die Unsicherheit unter der Bevölkerung einfängt und einfach mit seinen Informationen aus den USA kontrastiert. Unter diesen Büchern fällt jenes von Riverbend aus dem Rahmen. Ihr Buch ist eigentlich ein Weblog, die moderne Form eines Tagebuchs im Internet. Riverbend ist eine junge Frau um die 27 Jahre und lebt in Bagdad. Bekannt ist nur ihr Internetname. Sie lebt zusammen mit ihrer Familie, Mutter, Vater und einem Bruder, ist versiert mit Computern, sie arbeitete vor dem Krieg als Programmiererin und schreibt ein gutes Englisch. Begonnen hat sie mit ihrem Weblog am 8.1. 2003. Sie schrieb über den Krieg und die Auswirkungen des Krieges und berichtet noch heute über den Alltag in Bagdad. So ungeschönt und unmittelbar sind selten Informationen aus diesem Land zu bekommen. Im Gegensatz zu den Journalisten reist sie kaum im Land umher, doch sie erzählt etwa, wie schwierig es heute für eine Frau geworden ist, alleine einzukaufen. Sie kommentiert die politischen Ereignisse oder schildert die öffentliche Meinung über Politiker wie den US-Statthalter Paul Bremer oder den ehemaligen Bankier Chalabi. Sie erzählt auch von den regelmäßigen Stromausfällen, von der Angst vor Hausdurchsuchungen. Vom Alltag in einem besetzten Land. Und für viele ist deshalb dieses blog auch eine wichtige Informationsquelle. Das ist keine weinerliche Abhandlung, sondern sorgt dafür, dass unsere Vorurteile, die auch durch die Nachrichten genährt werden, ordentlich hinterfragt werden. Nun wurden die Texte der ersten Jahre ins Deutsche übersetzt. Ein gewichtiger Band, doch ungemein spannend zu lesen und sehr lebendig geschrieben. Ausgezeichnet wurde das Buch schon mit dem Lettre Ulysses Award, und ist jetzt nominiert für einen britischen Literaturpreis, dem Samuel Johnson Award. Wer selbst einen Besuch auf ihrer sowohl informativen wie auch beeindruckenden Homepage machen möchte: http://riverbendblog.blogspot.com/ Jon Lee Anderson |Die verwundete Stadt| Übers. v. A. Gittinger, N. Juraschitz. Rogner & Bernhard 2005, 535 S., EurD 9,90/EurA 31/sFr 57 Christoph Reuter, Susanne Fischer |Café Bagdad| Bertelsmann 2004, 320 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 34,90 Riverbend |Bagdad Burning| Übers. v. Eva Bonné. Residenz 2006, 373 S., EurD/A 22,90/sFr 39,90 Giuliana Sgrena |Friendly Fire| Übers. v. B. Lindecke, J. Sailer. Ullstein 2006, 205 S., EurD 16/EurA 16,50/sFr 28,50 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTO: IRAKISCHE BOTSCHAFT/BERLIN Alltag nach dem Krieg 54-57 HB_NM_neu 15.05.2006 17:40 Uhr Seite 55 DAS AUGE HÖRT MIT Der Kauf eines Buches sollte auch noch in Zeiten digitaler Medien ein haptisches Erlebnis sein. Dass manche Verlage damit grob fahrlässig umgehen und den Sammler von Reihen immer wieder aufs Neue vor den Kopf stoßen – es sei nur an diese Albernheit von Random House erinnert, den deutschsprachigen Büchern eine Form von Internationalität zu geben, in dem die Titel auf dem Buchrücken zeitweilig gedreht wurden! – soll hier in aller Breite gar nicht diskutiert werden. Aber: das Auge kauft mit. Und beim Hörbuch? Natürlich spricht den Kunden eine CD-Box mit sorgfältig erarbeitetem Booklet viel mehr an als eine lieblos in eine Papphülle, notdürftig gegen Umwelteinflüsse geschützte CD. Vorbildlich sind hier die Produktionen von GoyaLit, dem höchst interessanten Label von Jumbo Neue Medien, unter dem ganz fantastische Produktionen erscheinen. Dies meint nicht nur Inhalte wie „Tintenherz“ und „Tintenblut“ von Cornelia Funke, mitreißend gelesen von Rainer Strecker, sondern auch ganz aktuell „Drachenmeer“ von Nancy Farmer, vier CDs mit Booklet, untergebracht in einem hochformatigen Digibook, bei dem viel stärker die Möglichkeiten einer eindrucksvollen, optischen Präsentation gegeben sind, was dem ursprünglichen Buch (das Digibook ist sogar noch etwas größer) in nichts nachsteht. Dabei ist die Wikinger-Saga, gekonnt gelesen von FUSSBALL WM ■ Ab 9. Juni rollt der Ball. Lang ersehnt. Und doch in den Köpfen fast schon abgehakt, denn wie die Osterhasen kurz nach Weihnachten in die Startlöcher gehen, so hat das Thema Fußball-WM den Grad der Unerträglichkeit im Vorfeld längst überschritten. Kaum ein produzierender Verlag, der nicht auf den Ball aufspringt. Auch das Angebot bei den Hörbuchveröffentlichungen ist erschlagend – und größtenteils völlig überflüssig. Die Reihe „moving mind“ der HörCompany gehört aber nicht dazu. Hier werden in lockerer Form Themen aufgegriffen und zu einem attraktiven Quiz-Hörerlebnis verarbeitet, wobei das „Fußballquiz“ mit dem bekannten Sportreporter Gerhard Delling und dem ausgewiesenen Fußball-Fan Peter Lohmeyer, seinem Sohn und zwei weiteren BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 Andreas Pietschmann, gleichfalls ein Grenzgänger, werden hier doch Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen angesprochen. Und der besondere Tipp unter diesen wunderschönen Boxen? Das ist „Der Historiker“ von Elizabeth Kostova, gesprochen von Maren Eggert und Bernd Stephan, eine gruselig-fantastische Suche einer Tochter nach dem, wonach ihr Vater geforscht hat. Inszeniert mit zwei Stimmen ergibt sich die Möglichkeit eindrucksvoller Dialoge voller Dichte zwischen Vater und Tochter, Letztere bemüht zu verstehen, was den Vater immer wieder antrieb. Er hatte eine Spur. Sein Ziel: Vlad, der Pfähler. Besser bekannt unter dem Namen Dracula … Schaurig-schön. Ein Wechselbad der Gefühle, durch die Musik geschickt unterstützt. Eben ein Schmuckstück. Inhaltlich wie äußerlich. RAINER SCHEER Nancy Farmer |Drachenmeer| Gekürzte Lesung. Gesprochen von Andreas Pietschmann. Musik: Ulrich Maske. GoyaLit 2006 4 CDs im Digibook, EurD/A 22,95/sFr 42 Der Roman ist bei Loewe erschienen Elizabeth Kostova |Der Historiker| Gekürzte Lesung. Gesprochen von Maren Eggert und Bernd Stephan. Musik: Ulrich Maske.GoyaLit 2005 8 CDs im Digibook, EurD/A 39,90/sFr 73 Der Roman ist bei Bloomsbury erschienen gut aufgelegten Kindern, keinesfalls nur für jugendliche Ohren gedacht ist. Fundiert in der Recherche und ausgestattet mit einem umfänglichen Booklet warten hier 93 Fragen auf ihre Beantwortung. Kniffliges, Originelles, Überraschendes und natürlich Wissenswertes sorgen für eine abwechslungsreiche Stunde. Delling in seiner bewährten Rolle als Moderator stellt die Fragen und präsentiert die richtige Antwort, nachdem Peter Lohmeyer und die drei Kinder die vier Lösungsalternativen benannt haben. Ein kurzer Moment für den Hörer zum Nachdenken ... – und dann die manchmal wirklich überraschende Auflösung! Eine runde Sache, nicht nur zur WM! RS |Fußballquiz| Gesprochen von Gerhard Delling und Peter Lohmeyer u. a. Hör Company 2006, 1 CD mit Booklet, EurD 12,90/EurA 13,30/sFr 23,70 S P E Z I A LT I P P S H Ö R B U C H | M A R K T P L AT Z KÜHLE MORDE Island genießt den Ruf, nicht nur wenige Morde zu verzeichnen, und wenn, dann sind diese auch ziemlich schlampig ausgeführt. Die Leiche im See, dessen Wasserspiegel abgesunken ist, spricht eine andere Sprache. Der Tote, oder besser das, was von ihm übrig ist, hängt an einem Draht, und dieser ist mit einem Abhörgerät sowjetischer Bauart aus Zeiten des Kalten Krieges verbunden. Doch ein Profimord? Und gab es Spionage auf Island? Erlendur und sein Team wollen zunächst diese Version nicht glauben. Doch der Ermittler, dem seit dem Verschwinden seines Bruders in einem Schneesturm während seiner Kindheit gerade das Schicksal von Vermissten besonders am Herzen liegt, verbeißt sich in einen Fall, dessen Spur zurückführt in die Zeit des geteilten Deutschlands und zu einer Gruppe Isländer, die in Leipzig studieren durften. Arnaldur Indridason hat mit „Kältezone“ wieder einen großartigen Kriminalroman vorgelegt, den Frank Glaubrecht trefflich akustisch umsetzt. Seit der ersten Veröffentlichung „Nordermoor“ ist er die Stammbesetzung. Mit seiner markanten Stimme fängt Glaubrecht die teilweise bedrückende Stimmung authentisch ein. Neben Glaubrechts Leistung bewundert der Zuhörer die besondere Kunst des Autors, ein Tatmotiv mit einem gesellschaftlichen Thema zu verknüpfen, das er im Roman ausleuchtet, ohne dabei die eigentliche Intention des Spannungsromans aus den Augen zu verlieren. Absolut empfehlenswert. RS Arnaldur Indridason |Kältezone| Gekürzte Lesung. Gesprochen von Frank Glaubrecht. Lübbe 2006, 4 CDs, EurD 24,90/ EurA 25,80/sFr 45,90 Der Roman ist in der edition Lübbe erschienen. 55 54-57 HB_NM_neu 15.05.2006 17:44 Uhr Seite 56 M A R K T P L AT Z | D I G I TA L HÖRBUCH TIPPS ■ Sie nuscheln, sie verschleppen, sie tra- gen vor wie geschlagene Hunde so emphatisch betroffen: Wenn Dichterinnen und Dichter ihre eigenen Texte vorlesen. Und doch. Manche können’s wirklich, bei manchen kommt der historische Aspekt dazu, insgesamt sind solche Aufnahmen jedenfalls Fundstücke und Erlebnisse. Da sind jetzt gleich 60 „legendäre Dichter“, wie es im Booklet heißt, zu hören. Naja, Jandl konnte es wirklich. Bachmann sang getragen, und Nikolaus Meienberg ist vorhanden wie Max Frisch, Thomas Mann, Alfred Döblin und Elfriede Jelinek. Schade: Kein Peter Turrini, der hervorragend vorträgt, kein Robert Menasse. Drei Stunden zeitgenössische Literatur des 20. Jahrhunderts, von Stefan Andres bis Carl Zuckmayer. MIt ausführlichem Booklet. Hören Sie sich das an! Stefan Bertschi/Ingo Starz (Hg) |Anna Blume trifft Zuckmayer| 60 legendäre Dichter in Originalaufnahmen 1901–2004. Lesungen, Reden, Gespräche. der hörverlag 2006, 2 CDs, EurD 24,95/sFr 43,60 DVDs aktuell Heimkino: Literatur zum Ansehen DIE CHRONIKEN VON NARNIA FANTASIE Ein großes bonbonbuntes Spektakel wurde die erste Verfilmung der „Chroniken von Narnia“ von C. S. Lewis. Die Geschichte von vier Kindern, die über eine geheimnisvolle Tür in einem Wandschrank eine fremde Welt betreten, wo sie gegen eine böse Zauberin kämpfen müssen, hat noch immer viel Charme. Die religiösen Aspekte wurden entgegen dem Original zurückgenommen, dafür die Actionelemente gemäß gegenwärtigem Kinoerlebnis betont. Lohnenswert ist die Special Edition, die mit reichem Zusatzmaterial ausgestattet ist, darunter auch einer Doku über das Leben des Autors. Regie: Andrew Adamson. Darsteller: Georgie Henley, William Moseley Buena Vista. 2 DVDs, Dauer: 137 Min., Format: 16:9, Ton: Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch DD 5.1, Untertitel optional GHOST IN THE SHELL II – INNOCENCE F WIE FÄLSCHUNG ES IST NICHT LEICHT, EIN GOTT ZU SEIN ANIMATION Japan im Jahre 2032: Die Menschen, selbst halbe Maschinen, leben mit Robotern. Neun Jahre hat es gedauert, bis Mamoru Oshii die Fortsetzung seines Manga-Epos fertig hatte. Das Ergebnis ist beeindruckend, nicht nur aufgrund der Verbindung von klassischem Zeichentrick mit Computeranimation. Als erster Animationsfilm überhaupt wurde er 2004 für die Goldene Palme in Cannes nominiert. Ausgestattet mit umfangreichem Bonusmaterial (u. a. Making of, Kommentare, Interviews). DOKU Orson Welles Filmessay über Fälscher und Lügen aus dem Jahr 1973 verwebt Realität und Fiktion, bis das eine vom anderen nicht mehr zu unterscheiden ist. Indem DokuAusschnitte, u. a. mit Kunstfälscherlegende Elmyr de Hory, und eigenes Material zu einem gänzlich neuen Film montiert werden, zeigt Welles wie nah Illusion und Realität einander sein können. Die Bonus-Doku „Orson Welles – The One Man Band“ folgt seinem künstlerischen Schaffen. SCIENCE-FICTION Die eindrucksvolle Verfilmung des gleichnamigen ScienceFiction-Romans der Brüder Strugatzki ist ein Klassiker des Genres. Die UDSSR diente Peter Fleischmann als Kulisse für seinen Showdown im 3. Jahrtausend. Abgesandte der von Krieg und Emotionen befreiten Erde beobachten den Planeten Arkanar. (Zukunfts-) Technologie trifft auf barbarisches Mittelalter. In den Extras gibt es ein „Making of“ über die aufreibenden Dreharbeiten. Regie: Mamoru Oshii Regie: Orson Welles. Darsteller: Orson Welles, Oja Kodar, Elmyr de Hory u .a. Regie: Peter Fleischmann. Darsteller: Edward Zentara, Aleksandr Filippenko, Anne Gautier u. a. Universum Film. Dauer: 95 Min., Format: 16:9, Ton: Deutsch, Japanisch DD 5.1, Deutsche Untertitel optional Arthaus. Dauer: 85 Min., Format: 16:9, Ton: Deutsch, Englisch Mono Dolby Digital, Deutsche Untertitel optional Arthaus. Dauer: 128 Min., Format: 16:9, Ton: Deutsch DD 2.0 Luft an und begeben Sie sich 1160 Minuten in ein einigermaßen erhebendes wie anstrengendes Unterfangen: Siegfried Lenz liest „Deutschstunde“. Mich würde ja mehr das „Feuerschiff“ interessieren oder die masurischen Geschichten, doch nehmen Sie sich Zeit und Geduld. Dieser Klassiker der Nachkriegsliteratur deutscher Sprache ist nach wie vor anhaltend berührend und bezeichnend. Siegfried Lenz |Deutschstunde| Ungekürzte Autorenlesung. Hoffmann und Campe 2006, 16 CDs, EurD 35/ EurA 36,90/sFr 63,50 ■ Geistreich – aber aufgepasst: Auch wenn es betulich anklingen mag und Ingrid Noll so großmütterlich-nett daherkommt, hat sie es doch faustdick hinter den Ohren. Böse, ironisch, zutreffend: Nolls Text über die beiden gar nicht so „Ladylike“ daherkommenden Damen. Und exakt passend Schauspielerin Maria Becker in ihrem Vortrag, die über die eleganten Gemeinheiten hinwegliest, dass sie erst langsam und später, dafür umso tiefer ins Hirn der Hörer und Hörerinnen sickern. Ingrid Noll |Ladylike| Gelesen von Maria Becker. Diogenes 2006, 7 CDs, EurD/A 34,90/sFr 59,90 HORST STEINFELT 56 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTOS: BUENA VISTA/PHIL BRAY/DISNEY ENTERPRISES, UNIVERSUM FILM, ARTHAUS ■ Freunde der Dichtkunst: Halten Sie die 54-57 HB_NM_neu 15.05.2006 17:46 Uhr Seite 57 D I G I TA L | M A R K T P L AT Z CD-ROM spezial KOPFSPORT Um drohender Langeweile vorzubeugen, greift man gelegentlich zu einem Rätsel. Unsere grauen Zellen wollen schließlich ab und an bewegt werden. Sehr beliebt diesbezüglich ist der Kultzeitvertreib Sudoku. Kreuzworträtsel werden mit der Zeit lästig, wenn es einem nicht gelingt, alle Felder ohne verschämtes Überfliegen der Lösung richtig auszufüllen. Und im Gegensatz zu exotischen Gebirgsketten sind mir die Zahlen 1 bis 9 durchwegs geläufig. Damit Kopfakrobatik beim Sonntagsfrühstück nicht nur den Erwachsenen vorbehalten bleibt, gibt es von digital publishing die CD-ROM „Sudoku junior“. 1000 kindgerechte Rätsel in vier Schwierigkeitsstufen fördern das logische Denken. Das Prinzip ist gleich, jedoch mit sechs Spalten und ebenso- vielen Zeilen. Anstelle der Zahlen lassen sich auch Symbole, Würfel oder Spielsteine wählen – in jeweils sechs verschiedenen Farben. Außerdem gibt es 36 Spielsteine aus Holz, mit denen sich alle Rätsel auf einem Spielbrett lösen lassen. Die nächste Rätsel-Herausforderung für Erwachsene heißt Kakuro und kombiniert Sudoku mit Kreuzworträtsel. digital publishing bietet CD-ROMs mit 33.333, 44.444 und 55.555 (Professional) Aufgaben an. Den letzteren beiden liegen Rätselbücher bei, in der Professional-Version gibt es zudem auf Knopfdruck die Lösung. H. LERCHBACHER Fazit: Anhaltender Knobelspaß für Jung und Alt! |Sudoku junior| digital publishing 2006, 1 CD-ROM für Win EurD/A 19,99/sFr 35 |Kakuro 33.333| digital publishing 2006, 1 CD-ROM für Win. EurD/A 9,99/sFr 17,50 Unterwegs in der Stadt. Mit Max, dem freundlichen Schweinehund, lernen Kinder von 4 bis 8 Jahren, wie man Bus, Bahn und Schiff fährt, Fahrkarten besorgt und dabei sparsam mit Geld umgeht. Auf der Suche nach einer neuen Glühbirne für den Leuchtturm gibt es viel zu entdecken und immer neue Lieder zum Mitsingen. Auf Deutsch und Englisch spielbar. Deutsche Literatur aus fünf Jahrhunderten. Von den ersten neuhochdeutschen Dichtungen bis ins 20. Jahrhundert hinein vereint Band 125 der Digitalen Bibliothek über 2900 Werke, rund 600.000 Seiten, von mehr als 500 Autoren auf einer DVD. Mittels der bewährten Benutzeroberfläche lässt sichs in dieser „Großbibliothek“ bequem recherchieren und schmökern. |Max fährt Bus, Bahn und Schiff| Tivola 2006, 1 CD-ROM für Win und Mac EurD 19,99/EurA 20,70/sFr 35 |Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky| Directmedia 2005, 1 DVD für Win und Mac. EurD 90/EurA 93,10/sFr 150 Science-Shop.de – vor allem Wissen! Wir bieten Ihnen ein breites Angebot an Büchern, DVDs und Software aus den Fachgebieten Archäologie, Astronomie, Biologie, Chemie, Geowissenschaften, Mathematik, Medizin, Physik, Psychologie und Technik. Dazu Rezensionen, Sonderangebote u.v.m. Aber auch jedes andere Buch – ob Sachbuch, Roman oder Reiseführer – können Sie bei uns bestellen. www.wissenschaft-online.de BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FUSSBALLFIEBER Rechtzeitig zur WM gibt es von United Soft Media die überarbeitete Fußball-Chronik 2006. Diese beinhaltet neben sämtlichen Ergebnissen, Mannschaftsaufstellungen, Torschützen etc. der vergangenen 17 Weltmeisterschaften, alle möglichen Statistiken, Audio- sowie Video-Ausschnitte, ein WMQuiz und vieles mehr. Im Wettmanager lassen sich die Ergebnisse tippen und mittels Online-Dienst bleibt die Datenbank auch während der Endrunde stets aktuell. 75 Minuten Fußballgeschichte zum Genießen, verspricht die beiliegende DVD „Best of Fifa Fever“. Ebenfalls neu ist die CDDie wilden Fußballkerle ROM „Die in Aktion wilden Fußballkerle – Die schwarze Fahne“ von der im Herbst 2005 gegründeten MultiMediaManufaktur. Ein unterhaltsames Abenteuer für Kinder ab 8 Jahren, die bei fünf kniffligen Aufgaben ihr Ballgefühl unter Beweis stellen müssen, um beim finalen Kartenspiel die Fahne zurückzuerobern. |Die große Fußball-Chronik 2006| United Soft Media 2006, 2 CD-ROMs + 1 DVD. EurD 24,90/EurA 25,80/sFr 47,90 |Die Wilden Fußballkerle – Die schwarze Fahne| MMM 2006, 1 CD-ROM für Win, EurD 19,95/EurA 20,70/sFr 36,80 Ab sofort: Portofreie Lieferung in Deutschland und Österreich ab einem Bestellwert von € 20,–! www.science-shop.de Das Internetpor tal für Wissenschaft und Forschung. 57 58-62 junior 15.05.2006 17:49 Uhr Seite 58 JUNIOR Geprüfte Qualität Man sucht das richtige Hans-Christian-Andersen-Preis für Wolf Erlbruch in Bologna (l.) Kinderbuchpreis in Österreich: Christine Aebi mit „Jenny, 7“ (o.) ÖSTERREICHISCHER KINDER- & JUGENBUCHPREIS 2006 ■ Linda Wolfsgruber |Zwei x Zwirn| (Sauerländer-Patmos, Bilderbuch) ■ Lilly Axster / Christine Aebi |Jenny, sieben| (de’A Panoptikum, Gumpoldskirchen; Kinderbuch) ■ Rachel van Kooij |Der Kajütenjunge des Apothekers| (Jungbrunnen; Jugendbuch) ■ Elke Krasny: Warum ist das Licht so schnell hell? (NP; Sachbuch) 58 In der sogenannten „Kollektion“ werden noch zehn weitere Bücher empfohlen, darunter Jutta Treiber und Susanne Eisermann mit „Naja“ (NP), Silke Leffler („Der Tageschlucker“, Jungbrunnen), Ursula Poznanski und Sybille Hein („Die allerbeste Prinzessin“, Dachs), Reinhold Ziegler („Perfekt geklont“, Ueberreuter). m interessantesten sind dabei zweifellos die Entscheidungen der Jugendjurien. Also exakt derjenigen, die eigentlich die Zielgruppe sind. Und da darf man doch einigermaßen erstaunt sein, wenn jene Bepreisung sich von der „professionellen“ Handhabung unterscheidet. Beispiel Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis: Die Kritikerjury hat in drei Bereichen (Sachbuch, Bilderbuch, Kinderbuch) nur fünf statt sechs mögliche Titel genannt. Begründung: „Weitere qualitätsvolle Titel in der engeren Diskussion fanden nicht die nötige Stimmenmehrheit.“ Das klingt wie eine laue Angabe aus dem Parla- A BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 ILL.: AUS „EIN GLÜCKLICHER ZUFALL“/W. ERLBRUCH, HANSER; AUS „JENNY, 7“/CHRISTINE AEBI, -DE’A- Buch und ist verzweifelt, kriegt keine passende Antwort, und doch: Es gibt sie! Wenn nämlich professionelle Jurien inklusive engagierten JungleserInnen Bücher für jede Altersgruppe aussuchen. ANNA ZIERATH hat sich umgesehen. 58-62 junior 15.05.2006 17:52 Uhr Seite 59 ILL.: AUS „ROTE WANGEN“/ALJOSCHA BLAU, AUFBAU %"4130(3".. ment, wenn eine Gesetzesvorgabe nicht gleich Halskragen“, Bibliothek der Provinz). Der durchgeht. Ziemlich schade, denn die Jah- Kinderbuchpreis ist ein erstaunliches Ergebresproduktion 2005 ist so gar nicht schlech- nis (kleiner Verlag, kaum bekannte Autoter gewesen als im Vorjahr. Oder noch früher. rinnen), eine gute Geschichte, die wohl ohne Je nun, die strenge Jury hat empfohlen, man diese Bepreisung verloren gegangen wäre. wird sehen zur Buchmesse in Frankfurt (Okto- Fein so. Interessant und als Schmöker bestens ber 2006), welche Bücher letztlich den geeignet ist der Jugendbuchpreis, „Der Preis bekommen. (Die JugendKajütenjunge des Apothekers“. jury hat ihre MöglichUnd der Sachbuchpreis keiten feinerweise voll („Warum ist das Licht ausgeschöpft!) so hell?“) kommt In Österreich aus jener guten wurde bereits Schiene, die seit entschieden einiger Zeit (siehe BuchBücher über liste im Bücher zu Anhang). allen Fragen Und in des Lebens, der Bologna im Umwelt und März auf der des Lernens internationalen (sprich: ErkenKinderbuchmesse nens) bringt. In ebenfalls. So hat dort Österreich wurde dazu den „Fiction Award“ ein auch eine sehr brauchbaBuch aus dem Aufbau Verlag re Veranstaltungsreihe organibekommen, das wahrhaftig „Rote Wangen“, wenn der siert, zu der bedeutende AutoGroßvater zu erzählen betörend schön ist; Geschichrinnen und Autoren in Schubeginnt … te und Illustration gleicherlen, Büchereien und Clubs maßen: „Rote Wangen“. Heinz Janisch (der lasen, organisiert von einer engagierten Buchim Übrigen im österreichischen Preisgefüge händlerin aus der Gleisdorfer/österreichischen natürlich ebenfalls vorkommt) hat mit Provinz. Aljoscha Blau ein Bilderbuch besonderer Dass in Bologna auch der Hans-ChristiFreude geschaffen. Außerdem bekam der an-Andersen-Preis der IBBY (International Hanser Verlag den „Non Fiction Award“ Board on Books for Young people) vergeben für sein „Müssen Tiere Zähne putzen?“. wurde, muss ebenfalls erwähnt werden. Denn Genannter Verlag kommt interessanterwei- kein Geringerer als Wolf Erlbruch bekam se in der deutschen Nominierungsliste gehäuft diesen Preis für Illustrationskunst. Der Autovor. Zusammen mit Carlsen. Kein Problem, renpreis ging an die Neuseeländerin Marwenngleich: Die Österreicher entschieden garet Mahy. Die oftmalige Überschneidung etwas differenzierter. von österreichischer und deutscher EntDort wiederum ist aufzumerken, dass eine scheidung bzw. Vorgabe ist diesmal einmaIllustratorin mehrmals vorkommt. Was wohl lig: Bologna-Preisträger Janisch mit seinen mit ihrer anhaltenden Qualität zu tun hat: ziemlich roten Wangen steht da allein auf Linda Wolfsgruber bekam den Bilderbuch- weiter Flur. preis, dazu die Erwähnung in der sogenannAlles in allem können Sie auf die Juryvorten „Kollektion“ (was heißt, noch weitere gaben vertrauen. Genannte Bücher sind mit zehn Bücher wurden über die Bepreisung ziemlicher Sicherheit für Ihre Leseratten und hinaus empfohlen), gemeinsam mit Heinz Bücherwürmer passend, und darum geht es Janisch („Heute will ich langsam sein“, Jung- letztendlich. Um „geprüfte Qualität“. Und brunnen) und dem Skizzenbuch zu Ander- das garantiert. Vor allem, wenn es von junsens wenig bekannten Geschichten („Der gen Jurorinnen und Juroren kommt. /FVF#DIFS /FVFS4QB &OEMJDI/FVFTWPO)VIO VOE4DIXFJO%BT5SBVN QBBSIjMUTJDIGJU 1FUFS(BZNBOO #FXFHEJDI *4#/ % " T'S %FS#SJFGNBDLFSJTUXJFEFS EB+VYCSJFGFNJU#FTUTFMMFS HBSBOUJF NOMINIERUNGSLISTE ZUM DEUTSCHEN KINDER- UND JUGENDBUCHPREIS Da insgesamt 27 Bücher nominiert sind, geben wir nur einige Beispiele für besonders erwähnenswerte Titel, u. a. Heinz Janisch (Bilderbuch/Aufbau), Kevin Brooks („Lucas“, dtv; Jugendjury), Angie BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 Sage („Septimus Heap. Magyk“, Hanser; Jugendjury), Joyce Carol Oates („Mit offenen Augen“, Hanser, Jugendjury) oder Jan Guillou „Evil“ (Hanser). Mehr unter www.jugendliteratur.org 8JOGSJFE#PSOFNBOO #PSOFNBOOT/FVF#SJFGNBDLFO %JFBLUVFMMF/POTFOT,PSSFTQPOEFO[ *4#/ % " T'S 4VCJUP7FSMBH°+VMJVTTUSBF %'SBOLGVSUBN.BJOXXXTVCJUPWFSMBHEF 4VCJUPJTUFJO*NQSJOUEFS#BVNIBVT7FSMBH(NC) 58-62 junior 16.05.2006 12:34 Uhr Seite 60 JUNIOR Paul Stewart / Chris Riddell Aberwitzige Abenteuer I Fergus Crane auf der Feuerinsel Ab 8. Über 200 Illustrationen Ca. € 14,90 (D) € 15,40 (A) sFr 26,80 ISBN 3-7941-6057-6 Paul Stewart / Chris Riddell Die Klippenland-Chroniken VIII Quint und die Eisritter Ab 10. 118 Illustrationen Ca. € 16,90 (D) € 17,40 (A) sFr 29,90 ISBN 3-7941-6079-7 Runde Sache Dass die aufgeblasene Lederhaut, sprich Fußball, neuerdings nicht nur den Knaben vorbehalten bleibt, das müssen sogar die „Wilden Fußballkerle“ anerkennen. Im dritten Kinofilm kriegen es die munteren Jungs mit den „biestigen Biestern“ zu tun. Die bilden eine reichlich toughe Mädchenschar, kratzbürstig, unkonventionell – und ziemlich scharf auf Fußball. Wilde-Kerle-Erfinder Masannek stand für diese neue Buchreihe Pate, mittlerweile sind zwei Titel erschienen („Lissi die aus der Hüfte schießt“; „Anna Queen Khan, die Tochter des Panters“). Anderes gelungenes Beispiel zum Thema Fußball & Mädchen: Cordula Tollmien verbindet in ihrer Geschichte um das indische Mädchen Anjali Fußballfieber mit fremden Kulturen und erstaunlichen Erkenntnissen. Etwas konventioneller strickte Michael Schmid seine Story um Liebe, Intrige und Tore. DIE BÜCHER Rotraut Susanne Berner |Karlchen vor, noch ein Tor!| Hanser 2006, 32 S., EurD 12,90/EurA 13,30/sFr 23,70 (ab 6) |Das große Ravensburger Fußballbuch| Ravensburger 2006, 140 S., EurD 14,95/EurA 15,40/sFr 26,90 (ab 10) Rieckhoff/Tielmann |Das Spitzenspiel| Thienemann 2006, 32 S., EurD 12,90/EurA 13,30/sFr 23,50 (ab 6) |Am Tag, als ich Weltmeister wurde …| Anthologie. Ill. Frank Wowra. Baumhaus 2006, 176 S., EurD 8,90/EurA 9,20/sFr 16,50 (ab 11) Barbara Zschoke |Die Fußballwette| Ill. v. Klaus Puth. ars edition 2005, 48 S., EurD 6,50/EurA 6,70/sFr 12,10 (ab 7) Lutz van Dijk |Themba| cbj 2006, 224 S., EurD 12,90/EurA 13,30/ sFr 23,50 (ab 12) Werner Färber |Kleine Fußballgeschichten| ars edition 2006, 48 S., EurD 6,50/EurA 6,70/sFr 12,10 (ab 7) Peter Nieländer |Rund um den Fußball| Pappbilderbuch aus der Reihe Wieso? Weshalb? Warum? Ravensburger 2006, 16 S., EurD 12,95/ EurA 13,40/sFr 23,60. (ab 6) Manfred Mai/Jan Lieffering |Die Bambini Kicker| Ravensburger 2006, 32 S., EurD 11,95/EurA 12,30/sFr 21,40 (ab 7) Mennel/Katzmayr |Die Wilden Fußballkerle – Das Weltmeisterschaftsbuch| Baumhaus. 160 S., EurD 9,90/EurA 10,20/sFr 18,10 (ab 8) Suzanne Weyn Bar Code Tattoo Ab 13. Ca. € 14,90 (D) € 15,40 (A) sFr 26,80 ISBN 3-7941-7047-0 Patmos Verlagshaus www.patmos.de Er lässt gleich ein ganzes Mädchen-Fußballteam aufmarschieren, das schließlich trotz aller Misslichkeiten gewinnt. Fußballbücher für alle ab sechs, vom Pappbilderbuch (sehr schön: Rotraut Susanne Berners „Karlchen …“ oder der Klassiker aus der Reihe „Wieso? Weshalb? Warum“) bis zu den großen Fußball-Almanachen, die zur WM erscheinen (mit WM-Spielplänen, Regeln, Starporträts etc.). Weitere Tipps entnehmen Sie der Buchliste. Darüber hinaus empfehle ich für alle, die während dem Fußballfieber noch Zeit (und Lust) zum Lesen finden, zwei besondere Bücher. Einmal eine Geschichte aus Südafrika um den jungen Fußballer Themba und um ein virulentes Thema, das noch immer tabuisiert wird: AIDS. Eindringlich und frei von falschem Pathos schildert Lutz van Dijk den Werdegang des talentierten Fußballers Themba bis zur schwersten Entscheidung seines jungen Lebens. Komödiantisch ist der zweite Buchtipp: Zoran Drvenkar und Gregor Tessnow hatten „einen Traum“, wie sie im Nachwort verraten, und haben gemeinsam dieses amüsante Buch geschrieben. Es geht um die WM 2006 und um die Vermeidung einer Katastrophe und um viel schräge Erlebnisse samt schelmischem Opa. „Wenn die Kugel zur Sonne wird“ bereitet vor. Während und nach dem WM-Lesevergnügen (auch für Ältere). ANNA ZIERATH Ursel Scheffler |Fußball mit Papa| Ill. v. Dorothea Ackroyd. ars edition 2005, 32 S., EurD 12,95/EurA 13,40/sFr 23,60 (ab 8) Zoran Drvenkar & Gregor Tessnow |Wenn die Kugel zur Sonne wird| Altberliner 2006, 304 S., EurD 14,90/EurA 15,40/sFr 26,80 (ab 12) FUSSBALL UND MÄDCHEN Winkler & Winkler |Freistoß für coole Kicker|.Ueberreuter 2006, 120 S., EurD/A 8,95/sFr 16,50 (ab 10) Joachim Masannek |Die biestigen Biester – Lissi, die aus der Hüfte schießt| Ill. Jan Birck. Baumhaus 2006, 128 S., EurD 9,90/EurA 10,50/ sFr 26,80 (ab 9) Manfred Mai (Hg.) |Fußballgeschichten| Ill. v. Rolf Bunse. Ravensburger 2006, 192 S., EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 18,20 (ab 8) Cordula Tollmien |Kick it, Anjali| Ill v. Iris Hardt. Schneider 2006, 160 S., EurD 7,90/EurA 8,20/sFr 14,60 (ab 10) Joachim Masannek |Die wilden Fußballkerle. Der dicke Michi| Baumhaus 2006, 300 S., EurD 14,90/EurA 15,40/sFr 26,80 (ab 8) Beate Dölling |Anpfiff für Ella| dtv junior 2006, 176 S., EurD 6,50/EurA 6,70/sFr 11,70 (ab 10) Clive Gifford |Mein großes Fußballbuch| ars edition 2005, 288 S., EurD 16,90/EurA 17,40/sFr 30,10 (ab 10) Michael Schmid |Doppelpass mit Poppy| Ill. Carola Holland. Dachs 2006, 128 S., EurD 11,60/EurA 11,90/sFr 20,80 (ab 11) BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 ILL. AUS „WIESO? WESHALB? WARUM? – RUND UM DEN FUßBALL“/RAVENSBURGER Sauerländer Kinder- und Jugendbuch 58-62 junior 16.05.2006 12:36 Uhr 3x3 Seite 61 BUCHTIPPS FÜR ALLE ALTERSSTUFEN ✮ ZUM VORLESEN, ANSCHAUEN UND FÜR ERSTLESER Mimi entdeckt die Welt von Doris Dörrie. Ill. v. Julia Kaergel. Diogenes, 32 S., EurD 14,90/EurA 15,40/sFr 26,90. Was so alles auf einem leeren Blatt Papier passiert, wenn man nur seiner Phantasie freien Lauf lässt, führt Doris Dörrie in ihrem dritten Streich mit Mimi vor. Und wieder mit den eigenwilligen Illustrationen von Julia Kaergel – Kopfabenteuer vom Feinsten! Der Handschuh von Friedrich Schiller und Jacky Gleich. Kindermann, 32 S., EurD 14,50/EurA 15/sFr 25. Schillers Ballade vom aufrechten Ritter Delorges, der sich dem bösen Spaß einer Dame entzog, von Jacky Gleich in Bilder umgesetzt. Schönes Beispiel von inhaltlich wie formaler Prägnanz, mit gekonntem Ironie-Sahnehäubchen. Der Tageschlucker von Silke Leffler. Annette Betz, 32 S., EurD/A 12,95/sFr 23,60. Ein wenig Zeit nehmen und schauen, lesen, grübeln: Das lehrt dieses Buch um die Wochentage und um den großherzigen Tagesschlucker. ✮ FÜR LESERATTEN (AB 8) Ein glücklicher Zufall von Ljudmila Ulitzkaja. Übers. v. Ganna-Maria Braungardt. Ill. v. Wolf Erlbruch. Hanser, 78 S., EurD 12,90/EurA 13,30/sFr 23,70. Sechs dichte Geschichten, nicht nur für Kinder und zum Vorlesen. Dazu Erlbruchs zurückgenommene Bilder – eine Erzählsammlung von seltenem Wert. Jinbal von den Inseln von Klaus Kordon. Ill. v. Peter Knorr. Beltz & Gelberg, 128 S., EurD 14,90/EurA 15,40/sFr 27,20. Ein lehrreiches Märchen um ein couragiertes Mädchen und um ein schlimmes Geheimnis. Kein FantasySchmöker. Sehr spannend. ✮ FÜR BÜCHERWÜRMER (AB 12) Kaltes Wasser von Joachim Friedrich. Thienemann, 320 S., EurD 14,90/EurA 15,40/sFr 26,80. Aus der bewährten Feder Friedrichs ein ganz außergewöhnliches Buch: Anna erwacht aus einer Ohnmacht, hat totale Mattscheibe und findet nur langsam zu ihrer schrecklichen Erinnerung. Die hat es aber in sich. Buch mit Thrill-Qualität. Die Drachen von Babylon von Katherine Roberts. Übers. v. Corla Bauer. dtv, Reihe Hanser, 333 S., EurD 7,50/EurA 7,80/sFr 13,50. Der zweite Band aus der Reihe „Abenteuer der 7 Weltwunder“. Historisches aus dem antiken Babylon vermischt mit phantastischen Fabelwesen und einer jungen Frau mit magischen Fähigkeiten. Feiner Lesestoff! Prügelknabe von Jana Frey. Loewe, 392 S., EurD 16,90/EurA 17,40/sFr 30,10. Noch ein historischer Lesestoff, der im Mittelalter angesiedelt ist, als die Pest halb Europa ausrottete. Elias, ein junger Bursche, ist auf der Flucht vor der Seuche – und gerät vom Regen in die Traufe … BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 Ian Ogilvy Miesel und der Drachenhüter Über Familie Stubbs braut sich neues Unheil zusammen, denn Miesels Eltern sind den schwarzen Hexern ein Dorn im Auge. Mit viel Mut und schlauen Einfällen kämpfen Miesel und sein Hund Tinker gegen schrecklich fiese Ungeheuer. Band 2 • 7 [A] 15,40 ab 10 Jahren • 368 Seiten ISBN-10 3-473-34477-X ISBN-13 978-3-473-34477-2 Miesel und der Kakerlakenzauber Band 1 • 7 [A] 13,40 ISBN-10 3-473-34471-0 ISBN-13 978-3-473-34471-0 www.ravensburger.de Gullivers Reisen von Jonathan Swift. Nacherzählt von Martin Jenkins. Übers. v. Günter Jürgensmeier. Ill. v. Chris Riddell. Sauerländer Patmos, 144 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 34,90. Ein Klassiker, neu erzählt von Martin Jenkins. Was vor allem besticht, sind Riddells Illustrationen, bunt, phantastisch, detailversessen. Eignet sich auch als leichtfüßiger Wegweiser in die Weltliteratur. 62-63 BK_RÄTSEL 15.05.2006 17:59 Uhr Seite 62 GEWINNSPIEL Das anspruchsvo ll Hauptpreis: exklusives Wochen UND WIEDER SIND SECHS LITERARISCHE FRAGEN ZU BEANTWORTEN, DIE ES IN SICH HABEN. FOTOS: BRISTOL Mit etwas Glück können Sie einen Abstecher in die verschwundene Welt der k.u.k.-Sommerfrische gewinnen: Zwei Nächte im herrlichen Abbazia, heute Opatija. Vor über hundert Jahren wurde mit dem Bau eines Hotels begonnen, das namhafte Gäste aus Hochfinanz und Adelswelt beherbergte. Erst im vergangenen Jahr ist das traditionsreiche Haus unter strengsten Auflagen des Denkmalschutzes grundrenoviert worden. Stilvoll, luxuriös und mit exklusiver Atmosphäre. Hervorzuheben ist dabei auch das Kaffeehaus Palme, das sich der Wiener Kaffeehaustradition verschrieben hat. 1 GEWINNFRAGE 2 GEWINNFRAGE Unsere gesuchte Autorin war schon 56, als ihr erster Lyrikband erschien. Sie hatte zwar schon früher publiziert, etwa Legenden und Erzählungen auch diverse Gedichte in Anthologien und Zeitschriften, doch dann musste sie, die immer sehr zurückgezogen lebte, mit ihrer Mutter vor den Nazis emigrieren. Mit Übersetzungen verdiente sie sich ihr Geld und selbst später, als sie die höchsten Literaturpreise erhielt, lebte sie eher bescheiden in einer kleinen Wohnung. In ihrer zweiten Heimat starb sie auch. Wann erschien ihr erster Gedichtband auf Deutsch? T 1945 S 1946 R 1947 F März G April H Mai 62 3 GEWINNFRAGE Unser gesuchter Autor verdiente mit schnell geschriebenen Romanen viel Geld, gab allerdings auch wieder viel aus. Er liebte das Leben, das Reisen und die glamouröse Welt. Besonders mit einer Romanfigur, einem ungewöhnlichen Verbrecher, wurde er weltberühmt. Als das Buch erstmals erschien, wurde es sofort zum Bestseller. Es folgten noch weitere Bände, die nicht so erfolgreich waren. Trotzdem rissen sich Regisseure um die Verfilmungsrechte. Fritz Lang hatte die Nase vorn und begründete damit seine Karriere. Manche erinnern sich noch mit wohligem Schauder an diese Figur, da die Filme später auch im Fernsehen gezeigt wurden. Wann erschien sein Bestseller? I 1921 O 1922 U 1923 BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTOS: ARCHIV, BAYRISCHER BRAUERBUND E. V. Unser gesuchter Autor hatte eine gründliche Abneigung gegen Autoritäten aller Art, besonders jedoch gegen seine Lehrer. Nach diversen Schulwechseln schloss er doch eine Lehre ab, ging aber bald ins Exil und lebte dort jahrzehntelang. Er war ein leidenschaftlicher Wanderer und Bergsteiger sowie ein talentierter Maler, liebte Zigaretten und Zigarren und hatte einen Hang zur Esoterik. Seine Bücher erreichen weltweit Millionenauflagen, da sich besonders Jugendliche davon angesprochen fühlten. Er war auch Mitherausgeber einer satirischen Zeitschrift mit dem Titel: 62-63 BK_RÄTSEL 16.05.2006 12:43 Uhr Seite 63 o lle Literaturrätsel ochenende mit vier Sternen DER HAUPTPREIS: Zwei Übernachtungen für zwei Personen / Doppelzimmer mit Frühstück im Vierstern-Hotel Bristol in Opatija/Istrien. PREISE 2 BIS 5: Gerade recht zum Freud-Jubiläumsjahr: Das Buch „Sigmund Freud. Wiener Schauplätze der Psychoanalyse“ von Lisa Fischer und Regina Köpl, erschienen im Böhlau Verlag. Ein informatives Lesevergnügen, über das sich auch die Gewinner des Hauptpreises freuen dürfen! 4 GEWINNFRAGE Für ihre Familie war die Schriftstellerei nicht standesgemäß. So musste das erste Buch auch unter Pseudonym erscheinen, doch aufgehört hat sie mit dem Schreiben deshalb eben nicht. Sie beherrschte fünf Sprachen, komponierte auch gerne und übersetzte zum Vergnügen Vergil. Trotz ihrer vielseitigen Begabung war doch die Lyrik das Zentrale in ihrem Leben. Eine späte Amour mit einem weit jüngeren Mann führte zwar zu einigen wunderschönen Liebesgedichten, doch leider nicht zu einem glücklichen Ende. Darüber war sie zwar untröstlich, doch arbeitete sie weiter. Die letzten Jahre vor ihrem Tod lebte sie zurückgezogen am P Zauchensee S Bodensee T Attersee 5 GEWINNFRAGE Sein Hauptwerk rief beim erstmaligen Erscheinen einen kleinen Skandal hervor. Wissenschaftliche Kollegen attestierten ihm einen „schlechten Zeitungsstil“. Doch international wurde es ganz anders gesehen und die lebendige lebensnahe Sprache gelobt. Der Sohn eines Pfarrers mit dem Hang zum Monumentalen studierte zuerst Jus, dann Geschichte. Mit seiner Frau hatte er 16 Kinder und zuletzt erhielt er auch den Nobelpreis. Trotzdem glaubte er in seinem Leben nicht „das Rechte“ erreicht zu haben. Gemeinsam mit seinem Bruder und einem anderen Autor verfasste er ein „Liederbuch dreier Freunde“. Wie hieß der befreundete Schriftsteller? B Wilhelm Busch C Theodor Storm D Paul Heyse 6 GEWINNFRAGE Mit ihren Auftritten konnte unsere gesuchte Literatin ziemlich beeindrucken. Nachhaltig im Gedächtnis blieben ihre spektakulären Hüte. Sie legte sich nicht auf eine Sprache fest, sondern schrieb manchmal auf Deutsch, dann wieder auf Französisch. Zeitlebens kämpfte die engagierte Pazifistin gegen nationalistische Strömungen mit einem beachtlichen schriftstellerischen Repertoire. Schon für ihren ersten Roman erhielt sie den Fontane-Preis. Sie emigrierte früh, zuerst nach Frankreich und später in die USA. Thomas Mann setzte ihr in „Doktor Faustus“ ein literarisches Denkmal. Obwohl sie nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wollte, zog sie für die letzten Lebensjahre doch wieder in ihre Geburtsstadt. In welche? F Frankfurt G Augsburg H München BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 Teilnahmebedingungen: Das Buchkultur-Literaturrätsel geht in die nächste Runde. Wir verlosen dabei einen Hauptpreis (siehe Beschreibung l.o.) sowie weitere vier Mal das Buch „Sigmund Freud. Wiener Schauplätze der Psychoanalyse“ von Lisa Fischer und Regina Köpl (Böhlau). Lösen Sie das „Literarische Rätsel“ dieser Ausgabe und schicken Sie uns die Antwort. Aus den Buchstaben der 6 Fragen bilden Sie das Lösungswort. Kleiner Tipp: Unser gesuchter Autor studierte Architektur und führte sogar einige Jahre ein eigenes Architekturbüro. Doch wollte er immer Schriftsteller werden und schrieb deshalb während seiner Arbeit Skizzen und Entwürfe, die er dann in einem Tagebuch festhielt. Wer war es? 1 2 3 4 5 6 Die Gewinne werden unter den Teilnehmern verlost, die das richtige Lösungswort bis zum 26. Juni 2006 eingesandt haben. Die Gewinnspielteilnahme ist bei gleichen Gewinnchancen auch mit einfacher Postkarte oder über unsere Website möglich (www.buchkultur.net). Schreiben Sie an: Buchkultur VerlagsgmbH., Hütteldorfer Str. 26, 1150 Wien, Österreich, Fax +43.1.7863380-10 E-Mail: [email protected] Eine Barauszahlung ist nicht möglich. Die Gewinner werden von der Redaktion benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die Auflösung von Heft 104: Der gesuchte Autor war Karl Philipp Moritz. Sein psychologischer Roman heißt übrigens „Anton Reiser“. Die Gewinner: Hauptpreis: Herr Helmut Ruf, Dachau Buchpreise: Frau Anna Elisabeth Pichler, Klagenfurt Frau Alexandra Schlömmer, Wien; Herr Martin Schneider, München; Frau Gabriele Wortmann, Bielefeld 63 64-65 BK cafe 15.05.2006 18:05 Uhr Seite 64 B U C H K U LT U R C A F É FOTO: PRIVAT K O M M E N TA R Geschichten aus der Steinzeit des Schreibens (3) er Dichter E. servierte Bienenstich in seiner Sozialwohnung. VON THOMAS FEIBEL Er trug ein kurzärmeliges, weißes Polohemd, schenkte Vanilletee ein und sprach pausenlos. Meist über Frauen. Frauen. Frauen, die er gehabt hatte. Frauen, mit denen er geliebt, gelebt und gestritten hatte. Und Frauen, die ihn dann allesamt wieder verlassen hatten. Nach der Trennung, meinte er erbittert, habe sich jede einzelne von ihnen sofort in Arme der schlimmsten Faschisten geworfen. Ein Affront. Ein Racheakt. Das träfe ihn doppelt. Das Herz mache nicht immer mit. Doch beim Sex sei alles tadellos. Im Schlafzimmer stand neben dem Bett ein rostiges Kellerregal voller Bücher. Die Wand war rot gestrichen. Testosteron-Rot. Er sei keiner dieser Männer, die nach dem Akt wie ein Gutsherr auf der Frau einzuschlafen pflegten. Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Ich war siebzehn Jahre alt und hatte noch nicht einmal eine Freundin. Eigentlich wollte ich E. nur meine Gedichte zeigen. Meine allein stehende Mutter hatte den Kontakt vermittelt. Ratlos betrachtete ich den ehemaligen Thoraschrank, den gelben Stern hinter Glas und ein Foto seiner Schwester, die der Blitz erschlagen hatte. Wir aßen Bienenstich. Überall, bekannte E. zwischen zwei Bissen, liefen ihm die Frauen nach und lägen ihm zu Füßen. Aber er könne ja nicht mit jeder Frau schlafen. Seit Jahren hatte er nichts mehr geschrieben. Nur ein Gedicht hier und da, und Briefe. Jede Menge Briefe, die seine unermüdlichen Don Quichotte-Kämpfe gegen Faschisten, ExFrauen und Elektriker dokumentierten. Unter den Briefen befanden sich auch einige Bittbriefe, verbunden mit minutiösen Berichten über seine beiden einzigen Gesundheitszustände: schlecht und sehr schlecht. Durchschriften all dieser Schreiben wurden pingelig sortiert in kilometerlangen Aktenordnerketten archiviert. Mit handschriftlichen, ergänzenden Notizen, zahlreichen Unterstreichungen und vielen Ausrufezeichen. Selbst Überweisungszettel schrieb er mit Maschine, trug wortreich Zahlungsgründe mit dramatischem Unterton ein und klebte seinen Abschnitt auf ein Blatt, das wiederum in einer Akte landete. Endlich nahm er die Kohlepapierdurchschläge meiner Gedichte in die Hand. Gedichte, meinte er, natürlich. Gottfried Benns „Reisen“ hatte mich zum Schreiben gebracht. Benn, meinte er. Ein Faschist. Natürlich. Er las meine Texte rasch, aber aufmerksam. Dann sprach er ganz kurz über Trakl und wechselte wieder auf sein Lieblingsthema. Neulich habe er einen Vortrag gehalten und da sei ihm die Kleine direkt ins Auge gefallen. Hübsch sei sie, schwärmte er, verdammt hübsch. Und jung. Aber er könne ja nicht mit jeder Frau schlafen. Später las ich Trakl. Und schrieb weiter. D 64 Leben mit Büchern! www.buch.tv Das erste Buchmagazin im Internet BuchTV 22 | Schwerpunkt Helden! WAS ZEICHNET HELDEN AUS? Wer ist einer? Die Fußball WM macht dieses Thema zum Schwerpunkt von BuchTV & bekannte Autoren erklären die Welt der Helden. HELD SEIN IM INTERNET… … darum geht es bei Online Rollenspelen. Wir sagen was der Kick ist – zum Beispiel bei World of Warcraft mit seinen mehr als 5 Millionen Spielern. WEITERE THEMEN ◗ Fußball ist unser Leben – Buchtipps rund um die WM ◗ Lesetipps - Highlights aufgeblättert im Buchkultur-Café ◗ Podcast Nachfolger: Video im Netz IMPRESSUM Buchkultur Nr. 105 Juni/Juli 2006 ISSN 1026–082X Anschrift der Redaktion A-1150 Wien, Hütteldorferstraße 26 Tel.: +43/1/786 33 80-0 Fax: +43/1/786 33 80-10 E-Mail: [email protected] Eigentümer, Verleger Buchkultur VerlagsgesmbH., A-1150 Wien, Hütteldorfer Straße 26 Herausgeber| Michael Schnepf, Nils Jensen Chefredaktion| Tobias Hierl Art Director| Manfred Kriegleder Chef vom Dienst| Hannes Lerchbacher Redaktion| Karin Berndl, Konrad Holzer, Ditta Rudle, Sylvia Treudl Redaktion Berlin: Richard Christ Mitarbeiter dieser Ausgabe| Hanna Berger, Lorenz Braun, Manfred Chobot, Simon Eckstein, Dörte Eliass, Thomas Feibel, Daniela Fürst, Silvia Hess, Peter Hiess, Christa Himmelbauer, Alexander Kluy, Pamela Krumhuber, Christa Nebenführ, Karoline Pilcz, Rainer Scheer, Brigitte Schneider, Helmuth Schönauer, Beatrice Simonsen, Horst Steinfelt, Klaus Zeyringer, Anna Zierath Geschäftsführung, Anzeigenleitung| Michael Schnepf Vertrieb| Christa Himmelbauer Abonnementservice| Agnes Posch, Tel. DW 15, E-Mail: [email protected] Druck| Bauer Druck, A-1110 Wien Vertrieb| D: W. E. Saarbach GmbH (Kiosk) Ö: Mohr Morawa, 1230-Wien, Morawa Pressevertrieb, 1140-Wien Erscheinungsweise| jährlich 6 Ausgaben sowie diverse Sonderhefte Preise, Abonnements| ■ Einzelheft: Euro 4,35 ■ Jahresabonnement: Euro 25 (A)/Euro 28 (Europa)/Euro 31 (andere) ■ Studentenabonnement: Euro 17 (A)/Euro 20 (Europa) (Inskriptionsbest. Kopie!) Auflage| 15.100 Die Abonnements laufen über 6 Ausgaben und gelten, entsprechend den Usancen im Pressewesen, automatisch um ein Jahr verlängert, sofern nicht ein Monat vor dem Ablauf die Kündigung erfolgt. Derzeit gilt Anzeigenpreisliste 2006. Über unverlangt eingesandte Beiträge keine Korrespondenz. Namentlich gezeichnete Beiträge müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Copyright, wenn nicht anders angegeben, bei den Urhebern bzw. den Rechtsnachfolgern. Wir danken den Verfügungsberechtigten für die Abdruckgenehmigung. Alle Preisangaben sind ohne Gewähr. Im Internet: www.buchkultur.net BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 64-65 BK cafe 15.05.2006 18:06 Uhr Seite 65 B U C H K U LT U R C A F É >Zeitschriftenschau@ mare 54 Es ist unentbehrlich zum Überleben, es machte seine Besitzer reich, es wurde mit Gold aufgewogen, wir brauchen’s heute genauso wie vor zweitausend Jahren: Salz. Dieser „ozeanischen Essenz“ widmet sich die Zeitschrift der Meere mit Hingabe. Und mit welcher Hingabe die mareRedaktion von Mal zu Mal ihre Schwerpunktthemen findet und füllt, ist ein Stück Genuss für sich. Ob es im Konkreten um Salzabbau in Mali oder die unterirdische Kathedrale aus Steinsalz oder jene hochtechnologische Angelegenheit geht, wenn aus dem Meer Trinkwasser gewonnen wird – zum Begrünen weitläufiger Hotelanlagen inmitten der Sandwüste: ein Lehrstück für den Umgang mit dem Thema. Inklusive kleiner Salzkunde und dem Antrieb des Golfstroms und schließlich den Schönheiten aus Alabaster – Salzstein. Keine versalzene Suppe! Info: www.mare.de GEWINNSPIEL Passauer Pegasus 42/43 Texte von Autorinnen und Autoren aus dem deutschsprachigen Raum sowie Literatur aus Osteuropa und vor allem jene aus den Nachbarländern Bayerns – das bringt diese in Passau erscheinende Zeitschrift in Taschenbuchformat seit nunmehr zwanzig Jahren. Daher dokumentiert der Herausgeber in diesem Heft die Verleihung des „Adalbert-Stifter-Preises für Schriftsteller und Übersetzer Mitteleuropas“: Der Hauptpreis Literatur ging an Andrzej Stasiuk, der für Übersetzung an den Tschechen Radovan Charvat, die Förderpreise bekamen Leopold Federmair und Marica Bodrozik. Im weiteren Gedichte (Richard Wall, Edith Ecker) und Prosa. Info: [email protected] Manuskripte 171 Wieder empfehlenswerter Lesestoff mit reichhaltigem Spektrum, in diesem Heft sogar ein (Wieder-)Lesen von Oswald Wiener, weiters Prosa u.a. von Arnold Stadler, Ingram Hartinger, Thomas Stangl (ziemlich dichter Text) und Franz Weinzettl. Überzeugend die Lyrik-Strecke mit Beiträgen von Krzysztof Siwczyk (bemerkenswerter junger Pole!), Andrzej Kopacki, Ewa Lipska, Marusa Krese, Cvetka Lipus, Tatjana Gromaca, Stefan Schmitzer, Hans Eichorn, Olga Martynova. Den Abschluss bilden Essays von Ursula Krechel, Thomas Rothschild, Ilma Rakusa (mit einem Nachruf auf Gennadij Ajgi, der im Februar verstarb), Harald Miesbacher. Info: www.manuskripte.at Rainer Moritz abseits Das letzte Geheimnis des Fußballs »Abseits« – das konkurrenzlose Fußball-Buch. Mit Regelfragen, die den WM-Fußballabend noch schöner machen. »Warum verstehe ich bis heute nicht, was ›Abseits‹ ist?«, schrieb einst Elke Heidenreich. Obwohl sich diese Zeiten geändert haben und viele Frauengruppen mittlerweile in der Lage sind, strittige Abseitssituationen glaubhaft nachzustellen, eröffnet Rainer Tolle Beteiligung beim Internet-Gewinnspiel für Schulklassen Moritz’ konkurrenzloses, mit Bereits zum vierten Mal wurde zum Welttag des Buches das Schulprojekt „Medienpuzzle“ durchgeführt. sich die Kniffe dieser verzwickte Zur Aktion aufgerufen haben die Arbeitsgemeinschaft Welttag des Buches (Buchkultur & Schwarzer) gemeinsam mit dem österreichischen Unterrichtsministerium. Unterstützung kam von zahlreichen Medienpartnern, dem Buchklub der Jugend und dem österreichischen Buchhandel. Auf der Website www.welttag-desbuches.at wurden seit Anfang März im Wochenrhythmus fünf Fragen zu den Medien Zeitung, Hörfunk, Fernsehen, Internet und Buch gestellt, die im Rahmen einer Unterrichtstunde gelöst werden konnten. BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 übersichtlichen Grafiken ausgestattetes Buch die Möglichkeit, Regel mühelos anzueignen. 160 Treffen der Projektpartner zum Welttag des Buches in der Nationalbibliothek. Partnermedien, die die Aktion begleitet haben, gaben entsprechende Lösungshinweise zu den sehr kniffligen Fragen. Die Beantwortung erfolgte klassenweise in einem geschützten Bereich im Internet. Fast 700 Schulklassen haben sich heuer an diesem Internet-Gewinnspiel beteiligt. Gewinner des Hauptpreises ist die Klasse 6B des Theresianums in Wien 4. Seiten, gebunden mit aufka- schiertem 3D-PictoMotion-Bild, Euro 17,40, ISBN 3-88897-429-1 verlag antje kunstmann 66_schlußpunkt 15.05.2006 18:08 Uhr Seite 66 SCHLUSSPUNKT● Herr Thomas m 21. März des Jahres 2006 flog durch A das Fenster meines Zimmers in der Blattgasse Nr. 5 im 3. Bezirk der Stadt Wien, durch das große zweiflügelige Fenster, das auf den Hof und zwei große Kastanienbäume hinaussieht – eine Fliege. Schon eine halbe Stunde lang versuchte ich einzuschlafen. Ich wälzte meinen Körper herum auf der Suche nach der Position, die mich unempfindlich machen sollte. Mein erster Nachbar ist der Sportler Fritz, den von meinem auf dem Bett ausgestreckten Körper eine dünne, mit Leere ausgefüllte Wand trennt. Würde sich in der Wand etwas anderes befinden, so könnte ich nicht, glaube ich, Fritzens heftiges Herumwühlen und die Stöße mit dem Knie gegen die Wand hören. Wenn in seinem Traum der Knall aus der Startpistole den Beginn des Rennens bezeichnet, strampeln Fritzens Beine, und die Wand zittert, und der Kehle meines Nachbarn entringt sich trauriges Schluchzen. Und alles deswegen, weil im Traum der Schuss der Startpistole kein Schuss der Startpistole ist, sondern vermutlich das betäubende Getacker einer Kalaschnikow oder sogar der Knall einer Atombombe ist, deren rosafarbener Pilz mit dem Adidas-Zeichen über dem Stadion aufsteigt. Er steht früh auf, geht rasch hinaus und läuft den Gang hinunter, dann sprintet er die Treppe hinunter, fröhlich wie ein Hündchen. Die atavistischen Reliquien des Schwanzes in ihm versuchen links rechts zu wedeln, und Fritzens Zunge wird, während er über die Trottoirs des 3. Bezirks galoppiert, immer röter und länger. Nach zwei, drei Stunden und vielleicht einem Dutzend absolvierter Kilometer kehrt er ins Zimmer Nr. 22 zurück. Dann ist aus seinem Zimmer längere Zeit nichts mehr zu hören. Fritz ist müde. Thomas Bernhard sagt, Sport sei die armseligste aller Möglichkeiten, mit der sich die Menschheit einzureden versucht, dass das Leben einen Sinn habe. Ich stelle mir vor, wie mein Nachbar reagieren würde, wenn ich ihn mitten in 66 der Nacht weckte und versuchte, ihm Bernhards Definition nahe zu bringen. Aber könnte ich die Gesellschaft wählen, in der ich den Rest des Lebens auf einer öden Insel verbringen würde, beziehungsweise, wenn ich zwischen dem Sportler Fritz und der gerade in mein Zimmer eingeflogenen Fliege zu wählen hätte, würde ich mich doch wohl für meinen Nachbarn entscheiden. Fritz würde mich vor allem in den Grundlagen der deutschen Sprache unterweisen. Außerdem könnte Fritz, sollte sich am Horizont unerwartet ein Schiff zeigen, mühelos den Gipfel eines Berges erstürmen und Feuerfackeln entzünden. Die Fliege hingegen wäre unterdessen mit dem Belecken fremder Ausscheidungen beschäftigt. Ich vergaß zu erwähnen, dass die lateinische Bezeichnung für das Geschöpf, das auf den Seiten von Bernhards Buch meditierte, Sarcophaga carnaria lautet. Lateinische Bezeichnungen machen die Dinge ernster. Wenn Sie einen Wurm Cochliomia hominivorax nennen, nimmt er sofort die Dimension eines Elefanten an. Wenn Sie eine Fliege Sarcophaga carnaria nennen, wird sie zum prähistorischen Reptil, zu einem Fleischfresser. Wenn Sie hingegen einer Fliege einen menschlichen Namen geben, bleibt sie eine Fliege, und Sie sind der Idiot. Um keine Gelegenheit zu versäumen, sagte ich zuerst leise, und dann noch einmal, lauter, den Blick auf den seine winzigen Flügel streckenden schwarzen Punkt geheftet – Herr Thomas. Zu meiner Überraschung ließ das Geschöpf ein Sirren hören und beschrieb einen Kreis auf der fünfzigsten Seite von „Beton°∞. Es versteht sich, dass ich diesen Akt sofort dem Zufall zuschrieb. Aber jene eine Partikel des Zweifels, das unser Leben interessant macht, bewirkte, dass ich eine Gänsehaut bekam, ich hob die Augenbrauen und öffnete die Augen weit. Ich beschloss, unsere Kontakte zu vertiefen. Ich reckte den Daumen und näherte ihn dem Buch. Herr Thomas flog, ohne sich zu zieren, fast fröhlich, auf meinen Dau- mennagel. Die nächste Frage war völlig logisch: Soll ich das wertvolle Tierchen in eine Streichholzschachtel sperren, oder es zum Fenster tragen und in die Nacht entlassen? Wenn ich es einsperre, wird es vielleicht eines Tages reden und Seiten ungeschriebener Gedanken enthüllen. Aber auf die Weise arbeite ich gleichzeitig gegen meine Imagination. Denn vermutlich würde sich herausstellen, dass es sich um den allergewöhnlichsten Vertreter einer Rasse handelt, die lieber auf frischen Dreck fliegt als auf gute Bücher. Dann werden auch dieses Körnchen Zweifel unwiederbringlich dahin und ich um eine tiefe spirituelle Erfahrung gebracht sein. Also, Herr Thomas spazierte auf meinem Daumen herum. Ich erhob mich, darauf bedacht, ihn nicht zu beunruhigen, und öffnete das Fenster weit. Der Vollmond leuchtete über der Stadt. Fledermäuse umflogen die Türme der Kathedrale. Ich streckte den Finger geradewegs hinein in diese Nacht. Ich reckte den Daumen gen Himmel, wie Cäsar, der einem tapferen Gladiator das Leben schenkt. Ich verspürte ein sanftes Strömen der Luft an den Fingern und vernahm ein Sirren. Herr Thomas flog zum Zeichen der Dankbarkeit zuerst auf meine Stirn, und bewegte dann mit aller Kraft seine Flügel und strebte geradewegs dem Mond entgegen. Ich empfand Traurigkeit. Denn die Welt zeigte sich heute Nacht als wunderschöner Ort. Der 1977 geborene Ognjen Spahic hat sich vor allem als Autor von Kurzgeschichten einen Namen gemacht, die in mehreren Literaturzeitschriften und in dem Band „Sce to“ (Plima, 2001, Ulcinj, Montenegro) erschienen sind. Seit 1997 ist er für die Kulturredaktion der „Vijesti“ zuständig, Redaktionsmitglied des Kunstmagazins „Balcanis“ und Autor von LiteraturFeatures auf TV CG. 2004 erschien seine Erzählung „Hansenova djeca“ (Hansens Kinder) bei Durieux in Zagreb. BUCHKULTUR 105 | Juni/Juli 2006 FOTO: PRIVAT OGNJEN SPAHIC Über die Bedeutung von Namen sinnierte der montenegrinische Dichter Ognjen Spahic während der einsamen Nächte, die er auf Einladung von KulturKontakt im Bundessportheim in Wien verbrachte. 66_schlußpunkt 16.05.2006 10:14 Uhr Seite 67 IHR ABO-PLUS! MIT BUCHKULTUR IMMER BESTENS INFORMIERT 6-mal im Jahr: jede Menge Lesetipps. Die wichtigsten Romane und die interessantesten Sachbücher werden aktuell besprochen. Zusätzlich in jeder Ausgabe: Autoreninterviews, Porträts und Geschichten, die Sie sonst nirgends zu lesen bekommen! ABO-PLUS: SONDERHEFTE Als Abonnent erhalten Sie alle zusätzlichen BuchkulturSonderhefte nach Hause geliefert; zum Beispiel unser bewährtes Krimi-Spezial im Sommer. ABO-PLUS: LITERATURKALENDER Mit dem Weihnachtsheft von Buchkultur erhalten Sie Ihren Kalender 2007. Ein Poster mit den wichtigsten Jubiläumstagen der Literatur! ABO-PLUS: GESCHENKBUCH Ihre Abo-Prämie zur Wahl! Beachten Sie unsere aktuellen Angebote auf der Postkarte. (Solange der Vorrat reicht.) BESTELLEN SIE IHR ABO-PLUS-PAKET! Nutzen Sie den Preisvorteil des Jahresabonnements im Vergleich zum Einzelbezug! Da hat sich schon jemand bedient. Aber unser Angebot bleibt aufrecht. ❑ Ja, ich möchte Buchkultur abonnieren Bitte ausreichend frankieren oder Fax: +43 1 7863380-10 oder E-Mail: [email protected] Ich möchte das günstige Angebot nutzen und bestelle Buchkultur im Jahresabo ab der nächsten Ausgabe. Als Dankeschön erhalte ich eines der Geschenkbücher meiner Wahl, Aktion gültig bis 31. 8. 2006. Das Buch wird nach Bezahlung der Rechnung zugestellt. Name/Vorname Straße/Hausnummer Land/PLZ/Wohnort Telefon/E-Mail Als Geschenkbuch wähle ich (Wahlmöglichkeit, solange Vorrat reicht): ❏ ❏ ❏ Nicolas Remin, Venezianische Verlobung, Kindler Ingrid Noll, Ladylike, Diogenes Alois Hotschnig, Die Kinder beruhigte das nicht, Kiepenheuer & Witsch Datum/1. Unterschrift ✗ Zahlung: Ich erhalte einen Erlagschein über EUR 25,— (Österreich) bzw. EUR 28,— (Europa) Kein Risiko — Abo-Garantie: Wenn mir Buchkultur nicht gefällt, Postkarte/Fax genügt, und mein Abo endet nach einem Jahr. Sonst verlängert es sich zum jeweils gültigen Vorzugspreis für Jahresabonnenten. Widerrufsgarantie: Ich kann diese Bestellung innerhalb von 14 Tagen (Datum des Poststempels) bei Buchkultur schriftlich widerrufen. Datum/2. Unterschrift An Buchkultur Aboservice Hütteldorfer Straße 26 1150 Wien Österreich ✗ SO ERREICHEN SIE UNS: Buchkultur Abo-Service Hütteldorfer Straße 26, 1150 Wien, Tel.: +43 1 7863380, FAX: +43 1 7863380-10 E-Mail: [email protected], Internet: www.buchkultur.net buchkultur_105_6_h.qxp 9.5.2006 16:48 Uhr Seite 1 Diogenes »Sein Opus maximum.« www.diogenes.ch Sonias Sinne spielen verrückt: Sie sieht auf einmal Geräusche und fühlt Farben. Ein Aufenthalt in den Bergen soll ihr Gemüt beruhigen, doch das Gegenteil tritt ein: Im Spannungsfeld von archaischer Bergwelt und urbaner Wellness, bedrohlichem Jahrhundertregen und moderner Telekommunikation beginnt ihre überreizte Wahrnehmung erst recht zu blühen – oder gerät die Wirklichkeit aus den Fugen? »Bernhard Schlink ist ein Romancier von ganz eigener Qualität.« Süddeutsche Zeitung, München The New York Times Sich im Alter ladylike in sein Schicksal bescheiden? Von wegen. Lore und ihre Freundin Anneliese wollen mit 73 noch etwas erleben. Jetzt, wo Männer und Kinder glücklich aus dem Haus geschafft sind, gründen sie eine Frauen-WG. Und sie brechen noch einmal auf, zu einer Reise durch Deutschland. Zwei alte Damen, alter Schmuck und alte Schlager. Eine giftige Geschichte mit Happy-End. 1152 S., Ln., € (A) 25.60 / sFr 42.90 384 S., Ln., € (A) 20.50/ sFr 34.90 304 S., Ln., € (A) 20.50 / sFr 34.90 Jean Baptist Warnke hat nicht nur einen Job als Diplomat, er hält sich auch im Privatleben aus allem diplomatisch heraus. Bis er sich in Lima mit Haut und Haar verliebt. Doch wer ist die Studentin Malena? Eine feurige Liebe, die ungeahnten Zündstoff enthält… »Herrlich: witzige Figuren, ironische Sprache und viel Spannung.« Im Fragment eines Heftchenromans über die Heimkehr eines deutschen Soldaten aus Sibirien entdeckt Peter Debauer Details aus seiner eigenen Wirklichkeit. Die Suche nach dem Ende der Geschichte und nach deren Autor wird zur Irrfahrt durch die deutsche Vergangenheit und offenbart auch Peter Debauers Geheimnisse. De Volkskrant, Amsterdam 336 S., Ln., € (A) 20.50/ sFr 34.90 Sie kam und blieb – um ein Stück florentinisches Handwerk zu erlernen. Die junge Japanerin Akiko war so stolz auf ihr erstes Paar selbstgefertigter Schuhe, daß sie es immerzu trug, auch am Tag ihres Todes. Guarnaccia, der in Florenz stationierte Sizilianer, verfolgt den Fall in einer Stadt, die er kennt wie seine Hosentasche, und befragt ihre Bewohner, deren Charaktere und Intrigen er noch weit besser kennt. Bis ich dich finde ist die Geschichte des Schauspielers Jack Burns. Seine Mutter ist Tätowiererin, sein Vater ein Organist, der verschwunden ist. Ein Roman über Obsessionen und Freundschaften; über fehlende Väter und (zu) starke Mütter; über Kirchenorgeln, Ringen und Tattoos; über gestohlene Kindheit, trügerische Erinnerungen und über die Suche nach der einen Person, die unserem Leben endlich einen Sinn gibt. »Ein neuer Garp.« The Globe and Mail, Toronto 368 S., Ln., € (A) 20.50 / sFr 34.90 Tod eines Schwarzafrikaners auf dem Campo Santo Stefano. Ein Streit unter Immigranten? Oder steckt mehr hinter der Ermordung eines Illegalen? Brunetti hakt trotz Warnungen von höchster Stelle nach und entdeckt Verbindungen, die weit über Venedig hinausreichen. »Brunetti in Topform.« 480 S., Ln., € (A) 20.50/ sFr 34.90 160 S., Ln., € (A)18.40 / sFr 30.90 Die Geschichte von Daniel, einem niederländisch-israelischen Jugendlichen, und von Aischa, einer jungen Palästinenserin, die für die Weltöffentlichkeit ein Zeichen setzen will und ihn in eine tödliche Falle lockt. Ihr Lockmittel: das Internet und seine Zeichensprache, die Emoticons. 352 S., Ln., € (A) 20.50/ sFr 34.90 The Sunday Times, London