Steven ebel - Badisches Staatstheater Karlsruhe

Transcription

Steven ebel - Badisches Staatstheater Karlsruhe
3.
Steven Ebel
Hab’ ich euch denn je
geraten, Wie ihr Kriege
fUhren solltet?
Schalt ich euch nach
euren Taten, Wenn ihr
Frieden schlieSSen
wolltet?
3. LIEDERABEND – Steven Ebel
Ivor Gurney
Vier Lieder aus LUDLOW AND THEME
(1890–1937)
Ludlow Fair
On the Idle Hill of Summer
Far in a Western Brookland
When I was One and Twenty
Steven Ebel
REISE DER SOLDATEN
(*1979)
Auftragswerk / Uraufführung
Prelude
Les marveilles de guerre
Granaten
Dannazione
Abendmusik (or The mocking Gramophone)
Fratelli
Pursuit
The Nightmare
Epilog: In der Menge
– Pause –
Lili Boulanger
Vier Lieder aus CLAIRIÈRES DANS LE CIEL
(1893–1918)
Un poète disait
Au pied de mon lit
Vous m’avez regardé avec toute votre âme
Deux ancolies
Richard Strauss
(1864–1949)
DREI LIEDER AUS GOETHES
WEST-ÖSTLICHEM DIVAN
Wer wird von der Welt verlangen
Hab’ ich euch denn je geraten
Wanderers Gemütsruhe
Charles Ives
THREE SONGS OF THE WAR
(1874–1954)
In Flanders Fields
Tom sails away
He is there
Steven Ebel Tenor John Parr Klavier
17.5.14 19.30 KLEINES HAUS
Dauer 2 Stunden, eine Pause
1918
Hinter Den Kulissen
des Krieges
Das Jahr 1918 verbinden wir in erster Linie
mit dem Ende des Ersten Weltkriegs am 11.
November, mit dem Untergang des deutschen Kaiserreichs und mit der Gründung
der Weimarer Republik. Hinter dieser rein
politischen Geschichtsschreibung rücken
die Lebensschicksale einzelner Personen
oftmals in den Hintergrund. Der 3. Liederabend ist deutlich von den einschneidenden Ereignissen und den individuellen
Geschichten dieses Jahres geprägt: Es
war das Jahr, in dem Charles Ives einen
schweren Herzinfarkt erlitt und sein kompositorisches Schaffen stark einschränken
musste, es war das Jahr in dem Ivor Gurney einen psychischen Zusammenbruch
zu verkraften hatte und es war das Jahr,
in dem die aufstrebende Komponistin Lili
Boulanger mit nur 25 Jahren verstarb. 1918
war aber auch ein Jahr voller erfreulicher
Ereignisse: Richard Strauss arbeitete an
einer seiner erfolgreichsten Opern Die
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Frau ohne Schatten. Die „Flucht aus der
Wirklichkeit“ während der Kriegsjahre (so
schrieb sein Sohn Franz Strauss) beförderte gar seine künstlerische Kreativität, und
Giacomo Puccini brachte seinen Dreiteiler
Il trittico in New York zur Uraufführung.
So wuchsen zwischen all den tragischen
Kriegsereignissen unbeirrt die kulturellen
Errungenschaften Europas zu neuer Blüte
heran.
Stark geprägt von den Wirren des Krieges
wurde auch das Leben des Engländers
Ivor Gurney. Neben Ludlow and Theme
zählen vor allem seine Fünf Elisabethanischen Gesänge zu seinen bekanntesten
Kompositionen. Gurney gehört zu jenen
Komponisten, die selbst auch als Textdichter tätig waren – er vertonte etliche seiner
eigenen Gedichte. Zwischen 1913 und 1926
entstanden rund 900 Gedichte. Insbesondere in den Kriegsjahren fand Gurney zu
Grabmal Ivor Gurneys in Twigworth, Gloucestershire
3
einem dichterischen Stil, wegen welchem
er in England auch „poet of the war“, also
„Kriegsdichter“ genannt wird. Schicksalhaft für Gurney war sein Einzug in den
Militärdienst, was im Jahr 1918 zu jenem
seelischen Zusammenbruch führte. Symptomatisch für die Kriegserlebnisse war
auch, dass Gurney die letzten Jahre seines
Lebens in verschiedenen Heilanstalten
verbrachte – ein Schicksal, das viele Soldaten seiner Generation mit ihm teilten.
Während dess Krieges diente Gurney u. a.
in Aubers und Somme in Frankreich – Eindrücke, die auch in seinen Gedichten vorkommen. Sein Zyklus Ludlow and Theme
enthält verschiedene genrehafte Lieder
und landschaftliche Stimmungsbilder, in
die das Kriegsgeschehen erbarmungslos
eindringt. Nicht zuletzt hat die BBC in den
1960er Jahren eine Dokumentation über
den Ersten Weltkrieg nach Gurneys Gedicht On the Idle Hill of Summer benannt.
Charakteristisch für Gurneys Lieder ist
eine deklamatorische, textorientierte
Komposition. Jede Wortsilbe erhält einen
Notenwert, die Singstimme verkünstelt
sich nicht in virtuosen Koloraturen und
Auszierungen. Die gesungenen Verse
erklingen wie aufsteigende und wieder in
sich zusammenfallende Perioden. Beinahe
könnte man meinen, Ivor Gurney verstehe
Musik als rein zusätzliche Dimension zur
gesprochenen Sprache, die keine andere
Funktion hat, als das Ausgesprochene
durch Harmonik und Rhythmus in seiner
Bedeutung nochmals zu bekräftigen.
An kaum einer Stelle verselbstständigt
sich die musikalische Ebene und lässt
so Spielraum für Interpretation, die über
den Textgehalt der Gedichte hinausgeht.
Dies bestätigt sich, wenn man einen Blick
in seine Instrumentalwerke wirft. Diese
wirken in ihrem Ausdruck vergleichsweise
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blass, was deutlich macht, dass für Gurney
jede musikalische Idee aus ihrer Textvorlage entsteht und die Musik eine dienende
Funktion erfüllt.
Steven Ebels Zyklus Reise der Soldaten
besteht aus einer Reihe von Werken
verschiedener Dichter aus diversen Europäischen Nationen. Die Idee des Komponisten war es, die Kriegserfahrung aus der
Perspektive der unterschiedlichen europäischen Völker zu beleuchten. Dies geschieht nicht nur inhaltlich, sondern auch
durch sprachliche Vielfalt. Beginnend mit
einem Gedicht von Guillaume Apollinaire
(Invocation) folgen verschiedene Stufen
der Kriegserfahrung. August Stramms
Granaten stehen für die Gewalt, Dannazione von Giuseppe Ungaretti ist ein Gebet.
Ivor Gurneys Abendmusik or The mocking
Gramophone schildert eine tragikomische
Situation. Es folgen Verwundung und Genesung, bevor im letzten Lied der Epilog
aus Thomas Manns Zauberberg erklingt,
durchdrungen durch Verseinschübe aus
Schuberts Lindenbaum. Kompositorisch
versucht Steven Ebel dem Ideenkonzept
der Winterreise mit einer Reise durch die
Kriegsjahre nachzuspüren.
Die Suche nach dem „Inneren Ich“ zeigt
sich in vielen der Gedichte von Apollinaire
über Ungaretti bis hin zur finalen rhetorischen Frage aus dem Zauberberg
„ ... wird auch aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmen Fieberbrunst,
die rings den regnerischen Abendhimmel
entzündet, einmal die Liebe steigen?“
Verschiedene musikalische Motive ziehen
sich durch das durchkomponierte Werk. Im
Epilog verdichtet sich diese motivisch-thematisch, Struktur zu einer symbiotischen
Einheit – ein musikalisches Manifest der
brüderlichen Verbundenheit jener Solda-
ten, die gegen ihre Überzeugung gegeneinander kämpfen mussten und dabei ihr
Leben ließen.
Der Ruhm Nadia Boulangers überstrahlt
bis heute den ihrer 1918 bereits jung verstorbenen Schwester Lili. Dabei sah Nadia
schon kurz nach Lilis Tod ihre Lebensaufgabe weniger im Komponieren sondern
darin, das musikalische Erbe ihrer jüngeren
Schwester zu verwalten und in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Lili Boulangers
Zyklus Clarières dans le ciel entstand, als
Lili 1913 als erste Frau den Prix de Rome,
ein Stipendium für französische Künstler
in der Villa Medici, gewann. „Toutes ces
mélodies devraient être chantées avec le
sentiment d’évoquer un passé resté pein
de fraîcheur.“ („All diese Melodien sollten
mit dem Gefühl gesungen werden, eine
noch frische Erinnerung hervorzurufen“).
An Clarières dans le ciel zeigt sich Lili
Boulangers intensive Auseinandersetzung
mit dem Liedrepertoire Franz Schuberts.
So ist vor allem der rege Wechsel zwischen Traumwelt und Wirklichkeit, der
bereits in Schuberts Winterreise durch
schroffe Dur-Moll-Kontraste hervortritt, in
Boulangers Zyklus wieder zu finden. Hier
findet ein steter Wechsel von Dreier- und
Vierermetren statt. Durch Dehnung der
Tonlängen gelingt hier mit der Verwendung
von 3/2-Takten und ähnlichen Mitteln eine
zusätzlich verstärkende Wirkung.
Wirft man einen Blick in die Biografie der
Komponistin, so ist unschwer zu erkennen,
dass sie sich mit Clarières dans les ciel
selbst ein biografisches Denkmal setzte.
Der Zyklus besteht aus dreizehn Gedichten
von Francis Jammes‘ (1868–1938) Tristesses, erschienen im Jahr 1905. Caroline
Potter erwähnt in ihrem Buch Nadia and
Lili Boulanger einen intensiven Auswahl-
prozess der Gedichte und der Reihenfolge,
was die Wichtigkeit der zyklischen Struktur bestätigt. Einige Lieder sind bedeutungsvollen Personen aus Lili Boulangers
Leben gewidmet, u. a. ihrer Mutter und
dem Verleger Ricordi, dem sie ihr Verlagsrecht und ein damit einhergehendes jährliches Gehalt verdankte.
Das Sprudeln der Quelle charakterisiert
den ersten Teil des Liedes Une poète
disait. Die wellenförmige Bewegung der
Triolen im Klavier erzeugen das Bild der
Wasseroberfläche, gedehnt erklingen die
Worte „jeune“ (jung) und „roses“ (Rosen),
was ihre Bedeutung musikalisch unterstreicht. In langen Haltenoten ist die Phrase „Lorsque je pense à elle“ (Wenn ich
an sie denke) komponiert, ebenso wie die
Worte „intarissable“ (unversiegbar) und
„cœur“ (Herz). In der zweiten Liedhälfte
ändert sich der Charakter der Musik. Aufstrebend gebrochene Akkordketten bestimmen den musikalischen Satz, am Ende
erklingt wieder eine Dehnung des Wortes
„elle“ (sie). Das Ende des Liedes ist durch
ruhige Akkorde markiert, ein Innehalten
verdeutlicht die Aussage „avec devotion“
(in Demut).
Eine wiegende Pendelbewegung legt sich
über die ersten Takte von Au pied de mon
lit. Auf „Virgo lauretana“, den zentralen
Anruf dieses Liedes, beginnt eine erregte
Begleitung aus raschen Triolenketten und
Zweiunddreißigstel-Bewegungen, die
mehr die innere Aufgewühltheit als ein
besinnliches Gebet widerspiegeln. Beim
zweiten „Virgo Lauretana“ beruhigt sich
der Rhythmus und sorgt für einen ruhigen
Ausklang. Der zweifache Ausruf „Virgo
Lauretana“ bezieht sich auf die Lauretanische Litanei, eine mittelalterliche Gebetsform, die sich direkt auf die Gottesmutter
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Maria bezieht und neben ihrer italienischen Herkunft auch im französischen
Katholizismus eine wichtige Rolle spielte.
Die Schlussworte „passioné e calme“ sind
das musikalische Motto von Vous m’avez
regardé avec toute votre âme. Die rasche
Rhythmisierung der Anfangsworte beruhigt sich bereits bei „J’ai mis votre regard“
(Ich habe Euren Blick gelenkt), auch die
nach unten gerichtete Melodielinie verstärkt diesen Eindruck. Deux ancolies
besteht einerseits aus einer Verwendung
scharfer Dissonanzen sowie aus einer
phasenweisen rhythmischen Destabilisierung. Schmerz und Unsicherheit sind das
hörbare musikalische Charakteristikum.
Lili Boulanger achtet hier auf eine genaue
Textausdeutung, rhythmisch gerät der
musikalische Satz genau bei „je vois que je
tremble“ (Ich sehe, dass ich zittre) aus den
Fugen. Diese melancholische Grundstimmung prägt nicht nur den Zyklus der Komponistin sondern auch ihr allzukurzes, von
Schicksalsschlägen gezeichnetes Leben.
Das Jahr 1918 kann bei Richard Strauss
als Liederjahr bezeichnet werden. Neben
seiner Arbeit an Die Frau ohne Schatten
entstanden in dieser Zeit u. a. der Zyklus
Krämerspiegel op. 66, die Sechs Lieder
op. 67, die Sechs Lieder nach Gedichten von Clemens Brentano op. 68 sowie
die Fünf Kleinen Lieder op 69. Richard
Strauss’ Drei Gedichte aus Goethes Westöstlichem Divan gehören den sogenannten
„Liedern des Unmuts“ an, die der Komponist als Schadensersatzleistung gegenüber
einem Verlag erbringen musste. Unter
anderem entstanden in diesem Zusammenhang auch die Drei Lieder der Ophelia
nach Shakespeares Hamlet. Die dichterische Vorlage schuf Johann Wolfgang
Goethe, als er sich mehr und mehr mit
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fremden Kulturen und deren Literatur auseinandersetzte, unter anderem auch jener
des Orients. Diesen wichtigen Schritt der
Kulturgeschichte weg von der Nationalliteratur hin zur Weltliteratur erkannte auch
Richard Strauss. Die Lieder entstanden um
das Jahr 1919, inhaltlich erklingt hier ein
moralischer Nachruf auf den Ersten Weltkrieg. Der orientalische Kontext der Dichtung spielt in der Komposition keine besondere Rolle. Das erste Lied Wer wird von
der Welt verlangen ist in rezitativischem
Ton gehalten und wirkt so auf den Zuhörer
wie eine direkte Rede. Auch das Klavier
übt sich in edler Zurückhaltung mit Haltenoten und getragener Akkordbewegung.
Hab ich euch denn je geraten ist geprägt
von mehreren schroffen Taktwechseln
vom Vierer- ins Dreiermetrum. Die Klavierbegleitung ist äußerst vielseitig: zu Beginn
dominiert eine Triolenfigur, gefolgt von
rasch absteigenden ZweiunddreißigstelKetten. Am Schluss des Lieds breitet sich
ein akkordisch begleitender Klangteppich
aus, der bei den Worten „so wollt er’s
machen“ schließt. In Wanderers Gemütsruhe hört man im Klavier rasante triolische
Akkordketten, die die Schlussworte „lass
sie dreh’n und stäuben“ klangmalerisch
vorbereiten und ausdeuten.
In der Musikgeschichte gilt Charles Ives
als „Ahnherr“ der US-amerikanischen
Avantgarde. Charles Ives hatte es als
Unternehmer zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht. Allerdings hatte dieses
Doppelleben von Geschäftsmann und
Künstler bittere Konsequenzen. Im Jahr
1918 erlitt er aufgrund seiner beruflichen
Überbelastung einen ersten Herzinfarkt,
was seine kompositorische Produktivität
stark einschränkte. Da Ives zu diesem
Zeitpunkt aber bereits finanziell unabhängig war, konnte er seine Energie auf die
Systematisierung und Veröffentlichung
seiner Werke verwenden. In Europa fristet
Ives’ Musik ein Schattendasein. Bereits
Igor Strawinsky erkannte die fehlende
Begeisterungsfähigkeit der Europäer für
Ives’ Werke und sprach ihr „ein spezifisch
amerikanisches Gefühl der Isolierung“ zu.
Diese Isolierung war jedoch ein bewusst
gewählter Prozess, bei dem sich der Komponist von den europäischen Vorbildern
Johannes Brahms und Robert Schumann
zu lösen begann.
Die Suche nach einer modernen musikalischen Identität in den Vereinigten
Staaten während des Ersten Weltkriegs
war Wasser auf die Mühlen von Ives‘
Kunstauffassung. Dies zeigt sich bereits an
einem seiner bekanntesten Werke, der 2.
Klaviersonate „Concord, Mass 1840-60“,
deren Komposition 1915 abgeschlossen
wurde und in welcher sich Ives von seinen
europäischen Vorbildern zu lösen beginnt.
Das Liedschaffen von Charles Ives ist in
der Sammlung 114 Songs zusammengefasst, die 1926 erschien. In seinen Three
Songs of the War greift Ives nicht mehr
nur zur abstrakten Form der Instrumentalmusik, sondern sucht durch die Vertonung der Texte den direkten politischen
Bezug zum Kriegsgeschehen in Europa.
Dabei kommt Ives mehr die Rolle eines
Betrachters zu, sind doch seine KriegsErfahrungen vor allem durch Erzählungen
und Zeitungslektüre geprägt worden. Das
erste Lied In Flanders Fields ist deutlich
der europäischen Tradition verpflichtet:
Die Führung der Singstimme ist melodisch,
der Klavierpart zeichnet an vielen Stellen
den Textinhalt nach. So meint man z. B. bei
den Worten „and in the sky the larks still
bravely singing fly“ (und im Himmel fliegen
noch immer die singenden Lerchen) die
Lerchen im Klavierpart singen zu hören.
Lediglich die ungewohnte Melodie- und
Harmoniebehandlung macht hier den
„isolierten“ amerikanischen Stil von Ives
aus. In Tom sails away ist alles liedhafte
verschwunden. Die Musik untermalt mit
impressionistischen Klängen die statischträumerische Atmosphäre. In Form einer
rekurrierenden Strophe impliziert die
Phrase „scenes of my childhood“ (Szenen
meiner Kindheit) einen Zirkelschluss, was
das Umherkreisen der Kindeserinnerungen
in eine klare musikalische Form bringt. Bei
He is there ist der Tonfall weit populärer.
Ives greift hier auf Ragtime-Elemente
zurück, die durch ihre eingängige Melodik
und den Synkopenreichtum zu den einflussreichsten populärmusikalischen Strömungen der Vereinigten Staaten zu dieser
Zeit gehören.
Während Lili Boulanger bei ihrer Komposition für den Prix de Rome genauestens
über die künstlerischen Errungenschaften
deutscher Liedkomponisten Bescheid
wusste und Richard Strauss sich Goethes
besagtem Schritt weg von der Nationalzur Weltliteratur anschloss, findet bei
Charles Ives in ideologischer Hinsicht der
umgekehrte Prozess statt. Nach seinem
Studium der europäischen Musiktradition
sieht er sein Bestreben in der Etablierung
eines amerikanischen Nationalstils durch
weitgehende Negierung europäisch klingender Elemente (die sich jedoch in den
Three Songs of the War wiederum nicht
leugnen lassen). Hinter allem Kriegsgeschehen zeigt sich ein unzerstörbarer
europäischer Geist über die nationalen
Grenzen hinweg sowie ein tiefes Bewusstsein für eine seit Jahrhunderten währende
gemeinsame kulturelle Vergangenheit.
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IVOR GURNEY (1890–1937)
Vier Lieder aus LUDLOW AND THEME
Texte von Alfred Edward Housman (1859–1936)
Ludlow Fair
Ludlower Kirmes
The lads in their hundreds to Ludlow come [in for the fair,
There’s men from the barn and the forge
And the mill and the fold,
The lads for the girls and the lads
For the liquor are there,
And there with the rest are the lads
That will never be old.
Die Burschen kommen zu Hunderten nach [Ludlow wegen der Kirmes,
Männer aus der Scheune und aus der
Schmiede und der Mühle und der Weide,
Manche Burschen kommen wegen der
Mädchen und manche für ein Saufgelage,
Und mit den Übrigen sind es die Burschen,
die niemals alt sein werden.
There’s chaps from the town and the field
And the till and the cart,
And many to count are the stalwart, and [many the brave,
And many the handsome of face and the [handsome of heart,
And few that will carry their looks or their
Truth to the grave.
Da sind Typen von Stadt und Land und dem
Pflug und dem Wagen,
Man zählt viele als Mitläufer, und viele als [Tapfere,
und viele mit gut aussehendem Gesicht [und gutem Herzen,
und wenige, die ihr Aussehen und ihre
Wahrheit mit ins Grab nehmen.
I wish one could know them,
I wish there were tokens to tell
The fortunate fellows that now you can [never discern;
And then one could talk with them friendly
And wish them farewell
And watch them depart on the way that
they will not return.
Ich wünsche, einer würde sie kennen,
Ich wünsche man könnte die Anzeichen
[deuten,
Die glücklichen Kumpane, die keiner
[erkennen kann;
Und dann könnte man freundlich mit ihnen
sprechen und ihnen Lebewohl sagen.
Und sie den Weg gehen sehen, auf dem es
kein Zurück mehr gibt.
But now you may stare as you like and
There’s nothing to scan;
And brushing your elbow unguessed at
And not to be told
They carry back bright to the coiner
The mintage of man,
The lads that will die in their
Glory and never be old.
Aber jetzt kannst du gaffen soviel du willst
und es gibt nichts abzusuchen.
Und ungefragt mit deinem Ellbogen stossend und nicht erzählt zu kriegen
Sie bringen strahlend die Münzprägung
der Menschheit zu ihrem Präger zurück,
Die Burschen, die sterben werden in ihrem
Ruhm und niemals alt sein werden.
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On the Idle Hill of Summer
Auf dem faulen Sommerhügel
On the idle hill of summer,
Sleepy with the flow of streams,
Far I hear the steady drummer
Drumming like a noise in dreams.
Auf dem faulen Sommerhügel
Schläfrig mit dem Fließen der Bäche,
Höre ich in der Ferne ein ständiges Trommeln, Trommeln wie ein Geräusch im [Traum.
Far and near and low and louder,
On the roads of earth go by,
Fern und nah und leise und lauter,
Gehen sie auf den Straßen der Welt
[vorüber,
Sind lieb zu Freunden, tauschen Essen [gegen Pulver
Marschieren Soldaten, alle um zu sterben.
Dear to friends and food for powder,
Soldiers marching, all to die.
East and west on fields forgotten
Bleach the bones of comrades slain,
Lovely lads and dead and rotten;
None that go return again.
Im Osten und Westen auf vergessenen [Feldern
Ausgebleichte Knochen abgeschlachteter [Kameraden,
Liebevolle Burschen und tot und verrottet;
Niemand, der mehr zurückkehrt.
Far the calling bugles hollo,
High the screaming fife replies,
Gay the files of scarlet follow;
Woman bore me, I will rise.
In der Ferne rufen die Hörner,
Hoch antwortet die schrille Flöte,
Fröhlich folgen die rotfarbenen Reihen,
Die Frau langweilt mich, ich will
[hinaufsteigen.
Far in a Western Brookland
Fern in einer westlichen Flusslandschaft
Far in a western brookland
That bred me long ago
The poplars stand and tremble
By pools I used to know.
Fern in einer westlichen Flusslandschaft
In der ich vor langer Zeit groß wurde
Stehen die Pappeln und zittern
Bei den Tümpeln, die mir vertraut sind.
There, in the windless night-time,
The wanderer, marvelling why,
Halts on the bridge to hearken
How soft the poplars sigh.
Da, in windstiller Nacht,
Der Wanderer, sich fragend warum,
Hält auf der Brücke inne, um zu lauschen
Wie sanft die Pappeln säuseln.
He hears: no more remembered
In fields where I was known,
Here I lie down in London
And turn to rest alone.
Er hört: nicht mehr in der Erinnerung
In Feldern wo man mich kannte,
Liege ich hier unten in London
Und ruhe nun allein.
9
There, by the starlit fences,
The wanderer halts and hears
My soul that lingers sighing
About the glimmering weirs.
Dort, bei den sternenklaren Zäunen,
Hält der Wanderer inne und hört
Meine Seele, die in Seufzen verharrt
Über den schimmernden Reusen.
When I was one‑and‑twenty
Als ich einundzwanzig war
When I was one-and-twenty
I heard a wise man say:
„Give crowns and pounds and guineas
But not your heart away;
Give pearls away and rubies
But keep your fancy free.“
But I was one-and-twenty,
No use to talk to me.
Als ich Einundzwanzig war
Hörte ich einen weisen Mann sagen:
„Gib Kronen, Pfund und Guineen her,
Aber nicht dein Herz;
Gib Perlen her und Rubine
Aber lass’ deiner Fantasie freien Lauf.“
Aber ich war einundzwanzig,
So sprach man nie mit mir.
When I was one-and-twenty
I heard him say again:
„The heart out of the bosom
Was never given in vain;
’Tis paid with sighs a plenty
And sold for endless rue.“
And I am two-and-twenty,
And oh, ‘tis true, ‘tis true.
Als ich Einundzwanzig war
Hörte ich ihn wieder sagen:
„Das Herz war nie umsonst
Der Brust gegeben;
Es ist bezahlt mit üppigen Seufzern
Und verkauft für endlose Reue.“
Jetzt bin ich zweiundzwanzig
Und, ach, es ist wahr, es ist wahr.
Steven Ebel – Reise der Soldaten
Auftragswerk / Uraufführung
Les marveilles de guerre (Invocation)
Text von Guillaume Apollinaire
(1880–1918)
Die Wunder des Krieges (Anrufung)
Que c’est beau ces fusées qui illuminent [la nuit;
Elles montent sur leur propre cime et se [penchent pour regarder.
Mais j’ai coulé dans la douceur de cette
Guerre avec toute ma compangnie au long [des longs boyaux.
Quelques cris de flamme annoncent sans [cesse ma présence.
J’ai creusé le lit où je coule en me ramifi-
Wie schön sind diese Fackeln, die
[die Nacht erhellen;
Sie erheben sich zu ihrer eigenen Krone [und neigen sich, um zu schauen.
Aber ich versank in der Lieblichkeit des
Krieges mit meiner ganzen Kompanie in [den langen Schützengräben.
Einige Schreie der Flammen verkündeten [ständig meine Gegenwart.
Ich habe das Bett gegraben, in dem ich
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ant en mille petits fleuves qui vont partout.
Je suis dans la tranchée de première ligne
Et cependant je suis partout ou plutôt
Je commence cette chose de siècle à
[venir.
Ce sera plus long à réaliser que non la
[fable d’Icare volant.
Et ce serait sans doute bien plus beau
Si je pouvais suppose que toute ces
[choses
Dans lesquelles je suis partout
Pouvaient m’occuper aussi
Mais dans ce sens il n’y a rien de fait
Car si je suis partout à cette heur il n’y a
Cependant que moi qui suis en moi.
liege, während ich mich in tausend kleine
Flüsse verzweige, die überall hin fließen.
Ich bin im Graben der Frontlinie und so bin
ich überall oder vielmehr beginne ich mit
dieser Sache des anbrechenden
[Jahrhunderts.
Es wird länger dauern, um zu verstehen,
dass dies nicht das Märchen vom
[fliegenden Ikarus ist.
Und es wäre ohne Zweifel viel schöner
wenn ich annehmen könnte, dass all diese [Dinge,
In denen ich überall bin
mich so vereinnahmen könnten,
aber in diesem Sinn ist nichts
[tatsächliches,
denn wenn ich in dieser Stunde überall
bin, dann gibt es nichts außer mir in mir.
Granaten (Gewalt)
Text von August Stramm (1874–1915)
Das Wissen stockt
Nur Ahnen webt und trügt
Taube täubet schrecke Wunden
Klappen Tappen Wühlen Kreischen
Schrillen Pfeifen Fauchen Schwirren
Splittern Klatschen Knarren Knirschen
Stumpfen Stampfen
Der Himmel tapft
Die Sterne schlacken
Zeit entgraust
Sture weltet blöden Raum.
Dannazione (Preghiera)
Text von Giuseppe Ungaretti (1888–1970)
Verdammnis (Gebet)
Chiuso fra cose mortali
Anche il cielo stellato finirà
Perchè bramo Dio?
Eingeschlossen zwischen Sterblichem,
Auch der Sternenhimmel wird vergehen,
Warum verlange ich nach Gott?
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Abendmusik
(or The Mocking Grammophone)
Text von Ivor Gurney (1890–1937)
Abendmusik
(oder Das spottende Grammophon)
It was after the Somme, our line was
[quieter,
Wires mended, neither side daring
[attacker
Or aggressor to be – the guns equal,
Es war nach der Somme, unsere Front war [leiser,
die Drähte ausgebessert, keine Seite
[wagte Angreifer
oder Aggressor zu sein – die Waffen
[ebenso,
die Drähte eine dichte Hecke,
wenn dort die Schubert-Melodie erklang,
(o vergangene Tage, für immer verirrt!),
die punktgenau zum Tagesablauf gehörte,
The wires a thick hedge,
When there sounded,
(O past days for ever confounded!)
The tune of Schubert which belonged to [days mathematical,
Effort of spirit bearing fruit worthy, actual.
The gramophone for an hour was my [quiet’s mocker,
Until I cried, „Give us Heldenleben,
Heldenleben.“ The Gloucesters cried out
„Strauss is our favourite wir haben
[Sich (sic!) geliebt“.
So silence fell, Aubers front slept,
And the sentries an unsentimental silence [kept.
True, the size of the rum ration was still a [shocker.
But at last over the Aubers the majesty of
the dawn’s veil swept.
Mühe des Geistes, würdige Früchte
[tragend, tatsächlich.
Das Grammophon war für eine Stunde [mein Spötter in der Stille,
bis rief ich, „Gib uns Heldenleben,
Heldenleben.“, Die Gloucesters riefen
„Strauss ist unser Liebling! Wir haben [Sich geliebt.“
Dann brach Stille herein, Aubers Front [schlief,
und die Wachen befiel eine
[unsentimentale Stille.
Zwar war die Menge der Rum-Ration noch [ein Schock,
aber schließlich brach über Aubers der
majestätische Schleier der
[Morgendämmerung herein.
Fratelli (Carità)
Text von Giuseppe Ungaretti (1888–1970)
Brüder (Nächstenliebe)
Di che reggimento siete
Fratelli?
Von welchem Regiment seid ihr,
Brüder?
Parola tremante
Nella notte
Zitterndes Wort
In der Nacht
Foglia appena nata
Eben erst geborenes Blatt
12
Kriegserklärung Kaiser Wilhelms 1914
13
Nell’aria spasimante
Involontaria rivolta
Dell‘uomo presente alla sua
Fragilità
In der angstschwangeren Luft
Unfreiwillig zurückgewandt
Des Menschen in Gegenwart seiner
Zerbrechlichkeit.
Pursuit (Injury)
Text von Harold Monro (1879–1932)
Verfolgung (Verwundung)
Das ist nicht Krieg – oh, es tut weh! Ich bin [gelähmt.
Ein Dorn verursacht brennenden Schmerz.
A thorn is burning me.
We are going back to the place from which Wir gehen zurück an den Ort, von dem wir [kamen.
[we came. Ich erinnere mich jetzt an das alte Lied:
I remember the old song now:
That is nor war – oh it hurts! I am lame.
Soldier, soldier going to war,
When will you come back?
Soldat, Soldat, der du in den Krieg ziehst,
Wann kommst du wieder?
Mind that rut. It is very deep.
All these ways are parched and raw.
Denke an die Furche. Sie ist sehr tief.
Alle diese Wege sind ausgetrocknet und [roh.
Wohin gehen wir? Wie wir kriechen!
Bist du da? Ich sah nie ...
Where are we going? How we creep!
Are you there? I never saw ...
Damn this jingle in my brain.
All the roads to victory
Are flooded as we go.
There’s so much blood to paddle through,
That’s why we’re marching slow.
Yes sir; I’m here. Are you an officer?
I can’t see. Are we running away?
Verdammt dieses Klingeln in meinem
[Gehirn.
Alle Straßen zum Sieg
Sind überflutet , wie wir gehen.
Es gibt so viel Blut durch das man paddeln [muss,
Deswegen marschieren wir langsam.
How long have we done it?
One whole year, a month,
A week, or since yesterday?
Ja, Herr; Ich bin hier. Sind Sie ein Offizier?
Ich kann nichts sehen. Sind wir auf der [Flucht?
Wie lange haben wir es gemacht?
Ein ganzes Jahr, ein Monat,
Eine Woche, oder seit gestern?
Damn the jingle! My brain
Is scragged and banged
Zum Teufel mit dem Geklingel! Mein Gehirn
Ist matschig und zertrümmert.
14
Fellows, these are happy times;
Tramp and tramp with open eyes.
Yet, try however much you will,
You cannot see a tree, a hill,
Moon, stars or even skies.
I won’t be quiet. Sing too, you fool.
I had a dog I used to beat.
Don’t try it on me. Say that again.
Who said it? Halt! Why? Who can halt?
We’re marching now. Who fired? Well.
Well.
I’ll lie down too.
I’m tired enough.
Jungs, das sind glückliche Zeiten;
Marschieren und marschieren mit offenen [Augen.
Doch man kann versuchen was man will,
Man sieht keinen Baum, keinen Hügel,
Weder Mond, noch Sterne oder gar den [Himmel.
Ich werde nicht ruhig sein. Sing mit, du [Narr.
Ich hatte einen Hund, den ich für
[gewöhnlich schlug.
Versuchen es nicht an mir. Sag es noch [mal.
Wer sagte das? Halt! Warum? Wer kann es [stoppen?
Wir marschieren jetzt. Wer hat gefeuert?
Gut. Gut.
Ich werde mich auch niederlegen.
Ich bin müde genug.
The Nightmare (Convalescence)
Text von Siegfried Sassoon (1886–1967)
Der Albtraum (Genesung)
When I’m asleep, dreaming and lulled
[and warm,
They come, the homeless ones, the
[noiseless dead.
While the dim charging breakers of the [storm
Bellow and drone and rumble overhead,
Wenn ich schlafe, träumend und eingehüllt [und warm,
Kommen sie, die Heimatlosen,
[geräuschlosen Toten.
Während die düsteren Wellen des Angriffs
Out of the gloom they gather about my bed.
They whisper to my heart; their thoughts
are mine.
„Why are you here with all your watches
ended?
From Ypres to Frise we sought you in the [Line.“
In bitter safety I awake, unfriended;
Über meinem Kopf brüllen und brummen [und rumpeln,
Versammeln sie sich aus der Dunkelheit um
[mein Bett.
Sie flüstern zu meinem Herzen;
Ihre Gedanken sind die meinen.
„Warum seid ihr hier, wo eure Wache
[zuende ist?
Von Ypern bis Frise suchten wir euch in der [Linie.“
In bitterer Sicherheit erwachte ich, ohne [Freunde;
15
And while the dawn begins with slashing [rain
I think of the Battalion in the mud.
„When are you going out to them again?
Are they not still your brothers through our [blood?“
Epilog: In der Menge
Text von Thomas Mann (1875–1955)
Da ist unser Bekannter.
Was denn, er singt!
Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort
Er stürzt. Nein, er hat sich platt hingeworfen, da ein Höllenhund anheult, ein großes
Brisanzgeschoss, ein ekelhafter Zukkerhut
des Abgrunds. Er liegt, das Gesicht im
kühlen Kot, die Beine gespreizt, die Füße
gedreht, die Absätze erdwärts. ...
O Scham unserer Schattensicherheit! Hinweg! Wir erzählen das nicht! ...
Er macht sich auf, er taumelte hinkend
weiter mit erdschweren Füßen bewusstlos
singend:
Und sei-ne Zweige rau-schten,
Als rie-fen sie mir zu ...
Und so, im Getümmel, in dem Regen, der
Dämmerung, kommt er uns aus den Augen.
Wird auch aus diesem Weltfest des Todes,
auch aus der schlimmen Fieberbrunst, die
rings den regnerischen Abendhimmel entzündet, einmal die Liebe steigen?
16
Und während der Tag begann mit
[sintflutartigem Regen
Denke ich an das Battaillon im Matsch.
„Wann gehst du wieder hinaus zu ihnen?
Sind es nicht immer noch deine
[Blutsbrüder?“
LILI BOULANGER (1893–1918) –
Vier Lieder aus CLAIRIÈRES DANS LE CIEL
Texte von Francis Jammes (1868–1938)
Un poète disait
Ein Dichter sagte
Un poète disait que lorsqu’il était jeune,
il fleurissait des vers comme un rosier des [roses.
Lorsque je pense à elle, il me semble
Que jase une fontaine intarissable dans [mon coeur.
Comme sur le lys Dieu pose un parfum [d’église,
Comme il met du corail aux joues de la [cerise,
Je veux poser sur elle, avec dévotion,
La couleur d’un parfum, qui n’aura pas de [nom.
Ein Dichter sagte, als er jung war
erblühten ihm die Verse wie Rosen an
[einem Rosenstock.
Wenn ich an sie denke, scheint mir,
Dass ein unversiegbarer Brunnen in
[meinem Herzen plätschert.
Wie Gott auf die Lilien den Geruch einer
[Kirche legt,
Wie er der Kirsche die Wangen rötet,
Au pied de mon lit
Am Fuß meines Bettes
Au pied de mon lit, une Vierge négresse
Fut mise par ma mère.
Et j’aime cette Vierge
D’une religion un peu italienne.
Virgo Lauretana, debout dans un fond d‘or,
Qui me faites penser à mille fruits de mer
Am Fuß meines Bettes hat meine Mutter
eine schwarze Madonna gestellt.
Ich liebe diese Madonna
Mit ihrer leicht italienischen Frömmigkeit.
Virgo Lauretana, auf einem Goldgrund,
Die mich an tausend Meeresfrüchte
[denken lässt,
Die auf den Quais verkauft werden,
Wo kein Lufthauch die Pavillons bewegt,
Die schwerfällig vor sich hin schlummern.
Virgo Lauretana, Ihr wisst,
Dass in diesen Stunden, wenn ich mich
Nicht würdig fühle von ihr geliebt
[zu werden,
Dass Ihr es seid mit eurem Geruch, die mir [das Herz erfrischt.
Que l’on vend sur les quais
Où pas un souffle d‘air n’émeut les
Pavillons qui lourdement s‘endorment,
Virgo Lauretana, vous savez
Qu’en ces heures où je ne me sens
Pas digne d‘être aimé d’elle
C’est vous dont le parfum me rafraîchit le
coeur.
Will ich ihr mit Anmut den Geruch eines
Parfums verleihen, das keinen Namen hat.
17
Vous m‘avez regardé avec toute votre âme
Ihr habt mich angesehen mit all eurer
Seele
Vous m’avez regardé avec toute votre [âme.
Vous m’avez regardé longtemps comme un [ciel bleu.
J’ai mis votre regard à l’ombre de
[mes yeux ...
Que ce regard était passionné et calme ...
Ihr habt mich angesehen mit all eurer
[Seele
Ihr habt mich lange Zeit angesehen wie ein [blauer Himmel.
Ich habe euren Blick auf den Schatten
[meiner Augen gelenkt …
Dieser Blick war voller Leidenschaft und [Ruhe …
Deux ancolies
Zwei Akeleien
Deux ancolies se balançaient sur la colline
Et l’ancolie disait à sa soeur l’ancolie:
Je tremble devant toi et demeure confuse.
Et l’autre répondait: si dans la roche
Qu’use l’eau, goutte à goutte,
Si je me mire, je vois que je tremble, et je
Suis confuse comme toi.
Zwei Akeleien wiegten auf dem Hügel
Und die Akeleie sagte zu ihrer Schwester:
Ich zittre vor dir und bleibe verwirrt.
Und die andere antwortete: wenn ich
Mich im Felsen, den das Wasser Tropfen
Für Tropfen aushöhlt, betrachte, sehe ich,
Dass ich zittre, und ich bin verwirrt wie du.
Le vent de plus en plus les berçait toutes [deux,
Les emplissait d’amour et mêlait leurs [coeurs bleus.
Der Wind wiegte die beiden mehr und [mehr,
Und erfüllte sie mit Liebe und vereinigte [ihre blauen Herzen.
RICHARD STRAUSS (1864–1949) – DREI LIEDER
AUS GOETHES WEST-ÖSTLICHEM DIWAN
Texte von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)
Wer wird von der Welt verlangen
Wer wird von der Welt verlangen,
Was sie selbst vermisst und träumet,
Rückwarts oder seitwards blickend
Stets den Tag des Tags versäumet?
Ihr Bemüh’n, ihr guter Wille
Hinkt nur nach dem raschen Leben,
Und was du vor Jahren brauchtest,
Möchte sie dir heute geben.
18
Hab’ ich euch denn je geraten
Wanderers Gemütsruhe
Hab’ ich euch denn je geraten,
Wie ihr Kriege führen solltet?
Schalt ich euch nach euren Taten,
Wenn ihr Frieden schließen wolltet?
Übers Niederträchtige
Niemand sich beklage;
Denn es ist das Mächtige,
Was man dir auch sage.
Und so hab’ ich auch den Fischer
Ruhig sehen Netze werfen,
Brauchte dem gewandten Tischler
Winkelmaß nicht einzuschärfen.
In dem Schlechten waltet es
Sich zu Hochgewinne,
Und mit Rechtem schaltet es
Ganz nach seinem Sinne.
Aber ihr wollt besser wissen,
Was ich weiß, da ich bedachte,
Was Natur für mich beflissen,
Schon zu meinem Eigen machte.
Wand’rer! Gegen solche Not
Wolltest du dich sträuben?
Wirbelwind und trocknen Kot,
Lass sie dreh’n und stäuben.
Fühlt ihr auch dergleichen Stärke?
Nun, so fördert eure Sachen!
Seht ihr aber meine Werke,
Lernet erst: so wollt’ er’s machen.
CHARLES IVES (1874–1954) –
THREE SONGS OF THE WAR
In Flanders fields
Text von John McCrae (1872–1918)
Auf den Feldern Flanderns
In Flanders fields the poppies blow;
Between the crosses, row on row
That mark our place; and in the sky
Auf den Feldern Flanderns wogt der Mohn;
Zwischen den Kreuzen, Reihe für Reihe,
die unseren Platz markieren; und im
[Himmel
fliegen noch immer die tapferen Lerchen [und singen
Kaum zu hören zwischen den Gewehren [dort unten.
Wir sind die Toten. Noch vor wenigen
Tagen lebten wir, fühlten die Dämmerung, [sahen das Morgenrot,
Liebten und wurden geliebt, nun liegen wir
Auf den Feldern Flanderns.
The larks still bravely singing fly,
Scarce heard amidst the guns below.
We are the Dead. Short days ago
We lived, felt dawn, saw sunset glow,
Loved and were loved, and now we lie
In Flanders fields.
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Take up our quarrel with the foe:
To you from falling hands we throw
The torch; be yours to hold it high.
If ye break faith with us who die
We shall not sleep, though the poppies [grow
In Flanders fields.
Nehmt euch unseres Kampfes gegen den [Feind an:
Wir werfen euch aus gefallenen Händen Die Fackel zu; es liegt an euch, sie hoch zu [halten.
Wenn ihr euer Wort brecht gegen uns
[Gefallene
Werden wir nicht schlafen, wenn der [Mohn
Auf den Feldern Flanderns blüht.
Tom sails away
Text von Charles Edward Ives (1874–1954)
Tom segelt davon
Scenes from my childhood are with me,
I’m in the lot behind our house upon
[the hill,
A spring day’s sun is setting,
Mother with Tom in her arms
Is coming towards the garden;
The lettuce rows are showing green.
Thinner grows the smoke o’er the town,
Stronger comes the breeze from the ridge,
’Tis after six, the whistles have blown,
Bilder meiner Kindheit sind mit mir,
Ich bin im Garten hinter unserem Haus auf [dem Hügel,
Ein Frühlingstag, die Sonne geht auf
Die Mutter hat Tom in ihren Armen
Und geht auf den Garten zu.
Die Salatbeete zeigen ihr Grün.
Der Rauch über der Stadt lichtet sich,
Der Windhauch vom Dach wird stärker,
Es ist nach Sechs, die Pfeifen haben ge
[blasen,
Der Milch-Zug ist das Tal hinab
Papa kommt von der Mühle den Hügel [herauf,
Wir rennen die Straße hinab ihm entgegen
Aber heute! Tom ist davongesegelt für die [Freiheit,
Nach da drüben, da drüben!
Bilder meiner Kindheit
Ziehen an meinen Augen vorbei.
The milk train’s gone down the valley
Daddy is coming up the hill from the mill,
We run down the lane to meet him
But today! In freedom’s cause Tom sailed [away
For over there, over there!
Scenes from my childhood
Are floating before my eyes.
He is there
Text von John McCrae (1872–1918)
Er ist da
Fifteen years ago today
A little Yankee, little yankee boy
Marched beside his granddaddy
In the decoration day parade.
Heute vor fünfzehn Jahren
Marschierte ein kleiner Yankee-Junge
An der Seite seines Großvaters
Bei der Decoration-Day-Parade.
20
The village band would play
those old war tunes,
and the G. A. R. would shout,
„Hip Hip Hooray!“ in the same old way,
As it sounded on the old camp ground.
Die Dorfkapelle würde die selben
Alten Kriegslieder spielen,
und die Grand Army würde
„Hip Hip Hooray“ brüllen, auf dieselbe Art,
wie es im alten Basislager klang.
That boy has sailed o’er the ocean,
He is there, he is there, he is there.
He’s fighting for the right,
but when it comes to might,
He is there, he is there, he is there;
As the Allies beat up all the warlords!
His fathers fought that medieval stuff
And he will fight it now;
„Hip Hip Hooray! this is the day,“
When he’ll finish up that aged job.
Der Junge ist über das Meer gesegelt,
Er ist dort, er ist dort, er is dort.
Er kämpft für sein Recht,
doch wenn es soweit ist,
Ist er dort, ist er dort, ist er dort.
Wie die Alliierten alle Kriegsherren
[schlagen!
Er wird dort sein, er wird dort sein,
und dann wird die Welt
den Kriegschrei der Freiheit ausstoßen
Mit den Zelten an einem neuen Ort.
Es ist ein Andrang um die Fahnenträger,
Noch einmal ein Andrang,
Mit dem Schlachtruf der Freiheit.
Vor fünfzehn Jahren
Ein kleiner Yankee, mit deutschem Namen
Hörte die Geschichte von 1848
Weshalb sein Opa sich Onkel Sam
[anschloß
Seine Väter kämpften im Mittelalter
Und er wird jetzt kämpfen
„Hip hip hooray! Der Tag ist gekommen,“
Wenn er seine betagte Arbeit niederlegt.
That boy has sailed o’er the ocean ...
Der Junge segelte über das Meer ...
There’s a time in ev’ry life,
When it‘s do or die, and our yankee boy
Es gibt in jedem Leben eine Zeit,
Wo es heisst: handle oder stirb, und unser [Yankee
Verbringt sein bisschen Lebenszeit
In einer Welt, wo alle etwas zu sagen
[haben.
Er ist sich stets des Ziels seines
Vaterlands bewusst: Freiheit für alle,
„Hip hip hooray!“ ist alles was sagt, wenn
Er in Flandern an die Front marschiert.
Dieser Junge segelte über das Meer ...
He’ll be there, he‘ll be there,
and then the world will shout
the Battle-cry of Freedom
Tenting on a new camp ground.
For it’s rally round the Flag boys
Rally once again,
Shouting the battle cry of Freedom.
Fifteen years ago today
A little Yankee, with a German name
Heard the tale of „forty-eight“
Why his Granddaddy joined Uncle Sam,
Does his bit that we may live,
In a world where all may have a „say.“
He’s conscious always of his
Country‘s aim which is Liberty for all,
„Hip Hip Hooray!“ is all he’ll say,
As he marches to the Flanders front.
That boy has sailed o’er the ocean ...
21
STEVEN EBEL Tenor
JOHN PARR Klavier
Steven Ebel war Teilnehmer des Jette
Parker Young Artists Programme am Royal
Opera House in London. Zudem war er unter
Lorin Maazel als Quint in The Turn of the
Screw beim Castleton Festival zu hören.
Er sang die Partie des Frantz Wolf in Louis
Karchins Romulus, die beim CD-Label Naxos erhältlich ist. Seit der Spielzeit 2011/12
ist er am STAATSTHEATER KARLSRUHE
engagiert und war u. a. als August Kuhbrot/
Erster Fremder in Der Vetter aus Dingsda,
als Cinna und Licinius in Die Vestalin, als
Bob Bowles in Peter Grimes und als Erster
Geharnischter in Die Zauberflöte zu hören.
In der Spielzeit 2013/14 sang er außerdem
Steuermann in Der Fliegende Holländer,
Robert Wilson in Doctor Atomic und Don
Basilio in Die Hochzeit des Figaro. Steven
Ebel ist Mitglied in der Meisterklasse von
Wolfgang Rihm. Beim Weihnachtssingen
2013 wurde sein Werk Knecht Ruprecht am
STAATSTHEATER KARLSRUHE uraufgeführt.
John Parr studierte an der Manchester
University und am Royal Northern College
of Music bei Sulamita Aronovsky. Er gastierte als Repetitor u. a. am Royal Opera
House Covent Garden und arbeitete für die
Scottish Opera in Glasgow. Zudem war er
„Head of Music Staff“ an der San Francisco
Opera. Ein wichtiger Teil seiner Aufgaben
war die Arbeit mit den Adler Fellow- und
Merola-Programmen für junge Sänger. Von
2002 bis 2005 war er musikalischer Assistent bei den Bayreuther Festspielen. Als
Liedbegleiter trat er in Deutschland und den
USA auf. Seit der Spielzeit 2011/12 ist er am
STAATSTHEATER KARLSRUHE als Casting
Direktor und Assistent des Generalmusikdirektors engagiert. Außerdem ist er künstlerischer Leiter der Liederabend-Reihe. In
der kommenden Spielzeit wechselt John
Parr als Studienleiter an die Deutsche Oper
Berlin. In Karlsruhe ist er im Liederabend
„Besuch aus Berlin“ mit einem Sängergast
der Deutschen Oper Berlin zu hören.
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liederabende
1. LIEDERABEND –
Rebecca Raffell
Liederzyklen
Rebecca Raffell Mezzosopran
John Parr Klavier
Henry Purcell / Benjamin Britten Mad Bess
Ivor Gurney Ausgewählte Lieder
Joseph Horovitz Lady Macbeth
Edward Elgar Sea Pictures
13.10.13 KLEINES HAUS
2. LIEDERABEND –
EMILY HINDRICHS
Emily Hindrichs Sopran
John Parr Klavier
Hugo Wolf Ausgewählte Lieder
Richard Strauss Drei Lieder der Ophelia &
ausgewählte Lieder
Joseph Schwantner Two Poems of Agueda
Pizarro
Claude Debussy Ausgewählte Lieder
Francis Poulenc La courte paille
5.1.14 KLEINES HAUS
3. Liederabend – STEVEN EBEL
Steven Ebel Tenor John Parr Klavier Lili Boulanger Clairières dans le ciel
Steven Ebel Auftragswerk
Charles Ives Three Songs of the War
Richard Strauss Drei Lieder aus Goethes
‚West-östlicher Divan‘
Ivor Gurney und Rudi Stephan Lieder
17.5.14 KLEINES HAUS
Im Rahmen der Europäischen Kulturtage
13/14
Liederabend –
Ks. INA SCHLINGENSIEPEN
Ks. Ina Schlingensiepen Sopran
John Parr Klavier
Ausgewählte Lieder von Alessandro
Scarlatti, Vincenzo Bellini, Gaetano
Donizetti und Richard Strauss
31.5.14 KLEINES HAUS
4. Liederabend
„Wege der Liebe“ Emily Hindrichs Sopran
Stefanie Schaefer Mezzosopran
Eleazar Rodriguez Tenor
Gabriel Urrutia Benet Bariton
Jan Roelof Wolthuis Klavier
Pascal Paul-Harang Konzept & Regie
Lieder von Gabriel Fauré, Georges Bizet,
Reynaldo Hahn, Claude Debussy, Ernest
Chausson und Maurice Ravel
21.6.14 KLEINES HAUS
5. Liederabend –
ARMIN KOLARCZYK
Armin Kolarczyk Bariton
John Parr Klavier
Johannes Brahms Die Schöne Magelone
13.7.14 KLEINES HAUS
23
bildnachweise
IMPRESSUM
TITEL Falk von Traubenberg
HERAUSGEBER
STAATSTHEATER KARLSRUHE
TEXTNACHWEISE
GENERALINTENDANT
Peter Spuhler
Die Übersetzungen aus dem Englischen,
Französischen und Italienischen stammen
von Daniel Rilling.
Der abgedruckte Text ist ein Originalbeitrag
für dieses Heft von Daniel Rilling.
URHEBERRECHTE
Giuseppe Ungaretti:
Per gentile concessione dell‘erede Ungaretti, oltre al nome dell‘autore, al titolo della
poesia e della Arnoldo Mondadori Editore
© 2009 Arnoldo Mondadori Editore S.p.A.,
Milano
Thomas Mann, Epilog aus: Der Zauberberg
© S. Fischer Verlag, Berlin 1924. Alle
Rechte vorbehalten S. Fischer Verlag
GmbH, Frankfurt am Main
VERWALTUNGSDIREKTOR
Michael Obermeier
CHEFDRAMATURG
Bernd Feuchtner
OPERNDIREKTOR
Joscha Schaback
REDAKTION
Daniel Rilling
KONZEPT
DOUBLE STANDARDS BERLIN
www.doublestandards.net
GESTALTUNG
Kristina Pernesch
DRUCK
medialogik GmbH, Karlsruhe
Sollten wir Rechteinhaber übersehen
haben, bitten wir um Nachricht.
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STAATSTHEATER KARLSRUHE 2013/14
Programm Nr. 184
www.staatstheater.karlsruhe.de
OHNE FRAUEN GEHT DIE CHOSE NICHT!
Ein Schlagerabend
Christina Niessen Sopran Stefanie Schaefer Mezzosopran
Ks. Ina Schlingensiepen Sopran u. a.
29.6.14 KLEINES HAUS
LIEDERABEND-
ABONNENT WERDEN!
Auch für die nächste Spielzeit können Sie
sich wieder ein Liederabend-Abonnement
mit fünf Abenden ab 40 Euro sichern. Unser
Abonnementbüro berät Sie gerne.
ABONNEMENTBÜRO
T 0721 3557 -323 /-324
F 0721 3557 346
E-Mail abonnementbuero@staatstheater.
karlsruhe.de
Wird auch aus diesem
Weltfest des Todes,
auch aus der schlimmen
Fieberbrunst, die rings
den regnerischen Abendhimmel entzUndet,
einmal die Liebe steigen?