Steven ebel - Badisches Staatstheater Karlsruhe
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Steven ebel - Badisches Staatstheater Karlsruhe
3. Steven Ebel Hab’ ich euch denn je geraten, Wie ihr Kriege fUhren solltet? Schalt ich euch nach euren Taten, Wenn ihr Frieden schlieSSen wolltet? 3. LIEDERABEND – Steven Ebel Ivor Gurney Vier Lieder aus LUDLOW AND THEME (1890–1937) Ludlow Fair On the Idle Hill of Summer Far in a Western Brookland When I was One and Twenty Steven Ebel REISE DER SOLDATEN (*1979) Auftragswerk / Uraufführung Prelude Les marveilles de guerre Granaten Dannazione Abendmusik (or The mocking Gramophone) Fratelli Pursuit The Nightmare Epilog: In der Menge – Pause – Lili Boulanger Vier Lieder aus CLAIRIÈRES DANS LE CIEL (1893–1918) Un poète disait Au pied de mon lit Vous m’avez regardé avec toute votre âme Deux ancolies Richard Strauss (1864–1949) DREI LIEDER AUS GOETHES WEST-ÖSTLICHEM DIVAN Wer wird von der Welt verlangen Hab’ ich euch denn je geraten Wanderers Gemütsruhe Charles Ives THREE SONGS OF THE WAR (1874–1954) In Flanders Fields Tom sails away He is there Steven Ebel Tenor John Parr Klavier 17.5.14 19.30 KLEINES HAUS Dauer 2 Stunden, eine Pause 1918 Hinter Den Kulissen des Krieges Das Jahr 1918 verbinden wir in erster Linie mit dem Ende des Ersten Weltkriegs am 11. November, mit dem Untergang des deutschen Kaiserreichs und mit der Gründung der Weimarer Republik. Hinter dieser rein politischen Geschichtsschreibung rücken die Lebensschicksale einzelner Personen oftmals in den Hintergrund. Der 3. Liederabend ist deutlich von den einschneidenden Ereignissen und den individuellen Geschichten dieses Jahres geprägt: Es war das Jahr, in dem Charles Ives einen schweren Herzinfarkt erlitt und sein kompositorisches Schaffen stark einschränken musste, es war das Jahr in dem Ivor Gurney einen psychischen Zusammenbruch zu verkraften hatte und es war das Jahr, in dem die aufstrebende Komponistin Lili Boulanger mit nur 25 Jahren verstarb. 1918 war aber auch ein Jahr voller erfreulicher Ereignisse: Richard Strauss arbeitete an einer seiner erfolgreichsten Opern Die 2 Frau ohne Schatten. Die „Flucht aus der Wirklichkeit“ während der Kriegsjahre (so schrieb sein Sohn Franz Strauss) beförderte gar seine künstlerische Kreativität, und Giacomo Puccini brachte seinen Dreiteiler Il trittico in New York zur Uraufführung. So wuchsen zwischen all den tragischen Kriegsereignissen unbeirrt die kulturellen Errungenschaften Europas zu neuer Blüte heran. Stark geprägt von den Wirren des Krieges wurde auch das Leben des Engländers Ivor Gurney. Neben Ludlow and Theme zählen vor allem seine Fünf Elisabethanischen Gesänge zu seinen bekanntesten Kompositionen. Gurney gehört zu jenen Komponisten, die selbst auch als Textdichter tätig waren – er vertonte etliche seiner eigenen Gedichte. Zwischen 1913 und 1926 entstanden rund 900 Gedichte. Insbesondere in den Kriegsjahren fand Gurney zu Grabmal Ivor Gurneys in Twigworth, Gloucestershire 3 einem dichterischen Stil, wegen welchem er in England auch „poet of the war“, also „Kriegsdichter“ genannt wird. Schicksalhaft für Gurney war sein Einzug in den Militärdienst, was im Jahr 1918 zu jenem seelischen Zusammenbruch führte. Symptomatisch für die Kriegserlebnisse war auch, dass Gurney die letzten Jahre seines Lebens in verschiedenen Heilanstalten verbrachte – ein Schicksal, das viele Soldaten seiner Generation mit ihm teilten. Während dess Krieges diente Gurney u. a. in Aubers und Somme in Frankreich – Eindrücke, die auch in seinen Gedichten vorkommen. Sein Zyklus Ludlow and Theme enthält verschiedene genrehafte Lieder und landschaftliche Stimmungsbilder, in die das Kriegsgeschehen erbarmungslos eindringt. Nicht zuletzt hat die BBC in den 1960er Jahren eine Dokumentation über den Ersten Weltkrieg nach Gurneys Gedicht On the Idle Hill of Summer benannt. Charakteristisch für Gurneys Lieder ist eine deklamatorische, textorientierte Komposition. Jede Wortsilbe erhält einen Notenwert, die Singstimme verkünstelt sich nicht in virtuosen Koloraturen und Auszierungen. Die gesungenen Verse erklingen wie aufsteigende und wieder in sich zusammenfallende Perioden. Beinahe könnte man meinen, Ivor Gurney verstehe Musik als rein zusätzliche Dimension zur gesprochenen Sprache, die keine andere Funktion hat, als das Ausgesprochene durch Harmonik und Rhythmus in seiner Bedeutung nochmals zu bekräftigen. An kaum einer Stelle verselbstständigt sich die musikalische Ebene und lässt so Spielraum für Interpretation, die über den Textgehalt der Gedichte hinausgeht. Dies bestätigt sich, wenn man einen Blick in seine Instrumentalwerke wirft. Diese wirken in ihrem Ausdruck vergleichsweise 4 blass, was deutlich macht, dass für Gurney jede musikalische Idee aus ihrer Textvorlage entsteht und die Musik eine dienende Funktion erfüllt. Steven Ebels Zyklus Reise der Soldaten besteht aus einer Reihe von Werken verschiedener Dichter aus diversen Europäischen Nationen. Die Idee des Komponisten war es, die Kriegserfahrung aus der Perspektive der unterschiedlichen europäischen Völker zu beleuchten. Dies geschieht nicht nur inhaltlich, sondern auch durch sprachliche Vielfalt. Beginnend mit einem Gedicht von Guillaume Apollinaire (Invocation) folgen verschiedene Stufen der Kriegserfahrung. August Stramms Granaten stehen für die Gewalt, Dannazione von Giuseppe Ungaretti ist ein Gebet. Ivor Gurneys Abendmusik or The mocking Gramophone schildert eine tragikomische Situation. Es folgen Verwundung und Genesung, bevor im letzten Lied der Epilog aus Thomas Manns Zauberberg erklingt, durchdrungen durch Verseinschübe aus Schuberts Lindenbaum. Kompositorisch versucht Steven Ebel dem Ideenkonzept der Winterreise mit einer Reise durch die Kriegsjahre nachzuspüren. Die Suche nach dem „Inneren Ich“ zeigt sich in vielen der Gedichte von Apollinaire über Ungaretti bis hin zur finalen rhetorischen Frage aus dem Zauberberg „ ... wird auch aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmen Fieberbrunst, die rings den regnerischen Abendhimmel entzündet, einmal die Liebe steigen?“ Verschiedene musikalische Motive ziehen sich durch das durchkomponierte Werk. Im Epilog verdichtet sich diese motivisch-thematisch, Struktur zu einer symbiotischen Einheit – ein musikalisches Manifest der brüderlichen Verbundenheit jener Solda- ten, die gegen ihre Überzeugung gegeneinander kämpfen mussten und dabei ihr Leben ließen. Der Ruhm Nadia Boulangers überstrahlt bis heute den ihrer 1918 bereits jung verstorbenen Schwester Lili. Dabei sah Nadia schon kurz nach Lilis Tod ihre Lebensaufgabe weniger im Komponieren sondern darin, das musikalische Erbe ihrer jüngeren Schwester zu verwalten und in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Lili Boulangers Zyklus Clarières dans le ciel entstand, als Lili 1913 als erste Frau den Prix de Rome, ein Stipendium für französische Künstler in der Villa Medici, gewann. „Toutes ces mélodies devraient être chantées avec le sentiment d’évoquer un passé resté pein de fraîcheur.“ („All diese Melodien sollten mit dem Gefühl gesungen werden, eine noch frische Erinnerung hervorzurufen“). An Clarières dans le ciel zeigt sich Lili Boulangers intensive Auseinandersetzung mit dem Liedrepertoire Franz Schuberts. So ist vor allem der rege Wechsel zwischen Traumwelt und Wirklichkeit, der bereits in Schuberts Winterreise durch schroffe Dur-Moll-Kontraste hervortritt, in Boulangers Zyklus wieder zu finden. Hier findet ein steter Wechsel von Dreier- und Vierermetren statt. Durch Dehnung der Tonlängen gelingt hier mit der Verwendung von 3/2-Takten und ähnlichen Mitteln eine zusätzlich verstärkende Wirkung. Wirft man einen Blick in die Biografie der Komponistin, so ist unschwer zu erkennen, dass sie sich mit Clarières dans les ciel selbst ein biografisches Denkmal setzte. Der Zyklus besteht aus dreizehn Gedichten von Francis Jammes‘ (1868–1938) Tristesses, erschienen im Jahr 1905. Caroline Potter erwähnt in ihrem Buch Nadia and Lili Boulanger einen intensiven Auswahl- prozess der Gedichte und der Reihenfolge, was die Wichtigkeit der zyklischen Struktur bestätigt. Einige Lieder sind bedeutungsvollen Personen aus Lili Boulangers Leben gewidmet, u. a. ihrer Mutter und dem Verleger Ricordi, dem sie ihr Verlagsrecht und ein damit einhergehendes jährliches Gehalt verdankte. Das Sprudeln der Quelle charakterisiert den ersten Teil des Liedes Une poète disait. Die wellenförmige Bewegung der Triolen im Klavier erzeugen das Bild der Wasseroberfläche, gedehnt erklingen die Worte „jeune“ (jung) und „roses“ (Rosen), was ihre Bedeutung musikalisch unterstreicht. In langen Haltenoten ist die Phrase „Lorsque je pense à elle“ (Wenn ich an sie denke) komponiert, ebenso wie die Worte „intarissable“ (unversiegbar) und „cœur“ (Herz). In der zweiten Liedhälfte ändert sich der Charakter der Musik. Aufstrebend gebrochene Akkordketten bestimmen den musikalischen Satz, am Ende erklingt wieder eine Dehnung des Wortes „elle“ (sie). Das Ende des Liedes ist durch ruhige Akkorde markiert, ein Innehalten verdeutlicht die Aussage „avec devotion“ (in Demut). Eine wiegende Pendelbewegung legt sich über die ersten Takte von Au pied de mon lit. Auf „Virgo lauretana“, den zentralen Anruf dieses Liedes, beginnt eine erregte Begleitung aus raschen Triolenketten und Zweiunddreißigstel-Bewegungen, die mehr die innere Aufgewühltheit als ein besinnliches Gebet widerspiegeln. Beim zweiten „Virgo Lauretana“ beruhigt sich der Rhythmus und sorgt für einen ruhigen Ausklang. Der zweifache Ausruf „Virgo Lauretana“ bezieht sich auf die Lauretanische Litanei, eine mittelalterliche Gebetsform, die sich direkt auf die Gottesmutter 5 Maria bezieht und neben ihrer italienischen Herkunft auch im französischen Katholizismus eine wichtige Rolle spielte. Die Schlussworte „passioné e calme“ sind das musikalische Motto von Vous m’avez regardé avec toute votre âme. Die rasche Rhythmisierung der Anfangsworte beruhigt sich bereits bei „J’ai mis votre regard“ (Ich habe Euren Blick gelenkt), auch die nach unten gerichtete Melodielinie verstärkt diesen Eindruck. Deux ancolies besteht einerseits aus einer Verwendung scharfer Dissonanzen sowie aus einer phasenweisen rhythmischen Destabilisierung. Schmerz und Unsicherheit sind das hörbare musikalische Charakteristikum. Lili Boulanger achtet hier auf eine genaue Textausdeutung, rhythmisch gerät der musikalische Satz genau bei „je vois que je tremble“ (Ich sehe, dass ich zittre) aus den Fugen. Diese melancholische Grundstimmung prägt nicht nur den Zyklus der Komponistin sondern auch ihr allzukurzes, von Schicksalsschlägen gezeichnetes Leben. Das Jahr 1918 kann bei Richard Strauss als Liederjahr bezeichnet werden. Neben seiner Arbeit an Die Frau ohne Schatten entstanden in dieser Zeit u. a. der Zyklus Krämerspiegel op. 66, die Sechs Lieder op. 67, die Sechs Lieder nach Gedichten von Clemens Brentano op. 68 sowie die Fünf Kleinen Lieder op 69. Richard Strauss’ Drei Gedichte aus Goethes Westöstlichem Divan gehören den sogenannten „Liedern des Unmuts“ an, die der Komponist als Schadensersatzleistung gegenüber einem Verlag erbringen musste. Unter anderem entstanden in diesem Zusammenhang auch die Drei Lieder der Ophelia nach Shakespeares Hamlet. Die dichterische Vorlage schuf Johann Wolfgang Goethe, als er sich mehr und mehr mit 6 fremden Kulturen und deren Literatur auseinandersetzte, unter anderem auch jener des Orients. Diesen wichtigen Schritt der Kulturgeschichte weg von der Nationalliteratur hin zur Weltliteratur erkannte auch Richard Strauss. Die Lieder entstanden um das Jahr 1919, inhaltlich erklingt hier ein moralischer Nachruf auf den Ersten Weltkrieg. Der orientalische Kontext der Dichtung spielt in der Komposition keine besondere Rolle. Das erste Lied Wer wird von der Welt verlangen ist in rezitativischem Ton gehalten und wirkt so auf den Zuhörer wie eine direkte Rede. Auch das Klavier übt sich in edler Zurückhaltung mit Haltenoten und getragener Akkordbewegung. Hab ich euch denn je geraten ist geprägt von mehreren schroffen Taktwechseln vom Vierer- ins Dreiermetrum. Die Klavierbegleitung ist äußerst vielseitig: zu Beginn dominiert eine Triolenfigur, gefolgt von rasch absteigenden ZweiunddreißigstelKetten. Am Schluss des Lieds breitet sich ein akkordisch begleitender Klangteppich aus, der bei den Worten „so wollt er’s machen“ schließt. In Wanderers Gemütsruhe hört man im Klavier rasante triolische Akkordketten, die die Schlussworte „lass sie dreh’n und stäuben“ klangmalerisch vorbereiten und ausdeuten. In der Musikgeschichte gilt Charles Ives als „Ahnherr“ der US-amerikanischen Avantgarde. Charles Ives hatte es als Unternehmer zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht. Allerdings hatte dieses Doppelleben von Geschäftsmann und Künstler bittere Konsequenzen. Im Jahr 1918 erlitt er aufgrund seiner beruflichen Überbelastung einen ersten Herzinfarkt, was seine kompositorische Produktivität stark einschränkte. Da Ives zu diesem Zeitpunkt aber bereits finanziell unabhängig war, konnte er seine Energie auf die Systematisierung und Veröffentlichung seiner Werke verwenden. In Europa fristet Ives’ Musik ein Schattendasein. Bereits Igor Strawinsky erkannte die fehlende Begeisterungsfähigkeit der Europäer für Ives’ Werke und sprach ihr „ein spezifisch amerikanisches Gefühl der Isolierung“ zu. Diese Isolierung war jedoch ein bewusst gewählter Prozess, bei dem sich der Komponist von den europäischen Vorbildern Johannes Brahms und Robert Schumann zu lösen begann. Die Suche nach einer modernen musikalischen Identität in den Vereinigten Staaten während des Ersten Weltkriegs war Wasser auf die Mühlen von Ives‘ Kunstauffassung. Dies zeigt sich bereits an einem seiner bekanntesten Werke, der 2. Klaviersonate „Concord, Mass 1840-60“, deren Komposition 1915 abgeschlossen wurde und in welcher sich Ives von seinen europäischen Vorbildern zu lösen beginnt. Das Liedschaffen von Charles Ives ist in der Sammlung 114 Songs zusammengefasst, die 1926 erschien. In seinen Three Songs of the War greift Ives nicht mehr nur zur abstrakten Form der Instrumentalmusik, sondern sucht durch die Vertonung der Texte den direkten politischen Bezug zum Kriegsgeschehen in Europa. Dabei kommt Ives mehr die Rolle eines Betrachters zu, sind doch seine KriegsErfahrungen vor allem durch Erzählungen und Zeitungslektüre geprägt worden. Das erste Lied In Flanders Fields ist deutlich der europäischen Tradition verpflichtet: Die Führung der Singstimme ist melodisch, der Klavierpart zeichnet an vielen Stellen den Textinhalt nach. So meint man z. B. bei den Worten „and in the sky the larks still bravely singing fly“ (und im Himmel fliegen noch immer die singenden Lerchen) die Lerchen im Klavierpart singen zu hören. Lediglich die ungewohnte Melodie- und Harmoniebehandlung macht hier den „isolierten“ amerikanischen Stil von Ives aus. In Tom sails away ist alles liedhafte verschwunden. Die Musik untermalt mit impressionistischen Klängen die statischträumerische Atmosphäre. In Form einer rekurrierenden Strophe impliziert die Phrase „scenes of my childhood“ (Szenen meiner Kindheit) einen Zirkelschluss, was das Umherkreisen der Kindeserinnerungen in eine klare musikalische Form bringt. Bei He is there ist der Tonfall weit populärer. Ives greift hier auf Ragtime-Elemente zurück, die durch ihre eingängige Melodik und den Synkopenreichtum zu den einflussreichsten populärmusikalischen Strömungen der Vereinigten Staaten zu dieser Zeit gehören. Während Lili Boulanger bei ihrer Komposition für den Prix de Rome genauestens über die künstlerischen Errungenschaften deutscher Liedkomponisten Bescheid wusste und Richard Strauss sich Goethes besagtem Schritt weg von der Nationalzur Weltliteratur anschloss, findet bei Charles Ives in ideologischer Hinsicht der umgekehrte Prozess statt. Nach seinem Studium der europäischen Musiktradition sieht er sein Bestreben in der Etablierung eines amerikanischen Nationalstils durch weitgehende Negierung europäisch klingender Elemente (die sich jedoch in den Three Songs of the War wiederum nicht leugnen lassen). Hinter allem Kriegsgeschehen zeigt sich ein unzerstörbarer europäischer Geist über die nationalen Grenzen hinweg sowie ein tiefes Bewusstsein für eine seit Jahrhunderten währende gemeinsame kulturelle Vergangenheit. 7 IVOR GURNEY (1890–1937) Vier Lieder aus LUDLOW AND THEME Texte von Alfred Edward Housman (1859–1936) Ludlow Fair Ludlower Kirmes The lads in their hundreds to Ludlow come [in for the fair, There’s men from the barn and the forge And the mill and the fold, The lads for the girls and the lads For the liquor are there, And there with the rest are the lads That will never be old. Die Burschen kommen zu Hunderten nach [Ludlow wegen der Kirmes, Männer aus der Scheune und aus der Schmiede und der Mühle und der Weide, Manche Burschen kommen wegen der Mädchen und manche für ein Saufgelage, Und mit den Übrigen sind es die Burschen, die niemals alt sein werden. There’s chaps from the town and the field And the till and the cart, And many to count are the stalwart, and [many the brave, And many the handsome of face and the [handsome of heart, And few that will carry their looks or their Truth to the grave. Da sind Typen von Stadt und Land und dem Pflug und dem Wagen, Man zählt viele als Mitläufer, und viele als [Tapfere, und viele mit gut aussehendem Gesicht [und gutem Herzen, und wenige, die ihr Aussehen und ihre Wahrheit mit ins Grab nehmen. I wish one could know them, I wish there were tokens to tell The fortunate fellows that now you can [never discern; And then one could talk with them friendly And wish them farewell And watch them depart on the way that they will not return. Ich wünsche, einer würde sie kennen, Ich wünsche man könnte die Anzeichen [deuten, Die glücklichen Kumpane, die keiner [erkennen kann; Und dann könnte man freundlich mit ihnen sprechen und ihnen Lebewohl sagen. Und sie den Weg gehen sehen, auf dem es kein Zurück mehr gibt. But now you may stare as you like and There’s nothing to scan; And brushing your elbow unguessed at And not to be told They carry back bright to the coiner The mintage of man, The lads that will die in their Glory and never be old. Aber jetzt kannst du gaffen soviel du willst und es gibt nichts abzusuchen. Und ungefragt mit deinem Ellbogen stossend und nicht erzählt zu kriegen Sie bringen strahlend die Münzprägung der Menschheit zu ihrem Präger zurück, Die Burschen, die sterben werden in ihrem Ruhm und niemals alt sein werden. 8 On the Idle Hill of Summer Auf dem faulen Sommerhügel On the idle hill of summer, Sleepy with the flow of streams, Far I hear the steady drummer Drumming like a noise in dreams. Auf dem faulen Sommerhügel Schläfrig mit dem Fließen der Bäche, Höre ich in der Ferne ein ständiges Trommeln, Trommeln wie ein Geräusch im [Traum. Far and near and low and louder, On the roads of earth go by, Fern und nah und leise und lauter, Gehen sie auf den Straßen der Welt [vorüber, Sind lieb zu Freunden, tauschen Essen [gegen Pulver Marschieren Soldaten, alle um zu sterben. Dear to friends and food for powder, Soldiers marching, all to die. East and west on fields forgotten Bleach the bones of comrades slain, Lovely lads and dead and rotten; None that go return again. Im Osten und Westen auf vergessenen [Feldern Ausgebleichte Knochen abgeschlachteter [Kameraden, Liebevolle Burschen und tot und verrottet; Niemand, der mehr zurückkehrt. Far the calling bugles hollo, High the screaming fife replies, Gay the files of scarlet follow; Woman bore me, I will rise. In der Ferne rufen die Hörner, Hoch antwortet die schrille Flöte, Fröhlich folgen die rotfarbenen Reihen, Die Frau langweilt mich, ich will [hinaufsteigen. Far in a Western Brookland Fern in einer westlichen Flusslandschaft Far in a western brookland That bred me long ago The poplars stand and tremble By pools I used to know. Fern in einer westlichen Flusslandschaft In der ich vor langer Zeit groß wurde Stehen die Pappeln und zittern Bei den Tümpeln, die mir vertraut sind. There, in the windless night-time, The wanderer, marvelling why, Halts on the bridge to hearken How soft the poplars sigh. Da, in windstiller Nacht, Der Wanderer, sich fragend warum, Hält auf der Brücke inne, um zu lauschen Wie sanft die Pappeln säuseln. He hears: no more remembered In fields where I was known, Here I lie down in London And turn to rest alone. Er hört: nicht mehr in der Erinnerung In Feldern wo man mich kannte, Liege ich hier unten in London Und ruhe nun allein. 9 There, by the starlit fences, The wanderer halts and hears My soul that lingers sighing About the glimmering weirs. Dort, bei den sternenklaren Zäunen, Hält der Wanderer inne und hört Meine Seele, die in Seufzen verharrt Über den schimmernden Reusen. When I was one‑and‑twenty Als ich einundzwanzig war When I was one-and-twenty I heard a wise man say: „Give crowns and pounds and guineas But not your heart away; Give pearls away and rubies But keep your fancy free.“ But I was one-and-twenty, No use to talk to me. Als ich Einundzwanzig war Hörte ich einen weisen Mann sagen: „Gib Kronen, Pfund und Guineen her, Aber nicht dein Herz; Gib Perlen her und Rubine Aber lass’ deiner Fantasie freien Lauf.“ Aber ich war einundzwanzig, So sprach man nie mit mir. When I was one-and-twenty I heard him say again: „The heart out of the bosom Was never given in vain; ’Tis paid with sighs a plenty And sold for endless rue.“ And I am two-and-twenty, And oh, ‘tis true, ‘tis true. Als ich Einundzwanzig war Hörte ich ihn wieder sagen: „Das Herz war nie umsonst Der Brust gegeben; Es ist bezahlt mit üppigen Seufzern Und verkauft für endlose Reue.“ Jetzt bin ich zweiundzwanzig Und, ach, es ist wahr, es ist wahr. Steven Ebel – Reise der Soldaten Auftragswerk / Uraufführung Les marveilles de guerre (Invocation) Text von Guillaume Apollinaire (1880–1918) Die Wunder des Krieges (Anrufung) Que c’est beau ces fusées qui illuminent [la nuit; Elles montent sur leur propre cime et se [penchent pour regarder. Mais j’ai coulé dans la douceur de cette Guerre avec toute ma compangnie au long [des longs boyaux. Quelques cris de flamme annoncent sans [cesse ma présence. J’ai creusé le lit où je coule en me ramifi- Wie schön sind diese Fackeln, die [die Nacht erhellen; Sie erheben sich zu ihrer eigenen Krone [und neigen sich, um zu schauen. Aber ich versank in der Lieblichkeit des Krieges mit meiner ganzen Kompanie in [den langen Schützengräben. Einige Schreie der Flammen verkündeten [ständig meine Gegenwart. Ich habe das Bett gegraben, in dem ich 10 ant en mille petits fleuves qui vont partout. Je suis dans la tranchée de première ligne Et cependant je suis partout ou plutôt Je commence cette chose de siècle à [venir. Ce sera plus long à réaliser que non la [fable d’Icare volant. Et ce serait sans doute bien plus beau Si je pouvais suppose que toute ces [choses Dans lesquelles je suis partout Pouvaient m’occuper aussi Mais dans ce sens il n’y a rien de fait Car si je suis partout à cette heur il n’y a Cependant que moi qui suis en moi. liege, während ich mich in tausend kleine Flüsse verzweige, die überall hin fließen. Ich bin im Graben der Frontlinie und so bin ich überall oder vielmehr beginne ich mit dieser Sache des anbrechenden [Jahrhunderts. Es wird länger dauern, um zu verstehen, dass dies nicht das Märchen vom [fliegenden Ikarus ist. Und es wäre ohne Zweifel viel schöner wenn ich annehmen könnte, dass all diese [Dinge, In denen ich überall bin mich so vereinnahmen könnten, aber in diesem Sinn ist nichts [tatsächliches, denn wenn ich in dieser Stunde überall bin, dann gibt es nichts außer mir in mir. Granaten (Gewalt) Text von August Stramm (1874–1915) Das Wissen stockt Nur Ahnen webt und trügt Taube täubet schrecke Wunden Klappen Tappen Wühlen Kreischen Schrillen Pfeifen Fauchen Schwirren Splittern Klatschen Knarren Knirschen Stumpfen Stampfen Der Himmel tapft Die Sterne schlacken Zeit entgraust Sture weltet blöden Raum. Dannazione (Preghiera) Text von Giuseppe Ungaretti (1888–1970) Verdammnis (Gebet) Chiuso fra cose mortali Anche il cielo stellato finirà Perchè bramo Dio? Eingeschlossen zwischen Sterblichem, Auch der Sternenhimmel wird vergehen, Warum verlange ich nach Gott? 11 Abendmusik (or The Mocking Grammophone) Text von Ivor Gurney (1890–1937) Abendmusik (oder Das spottende Grammophon) It was after the Somme, our line was [quieter, Wires mended, neither side daring [attacker Or aggressor to be – the guns equal, Es war nach der Somme, unsere Front war [leiser, die Drähte ausgebessert, keine Seite [wagte Angreifer oder Aggressor zu sein – die Waffen [ebenso, die Drähte eine dichte Hecke, wenn dort die Schubert-Melodie erklang, (o vergangene Tage, für immer verirrt!), die punktgenau zum Tagesablauf gehörte, The wires a thick hedge, When there sounded, (O past days for ever confounded!) The tune of Schubert which belonged to [days mathematical, Effort of spirit bearing fruit worthy, actual. The gramophone for an hour was my [quiet’s mocker, Until I cried, „Give us Heldenleben, Heldenleben.“ The Gloucesters cried out „Strauss is our favourite wir haben [Sich (sic!) geliebt“. So silence fell, Aubers front slept, And the sentries an unsentimental silence [kept. True, the size of the rum ration was still a [shocker. But at last over the Aubers the majesty of the dawn’s veil swept. Mühe des Geistes, würdige Früchte [tragend, tatsächlich. Das Grammophon war für eine Stunde [mein Spötter in der Stille, bis rief ich, „Gib uns Heldenleben, Heldenleben.“, Die Gloucesters riefen „Strauss ist unser Liebling! Wir haben [Sich geliebt.“ Dann brach Stille herein, Aubers Front [schlief, und die Wachen befiel eine [unsentimentale Stille. Zwar war die Menge der Rum-Ration noch [ein Schock, aber schließlich brach über Aubers der majestätische Schleier der [Morgendämmerung herein. Fratelli (Carità) Text von Giuseppe Ungaretti (1888–1970) Brüder (Nächstenliebe) Di che reggimento siete Fratelli? Von welchem Regiment seid ihr, Brüder? Parola tremante Nella notte Zitterndes Wort In der Nacht Foglia appena nata Eben erst geborenes Blatt 12 Kriegserklärung Kaiser Wilhelms 1914 13 Nell’aria spasimante Involontaria rivolta Dell‘uomo presente alla sua Fragilità In der angstschwangeren Luft Unfreiwillig zurückgewandt Des Menschen in Gegenwart seiner Zerbrechlichkeit. Pursuit (Injury) Text von Harold Monro (1879–1932) Verfolgung (Verwundung) Das ist nicht Krieg – oh, es tut weh! Ich bin [gelähmt. Ein Dorn verursacht brennenden Schmerz. A thorn is burning me. We are going back to the place from which Wir gehen zurück an den Ort, von dem wir [kamen. [we came. Ich erinnere mich jetzt an das alte Lied: I remember the old song now: That is nor war – oh it hurts! I am lame. Soldier, soldier going to war, When will you come back? Soldat, Soldat, der du in den Krieg ziehst, Wann kommst du wieder? Mind that rut. It is very deep. All these ways are parched and raw. Denke an die Furche. Sie ist sehr tief. Alle diese Wege sind ausgetrocknet und [roh. Wohin gehen wir? Wie wir kriechen! Bist du da? Ich sah nie ... Where are we going? How we creep! Are you there? I never saw ... Damn this jingle in my brain. All the roads to victory Are flooded as we go. There’s so much blood to paddle through, That’s why we’re marching slow. Yes sir; I’m here. Are you an officer? I can’t see. Are we running away? Verdammt dieses Klingeln in meinem [Gehirn. Alle Straßen zum Sieg Sind überflutet , wie wir gehen. Es gibt so viel Blut durch das man paddeln [muss, Deswegen marschieren wir langsam. How long have we done it? One whole year, a month, A week, or since yesterday? Ja, Herr; Ich bin hier. Sind Sie ein Offizier? Ich kann nichts sehen. Sind wir auf der [Flucht? Wie lange haben wir es gemacht? Ein ganzes Jahr, ein Monat, Eine Woche, oder seit gestern? Damn the jingle! My brain Is scragged and banged Zum Teufel mit dem Geklingel! Mein Gehirn Ist matschig und zertrümmert. 14 Fellows, these are happy times; Tramp and tramp with open eyes. Yet, try however much you will, You cannot see a tree, a hill, Moon, stars or even skies. I won’t be quiet. Sing too, you fool. I had a dog I used to beat. Don’t try it on me. Say that again. Who said it? Halt! Why? Who can halt? We’re marching now. Who fired? Well. Well. I’ll lie down too. I’m tired enough. Jungs, das sind glückliche Zeiten; Marschieren und marschieren mit offenen [Augen. Doch man kann versuchen was man will, Man sieht keinen Baum, keinen Hügel, Weder Mond, noch Sterne oder gar den [Himmel. Ich werde nicht ruhig sein. Sing mit, du [Narr. Ich hatte einen Hund, den ich für [gewöhnlich schlug. Versuchen es nicht an mir. Sag es noch [mal. Wer sagte das? Halt! Warum? Wer kann es [stoppen? Wir marschieren jetzt. Wer hat gefeuert? Gut. Gut. Ich werde mich auch niederlegen. Ich bin müde genug. The Nightmare (Convalescence) Text von Siegfried Sassoon (1886–1967) Der Albtraum (Genesung) When I’m asleep, dreaming and lulled [and warm, They come, the homeless ones, the [noiseless dead. While the dim charging breakers of the [storm Bellow and drone and rumble overhead, Wenn ich schlafe, träumend und eingehüllt [und warm, Kommen sie, die Heimatlosen, [geräuschlosen Toten. Während die düsteren Wellen des Angriffs Out of the gloom they gather about my bed. They whisper to my heart; their thoughts are mine. „Why are you here with all your watches ended? From Ypres to Frise we sought you in the [Line.“ In bitter safety I awake, unfriended; Über meinem Kopf brüllen und brummen [und rumpeln, Versammeln sie sich aus der Dunkelheit um [mein Bett. Sie flüstern zu meinem Herzen; Ihre Gedanken sind die meinen. „Warum seid ihr hier, wo eure Wache [zuende ist? Von Ypern bis Frise suchten wir euch in der [Linie.“ In bitterer Sicherheit erwachte ich, ohne [Freunde; 15 And while the dawn begins with slashing [rain I think of the Battalion in the mud. „When are you going out to them again? Are they not still your brothers through our [blood?“ Epilog: In der Menge Text von Thomas Mann (1875–1955) Da ist unser Bekannter. Was denn, er singt! Ich schnitt in seine Rinde So manches liebe Wort Er stürzt. Nein, er hat sich platt hingeworfen, da ein Höllenhund anheult, ein großes Brisanzgeschoss, ein ekelhafter Zukkerhut des Abgrunds. Er liegt, das Gesicht im kühlen Kot, die Beine gespreizt, die Füße gedreht, die Absätze erdwärts. ... O Scham unserer Schattensicherheit! Hinweg! Wir erzählen das nicht! ... Er macht sich auf, er taumelte hinkend weiter mit erdschweren Füßen bewusstlos singend: Und sei-ne Zweige rau-schten, Als rie-fen sie mir zu ... Und so, im Getümmel, in dem Regen, der Dämmerung, kommt er uns aus den Augen. Wird auch aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmen Fieberbrunst, die rings den regnerischen Abendhimmel entzündet, einmal die Liebe steigen? 16 Und während der Tag begann mit [sintflutartigem Regen Denke ich an das Battaillon im Matsch. „Wann gehst du wieder hinaus zu ihnen? Sind es nicht immer noch deine [Blutsbrüder?“ LILI BOULANGER (1893–1918) – Vier Lieder aus CLAIRIÈRES DANS LE CIEL Texte von Francis Jammes (1868–1938) Un poète disait Ein Dichter sagte Un poète disait que lorsqu’il était jeune, il fleurissait des vers comme un rosier des [roses. Lorsque je pense à elle, il me semble Que jase une fontaine intarissable dans [mon coeur. Comme sur le lys Dieu pose un parfum [d’église, Comme il met du corail aux joues de la [cerise, Je veux poser sur elle, avec dévotion, La couleur d’un parfum, qui n’aura pas de [nom. Ein Dichter sagte, als er jung war erblühten ihm die Verse wie Rosen an [einem Rosenstock. Wenn ich an sie denke, scheint mir, Dass ein unversiegbarer Brunnen in [meinem Herzen plätschert. Wie Gott auf die Lilien den Geruch einer [Kirche legt, Wie er der Kirsche die Wangen rötet, Au pied de mon lit Am Fuß meines Bettes Au pied de mon lit, une Vierge négresse Fut mise par ma mère. Et j’aime cette Vierge D’une religion un peu italienne. Virgo Lauretana, debout dans un fond d‘or, Qui me faites penser à mille fruits de mer Am Fuß meines Bettes hat meine Mutter eine schwarze Madonna gestellt. Ich liebe diese Madonna Mit ihrer leicht italienischen Frömmigkeit. Virgo Lauretana, auf einem Goldgrund, Die mich an tausend Meeresfrüchte [denken lässt, Die auf den Quais verkauft werden, Wo kein Lufthauch die Pavillons bewegt, Die schwerfällig vor sich hin schlummern. Virgo Lauretana, Ihr wisst, Dass in diesen Stunden, wenn ich mich Nicht würdig fühle von ihr geliebt [zu werden, Dass Ihr es seid mit eurem Geruch, die mir [das Herz erfrischt. Que l’on vend sur les quais Où pas un souffle d‘air n’émeut les Pavillons qui lourdement s‘endorment, Virgo Lauretana, vous savez Qu’en ces heures où je ne me sens Pas digne d‘être aimé d’elle C’est vous dont le parfum me rafraîchit le coeur. Will ich ihr mit Anmut den Geruch eines Parfums verleihen, das keinen Namen hat. 17 Vous m‘avez regardé avec toute votre âme Ihr habt mich angesehen mit all eurer Seele Vous m’avez regardé avec toute votre [âme. Vous m’avez regardé longtemps comme un [ciel bleu. J’ai mis votre regard à l’ombre de [mes yeux ... Que ce regard était passionné et calme ... Ihr habt mich angesehen mit all eurer [Seele Ihr habt mich lange Zeit angesehen wie ein [blauer Himmel. Ich habe euren Blick auf den Schatten [meiner Augen gelenkt … Dieser Blick war voller Leidenschaft und [Ruhe … Deux ancolies Zwei Akeleien Deux ancolies se balançaient sur la colline Et l’ancolie disait à sa soeur l’ancolie: Je tremble devant toi et demeure confuse. Et l’autre répondait: si dans la roche Qu’use l’eau, goutte à goutte, Si je me mire, je vois que je tremble, et je Suis confuse comme toi. Zwei Akeleien wiegten auf dem Hügel Und die Akeleie sagte zu ihrer Schwester: Ich zittre vor dir und bleibe verwirrt. Und die andere antwortete: wenn ich Mich im Felsen, den das Wasser Tropfen Für Tropfen aushöhlt, betrachte, sehe ich, Dass ich zittre, und ich bin verwirrt wie du. Le vent de plus en plus les berçait toutes [deux, Les emplissait d’amour et mêlait leurs [coeurs bleus. Der Wind wiegte die beiden mehr und [mehr, Und erfüllte sie mit Liebe und vereinigte [ihre blauen Herzen. RICHARD STRAUSS (1864–1949) – DREI LIEDER AUS GOETHES WEST-ÖSTLICHEM DIWAN Texte von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) Wer wird von der Welt verlangen Wer wird von der Welt verlangen, Was sie selbst vermisst und träumet, Rückwarts oder seitwards blickend Stets den Tag des Tags versäumet? Ihr Bemüh’n, ihr guter Wille Hinkt nur nach dem raschen Leben, Und was du vor Jahren brauchtest, Möchte sie dir heute geben. 18 Hab’ ich euch denn je geraten Wanderers Gemütsruhe Hab’ ich euch denn je geraten, Wie ihr Kriege führen solltet? Schalt ich euch nach euren Taten, Wenn ihr Frieden schließen wolltet? Übers Niederträchtige Niemand sich beklage; Denn es ist das Mächtige, Was man dir auch sage. Und so hab’ ich auch den Fischer Ruhig sehen Netze werfen, Brauchte dem gewandten Tischler Winkelmaß nicht einzuschärfen. In dem Schlechten waltet es Sich zu Hochgewinne, Und mit Rechtem schaltet es Ganz nach seinem Sinne. Aber ihr wollt besser wissen, Was ich weiß, da ich bedachte, Was Natur für mich beflissen, Schon zu meinem Eigen machte. Wand’rer! Gegen solche Not Wolltest du dich sträuben? Wirbelwind und trocknen Kot, Lass sie dreh’n und stäuben. Fühlt ihr auch dergleichen Stärke? Nun, so fördert eure Sachen! Seht ihr aber meine Werke, Lernet erst: so wollt’ er’s machen. CHARLES IVES (1874–1954) – THREE SONGS OF THE WAR In Flanders fields Text von John McCrae (1872–1918) Auf den Feldern Flanderns In Flanders fields the poppies blow; Between the crosses, row on row That mark our place; and in the sky Auf den Feldern Flanderns wogt der Mohn; Zwischen den Kreuzen, Reihe für Reihe, die unseren Platz markieren; und im [Himmel fliegen noch immer die tapferen Lerchen [und singen Kaum zu hören zwischen den Gewehren [dort unten. Wir sind die Toten. Noch vor wenigen Tagen lebten wir, fühlten die Dämmerung, [sahen das Morgenrot, Liebten und wurden geliebt, nun liegen wir Auf den Feldern Flanderns. The larks still bravely singing fly, Scarce heard amidst the guns below. We are the Dead. Short days ago We lived, felt dawn, saw sunset glow, Loved and were loved, and now we lie In Flanders fields. 19 Take up our quarrel with the foe: To you from falling hands we throw The torch; be yours to hold it high. If ye break faith with us who die We shall not sleep, though the poppies [grow In Flanders fields. Nehmt euch unseres Kampfes gegen den [Feind an: Wir werfen euch aus gefallenen Händen Die Fackel zu; es liegt an euch, sie hoch zu [halten. Wenn ihr euer Wort brecht gegen uns [Gefallene Werden wir nicht schlafen, wenn der [Mohn Auf den Feldern Flanderns blüht. Tom sails away Text von Charles Edward Ives (1874–1954) Tom segelt davon Scenes from my childhood are with me, I’m in the lot behind our house upon [the hill, A spring day’s sun is setting, Mother with Tom in her arms Is coming towards the garden; The lettuce rows are showing green. Thinner grows the smoke o’er the town, Stronger comes the breeze from the ridge, ’Tis after six, the whistles have blown, Bilder meiner Kindheit sind mit mir, Ich bin im Garten hinter unserem Haus auf [dem Hügel, Ein Frühlingstag, die Sonne geht auf Die Mutter hat Tom in ihren Armen Und geht auf den Garten zu. Die Salatbeete zeigen ihr Grün. Der Rauch über der Stadt lichtet sich, Der Windhauch vom Dach wird stärker, Es ist nach Sechs, die Pfeifen haben ge [blasen, Der Milch-Zug ist das Tal hinab Papa kommt von der Mühle den Hügel [herauf, Wir rennen die Straße hinab ihm entgegen Aber heute! Tom ist davongesegelt für die [Freiheit, Nach da drüben, da drüben! Bilder meiner Kindheit Ziehen an meinen Augen vorbei. The milk train’s gone down the valley Daddy is coming up the hill from the mill, We run down the lane to meet him But today! In freedom’s cause Tom sailed [away For over there, over there! Scenes from my childhood Are floating before my eyes. He is there Text von John McCrae (1872–1918) Er ist da Fifteen years ago today A little Yankee, little yankee boy Marched beside his granddaddy In the decoration day parade. Heute vor fünfzehn Jahren Marschierte ein kleiner Yankee-Junge An der Seite seines Großvaters Bei der Decoration-Day-Parade. 20 The village band would play those old war tunes, and the G. A. R. would shout, „Hip Hip Hooray!“ in the same old way, As it sounded on the old camp ground. Die Dorfkapelle würde die selben Alten Kriegslieder spielen, und die Grand Army würde „Hip Hip Hooray“ brüllen, auf dieselbe Art, wie es im alten Basislager klang. That boy has sailed o’er the ocean, He is there, he is there, he is there. He’s fighting for the right, but when it comes to might, He is there, he is there, he is there; As the Allies beat up all the warlords! His fathers fought that medieval stuff And he will fight it now; „Hip Hip Hooray! this is the day,“ When he’ll finish up that aged job. Der Junge ist über das Meer gesegelt, Er ist dort, er ist dort, er is dort. Er kämpft für sein Recht, doch wenn es soweit ist, Ist er dort, ist er dort, ist er dort. Wie die Alliierten alle Kriegsherren [schlagen! Er wird dort sein, er wird dort sein, und dann wird die Welt den Kriegschrei der Freiheit ausstoßen Mit den Zelten an einem neuen Ort. Es ist ein Andrang um die Fahnenträger, Noch einmal ein Andrang, Mit dem Schlachtruf der Freiheit. Vor fünfzehn Jahren Ein kleiner Yankee, mit deutschem Namen Hörte die Geschichte von 1848 Weshalb sein Opa sich Onkel Sam [anschloß Seine Väter kämpften im Mittelalter Und er wird jetzt kämpfen „Hip hip hooray! Der Tag ist gekommen,“ Wenn er seine betagte Arbeit niederlegt. That boy has sailed o’er the ocean ... Der Junge segelte über das Meer ... There’s a time in ev’ry life, When it‘s do or die, and our yankee boy Es gibt in jedem Leben eine Zeit, Wo es heisst: handle oder stirb, und unser [Yankee Verbringt sein bisschen Lebenszeit In einer Welt, wo alle etwas zu sagen [haben. Er ist sich stets des Ziels seines Vaterlands bewusst: Freiheit für alle, „Hip hip hooray!“ ist alles was sagt, wenn Er in Flandern an die Front marschiert. Dieser Junge segelte über das Meer ... He’ll be there, he‘ll be there, and then the world will shout the Battle-cry of Freedom Tenting on a new camp ground. For it’s rally round the Flag boys Rally once again, Shouting the battle cry of Freedom. Fifteen years ago today A little Yankee, with a German name Heard the tale of „forty-eight“ Why his Granddaddy joined Uncle Sam, Does his bit that we may live, In a world where all may have a „say.“ He’s conscious always of his Country‘s aim which is Liberty for all, „Hip Hip Hooray!“ is all he’ll say, As he marches to the Flanders front. That boy has sailed o’er the ocean ... 21 STEVEN EBEL Tenor JOHN PARR Klavier Steven Ebel war Teilnehmer des Jette Parker Young Artists Programme am Royal Opera House in London. Zudem war er unter Lorin Maazel als Quint in The Turn of the Screw beim Castleton Festival zu hören. Er sang die Partie des Frantz Wolf in Louis Karchins Romulus, die beim CD-Label Naxos erhältlich ist. Seit der Spielzeit 2011/12 ist er am STAATSTHEATER KARLSRUHE engagiert und war u. a. als August Kuhbrot/ Erster Fremder in Der Vetter aus Dingsda, als Cinna und Licinius in Die Vestalin, als Bob Bowles in Peter Grimes und als Erster Geharnischter in Die Zauberflöte zu hören. In der Spielzeit 2013/14 sang er außerdem Steuermann in Der Fliegende Holländer, Robert Wilson in Doctor Atomic und Don Basilio in Die Hochzeit des Figaro. Steven Ebel ist Mitglied in der Meisterklasse von Wolfgang Rihm. Beim Weihnachtssingen 2013 wurde sein Werk Knecht Ruprecht am STAATSTHEATER KARLSRUHE uraufgeführt. John Parr studierte an der Manchester University und am Royal Northern College of Music bei Sulamita Aronovsky. Er gastierte als Repetitor u. a. am Royal Opera House Covent Garden und arbeitete für die Scottish Opera in Glasgow. Zudem war er „Head of Music Staff“ an der San Francisco Opera. Ein wichtiger Teil seiner Aufgaben war die Arbeit mit den Adler Fellow- und Merola-Programmen für junge Sänger. Von 2002 bis 2005 war er musikalischer Assistent bei den Bayreuther Festspielen. Als Liedbegleiter trat er in Deutschland und den USA auf. Seit der Spielzeit 2011/12 ist er am STAATSTHEATER KARLSRUHE als Casting Direktor und Assistent des Generalmusikdirektors engagiert. Außerdem ist er künstlerischer Leiter der Liederabend-Reihe. In der kommenden Spielzeit wechselt John Parr als Studienleiter an die Deutsche Oper Berlin. In Karlsruhe ist er im Liederabend „Besuch aus Berlin“ mit einem Sängergast der Deutschen Oper Berlin zu hören. 22 liederabende 1. LIEDERABEND – Rebecca Raffell Liederzyklen Rebecca Raffell Mezzosopran John Parr Klavier Henry Purcell / Benjamin Britten Mad Bess Ivor Gurney Ausgewählte Lieder Joseph Horovitz Lady Macbeth Edward Elgar Sea Pictures 13.10.13 KLEINES HAUS 2. LIEDERABEND – EMILY HINDRICHS Emily Hindrichs Sopran John Parr Klavier Hugo Wolf Ausgewählte Lieder Richard Strauss Drei Lieder der Ophelia & ausgewählte Lieder Joseph Schwantner Two Poems of Agueda Pizarro Claude Debussy Ausgewählte Lieder Francis Poulenc La courte paille 5.1.14 KLEINES HAUS 3. Liederabend – STEVEN EBEL Steven Ebel Tenor John Parr Klavier Lili Boulanger Clairières dans le ciel Steven Ebel Auftragswerk Charles Ives Three Songs of the War Richard Strauss Drei Lieder aus Goethes ‚West-östlicher Divan‘ Ivor Gurney und Rudi Stephan Lieder 17.5.14 KLEINES HAUS Im Rahmen der Europäischen Kulturtage 13/14 Liederabend – Ks. INA SCHLINGENSIEPEN Ks. Ina Schlingensiepen Sopran John Parr Klavier Ausgewählte Lieder von Alessandro Scarlatti, Vincenzo Bellini, Gaetano Donizetti und Richard Strauss 31.5.14 KLEINES HAUS 4. Liederabend „Wege der Liebe“ Emily Hindrichs Sopran Stefanie Schaefer Mezzosopran Eleazar Rodriguez Tenor Gabriel Urrutia Benet Bariton Jan Roelof Wolthuis Klavier Pascal Paul-Harang Konzept & Regie Lieder von Gabriel Fauré, Georges Bizet, Reynaldo Hahn, Claude Debussy, Ernest Chausson und Maurice Ravel 21.6.14 KLEINES HAUS 5. Liederabend – ARMIN KOLARCZYK Armin Kolarczyk Bariton John Parr Klavier Johannes Brahms Die Schöne Magelone 13.7.14 KLEINES HAUS 23 bildnachweise IMPRESSUM TITEL Falk von Traubenberg HERAUSGEBER STAATSTHEATER KARLSRUHE TEXTNACHWEISE GENERALINTENDANT Peter Spuhler Die Übersetzungen aus dem Englischen, Französischen und Italienischen stammen von Daniel Rilling. Der abgedruckte Text ist ein Originalbeitrag für dieses Heft von Daniel Rilling. URHEBERRECHTE Giuseppe Ungaretti: Per gentile concessione dell‘erede Ungaretti, oltre al nome dell‘autore, al titolo della poesia e della Arnoldo Mondadori Editore © 2009 Arnoldo Mondadori Editore S.p.A., Milano Thomas Mann, Epilog aus: Der Zauberberg © S. Fischer Verlag, Berlin 1924. Alle Rechte vorbehalten S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main VERWALTUNGSDIREKTOR Michael Obermeier CHEFDRAMATURG Bernd Feuchtner OPERNDIREKTOR Joscha Schaback REDAKTION Daniel Rilling KONZEPT DOUBLE STANDARDS BERLIN www.doublestandards.net GESTALTUNG Kristina Pernesch DRUCK medialogik GmbH, Karlsruhe Sollten wir Rechteinhaber übersehen haben, bitten wir um Nachricht. 24 STAATSTHEATER KARLSRUHE 2013/14 Programm Nr. 184 www.staatstheater.karlsruhe.de OHNE FRAUEN GEHT DIE CHOSE NICHT! Ein Schlagerabend Christina Niessen Sopran Stefanie Schaefer Mezzosopran Ks. Ina Schlingensiepen Sopran u. a. 29.6.14 KLEINES HAUS LIEDERABEND- ABONNENT WERDEN! Auch für die nächste Spielzeit können Sie sich wieder ein Liederabend-Abonnement mit fünf Abenden ab 40 Euro sichern. Unser Abonnementbüro berät Sie gerne. ABONNEMENTBÜRO T 0721 3557 -323 /-324 F 0721 3557 346 E-Mail abonnementbuero@staatstheater. karlsruhe.de Wird auch aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmen Fieberbrunst, die rings den regnerischen Abendhimmel entzUndet, einmal die Liebe steigen?