Kiste 2007 - Verwaltung
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Kiste 2007 - Verwaltung
Kiste 07 Was heißt hier Bildung? Bildungspläne in Kinderbetreuungseinrichtungen Kinderbetreuungsreferat – Fachabteilung 6B www.kinderbetreuung.steiermark.at Die Kinderbetreuung in der Steiermark Ausgabe 2007 Die Kiste xxxxxxx Vorwort Zum Geleit Der Landtag Steiermark hat im Frühjahr 2007 für den Kinderbetreuungsbereich eine wichtige Gesetzesnovelle verabschiedet. Aus dem bisherigen Kinderbetreuungsgesetz wurde das Steiermärkische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz. Damit wurde jenem Verständnis Rechnung getragen, das in den steirischen Kinderbetreuungseinrichtungen schon lange gelebt wird, nämlich Kinder nicht nur zu betreuen, sondern auch durch eine altersgerechte Bildungsarbeit die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit der Kinder zu fördern. Welch hohen Stellenwert die vorschulische Bildung hat, zeigt die aktuelle Diskussion über die geplante Einführung eines verpflichtenden Vorschuljahres. Optimale Bildungsarbeit setzt die Beistellung entsprechender Sach- und Personalressourcen sowie eine den geänderten Anforderungen entsprechende Aus- und Fortbildung des Kinderbetreuungspersonals voraus. Nur unter diesen Bedingungen kann Qualität für die Kinder im Spannungsfeld zwischen Bildung und Betreuung gesichert werden. Die Fachabteilung 6B des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung ist bemüht, den steirischen KindergartenpädagogInnen, HorterzieherInnen, KinderbetreuerInnen und Tagesmüttern/Tagesvätern bei ihrer wertvollen pädagogischen Arbeit bestmögliche Hilfestellung zu geben. Neben dem umfangreichen Seminarangebot der Fortbildungsstelle, der kontinuierlichen pädagogischen Fachberatung hat sich die »KISTE« – sie erscheint heuer bereits zum 5. Mal – zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bildungsvermittler entwickelt. Die Zeitschrift ist eine Plattform für alle, die im Kinderbetreuungsbereich aktiv mitgestalten wollen. Sie setzt Initiativen für künftige Entwicklungen. Herzlichen Dank an all jene, die beim Entstehen der KISTE 07 mitgewirkt haben. Möge die Zeitschrift dazu beitragen, dass die in der Steiermark geleistete planvolle Bildungsarbeit zu noch mehr Bildung mit Plan wird. Planen wir gemeinsam, wie wir Bildung qualitätsvoll und erfolgreich den wertvollsten Mitgliedern unserer Gesellschaft vermitteln können: unseren Kindern. Die fünfte Ausgabe der Fachzeitschrift »KISTE« widmet sich einem hochaktuellen Thema. Das Thema Bildung wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet, wobei der elementaren, oft kontrovers diskutierten Bildungsarbeit ein besonderer Schwerpunkt gewidmet wird. Nachdem der Begriff Bildung immer auch sprachlich, kulturell und historisch beeinflusst ist, stellt die Umsetzung der vorschulischen Bildung, Erziehung und Betreuung eine verantwortungsvolle Herausforderung dar. Bildung beginnt mit der Geburt. In den ersten Lebensjahren werden Basiskompetenzen erworben, auf die weitere Bildungsprozesse aufbauen. Daher kommt dem frühen Lernen in der Familie eine enorm wichtige Bedeutung zu. Weiterführend haben Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen als familienergänzende Institutionen den Auftrag, allen Kindern rechtzeitig bestmögliche Bildungserfahrungen und -chancen zu bieten. Dieser bildungspolitische Zugang wurde schon im Oktober 2005 durch die Übernahme der Kinderbetreuung in das Bildungsressort bestätigt. Auch die Gesetzesnovelle zum Steiermärkischen Kinderbetreuungsgesetz betont nun den Bildungsaspekt auch im Titel des Gesetzes. »Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile« (Aristoteles), daher werden sich in der Praxis trotz gesetzlicher Grundlagen und zukünftiger Rahmenpläne täglich neue Herausforderungen ergeben. Fragestellungen, welche sich aus der täglichen Arbeit entwickeln, und die Formulierung der adäquaten Antworten auf diese Fragen sichern letztlich die Weiterentwicklung der Bildungsqualität. In diesem Sinne bedanke ich mich bei allen Gast autorInnen und den MitarbeiterInnen der FA6B für die inhaltliche und redaktionelle Arbeit. Die Inhalte werden die Diskussion rund um die frühkindliche Bildung anregen und bereichern. Allen Kindergarten-/HortpädagogInnen und KinderbetreuerInnen danke ich für die engagierte und professionelle Bildungs- und Betreuungsarbeit und den Erhaltern für die aktive Mitwirkung an der Gestaltung der steirischen Kinderbetreuungslandschaft. Die Kiste Dr.in Bettina Vollath Landesrätin für Jugend, Frauen, Familie und Bildung Dr. Albert Eigner Leiter der Fachabteilung 6B Die Kiste Fachabteilung 6B – Kinderbetreuungsreferat Stempfergasse 4, 8010 Graz, Tel.: 0316/877-0, Fax: 0316/877-4364, E-Mail: [email protected] Funktion Politische Referentin: Leiter der Fachabteilung: Leiter des Kinderbetreuungsreferates: Bau- und Personalförderung: Beihilfen: Fachberatung: Fortbildung: Name Landesrätin Dr.in Bettina Vollath Hofrat Dr. Albert Eigner Elisabeth Janek Daniela Gomboc Mag. Franz Schober Mag.a Regine Draschbacher Renate Kager Sabine Fischer Elfriede Fiedler Maria Dirry Klara Seper Sandra Ully Erich Marko Monika Schwarzbauer Susanne Rainer Waltraud Jörgler Ursula Wolf Peter Wolf Martina Fritscher Mag.a Martina Grötschnig, MC Helene Auer Ilse Freiberger Sonja Gaberz Irmgard Kober-Murg Claudia Kollmann Denise Huber Dr.in Ingeborg Schmuck Karin Fahrengruber Helga Harb Barbara Zechner Inhaltsverzeichnis E-Mail [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] [email protected] Nebenstelle 2500 4118 2099 2100 5499 3684 2696 3673 2103 2102 4119 4643 2187 2101 4642 5902 4641 4641 5902 5488 3686 3681 3639 5489 3639 3639 3680 3682 3683 5487 Inhalt Fachabteilung 6B – Kinderbetreuungsreferat............. Seite 2 Wolfgang Liegle Anfang gut – alles gut? Frühkindliches Lernen zwischen PISA-Fieber und Bildungswahn. ......... Seite 27 Mag. Franz Schober Bildung nach Plan ?................................................. Seite 4 Mag.a Birgit Lacheiner Landesrätin Dr.in Bettina Vollath Geschlechtssensible Pädagogik in der außerschulischen Betreuung...... Seite Ein Bildungssystem, das reagieren kann.................... Seite 5 Rollen ohne Klischees 30 Mag.a Beate Wagner Pädagogik der Vielfalt und Individualität FACHBERATUNG – Fortbildung Bildung betrifft uns alle !......................................... Seite 6 Der Bildungsbegriff oder haben wir »Bildung« begriffen? . ...................... Seite 7 Der Bildungsauftrag von Kinderbetreuungseinrichtungen.......................... Seite 9 Frühkindliche Bildungsprozesse............................... Seite 11 Die PädagogIn im Dialog.........................................Seite 14 Vom Eigen-Sinn der Bildung....................................Seite 16 Dr.in Waltraut Hartmann Der Heilpädagogische Kindergarten als Bildungsund Betreuungseinrichtung............................................... Seite Katica Brčina Gleiche Chancen in der Bildung Verbesserung der Bildungschancen für Kinder mit Migrationshintergrund. .............................................. Seite Bildungskonzepte und Bildungspläne für den Kindergarten................Seite 18 Runder Tisch – Kann man Bildung planen? Eine Psychologin, ein Vater, eine Kindergartenpädagogin, eine Vertreterin der Wirtschaft und eine Vertreterin der Ausbildung im Gespräch.............................................................. Seite 34 Christine Kiffmann-Duller Spielend gebildet Nur gelebtes Wissen ist lebendiges Wissen. ............................. Seite 36 Dr. Werner Tessmar-Pfohl, Dr. Peter Härtel Die Zukunft der Bildung – aus Sicht der Industrie Was hat der Kindergarten mit Industrie zu tun?. ......................... Seite 38 Es war einmal … Bildung braucht Ziele 32 Ein Blick zurück ins 19. Jahrhundert. ..................................... Seite 40 Literaturhinweise.................................................. Seite 42 22 Statistik .............................................................. Seite 44 www.kinderbetreuung.steiermark.at Die Kiste Zum Geleit............................................................. Seite 1 Die Kiste Bildung nach Plan? »Fiele Manna vom Himmel, kein Gebildeter rührte es an, ehe nicht ein Hofrat und vier Professoren in beglaubigtem Attest seine völlige Unschädlichkeit dargetan hätten! Keine Sorge! Von lebenslänglicher Bildung erdrückten Völkern fällt kein Manna vom Himmel; da versiegen die Quellen der Unmittelbarkeit! Was Bildung sein sollte: von den Gipfeln aller Erfahrung, von dem Kronengrad aller Erkenntnis auffliegen mit ungebrochenen Schwungfedern zu eigenstem Erschauen. Das ist sie den wenigen – Erlesenen. Die vielen fallen in die Bildung hinein wie in eine Gletscherspalte, um nie wieder die lieben Sterne zu schauen – sei diese Spalte nun, der Mode der Zeit entsprechend, die Weltanschauung des Aristoteles, die Lehren der Kirchenväter oder die Dogmen der Aufklärer.« (Aus »Unfug des Lebens und des Sterbens« von Prentice Mulford) Bildung ist stets ein Produkt ihrer Zeit, somit einem steten Wandel unterlegen und darf durchaus kritisch betrachtet werden. Zurzeit wird sie sehr auf Grundlage einer Wirtschaftlichkeitsanalyse gesehen und weniger als Weg zu einem erfüllten Leben. Bei aller Unklarheit scheint aber relativ gesichert, dass der Weg zum Lebensglück nicht zwingend über die Quadratwurzel führt. Bildung muss also mehr sein als der Erwerb nützlichen Wissens oder entsprechender Fertigkeiten, mehr als eine Gletscherspalte, die unseren Horizont begrenzt anstatt ihn zu erweitern. Einigkeit besteht auch darin, dass Kinderbetreuungseinrichtungen Kindern den Zugang zur Bildung zu ermöglichen haben. Das will auch der Gesetzgeber so. Die konkreten Inhalte sind schon weniger klar. Dazu kommt, dass parallel zur Ölkrise im 30-Jahre-Zyklus die Bildungs krise auftritt und uns nach den siebziger Jahren beide wieder heimsuchen. Leitartikel Also erschallt der Ruf nach einem Plan. Ein solcher kann auch wirklich sinnvoll sein, wenn er die Natur der Menschenkinder berücksichtigt. Und diese hat im Laufe der Evolution das Spiel als effizienteste Lernform geschaffen und es zu einer der nützlichsten Handlungen überhaupt gemacht. Andernfalls wäre es schon längst ausgestorben. Da nicht nur die Methoden, sondern auch die Inhalte von Bedeutung sind, werden diese gewiss vielfältig sein. Jedenfalls aber müssen sie zur Fähigkeit und zur Lust am »AHA-Erlebnis« führen. Weil fast alles Nötige ohnedies bereits erforscht und vorhanden ist und in der Arbeit der PädagogInnen wie die Benutzeroberfläche eines Computers stets im Hintergrund unsichtbar mitläuft, sind auch keine Wundertaten nötig. Eine Beschreibung der Bildungsinhalte und Methoden würde so gesehen primär dem Bekenntnis zu gemeinsamen Werten dienen und diese für alle sichtbar und verbindlich machen. Ob und in welcher Weise dies sinnvoll ist, das soll in dieser Ausgabe der KISTE hinterfragt werden, ganz ohne »PISA und Co«-Hysterie. Mag. Franz Schober Leiter des Kinderbetreuungsreferates Ein Bildungssystem, das reagieren kann Landesrätin Dr.in Bettina Vollath über einen Bildungsplan, der ein Rahmenprogramm vorgibt, pädagogische Freiheit aber zulässt, und die Notwendigkeit einer bundesländerübergreifenden ExpertInnenkonferenz. Was brauchen Kinder wirklich? Was wünschen sich Eltern von Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen? Wie »geschieht« Bildung? Fragen, die unterschiedliche Antworten zulassen, weil Menschen unterschiedlich sind. Die Ansichten darüber, was denn nun unter Bildung zu verstehen ist, variieren. Als Bildungslandesrätin der Steiermark stehe ich für folgende Grundaussagen: wird entkräftet, indem das Spiel als pädagogisches Grundprinzip gelebt wird. •Ü bergänge sind durch enge Zusammenarbeit der Bildungsinstitutionen qualitätsvoll aufeinander abzustimmen. • Alle Orte sind Bildungsorte! Kompetenzen, Wissen und Hal•D ie Familie (in jeder Form) ist der erste, tungen werden an unterschiedlichsten Orten erworben. Kinder umfassendste, am längsten und am stärks lernen ständig – wo immer sie sind. Bildungsangebote können ten wirkende Betreuungs-, Erziehungs- und daher nicht isoliert von den Lebenswirklichkeiten der Kinder Bildungsort. Innerhalb des familiären Alltags betrachtet werden. können Kinder grundlegende Bindungsfähigkeiten und BasisEin Rahmenplan, der der Orientierung dient kompetenzen entBildung ist das, was übrigbleibt, wenn wir und »pädagogische Freiheit« zulässt wickeln, welche auf vergessen, was wir gelernt haben. Die Entwicklung eines nationalen Bildas spätere Leben (Hartmut von Hentig) dungsplans für Kinderbildungseinrichentscheidenden tungen wird seit Jahren diskutiert. Laut Einfluss haben. DaOECD-Studie »Starting Strong« (2006) würde das System der frühher messe ich in der Steiermark der Elternkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung von einem gemeinbildung, der Stärkung der elterlichen Komsamen »Bildungsplan« profitieren. Da das Kinderbetreuungswesen petenz (dem ElternSEIN) einen besonderen in der Kompetenz der Länder liegt, ist die Erarbeitung eines Stellenwert bei. nationalen Rahmenplanes nur durch eine Beteiligung aller Länder • Familienergänzend wird in Kinderbildungszu erreichen. Daher ist die Durchführung einer bundesländerüberund -betreuungseinrichtungen wertvolle, elegreifenden ExpertInnenkonferenz ein wichtiges Ziel. Diesbezüglich mentare Bildungsarbeit geleistet und Chanwurden bereits erste Schritte gesetzt. cengleichheit gefördert. In enger Zusammenarbeit mit Eltern werden Basiskompetenzen Ich bin mir sicher, dass die Bildungsverantwortlichen im Bundesfür schulische Erfolge und ein erfolgreiches ministerium sowie in den Bundesländern an dieser länderüberLeben erweitert. Der strukturellen Qualität greifenden Verständigung zur elementaren Bildung interessiert bezüglich Raum, Zeit und Person kommt besind und eine gemeinsame Vorgehensweise zur Erstellung eines sondere Bedeutung zu. österreichweit einheitlichen Rahmenplanes gefunden wird, welcher auch unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern berück• Die Sorge, dass frühe Bildung eine »Verschusichtigt. lung« der vorschulischen Bildung bedeutet, Die Kiste Lernprozesse in der frühen Kindheit und damit die elementare Bildung stehen im Mittelpunkt zahlreicher bildungspolitischer, kontrovers geführter Diskussionen. Kinder wachsen heute in einer sozial komplexen, zunehmend hoch technisierten und kulturell vielfältigen Welt auf. Die Frage, wie das Bildungssystem auf diese und zukünftige Herausforderungen reagieren kann bzw. muss, erfordert letztlich auch eine klare politische Antwort! Die Kiste Bildung betrifft uns alle! Den Begriff »Bildung« auf den Punkt zu bringen« kann nicht mit wenigen Worten gelingen. In einer Umfrage im Frühjahr 2007 bei steirischen LeiterInnen von Kinderbetreuungseinrichtungen zur Einführung eines steiermarkweiten Bildungsplanes sprachen sich von den 532 befragten LeiterInnen nur 2% strikt dagegen aus, 37% hatten dazu keine Meinung und immerhin 45% zeigten sich positiv gestimmt. Bildung beginnt nicht erst in der Schule, sondern schon mit der Geburt. Somit sind sowohl das Elternhaus als auch die elementare und außerschulische Kinderbetreuung für die »Bildungsbedingungen« mitverantwortlich. Daher sind die nachfolgenden Beiträge des Teams der Fachberatungs- und Fortbildungsstelle als eine Möglichkeit der Auseinandersetzung mit dem Thema zu verstehen, um einen Zugang zum Thema Bildung beziehungsweise Bildungspläne im Sinne einer Qualitätsentwicklung in den Einrichtungen zu ermöglichen. Es ist viel von der Institution Kindergarten die Rede, natürlich sind auch die anderen Einrichtungsformen wie Kinderkrippe, Hort, Alterserweiterte Gruppe und Kinderhaus sowie das heilpädagogische System mit gemeint. Im Spannungsfeld zwischen Bildung und Betreuung In den Artikeln geht es zunächst um eine Annäherung an den vielschichtigen Bildungsbegriff, es geht um den Bildungsauftrag, wie er im Steiermärkischen Kinderbildungs- und-betreuungsgesetz definiert ist und in den Einrichtungen gelebt wird (oder gelebt werden soll). Eine Voraussetzung dafür ist die Auseinandersetzung mit den Bildungsprozessen der Kinder, mit den Voraussetzungen, unter denen das »kindliche Gehirn« lernt und was in den Einrichtungen dafür getan werden kann. Die vielfältige Rolle der PädagogIn bezieht sich nicht nur auf den Umgang mit den Kindern, sondern auch mit den Eltern, mit dem Team und dem Erhalter und dem gesamten Kontext. Da ist die PädagogIn quasi »NetzwerkarbeiterIn«. Und bei der Einführung eines Bildungsplanes in der Steiermark geht es vorrangig um die Implementierung und Umsetzung und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen und Ressourcen. Dies ist durchaus als Herausforderung zu sehen rund um das Spannungsfeld zwischen Bildung und Betreuung. Das Magazin zeigt unterschiedliche Positionen zum Thema »Bildungspläne« auf. Neben den internen Beiträgen wurden Artikel von GastautorInnen aus unterschiedlichen Fachbereichen bereitgestellt, die sich nicht zwingend mit der Meinung des Kinderbetreuungsreferates decken müssen. Die AutorInnen der nachstehenden Beiträge: Das Team der Fachberatungs- und Fortbildungsstelle im Kinderbetreuungs referat der FA6B, zuständig für Aufsicht, Fachberatung und Fortbildung für das Kinderbetreuungspersonal in der Steiermark • Leiterin der Fachberatungsstelle: Mag.a Martina Grötschnig, MC •P ädagogische Fachberaterinnen: Helene Auer Ilse Freiberger Sonja Gaberz Irmgard Kober-Murg Claudia Kollmann • L eiterin der Fortbildungsstelle: Dr.in Ingeborg Schmuck Einigkeit besteht seitens des Kinderbetreuungsreferates darin, dass Bildung in den steirischen Kinderbetreuungseinrichtungen nicht beliebig sein kann, sondern sich an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren muss. Wesentlich ist es, den PädagogInnen einen Leitfaden für die Praxis in die Hand zu geben, um in Bezug auf die unterschiedlichen und sich ständig wandelnden familiären und gesellschaftlichen Strukturen im Sinne der Kinder handlungsfähig zu sein. Ob wir künftig von Bildungsplänen, Programmen oder Positionspapieren sprechen werden, ändert nichts an der notwendigen Orientierung am Wohl des Kindes, an der Rolle der PädagogIn und an der Transparenz des Erziehungs- und Bildungsgeschehens gegenüber den Eltern. Fachberatung – Fortbildung Der Bildungsbegriff oder haben wir »Bildung« begriffen? Bildung ist in aller Munde. Bildung scheint das Allheilmittel der heutigen Gesellschaft zu sein. Kein politisches Statement ohne die Betonung der Notwendigkeit, in Bildung zu investieren. Welchen Stellenwert nimmt die Bildung jedoch tatsächlich ein? Von welcher Bildung wird gesprochen? Wenn man den Begriff »Bildung« in die Internet-Suchmaschine »Google« eingibt, erntet man 102.000.000 Treffer! Diese Zahl ist ein Indiz dafür, wie inflationär der Begriff »Bildung« verwendet wird. Viele Professionen unterschiedlichster Fachdisziplinen haben schon versucht eine gültige Antwort für die Definition »Bildung« zu finden. Wirtschaft immer wieder betont wird. Konrad Paul Liessmann skizziert in diesem Zusammenhang in seinem Buch »Theorie der Unbildung« den flexiblen Menschen, der, lebenslang lernbereit, seine kognitiven Fähigkeiten den sich rasch wandelnden Märkten zur Disposition stellt. Liessmann zeichnet ein nüchternes Bild des Umgangs mit dem Begriff »Bildung«. Wissen und Bildung sind demnach en vogue, aber eher im Sinne einer Reform des Bildungswesens, die auf die Interessen der Industrialisierung und Ökonomisierung des Wissens abzielt (vgl. 2006, S. 7 f). Eines der Pa»Wo keine Freude ist, ist auch keine Bildung, Liessmann radoxien der Gegenwart lautet: »Je mehr und Freude ist der alltägliche Abglanz der Wert des Wissens beschworen wird, des Glücks« (Hartmut von Hentig) desto schneller verliert das Wissen an Wert« (ebd. 2006, S. 9). Auch an dieser Stelle soll und kann keine Antwort gefunden werden. Unbestritten bleibt aber, dass Bildung auch in Kinderbetreuungseinrichtungen stattfindet und eine Ergänzung und Fortsetzung zur biografischen Bildung im Elternhaus und im unmittelbaren sozialen Umfeld ist. Es geht hier um mehr als bloße Wissensvermittlung. In einem kritischemanzipatorischen Verständnis braucht es Bildung als einen Prozess des sich selbst Entwerfens, Erprobens und Wagens. Immer im Wissen um den Einfluss bisheriger Erfahrungen, bisherigem Erlebtem, der Erziehung und Mitgestaltung durch die Umwelt. Bildung so verstanden als Suchbewegung, als Erkenntnisprozess und Prozess des Verstehens braucht andere Rahmenbedingungen und ein gesellschaftliches Menschenbild, welches sich an einem in sich ruhenden, selbstsicheren und selbstbewussten, an sich arbeitenden, sich selbst hervorbringenden – nämlich sich bildenden – Menschen orientiert (vgl. Lenz 2007, S. 3 f). Dies mag oft im Widerspruch zu jener Bildung stehen, die sich nach ökonomischen Interessen ausrichten sollte, wie es vor allem seitens der Die Wissensgesellschaft Der mittlerweile ebenfalls inflationär gebrauchte Begriff der »Wissensgesellschaft« deutet nicht auf das hohe Gut der Bildung in einer Gesellschaft hin. In der (Wissens-)Gesellschaft lernt niemand mehr, um etwas zu wissen, sondern um des Lernens selbst willen. Denn alles Wissen, so das Credo ausgerechnet der viel zitierten Wissensgesellschaft, veraltet rasch und verliert seinen Wert. »Ständiges Lernen wird zu einer Notwendigkeit, genauer, zu einem Zwang, aber niemand weiß genau, was eigentlich wozu gelernt werden soll. Und dies vor allem dann, wenn nicht nur jene permanenten Umschulungen gemeint sind, die eine Flexibilisierung der Arbeit einfordert, sondern vom ›Faktor Bildung‹ die wohltönende Rede ist« (ebd. 2006, S. 33). Der in rohstoffarmen Ländern wichtigste Produktionsfaktor »modernes Wissen« muss schnell und effektiv umgesetzt werden. Und je effektiver das Wissen umgesetzt wird, desto größer sind die Wettbewerbsvorteile angesichts der Veralterung des ökonomisch verwertbaren Wissens. Diese Vergesellschaftung von Bildung, die bedarfsgerechte Bildungsplanung, die sich gesellschaftspolitisch einsetzen lässt, erzeugt Orientierungslosigkeit. Die Kiste Kinder brauchen ihre eigenen Erfahrungen Die Kiste Der UNESCO-Weltbericht »Bildung für alle« 2007 (EFA Global Monitoring Report 2007) Ziel 1: Frühkindliche Förderung und Erziehung soll ausgebaut und ver bessert werden, insbesondere für benachteiligte Kinder Ziel 2: Bis 2015 sollen alle Kinder – insbesondere Mädchen, Kinder in schwierigen Lebensumständen und Kinder, die zu ethnischen Minderheiten gehören – Zugang zu unentgeltlicher, obligatorischer und qualitativ hochwertiger Grundschulbildung erhalten und diese auch abschließen. Bildung ist ein Prozess des Verstehens Ziel 3: Die Lernbedürfnisse von JuDie Bildungsdebatten der Gegenwart sind von großen Widersprüchen gekennzeichnet. Während die einen noch von Fördern und sozialem Lernen reden, fordern andere längst wieder das Fordern, im Sinne von Wettbewerb, Konkurrenz, Tests, internationalen Rankings, Evaluationen und Qualitätssicherungsmaßnahmen (vgl. Liessmann 2006, S. 52). »Nicht einmal ein diffuser Bildungsbegriff, schon gar nicht ein gesellschaftspolitisches Konzept von Bildung zeichnet sich hinter gegenwärtiger Bildungspolitik ab, sondern diese lässt sich auf einen einzigen Satz reduzieren: Wo stehen wir (auf der Rangliste)?« (ebd. 2006, S. 74). Im Sinne der Kinder handeln Um sich diesem »Diktat der Ranglisten« nicht zu unterwerfen, ist es notwendig, dass sich die frühkindlichen Bildungsinstitutionen stark machen und auch Eltern professionell beraten und stärken, sich diesen Zwängen nicht zu beugen, sondern im Sinne der Kinder zu handeln und auf das Recht der Kinder zu pochen, eigene Erfahrungen machen zu können und auf individuelle Entwicklungsverläufe einzugehen. Ziel muss die Orientierung an den Bedürfnissen des einzelnen Kindes sowie die Förderung der Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit sein. »Bildung ist eine verantwortungsvolle Haltung zur Welt, zur Gesellschaft, zu sich selbst. Zur Bildung gehört die Reflexion der eigenen Wirklichkeitskonstruktion, das Bewusstsein der Relativität der eigenen Weltbilder, die Aufgeschlossenheit für fremde und neue Perspektiven, die Verantwortung für das eigene Denken, ein Interesse an der Welt …« (Siebert 2005, S. 41). Auch in der Frage nach der Planbarkeit von Bildung geht es weniger um Bildungsstandards, sondern vielmehr um den intui- Bildungsbegriff gendlichen sollen durch Zugang zu Lernangeboten und Training von Basisqualifikationen (life skills) abgesichert werden. Ziel 4: Die Alphabetisierungsrate unter Erwachsenen, besonders unter Frauen, soll bis 2015 um 50% erhöht werden. Der Zugang von Erwachsenen zu Grund- und Weiterbildung soll gesichert werden. Ziel 5: Bis 2015 soll das Geschlechtergefälle in der Primar- und Sekundarbildung überwunden werden. Bis 2015 soll Gleichberechtigung der Geschlechter im gesamten Bildungsbereich erreicht werden, wobei ein Schwerpunkt auf der Verbesserung der Lernchancen für Mädchen liegen muss. Ziel 6: Die Qualität von Bildung muss verbessert werden. tiven Plan im Kopf. Dadurch kann die ständige Orientierung am »Bild des Kindes als entdeckendes, forschendes und neugieriges Kind« gewährleistet werden. Dieses Bild des Kindes und die entsprechende Haltung als erwachsene BegleiterInnen sollte in Selbstbildungsprozessen laufend reflektiert und neu hergestellt werden. Der Bildungsauftrag von Kinderbetreuungseinrichtungen Bildung, Erziehung und Betreuung auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Das Steiermärkische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz beschreibt in den Paragraphen 4 und 5 den Aufgabenbereich der Kinderbetreuungseinrichtungen und versucht dabei, die Aspekte »Bildung, Erziehung und Betreuung« zu vereinen. Was sind nun die Aufgaben der Kinderbetreuungseinrichtungen, die in der neuesten Literatur als Bildungsauftrag bezeichnet werden? 7. b ei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit den Eltern (Erziehungsberechtigten) bzw. den LehrerInnen der Kinder in geeigneter Weise möglichst eng zusammenzuarbeiten. § 5 Zusätzliche Aufgaben der einzelnen Arten der Kinderbetreuungseinrichtungen 1. K inderkrippen haben die Aufgabe, unter Berücksichtigung der individuellen Eigenart der Kinder deren soziale, emotionale, motorische und kognitive Entwicklung zu unterstützen. 2. K indergärten haben unter Ausschluss jedes schulartigen Unterrichts auf den Eintritt in die Schule vorzubereiten. 3. H orte haben Schulkindern außerhalb der Unterrichtszeit folgende Gelegenheiten zu geben: • ihre mit dem Schulbesuch verbundenen Pflichten zu erfüllen • ihren Neigungen nachzugehen § 4 Gemeinsame Aufgaben aller Kinderbetreuungseinrichtungen Alle Kinderbetreuungseinrichtungen haben: 1. d ie soziale, emotionale und kognitive Entwicklung jedes Kindes individuell zu unterstützen; 2. nach den gesicherten Erkenntnissen und Methoden der Pädagogik unter besonderer Berücksichtigung einer altersgerechten Bildungsarbeit die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit jedes Kindes und seine Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen, selbstständigen und mündigen Lebens führung in der Gemeinschaft zu fördern; 3. a uf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes einzugehen, insbesondere auch die Familiensituation zu berücksichtigen; 4. d ie Familienerziehung bis zur Beendigung der Schulpflicht zu unterstützen und zu ergänzen (Subsidiarität); 5. Integrationsaufgaben im Hinblick auf Kinder mit besonderen Erziehungsansprüchen oder auf interkulturelle Aspekte zu übernehmen 6. z u einer grundlegenden religiösen und ethischen Bildung beizutragen; • ihre Begabungen zu fördern und •d ie SchülerInnen zu selbstständiger Urteilsfindung und zu sozialem Verständnis zu führen. 4. K inderhäuser und Alterserweiterte Gruppen haben die Aufgabe, die Kinder altersübergreifend zu integrieren sowie Kinder im Kindergartenalter unter Ausschluss jedes schulartigen Unterrichts auf den Eintritt in die Schule vorzubereiten. Für Schulkinder haben sie die Aufgaben des Abs. 3 zu übernehmen. 5. T agesmütter/Tagesväter haben die Aufgabe, für ein positives, auf das Lebensalter der Kinder abgestimmtes Umfeld zu sorgen. 6. D ie Heilpädagogischen Kindergärten und Heilpädagogischen Horte haben neben den im § 4 und in den Abs. 1 bis 4 festgelegten allgemeinen Aufgaben Kinder mit besonderen Erziehungsansprüchen, mit und ohne Bescheide nach dem Behindertengesetz, LGBl. Nr. 26/2004, in der jeweils geltenden Fassung, nach anerkannten heilpädagogischen Grundsätzen, insbesondere in den verschiedenen Integra tionsformen, in ihrer Entwicklung zu fördern. 7. D ie Aufgaben der einzelnen Arten der Kinderbetreuungseinrichtungen können von der Landesregierung durch Verordnung als didaktisch-methodischer Rahmen für die Betreuungsarbeit näher ausgeführt werden. Stand: 01.09.2007 Die Kiste Seit der Veröffentlichung der OECD-Bildungsstudien, wie PISA-Studie oder Starting Strong, neuester Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie und Hirnforschung sowie internationaler Reformen im Elementar- und Primärbereich steht der Bildungsauftrag in den Kinderbetreuungseinrichtungen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Familienerziehung unterstützen Die Grundlage jeglicher Bildung wird innerhalb der Familie gelegt. Die Familie ist ein wichtiger Bildungsort, in der wesentliche Ressourcen wie Zuwendung, Zeit und Zärtlichkeit sowie positive Einstellungen und Wertorientierungen mitgegeben werden. Kinderbetreuungseinrichtungen sollen die Familienerziehung niemals ersetzen, aber bestens unterstützen und ergänzen. Die Kiste Die Basis der Bildungs-, Erziehungsund Betreuungsarbeit in Kinderbetreuungseinrichtungen stellt die poKinder forschen, entdecken und gestalten ihre Welt sitive Gesamtentwicklung der Kinder dar. Ein Kind entdeckt, erforscht und gestaltet seine Welt und die zu ihr gehörigen Dinge. Man kann deshalb festhalten, dass Bildung als Selbsttätigkeit des Kindes zur Aneignung von Welt zu verstehen ist und Erziehung als Tätigkeit des Erwachsenen mit dem Ziel, alle Kräfte des Kindes dafür anzuregen. Die Aufgabe der PädagogIn muss es sein, die Bildungsprozesse der Kinder zu ermöglichen, zu unterstützen und zu erweitern oder herauszufordern. • ein wahrnehmendes Beobachten als Grundlage eines Verständigungsprozesses, der sich darum bemüht, die Perspektive des Kindes mit einzubeziehen • Formen der Verständigung, durch die sowohl die Sinnperspektive des Kindes wie auch das des sozialen Umfeldes und der sachlichen Inhalte aufeinander abgestimmt sind • eine Didaktik forschenden Lernens, welche die Fragestellung des Kindes aufnimmt und Wege ausfindig macht, auf welchem das Kind sein Weltbild entwickeln, differenzieren und mit kulturellen Beständen erweitern kann • eine PädagogIn/BetreuerIn als kompetente Partnerin in kindlichen Entwicklungsprozessen. Beobachten, Dokumentieren und Planen Um diesem Bildungsauftrag als PädagogIn gerecht werden zu können, werden stärker als bisher die Beobachtung und Dokumentation betont. Weil kein einheitlicher, für alle Kinder gleichermaßen »geltender Lehrplan« für Kinderbetreuungseinrichtungen gewollt ist, sucht man nach neuen Wegen der individuellen Bildungsprozesssteuerung. Dazu wird empfohlen, die Lernwege und -erfolge der Kinder sorgfältig zu dokumentieren. Jedes Kind hat Stärken, diese müssen erkannt und gefördert werden. Wesentliche Unterschiede gibt es aber nicht nur im Hinblick auf die Beobachtungen erTalente, sondern auch auf die Herkunft der möglichen die ReflexiKinder. Im Sinne der Chancengleichheit Der Weg, den ich zu meinem Ziel hin gilt es, schon in der Kinderbetreuungseineingeschlagen habe, ist weder der kürzeste on der pädagogischen Arbeit, verändern den richtung Interkulturalität und Integration zu noch der bequemste; für mich jedoch ist leben. Interkulturelle Erziehung und Intees der beste, weil er mein eigener Weg ist. Blickwinkel, sind die Grundlage für die weigration verlangen Offenheit, Neugierde und (Janusz Korczak) teren Planungsarbeiten Verständnis für andere Kulturen, Einstelund eine professionelle lungen und Gewohnheiten. Gerade Kinder Basis für Elterngespräche. Die Dokumentation, gehen neugierig jeden Tag auf Entdeckungsreise, sie wollen verstehen ein professionelles Werkzeug der PädagogIn, kann und sie verständigen sich mit den anderen im gemeinsamen Spiel. festhalten, wie sich Bildungsprozesse bei Kindern Im Spiel werden alle Formen körperlicher und geistiger Erfahrung, gestalten und weiterentwickeln. Daraus können sprachlichen Denkens und bildhafter Vorstellung benutzt und parallel Ideen entstehen, wie Bildungsprozesse durch eingesetzt. Das Spiel bestimmt den Rhythmus des subjektiven Erfahneue Impulse weitergeführt werden. rungsprozesses, wobei jedes Kind seinen eigenen Rhythmus hat. Eltern sind die ExpertInnen ihrer Kinder Ein Erfolgsgarant für die positive Entwicklung der Kinder ist die Zusammenarbeit aller im System Beteiligten, Eltern als die ExpertInnen ihrer Kinder und im Sinne gelungener Übergänge innerhalb der Bildungsbiografie des Kindes, die Kooperation mit den pädagogischen Fachkräften der Schule. Einen Bildungsauftrag kennzeichnen grundlegende Elemente: • ein Bild vom Kind, das seine Selbstständigkeit anerkennt und zur Grundlage der pädagogischen Handlungen wird Bildungsauftrag 10 Wichtig ist, sich immer wieder zu fragen: Was biete ich den Kindern und was biete ich den Kindern individuell zusätzlich an, damit sie ihre Erfahrungen weiterentwickeln können? Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Bildungsauftrag von Kinderbetreuungseinrichtungen in der ganzheitlichen Förderung besteht. Bildung ist ein prozesshaftes Geschehen und fördert ein Hineinwachsen in die kulturelle und soziale Umwelt. Bildung ist stete individuelle und gesellschaftliche Horizonterweiterung. N Frühkindliche Bildungsprozesse »Fast alles, was wir gelernt haben, wissen wir nicht. Aber wir können es.« Dieses Zitat des deutschen Neurowissenschaftlers Manfred Spitzer passt gut zum vorliegenden Thema: »Wie lernen Kinder?« Gerd E. Schäfer hat sich in den letzten Jahren intensiv mit Prozessen frühkindlicher Bildung auseinandergesetzt. In seinem Buch »Bildungsprozesse im Kindesalter« sind 10 Thesen zur früh kindlichen Bildung formuliert: Frühkindliche Entwicklung • ist in erster Linie Selbstbildung • sucht nach Bedeutungen • ist zunächst ästhetische Bildung • ist komplex • beruht auf Beziehungen • erzeugt innere Bilder • ist notwendig kreativ • hat mit innerer Verarbeitung zu tun • ist ein sozialer Prozess •b raucht die Unterstützung des Erwachsenen Neuere Forschungsergebnisse beschreiben, dass Kinder Lern expertInnen, experimentierfreudig, mutig im Umgang mit Neuem oder auch Fremden sind. Sie wollen wissen, wovon und womit sie umgeben sind, und wollen eigene Lernerfahrungen machen. Kinder sind ausdauernd, kreativ, neugierig und hoch motiviert, wenn ihr Interesse an einer Sache oder einer Situation geweckt ist. Bildungsprozesse sind Selbstbildungsprozesse In dem Buch von Laewen und Andres (2002): »Forscher, Künstler, Konstrukteure« ist u. a. zusammenfassend formuliert: »Bildung ist also die zentrale Aktivität des Kindes, über die es sich die Welt aneignet.« Aneignung von Welt bedeutet, dass Kinder sich über ihre Sinneserfahrungen und ihr Handeln, »ein Bild von der Welt machen«, innere Strukturen entwickeln, auf welchen alles spätere Denken und Fühlen der Kinder aufgebaut wird. »Aneignung von Welt« ist ihre Aktivität, ihre Leistung, die niemand für sie übernehmen kann. Nach diesem Verständnis sind Bildungsprozesse von Anfang an und immer Selbstbildungsprozesse. Das sich selbst bildende Subjekt organisiert und steuert diese Prozesse. Das Kind wird zum Konstrukteur seiner Welt und seiner selbst. Aus der Begegnung mit anderen Menschen und der umgebenden Wirklichkeit erweitert und differenziert es seine Erfahrungen. Die Aufgabe der Erwachsenen ist es, die Kräfte des Kindes »von außen« anzuregen. Die Säuglingsforschung betont deshalb immer wieder die Bedeutung der Sinnesentwicklung als Anfang des Wissens. Über die 11 Die Kiste Kinder sind LernexpertInnen, experimentierfreudig, mutig im Umgang mit Neuem und mit dem Fremden. Die Kiste »Zeitfenster« im Gehirn Im »Zeitfenster« lernen Kinder bestimmte Fähigkeiten besonders schnell Sinne wird die Außenwelt wahrgenommen und weiterverarbeitet. Drei ausgewählte Beispiele sollen die Leistungen von Neugeborenen aufzeigen. Riechen und Schmecken Schon Neugeborene können zwischen Gerüchen unterscheiden, insbesondere zwischen positiven und negativen, und zeigen dementsprechend eher positive oder negative Gesichtsausdrücke bzw. annähernde oder abwehrende Tendenzen. Nach einer Lebenswoche unterscheiden Säuglinge den Brustgeruch ihrer Mutter von dem fremder Frauen. Ein Blick auf die wissenschaftlichen Untersuchungen der frühkindlichen Entwicklung bestätigt, wie wichtig frühkindliche Sinneserfahrungen für die Struktur und Entwicklung des Gehirns sind. Das Zusammenspiel von Milliarden von Gehirnzellen braucht immer neue Reize und Anregungen. Je mehr und intensiver diese Inputs aufgenommen werden, desto dichter werden auch neuronale Verbindungen geknüpft. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die »sensiblen Phasen« oder »Zeitfens ter«, in denen Kinder bestimmte Fähigkeiten besonders schnell lernen. In solchen Entwicklungsphasen werden neuronale Schaltkreise angelegt und miteinander verknüpft, und zwar so dicht und leistungsfähig, wie es später nicht mehr möglich ist. Die emotionale, sprachliche, logische, motorische, aber auch musikalische Entwicklung hängt also entscheidend davon ab, in welcher Zeit ein Kind Anregung und Förderung bekommt. Sinnesreize schaffen neuronale Verbindungen Zunächst funktioniert das Gehirn des Neugeborenen nach einem »Grundbauplan« – einer Art Überlebensprogramm für Atmung, Herzschlag, Körperwärme und Bewegungsreflexe, der durch Hören die Gene festgelegt Der Hörsinn ist bereits ab der 27. wird. Dazu kommt Schwangerschaftswoche gut entwickelt. Kindern einen anregenden Raum und Zeit das, was bereits im In einer Studie wurden Mütter gebeten, zum Ausprobieren geben. Mutterleib begonnen in den letzten Schwangerschaftswochen hat: die Vernetzung eine Geschichte laut vorzulesen. Ein paar und Feinverschaltung Tage nach der Geburt hörten die Babys des Gehirns. Diese wird angestoßen durch bevorzugt die vertraute Geschichte gegenüber einer anderen. Dies Reize und Impulse aus der unmittelbaren Umist ein Nachweis für die Fähigkeit, auditive Informationen aus dem welt des Kindes. Bleiben diese aus, so werden vorgeburtlichen Zeitraum für eine längere Zeit zu speichern. die zahlreichen, im Überschuss angelegten Verbindungen nicht aktiviert und verkümmern. Sehen Nervenzellen, die jedoch durch visuelle, audiDie meisten Erkenntnisse wurden über die Entwicklung der Sehtive oder taktile Sinnesreize angeregt werden, schärfe gewonnen. Sie ist nach der Geburt sehr schwach. Nach bilden immer neue und stabilere Verbindungen zwei bis drei Monaten kann der Säugling feine Details erkennen. untereinander. Sensible Phasen in der EntwickNach sechs Monaten hat sich die Sehschärfe stark verbessert und lung des Kindes lösen einen ungeheuren Schub mit ca. einem Jahr reicht die Sehschärfe fast an das Niveau des an Verbindungen aus. Ein hoch komplexes Erwachsenen heran. Säuglinge betrachten bereits ein paar Wochen System von Informationsschaltstellen, den Synach der Geburt manche Dinge länger. Es gibt zahlreiche Hinweise napsen, kann entstehen. Allerdings nur, wenn dafür, dass Gesichter und gesichtsähnliche Skizzen gegenüber Sinnesimpulse diesen gewaltigen Lernprozess anderen Konfigurationen bevorzugt werden. Über das Sehen von unterstützen. Farben ist bekannt, dass mit vier Monaten zwischen Rot, Blau und Grün unterschieden wird. Säuglinge bevorzugen dabei wie die meisten Erwachsenen Rot und Blau gegenüber Grün und Gelb. (Materialien der J. W. Goethe Universität Frankfurt am Main, Institut für Psychologie, September 2001) Bildungsprozesse 12 Das eben Dargestellte kann nun als Chance oder als Gefahr verstanden werden. Die Chancen liegen darin, dass das menschliche Gehirn ein ungeheures Entwicklungspotenzial besitzt Dem entgegen ein Satz von Welzer (2005): »Lernen ist ein sich selbst organisierender Vorgang, der eher gestört als gefördert werden kann.« Welzer hält zu viele Kontroll- und Optimierungsphasen hinsichtlich der Gehirnentwicklung für eine Fehlkonzeption. Zusammenfassend lässt sich nun Folgendes sagen: Was Kinder brauchen, sind Umwelten, •d ie sie zu vielfältigen Erfahrungen herausfordern, •d ie ihnen Lernen unter den oben geschilderten Bedingungen ermöglichen, •d ie Demotivation verhindern (Kinder sind von Natur aus motiviert, sie können gar nicht anders, so Manfred Spitzer), • die Sicherheit und Orientierung bieten. Die Balance finden Zwischen kindlicher Eigenaktivität und erzieherischem Handeln muss stets eine Balance gefunden werden. Christiane Schweitzer, Erzieherin, Fachkraft für den Situationsansatz, schreibt: »Als Expertin für Bildung sehe ich meine Aufgabe darin, Kindern Mut zu machen, das zu tun, was sie ohnehin tun würden: hinterfragen, entdecken, nicht aufgeben und anschließend eine Antwort finden. Ich möchte folgendes Zitat unterstützen: »Lernen entsteht nicht in den Kopf hinein, sondern aus ihm heraus.« Wir sollten uns in den Kindertagesstätten darauf konzentrieren, Kindern einen anregenden Raum und Zeit zum Ausprobieren zu geben und uns mit ihnen auf einen gemeinsamen Bildungsweg zu begeben. Durch vorschnelles Handeln, auch wenn es im Interesse der Kinder erscheint, nehmen wir den Kindern die Chance auf eigenständiges Lernen. Die Balance zwischen Input, Struktur und dem eigenständigen Bildungsweg jeden Kindes ist eine Herausforderung für uns ErzieherInnen, diese bedarf des ständigen Dialogs und erfordert eine Haltung, die Lehren und Lernen in Einklang bringen will.« Stolpersteine: Wir Erwachsene haben »das Thema« im Kopf, gehen zielgerichtet didaktisch auf ein Ergebnis zu; für Kinder ist der Lernweg entscheidend, und dafür benötigen sie Zeit. Sie sind erst dann zufrieden, wenn sie sich ihre eigenen Fragen beantworten. •S ie genießen, eigene Antworten selbst zu suchen und Erkenntnisse selbst zu finden. •G erade als Gruppe haben sie eine Menge von Strategien parat, mehr zu erfahren. •S ie wissen von gespeichertem Wissen (in Büchern, im Internet usw.), wenn sie es selbst noch nicht bedienen können, sprechen sie Erwachsene um Hilfe an. • Sie haben schon einen Eindruck von der Komplexität der Welt, von ExpertInnenwissen und sollten ermutigt werden, sich Unterstützung zu holen und »MeisterInnen« zu befragen. • Immer wissen und können Kinder Verschiedenes und können einander zunächst weiterbringen (altersgemischte Gruppe) • Immer spielen Bildungserfahrungen, gegenseitiges Vertrauen eine große Rolle. Manchmal ist ein Sachverhalt auch deshalb so fesselnd, weil die Person, die ihn vertritt, für das Kind wichtig ist. •P ädagogInnenkunst ist es zu beobachten, wann Kinder mehr wissen möchten als sie selbst herausfinden, und zu erspüren, wann ihr eigener Prozess ins Stocken gerät. »Wüchsen die Kinder fort, wie sie sich andeuten, wir hätten lauter Genies«, bemerkt Goethe in Dichtung und Wahrheit im Hinblick auf das verschwenderische Entwicklungspozential von Kindern in frühen Jahren. Der »Horizont« ist durchlässig. Die Fülle des Vorhandenen spricht zum Kind von der Macht des Möglichen. Wer angefangen hat in der Welt zu sein, ist unterwegs zu einem Zuwachs an Welt. Kindern einen anregenden Raum geben 13 Die Kiste und auch im Erwachsenenalter noch über eine enorme Veränderungsfähigkeit verfügt. Eine Gefahr könnte sein, dass das Potenzial als Verpflichtung zur übertriebenen Förderung verstanden wird. Die Kiste Die PädagogIn im Dialog Die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit stellt eine Grundlage für die Umsetzung der Qualität im Alltag der Kinderbetreuungseinrichtung dar. Die Rolle der PädagogIn ist gekennzeichnet durch bewusste Auseinandersetzung mit Veränderungen hinsichtlich … eines »neuen Bildes« vom Kind … der eigenen Persönlichkeit … fachlicher Anforderungen. Umfangreiche Anforderungen kennzeichnen das Arbeitsfeld von PädagogInnen in Kinderbetreuungseinrichtungen. Pädagogische Fachkräfte tragen Verantwortung in der Begleitung von Bildungsund Erziehungsprozessen, entwickeln pädagogische Konzeptionen und arbeiten in unterschiedlichen Netzwerken. ihrer Kinder anerkannt und mit einbezogen. Eltern sind ExpertInnen für das Leben ihrer Kinder. Es ist notwendig, die Wahrnehmung der Eltern als richtig, wichtig und bedeutsam in Hinblick auf die inneren Stärken des familiären Systems sowie als hilfreiche und nützliche Informationsquelle über die äußeren Ressourcen und die Umwelt des Kindes zu erfahren. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit stellt eine Grundlage für die Umsetzung der Qualität im Alltag der Kinderbetreuungseinrichtung dar. Wie die PädagogIn Eigeninitiativen unterstützen sich versteht, wie sie ihre Aufgaben bestimmt, Eine Veränderung der Sichtweise vom Kind verlangt eine Anpaswie sie mit Kindern umgeht und die Beziehung sung der Haltung der PädagogIn. Selbstzu ihnen gestaltet, bewusste, kompetente Kinder erfahren schlägt sich im pä durch die aufgeschlossene PädagogIn BePädagogInnen sind dagogischen Alltag gleitung, Anregung und Unterstützung. EntwicklungsbegleiterInnen. nieder (vgl. Lill 2001, Durch einen partnerschaftlichen ErzieS. 265). hungsstil werden den Kindern selbstDas Hinterfragen der eigenen Werte und ständiges Handeln und Denken ermöglicht. Die Individualität der der ErzieherInnenhaltung kennzeichnen das Kinder wird von der PädagogIn an-/wahrgenommen und berückBewusstsein der pädagogischen Verantworsichtigt, sie unterstützt Eigeninitiativen und ermutigt Kinder zu tung. kreativen Lösungen. PädagogInnen, die sich den Kindern gegenüber auch als Lernende präsentieren, sind Vorbild dafür, dass Lernen und Entwicklung das ganze Leben umspannen. PädagogInnen sind EntwicklungsbegleiterInnen, die nicht nur Kinder in ihrem persönlichen Entwicklungsplan begleiten, sondern auch Eltern unterstützen. Als pädagogischer ExpertIn ist der ErzieherIn die Notwendigkeit des regelmäßigen Austauschs zwischen Familie und Institution bewusst. Eltern werden als ExpertInnen Die reflektierte PädagogIn stellt Fragen an sich selbst und ihre Arbeit, ist grundsätzlich aufgeschlossen für Neues und setzt sich mit neuen Impulsen aktiv und kritisch auseinander. Erziehung ist die Profession der PädagogIn Professionalität im beruflichen Handeln bezieht sich auf ein differenziertes Wissen über neue Erkenntnisse von Kindheit, Bildung und Erziehung und den situationsbezogenen Einsatz der theoretischen und methodischen Kenntnisse. Pädagogische Ziele, Methoden und didaktische Prinzipien erhalten durch die kritische Refle xion neue, sich in Veränderung befindliche Impulse. Reflexion sichert die Qualität und unterstützt die Qualitätsentwicklung in Kinderbetreuungseinrichtungen (vgl. Lill 2001, S. 247). Aufgabe der PädagogInnen ist es, das notwendige Wissen im Team zu sichern PädagogIn 14 Darüber hinaus erfordert die Arbeit in unterschiedlichen Netzwerken Fähigkeiten hinsichtlich Organisation, Kommunikation und Selbstreflexion. Die Stärke der pädagogischen Bildungsarbeit resultiert auch von einem starken Team in der Kinderbetreuungseinrichtung. Im Sinne von Empowerment braucht es die gemeinsame Übernahme von Verantwortung innerhalb der Bildungsprozesse von Kindern. Aufgabe der PädagogInnen ist es, das notwendige Wissen im Team zu sichern, in unkomplizierbarer Weise nutzbar zu machen und die MitarbeiterInnen in relevante Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Dazu zählt auch, im Sinne des Wissensmanagements, MitarbeiterInnen in kleinen Schritten dazu zu befähigen und die dafür notwendigen Fähigkeiten zu erwerben. Der Lehrplan Die aktuellen Diskussionen rund um die Reformen im Bereich der elementaren Bildungsbereiche beinhalten auch Änderungsforderungen in der Ausbildung der PädagogInnen. Dazu zählt auch die Anhebung des Ausbildungs niveaus auf tertiärer Ebene. SchülerInnen der Bundesbildungsanstalten für Kindergartenpädagogik (BAKIP) übernehmen eine hohe Verantwortung in der Rolle der ErzieherIn/PädagogIn, wie umgekehrt auch die Bundesbildungsanstalten für Kindergartenpädagogik gegenüber den Auszubildenden. Grundsätzlich beinhaltet der Lehrplan der BAKIPs ein vielseitiges Kompetenzprofil für zukünftige PädagogInnen, wie der folgende Auszug aus dem Lehrplan verdeutlicht: Die Absolventinnen und Absolventen sollen folgende Persönlichkeitsmerkmale entwickeln sowie über die angeführten allgemeinen und speziellen berufsrelevanten Kompetenzen verfügen: Persönlichkeitsmerkmale: • Wertebewusstsein (Bewusstsein über ethische, religiöse und soziale Werte als Basis eines allgemeinen Wertesystems) •S ensibilität und Offenheit für philosophischexistenzielle und religiöse Fragestellungen, speziell auch des Kindes •V erantwortungsbewusstsein, Bereitschaft zu Eigenverantwortung und Kritikfähigkeit • Sensibilität für kultur- und geschlechterspezifische Aspekte von Erziehung und Sozialisation •B ereitschaft zu selbstständigem Wissenserwerb sowie Fort- und Weiterbildung •F ähigkeit und Bereitschaft zum Reflektieren des eigenen Handelns und seiner Bedingungen. Allgemeine berufsrelevante Kompetenzen: •P hilosophisch-ethisch-religiöse Grundkompetenz • Sprachkompetenz •S oziale Kompetenz, insbesondere auch Empathie, Fähigkeit zum Umgang mit der eigenen und fremder Emotionalität sowie Konfliktfähigkeit •K ommunikative Kompetenzen (Präsentation, Teamfähigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit Einrichtungen der institutionellen Pädagogik, Öffentlichkeitsarbeit) Die Eigeninitiativen der Kinder unterstützen •L eitungskompetenzen (Gesprächsführung, Moderation von Gruppen, Projektmanagement) • Kreative Kompetenz Spezielle Kompetenzen für die beruflichen Erfordernisse: •K enntnis wichtiger pädagogischer, psychologischer und soziologischer Erklärungsangebote insbesondere für die (früh)kindliche Entwicklung und ihre Rahmenbedingungen sowie die Fähigkeit, sie in der Bildungsarbeit situationsgerecht umzusetzen •K ompetenz, die spezifisch kindlichen philosophisch-ethischreligiösen Vorstellungen als eigenständige Größe menschlicher Entwicklung auf der Suche nach Sinn zu stärken •u mfassendes Wissen zum Thema »(sexuelle) Gewalt gegen Kinder« •F ähigkeit zur Planung, Durchführung und Evaluation von personen-, altersgruppen- und aufgabenbezogener Bildungsarbeit (beispielsweise von Maßnahmen zu interkulturellem Lernen, zu geschlechtssensibler Pädagogik, zur speziellen Förderung von Kindern mit besonderem Förderbedarf und deren Integration, des Gesundheitsmanagements im Sinne der Vorsorge und Erziehung zu einer gesunden Lebensführung) •F ähigkeit und Bereitschaft zur situationsgerechten Beratung von Eltern und Erziehungsberechtigten •b esondere Kenntnisse berufsrechtlicher Grundlagen vor allem in den Bereichen Sicherheit, Haftung, Hygiene, Ausstattung, Erste Hilfe und Verkehrserziehung •K ompetenzen der Betriebsorganisation und des Managements institutioneller Kinderbetreuungseinrichtungen unter Berücksichtigung von ökologischen und ökonomischen Zusammenhängen unter Einbeziehung moderner technischer Hilfsmittel sowie Qualitätsmanagement (Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung). •B ereitschaft zu Innovation, Flexibilität und Mobilität 15 Die Kiste Zusammenarbeit und Austausch stehen für Anregung, Auseinandersetzung, Weiterentwicklung, Informationsfluss und Wissenstransfer. Die Kiste Vom Eigen-Sinn der Bildung Was wäre, wenn Bildungsprogramme für Kinder im elementaren Bereich und deren Umsetzungsprozesse schon Einzug in die steirischen Kinderbetreuungseinrichtungen gehalten hätten? Einerseits ist Papier geduldig, andererseits hätte sich die Welt ohne Visionen nicht weiter entwickelt – gemeint ist damit natürlich in die positive Richtung. So soll 10 Jahre weiter in die Zukunft geschaut und etwaige Umsetzungsprozesse von Bildungsplänen schon vorweggenommen werden. Wir befinden uns im Jahr 2017, ein Bildungsprogramm für die steirischen Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen ist schon seit einigen (vielleicht 7) Jahren in Kraft und die PädagogInnen und KinderbetreuerInnen in den Einrichtungen haben nach anfänglicher Skepsis das Instrument schätzen gelernt. Endlich haben sie die Gewissheit, dass das, was sie den Kindern anbieten und ermöglichen, auch im Sinne der Wissenschaft, der Behörde und der Eltern passiert. Was hat sich inzwischen getan? Was waren die notwendigen Schritte, bis alle PädagogInnen und BetreuerInnen in Kinderkrippe, Kindergarten, Alterserweiterter Gruppe, Hort und Kinderhaus von der Sinnhaftigkeit eines »Planes« überzeugt waren? Selbstverständlich verfügt jede Einrichtung über eine Konzep tion, in der die regionalen und durch die Persönlichkeiten der vor Ort tätigen PädagogInnen gefärbten pädagogischen Inhalte und Schwerpunkte niedergeschrieben sind. Die Grundlage dafür muss das allgemeine Programm, wie im Gesetz gefordert und in der Bildungsrichtlinie festgesetzt, sein. Die Anpassung der Konzeption bei Veränderungen wird natürlich vorausgesetzt. Was heißt das in der Praxis? Wenn ein Plan vorhanden ist, bedeutet das noch lange nicht, dass dieser sofort von allen gelesen, verstanden und angemessen umgesetzt werden kann. Es bedarf einer Einführung, einer Begleitung zur individuellen Umsetzung. Zurück zur Vision: Es haben Fortbildungen zu den unterschiedlichen Bildungsbereichen stattgefunden, es wurden Fachberatungen angeboten und es wurde mit den Ausbildungsstätten kommuniziert, um die AbsolventInnen der Bundesbildungsanstalt für Kindergartenpädagogik (BAKIP) in ihrer Ausbildung mit den Zielen der Bildungsarbeit zu konfrontieren und bestmöglich auf die Praxis vorzubereiten. (Das Gesetz für eine gemeinsame Ausbildung für Kindergarten- und HortpädagogInnen und PflichtschullehrerInnen auf Hochschulniveau, wie es bereits in allen anderen europäischen Ländern geschieht, steht vor dem Abschluss.) Eine weitere Möglichkeit der Implementierung war auch die Schaffung von Modelleinrichtungen, die in den unterschiedlichen Regionen der Steiermark installiert wurden. Intensive Begleitung und Fortbildungsangebote standen zur Verfügung und im Anschluss daran dienten diese den anderen Einrichtungen als Hospitationsstätten. Hier konnten noch Änderungen und Verbesserungen angeregt werden. Auch eine wissenschaftliche Begleitung unterstützte die Initiativen. Ein Bildungsplan oder -programm kann nichts Statisches, nichts Abgeschlossenes sein, sondern ist wie ein Biotop im Wandel und Wachsen und hat sich an veränderte Bedingungen anzupassen. Im besten Falle zum Positiven der Kinder und auch der PädagogInnen. Wie hat sich das Programm auf die Kinder ausgewirkt? Was fällt den Eltern auf? Eigentlich braucht ja jedes Kind seinen eigenen Bildungsplan, wenn man die Forderung nach Individualisierung ernst nimmt. So ist klarer geworden, dass die Beobachtung und Dokumentation jedes einzelnen Kindes, auch des unauffälligen, angepassten notwendig ist, um für das Kind, um für die Gruppe planen zu können und mit den Kindern das Bildungsprogramm so spannend wie möglich zu gestalten. Kinder gehen üblicherweise gerne in die Einrichtung, Implementierung 16 wo ihnen einerseits etwas angeboten wird, das sie interessiert, das ihre Neugierde befriedigt und das sie andererseits als Individuum und als Teil der Gemeinschaft wahrnimmt. Den Eltern fällt auf, dass die Kinder regelmäßig ausgeglichen nach Hause kommen, dort auch weiter erkunden und erforschen wollen, fragend und suchend nach Neuem durch die Welt gehen. Das kann manchmal nach einem arbeitsreichen Tag auch sehr anstrengend sein. Es gilt noch immer das Konzept des SelbstBildungsprozesses. Lerngelegenheiten werden den Kindern geboten, in denen sie einerseits sich selbst und die Umwelt durch Erfahrungen wahrnehmen und empfinden lernen, andererseits über Anregungen von Erwachsenen sozusagen aus zweiter Hand zu Problemlösungen finden können. Bildung als Wissenserwerb und Befähigung zu einer selbst bestimmten Lebensführung wird gerade im jungen Alter als »eigen-sinniger Prozess des Subjekts« empfunden (vgl. BMFSFJ; 2001). Was haben die PädagogInnen davon? Die PädagogInnen haben sich intensiv in Fortbildungsveranstaltungen mit den vorgegebenen Bildungsprogrammen auseinandergesetzt, sich mit anderen KollegInnen, im Team und nicht zuletzt über Selbstreflexion mit der persönlichen und gemeinsamen beruflichen Realität beschäftigt. Sie wissen, dass Kinder keine »inszenierte Kinderwelt« brauchen, sondern verlässliche Bindungen und anregende Umwelterfahrungen mit der Möglichkeit von unmittelbarer Sinneserfahrung, welche die Selbst-Bildung der Kinder erst sicherstellt. Es ist ihnen bewusst, das es viele »Orte des Lernens« gibt. Einer dieser Orte befindet sich in der Einrichtung, wird von den PädagogInnen zur Verfügung gestellt und begleitet und kann von den Kindern genutzt werden. Wie reagiert die Gesellschaft darauf? Die frühe Bildung hat durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre und durch Erfolge in der Praxis an Bedeutung gewonnen. Der Kindergarten und die anderen außerschulischen Einrichtungen sind als dynamische Institutionen ein Lebens- und Erfahrungsraum für Kinder, Eltern, PädagogInnen und andere Erwachsene geworden. Die Verbindlichkeit eines Basisplans und die Freiräume der einzelnen Einrichtungen in pädagogischen Belangen sind kein Widerspruch mehr. So kann der »Schatz der frühen Kindheit« (vgl. Elschenbroich 2002) lebendig gehalten werden. 17 Die Kiste Kinder im Bildungsraum gestalten lassen Dr.in Waltraut Hartmann, Charlotte-Bühler-Institut, Wien Bildung braucht Ziele Die Kiste Bildungskonzepte und Bildungspläne für den Kindergarten Gruppengröße, Betreuungsschlüssel und Ausbildung: Die erfolgreiche Implementierung eines neuen Bildungsplans für den Kindergarten ist nur dann möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. In Österreich ist der Begriff »Bildung« eng mit dem Kindergarten verbunden. Schon in den Siebzigerjahren wurde ein offenes Curriculum für den Kindergarten entwickelt: »Bildung und Erziehung im Kindergarten« (Niederle, Michelic & Lenzeder, 1975, 1. Auflage). 1987 erfolgte eine Neubearbeitung. Dieser Rahmenplan wurde in Österreich in der Ausbildung von KindergartenpädagogInnen sowie in der praktischen Arbeit in Kindergärten verwendet und fand auch Eingang in die Bildungsarbeit vieler Kindergärten in Deutschland. Er ist in elf Bildungs- und Erziehungsbereiche gegliedert, die auf den Dimensionen kindlicher Entwicklung basieren, wie emotionale Erziehung, Sozialverhalten, Sexualerziehung, Wertverhalten, Religiös-christliche Erziehung, Kreativität, Denkförderung, Sprachbildung, Bewegungserziehung, Lern- und Leistungsverhalten, Umweltbewältigung. Transaktionales Bildungskonzept in Österreich Nachdem dieser Rahmenplan nicht mehr als Schulbuch für die Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik approbiert wurde, hat das Charlotte-Bühler-Institut einen ersten wichtigen Teil eines neuen Bildungskonzepts für den Kindergarten erarbeitet: Bildungsqualität im Kindergarten. Transaktionale Prozesse, Methoden, Modelle. (Hartmann, W. ,Stoll, M., Chisté, N., Hajszan, M.,2000). Bildung nach Plan: Im Vordergrund steht heute die Qualität der Lernprozesse Bildungsplan 18 In diesem Bildungskonzept sind pädagogische Grundorientierungen ausformuliert, denen neue entwicklungspsychologische, pädagogische und soziologische Erkenntnisse zu Grunde liegen, wie: •D as Bild vom Kind als aktiven Gestalter seiner eigenen Entwicklung •D ie Rolle der KindergartenpädagogIn bei der aktiven Auseinandersetzung der Kinder mit sich selbst und ihrer Umwelt •D ie Funktion des Kindergartens als eigenständiger Lebensraum, in dem die Wechselbeziehungen zwischen den Kindern und ihrer Umwelt im Vordergrund stehen •D er transaktionale Ansatz, der die Austauschprozesse zwischen den Kindern und ihrer Umwelt näher analysiert. eine rasante Entwicklung von Bildungsplänen für den Kindergarten stattgefunden. In fast allen Bundesländern wurden zielorientierte Bildungspläne entwickelt, wie etwa in Bayern (2006), in Nordrhein-Westfalen (2003), Berlin (2004), Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern (2004) oder in Hessen (2005), um nur einige Beispiele zu nennen. Übereinstimmung gibt es bei den Bildungsplänen in Deutschland hinsichtlich der Formulierung folgender Bildungsziele: •S prachliche Bildung, Kommunikation, häufig inkl. Schriftkultur • Mathematische Bildung • Naturwissenschaftliche Bildung • Technische Bildung • Ästhetische Bildung oder Bildnerische Bildung • Kulturelle Bildung • Soziale Bildung • Gesundheitliche Bildung • Bewegungsförderung Die Qualität der Lernprozesse Für die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Kind und Umwelt, die heute in allen Bildungsplänen betont werden, wurde – aufbauend auf den Forschungen von Piaget, Bronfenbrenner, Vygotsky, Oerter, Wolf u. a. (zitiert nach Hartmann, Stoll, Chisté & Hajszan, 2004, S. 59 ff) – ein Modell erarbeitet, das diese transaktionalen Beziehungen zwischen den Kindern und ihrer Umwelt analysiert. Transaktionale Bildungsprozesse basieren auf den gegenseitigen Veränderungen von Kind, kultureller und sozialer Umwelt innerhalb und außerhalb des Kindergartens. Aus postmoderner Perspektive gesehen, steht dabei nicht ausschließlich das Erreichen von ganz bestimmten Bildungszielen im Vordergrund, sondern der Blick richtet sich verstärkt auf die Qualität der Lernprozesse. Dabei kommt den Prozessen der Orientierung an der Realität (Objektivierung), der Anpassung der Bildungsinhalte an die eigenen individuellen Bedürfnisse (Subjektivierung) und den Prozessen des Mitgestaltens (Aneignung) bzw. der Verwirklichung von eigenen Ideen (Vergegenständlichung) zentrale Bedeutung zu. Zielorientierte Bildungspläne Im Gegensatz zu diesem sehr offenen systemischen Bildungskonzept in Österreich hat in den letzten Jahren vor allem in Deutschland Die Bereiche Religion, Ethik, Philosophie, Werterziehung, Medien, Politik und Gesellschaft, Umwelt, Emotionale Beziehungen sind nicht überall verankert (vgl. auch Eichhorn, 2005, S. 20). Neue Ziele und Schwerpunkte in europäischen Bildungskonzepten Die neuen Bildungspläne unterscheiden sich von den älteren Bildungskonzepten durch die Betonung einiger sehr wichtiger Schwerpunkte: • In internationalen postmodernen Bildungskonzepten wird Bildung als sozialer Prozess verstanden, an dem Kinder, pädagogische Fachkräfte und Eltern beteiligt sind. Dieser Sozialkonstruktivismus wird z. B. in Australien vertreten. Bayern, Hessen und Dänemark wollen die Eltern in Einrichtungsbeiräten oder in Koordinierungsausschüssen zur Mitverantwortung einladen • Ausweitung der Bildungspläne auf Kinder unter drei Jahren •A nstelle von Wissen steht Lernkompetenz im Mittelpunkt. Stärkung von Metakompetenzen. Dem Bild vom Kind wird besonderer Wert zugemessen: Betonung des Selbstkonzepts, des Selbstwertgefühls und der Selbstregulationsfähigkeit. Das Kind wird als Regisseur seiner Entwicklung gesehen • Entwicklung des Selbstvertrauens und der Selbstwirksamkeit • Sprachkompetenz, häufig ergänzt durch Schriftkultur (Literacy) • Interkulturelle Kompetenz zur Bewältigung der kulturellen Diversität und sozialen Komplexität •V erstärkte Beratungs- und Professionalisierungsangebote für Fachkräfte • Soziale Mitverantwortung der Kinder. (Vgl. Fthenakis, 2003, Hartmann et al., 2004a, b) 19 Die Kiste • Musik Die Kiste Ein zielorientierter Bildungsplan auch für Österreich? Im Länderbericht »Starting Strong« der OECD für Österreich wird empfohlen, »gemeinsame Wertvorstellungen und Bildungsziele, die Österreich für seine jungen Kinder als wichtig erachtet, in einem Rahmenplan zu formulieren« (OECD, 2006). Wenn in Österreich diesem Ruf nach einem zielorientierten Bildungsplan gefolgt wird, dann muss jedenfalls darauf geachtet werden, dass dieser durch Offenheit, kulturelle Vielfalt und Komplexität charakterisiert ist. Vor- und Nachteile eines zielorientierten Bildungsplans Die Betonung des Spiels als kindliche Lernform ist besonders wichtig Brückenschlag zur Schule Dem Brückenschlag vom Kindergarten zur Schule – heute auch Transition genannt (Griebel & Niesel, 2004), wird, wie schon in den Siebzigerjahren, in neuen Bildungskonzepten auch heute wieder große Bedeutung zugemessen. Aus diesem Grund nähern sich die Strukturen und die Terminologie der Bildungspläne von Kindergarten und Grundschule aneinander an. Als Bildungsziele werden in den meisten Bildungskonzepten nicht mehr die Dimensionen der kindlichen Entwicklung herangezogen, wie noch bei Niederle, Michelic & Lenzeder (1975), sondern eher Schulfächer, wie etwa Mathematik, technische Bildung, Medien, Umwelt etc. Auf diese Weise soll die Anbindung an die Schule leichter gemacht werden. Der Bildungsschock, den die schlechten Ergebnisse der PISA-Studie 2000 in Deutschland ausgelöst haben, ist wesentlich für die Ausformulierung von ganz konkreten, verbindlichen Bildungszielen verantwortlich. Der Vorteil von zielorientierten Bildungsplänen besteht darin, dass der Beliebigkeit der Bildungsarbeit in der Kindergartenpraxis – wie es in offenen, pluralis tischen Bildungskonzepten möglich war – ein Riegel vorgeschoben wird. Ein festgeschriebener Bildungsplan sollte kontrolliert und regelmäßig evaluiert werden. Die Formulierung von ganz bestimmten, detaillierten Lernzielen und die Betonung der Lernkompetenz birgt andererseits die Gefahr in sich, dass das kindliche Spiel zu kurz kommt. Daher ist die Betonung des Spiels als kindliche Lernform besonders wichtig! Die grundlegende Bedeutung des Lernens im Spiel wurde auch im österreichischen Lehrplan für die Volksschule und für die Vorschulstufe von 1986 festgeschrieben. Dazu zählen verschiedenste Formen des Spiels, wie das Freie Spiel, das Interaktionsspiel, das Experimentierund Konstruktionsspiel, das Regelspiel und das Bewegungsspiel (Wolf, 2003, S. 29). Bis heute ist es in Österreich gelungen, Kinder im Kindergarten vor einem verfrühten Leis tungsdruck zu bewahren. Der Kindergarten hat die Frühlernbewegung in den Siebzigerjahren, die ursprünglich durch den »Sputnik-Schock« in den USA entstanden ist, gut bewältigt und muss nun verantwortungsvoll und maßvoll auf den »Pisa-Schock« reagieren. Auf jeden Fall muss die Gefahr eines verfrühten Leistungsdrucks auf Vorschulkinder rechtzeitig gesehen und vermieden werden: Die überwie- Bildungsplan 20 Amerikanische Forscher, wie Postman (1987) und Elkind (1992) warnen in den USA vor dem »Verschwinden der Kindheit« und vor der Hetzjagd, der die Kinder schon im Kindergartenalter ausgeliefert sind. Notwendige Rahmenbedingungen zur Implementierung eines neuen Bildungsplans Literatur www.charlotte-buehler-institut.at •D eutsche Bildungspläne im Internet: www.bildungsserver.de, Link »Elementarbildung«, Link »Zum Bildungsauftrag in Kindertagesbetreuung«, 22.2.05 • Elkind, D. (1992) Das gehetzte Kind. Werden unsere Kleinen zu schnell groß? Bergisch-Gladbach: Bastei-Lübbe TB • F thenakis, W.E. (2003) Zur Neukonzeptualisierung von Bildung in der frühen Kindheit. In W.E. Fthenakis (Hrsg.). Elementarpädagogik nach PISA. Wie aus Kindertagesstätten Bildungseinrichtungen werden können (19–37). Freiburg i. Breisgau • F thenakis, W.E. (2003) Bayrischer Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tages einrichtungen. Entwurf für die Erprobung. Weinheim: Beltz Die erfolgreiche Implementierung eines neuen Bildungsplans für den Kindergarten ist nur dann möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Im Vergleich zu anderen Ländern der EU sind in Österreich zentrale Qualitätskriterien, wie z. B. die Gruppengröße, der Personal-Kind-Schlüssel oder die Ausbildung des Kindergartenpersonals, auf einem zu niedrigen Niveau. Das Charlotte-Bühler-Institut hat daher auch für diese Rahmenbedingungen Qualitätsstandards und Empfehlungen zur Qualitätssicherung und Qualitätsoptimierung formuliert (Vgl. Hartmann, W. & Stoll. M. [2004]). • Eichhorn, J. (2005) Konsequenzen aus dem Schock. In Kiga heute, Heft 1 Das Charlotte-Bühler-Institut hat außerdem in Zusammenarbeit mit PädQuis (Berlin) ein Qualitätsfeststellungsverfahren für den Kindergarten vorgelegt, das außer der Prozessqualität auch die Strukturqualität bewertet und die Grundlage für eine Qualitätsentwicklung im Kindergarten und auch in Kinderkrippen bietet (siehe www. charlotte-buehler-institut.at). • Liegle, L. (2007) Pädagogische Konzepte und Bildungspläne – wie stehen sie zueinander? kindergarten heute, 1/2007 Integration von Bildungskonzepten und Bildungsplänen Bildungskonzepte und zielorientierte Bildungspläne können einander nicht ersetzen (Liegle, 2007). Sie können einander aber sehr gut ergänzen: Ein Bildungskonzept bildet immer das Grundgerüst, in dem die pädagogische Position und pädagogische Prinzipien festgelegt sind, denen sich die Lernziele und Methoden anpassen müssen. Insofern lassen sich auch in Österreich vorhandene Bildungskonzepte durch konkrete Lernziele erweitern und präzisieren und in einen neuen, offenen Bildungsplan integrieren. • Griebel, W. & Niesel, R. (2004) Transitionen. Fähigkeiten von Kindern in Tageseinrichtungen fördern, Veränderungen erfolgreich bewältigen. Weinheim: Beltz •H artmann, W. & Stoll. M. (2004a) Mehr Qualität für Kinder. Qualitätsstandards und Zukunfts perspektiven für den Kindergarten. Bd. 1 d. Schriftenreihe d. Charlotte-Bühler-Instituts, 1. Aufl. Nachdruck, Wien: öbv&hpt • Hartmann, W., Stoll, M., Chisté, N. & Hajszan, M. (2004b) Bildungsqualität im Kindergarten. Transaktionale Prozesse, Methoden, Modelle. Bd. 2 d. Schriftenreihe d. Charlotte-BühlerInstituts, 1. Aufl. Nachdruck. Wien: öbv&hpt • Niederle, Ch., Michelic, E. & Lenzeder, F. (1987) Bildung und Erziehung im Kindergarten. Bildungs- und Erziehungsziele, Methodische Hinweise, Praktische Anregungen. 1. Aufl. 1975. • OECD (2006) Starting Strong. Early Childhood Education and Policy. Länderbericht für Österreich. www.oecd.org/dataoecd/57/58/36657509.pdf • Postman, N. (1987) Das Verschwinden der Kindheit. Frankfurt/Main: Fischer TB • Rauschenbach, Th. (2004) Bildung für alle Kinder: Zur Neubestimmung des Bildungsauftrags in Kindertageseinrichtungen. In: I. Wehrmann (Hrsg.) Kinder gärten und ihre Zukunft. Weinheim: Beltz • Wolf, W. (2001) Grundzüge der Entwicklung der Volksschullehrpläne. In W. Wolf (Hrsg.). Kommentar zum Lehrplan der Volksschule. Wien: öbv&hpt • Wolf, W. (2003) (Hrsg.). Lehrplan der Volksschule. Wien: öbv&hpt 21 Die Kiste gend spielerische Aneignung von Welt, die nicht durch standardisierte Tests, sondern die durch individuelle Rückmeldung geprägten Interak tionsformen zwischen Erzieher(inne)n und Kindern eröffnen die Möglichkeit einer anderen Form, eines individuelleren Konzeptes des Lernens (Rauschenbach, 2004, S. 118). »Kann man Bildung planen?« Die Kiste Festschreiben von Bildungszielen – weg von einer pädagogischen Beliebigkeit. Michaela Marterer, Mitarbeiterin der Steirischen volkswirtschaftlichen Gesellschaft. Diese versteht sich als Bildungseinrichtung und als Schnittstelle zwischen Bildung und Wirtschaft. Sighilt Petritsch, Kindergartenpädagogin, unterrichtet an der Bundesbildungsanstalt für Kindergartenpädagogik Graz, Abteilungsvorständin. Luise Hollerer, Psychologin und Koordinatorin der Humanwissenschaften an der Pädagogischen Akademie GrazEggenberg, im Moment betraut mit der Umstrukturierung der Pädagogischen Akademie in die Kirchliche pädagogische Hochschule der Diözese Graz Seckau. Eine Psychologin, ein Vater, eine Kindergartenpädagogin, eine Vertreterin der Wirtschaft und eine Vertreterin der Ausbildung haben auf Einladung der FA 6B an einem Gespräch zum Thema Bildung und Qualität in der Betreuung von Kindern im außerschulischen elementaren Bereich teilgenommen. Ingrid Krammer, Kindergartenpädagogin und Leiterin eines Privatkindergartens in Graz-Waltendorf. Bernhard Seidler, Vater eines vierjährigen Sohnes, der zurzeit die Integrationsgruppe des Heilpädagogischen Kindergartens des Landes Steiermark am Rosenberggürtel besucht. Was wünschen Sie sich als Vater von einer Kinderbetreuungseinrichtung? Bernhard Seidler Ich erlebe den Kindergarten als einen wunderbaren Ort, mein Sohn geht gerne hin, es gibt Tage, wo er gar nicht heimZur Diskussion stand die Frage nach der Festschreibung von Bilgehen mag. Ich habe das Gefühl, es gefällt ihm dungszielen – weg von einer pädagogischen Beliebigkeit. dort. Er ist fröhlich, hat keinen Zeitdruck und keinen Leistungsdruck. Er kann Kind sein. Ich Ist die Steiermark reif für einen Bildungsplan? Und: Was passiert erwarte mir von dieeigentlich jetzt in den Einrichtungen? ser Einrichtung, dass Was steht im Gesetz? Was ist der Auftrag »Ich erwarte mir vom Kindergarten, dass das dort das Wohl meines der PädagogInnen? Was wünschen sich Kindes im MittelWohl meines Kindes im Mittelpunkt steht.« die Eltern? Was erwartet sich die Wirtpunkt steht, dass er (Bernhard Seidler) schaft? Und was brauchen die Kinder? bestmöglich gefordert Worauf werden zukünftige PädagogInnen und gefördert wird. in der Ausbildung vorbereitet? Und ich erwarte mir, dass der Kindergarten Diese und andere Fragen wurden am Runden Tisch diskutiert, modie Funktion der Kinderbetreuung übernimmt, deriert von Dr.in Ingeborg Schmuck und Mag.a Martina Grötschnig, im ganz klassischen Sinn. Genauso wie ich mir beide aus der Fachabteilung 6B. von den PädagogInnen regelmäßige Rückmeldungen erwarte. Runder Tisch 22 Ingrid Krammer Ich könnte mir vorstellen, dass KindergartenpädagogInnen mit einem Bildungsplan etwas unter Druck kommen, da der Bildungsplan konkrete Vorgaben beinhaltet. Obwohl: Bildung im Kindergarten ist nicht neu! Wir haben in unserem Kindergarten zum Beispiel einen mathematischen oder sprachlichen Bereich, der kindgerecht aufbereitet wurde und jederzeit nach Interesse einsetzbar ist. ren, dass ihr Kind im Kindergarten die Möglichkeit hat, sich selbst zu erfahren, sich mit sozialen Konflikten und deren Lösungen auseinanderzusetzen, Freude am Singen und Spaß am Theaterspielen zu entdecken oder Bewegungsmöglichkeiten auszuprobieren uvm. Lesen, Schreiben, Rechnen sehe ich als Aufgaben der Schule, obwohl ein erstes Vertrautwerden mit Zahlen und Buchstaben auch schon im Kindergarten angeboten und genutzt wird. Der Übergang vom Kindergarten in die Schule sollte unbedingt verbessert werden. Unsere Kinder verfügen über ein großes soziales Erfahrungsfeld – sie sind sehr kreativ im Finden von Lösungen jeglicher Art und diskutieren schon tüchtig mit. Dann kommen sie in die Schule und lernen dort: »Einer sagt, was richtig ist, und wenn ich das nicht schaffe, dann bin ich schlecht.« Dieses System ist für mich sehr fragwürdig. Durch den Bildungsplan erhält das Kind eine neue Rolle: Es ist nicht mehr das zu formende oder das zu belehrende Kind. Statt dessen bringt sich das Kind als ein aktiver Mitgestalter Was hat denn die Ausbildung für eine Position zum Bildungsplan? ein. Das heißt: Das Kind bestimmt, in welchen Sighilt Petritsch Natürlich bin ich dafür, dass es einen BildungsBereichen es wann lernen will, wie viel Bildung plan für Vorschulkinder gibt. In diesem sollten Richtlinien festgees annehmen wird. Dementsprechend setze legt werden, die kulturelle, pädagogische, ich meine Angebote psychologische, soziologische, musischund erweitere die»Ein Bildungsplan soll Richtlinien festlegen.« kreative, natürlich auch religiöse und nase schrittweise. Von turwissenschaftliche Erziehungsaspekte (Sighilt Petritsch) einem Bildungsplan beinhalten. erwarte ich mir, dass klare, konkrete Anregungen gegeben werden, wie Kinder durch LerWer sollte diesen Bildungsplan entwerfen? nen und Reflektieren zunehmend SelbstkomSighilt Petritsch ExpertInnen aus den unterschiedlichsten Forpetenz in vielen Bereichen entwickeln können, schungsrichtungen. PädagogInnen, PsychologInnen und Natur welche sie für ihr weiteres Leben bei ÜbergänwissenschaftlerInnen anderer Disziplinen, SoziologInnen und gen und bei unvorhersehbaren Veränderungen natürlich auch KünstlerInnen. Das heißt: Die PraktikerInnen – die unbedingt brauchen. Sollte der Kindergarten KindergartenpädagogInnen – sollten den Bildungsplan umsetzen, mit einem Bildungsplan künftig mehr als Bildie TheoretikerInnen sollten ihn entwerfen. dungseinrichtung wahrgenommen werden, würde mich das sehr freuen. Natürlich müsste Ingrid Krammer Für mich ist es inakzeptabel, dass die Praktikedafür auch die Ausbildung der PädagogInnen rInnen nicht dabei sein sollen. Eine gute Mischung aus Theoretikeneu konzipiert werden. rInnen und PraktikerInnen wäre fein, damit der Bildungsplan auch gut umgesetzt werden kann. Eltern erwarten sich Fördern und Fordern. Zwei Bereiche, die sozusagen auf zwei verschiedenen Polen liegen. Wie stehen Sie als Pädagogin zu diesen Erwartungen? Ingrid Krammer Eltern haben prinzipiell den Wunsch, dass ihr Kind bestmöglich gefördert wird. Durch die Pisa-Ergebnisse der letzten Jahre sind Eltern verunsichert: Viele wollen Frühförderungen in möglichst vielen Bereichen wie Englisch, Turnen, Musik uvm. Wenn wir diese Bereiche im Kindergartenalltag alle jeden Tag anbieten würden, hätten die Kinder kaum mehr für sich und ihre Spiele Zeit. Mein pädagogischer Ansatz ist es, Kinder ihren Bedürfnissen entsprechend abzuholen: welche Interessen, Bedürfnisse haben sie und wie kann ich diese mit einem Angebot im Kindergartenalltag eingliedern. Den Eltern versuche ich zu erklä- Einige KindergartenpädagogInnen fühlen sich schon heute sehr überfordert: Kinder mit Migrationshintergrund, Sprachticket, Vorschule, die vielen sozialen Konflikte, die sich im Kindergarten abspielen. Für sie kann der Bildungsplan eine weitere Bürde sein: die vielen verschiedenen Bereiche anbieten, das Evaluieren braucht Zeit, mit Eltern das Ergebnis besprechen uvm. Die Kindergarten pädagogIn bekommt immer mehr Aufgaben, die ihr vorgelegt werden, mit der Umsetzung wird sie aber oft allein gelassen und es bleiben Machtlosigkeit und Frustration zurück. Sighilt Petritsch Nichts ist praktischer als eine gute Theorie. Und das eine ist die Aufgabe der TheoretikerInnen und das andere ist die Aufgabe der PraktikerInnen. WissenschafterInnen haben erheblich weniger freie Zeit zur Verfügung, als so manche KindergartenpädagogIn sich das vorstellen kann. Man hat oft den Eindruck, dass einzig KindergartenpädagogInnen schwer über- und belastet seien. So ist es nicht. 23 Die Kiste Was erwarten Sie sich als Pädagogin von einem Bildungsplan? Die Kiste Was ist denn die Position der Wissenschaft in Bezug auf Bildungs pläne? Und: Was brauchen die Kinder? bedeutet denn Bildung und was bedeutet Betreuung? Mit den Bildungsplänen sehe ich die Gefahr der Normierung. Auf der Betreuungsseite muss auf die Individualisierung stärker Wert gelegt werden. Das ist eine Sache, die ich eher gefährdet sehe. Luise Hollerer Es braucht die abgesicherte Betreuung im sozial emotionalen Bereich, um überhaupt eine Grundlage für Bildung zu legen. Das ist eine wissenschaftliche Voraussetzung, hat aber auch wirtschaftliche, soziale oder gesellschaftspolitische Komponenten. Daher ist es wichtig, dass diese GrundNun zur Seite der Wirtbetreuung der Kinder gewährleistet und »Mit einem Bildungsplan besteht die Gefahr schaft, der es ja auch gesichert ist. Darauf wird Bildung indivifrüher Normierung.« um die Brauchbarkeit duell aufbauen. Mir gefällt es, dass wir und Ökonomisierung (Luise Hollerer) in Österreich eine Terminologie haben, von Wissen geht. Wie die sogar in den englischen Wortschatz also steht die Wirtübernommen wurde, nämlich der Begriff »Kindergarten«. Dieschaft zur Bildung nach Plan im Vorschulalter? ser impliziert: Wachstum, Werden, Raum geben, Zulassen, mit Michaela Marterer Auch Industrie und WirtBedingungen, an die man sich anpassen muss – assimilieren, schaft haben sich Gedanken im Sinne unserer akkommodieren im Piaget'schen Sinn. Die Frage ist, ob wir mit veränderten Lebensbedingungen gemacht. Wie Bildungsplänen von einem Garten in ein Treibhaus gehen oder in könnte eine Schule anders aussehen? Festgeeine zurechtgestutzte Obstbauanlage. Das sind so Bilder, die mir in halten wurden die Ideen dazu in »Zukunft der den Sinn kommen. Hier Pläne zu machen bietet natürlich Vorteile. Bildung Schule 2020«. Hier kann man die vorBietet doch die Wissenschaft gut gesicherte Erkenntnisse über schulische Erziehung nicht ganz fallen lassen. spezifische Entwicklungsleistungen und Bedürfnisse. Diese könnte Wobei hier keine vorschulische Erziehung im man gezielt für Förderung nutzen. Kindergarten gebunden an fachliche QualifikaWelche Chancen bieten Bildungspläne im Hinblick auf die Förderung? tionen gefordert wird. Viel eher Luise Hollerer Bei der Hochbegabungsförderung sieht man, welgeht es darum, diesen che Auswüchse das in alle Richtungen haben kann, nicht zuletzt, weil natürlich auch Wirtschaftsinteressen dahinterstehen, früh in diese Bildung zu investieren, und das, was die Wissenschaft etabliert, umzusetzen, um doch in Richtung Treibhaus zu gehen. Das ist eine Sache, die ich sehr stark orte. Auf der anderen Seite konnte ich ja als Mutter von drei Kindern die Möglichkeit nutzen, diese Institution, in der meine Kinder außerhäuslich gebildet werden, auch intern kennenzulernen. Ich konnte die qualitätsvolle Arbeit wahrnehmen, wo ich auch als Mutter viel lernen konnte. Ich sehe nun aber auch die Friktionsflächen. In Staaten mit Bildungsplänen gibt es eine klare Nennung, wie weit Kinder in ihrer Entwicklung sein sollten. Das bringt alle unter Druck. Eltern nehmen diesen besonders stark wahr, weil sie spüren, welche Anforderungen in einer leistungsorientierten Gesellschaft an sie gestellt werden, mit welchen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten sie zu Rande kommen müssen. Viele glauben daher, dass ein möglichst hoher Bildungsabschluss das wichtigste ist, das sie ihren Kindern mitgeben können. Das führt zu stärkerer und früherer Leistungsorientierung. Ich erlebe es auch als klinische Psychologin komplett zweigespalten. Auf der einen Seite bin ich in der integrativen Zusatzbetreuung mit Kindern konfrontiert, wo ich weiß, die brauchen Zeit im Garten, um zu wachsen. Mit all den Anregungsmöglichkeiten und Bedingungen, mit all den Kletter- und Rankhilfen, die es da gibt. Und: Es braucht bei einem fünfjährigen Kind, das sechsstellige Zahlen addiert und subtrahiert, andere Möglichkeiten, um darüber hinauszuwachsen. So stelle ich mir die Frage: Was Runder Tisch 24 entstanden ist. Es gibt Kinder, die überfordert sind, sie haben nicht die gleichen Chancen, schon beim Einstieg. Daher auch die Überlegung des Startschuljahres im fünften Lebensjahr, staatlich finanziert, wo auf einer gemeinsamen Basis gebildet wird, so dass auch jedes Kind den Übergang in die Schule bewältigen kann. Natürlich muss dazu auch die Schule reformiert werden, das ist selbstverständlich. Bildungspläne sollten darauf ausgerichtet »Mit einem Startschuljahr Dieses Startschuljahr sollte im sein, die PersönlichKindergarten stattfinden? den Übergang leichter machen.« keit des Kindes zu So, wie es definiert (Michaela Marterer) Michaela Marterer stärken. Keinesfalls ist, ist es ein Startschuljahr, das als eigesollte schulische Bilne Bildungsphase im letzten Kindergardung vorweggenommen werden, sondern der tenjahr definiert ist und nach kindergartenpädagogischen MethoÜbergang sollte den Kindern leichter gemacht den aufbereitet wird. werden. Im Bereich der sozialen Kompetenzen, Bernhard Seidler Wo sehen Sie die Mängel? Oder: Wo hat Ihrer im Bereich des kommunikativen Verhaltens und Ansicht nach der Kindergarten einen Aufholbedarf? Ausbau der sprachlichen Fähigkeiten. Keine fachlichen Qualifikationen also. Michaela Marterer Der Kindergarten sollte die Kinder besser Ingrid Krammer Sozialer Schwerpunkt, Kommunikation, Ausbau der sprachlichen Fähigkeiten, Persönlichkeitsstärkung – das sollte heute eigentlich überall schon passieren. auf den Umstieg in ein schulisches System vorbereiten. Einfach zu schauen, wie könnte man vielleicht Konzentrationsphasen einbauen, offenere Lernformen einzuführen, weg vom Frontalen und ohne Leistungsdruck natürlich aber mit Motivation, Lernfreude und Begeisterung. Michaela Marterer Sollte, ja. Tatsache ist aber, dass durch die verstärkte Migration und veränderte familiäre Situationen ein großer Bruch Ingrid Krammer Wenn wir einen Bildungsplan haben, dann benötige ich kein Vorschul- oder Startschuljahr. Durch den Bildungsplan bekommt der Kindergarten einen anderen Wert – wir werden zu einer Bildungseinrichtung. Eltern sehen uns anders, sie haben die Möglichkeit, sich an objektiven Kriterien zu orientieren. Dieser Bildungsplan wird zum Zwischendokument zwischen Eltern und KindergartenpädagogIn. Ein Bildungsplan schafft außerdem einen einheitlichen Standard – der Kindergarten braucht eine messbare Leis tung. Brauchen wir für die Steiermark einen Bildungsplan? Gäbe es da einen Unterschied zu jetzt? Oder läuft ohnehin schon alles nach Plan? Ingrid Krammer Wir brauchen für ganz Österreich einen Bildungsplan, nicht nur für die Steiermark. Mit einem Bildungsplan wäre unsere Arbeit für Eltern wesentlich transparenter, da allgemein gültige Richtlinien aufliegen und eingesehen werden können. Das heißt: Ich muss meine Arbeit und die Prozesse erklären können warum arbeite ich so und nicht anders. Es werden vielmehr Elterngespräche stattfinden. In unserem Kindergarten werden Elterngespräche außerhalb der Kindergartenzeit angeboten. Teamgespräche und Supervison unterstützen uns bei dieser Auf gabe. Meine Arbeit als Kindergartenpädagogin teile ich wie folgt ein: ein Drittel besteht aus Arbeit mit den Kindern, ein Drittel Elternarbeit und ein Drittel Ar- 25 Die Kiste Übergang vom Kindergarten in die Schule besser zu schaffen. Angedacht ist dazu ein sogenanntes Startschuljahr, das jetzt nicht nur mit dem Vorschuljahr in Verbindung gebracht wird, sondern ein Startschuljahr, das mit Kindergartenpädagogik geführt wird. Die Kiste beit mit mir selbst. Auch ich habe meine Schwächen und brauche jemanden, der mich darauf aufmerksam macht, damit ich an mir arbeiten kann. Sighilt Petritsch Da ein Bildungsplan der kindlichen Entwicklung im gesamtgesellschaftlichen Kontext gerecht zu werden hat, gilt dieser gesellschaftliche Kontext grundsätzlich für ein ganzes Land, einen ganzen Staat. Daher ist ein eigener Bildungsplan für einzelne Bundesländer abzulehnen. Sind Bildungspläne im Kindergarten auch für Eltern wichtig? Bernhard Seidler Ja, schon. Ich denke, wir dürfen keine Angst vor Bildung haben. Es muss transparent sein, es muss mehr kommuniziert werden. Ich habe den Eindruck, dass die einzelnen Zuständigen nicht miteinander kommunizieren. Das erwarte ich mir als Elternteil. Dass mit mir kommuniziert wird und dass aber ich auch kommunizieren muss, dass dafür quasi ein fixer Rahmen geschaffen wird. Momentan finden diese Gespräche eher sporadisch statt, dann, wenn es eben passt. Hätte ein Bildungsplan das Potenzial, die PädagogInnen in ihrer Arbeit zu unterstützen? Ingrid Krammer Jede KindergartenpädagogIn hat natürlich Stärken und Schwächen. Es gibt sicher Bereiche, die man vernachlässigt – ein Bildungsplan würde alle Bereiche, die vielleicht momentan zu wenig Inhalt haben, sicher verbessern. Wobei: Ein Bildungsplan macht aber noch lange keine Qualitätssteigerung aus. Diese muss mit den PädagogInnen besprochen, mit Fortbildungen und Persönlichkeitsbildung begleitet werden. Braucht die Selbstbildung der KindergartenpädagogInnen einen höheren Stellenwert? Luise Hollerer Ich denke, das ist auch so ein Knackpunkt. KindergartenpädagogInnen, die nach der Bundesbildungsanstalt für Kindergartenpädagogik in den Beruf einsteigen, sind noch nicht in der Stufe der Adoleszenz. Weil Bedeutet Bildung: ständig mit dem Kind arbeiten? ich sowohl an der Universität als auch an der Oder hat die Pädagogin auch die Aufgabe einfach zu beobachten? pädagogischen Hochschule mit Personen in der Ingrid Krammer Nein, auf keinen Fall. Bildung am Kind geschieht Ausbildung zu tun habe, weiß ich, was in dieser auch, wenn ich nicht mit den Kindern arbeite, da in dieser Zeit ganz Phase eigentlich passiert. Kindergartenpädagoandere Prozesse ablaufen – ganz andere Spiele gespielt werden. gInnen sind ähnlich wie Studierende zwischen Hier kann ich wahrnehmen, was sie bisher gelernt haben. Wenn 18 und 21 Jahre alt. Sie orientieren sich stark ich den Bewegungsraum betrete, ändert sich das Spielverhalten an der Benotung der MentorInnen und Praxis– deshalb beobachte ich sehr gerne. Für mich ist es ein Zeichen betreuerInnen. Und: Sie haben einen gewissen der Schulreife, wenn Kinder es schaffen, Anpassungsdruck. eine Spieleinheit im Turnsaal zu sechst Sie entwickeln ihre mit diversen Materialien wie eine Hän»Durch den Bildungsplan wird der persönliche Identigematte, Matratzen, Langbank, Tüchern, Kindergarten für die Eltern zu einer tät innerhalb dieser Bällen, Bauklötzen zu verbringen. Sie pädagogischen Einrichtung.« Anpassungsleistung. bauen dort Inseln, unterirdische Gänge (Ingrid Krammer) Und doch braucht und vermessen diese. Sie legen Laufstrees die Individualisiecken durch den Turnsaal und messen die rung. Um einen Beruf Zeit mit Stoppuhren. Sie schreiben Startnummern auf, laden Gäste auszuüben, der sie nicht ausbrennt, der Freude zum Zuschauen ein usw. Wenn sich ein Kind leicht verletzt, verbereitet. Erst dann haben sie die Möglichkeit, sorgt zuerst die Gruppe das Kind mit einem »Kühlbärli«. Natürlich auf Kinder einzugehen, auf Eltern einzugehen. biete ich meine Hilfe an, aber sie antworten: »Nein, wir machen das Das kann erst dann erfolgen, wenn die junselber!« In solchen Situationen habe ich das Gefühl, dass ich gute ge PädagogIn als »Ich-Person« dasteht, die in Arbeit geleistet habe, und ich sehe, dass Kinder Selbstkompetenz der Lage ist zu reflektieren. Der Selbstbildung und Selbstverantwortung kennen. Diesen Arbeitsprozess muss sollte mit Fort- und Weiterbildung ein hoher ich den Eltern erklären, da sie es oft nur als Spielerei der Kinder Stellenwert eingeräumt werden. wahrnehmen. Mir sind diese Prozesse sehr wichtig, denn gerade Am Ende des Gesprächs waren sich alle einig, im Kindergartenalltag ist dafür ein guter Platz. Wenn sechs Kinder dass ein Bildungsplan im elementaren Bereich unter sich sind, übernehmen sie ein hohes Maß an sozialer Verantsinnvoll ist. wortung. Sie sind in der Lage, sich alles mit Worten auszumachen – wer welches Lager hat, wer mit wem spielt, wer wann an die Reihe kommt, nach welchen Regeln der Gewinner der Laufstrecke ermittelt wird usw. Bei diesen Lösungsprozessen fühlt sich das Kind ernst genommen, das Spiel wird ernst genommen. Meine Aufgabe ist es in solchen Situationen zu beachten, dass alle Kinder zu Wort kommen, vor allem die jüngeren, ruhigeren Kinder, die noch nicht so geübt sind. Ich liebe es, den Kindern beim Wachsen ihrer Potenziale zuzusehen. Runder Tisch 26 Wolfgang Liegle, Diplompädagoge und -theologe, lehrte an der Hochschule für Soziale Arbeit Reutlingen-Ludwigsburg. Anfang gut – alles gut? Frühkindliches Lernen zwischen PISA-Fieber und Bildungswahn. achten, sie zu begleiten, sie zu fördern, sie zu stärken, sie herauszufordern und zu ermutigen auf ihrem Weg, die Welt zu entdecken und zu erforschen – das ist die pädagogische Aufgabe. Und nun noch zu den »Kuschelecken«. Mit diesem Begriff, bisweilen auch mit Kuschelpädagogik umschrieben, werden gegenwärtig viele Bemühungen – gerade auch in den Kindergärten – abgewertet, herabgesetzt, diskriminiert. Sie haben aber zum Ziel, für Kinder eine anregungsreiche Erfahrungswelt zu schaffen, Bildung ist zu einem Müllwort geworden, ein in der sie zwanglos – also ohne Zwang und Druck – lernen können. Begriff für den Container, völlig beliebig verUnd das heißt: Kinder möchten erforschen, erkunden, erfahren, wendbar. Nachdem die Schockwelle nach experimentieren, erleben, Gedanken aufbauen und entwickeln. In den verschiedenen einem Text der Reggio-Pädagogik lesen PISA-Studien über wir dazu: »Die Lust am Lernen, am Wahr»Die wichtigste und nützlichste Regel jeder Deutschland gerollt nehmen und Verstehen ist eine der ersten Erziehung lautet nicht, Zeit zu gewinnen, ist, kann es jeder mit fundamentalen Erfahrungen, die sich ein sondern Zeit zu verlieren.« Kind allein, mit Gleichartigen oder mit seiner eigenen Deu(Jean J. Rousseau) Erwachsenen erhofft. Kinder haben ein tung benutzen. Von großes Vergnügen daran, zu lernen, zu den Parteien wird es verstehen, zu wissen und sich an Problemen zu messen, die größer in die politischen Auseinandersetzungen hisind als sie.« Mehr Rücksicht auf die Eigenart von Kindern darf also neingerissen. Wahlen sollen damit gewonnen nicht als »Kuschelpädagogik« herabgewürdigt werden. werden. Ein gutes altes Wort hat Hochkonjunktur. Vor Missbrauch ist es nicht geschützt, und Das Diktat der Wirtschaft(lichkeit) relativieren es wird gründlich missbraucht. Angemessen von »Bildung und Erziehung« zu sprechen gelingt nur Die pädagogische Aufgabe dem, der Kinder ernst nimmt. Also für sie und mit ihnen Lernen Der pädagogische Blick richtet sich auf Entund Entwicklung ermöglicht, nicht etwa für abgeleitete Zwecke. wicklungsschritte jedes einzelnen Kindes, auf Diese Meinung wendet sich ausdrücklich auch gegen den neuen diesen Jungen, auf dieses Mädchen. Auf sie zu Gott der »Ökonomisierung« von Bildung, der alles unter den Aspekt 27 Die Kiste Könnte ich einen Vorschlag für das »Unwort des Jahres« einreichen, fiele meine Wahl auf das Wort »Bildungsoffensive«. Begleitet werden könnte diese Idee von weiteren Wortungetümen: Wir kennen mittlerweile Bildungsdebatte, Bildungschance, Bildungspläne, Bildungsstandards und – das fragwürdigste – Bildungspolitik. Inflation pur. Die Kiste neimittelmissbrauch. Der Druck steigt, Kinder schon mit fünf Jahren einzuschulen und sie binnen acht Jahren zum Abitur zu treiben. Diese Gesellschaft scheint davon überzeugt, dass es gut für Kinder ist, schnell erwachsen und reif zu werden, immer nach dem Motto des olympischen Wahnsinns. Was Kinder lernen ist zum großen Teil das Werk ihrer Selbstlernprozesse der Nützlichkeit stellt. Etwa so: Wenn ihr in den Kindergarten geht, nachher in der Schule immer aufpasst, eure Hausaufgaben macht, bei den Klausuren gut abschneidet, dazu euch richtig benehmt, dann, ja dann werdet ihr mit einem guten Job belohnt. »Schneller, höher, weiter«, was, wie wir wissen, heute nur noch mit viel Doping erreicht wird. Man kann die Prognose wagen, dass der Anteil der jungen Leute, die im Hamsterrad einer so verstandenen »Bildung« verschlissen werden, wie ihre Eltern im Dauerstress der Betriebe, in Zukunft beträchtlich steigen wird. An dieser Stelle lohnt es sich, an eine Aussage von Jean J. Rousseau zu erinnern, ein Klassiker pädagogischen Denkens. Sie lautet: »Die wichtigste und nützlichste Regel jeder Erziehung (und Bildung) lautet nicht, Zeit zu gewinnen, sondern Zeit zu verlieren.« Wer spricht heute noch vom Spiel der Kinder? Der immer stärker werdende PISA-LeistungsKindergärten und Schulen sind aus dieser Sicht dazu da, Kinder wahn hat auf allen Ebenen panikartige Reakauf den Eintritt in das Wirtschaftsleben vorzubereiten. Jede Aktitionen zur Folge. BildungspolitikerInnen fühlen vität, die nicht darauf angelegt ist, diesem Zweck zu dienen, wird sich herausgefordert und antworten mit üblichen als Luxus oder »Kuschel« angesehen, mit anderen Worten: als Maßnahmen: Es mussten »Bildungspläne« für Verschwendung wertvoller Zeit. Wer kennt nicht die Meinung, auf Kindergärten und Schulen hergestellt und Kunst, Musik, Bewegung oder Spiel kön»Bildungsstandards« ne ein Stundenplan leichter verzichten festgesetzt werden. »Ein Kind ist eine Art Planet, als auf sogenannte »Hauptfächer« wie Natürlich sind auch den wir erst ein wenig kennen lernen.« Mathematik, Deutsch, Englisch … Erfolgskontrollen (Janusz Korczak) In der gegenwärtigen Debatte über »Bil(neudeutsch »Evaludung« herrscht zuviel Nützlichkeitszwang. ation« genannt, ein »Bildung« aber ist etwas, das man nicht zweiter Anwärter auf das Unwort des Jahres), »machen« kann und das man nicht wollen kann. Bei Hans Georg möglichst häufig und streng, nötig, und zwar für Gadamer, einem nicht unbedeutenden Philosophen, findet sich folalle: für LehrerInnen, ErzieherInnen und Kinder gendes Zitat: »Bildungsziele gehören zu dem schlechtesten Jargon (wo bleiben eigentlich die Eltern?). der Pädagogik. Bildung ist etwas, das wachsen muss, Zeit braucht Für den Kindergarten erfanden diese Experten und am Ende keinen überzeugenden Ausweis zu haben scheint.« ein neues Zauberwort: die »Frühförderung«. Hartmut von Hentig, einer der großen ReformSchneller, höher, weiter: Der Druck steigt pädagogen der Gegenwart, beschreibt die SituEs wäre dringend geboten, dass in die aufgeregte Diskussion Ruhe ation treffend: »Bildungspolitiker dekretieren einkehrt und Vorstellungen infrage gestellt werden, die aus Kindern in großer Hektik sogenannte‚ ›basale Schulleis »Kunden« und aus Kindergärten (Schulen) »Dienstleistungsbetungen‹: Frühlesen, Frührechnen, Frühschreitriebe« machen möchten, die in möglichst kurzer Zeit hochwertige ben, Frühenglisch sollen eingeführt werden. Es »Produkte« erzeugen sollen. ist zu befürchten, dass sie es auch tun, nicht Kinder sollten nicht für den »Markt« dressiert, sondern für ein zuletzt getrieben von beunruhigten und beselbstbestimmtes Leben gewappnet werden. Ein Leben nach der sorgten Eltern. Niemand ahnt dabei, wie heikel Devise »Ich eile, also bin ich!« schlägt nicht nur Erwachsenen auf das ist, nicht zuletzt, weil es ja widerstandslos den Magen, sondern geht auch den Kindern auf den Geist. geht – und man die schädlichen Folgen nicht gleich sieht.« Er fordert dagegen: Bildung muss Überall, wo Kinder und Jugendliche in Kindergärten oder Schulen Kinder ernst nehmen. oft oder immer Zeitnot verspüren, häufen sich die Fälle von Arz- Frühkindliches Lernen 28 Kraft zur Gestaltung des eigenen Lebens nannte man einst »Bildung«. Bildung ist deshalb von Ausbildung zu unterscheiden. Diese ist ein Mittel zur Qualifikation für den Arbeitsprozess, jene ist als Entfaltung des Individuums ein Selbstzweck. Selbstverständlich brauchen wir beides, Bildung und Ausbildung. Es geht aber doch nicht, dass man einem Kind den Lebenslauf in einem schwarzen Aktenkoffer samt Laptop schon in die Wiege legt. Auf diese Weise wird niemand auf die viel zitierte »Wissensgesellschaft« vorbereitet, die – betrachtet man die Medienlandschaft von Zeitungen, Fernsehen, Rundfunk – zunehmend zu einer »Verblödungsgesellschaft« entartet. Alternative Modelle »Menschen stärken, Dinge klären« ist die Leitidee der Laborschule Bielefeld, deren Gründer Hartmut von Hentig ist. Bildung heißt »klären«, aufklären. Es liegt nahe, hier an den Philosophen Immanuel Kant zu erinnern. Seine klassische Forderung lautet: »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit – wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« Wenn heute vom »Bildungsauftrag« des Kindergartens die Rede ist, bleibt zu hoffen, dass dieses Schlagwort nicht wieder zu einer Verschulung von Kindheit beiträgt. Diese Diskussion hatten wir schon einmal, in den 1970er Jahren, unter dem Titel: »Der Streit um die Vorschulerziehung« mit Arbeitsmappen, Früh lesebewegung und logischen Blöcken. Wenn »Bildung« Vorrang haben soll in unseren Kindergärten, ist dieser Aufruf nur dann sinnvoll und notwendig, wenn mit Bildung nicht Beleh- rung gemeint ist. Mit Kindern auf Forschungsreise zu gehen wäre danach die Aufgabe des Erwachsenen. Mit ihnen das Abenteuer der Entdeckungen zu erleben bedeutet aber auch, zu Umwegen bereit zu sein, und nicht insgeheim als Zeitverlust zu beklagen, sondern in das »Lob des Fehlers« einzustimmen. Ein Kind braucht Erwachsene, die ihm die Antworten gerade nicht abnehmen, sondern warten, Impulse geben oder mit Provokationen herausfordern. »Wir wollen nicht einem passiven Kind etwas lehren, sondern ein aktives Kind bei seinen Lernprozessen unterstützen«, sagen die »Reggioaner«. Was Kinder lernen, ergibt sich nicht automatisch aus dem, was ihnen beigebracht wird, sondern ist zum großen Teil das Werk ihrer Selbstlernprozesse. Dieses selbstständige Lernen als wichtiges Moment einer neuen Lernkultur bedarf allerdings der Freiräume, in denen Kinder »ihre selbstgesetzten Ziele auf selbstgewählten Wegen durch selbstständig genutzte Hilfsmittel zu erreichen versuchen« (H. v. Hentig). Und dennoch gilt: Kinder sind immer anders. Ein Kind ist eine Art Planet, den wir erst ein wenig kennen lernen, sagt Janusz Korczak, der »Pestalozzi aus Warschau«. Von ihm entleihe ich ein Trostwort: »Kinder sind wie ein Buch, das in fremder Sprache verfasst ist. Anhand von fünf verständlichen Ausdrücken soll die Erzieherin eine ganze Seite entziffern. Und von zehn verständlichen Ausdrücken widersprechen drei einander. Es ist keine leere Phrase, wenn ich sage: Zum Glück für die Menschheit können wir Kinder nicht dazu zwingen, erzieherischen Einflüssen und didaktischen Anschlägen auf ihren gesunden Menschenverstand und ihrem Willen nachzugeben.« Dieser Artikel ist in ungekürzter Form in der Fachzeitschrift »Unsere Kinder 2/2007« erschienen. 29 Die Kiste »Das Gefühl selbstverständlicher Zugehörigkeit, die Erfahrung, gebraucht zu werden; die Gewissheit, erwünscht zu sein – das sind die wichtigsten Bedingungen für das Aufwachsen von Menschenkindern. Sie sind Voraussetzung für ein gelingendes Leben und Grundlage für erfolgreiches Lernen.« Mag.a Birgit Lacheiner, AG TechnikA Die Kiste Rollen ohne Klischee Geschlechtssensible Pädagogik und ihr Einsatz in der außerschulischen Betreuung. »Frauen in die Technik!« ist eine oft gehörte Forderung im medialen terrolle zu entsprechen. Das Eröffnen von vielund wirtschaftspolitischen Bereich. Diskutiert wird die Notwenfältigen Möglichkeiten des Agierens führt zum digkeit, Frauen für technische Berufssparten zu qualifizieren, vor Erwerb eines möglichst breiten Spektrums an Fähigkeiten und Fertigkeiten. Durch das spieleallem, um den FacharbeiterInnenmangel auszugleichen. Wo be ginnt Chancengleichheit am Arbeitsmarkt? Erst beim Berufseintritt rische Erlernen geschlechtsuntypischer Handoder kann schon die Kleinkindpädagogik zukünftige Handlungslungsmöglichkeiten kann zukünftig wirkliche spielräume der Kinder erweitern? Ein Chancengleichheit Konzept hilft, jahrzehntelang wirksame hinsichtlich BerufsTraditionelle Geschlechterrollen stereotype Berufsbilder und traditionelle wahl, Partnerschaft Geschlechterrollen schon in der Kinderund Kindererziehung sind schon in der Kinderkrippe krippe zu hinterfragen. geschaffen werden. zu hinterfragen. Geschlechtssensible Pädagogik Geschlechtssensible Pädagogik ist das Konzept, um geschlechtsspezifische Stereotypen überwinden zu können. Es basiert auf dem Wissen, dass das Geschlecht eines Menschen Einfluss auf seine Lerngeschichte hat und die Ausbildung von Fähigkeiten und Fertigkeiten beeinflusst. Kinder lernen von Geburt an, ihrer Geschlech- Bei geschlechtssensibler Arbeit mit Kindern geht es nicht darum, alle Mädchen in männertypische Berufssegmente zu drängen, um eine Nachfrage des Arbeitsmarktes zu bedienen. Die Feststellung, dass nicht alle Mädchen und genauso wenig alle Buben gleich sind, ist zentral im Konzept Geschlechtssen sible Pädagogik. Einschränkungen, die einzelne Kinder bewusst oder unbewusst aufgrund ihres Geschlechtes erfahren, sollen aber erkannt werden. Gemeinsam mit den Kindern sollen Handlungsmöglichkeiten erarbeitet werden, die es dem Kind ermöglichen, gesellschaftlich generierte Defizite in erweiterte Kompetenzen umändern zu können. Geschlechtssensible Pädagogik • ist Alltagsarbeit in der Kinderbetreuungseinrichtung • ist eine Haltung, die Wertvorstellungen widerspiegelt • ist permanentes Reflektieren und Infragestellen von gegebenen Strukturen und Abläufen • ist bewusstes Schaffen von Rahmen bedingungen, um Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu erarbeiten Das persönliche Talent des Kindes fördern Geschlechtssensible Pädagogik 30 Eine Möglichkeit der Verankerung geschlechtssensibler Pädagogik im Kinderbetreuungsalltag ist das Gestalten offener Spielbereiche. Ohne Puppen- und Bauecken ist kein Eindringen in Mädchen- oder Bubendomänen notwendig und die Kombination verschiedener Spiele wird erleichtert. Idealerweise arbeiten Männer und Frauen im Betreuungsteam, so ergeben sich unterschiedliche Rollenvorbilder beider Geschlechter für Kinder. Sie sollen erleben, dass auch Männer für Kindererziehung und hauswirtschaftliche Tätigkeiten gerne zuständig sind. Kinder erfahren, dass Männer und Frauen in unterschiedlichen hierarchischen Positionen und Tätigkeitsbereichen arbeiten. Das Überarbeiten von Bildungsgut und Spielmaterial gehört ebenso zu geschlechtssensibler Arbeit wie das bewusste Einbeziehen der Väter in die Elternarbeit. Gezielte Strategien und Angebote für Mädchen und Buben sind: Mädchen: • geschlechtergerechter Sprachgebrauch •M ädchenorte: neue Plätze entdecken und erobern •W ünsche, Bedürfnisse und Abneigungen artikulieren (»Nein, geh weg, ich mag das nicht, ich kann das alleine…«) • Offensives Zugehen auf Unbekanntes • Wehren und Verteidigen • Schreien und Aufmerksamkeit erwecken Durch geschlechtssensible Pädagogik Chancengleichheit schaffen Österreichweit gibt es bereits einige Kinderbetreuungseinrichtungen, die mit geschlechtssensiblem Schwerpunkt arbeiten. Die Stadt Linz startete im September 2005 ein Pilotprojekt im Kindergarten Römerstraße, in Graz gibt es mit dem Verein Modellino schon seit 2003 Kinderbetreuung mit dieser Ausrichtung. Bereits 1999 wurde in Wien fun & care im Zuge des Projektes »1. geschlechtssensibler Kindergarten in Wien« gegründet. Diese drei Einrichtungen sind vernetzt und auch in die Arbeit der AG TechnikA involviert (siehe Infobox). Wichtig für die Zukunft unserer Kinder ist, dass sie ihr Potenzial nicht mehr nur in typischen Frauen- oder Männerberufen beweisen, sondern sich nach dem persönlichen Talent für eine Sparte entscheiden können. Traditionell männlich besetzte Bereiche werden dabei schwerer aufzubrechen sein, das gesellschaftliche Prestige ist wesentlich höher als bei traditionell weiblichen Tätigkeiten und Berufen. Geschlechtssensible Pädagogik macht es möglich, diese festgefahrenen Strukturen schon frühzeitig auszuhebeln. »Frauen in der Technik!« ist im ganzen Prozess dann nur ein positives Ergebnis unter vielen. • Technik, Werken, Computer Buben: • positive Körperwahrnehmung •p ositive Bewertung »weiblicher« Rollen (Verkleiden, Rollenspiele) •U nterstützung beim Ertragen von Frustration, beim Warten und Hilfsbedürftigkeit zugeben AG TechnikA Die Arbeitsgruppe TechnikA besteht aus dem Frauendokumentations- und Projektzentrum Graz, dem Verein Mafalda und dem Verein Modellino. •K onflikte begleiten (alternative Lösungsstrategien aufzeigen) •E rlernen von Umgang mit Puppen (der Puppenvater) •E rlernen von hauswirtschaftlichen Tätigkeiten (der Hausmann) 31 Die Kiste Die Praxis Mag.a Beate Wagner, Sonderkindergartenpädagogin, Heilpädagogischer Kindergarten Mosaik in Graz Die Kiste Pädagogik der Vielfalt und der Individualität Der Heilpädagogische Kindergarten als Bildungs- und Betreuungseinrichtung für Kinder muss als Ort der Pädagogik der Vielfalt verstanden werden, der Inklusion lebt. Die harmonische Entfaltung von Kindern ist ein natürlicher und darum langsamer Prozess. Unsere Aufgabe ist es, die rechten Bedingungen dafür zu schaffen, aber nicht, den Prozess zu beschleunigen. Bringen wir es als Erwachsene fertig, diese inneren Prozesse nicht durch unsere Ungeduld zu stören, sondern ihnen den nötigen Nährstoff zu liefern, so lernt das Kind auf eigenen Füßen zu stehen und nicht sein Leben lang von äußerer Führung abhängig zu sein. Rebecca Wild Pädagogik der Vielfalt bezieht sich grundsätzlich auf die Anerkennung heterogener Lern- und Lebensformen, zum Beispiel der Menschen mit Behinderung, der Menschen mit verschiedenen geschlechtlichen Lebensentwürfen und der Menschen aus verschiedenen Kulturen. Auch in der Arbeit und im Zusammenleben mit Kindern muss die Pädagogik der Vielfalt zum Ausdruck kommen sowie die Gleichheit der Kinder, etwa hinsichtlich des Rechtes auf Bildung, gelebt werden. Das Gleichheitsrecht auf Bildung wird umso mehr eingelöst, je mehr verschiedene Bildungssysteme gleichen Zugang zu Bildung gewährleisten und Chancengleichheit fördern (Prengel 2007, S. 6 f). Unterschiede einschließen Der Heilpädagogische Kindergarten als Bildungs- und Betreuungseinrichtung für Kinder muss demnach auch als Ort der Pädagogik der Vielfalt verstanden werden, der Inklusion lebt. Der Grundgedanke der Inklusion ist, »dass sie jedwelche Unterschiede zwischen (jungen) Menschen einschließt – also Konzepte entwickelt, damit alle miteinander leben und lernen, unabhängig von ihren physischen, intellektuellen, sozialen und emotionalen, sprachlichen oder anderen Fähigkeiten, behinderte und begabte Kinder (…)« (Schnell Irmtraud, Welt des Kindes 4/2006). Da es Regeln gibt, die nicht für alle gelten können, da manche Kinder mit manchen Situationen anders umgehen können bzw. aufgrund ihrer Behinderung anders umgehen müssen, braucht es die Vielfalt trotz der Gleichheit. Kinder mit einer Behinderung verfügen meist über andere Möglichkeiten und Fähigkeiten und fordern und ermöglichen so ein Mehr an sozialer Kompetenz. Andere Kinder der Gruppe haben so die Chance, Andersartigkeit als solche zu erkennen und durch den behutsamen Umgang der Kindergarten pädagogIn diese Thematik als Gleichwertigkeit zu erleben. Eine Auswahl an Angeboten Da legt der Kindergarten den Grundstein für das Erfahren von Andersartigkeit als gleichwertig und von Toleranz. Es ist das Vorbild der Erwachsenen, das solche wichtigen Lernerfahrungen ermög licht. Kinder, die sozial und emotional gestärkt sind, freuen sich voll Neugier und Interesse auf die Auseinandersetzung mit ihrer Welt. Sie finden im Kindergarten eine Auswahl an Angeboten vor, die ihren Entwicklungsaufgaben – zu entdecken, zu differenzieren, zu probieren und zu verändern – entgegenkommen. Ein Auszug aus der Konzeption des Heilpädagogischen Kindergartens Liezen unterstreicht den Aspekt der ganzheitlichen Förderung und Bildung: Das Ziel unseres Teams ist es, den Kindern bestmögliche Betreuung und Förderung zur Anregung von Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit zu bieten. Um dies zu gewährleisten, orientieren wir uns am Kind, seiner jeweiligen Lebenssituation und an seinen individuellen Bedürfnissen. Dabei wird darauf geachtet, Körper, Geist und Seele mit einzubeziehen. »Ganzheitliche Förderung« bedarf einer umfassenden Wahrnehmung jedes einzelnen Kindes. Dabei sollten folgende Grundsätze besonders beachtet werden: •d ie Würde jedes einzelnen Menschen wahren • respektvoller Umgang mit anderen Weltbildern • genügend Raum für Individualität geben Dafür ist es wichtig, die Ressourcen des Kindes zu nutzen, seine Persönlichkeit zu stärken und lebenspraktische Fertigkeiten einzuüben. Klare, überschaubare und gegebenenfalls individuelle Regeln und Grenzen für das soziale Zusammenleben und den Alltag werden mit den Kindern erarbeitet, festgehalten und weiterentwickelt. Heilpädagogisches System 32 In der sprachlichen Entwicklung berücksichtigt eine Pädagogik der Vielfalt die »Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit« bei allen Kindern. Kinder, die über keine (verständliche) Lautsprache verfügen, haben es erfahrungsgemäß schwerer, Sozialkontakte aufzubauen und zu festigen. Im Gegenzug dazu schulen aber diese Kinder gleichermaßen bei Erwachsenen wie bei anderen Kindern die Fähigkeit, zu beobachten und zu deuten und hineinzuspüren. Mobilität gewährleisten In der Auseinandersetzung mit ihrer Welt brauchen Kinder, deren Bewegungsmöglichkeiten aufgrund ihrer Behinderung (z. B. Cerebralparese) nicht vorhanden ist, ideale Rahmenbedingungen, die eine gewisse Mobilität gewährleisten und ihnen auch Zugang zu allen Spielangeboten schaffen. Der Kindergarten ist auch ein Ort, wo Erfahrungen gemacht werden können, die stark bewegungseingeschränkte Kinder sonst nicht machen könnten. Letztlich ist es aber wiederum eine soziale Anforderung und Bereicherung für die Gruppe, dafür Sorge zu tragen, dass auch die Kinder, die eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten haben, am Gruppengeschehen – ihrer Situation angepasst – teilhaben können. Ganzheitliche Förderung heißt Körper, Seele und Geist des Kindes miteinbeziehen Soziales Lernen Als höchstes Bildungsziel sollte das des sozialen Lernens betrachtet werden. Der Alltag im Kindergarten, besonders in der Integration, bietet zahlreiche Übungsmöglichkeiten dafür. Ein empathisches ErzieherInnenverhalten ist die Dazu kommen das Voraussetzung dafür, da sich Kinder weit Erleben zeitlicher Bildung bezieht sich auf die individuelle mehr daran orientieren, was Erwachsene Abläufe und das der Entfaltung der Persönlichkeit in einem vorleben, als was sie sagen. Dies gilt für Sicherheit von Struksozialen Rahmen. PädagogInnen und für Eltern. Ein weturen und Ritualen, sentlicher Bestandteil der Tätigkeit als die den Alltag überKindergartenpädagogIn oder Sonderkinschaubar machen. Auch das Feiern als eine bedergartenpädagogIn ist das Miteinander von Eltern, Therapeusondere Form des Miteinanders, vertieft durch tInnen und weiteren PartnerInnen im System. die Vorfreude und das Wissen um dessen WieMit allen diesen Aufgaben ist das Vorschulalter eine reichlich ausderholung, stärkt das Gefühl der Zugehörigkeit. gelastete Zeit. Kindergartenpädagogik ist somit ein Berufsfeld, das Mit vielen Inhalten und wachsender Erfahrung eine große soziale Verantwortung trägt: den Grundstock zu legen lernen Kinder auch zu vergleichen und einfür Selbstbestimmung, für Mitbestimmung und für Solidarität. zuordnen, zu unterscheiden und sensibel zu sein. 33 Die Kiste Eine Möglichkeit im kreativen Bereich bietet zum Beispiel das bewusste abstrakte Gestalten mittels zahlreicher unterschiedlicher Techniken, wo noch einmal mehr das Tun im Vordergrund steht und die angewandte Technik gleichzeitig ein ansprechendes Ergebnis gewährleistet (z. B. Klatschtechnik, Walzen …). So haben auch die Kinder, deren Graphomotorik nicht so weit entwickelt ist, das gleiche Erfolgserlebnis wie andere. Katica Brčina, Diplompädagogin, Projektleiterin »Interkulturelle Pädagogik in (und um) Kinderbetreuungseinrichtungen in der Steiermark« Die Kiste Gleiche Chancen in der Bildung Verbesserung der Bildungschancen von Kindern mit Migrationshintergrund: Ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu einer modernen Integrationspolitik. Wir leben in einem Einwanderungsland, zu dieser Tatsache bekennt sich Österreich noch immer nicht gerne. Sie lässt sich aber nicht länger verdrängen. Am wenigsten in jenen Einrichtungen, die für MigrantInnen oft den ersten Kontakt mit einer öffentlichen Einrichtung darstellen – in den außerschulischen Institutionen. Eine Bildungspolitik, die diese Tatsachen nicht in vollem Ausmaß anerkennt und in ihre Arbeit einbezieht, hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung um einiges hinterher. Das spürt man nicht selten im Alltag von Kindergärten, Kinderkrippen und Horten. Nicht selten ist der Wille einer Einrichtung hin zur interkulturellen Öffnung etwas, das zwar als lobenswertes, jedoch nicht unbedingt als nötiges oder gar verbindliches Engagement gesehen wird. Integration als pädagogisches Prinzip Dabei braucht es gerade in der vorschulischen pädagogischen Arbeit, welche die Grundlagen für den weiteren Lern- und Erfolgsweg darstellt, ein Bekennen, ein deutliches »JA« zur Integration und zu einer damit verbundenen Offenheit. Dies muss als pädagogisches Prinzip in die Arbeit von außerschulischen elementaren Bildungseinrichtungen eingehen, es darf nicht länger eine Sache des guten Willens und des freiwilligen Engagements bleiben. Natürlich erhebt dies hohe Ansprüche an einen Bildungsplan für diese Einrichtungen. Und es fordert natürlich auch von Kindergarten- und HortpädagogenInnen einiges ein: den Willen zur Veränderung, das Hinterfragen von eingefahrenen Verhaltensmustern, die Fähigkeit, Kritik an sich selbst zu üben ... Leicht ist der Weg dorthin nicht, das muss auch festgehalten werden. In Zeiten, in denen sich pädagogisches Personal immer mehr mit Kürzungen von finanziellen und zeitlichen Ressourcen, mit Personalknappheit und mit mangelndem Ansehen der eigenen Arbeit konfrontiert sieht, kann es schwerfallen, in aller Offenheit und mit der nötigen Energie zu arbeiten! Ohne Trennlinien Ein Bildungsplan ist hier natürlich nicht das pädagogische Allheilmittel, aber er ist nötig, um Nur ein Bildungsplan, der auch die Migration zum Thema macht, schafft gleiche Chancen für alle Kinder Migration 34 erlangen, es gehören zwei Seiten dazu. Integration ist also nicht allein die Bringschuld derjenigen, die »sich zu integrieren haben«. Die Mehrheitsgesellschaft hat hier tatsächlich mehr Möglichkeiten, eine solide Grundlage zu schaffen, die Menschen nicht nur auf den kulturellen Hintergrund reduziert, sondern auch weitere bestehende Identitäten zulässt. »Im normalen Leben verstehen wir uns als Mitglieder einer Vielzahl von Gruppen, denen allen wir angehören. [...] Jedes dieser Kollektive, denen ein Mensch gleichzeitig angehört, verleiht ihm eine bestimmte Identität. Keine seiner Identitäten darf als seine einzige Identität oder Zugehörigkeitskategorie verstanden werden.« (Sen 2007) In so einen Bildungsplan gehören ganz selbstverständlich – als ein durchgängiges Prinzip – der Aspekt der Migration und seine Auswirkungen auf die pädagogische Arbeit. Dieser Aspekt darf nicht als gesondertes Thema behandelt werden unter dem Motto: »zuerst unsere Kinder, dann schauen wir, wie wir die Kinder mit Migrationshintergrund da reinkriegen Bildung in verschiedenen Dimensionen ...« Wenn unser Ziel ernsthaft die Integration In einem Bildungsplan, der auf die Chancengleichheit aller Kinder und ein friedliches Miteinander ist, dann ist der abzielt, ist die Einbeziehung der kindlichen Lebenswelt in allen seierste Schritt weg von der Trennungslinie zwinen Facetten zu berücksichtigen. Das Berliner Bildungsprogramm schen »einheimischen« und »ausländischen« betrachtet beispielsweise in seinen AusKindern. Weg von den führungen zum Bildungsverständnis den Zuschreibungen bezoEs braucht einen differenzierten Blick auf kulturellen Aspekt unter verschiedenen gen auf Kulturen und Gesichtspunkten. Hier wird von Bildung unsere in der Veränderung begriffene Herkünfte, die unweiin seinen verschiedenen Dimensionen gerlich in Klischees Gesellschaft. gesprochen – Bildung als kultureller Proenden! zess setzt sich mit Gleichheit und mit Unterschieden auseinander. Die behandelten Unterschiede bezieGrundlagen schaffen hen sich auf geschlechtlich-kulturelle, sozial-kulturelle, ethnischNötig ist ein differenzierter Blick auf unsere in kulturelle und individuelle Unterschiede sowie auf die ethische und der Veränderung begriffene Gesellschaft und religiöse Bildung (vgl. Berliner Bildungsprogramm 2004). Würden auf die daraus entstehenden Lebensrealitäten. wir uns nun bei Kindern mit Migrationshintergrund rein auf den Weg von Zuschreibungen und Klischees bedeuethnisch-kulturellen Aspekt beziehen, erklärt sich die daraus enttet aber nicht das Negieren von Unterschieden stehende Einseitigkeit von selbst. – wir sind nicht alle gleich, aber jeder Mensch verdient in seiner Eigenheit dieselbe Wertschätzung und denselben Respekt. Wertschätzung und Respekt kann man nur in Gegenseitigkeit Chancengleichheit bedeutet die Verbesserung der Bildungschancen von Kindern mit Migrationshintergrund als verbindliches Qualitätskriterium in allen Bildungsbereichen. 35 Die Kiste die professionelle pädagogische Arbeit verbindlich weiterzuentwickeln und dem gesellschaftlichen Kontext und den Erfordernissen unserer Zeit entsprechend zu gestalten. Christine Kiffmann-Duller, Vorsitzende der Berufsgruppe der Kindergarten- und HortpädagogInnen Die Kiste Spielend gebildet Nur gelebtes Wissen ist lebendiges Wissen: Bildung in einem Gesetz festzuschreiben genügt alleine nicht. Wie viel darf es kosten? Bildung braucht Rahmenbedingungen. Wenn eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung des Bildungssystems angestrebt ist, muss der Blick auf internationale Studien (Bsp. OECD Studie »Starting strong«, 2006 oder Sell S., »Der volkswirtschaftliche Nutzen der Kinderbetreuung«, 2004) gerichtet sein. Bildung in einem Gesetz festzuschreiben genügt alleine nicht. Es gilt die Umsetzung durch einen entsprechenden Rahmen, d. h. durch in der Praxis umsetzbare Bildungspläne mit ausgewiesenem Bildungsbudget zu sichern. Planvolles Tun ist Kindergarten- und HortpädagogInnen nicht neu. Notwendig sind öffentliche Anerkennung, wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung, um das, was den frühen Bildungsalltag trägt, nach außen zu bringen. In einem Bildungsplan sind Bildungsinhalte für die pädagogische Arbeit im frühen Bildungsbereich umfassend dargestellt und festgeschrieben. Es ist wünschenswert, dass ein Bildungsplan nur gemeinsam mit PädagogInnen, Eltern, Vertretern der Behörde und Politik für ein Land und seine Kinder entwickelt wird und es sollte auf keinen Fall eine Vorverlegung schulischer Bildung oder eine feste Standardisierung sein. Soll Bildung Spaß machen? Ja, auch. In freudvoller Eigenaktivität erobern Kinder Weltwissen und legen so die Basis für lebenslanges Lernen. Eltern und professionelle PädagogInnen begleiten, fördern und unterstützen Kinder Austausch mit anderen und der Welt stehen, in diesen elementaren Bildungsprozessen. Es besteht ein Zusamsich einlassen, kommunizieren, fremde Lebensmenhang von Arbeitszufriedenheit des pädagogischen Fachpersoäußerungen versuchen zu verstehen, Gefühle nals und Qualität in der elementaren Bildung. Ich kann Menschen empfinden und in anderen auslösen, haben die nur dorthin begleiten, wohin ich selbst bereit bin zu gehen. Bildung Chance, Wissen zu erlangen und dieses immer braucht die Selbstbildung – Ich-, Sozial- und Fachkompetenz – der wieder zu erweitern und zu revidieren. PädagogInnen. Ziel ist der Abbau und die Umwandlung von bloWie wird Wissen lebendig? ckierenden Energien, wie Stress und Erschöpfung, einen konstrukNur gelebtes Wissen tiven Umgang mit Konflikten, das Erist lebendiges Wissen. kennen geistiger Gesetzmäßigkeiten, ein Bleibt Bildung bloßes Gesundheits- und Umweltbewusstsein, Lebendiges Wissen inkludiert körperliche und geistige Beweglichkeit Herzensbildung und emotionale Intelligenz. Wissensmanagement kann eher von Aussowie die Möglichkeit der Entspannung bildung gesprochen und Ruhe für mehr Lebensqualität und werden, von – wie Freude und somit ein Freisetzen des inGoeudevert es formuliert – Wissen ohne Generen Kraftpotenzials. wissen. Lebendiges Wissen inkludiert HerzensWissen und Erfahrung gehören zusammen, sie können wie Lust und bildung, emotionale Intelligenz, die sich nur Leistung als unzertrennliches Zwillingspaar bezeichnet werden. in absichtsloser Emotionalität ausbildet. Wenn Wer Erfahrung macht, gelangt zu Wissen, ohne das wiederum die Kinder nicht erfahren, dass sie nicht nur wegen Erfahrung blind bliebe. Ein mit Kenntnissen gefüllter Mensch weiß ihrer Leistungen, ihres Gehorsams oder äußerer so wenig wie ein Lexikon oder eine Festplatte. In der BildungsAttribute geliebt werden, sondern ihrer selbst diskussion geht es um Anteilnahme und Verantwortung sowie willen, werden sie zu anerkennungssüchtigen, um ein Höchstmaß an Teilnahme: auf die Liebe kommt es an. leicht lenkbaren Menschen. Kindergarten- und Kindergarten- und HortpädagogInnen, die selbst in lebendigem Berufsgruppe 36 Die Vorgabe eines Bildungsplanes, ein längst fälliger Schritt, braucht zur Umsetzung wiederum Professionalität und Kompetenz der PädagogInnen, genauso wie die dafür nötigen strukturellen Ressourcen. Qualitätsentwicklung in der elementaren Bildung zielt auf nachhaltige Sicherung der Rahmenbedingungen, Anhebung des Ausbildungsniveaus der PädagogInnen, maßgeschneiderte berufsbegleitende Fortbildung und bedarfsorientierte Adaptierung des Angebotes an pädagogischen Tageseinrichtungen. Die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen durch erweiterte Flexibilisierung ist nur ein Beitrag dazu. Eltern wollen Qualität. Eltern erfahren in Kinderkrippe, Kindergarten und Hort Unterstützung, erhalten Impulse und Anregungen für die Gestaltung des Alltags mit ihrem Kind. Die Intentionen von Kindergarten- und HortpädagogInnen richten sich immer an Kinder und deren Eltern. Die intensive Zusammenarbeit mit den Eltern nimmt zum einen gerade in einer Zeit des ständigen Wandels, einer Zeit des Werteverlustes und der Desorientierung einen immer größeren Raum ein. Andererseits suchen Eltern immer häufiger die enge Zusammenarbeit, den verbindlichen Austausch zum Wohle ihrer Kinder. Die wertschätzende Kooperation mit den Eltern der Kinder, die in pädagogischen Einrichtungen betreut werden, nennen wir »Bildungspartnerschaft«. In Kinderbildungseinrichtungen entwickelt sich eine neue Kommunikationskultur, die von Wertschätzung und Respekt vor der persönlichen Realität jedes Einzelnen getragen ist. 37 Die Kiste HortpädagogInnen sind als Modell für Kinder und Eltern herausgefordert in der Aneignung und Umsetzung von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. In der Gemeinschaft der Kindergruppe oder im Team verwirklichen Kindergarten- und HortpädagogInnen Ziele, die in der pädagogischen Konzeption niedergeschrieben sind. Dr. Werner Tessmar-Pfohl, Vizepräsident der Industriellenvereinigung Steiermark Dr. Peter Härtel, Wissenschaftlicher Beirat »Zukunft der Bildung – Schule 2020« Die Zukunft der Bildung – aus Sicht der Industrie Was hat der Kindergarten mit Industrie zu tun? Sollen jetzt schon die Jüngsten für künftige Anforderungen in Wirtschaft und Beruf ausgebildet werden? Dürfen Kinder nicht mehr Kinder sein, einfach so, ohne durch Arbeit, Beruf, Leistung unter Druck gesetzt zu werden? und Lebensperspektiven zu tun hat, das ist im Sinne eines ganzheitlichen Bildungsverständnisses unverzichtbar. Aber nachdenken über den Wandel in Gesellschaft und der Welt, über veränderte familiäre Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen und was dies mit späteren Entwicklungs-, Bildungs- Ein Blick in die Zukunft: Schule 2020 Die Kiste Natürlich will niemand vorschulische Erziehung oder den Kindergarten unmittelbar an fachlich-beruflichen Qualifikationsanforderungen der Industrie ausrichten. Die Industriellenvereinigung hat sich dieser Thematik angenommen und mit ihrem Programm »Zukunft der Bildung – Schule 2020« umfassend Position zu Bildungsfragen bezogen. Im Zentrum dieses Programms steht die Schule als jener formelle Bildungssektor, in dem Grundkompetenzen vermittelt, entscheidende Phasen der Persönlichkeitsbildung begleitet und die Grundlagen für weitere allgemeine berufliche Ausbildungen gelegt werden. Aus Sicht von Wirtschaft und Industrie geht es nicht ausschließlich um Fertigkeiten und beruflich verwertbare Qualifikationen, sondern darum, dass das wichtigste Anliegen der Bildung das Heranbilden und die Stärkung einer wertorientierten, ganzheitlichen Persönlichkeit ist, dass im Bildungswesen alle Talente und Potenziale erkannt, entwickelt und gefördert werden müssen und dass diese Aufgabe nicht allein von der Schule bewältigt werden kann. Für eine wachsende Anzahl von Kindern hat sich die Umgebung in den letzten Jahrzehnten entscheidend verändert. Scheidungsrate und Kinderanzahl, gestiegene Beschäftigungsquoten – insbesondere der Frauen, gestiegener Anteil von Mitbürgern mit nicht deutscher Muttersprache, veränderte Kommunikationsumgebungen und vieles mehr beeinflussen das Heranwachsen unserer Kinder und führen – je nach sozialer Umgebung – zu wesentlichen Unterschieden in Entwicklungsstand und Reifegrad zum Zeitpunkt des Eintritts ins formale Schulwesen. Altersgerechte Bildung: Die Zeit im Kindergarten nutzen Wirtschaft 38 Es darf die Vermutung geäußert werden, dass viele Schwierigkeiten – etwa die Beherrschung von Grundkulturtechniken, der Umgang mit der Sprache, das soziale Verhalten –, die sich später beim Eintritt in eine berufliche Ausbildung oder Beschäftigung zeigen, ihren Ausgang nicht erst in schulischen Bildungswegen, sondern schon in Entwicklungsphasen davor nehmen. Das Startschuljahr Ausdrücklich betont das Programm der Industriellenvereinigung, dass dieses »Startschuljahr« mit altersgerechter »Kindergarten-Pädagogik« geführt werden muss. Die Industrie maßt sich dabei keine Kompetenz in der konkreten erzieherischen oder didaktischen Ausprägung dieser Altersphase an, sie ist jedoch der Überzeugung, dass im Interesse von Kindern und Familien, der Gesellschaft, der späteren Bildungsphasen und auch der Arbeits- und Berufswelt diese Zeit genutzt werden muss, um allen Kindern vergleichbare Chancen in ihrer persönlichen Bildungsentwicklung zu bieten. Zu viele Bildungsdefizite Die heutige Situation, in der ein zu großer Anteil junger Menschen je nach sozialem Hintergrund, sprachlicher Kompetenz oder fehlender familiärer Unterstützung dramatisch schlechtere Bildungschancen vorfindet (allein die PISARisikogruppe beträgt 20 %), ist schon aus sozialem Verständnis und bildungspolitischem Gerechtigkeitsdenken untragbar: Es ist auch aus wirtschaftlicher Sicht nicht vertretbar, einer so großen Gruppe junger Menschen aufgrund von Bildungsdefiziten den Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung zu erschweren. Vieles von dem, was in frühen Bildungsphasen versäumt wird, ist später nicht oder nur mit hohen Aufwendungen ersetzbar – umso mehr ist die Herausforderung aufzugreifen, auch die Zeit vor dem Eintritt in das formale Schulwesen für eigenständige, kindgerechte Bildungs- und Persönlichkeitsentwicklung zu nutzen. Dies gilt natürlich auch für die Zeiten vor dem 5. Lebensjahr, wobei gelten muss, je früher in der persönlichen Entwicklungsphase, desto wichtiger ist die integrierte Abstimmung mit den persönlichen und familiären Lebensumgebungen. Je weniger Einrichtungen außerhalb der Familien reine »Betreuungsplätze« sind, Die Talente und Potenziale rechtzeitig erkennen je mehr sie auch Beziehung, Förderung, Kommunikation und Entwicklung bieten können, desto besser werden auch nachfolgende Bildungs- und Entwicklungsphasen wirksam werden können. Wirksame Antworten finden Auch die Industrie und die Wirtschaft sind herausgefordert, ihre Arbeitsbedingungen und Berufsentwicklungen an Lebensumstände von Familie und Gesellschaft anzupassen. Dafür gibt es viele Initiativen in Unternehmen, im Diskurs der Sozialpartner und im Arbeitsrecht. Entscheidend ist, dass Bildung, Wirtschaft und Industrie die Herausforderungen der veränderten gesellschaftlichen Lebensumgebung annehmen und dafür gültige und wirksame Antworten finden. Kindergarten und vorschulische Erziehung haben schon heute in vielen Bereichen eine bunte, vielfältige, auf die individuelle Entwicklung von jungen Persönlichkeiten ausgerichtete Pädagogik entwickelt und eingesetzt. Dies weiter zu verbreiten und für alle in unserem Lande wirksam werden zu lassen ist zuallererst im Interesse der unmittelbar betroffenen jungen Menschen und deren künftiger Lebensperspektive sowie deren Familien, aber auch im Interesse der gesamten Gesellschaft. Die Industrie wird daher aus ihrer Verantwortung für hunderttausende MitarbeiterInnen und deren Familien, aus der Erfahrung der Personalentwicklung, insbesondere auch der Aufnahme und Ausbildung junger Menschen heraus diese Fragen auch in Zukunft mit Engagement und Initiative verfolgen. 39 Die Kiste Die Industrie ist daher der Überzeugung, dass es erforderlich ist, schon vor dem Zeitpunkt des heutigen Schuleintritts ein verpflichtendes, staatlich finanziertes »Startschuljahr« ab dem 5. Lebensjahr einzuführen, das insbesondere dem Ausbau der sprachlichen, kommunikativen und sozialen Fähigkeiten zur besseren Vorbereitung auf die Grundstufe dienen soll. Die Kiste Es war einmal … Alle reden über Bildung im frühkindlichen Bereich, als ob es etwas wäre, was nicht ohnehin schon lange »passiert«, als ob das Rad neu erfunden werden müsste, und von jedem womöglich ein anderes Rad, ein anderer neuerer Ansatz in der Pädagogik. Dazu ein Blick zurück ins 19. Jahrhundert. Natürlich hat sich im Laufe der Jahre, der Jahrhunderte einiges geändert an den Bedürfnissen der verschiedenen Beteiligten, die Interesse an Bildung und Erziehung unserer Kinder haben. Einiges davon wurde einfach anders formuliert, war aber in Ansätzen immer schon vorhanden. Das Bedürfnis der Kinder nach Zuwendung, Wertschätzung, Geborgenheit, Einbindung in die Gemeinschaft und die Möglichkeit, eigene Potenziale zu nutzen und auszubauen, ist gleichgeblieben. Das Recht auf Bildung ist als eines der Grundrechte von Kindern niedergeschrieben. Die Früherziehung In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es einige Initiativen im deutschsprachigen Raum, nach festgeschriebenen Plänen für die elementare Erziehung hier auch den Bildungsgedanken zu verankern. Getragen vom Gedanken der Chancengleichheit wurde die Frühförderung als wichtig angesehen und viele didaktische Materialien vor allem auf kognitivem Gebiet entwickelt. Dazu entstanden auch »curriculare Ansätze«, die aber eher zu einer Verschulung in den Kindergärten führten. Einige dieser »Arbeitsblätter« kann man auch noch heute in den Einrichtungen finden. Gescheitert ist vieles an den Umsetzungen, an den finanziellen Mitteln und an veränderten gesellschaftlichen Bedingungen sowie neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Hirnforschung. Geblieben sind viele Ideen, die in den letzten Jahren wieder aus den Schubladen hervorgeholt werden und auf zeitgemäße Implementierung warten. Schon im 19. Jahrhundert gab es einige bahnbrechende Leitgedanken, die die neue Einrichtung Kindergarten betrafen und die bei einiger Übersetzungs-Phantasie durchaus heute auch noch gelten können. In den nachfolgenden Passagen sollen Einblicke in die »Praktische Kindergärtnerei« aus dem Jahr 1887 nach dem Pädagogen Friedrich Fröbel gegeben werden. Machen Sie sich Ihr Bild darüber selbst! 1. Was ist der Kindergarten? Der Kindergarten ist eine Erziehungsanstalt, welche Kinder vom 3. bis zum 7. Jahre nicht nur in Aufsicht nimmt, sondern auch ihnen ihrem Wesen entsprechende Tätigkeit gibt, ihren Körper kräftigt, ihre Sinne übt und den erwachenden Geist beschäftigt, sie sinnig mit Natur und Menschenwelt bekannt macht, besonders auch Herz und Gemüt richtig leitet und zum Urgrund allen Lebens, zur Einigkeit mit sich führt (Fr. Fröbel). 2. Welche Stellung nimmt der Kindergarten zu Haus und Schule ein? Er steht als Vermittlungsglied zwischen beiden, indem er die große Kluft ausfüllt, welche die Schule von der Familie trennt. 3. Inwiefern tut er dies? Insofern er dies aus mancherlei Verhältnissen und Umständen unzureichende Hauserziehung durch gemeinsame Spiele und Beschäftigungen ergänzt und durch eine harmonische Entwicklung aller Körper- und Geisteskräfte die Kinder auf die Lernschule vorbereitet. Rückschau 40 4. Gegen welche falschen Deutungen muss sich der Kindergarten verwahren? Einmal, dass er die elterliche Erziehung überflüssig machen und zweitens, dass er in die Rechte und Pflichten der Schule eingreifen wolle. 36. Welches ist der oberste leitende Grundsatz der Pädagogik Fröbels? Das Kind wird entwickelnd erzogen. 37. Wie ist das zu verstehen? Das Kind soll von innen heraus gebildet werden durch harmonische Entwicklung aller in ihm wohnenden Kräfte und Triebe; hingegen soll alles und jedes von außen kommende bloße Anlernen vermieden werden. 38. Wie geschieht das? Nicht durch bloßes Auswendiglernen, sondern durch Anschauen, Begreifen, Sprechen und Tun, oder Schaffen. 39. Welcher Grundsatz schließt sich diesem an? Das innerlich Empfundene und Erkannte wird äußerlich dargestellt. 40. Ist dieser Grundsatz so wichtig, und warum? Er ist von großer Wichtigkeit, weil der Mensch nicht nur ein denkendes und fühlendes, sondern auch ein wollendes, schaffendes Wesen ist, das seine hohe Bestimmung ohne gute und schöne Entfaltung des Tätigkeitstriebes nicht erreicht, ja vielmehr durch einen verdumpften und irregeleiteten Trieb des Schaffens und Tuns zu einer tierischen Kreatur herabsinkt. Fröbel ist der erste Pädagoge, der diesen Grundsatz betont und anwendet. 41. Wodurch wird dieser Grundsatz im Kindergarten zur Anwendung gebracht? Durch Spiel und Beschäftigung (Arbeit). Vieles mag natürlich heute sprachlich schwer verstehbar sein, aber die Grundgedanken waren die »angemessene Tätigkeit und bildende Beschäftigung« der Kinder, womit vor allem das Spiel gemeint war. Der Spagat zwischen Betreuung und Bildung Nach dem Sprung in die Vergangenheit wieder zurück in die Zukunft: Viele Eltern sind auf qualitätsvolle Kinderbetreuung in Kinderkrippe, Kindergarten und Hort, wie sie in den steirischenKinderbetreuungseinrichtungen angeboten wird, angewiesen. Die Kinder haben sozusagen ein Recht darauf. Strukturen stellt die Politik zur Verfügung, die sowohl für die Ausbildung als auch für die Praxis die notwendigen Rahmenbedingungen in Form von Gesetzen und monetären Unterstützungen für Eltern, Erhalter und PädagogInnen schaffen. Es gilt den Spagat zwischen Bildung und Betreuung zu schaffen. Dafür braucht es genügend Plätze und ausreichende und flexible Öffnungszeiten. In den »Bildungs-Einrichtungen« werden Wissensinhalte, Kenntnisse und Fertigkeiten, wie sie für eine globalisierte Welt notwendig sind, vermittelt. Werte wie Demokratie, Mündigkeit und Toleranz werden als »lebensnotwendig« angesehen und gelebt. Das zitierte Buch wurde von Renate Jäger, Kindergartenpädagogin, zur Verfügung gestellt. Seidel, F.: Katechismus zur Praktischen Kindergärtnerei. Leipzig, Verlagsbuchhandlung J.J. Weber 1887 41 Die Kiste Inneres Leben des Kindergartens Allgemeine Grundsätze und Gesetze Die Kiste Literaturhinweise Zusammenfassend werden die Literaturangaben der vorangestellten Artikel und weiterführende Literatur zum Thema sowie ausgewählte Links angeführt. • A martya, S.: Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. München, C. H. Beck 2007 • A nhammer Ch. : Mädchenarbeit »… weil ich ein Mädchen bin«. Wien, Katholische Jungschar 2002 • Baum, I.: »Wege zum Licht«. St. Margarethen/Raab, Eigenverlag 1987 • BMFSFJ (Hrsg.): 11. 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München, Hanser 1995 • Elkind, D.: Das gehetzte Kind: Werden unsere Kleinen zu schnell groß? Bergisch Gladbach, Gustav H. Lübbe 1992 • Hüther, G.: »Die Macht der inneren Bilder«. Göttingen, Vandenhoek & Ruprecht 2006 • Elschenbroich, D.: Weltwissen der Siebenjährigen. München, Goldmann 2002 • Fthenakis, W. E. (Hrsg.): Auf den Anfang kommt es an! Perspektiven zur Weiterentwicklung des Systems der Tageseinrichtungen für Kinder in Deutschland. Weinheim, Beltz 2003 • Fthenakis, W. E.: Zur Neukonzeptualisierung von Bildung in der frühen Kindheit. In: Fthenakis, Wassilios E. (Hrsg.): Elementarpädagogik nach PISA. Wie aus Kindertagestätten Bildungseinrichtugen werden können. Freiburg im Breisgau, Herder 2003 • Fthenakis, W. E. (Hrsg.): Bayerischer Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Entwurf für die Erprobung. Weinheim, Beltz 2003 • Gehring, G., Marbot M.: Wir lassen ROLLEN rollen. 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In: kindergarten heute, 1/2007 S. 6 – S. 10 Kinderbetreuungseinrichtungen in der Steiermark »Alterserweiterte Gruppe«: 90 »Alterserweiterte Gruppe«: 1.637 Betriebsjahr 2006/07, Stand: 25. Mai 2007 *Zusätzlich werden in 19 Heilpädagogischen Kindergärten 84 IZB-Gruppen geführt Kinderbetreuungseinrichtungsgruppen inklusive IZB-Gruppen: 1.586 Personal in den Kinderbetreuungseinrichtungen »Alterserweiterte Gruppe«: 131 Betriebsjahr 2006/07, Stand: 5. März 2007 »Alterserweiterte Gruppe«: 131 Die Kiste Statistik Personal gesamt: 5.356 Steiermarkweit werden 2.558 Kinder von 618 Tagesmüttern betreut. Stand: 30. Jänner 2007 Statistik 44 Die Kiste Impressum: Eigentümer und Herausgeber: Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Fachabteilung 6B – Kinderbetreuungsreferat. Für den Inhalt verantwortlich: Mag. Franz Schober; Redaktionsteam: Mag.a Martina Grötschnig, Mag.a Petra Prascsaics, Dr.in Ingeborg Schmuck; Gestaltung und Layout: RoRo + Zec, Graz; Druck: Medienfabrik Graz. Fotos: Mag. Franz Schober (Cover, Seite 4, 7, 8, 12, 14, 15, 17, 18, 19, 20, 22, 24, 25, 30, 35 und 39), Irmgard Kober-Murg (Seite 10, 11, 13, 27, 28, 29, 31, 33, 34 und 36–38) , Maitz (Seite 16). Die in den Beiträgen angeführte Berufsbezeichnung KindergartenpädagogIn gilt auch für ErzieherInnen in Horten und SonderkindergartenpädagogInnen. 45 Kiste 07 Die Kinderbetreuung in der Steiermark