Prof. Dr. Rudolf Stark

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Prof. Dr. Rudolf Stark
Neurowissenschaftliche
Erkenntnisse zu Furcht und
Ekel
Prof. Dr. Rudolf Stark
Justus Liebig Universität Gießen
Psychotherapie und Hirnforschung, Schloss
Berge Gelsenkirchen, 30. November 2007
Angst im Zentrum vieler psychischer Erkrankungen
Angststörungen
Schizophrenie
Depression
organische
psychische
Störungen
Angst/
Furcht
Sucht
Zwangsstörung
Essstörungen
Spezifische
Phobie
Anne Schienle
EssStörung
Furcht oder Ekel?
Waschzwang
Blutphobie
sexuelle
Aversion
Einschätzung [1..9]
Subjektives Erleben bei der Phobie:
Furcht oder Ekel?
9
8
7
6
5
4
3
2
1
Furcht?
Ekel?
Spinnenphobikerinnen (n=10)
Kontroll-Probandinnen (n=13)
Ekelempfindlichkeit als
Persönlichkeitsmerkmal
Sie nehmen rohes
Eiweiß in den Mund
nicht
ekelig
sehr
ekelig
Verdorbenes
Ekelempfindlichkeit
0.79
0.72
Hygiene
0 .7
6
0.69
orale Abwehr
0.
77
Tod
Körperausscheidungen
Ekelempfindlichkeit und psychische
Störungen
Zwangsstörung
Zwangsstörung
Bulimie
Bulimie
Blut-Phobie
Blut-Phobie
Sexuelle
Sexuelle
FunktionsFunktionsstörungen
störungen
EkelEkelempfindlichkeit
empfindlichkeit
Tier-Phobie
Tier-Phobie
Depression
Depression
Anorexie
Anorexie
Unterschiedliche Funktion
von Furcht und Ekel
Carroll
Carroll Izard
Izard (1993):
(1993):
Disgust:
Disgust: The
The original
original and
and primary
primary function
function of
of
disgust
disgust is
is to
to protect
protect the
the body
body from
from substances
substances
sensed
sensed as
as harmful.
harmful.
Fear:
Fear: The
The unique
unique function
function of
of fear
fear is
is to
to motivate
motivate
escape
escape from
from dangerous
dangerous situations
situations
Paul Rozen (1993)
Kern-Ekel:
Kern-Ekel: Abwehr
Abwehr von
von Verdorbenem
Verdorbenem
Erweiterter
Erweiterter Ekel:
Ekel:
Hygiene
Hygiene
Körperprodukte
Körperprodukte
Tod
Tod
Verstümmelungen
Verstümmelungen
Moralischer
Moralischer Ekel
Ekel
Beschreibung von Emotionen
Drei-Ebenen-Ansatz
Mimik bei Ekel und Furcht
Aufgabe: Stellen Sie sich ihre ekligste und
Furcht einflößenste Situation vor!
Musculus levator labii
EMG [µV]
3.0
2.5
2.0
1.5
1.0
0.5
0.0
Furcht
Ekel
Autonome Reaktionen bei Furcht und
Ekel
Herzrate
Herzrate verlangsamt
verlangsamt unter
unter Ekel.
Ekel.
Elektrodermale
Elektrodermale Aktivität
Aktivität als
als Maß
Maß der
der Erregung
Erregung
zeigt
zeigt keinen
keinen Unterschied
Unterschied zwischen
zwischen Furcht
Furcht und
und
Ekel.
Ekel.
Das Gehirn als
Steuerzentrale von
Ekel und Furcht
Bender Institute
of Neuroimaging
(BION)
Strukturelle versus funktionelle
Magnet Resonanz Tomographie
Funktionelles Bild
•
•
Strukturelles Bild
•
•
hohe räumlich Auflösung
lange Datenaufnahme
schlechtere räumliche Auflösung
schnelle Messung
Blood Oxygen Level Dependent
Signal (BOLD)
Prinzip:
Prinzip:
Die
Diemagnetischen
magnetischenEigenschaften
Eigenschaftenvon
vonoxygeniertem
oxygeniertem und
und
deoxygeniertem
deoxygeniertem Hämoglobin
Hämoglobinsind
sindunterschiedlich
unterschiedlich
fitted data
Signal Intensity
Bei Nervenzellaktivität nimmt die
Sauerstoff-Extraktionsrate zu
(deoxygeniertes Hämoglobin).
Nach wenigen Sekunden kommt es
durch Vasodilatation und den
vermehrten Blutzustrom zu einem
Überwiegen des oxygenierten
Hämoglobins (Zunahme des MRSignals).
Neuro-vaskuläre Kopplung
stimulation
-10
0
10
20
30
s
Lässt sich Ekel und
Furcht im Gehirn
unterscheiden?
NEUROPSYCHOLOGY OF FEAR AND
LOATHING
Andrew J. Calder, Andrew D. Lawrence,
Andrew W. Young, 2001
Nature Reviews Neuroscience 2, 352 - 363
Ekel:
Insula
Basalganglien
Furcht:
Amygdala
Picture Perception Paradigm
angenehm
ruhig
Valenz
aufgeregt
Errregung
unangenehm
International Affective Picture System (IAPS, Lang et al., 1998)
Korrelate von Furcht und Ekel
- fMRT-Ergebnisse Verschiedene
VerschiedeneStudien
Studien
Ähnliche
ÄhnlicheAktivierung
Aktivierungin
infolgenden
folgendenRegionen:
Regionen:
Primäre
Primäreund
undsekundäre
sekundärevisuelle
visuelleFelder
Felder
Präfrontale
PräfrontaleStrukturen,
Strukturen,insbesondere
insbesondereorbitofrontaler
orbitofrontalerKortex
Kortex
Amygdala
Amygdala
Insel
Insel
Bilder
Bilder werden
werdenz.
z.T.
T.sehr
sehr unterschiedlich
unterschiedlicheingeschätzt.
eingeschätzt.
Deshalb
Deshalbals
alsneuer
neuer Untersuchungsansatz:
Untersuchungsansatz:
Berücksichtigung
Berücksichtigungder
der individuellen
individuellenEkeleinschätzungen
Ekeleinschätzungen
Subjektive Ekel- und Furcht-Einschätzungen
und hämodynamische Reaktionen
66 Teilnehmer (32 Frauen)
Online-Einschätzungen der Bilder
50 Bilder (10 neutrale, 20 eklige, 20 Furcht auslösende)
Ablauf:
4 Sek.
max. 4 Sek.
max. 25 Sek.
min. 14.5 Sek.
Bild
Bild mit ??
Ratingphase
Fixationskreuz
• Ekel
• Furcht
Welche Hirnaktivierung korreliert
mit dem berichteten Ekel?
BOLD-Signal
in einem Voxel
Korrelation?
Einschätzung
des Ekels
Zeitverlauf
Korrelate der Ekel-Ratings
p<0.001
Inselregion
MT/V5
Korrelate der Furcht-Ratings
p<0.001
Beispiel für Inselaktivität VP 44
Signalveränderung [%]
p<.001
3.0
2.0
1.0
0.0
-1.0
r=0.49
-2.0
-3.0
1
2
3
4
5
6
7
Ekeleinschätzung [1..9]
8
9
Bedeutung der Insel
Primäres
Primäres kortikales
kortikales
Projektionsareal
Projektionsareal für
für
Geschmack
Geschmack und
und Geruch
Geruch
Viszerales
Viszerales Areal
Areal
Somatosensorische
Somatosensorische
Integration
Integration
Verarbeitung von aversiven Reizen
Besondere
Besondere Rolle
Rolle
der
der Insula
Insulabei
beiEkel!
Ekel!
ACC
occ.
Cortex
Thalamus
OFC
Amygdala
visual
input
Diagnostik dysfunktionaler
Netzwerke
Beispiel I: Einzelfall
Studentin
Studentin mit
mit Spinnenphobie
Spinnenphobie
60
60 Bilder
Bilder
15
15neutrale
neutrale Bilder
Bilder
15
15Ekel
Ekelinduzierende
induzierendeBilder
Bilder
15
15Furcht
Furcht induzierende
induzierendeBilder
Bilder
15
15Spinnenbilder
Spinnenbilder
Ratings:
Ratings: Ekel
Ekel und
und Furcht
Furcht
Elektrodermale
Elektrodermale Aktivität
Aktivität als
als Erregungsmaß
Erregungsmaß
Untersuchungsdauer:
Untersuchungsdauer: ca.
ca. 30
30 min
min
Messung
Messung vor
vor und
und nach
nach einem
einem Habituationstraining
Habituationstraining
9
8
7
6
5
4
3
2
1
Ekel- und Furchtbeurteilung
der Spinnenbilder
Ekel
Furcht
Elektrodermale Reaktionen
vor Therapie
nach Therapie
EDA [µS]
Einschätzungen [1..9]
Subjektive Einschätzungen und EDA
0.90
0.80
0.70
0.60
0.50
0.40
0.30
0.20
0.10
0.00
vor Therapie
Spinnenbilder
restliche Bilder
nach Therapie
Hirnaktivität
Spinnenbilder > neutrale Bilder
Insula
vor Therapie
Außerdem:
Außerdem:
okzipitaler
okzipitaler Cortex
Cortex
dorsolateraler
dorsolateraler Cortex
Cortex
orbitofrontaler
orbitofrontaler Cortex
Cortex
nach Therapie
Beispiel II: Spinnenphobiker vor und nach
Therapie - Wartegruppendesign
phobische > neutrale Stimuli
Orbitofrontaler
Kortex, links
Amygdala, rechts +
links
Insula, links
Phobikerinnen vor
der Therapie
Vergleich: Therapiegruppe >
Wartegruppe
Kontrast: Spinne > Neutral
Hemmung
der
Amygdala?
Beispiel III: Symptomprovokation bei
Zwangsstörungen
Individuelle Zwangsstimuli
Zwangsrelevante Bilder versus neutrale Bilder
Regionen, die bei Patienten durch ihre
„zwangsbezogenen“ Bilder aktiviert
werden
okzipitaler
okzipitaler Kortex
Kortex
orbitofrontaler
orbitofrontaler Kortex
Kortex
Inselregion
Inselregion
mediale
mediale präfrontaler
präfrontaler Kortex
Kortex
Basalganglien
Basalganglien (nucleus
(nucleus caudatus)
caudatus)
Supplementär
Supplementär motorisches
motorisches Areal
Areal (SMA)
(SMA)
Hinweise auf Störungen im
Korticostriatothalamokortikalen Regelkreis
Ausblick
Das Signal in der fMRT
Neurofeedback der Insula
Aufgabe:
EKEL fMRT und Klassifikation
Anwendungen
Anwendungen
Klassifikation
Klassifikation von
von Bedingungen
Bedingungen -- Brain-Reading:
Brain-Reading:
In
In welchem
welchem Zustand
Zustand ist
ist gerade
gerade das
das Gehirn?
Gehirn?
Klassifikation
Klassifikation von
von Probanden:
Probanden: Diese
Diese Person
Person
gehört
gehört zu
zu Gruppe
Gruppe A,
A, diese
diese zu
zu Gruppe
Gruppe BB
Beispiel:
Beispiel:
Zwangspatienten
Zwangspatienten sehen
sehen zwangsrelevante
zwangsrelevante und
und
zwangsirrelevante
zwangsirrelevante Bilder
Bilder
Zwangsstörungs-relevante Stimuli
(Schienle, 2003)
Irrelevante Stimuli
Neutral
(Schienle, 2003)
Ekel
Angst
Zwangsstörungs-relevant
irrelevant
1,4
1,2
1,4
1,0
0,8
1,2
0,6
Aktivität Orbitofrontalcortex
Aktivität Orbitofrontalcortex
fMRT & Klassifikation
0,4
0,2
0
Aktivität Gl. Pallidus
0,4
0,2
0
-0,2
-0,4
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
-0,6
0
-0,8
-0,8
-0,6
-0,4
-0,2
Aktivität Gl. Pallidus
-1
Zeit / fMRT-Aufnahmen
0
0,2
Zwangsstörungs-relevant
irrelevant
1,4
1,2
1,4
1,0
0,8
1,2
0,4
0,2
0
0,4
Aktivität Gl. Pallidus
„Zwangsstörungsrelevant“
0,6
Aktivität Orbitofrontalcortex
Aktivität Orbitofrontalcortex
fMRT & Klassifikation
0,2
0
-0,2
-0,4
1,0
0,8
0,6
0,4
„irrelevant“
0,2
-0,6
0
-0,8
-0,8
-1
-0,6
-0,4
-0,2
Aktivität Gl. Pallidus
Zeit / fMRT-Aufnahmen
0
0,2
Klassifikation der Stimuli
Störungs-relevant vs. irrelevant
Median der Trefferquote: 84 %
p < 10 –28
100
90
Trefferquote (%)
80
70
60
50
40
30
20
per Zufall zu
erwartende Trefferquote
10
0
1
2
3
4
5
6
Patient
Ve rsuchspe rson
7
8
9
10
Vorsicht: Bildersucht!
Neuro-Philosophie
„Bewußtsein“
Neuro-Theologie
„Gott“
Neuro-Ökonomie
„Marken“
„Ganz klar: Erfolgreiche
Therapien verändern
anatomische Mechanismen,
unsere Neurone und Synapsen.“
Nobelpreisträger Eric Kandel
Interview in der Süddeutschen Zeitung am 6. Mai 2006