und ihre Kinder

Transcription

und ihre Kinder
Mutter-Kind-Maßnahmen
für Frauen mit Multipler Sklerose
(Encephalomyelitis disseminata)
und ihre Kinder
Evangelische Frauenhilfe
Landesverband Braunschweig
Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1
38300 Wolfenbüttel
INHALT
1. ÜBERBLICK
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2. GRUNDLAGEN
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3. BEGRÜNDUNG DER MUTTER-KIND-MAßNAHMEN FÜR FRAUEN MIT MULTIPLER
SKLEROSE (ENCEPHALOMYELITIS DISSEMINATA) UND IHRE KINDER
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3.1 SPEZIFISCHE PROBLEME DER MS-ERKRANKUNG VON FRAUEN MIT KINDERN
3.1.1 INDIVIDUELLE BELASTUNGEN
3.1.2 LEBENSWELTLICHE EINSCHRÄNKUNGEN UND VERLUSTE
3.1.3 FAMILIÄRE BELASTUNGEN
3.1.4 RESÜMEE
3.2 DIE KINDER MS-KRANKER MÜTTER
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4. THERAPEUTISCHES KONZEPT
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4.1 THERAPEUTISCHE GRUNDLAGEN
4.1.1 DER MOTIVATIONALE PROZESS
4.1.2 DER VOLITIONALE PROZESS
4.2 MEDIZINISCHE BETREUUNG
4.2.1 DIAGNOSTIK
4.2.2 BERATUNG, SCHULUNG
4.3 SOZIA-/PSYCHOTHERAPEUTISCHE BETREUUNG
4.3.1 GESPRÄCHSTHERAPIE
4.3.2 BEWEGUNGSTHERAPIE UND ENTSPANNUNG
4.3.3 KURLEITUNG UND REKREATIONSTHERAPIE
4.4 KINDERLAND
4.4.1 MUTTER-KIND-INTERAKTION
4.5 PHYSIOTHERAPIE
4.5.1 KRANKENGYMNASTIK
4.5.2 PHYSIKALISCHE THERAPIE
4.6 DIÄTKÜCHE UND ERNÄHRUNGSBERATUNG
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5. BESCHREIBUNG DER EINRICHTUNG
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6. VERNETZUNG UND NACHSORGE
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7. QUALITÄTSMANAGEMENT
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Stand: 2010
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1. Überblick
Die Multiple Sklerose ist die häufigste neuroimmunologische Erkrankung. Sie
wird besonders oft bei Frauen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr diagnostiziert. Mit der Bewältigung der Krankheitsfolgen sind die Frauen vielfach überfordert.
Die betroffenen Frauen sehen sich einer tiefgehenden Störung ihres Selbstbildes, ihrer familiären und sozialen Beziehungen sowie ihrer Lebensgestaltung
und Lebensperspektive ausgesetzt. Die nachhaltige Beeinträchtigung ihres
Lebensgefühls bedeutet für lange Zeiträume einen kaum überwindbaren Einschnitt. So ist die Diagnose „Multiple Sklerose“ bei den betroffenen Frauen
immer begleitet von Angst und Niedergeschlagenheit, löst vielfach Trauer,
Schuldgefühle und Selbstwertprobleme aus und mündet oftmals in den sozialen Rückzug.
(Konzeption 3.1 SPEZIFISCHE PROBLEME DER MS-ERKRANKUNG VON FRAUEN MIT KINDERN)
Besonders mit betroffen sind auch ihre Kinder. Verursacht durch krankheitsbedingte Erschöpfung, Schwindel und Stimmungsschwankungen, aber auch
durch Nebenwirkungen von Medikamenten, kann die Mutter nicht so auf das
Kind eingehen, wie dies erforderlich wäre. Kinder können diese Symptome
leicht als Ablehnung oder Desinteresse empfinden, Schuldgefühle entwickeln
und krank werden. Auch sehen sie sich schnell veranlasst, ein Zuviel an Verantwortung zu übernehmen.
(Konzeption 3.2 DIE KINDER MS-KRANKER MÜTTER)
Hier wird deutlich, dass die Familie der Betroffenen als Ganzes gesehen werden muss. Für alle Mitglieder ist der persönliche und emotionale Umgang mit
der Situation sehr schwierig und die Familie bedarf externer Unterstützung, um
weitere Folgeerkrankungen zu verhindern.
Die Vorsorge-Reha-Klinik Haus Daheim stellt stationäre medizinische Maßnahmen für Frauen mit Kindern bereit, die an Überforderung und Erschöpfung leiden. Für MS-kranke Frauen, die anhaltend unter seelischen, familiären, partnerschaftlichen und sozialen Konflikten bis hin zu psychosomatischen Störungen leiden, bieten wir einen an dieser speziellen Problematik orientierten frauenspezifischen Therapieansatz.
Die Bedürfnisse der Kinder werden im Haus Daheim besonders beachtet. Leiden sie unter Störungen oder zeigen Auffälligkeiten, werden sie über gemeinsame Aktivitäten mit der Mutter in den Prozess mit eingebunden.
Therapeutische Maßnahmen können in einer belastungsarmen, vertrauensvollen Umgebung und in Begleitung durch ein interdisziplinäres Team wahrgenommen werden.
Durch drei Wochen intensive Therapie kann viel ausgelöst und neue Handlungswege gefunden werden. Das familiäre und berufliche Umfeld wird aber
nur für kurze Zeit verlassen.
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Integrierte Versorgung
In der stationären Mutter-Kind-Maßnahme im Haus Daheim kann die Stabilität
des individuellen Selbstkonzepts und damit das Verhalten und die Handlungskompetenz in wichtigen Lebensbereichen wie Familie, Partnerschaft, Arbeit
und die Zukunftsperspektiven wieder gesteigert werden. Geeignete Therapieformen sind gruppentherapeutische Angebote, Einzelgespräche, Mutter-KindInteraktion, Bewegung und Entspannung. Sie unterstützen den (Neu-)Zugang
zu erlebtem Verlust und Trauer und führen in neue Handlungsfähigkeit.
(Konzeption 4.1 THERAPEUTISCHE GRUNDLAGEN)
Neue Wege in der Auseinandersetzung mit den Krankheitsfolgen und den familiären Beziehungen ermöglichen es, dass die Frauen nach der Rehabilitation im Haus Daheim ambulante Maßnahmen gezielter annehmen und die
Bewältigung effektiver fortsetzen können. Für die Vorbereitung auf den Aufenthalt in unserem Haus und auch für die Nachsorge und gezielte Weiterarbeit der Patientinnen pflegen wir eine enge Kooperation mit der Deutschen
Multiple Sklerose-Gesellschaft.
(Konzeption 6 VERNETZUNG UND NACHSORGE)
Diagnostik
Nach einer schwerwiegenden Erkrankung, wie sie die multiple Sklerose darstellt, ist es von großer Bedeutung, die Erlebnisse im Zusammenhang mit der
MS-Diagnose aufzuarbeiten. Darüber hinaus müssen Belastungsreaktionen
und psychosomatische Folgesymptome einer präzisen diagnostischen Bestimmung zugeführt werden. Dies geschieht im Rahmen einer interdisziplinären
medizinisch, psychologisch und psychosomatisch orientierten Befundaufnahme und Diagnostik.
Bei jeder Patientin wird eine ausführliche biographische Anamnese erhoben.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Bedeutung der MS-Erkrankung im sozialen und familiären Kontext, sowie der Identifikation der bisher gewählten Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategien.
Zusätzlich ist es für jede Patientin möglich, im ärztlich gelenkten Gespräch die
Katamnese der MS-Erkrankung oder Details des subjektiven Krankheitserlebens
(Ankündigung von Schüben und Gegenmaßnahmen) nochmals zu vertiefen
und zu bearbeiten.
(Konzeption 4.2 MEDIZINISCHE BETREUUNG)
Therapeutische Konzeption
In Anlehnung an das „sozial-kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns“ (Schwarzer 1992) gehen wir davon aus, dass verschiedene Interventionsformen dazu notwendig sind, von MS betroffenen Frauen neue Handlungsfelder und Kompetenzen zu erschließen.
(Konzeption 4.1 THERAPEUTISCHE GRUNDLAGEN)
Dementsprechend erstellen wir zusammen mit unseren Patientinnen einen
individuell angemessenen Therapieplan aus ärztlicher und psycho/sozialtherapeutischer Betreuung.
(Konzeption 4.3 SOZIA-/PSYCHOTHERAPEUTISCHE BETREUUNG und 4.3.2 BEWEGUNGSTHERAPIE UND ENTSPAN-
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NUNG)
Das interdisziplinäre therapeutische Team arbeitet auf der Grundlage eines
integrativen Therapieverständnisses und berücksichtigt den Kenntnisstand der
Frauen und Familiengesundheitsforschung.
Therapie
Medizinische und physikalische Therapie
• Ärztliche Beratung
• Patientenschulung
• Krankengymnastik und balneo-physikalische Anwendungen bei bestehenden Indikationen
• Wassergymnastik bei Bedarf
(Konzeption 4.2 MEDIZINISCHE BETREUUNG und 4.5.1 KRANKENGYMNASTIK)
Psychosoziale Therapie
• Sozial- und psychotherapeutische Einzelgespräche
• problemorientierte und themenzentrierte Gesprächsgruppen
• Krisenintervention
• Entspannungstechniken
• Bewegungs- und Tanztherapie
Mutter-Kind-Interaktion
Neue Sichtweisen in der Mutter-Kind-Beziehung
• Gruppe: Erziehen, aber wie?
• Individuelle pädagogische Beratung
• Psychomotorik
• Turnen, Tanz, Bewegung
• Basteln und gestalten
• Singen und musizieren
• Mutter-Kind-Andacht
(Konzeption 4.4.1 MUTTER-KIND-INTERAKTION)
Ernährungsberatung
• Vollwertkost (weitgehend naturbelassene Kost mit hohem pflanzlichen Anteil)
• Bei Bedarf Reduktionskost
(Konzeption 4.6 DIÄTKÜCHE UND ERNÄHRUNGSBERATUNG)
Die Therapie unterstützende Maßnahmen
• Kreativtherapie
• Rekreationstherapie
(Konzeption 4.3.3 KURLEITUNG UND REKREATIONSTHERAPIE)
Qualitätsstandards und Therapiekontrolle
Hochqualifizierte Fachkräfte stehen als persönliche Bezugstherapeuten/-innen
jeder Patientin zur Verfügung. Wöchentliche interdisziplinäre Fallkonferenzen
dienen der Wirksamkeit und Kontrolle des Therapieplans. Die Wirksamkeit unserer Therapien ist durch Untersuchungen belegt, die gute und sehr gute lang4
fristige Erfolge bestätigen.
Unterbringung
Moderne Appartements mit Dusche, Balkon und Telefon sowie gastronomischer Service bieten die besten Voraussetzungen für einen behaglichen Aufenthalt. Dafür sorgen auch gemütliche Aufenthaltsräume mit Kamin und Fernseher, helle Räume für Gesprächsgruppen und ein Andachts/Meditationsraum. In den Gästeetagen gibt es Spielzimmer mit Küchenzeile.
(Konzeption 5 BESCHREIBUNG DER EINRICHTUNG)
Hier stehen Ihnen zur Verfügung
Medizinischer Dienst
Internistin (verantwortl. Ärztin)
Gynäkologe
Neurologe (konsiliarische Kooperation)
Kinderarzt
Psychosozialer Bereich
Psychologischer Psychotherapeut
(Verhaltenstherapeut)
Dipl. Sozialpädagogin und Psychodramaleiterin
Dipl. Sozialpädagogin –
Gestaltberaterin
Dipl. Sozialpädagogin – Kunst- und
Gestaltungstherapie
Erzieherin
Exam. Krankenschwestern für den
Tag- und Nachtdienst (24 Std.)
Physiotherapie
Krankengymnastin
Gymnastiklehrerin
Masseurin
Kinderbereich
Erzieherinnen
Kinderpflegerinnen
Kinderkrankenschwester
Tanztherapeutin
Übungsleiterin Fitness und Wirbelsäulengymnastik
Heilpädagogin
Hauswirtschaft
Hauswirtschaftsleiterin
Oecotrophologin
Köchin
Hauswirtschafterinnen
Haus- und Küchenhilfen
Hausmeister
Die Klinik
... ist eine nach §§ 24, 41 und 111a SGB V anerkannte Vorsorge- und Rehabilitationsklinik.
... ist als Sanatorium im Sinne des § 30 GewO anerkannt, und ist damit beihilfefähig.
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... ist eine anerkannte Einrichtung des Deutschen Müttergenesungswerkes EllyHeuss-Knapp-Stiftung.
Fragen zur Antragstellung?
Unter der Telefonnummer 05331 802 532 (Ev. Frauenhilfe Braunschweig) erhalten Sie Informationen und Beratung um eine Präventions- und Rehabilitationsmaßnahme im Haus Daheim zu beantragen.
Sie erreichen uns
Träger:
Vorsorge-Reha-Klinik Haus Daheim:
Ev. Frauenhilfe LV Braunschweig e.V.
Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1
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Homepage:
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www.haus-daheim-kur.de oder www.frauenhilfe-bs.de
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2. Grundlagen
Die Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen der Mutter-Kind-Maßnahmen im
Haus Daheim basieren auf der Grundlage eines psychosomatischen Krankheitsverständnisses, das sich an Forschung und Wissenschaft orientiert. Wir gehen davon aus, dass Krankheiten durch psychosoziale Problemlagen mit verursacht und begünstigt werden und ihrerseits psychosoziale Problemlagen
verursachen können. Seit 20 Jahren bieten wir Mutter-Kind-Maßnahmen für
Frauen, dir durch Überforderung und Erschöpfung unter Gesundheitsstörungen leiden.
Unser Ansatz besteht in einer Stärkung der Persönlichkeit, um den täglichen
Anforderungen besser gegenüberzutreten. Dies bezieht sich sowohl auf allgemeine Überforderungssituationen (Ansatz des Müttergenesungswerkes), als
auch im Hinblick auf den Umgang mit Beeinträchtigungen und Krankheit.
Chronische Krankheiten können so verhindert und bekämpft werden. Außerdem können Krankheitsfolgen, Behinderungen und Pflegebedürftigkeit auf
diese Weise reduziert werden.
Zusätzlich zur Behandlung eines allgemeinen Überforderungssyndroms von
Frauen mit Kindern haben wir es uns zum Ziel gesetzt, dem remittierenden
oder progredienten Verlauf der Encephalomyelitis disseminata bei Frauen
entgegen zu wirken, Den Patientinnen soll eine möglichst selbständige und
unabhängige Lebensführung ermöglicht werden.
Dabei verfolgen wir einen frauenspezifischen Ansatz. Die vielfältigen Rollenbelastungen, denen besonders Frauen mit kleinen Kindern in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind, die „Allzuständigkeit“ von Frauen für Familie, Haushalt,
Partner, Kinder und Erwerbstätigkeit bedeuten ohnehin schwierige gesellschaftliche Bedingungen für ein Frauenleben. Eine Erkrankung an Multipler
Sklerose schafft hier eine übersteigerte Problemlage.
In diesem Zusammenhang fördern wir auch die entwicklungsspezifischen Bedürfnisse von angehörigen Kindern und Jugendlichen, um eine Gefährdung
ihrer gesundheitlichen Entwicklung durch die Folgen der mütterlichen Erkrankung abzuwehren oder zu reduzieren.
Die Wirksamkeit unserer Maßnahmen wird gesichert durch den Einsatz geeigneter Strukturen und qualifizierten Personals, durch geplante und geleitete
therapeutische Prozesse und durch eine fortlaufende Kontrolle der Rehabilitationsergebnisse. Unsere Bemühungen werden gestützt durch eine effektive
Kooperation und Koordination mit stationärer und ambulanter kurativer Behandlung sowie mit Selbsthilfe- und Beratungseinrichtungen.
Humanität und Qualität der medizinischen Versorgung sind die Leitideen unserer modernen und bedarfsgerechten Gesundheitsleistungen. Die Einsicht in
ihre Notwendigkeit begründet unseren Auftrag.
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3. Begründung der Mutter-Kind-Maßnahmen für Frauen mit Multipler Sklerose (Encephalomyelitis disseminata) und ihre Kinder
Die Multiple Sklerose ist eine der häufigsten neuroimmunologischen Erkrankungen junger Erwachsener: Weltweit sind ca. 2,5 Million Menschen davon
betroffen; in der Bundesrepublik Deutschland sind es über 120.000; jährlich
kommen 3.000 bis 4.000 Neuerkrankungen hinzu. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Besonders häufig bricht die Krankheit zwischen dem
20. und dem 40. Lebensjahr aus. Jedoch sind auch Kinder und alte Menschen
betroffen. Aus der Tatsache, dass sowohl das weibliche Geschlecht als auch
das Alter, in dem typischer Weise Familien gegründet werden, ein potentielles
Erkrankungsrisiko darstellen, erschließt sich, dass in der Gruppe der MSKranken viele Mütter kleiner bzw. heranwachsender Kinder zu finden sind.
Es gibt derzeit keine Therapie zur Heilung der Encephalomyelitis disseminata.
Exkurs:
Die häufigsten Symptome der Encephalomyelitis disseminata
Die multiple Sklerose wird auch die "Krankheit mit den tausend Gesichtern" genannt. Sie kann die unterschiedlichsten Symptombilder zeigen. Bei den meisten
Patienten führt die Erkrankung allerdings über kurz oder lang zu mehr oder weniger ausgeprägten neurologischen Ausfallerscheinungen. Jedoch führt die Erkrankung nur in den allerwenigsten Fällen zur vollkommenen Hilflosigkeit.
Die Symptome sind sehr vielgestaltig und treten einzeln auch bei anderen Erkrankungen auf. Es gibt Symptome, die besonders in ihrer Kombination typisch
für die multiple Sklerose sind. Je nach Lokalisation der Nerven, die von der Demyelinisierung betroffen sind, treten unterschiedliche Symptombilder auf:
Symptome durch Befall des Rückenmarks
Hier sind grundsätzlich zwei verschiedene Störungen zu unterscheiden:
Bei Befall afferenter Nerven kommt es zu sensorischen Missempfindungen, bei Befall efferenter Nerven zu motorischen Beeinträchtigungen.
sensorischen Missempfindungen:
Sensibilitätsstörungen treten oft als Missempfindungen und Kribbeln sowie Schmerzen in den Extremitäten auf. Synonyme, die
häufig in diesem Zusammenhang verwendet werden, sind: Ameisenlaufen, Taubheit, Schwere-, Kälte-, Gürtel-, Spannungsoder Druckgefühle. Im Endstadium kann dies zu vollständigem
Verlust des Gefühls führen. (initial sind hiervon 40% der Fälle betroffen)
Störungen im Bereich der Sexualität: Gefühls-, Libido-, Potenzverlust oder Verlust der Orgasmusfähigkeit.
motorischen Beeinträchtigungen:
Schlaffe oder spastische Lähmungen, ein- oder beidseits mit
abgeschwächten Muskelreflexen (40% der Fälle)
Blasen- und Darmentleerungsstörungen treten häufig auf. Die
individuellen Beschwerden reichen vom Harnträufeln (Restharnbildung) über ständigen Harndrang, Schwierigkeiten beim Wasserlassen ("Es dauert immer Stunden, bis es kommt") bis zum vollständigen Verlust der Kontrolle über die Miktion (Inkontinenz).
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Viele Betroffene erlernen im Verlauf der Erkrankung, sich selbst
zu katheterisieren.
Symptome durch Befall des Sehnervs
Sehstörungen mit Beeinträchtigung des Sehnervs (Opticusneuritis).
Dieser Symptomatik der MS wird insbesondere in frühen Phasen der
Diagnostik erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt, da hier oftmals sehr früh
entzündliche Prozesse ansetzen und nachweisbar sind.
Entsprechend tritt als ein häufiges Anfangssysmptom der MS das Schleiersehen ("Milchglas") auf; im Verlauf kann dies zur völligen Erblindung
(eines oder beider) Augen führen.
Farbsehstörungen können der erste Anhalt für eine multiple Sklerose
sein.
Es kann auch zu Lähmungen der Augenmuskeln kommen (Augenmuskelparesen), dabei sehen die Betroffenen Doppelbilder.
Symptome durch Befall des Hirnstammes
Hierunter fallen die Trigeminusneuralgie (heftige Schmerzattacken des
Gesichtes) sowie die Fazialisparese. Außerdem werden häufig Schwindel und Brechreiz beschrieben. Weiterhin führen Herde im Hirnstamm zu
Sprachstörungen (verwaschene Sprache).
Symptome durch Befall des Kleinhirns
In diesem Fall kommt es zu Koordinationsstörungen. Die Betroffenen
haben Schwierigkeiten, gezielte Bewegungen auszuführen. Der Tremor
kann geplante Bewegungen ganz unmöglich machen, was zu Unsicherheiten beim Sitzen, Stehen oder Gehen führen kann (Rumpf-,
Stand- oder Gangataxien). Durch Befall dieses Bereiches kann es ebenfalls zu Sprechstörungen kommen, die sich darin äußern, dass die Betroffenen nicht flüssig sprechen können. Die Sprache wirkt abgesetzt
(skandierend).
3.1
Spezifische Probleme der MS-Erkrankung von Frauen mit Kindern
Frauen und Mütter sehen sich im konkreten Alltag mit ihren Kindern und Familienangehörigen, aber auch in dem weiteren sozialen Umfeld und bei dem
Zugang zu Ressourcen erheblichen Rollenanforderungen gegenüber. Diese
erfordern einen beträchtlichen Bewältigungsaufwand, der oft bis an die
Grenzen geht. Wenn in dieser Situation die MS-Diagnose gestellt wird, bedeutet das einen beträchtlichen Bewältigungsbedarf, der leicht in eine Überforderung führen kann.
3.1.1
Individuelle Belastungen
Im Verlauf der Erkrankung kommt es bei einem Teil der Betroffenen zu psychischen Beeinträchtigungen, die zumindest mittelbar in Zusammenhang mit der
Grunderkrankung stehen, und bei der Bedarfsbestimmung zu Beginn eines
Kuraufenthaltes erfasst werden sollten.
-
Schon vor der endgültigen Diagnosestellung, die oft erst nach längerer
Krankheitsdauer gesichert erfolgen kann, leiden die Betroffenen oftmals
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unter Symptomen wie Abgeschlagenheit, schneller Ermüdung etc. Die Betroffenen geraten immer wieder in Erklärungsnotstand, werden z.B. der Hypochondrie bezichtigt1 und erleben bereits hier Risse in ihrer sozialen Einbettung. So kommt es bereits vor der Diagnosestellung häufig zu Depressionen.
-
Besonders zu Beginn der Erkrankung kann es zu Depressionen kommen, die
im Verlauf der Erkrankung immer wiederkehren können. Sie sind häufig Folge sozialer Probleme in Familie, Freundeskreis und Beruf, die sich im Zusammenhang mit der Diagnose ergeben. Symptome wie Schwindel, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, werden vom sozialen Umfeld nicht als Erkrankung anerkannt, sondern „auf die Psyche geschoben“, wo sie sich auf
der Ebene von reaktiven Depressionen folgerichtig verstärkt wiederfinden.
-
Auch können konkrete oder potentielle Behinderungen und die Ungewissheit über den weiteren Krankheitsverlauf Depressionen verursachen (maladaptives Coping). Bei vielen anderen Krankheiten und Behinderungen,
etwa Krebs oder Amputationen, hat die Adaptionsforschung herausgefunden, dass mit der Zeit eine gewisse Gewöhnung an den veränderten
Zustand eintritt - nicht so bei Multipler Sklerose. MS wird für die Betroffenen
zu keinem Zeitpunkt „normal“. Eine Gewöhnung wird offenbar hintertrieben, weil in vielen Fällen die Symptome der Krankheit kontinuierlich
schlimmer werden.
-
Viele Betroffene klagen über rasche Ermüdbarkeit und vorzeitige Erschöpfung. Leistungen und Arbeiten, die zuvor noch ohne Schwierigkeiten ausgeführt werden konnten, erfordern nun mehr Kraft und Zeit. Ebenfalls werden Konzentrationsstörungen beschrieben. In einer empirischen Studie
wurde festgestellt, dass MS-Kranke in einem Vier-Stunden-Fenster bezüglich
ihrer Konzentrationsfähigkeit schneller ermüden als Gesunde.
-
Im Bereich der intellektuellen Fähigkeiten kann man lediglich vereinzelt Beeinträchtigungen des Kurzzeitgedächtnisses feststellen. Ansonsten verursacht die Encephalomyelitis disseminata keinerlei intellektuelle Störungen.
3.1.2
Lebensweltliche Einschränkungen und Verluste
Die Erkrankung an Multipler Sklerose hat für die Betroffenen über die medizinischen Sachverhalte hinaus weitreichende Konsequenzen. Dies liegt zunächst
in dem Wesen der Erkrankung begründet, das bereits lange vor dem Zeitpunkt
einer gesicherten Diagnosestellung über die sich einstellenden Symptome die
Mutter, ihre Partnerschaft und ihr familiäres System zunehmenden Belastungen ausgesetzt hat. Das heißt, der Zeitpunkt der Diagnosestellung, der bei
den meisten anderen Krankheitsbildern erst als Einstieg in die Krankheitsbewältigung zu bewerten ist, trifft bei MS-Erkrankten in aller Regel schon auf ein ge1
Obwohl sie eher zum bewussten Verheimlichen der Krankheit (=Dissimulation) neigen.
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schwächtes und vorbelastetes individuelles, familiäres und soziales System.
Das bedeutet vor allem, dass die zu einem adäquaten Umgang mit der
Krankheit benötigten Ressourcen bei MS-Erkrankten bereits im Vorfeld zu einem beträchtlichen Teil gebunden sind. Dies mag als Erklärung für das Loch
dienen, das sich Berichten Betroffener zufolge, im Falle der MS-Diagnose zunächst besonders tief aufzutun scheint. Die Orientierungsphase ist im Verhältnis zu anderen chronischen Erkrankungen deutlich verlängert und viele Betroffene gelangen erst sehr spät in eine aktive Auseinandersetzung mit ihrer
Krankheit.
Zusätzlich belastend wirkt insbesondere bei der MS die Tatsache, dass sich die
konkrete Bedeutung und individuelle Tragweite der Krankheit erst allmählich
herausstellt. Bedingt durch die Progredienz entstehen über einen langen Zeitraum Zweifel an der „Normalität“ und Funktionsfähigkeit der betroffenen Frau,
und Erkenntnisse einer „Behinderung“ verdichten sich.
Die Familien unterliegen gerade in diesem „Entwicklungsprozess“ der Krankheit vielfältigen widersprüchlichen Einflüssen und Belastungen. Hierbei können
bei allen Familienmitgliedern Trauer, Schuldgefühle, Selbstwertprobleme, Aggression, zunehmender sozialer Rückzug, Hilflosigkeit, Auflehnung, Ängste, Enttäuschung, etc. wachgerufen werden.
Betroffene wie ihre Familienangehörigen berichten von einer nachhaltigen
Veränderung ihres Lebensgefühls. Die Betroffenen haben sich mit einer tiefgehenden Desillusionierung hinsichtlich ihres (bis dahin optimistisch gefärbten) Selbstbildes, des Bildes von der Struktur sozialer und familiärer Beziehungen
sowie ihrer eigenen Lebensgestaltung und Lebensperspektive auseinanderzusetzen.
Von Desillusionierungsprozessen berichtet die Rehabilitationsforschung auch
bei Partnern und Kindern. Negativere Bewertungen der Partnerschaft durch
den Vater sowie Gefühle der Verärgerung oder der Ablehnung auf Seiten der
nicht betroffenen Familienangehörigen gegenüber der Frau können beobachtet werden. Hier wird deutlich, dass auch und gerade die Familie der
Betroffenen als Gruppe angesehen werden muss, deren persönliche und emotionale Anpassung gefährdet ist, und die externer Unterstützung bedarf.
Dies gilt vor allem auch vor dem Hintergrund des erkrankungsbedingten partiellen Ausfalls der Frau in ihrem klassischen Rollensegment der emotional stabilisierenden Mutter und Partnerin.
3.1.3
Familiäre Belastungen
Eine Auswirkung der Tatsache, nunmehr ein „behindertes“ Familienmitglied zu
haben, äußert sich in einer tiefgreifenden Veränderung des familiären Zeitbudgets sowie in der Aufgabenverteilung. Erkrankungsbedingte Verlangsamungen häuslicher und außerhäuslicher Tätigkeiten, Zeitverluste durch häufige Termine bei Medizinern und Physiotherapeuten können empfindliche Störungen der so genannten „Normalität“ in der individuellen und familiären Tagesgestaltung mit sich bringen. Dies betrifft sowohl Frauen in partnerschaftlichen Beziehungen wie auch Alleinerziehende.
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Da nur wenige Mütter aufgrund der MS-Erkrankung auf Anhieb bereit sein
werden, die für ihr Selbstverständnis in Bezug auf ihre familiäre Rolle radikal
umzugestalten, werden häufig zeitliche und materielle Abstriche in der Peripherie vorgenommen. Tendenziell gelangen dabei Teilaspekte einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit auf den Prüfstand, erholsame Freizeitaktivitäten
werden eingeschränkt, und aufwendig erscheinende soziale Kontakte werden reduziert. Im Gegenzug wächst dem Partner im verstärkten Maße die familiär ohnehin bestehende Rolle des Ernährers und nach außen hin Verantwortlichen zu. Beide Partner verlieren auf Grund der MS-Erkrankung der Frau
also an Freiräumen und psychosozial bedeutsamen regenerativen Ressourcen.
Erhöhte Anstrengungen bei der Organisation und Bewältigung des familiären
Alltags, zeitliche und gesundheitliche Zusatzbelastungen, verringerte berufliche Freiräume und Möglichkeiten, sowie (häufig mit letzterem verbunden)
finanzielle Schwierigkeiten können sich zu einer erheblichen Dauerbelastung
kumulieren, wodurch die regenerative Kraft der Familie beeinträchtigt und
sich die psychosoziale sowie gesundheitliche Vulnerabilität jeden einzelnen
Mitgliedes deutlich erhöht.
Diese erhöhte Belastung kann sich unmittelbar auf das Selbstwertgefühl und
die Lebensgestaltung beider Partner auswirken, und beeinträchtigt so in beträchtlichem Umfang die familiären Beziehungen und ihre emotionale Stabilität.
3.1.4
Resümee
Die Multiple Sklerose ist eine unheilbare Nervenkrankheit. Mit einer ganzen Fülle von schulmedizinischen und anderen Maßnahmen kann versucht werden,
den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen.
Die Mutter-Kind-Maßnahmen für Frauen mit MS und ihre Kinder im Haus Daheim verfolgen deshalb einen speziellen Absatz, der sich auf die Krankheitsfolgen und ganz besonders auf die Bewältigung der sich aus einer Erkrankung
an MS ergebenden psychischen, sozialen und gesundheitlichen Störungen
konzentriert.
Die zu bewältigenden Krankheitsfolgen sind im Überblick
bezogen auf die ...
Krankheit
- die Tatsache der Diagnose (oder der Verdacht)
- die Symptome, die immer in Zusammenhang mit der MS gebracht
werden
und die Ungewissheit darüber
- die Störung des Gleichgewichts und der Koordination
- die Spastiken und Muskelkrämpfe
- die Sehstörungen, Sprach- und Schluckprobleme, Störung der Blasenfunktion
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- Erschöpfung, Müdigkeit, Schwindel
- die absehbare fortschreitende Verschlechterung
psychische Beeinträchtigung
- nicht ernst genommen zu werden, nicht als krank akzeptiert zu werden
- Trauer, Wut, Neid und Eifersucht
- Angst
- Depressionen
- den eigenen Leistungsansprüchen nicht mehr zu genügen
soziale Probleme
- Familie, Beruf, Umfeld
- krankheitsspezifischer Entwicklungsprozess der ganzen Familie:
Schuld, Trauer, Aggressionen, Rückzug
- Vereinsamung (sozial und emotional)
- finanzielle Probleme
Ressourcen
- wenig oder keine Ausgleichsfunktionen (Freizeit, Erholung)
- ein zum Zeitpunkt der Diagnose bereits geschwächtes Bewältigungssystem
- es tut sich mit der Gewissheit der Erkrankung ein besonders tiefes Loch
auf
- MS ist eine Erkrankung, die das Bewältigungssystem „aktiv“ zerstört
Eine Erkrankung an multipler Sklerose trifft überwiegend Frauen, und diese in
einem Alter, in dem typischer Weise ein aktives Familienleben stattfindet und
Kinder aufgezogen werden. Die hier genannten Krankheitsfolgen und Belastungen bürden ganz besonders Frauen eine große Last auf, indem sie ihr
Selbstbild und Selbstverständnis zentral gefährden. Diese Gefährdungen sind
im Wesentlichen den Bereichen familiäre Bindungen, berufliche Eigenständigkeit und erholsame Freizeitaktivitäten zuzuordnen.
Hinsichtlich der familiären Bindungen besteht für viele Frauen die Sorge, nicht
mehr richtig auf ihre Kinder und ihren Partner eingehen zu können.
Die Unsicherheit über die Entwicklung der Krankheit löst leicht die Angst aus,
die Kinder nicht angemessen zu versorgen und sie nicht ins Leben begleiten
zu können. Kleine Kinder kosten Kraft, und die MS-kranke Mutter sieht sich
leicht in dem Spagat auf der einen Seite Entlastung einzufordern und sich andererseits nicht ganz zurückzuziehen zu können. Dabei besteht ein wichtiges
Problem im Umgang mit den Gefühlen in Bezug auf die eigene Unzulänglichkeit (Versagens- und Schuldgefühle), sowie Neid und Eifersucht auf den Partner.
Auch das Eheleben kann leiden, wenn die Frau Rollenanteile an den Mann
abgeben muss. Dies kann dazu führen, dass sich die Frau in der Folge nicht
mehr als vollwertige Partnerin empfindet. So kann auch die intime Beziehung
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zum Partner belastet werden. Andererseits entstehen leicht negativere Bewertungen der Partnerschaft durch den (gesunden) Partner, sowie Gefühle der
Verärgerung oder Ablehnung auf Seiten aller Familienangehörigen gegenüber der Frau. Dies belastet die Beziehung und kann wiederum zu Schuldgefühlen bei der Frau führen. Die Partnerbeziehungen in Familien mit MS-Kranken
erscheinen häufiger asymmetrisch: Während Frauen MS-kranker Männer eine
jahrelange Pflege auf sich nehmen, betreiben Männer MS-kranker Frauen eher die Scheidung.
Frauen müssen nicht nur um eine individuelle Adaption an die durch die Erkrankung veränderte Situation ringen. Eine erfolgreiche Annäherung an die
eigene Krankheit setzt gleichzeitig auch eine geglückte familiale Anpassung
an die Erkrankung voraus. Die Mutterrolle erfordert hierbei meist eine Doppelleistung, nämlich die konkrete Gestaltung der familialen Adaption, und, darauf aufbauend, die Erarbeitung eines eigenen erfolgreichen Umgangs mit der
multiplen Sklerose.
Kommen zu den genannten Schuld- und Versagensgefühlen noch häufige
Arztbesuche und eine verminderte körperliche Leistungsfähigkeit, machen
viele Frauen Abstriche in der eigenen Erwerbstätigkeit oder bei erholsamen
Freizeitaktivitäten. Doch gerade diese bräuchten sie dringend für ihre Selbstbehauptung, nicht nur gegenüber der Krankheit. Gleichzeitig müssen sie aber
erleben, dass selbst diese „Opfer“ nicht zur nötigen Stabilität in der Familie
und ihrer eigenen Person beitragen.
Alleinerziehende befinden sich ohnehin in größerer Zahl an der Grenze zur
Armut. Sie sind gezwungen, ihre Erwerbssituation stärker zu Lasten der Kinder
zu gestalten, was wiederum Schuldgefühle verursacht. Außerdem können sie
auf weniger Unterstützung zurückgreifen, wie in einer funktionierenden Partnerschaft. Sie sehen sich angesichts einer MS-Diagnose durch die Mehrfachbelastungen der zu erbringenden Leistungen vollkommen überfordert.
3.2
Die Kinder MS-kranker Mütter
Die enge Verknüpfung von Eltern und Kind unter dem Aspekt einer positiven
emotionalen Bindung sowie berechenbarer und möglichst konstanter äußerer
Rahmenbedingungen wird vielfach als besonders kindgerecht angesehen. So
ist die Qualität der Mutter-Kind-Interaktion das Kriterium, welches die Entwicklung des Kindes am besten vorhersagt.2
Eine verlässliche und gleichzeitig emotional positiv besetzte Bezugsperson in
Kindheit und Jugend korreliert hoch mit seelischer Gesundheit im Erwachse-
2
Esser, G., Laucht, M., Schmidt, M.H. 1994: Die Auswirkungen psychosozialer Risiken für die Kindesentwicklung. In: D. Karch (Hrsg.): Risikofaktoren in der kindlichen Entwicklung. Steinkopf, Darmstadt.
Esser, G., Laucht, M., Schmidt, H.G. 1995: The signifcance of biological and psychosocial risks for
behavior problems of children at preschool age. In: Brambring, Rauh, Beelmann (Eds.): Early childhood intervention: Theory, evaluation and practice. De Gruyter, Berlin-New York
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nenalter.3 In der familiären Interaktion werden besonders elterliche Ablehnung beziehungsweise Überfürsorglichkeit als Prädiktoren für psychosomatische Störungen diskutiert. Dies betrifft besonders Familien mit chronischer Disharmonie, in denen emotionale Ablehnung, ein ungünstiges oder eingeschränktes Bindungsverhalten oder unzuverlässige Bezugspersonen erlebt
wurden.
Als wesentlicher Faktor für eine kindliche Fehlentwicklung konnte in Studien
die Beziehung zu einer Bezugsperson nachgewiesen werden, die aus der Perspektive des Kindes durch einen unverständlichen und unvorhersehbaren
Verhaltensstil gekennzeichnet ist.4 Dabei kann auch das Kind zu einer nachteiligen Eltern-Kind-Beziehung beitragen, wenn es als Reaktion auf ungünstige
Umgangs- und Erziehungsweisen Störungen der Emotionalität und des Verhaltens entwickelt.5
Damit kann eine chronische Belastung in der Familie, wie sie eine MSErkrankung der Mutter darstellt, zum Risikofaktor für die kindliche Entwicklung
werden. Erfährt das Kind emotionale Zurückweisung und Verluste, dann kann
dieses Trauma eine zentrale Finktion bei der Entstehung von Verhaltens-, Entwicklungs- und psychogenen Gesundheitsstörungen haben.
Die Kinder von MS-Kranken sehen in erster Linie die Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bezugsperson durch die Krankheit eingeschränkt. Die latente
Angst in der Familie macht die Eltern emotional „abwesend“ und überträgt
sich auf das Kind. Neue Krankheitsschübe, eine Krankenhausbehandlung oder verstärkte Symptome der Krankheit stören die Bindung immer wieder aufs
Neue. Besonders problematisch in Bezug auf das Verhalten der Mutter ihrem
Kind gegenüber sind Nebenwirkungen von Medikamenten, aber auch
Schwindel, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen und depressive Zustände.
Kinder und Jugendliche können diese Symptome als Ablehnung oder Desinteresse empfinden und Schuldgefühle entwickeln. Sie sehen sich leicht veranlasst, ein Zuviel an Verantwortung zu übernehmen. Auch können sie sich
durch das elterliche Verhalten nicht wahr und ernst genommen fühlen und
ziehen sich traurig zurück. Typische Folgen sind eine gesteigerte Selbstentwertungstendenz und ein starkes Harmonisierungsbedürfnis mit vermeidendem
Verhalten in Konfliktsituationen. Damit zusammen hängen geringes Durchsetzungsvermögen und Überanpassung (Aggressionshemmung), sowie eine Unfähigkeit vor allem unangenehme Gefühle wahrzunehmen (Alexithymie).6
Zurückzuführen sind die wesentlichen Störungen der Mutter-Kind-Interaktion
auf Nichtkommunikation. Die Mutter möchte ihr Kind nicht unnötig mit Details
ihrer Krankheit belasten und Kinder trauen sich nicht zu fragen. So entsteht
eine Atmosphäre der Angst vor dem Austausch von Wissen und Gefühlen. Die
3
Tress, W. 1986: Die positive frühkindliche Bezugsperson – Der Schutz vor psychogenen Erkrankungen. Psychother Med Psychol, 36: 51-57.
4
Davidson, I. S., Faull, C. & Nicol, A. R. 1986: Temperament and behavior in 6-year-olds with recurrent abdominal pain – a follow-up. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 27: 539-544.
5
Schlack, H. G. 1995: Lebenswelten von Kindern. In: H.G. Schlack (Hrsg.): Sozialpädiatrie. Gustav
Fischer, Stuttgart.
6
Keel, P. 1999: Psychotherapeutische Strategien. Psycho 25: 46-53.
15
Folge sind irrationale Phantasien und Befürchtungen. Solche Belastungen
schaffen eine emotionale Distanz zwischen der Mutter und ihrem Kind. Dabei
wäre gerade der offene Austausch der eigenen Befindlichkeit und von krankheitsbedingten Veränderungen für das Erleben aller Familienmitglieder und
für die familiale Bewältigung der Krankheitsfolgen äußerst wichtig. Wenn Kinder wissen, woran sie sind, sind sie belastbarer, als man denkt. Aus der Gewissheit, wie es der Mutter und dem Vater geht, können sie viel Sicherheit ziehen. Und dies gibt der Mutter und der ganzen Familie bei der Bewältigung der
Krankheit ein entscheidendes Stück Kraft.
16
4. Therapeutisches Konzept
4.1
Therapeutische Grundlagen
Um das Bewältigungssystem der MS-Patientinnen in den Mutter-KindMaßnahmen im Haus Daheim wieder aufzubauen, stützen wir uns auf wissenschaftliche Modellvorstellungen.
Unsere Unterstützung und therapeutische Hilfestellung wird insbesondere dort
benötigt, wo die Betroffenen aufgrund der Komplexität ihrer Problemlage (eine Vielzahl wechselseitiger Teilproblematiken, die durch Folgeprobleme, wie
Einschränkungen und Fähigkeitsstörungen, potenziert werden) den Verlust
von Übersicht und Prioritäten beklagen. Quasi überrollt von der zeitlichen Abfolge der Problematik, erleben sich die Betroffenen von multipler Sklerose häufig als handlungsunfähig. In dieser Situation benötigen sie Entlastung, Beratung, Orientierung – und eine teilweise intensive medizinisch-therapeutische
Begleitung und Therapie.
Bei der Reflexion des bisherigen Handelns der Patientinnen und beim Aufbau
neuer Handlungsstrukturen (=Bewältigungsstrukturen) orientieren sich insbesondere unsere sozialtherapeutischen und psychologischen Ansätze an dem
sozial-kognitiven Prozessmodell gesundheitlichen Handelns7, das in Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation eine breite Umsetzung findet.
ErgebnisErwartungen
KompetenzErwartungen
Schweregrad
Bedrohung
Volitionaler Prozess
Intention
Handlungsplanung
Verwundbarkeit
Handlungskontrolle
Handlung
Situative Barrieren und Ressourcen
(z.B. sozialer Rückhalt,
finanzielle Situation)
Das sozial-kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns
veranschaulicht den systematischen Therapieleitfaden für eine konsequente, am Ergebnis orien7
professionelle
Beratung in der Mutter-Kind-Maßnahme.
Schwarzer, R. 1992:tierte,
Psychologie
des Gesundheitsverhaltens,
Göttingen, S. 65 ff.
17
Dabei sind die wesentlichen Ansatzpunkte unserer Intervention der motivationale und der volitionale Aspekt. Motivationale Kriterien sind in der Grafik links
als Voraussetzungen der Intention dargestellt. Die Intention stellt das zielgerichtete „Wollen“ der Patientin dar. Auf der rechten Seite der Grafik umfasst
der volitionale Prozess alle Aspekte und Bedingungen der Handlungsausführung.
Der gesamte Prozess kann von der Patientin im Laufe der Kur möglicherweise
wiederholt durchlaufen werden - zunächst gedanklich, theoretisch und im
Gespräch, später tatsächlich, in Form von Probehandeln oder konkreten Veränderungen. In jedem Fall werden spezifische Erfahrungen gemacht, die den
Gesundungsprozess (=Verhaltensänderung) fördern.
4.1.1
Der motivationale Prozess
Um in den Mutter-Kind-Maßnahmen für Frauen mit MS und ihre Kinder im Haus
Daheim
ein
gesundheitlich
förderliches
Handeln
zu
erreichen
(=Verhaltensänderung), konzentrieren wir uns zunächst auf die Motivation der
Patientin. Dies zielt darauf ab, dass die Frau im Dialog mit dem Arzt, der Psychologin / Sozialtherapeutin für sich und ihr Problem eine individuelle Handlungsabsicht, d.h. eine eigene Intention entwickelt: Es muss erreicht werden,
dass die Patientin sich erlaubt, anders handeln zu wollen.
Deshalb werden zu Beginn motivationale Grundelemente in Einzel- und
Gruppengesprächen reflektiert.
In der Grafik sind diese Elemente als „Schweregrad“, „Verwundbarkeit“ gekennzeichnet, aus denen die „Bedrohung“ als Gesamtbelastung resultiert.
Dies bedeutet, je schwerwiegender die Folgen der gesundheitlichen Krise von
der Betroffenen eingeschätzt werden (Schweregrad), und je geringer die Patientin ihre Möglichkeiten zur Veränderung, Abwehr und Verteidigung gegen
die Folgen und Einschränkungen der Krankheit einschätzt (Verwundbarkeit),
desto mehr Stress und Leidensdruck (Bedrohung) wird empfunden.
Besonders in dieser Phase der Mutter-Kind-Maßnahmen ist es erforderlich, die
Bedrohungen behutsam zu bearbeiten. Deshalb werden gleichzeitig flankierende Maßnahmen angeboten, die der Frau gut tun und eine stabile therapeutische Beziehung aufbauen. Dies hilft, schwierige Klärungsprozesse abzufedern oder überhaupt erst zu ermöglichen.
Konkret werden die ärztliche Eingangsuntersuchung und das psychologische
Erstgespräch verständnisvoll und explorativ gestaltet, ohne schnell an therapeutischer Tiefe zu gewinnen. Die Ergebnisse aus beiden werden zeitnah
fachlich abgestimmt, um einen individuellen Kurplan für die Patientin aufzustellen. Am Beginn der Maßnahme stehen außerdem Leistungen im Vordergrund, die den Patientinnen das Gefühl vermitteln, willkommen, aufgehoben
zu sein und ernst genommen zu werden. Die hauptsächliche Aufgabe der
Phase „Maßnahmenbeginn“ ist Sicherheit und Vertrauen zu vermitteln.
18
Im Kontext der Ergebniserwartung beurteilt die Frau subjektiv die Wirksamkeit
denkbarer, auf ihre Lebenssituation bezogener Handlungen. Dies geschieht
unter der Perspektive, ob die Handlungen die Krise lösen, teilweise lösen, lindern, konstant halten oder verschlimmern. Erarbeitet werden hier insbesondere die erreichbaren und empirisch erfahrbaren Ziele von Handlungen der
Frau, die sie für wirksam hält.
Auch dieses therapeutische Element zielt auf die Stärkung und Förderung der
Intentionsbildung der Patientin. Sie soll dazu geleitet werden, Vertrauen in die
eigenen Gefühle, Entscheidungen und in die Wirksamkeit ihrer Handlungen zu
fassen.
Im Verlauf der Mutter-Kind-Maßnahme werden die Frauen in Einzel- und
Gruppengesprächen zum Erkennen eigener Bedürfnisse und Ressourcen motiviert. Die Entwicklung neuer Handlungsstrategien wird darüber hinaus durch
kreative und meditative Angebote gefördert.
Hinsichtlich der Kompetenzerwartung wird mit der Frau daran gearbeitet, dass
sie sich die für ihre Ziele notwendigen Fähigkeiten und ein entsprechendes
Durchhaltevermögen zutraut. Dies kann auf bisherige Erfahrungen von Erfolg
und Misserfolg, sowie auf die Lernbiographie der Frau bezogen werden.
In diesem Zusammenhang können der Bedarf und die Zugangsmöglichkeiten
zu externen Hilfsangeboten zum Thema werden.
Ein wichtiger Punkt für jede Intentionsbildung und Handlungsplanung ist die
Klärung der Frage nach mobilisierbaren Ressourcen im sozialen Umfeld der
Klientin. Hinzu kommt die Einschätzung sozialer Barrieren, die bewusst zur
Kenntnis genommen und bei der Handlungsplanung und Durchführung berücksichtigt werden müssen.
Hauptthemen sind hier erfahrungsgemäß zunächst die „bedeutsamen Anderen“, durch die sich die Klientin einem Erwartungsdruck in Richtung festhalten
am bisherigen (kranken) Leben oder Veränderung hin zu mehr Aktivität und
Selbstvertrauen erfährt.
Eine sorgfältige und, wenn nötig, redundante Bearbeitung der bisher genannten vier Elemente des motivationalen Prozesses wirken unterstützend auf die
Entwicklung und Äußerung eigener Handlungsabsichten, auf Intentionen zur
Problemlösung.
4.1.2
Der volitionale Prozess
Je nach Fortschritt und Erfolg der Motivation (teilweise auch parallel hierzu),
werden im Rahmen des MS-Schwerpunktkonzeptes im Haus Daheim Schritte
angeboten, die in eine konkrete Handlung führen. Damit wird die so genannte volitionale Phase eingeleitet. Volition umfasst alle auf die Aktion gerichteten Gedanken direkt vor, während und nach einer Handlung. Aspekte dieser
Maßnahmen sind:
19
Die Handlungs p l a n u n g unter Berücksichtigung der subjektiven und objektiven Ressourcen und Barrieren
Die Handlungs d u r c h f ü h r u n g mit Ausführungskontrolle (im Prozess)
Die Handlungs b e w e r t u n g (in der Summe)8
Die Durchführung erstmalig beabsichtigter Handlungen stellt den Mut und die
Selbstdisziplin der Klientinnen vor große Anforderungen. Deshalb unterstützen
wir die Klientin therapeutisch, ihre Intention mit Ausdauer und Anstrengung in
eine konkrete Planung umzusetzen. Dabei achten wir darauf, dass die Umsetzungsschritte präzise im voraus geplant und eingeleitet werden. Außerdem
helfen wir, die Kriterien der (Teil-) Zielerreichung zu definieren und verbindlich
festzulegen. Kontinuierliche Rückmeldung über erreichte Teilziele fördern diesen Prozess.
Entsprechend den Handlungsplanungen werden nun, soweit in den MutterKind-Maßnahmen möglich und sinnvoll, erste Handlungen durch die Frau umgesetzt.
Im Dialog mit der Psychologin/Sozialtherapeutin, oder entsprechend dem
Handlungsziel anderen Professionen in der Einrichtung, werden der Frau laufende Ausführungskontrollen, im Sinne der Selbstkontrolle, ermöglicht und
Feedback gegeben.
Entsprechende Handlungen können je nach individuellem Bedarf der Patientin bei der Teilnahme an Ausflügen und der regelmäßigen Durchführung von
krankengymnastischen Übungen beginnen. Besonders für MS-Patienten ist es
wichtig, am öffentlichen Leben teilzunehmen, auf Menschen zu zugehen und
außerhäusliche Aktionen, etwa ein Besuch mit den Kindern im Wellenbad oder ein Konzert in Bad Harzburg, durchzuführen.
Eine gute Vorbereitung hierfür sind die gruppenweisen Angebote im Haus
Daheim, z.B. in der Mutter-Kind-Andacht und im kreativen Tanz wird aktive
Teilnahme geübt. In den Angeboten Entspannung und Stressbewältigung
geht es darum, Grenzen zu setzen und Aufgaben abzugeben. Die Gruppengespräche zum Thema Partnerschaftskonflikte etwa fördern Selbstbestimmung und Zufriedenheit.
Das therapeutische Team beobachtet hierbei, ob planmäßig an eigenen
(Teil-) Zielen gearbeitet wird, oder ob situative oder anhaltende Störungsquellen wie physische oder psychische Probleme der Patientin selbst oder ihrer
Kinder diese Handlungsziele abschwächen oder aus dem Blick geraten lassen. Die notwendigen „Kurskorrekturen“ oder Verlagerungen therapeutischer
Prioritäten werden mit der Frau fortgesetzt abgeglichen, verhandelt und in
den Therapieplan übertragen.
Sind während der Erarbeitung von Handlungsstrategien und deren Erprobung
(=Aufbau des Bewältigungssystems) bereits viele einzelne Bewertungen und
8
Unter gewissen (therapeutischen) Umständen können diese Schritte auch zur Motivation gedanklich
durchgespielt werden, um schließlich doch in eine konkrete Handlung zu führen. Manchmal sind mehrere Durchgänge dieser motivationsbildenden Schleifen nötig (siehe 4.1.1 Der motivationale Prozess), um in die Handlung zu führen.
20
Ermunterungen vollzogen worden, so steht gegen Ende der gesamten Maßnahme eine abschließende Bewertung in der ärztlichen Abschlussuntersuchung und dem psychologischen Abschlussgespräch mit Rückblick auf das
Erreichte und Ausblick auf noch bevorstehende Schritte therapeutisch im
Vordergrund.
In dieser Zeit werden auch Fragen der zielgerichteten Nachbetreuung der
Frau und ihrer Kinder nach Ende der Maßnahme ausführlich besprochen und
bei Bedarf Kontakte zu ambulanten Stellen, wie den zuweisenden Beratungsstellen, Fachärzten oder Selbsthilfegruppen, geschaffen.9
4.2
Medizinische Betreuung
Der Medizin kommt bei der Versorgung und Betreuung von Patientinnen mit
MS aufgrund der spezifischen Probleme und Erfahrungen der Frauen eine besondere Rolle zu.
Die Mutter-Kind-Einrichtung Haus Daheim arbeitet nach einem psychosomatischen, frauenspezifischen Konzept und ist besonders auf die Behandlung von
psychosozialen Gesundheitsstörungen ausgerichtet. Die Therapie basiert auf
einem ganzheitlich integrativen Ansatz.
4.2.1
Diagnostik
Um Patientinnen mit MS in die Maßnahmen des Hauses Daheim aufzunehmen, müssen die folgenden diagnostischen Kriterien erfüllt sein:
-
Diagnostik der Erkrankung sollte abgeschlossen sein (incl. Differentialdiagnostik)
weitere Erkrankungen, die die Maßnahmen beeinflussen können, sollten
diagnostiziert sein
sich daraus erbebende Störungen hinsichtlich der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit der Patientinnen sollten genau bezeichnet sein
Eine Erkrankung an MS bedeutet für die Betroffenen in der Regel ein Höchstmaß an Belastungen, sowohl in körperlicher Hinsicht, als auch in psychischen
und sozialen Belangen. In frühen Krankheitsstadien besteht aufgrund der enormen Belastungen ein relativ hohes Suizidrisiko. Daher ist eine behutsame
und verständnisvolle Abklärung über die bisherigen diagnostischen Maßnahmen und den Verlauf der Krankheit eine der wichtigsten Aufgaben des ärztlichen Dienstes im Haus Daheim. Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung von vorab erhaltenen oder von der Patientin mitgebrachten Unterlagen
können die Verordnungen für den Verlauf der Mutter-Kind-Maßnahme getrof-
9
Die Handlungsschritte können, so sie bereits im ambulanten Bereich/Beratungsstelle eingeleitet wurden, in der Schwerpunktkur vertieft werden. Sie bedürfen nach Ende der Maßnahme sinnvollerweise
einer Weiterführung und Unterstützung im Rahmen ambulanter Maßnahmen. Dieses Vorgehen entspricht dem therapeutischen „Dreischritt“ des Müttergenesungskonzeptes.
21
fen werden. Dabei werden auch Behandlungsfrequenz und Dauer individuell
festgelegt.
In der fortlaufenden medizinischen Betreuung ist der Arzt “sichtender Gesprächspartner”, mit dem Diagnostik und Entwicklung der MS-Erkrankung (und
auch von „Bei-Erkrankungen“), hauptsächlich ergänzt durch objektive Informationen über die Krankheit und Einschätzungen der vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten, besprochen werden können. Individuelle Beurteilungen
des derzeitigen Gesundheitszustandes und mögliche Entwicklungen können
dann mit der Patientin besprochen werden. Aus diesen Gründen sieht die
medizinische Betreuung eine Eingangsuntersuchung, wöchentliche Vorstellung in der Sprechstunde, wöchentliche Gesprächsgruppen und eine Abschlussuntersuchung vor. Auch darüber hinaus steht der Einrichtungsarzt für
Gespräche und Kontakte zur Verfügung.
Für Notfälle bestehen fachliche Kooperation und Austausch mit einer neurologischen und einer pädiatrischen Praxis am Ort, sowie mit den neurologischen Kollegen der Klinik im 30 km entfernten Seesen.
4.2.2
Beratung, Schulung
Immer wieder wird berichtet, dass die Mitteilung der Diagnose MS für die Patientinnen ein Schockerlebnis darstellt. Feststellung wie „Sie haben MS, finden
sie sich damit ab, dass sie in ein paar Jahren im Rollstuhl sitzen!“ dringen bei
den Frauen tief ein und erschweren es nachhaltig, ein auf effektives Coping
ausgerichtete Handlungsweisen herauszubilden. In der Folge vernachlässigen
MS-Patientinnen oft grundlegende Bedürfnisse wie Bewegung, Geselligkeit,
Ernährung, Ruhe und Entspannung.
In wöchentlichen Gruppengesprächen werden deshalb unter ärztlicher Leitung Fragen thematisiert, die die Frauen beschäftigen. Dies sind unter anderem:
- wie sich Schübe ankündigen, welche Warnsymptome zu erkennen sind
und welche Möglichkeiten der Lebensführung als Prophylaxe es gibt, um
Schübe zu vermeiden.
- ob eine Schwangerschaft Einfluss auf die Krankheit hat; oder umgekehrt,
ob die Krankheit vererbt werden kann.
- mögliche Verlaufsformen der MS und Hinweise darauf, dass es auch sich
nicht verschlimmernde Formen dieser Erkrankung gibt.
4.3
Sozia-/psychotherapeutische Betreuung
Das sozial- und psychotherapeutische Konzept der Vorsorgemaßnahmen im
Haus Daheim konzentriert sich - in Ergänzung und Kooperation mit der kurärztlichen medizinischen Diagnostik und Therapie - besonders auf das Bewältigungsverhalten von Frauen. Der ganzheitliche therapeutische Ansatz der Ein22
richtung berücksichtigt schwerpunktmäßig frauenspezifische Lebenswelten
und gesellschaftliche Bedingungen von Frauen und Müttern. Deshalb werden
die besonderen, psychisch wirksamen Bedienungen berücksichtigt und bearbeitet, denen Frauen heute ausgesetzt sind. Diese Bedingungen sind maßgeblich beteiligt an der gesundheitlichen Situation von Frauen und definieren
ihre Leiden und ihr Kranksein.
Wir beziehen uns in unserer Arbeit auf die Definitionen der WHO und ihrer Klassifikation ICIDH10, die außer der Beschreibung einer Krankheit auch die Erfassung der Folgen von Gesundheitsstörungen in den drei Dimensionen Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und sozialen Beeinträchtigungen vorlegt. Dies
geschieht nicht nur zur konkreten Analyse von Gesundheitsstörungen, sondern
auch zur Konzeption und Ordnung unserer Interventionen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Folgeerscheinungen von Belastung oder Krankheit zu,
die einschneidenden Einfluss auf die persönlichen und sozialen Fähigkeiten, in
der Regel sowohl der Mutter und des Kindes, als auch der betroffenen Familie
insgesamt haben.
Wir wenden uns diesem Problemfeld mit einem speziellen Gesamtkonzept zu,
indem wir das Belastungs- und Krankheitsbild der Frauen, ihrer Kinder und die
Interaktionsprozesse zwischen beiden ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken. Deshalb stehen bei unserer Arbeit Kinder und Erwachsene angemessen
gleichrangig nebeneinander. Der systemische Ansatz der Familientherapie ist
unsere Grundlage für die Betrachtung von Wechselbeziehungen der Familienmitglieder in Bezug auf ihre Gesundheit.
Bei chronischer Krankheit, wie der Multiplen Sklerose, die zu den ohnehin vielfach problematischen Lebensbedingungen von Frauen mit Kindern eine zusätzliche andauernde psychische und soziale Belastung bedeutet (auch
wenn sie primär nur ein Familienmitglied zu betreffen scheint), ändert sich die
Beziehung der Personen zueinander. In der Familie stehen deshalb alle Mitglieder unter dem Druck psychosozialer (Krankheitsfolge-) Belastungen. Daraus resultiert ein erhebliches Risiko an Überforderungen, Verhaltensstörungen
und schließlich gesundheitliches Krisen.
Unser Ansatz der Stärkung von Bewältigungsmöglichkeiten orientiert sich im
Sinne des Gesundheitshandelns11 besonders an der Einübung positiver Handlungsergebnisse und der Verringerung von Barrieren, die dies erschweren. Satt
so weiter zu machen wie bisher und Veränderungen zu fürchten, sollen die
Frauen und ihre Kinder neue Handlungsoptionen finden und mit der Krankheit
und deren Folgen schrittweise besser umgehen.
Methodische Schwerpunkte unserer Arbeit sind:
- Selbstreflexion
- Auseinandersetzung mit dem Thema Krankheit
- Übungen zur Wiederentdeckung eigener Ressourcen
10
World Health Organization (1980) The international classification of impairments, disabilities and
handicaps. WHO Library Cataloguing in Publication Data. Genf.
ICIDH übers. von R.-G. Matthesius. – Berlin; Wiesbaden: Ullstein Mosby, 1995.
11
siehe 4.1 Therapeutische Grundlagen
23
-
Entspannungsübungen
Imaginationsübungen
bewusste Lebensplanung
In diese therapeutische Methodik integrieren wir bei Bedarf Elemente der systemischen Familientherapie, Gestalttherapie, Biographiearbeit, Psychodrama
und des Bochumer Gesundheitstrainings.
Außerdem trägt der bewusst entlastend gestaltete und zielgruppenspezifische
Ansatz der Mutter-Kind-Maßnahmen im Haus Daheim dazu bei, dass die Frauen und Kinder Zeit und Gelegenheit haben, sich ihren Bedürfnissen, Wünschen
und ihrer Gesundheit widmen zu können. Hier findet Austausch mit anderen
Frauen in vergleichbaren Situationen statt und schafft ein Klima zur Neuorientierung und zum Aufbau individueller Ressourcen der betroffenen Frauen.
Dies wird besonders auch durch gemeinsame Mutter-Kind-Angebote vermittelt und erprobt. Hierunter verstehen wir alle Angebote für Mutter und Kind
gemeinsam, die der Verbesserung der physiologischen/medizinischen Situation der Hauptbetroffenen und gleichzeitig einer praktisch erfahrbaren Stabilisierung der Familienstruktur dienen. Mutter-Kind-Gymnastik, -Turnen, -Basteln,
-Spielen usw. haben diese Doppelfunktion. Die Angebote werden immer von
qualifizierten Kräften geleitet.
Eine solche Unterstützung von außen kann auch Fehlentwicklungen in der
Partnerschaft entgegenwirken. Je besser Eltern über die Erkrankung und die
Behandlungsmöglichkeiten oder die Belastungen und Auswege daraus informiert sind, desto intensiver können sie sich untereinander austauschen und
desto zufriedenstellender wird die Partnerschaft eingeschätzt. Gleichzeitig
verbessert sich die Kommunikation beider Eltern mit den Kindern (Erziehungsstil) und entsprechend besser wird das Verständnis der Kinder für die Krankheit
und die Belastungen der Familie. So wird auch die kindliche Beziehung zu den
Eltern verbessert. Eine möglichst gerechte Verteilung der erkrankungsbedingten Belastungen zwischen den Familienmitgliedern erhöht den familiären Zusammenhalt und minimiert das Risiko der Überforderung einzelner.
Die Qualität unserer Arbeit sichern wir durch regelmäßige interdisziplinäre Treffen, Supervision und den fachlichen Austausch.
4.3.1
Gesprächstherapie
Der Erfahrungsaustausch mit Frauen in ähnlichen Lebenssituationen, auch
wenn sie keine MS haben, wirkt entlastend. Ein solcher Erfahrungsaustausch
wird einerseits ermöglicht und gefördert durch die Gruppenkur mit gemeinsamer An- und Abreise und den vielfältigen Austauschmöglichkeiten während
dieser Zeit. Um diesen Prozess zu lenken und therapeutische aufzubauen bieten wir Gruppengespräche und Einzelberatungen an, in denen über Schwierigkeiten im Alltag gesprochen werden kann.
24
Vor dem Hintergrund aller anderen Leistungen der Mutter-Kind-Maßnahmen
im Haus Daheim geben Gruppenangebote und Einzelberatung einen wichtigen und sensibel angeleiteten Raum, die Selbstwahrnehmung zu schärfen,
Zusammenhänge zu erfassen und neue Handlungsstrategien in den Blick zu
nehmen.12 Zentrales Anliegen der Gruppen- und Einzelgespräche ist die Erarbeitung von neuen Perspektiven und Lösungswegen für die psychosozialen
Belastungen der Frauen. Die gesprächstherapeutischen Angebote dienen der
prozessorientierten Bewusstwerdung und der Erschließung von individuellen
Ressourcen. Diese Angebote werden von Psycho- und Sozialtherapeuten/innen durchgeführt.
Themenzentrierte Gruppengespräche als wichtige Bausteine unserer Therapie
umfassen unter anderem die Inhalte:
Rollenverhalten und Identität
Abgrenzung und Selbstfindung
Stressbewältigung
Partnerschafts- und Erziehungsprobleme
Einzelberatungen bieten den Frauen Gelegenheit, sich Zeit und Raum zu
nehmen, um sich zu entlasten und ihre momentane Lebenssituation lösungsorientiert zu betrachten. So können positive Veränderungsmöglichkeiten auch
in Bezug auf die Mutter-Kind-Interaktion entwickelt und noch während der
Maßnahme erprobt und umgesetzt werden. Wir helfen dabei, mögliche Lösungswege für Partnerschaftsprobleme, Trennung und Scheidung, Tod, Beziehungsfragen, Erziehungsprobleme, Gewalterfahrungen, Ängste, Depressionen
und vieles andere, aber auch für individuell abgestimmte Möglichkeiten der
Stressbewältigung zu erarbeiten. Dabei wird immer auch gesehen, welche
Hilfsangebote zu Hause in Anspruch genommen werden können. In die Beratung fließen therapeutische Elemente aus Gesprächspsychotherapie, systemischer Familientherapie, Psychodrama und Gestalttherapie mit ein.
Die MS-Diagnose stellt eine große Belastung für die familiären Beziehungen
dar. Dabei gehört die Qualität der Beziehungen zu den ausschlaggebenden
Faktoren für eine Bewältigung der Krankheit.13
Deshalb sind Eltern- und Partnerbeziehungen wichtige Themen bei der Bewältigung von Krankheitsfolgen und um neue Handlungsmöglichkeiten zu finden.
Sehr oft sind die familiären Beziehungen durch Kommunikationsprobleme und
unerfüllte Erwartungen und Bedürfnisse belastet und werden frustrierend erlebt. Auf diese Weise belasten ungelöste familiendynamische Konflikte das
gesundheitliche Befinden noch zusätzlich.
Die Krankheitsverarbeitung ist ein Trauerprozess um den Verlust von Gesundheit und Zukunftsperspektiven. Davon sind auch Partner und Kinder betroffen.
Hilfreich für die Gestaltung des Familiensystems ist eine gegenseitige Anerken12
13
siehe 4.1 Therapeutische Grundlagen
siehe 3.1.4 Resümee „Familiäre Bindung“
25
nung von Bemühen und Verzicht. Dabei ist das eigene Leid mit dem des Partners nicht zu vergleichen: beide haben es schwer.
4.3.2
Bewegungstherapie und Entspannung
Die Entspannungs- und Bewegungstherapie im Haus Daheim arbeitet mit den
Frauen und Kindern in Gruppen oder bei besonderem Bedarf auch einzeln.
Um Entspannungsfähigkeit aufzubauen und um eine verbesserte psychovegetative Stabilisierung zu erreichen, beinhaltet das Gesamtkonzept des Hauses Progressive Muskelentspannung nach Jacobson und das spezielle Angebot „In der Ruhe Kraft schöpfen“. Hierbei werden innere Ruhe und Gelassenheit erlebt und erlernt. Neue Lebenskraft und neuer Lebensmut werden aktiviert. Eigene Stimmungen und das eigene Befinden werden beim anschließenden Malen kreativ ausgedrückt und sichtbar gemacht. Kombiniert mit
psychotherapeutischen Verfahren kann „In der Ruhe Kraft schöpfen“ Angst
und Stress abbauen sowie depressive Verstimmungen reduzieren.
Oftmals werden von MS-Betroffenen aus Rücksicht auf die Erkrankung und aus
Angst vor einer Verschlechterung auf körperliche Belastungen verzichtet. Dies
allerdings fördert die Atrophie der Muskulatur und hat eher gegenteilige Effekte.
Deshalb gehören neben den Anwendungen in der Krankengymnastik und
physikalischen Therapie die Sport- und Bewegungsangebote im Haus Daheim
mit zur MS-Bewältigungstherapie. Generelles Ziel von wirbelsäulengerechtem
Beweglichkeitstraining, leichtem Ausdauer- und Konditionstraining und Fitnessgymnastik ist eine leistungsangepasste Verbesserung von gestörten Funktionen, eine psychovegetative Umstimmung und Förderung der sozialen Interaktion, etwa bei reduzierter Freizeitkompetenz oder mangelndem Antrieb.
Auch für zu Hause wird vorbereitet, damit die Übungen dort fortgeführt werden können. Die Koppelung von Entspannungs- und Bewegungsübungen
bewirkt eine Anregung zur positiven inneren Ausrichtung. Aus diesem Grund ist
auch die Mittagsruhe definiert, die, wie auch die Freizeit generell
(=therapiefreie Zeit) dazu anleiten soll, mit freier Zeit umgehen zu lernen und
für sich selbst zu nutzen.
4.3.2.1
-
Bewegung und Entspannung für Frauen
Orthopädische Rückenschule
Wirbelsäulengymnastik
Atemtherapie /-gymnastik
Krankengymnastik
Gymnastik
Entspannungsübungen
„In der Ruhe Kraft schöpfen“
26
-
Progressive Muskelentspannung
Terraintherapie
Kreativer Tanz
4.3.2.2
-
Krankengymnastik
Entspannungsübungen
gezielte Bewegungsübungen bei motorischen Störungen
Bewegung in freier Natur
Psychomotorik
Kinderturnen
Ausflüge
4.3.2.3
-
Bewegung und Entspannung für Kinder
Bewegung und Entspannung für Mutter und Kind
sportliche Übungen und Spiele
Psychomotorik
Mutter-Kind-Turnen
Spaziergänge und Ausflüge
4.3.3
Kurleitung und Rekreationstherapie
Während des Maßnahmeverlaufs werden die Patientinnen im Haus Daheim in
persönlichen und organisatorischen Belangen von unserer Einrichtungsleitung
und den Bezugstherapeuten/--innen betreut. Von besonderer Bedeutung sind
in diesem Zusammenhang die Anreise der Familien und ihre ersten Tage in der
Einrichtung. Eine persönliche Begrüßung und Informationen über das Haus erleichtern den Einstieg. Erst am zweiten Tag beginnt die Kontaktaufnahme mit
den Erzieherinnen im Kinderland, um besonders bei Kindergarten unerfahrenen Kindern die Lösung von der Mutter schonend einzuleiten.
Die Bezugstherapeuten/-innen sind Ansprechpartner/-innen und Vertrauenspersonen. Sie darauf achten, dass unsere Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter und
Gäste wertschätzend und unterstützend miteinander umgehen. Leitender
Gedanke ist es, dieser Arbeit mit Hilfsbereitschaft und Liebe nachzukommen.
Gemäß der grundsätzlichen therapeutischen Ausrichtung im Haus Daheim
sehen wir in den rekreationstherapeutischen Ansätzen eine wesentliche Voraussetzung zur Wiederherstellung und Stabilisierung der Gesundheit.
Unsere Rekreationstherapie folgt einem spezifischen Konzept der pädagogischen Gesundheitsbildung. Der Organisation von Kreativangeboten, Freizeitveranstaltungen, Ausflügen und gemeinsamen Festen liegt eine Idee der Gesundheitserziehung zugrunde. Dabei geht es darum, den Frauen und Kindern
zu ihren sinnlichen Möglichkeiten zu verhelfen, ihnen zu helfen, ein Gefühl für
27
sich selbst zu finden, um sich schließlich für sich selbst zuständig zu fühlen. Den
Frauen und Kindern soll gezeigt werden, dass sie mit ihrem Körper etwas können. Sie sollen ihre Gefühle bewusster wahrnehmen, etwas Neues lernen und
die Natur erleben können. So gewinnen sie eine positive Einstellung zu sich
und ihrem Leben trotz der Diagnose Multiple Sklerose.
Eine spezifische Form der Rekreationstherapie im Haus Daheim ist das kreative
Arbeiten. Durch Seidenmalerei und Bastelarbeiten mit verschiedenen Materialien können vielfach eigene Fähigkeiten erkannt und Sicherheit in die eigene Schaffenskraft (wieder-) erlangt werden. Über das kreative Tun werden Erfolgserlebnisse vermittelt, die das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen
stärken. Dadurch werden Handlungskompetenzen vermittelt, um für die eigene seelische und körperliche Gesundheit besser sorgen zu können. Diese Prozesse werden durch Entspannungsangebote, etwa die Phantasiereise, unterstützt.
4.4
Kinderland
Das Kinderland hat 4 Gruppenräume mit jeweils dazugehörigem Sanitärbereich, einem Wickelraum sowie einem Küchenbereich. Die Gruppenräume
sind je nach Altersstufe der Kinder ausgestattet. Zusätzlich steht dem Kinderland ein Entspannungsraum zur Verfügung. Genutzt werden auch der Gymnastikraum, die Lehrküche und der „Toberaum“ im Haus.
Im Kinderland werden 4 Kindergruppen betreut. Das Alter der Kinder liegt in
der Regel zwischen 0,5 und 13 Jahren. Die Kinderbetreuung findet in altersspezifischen Gruppen statt und liegt im allgemeinen zwischen 8 und 15 Uhr. 0
bis 2jährige Kinder werden maximal 6 Stunden betreut.
Unsere Arbeit ist besonders spezialisiert auf Kinder mit ADS (Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom), Erkrankungen der Atmungsorgane, Entwicklungsverzögerungen, sowie grob- und feinmotorischen Auffälligkeiten. Wir haben insgesamt
viel Erfahrung in der Betreuung von Kindern mit psychosozialen Entwicklungsbeeinträchtigungen, die durch problematische Familienbedingungen und
innerfamiliäre Konflikte verursacht werden.
Die Grundlage unserer Arbeit ist eine vertrauensvolle Atmosphäre, die wir
schaffen, indem wir günstige Kindergruppen zusammensetzen und durch überschaubare Tagesabläufe und wiederkehrende Handlungen (Regeln, Rituale) Orientierungshilfen geben.
Insgesamt geschieht dies in einem Rahmen, der durch Freiräume des Kindes
und sein selbstbestimmtes, von eigenen Neigungen geleitetes Tun, orientiert
ist. Dies wird durch Hilfestellungen bei sozialen Schwierigkeiten unterstützt. Die
Gruppenangebote geben den Kindern Impulse für neue Spielideen, fördern
grob- und feinmotorische Fähigkeiten, Kreativität und Phantasie. Ein gelenkter
Gesprächskreis macht Regeln und Rituale transparent und hilft so bei der Erarbeitung von Konfliktlösestrategien.
28
Darüber hinaus fördern wir das Gesundheitsverhalten der Kinder in verschiedensten Bereichen. Dies beginnt beim morgendlichen Wassertreten in der
Physio-Abteilung und wird durch vielerlei Frischluft-Spiele und „Entdeckungsreisen“ in den naturnahen Waldgebieten in der Umgebung des Hauses Daheim fortgesetzt.
Durch selbst zubereitete Speisen in der Kinderküche werden Kenntnisse, Spaß
und Freude an gesundem Essen vermittelt. An die Zahnpflege wird spielerisch
herangeführt. So wird Freude an Alltagspflichten und Körperpflege vermittelt.
Je nach Erfordernis, etwa durch ärztliche Verordnung oder durch eigenes Beobachten kindlicher Auffälligkeiten, hält das Kinderteam zusätzliche und begleitende Angebote für die Kinder und ihre Mütter bereit, die in Absprache
mit dem therapeutisch-pädagogischen Team durchgeführt werden.12
Die speziellen Angebote richten sich besonders auf Angstbewältigung, Wahrnehmungstraining, psychomotorisches Training und gelenkte Entspannung für
Kinder ab 5 Jahren. Dabei geht es um psychologische Hilfen zu: Vertrauen
haben können, Gefühle zulassen, erkennen und benennen, Konfliktstrategien
finden und Selbstwertgefühl aufbauen. Dies führt in ein selbstbestimmtes Leben, indem die Kinder einen autonomen Spielraum aufbauen und eigenständige Entwicklungsschritte vollziehen lernen.
4.4.1
Mutter-Kind-Interaktion
Die Mutter-Kind-Beziehung ist durch die MS-Erkrankung der Mutter belastet,
die Stabilität der Familie ist gefährdet.13 Sie kann aber durch Ausbildung neuer
Orientierungen und Werte, Informationen über die Erkrankung, Neubestimmung familiärer Ziele und daran anschließend durch Fertigkeiten im Umgang
mit den Symptomen zur Bewältigung der Erkrankung wesentlich beitragen.
Über gemeinsames Tun können Mutter und Kind lernen, eingefahrene Verhaltensmuster zu verändern. Hierüber bekommen die Mütter neue Informationen
über die Entwicklung und die Fähigkeiten ihrer Kinder. Sie erleben Sichtweisen
und Handlungsstrategien für den Umgang mit ihrem Kind im Alltag. Ziel der
Mutter-Kind-Angebote ist die Verbesserung der Mutter-Kind-Beziehung vor
dem Hintergrund stressfreier gemeinsamer Erlebnisse.
Zur Verbesserung der Mutter-Kind-Beziehung und um unsere Arbeit für die
Mutter einsichtig zu gestalten, wird der Kontakt zu den Frauen in Bezug auf
ihre Kinder gesucht. Denn kindliche Verhaltensänderung macht die Mitarbeit
der Mutter erforderlich.
Die Mütterbetreuung findet über ein pädagogisches Gruppengespräch, Einzelberatung und Videoanalyse statt. Das Gruppengespräch greift eher allgemeine pädagogische Themen auf, wie kindliche Entwicklungsphasen, Umdeutung von Konflikten, Erarbeitung neuer Sichtweisen und die Bewertung
von Handlungen und Verhalten, die Reflexion eigener Erwartungen an das
12
13
siehe auch 4.4.1 Mutter-Kind-Interaktion
siehe 3.2 Die Kinder MS-kranker Mütter und 3.1.3 Familiäre Belastungen
29
Kind und an sich selbst sowie eine kritische Auseinandersetzung mit Schuldgefühlen. Darauf aufbauend geht es sowohl in der Einzelberatung als auch in
der Videoanalyse vor allem um die Bearbeitung und Klärung individueller Erziehungs- und Familienproblematiken.
Ein häufiges Problem in der Beziehung MS-kranker Mütter zu ihrem Kind entsteht vorwiegend wenn der zunehmende Bewegungsdrang und die voranschreitende Sprachentwicklung kleiner Kinder dazu führen, dass die Störungen
und Behinderungen der Mutter immer stärker in den Vordergrund treten und
nach Erklärungen verlangen. Wird in diesen Situationen das Gespräch (oder
die Kommunikation in weiterem Sinne) vermieden, was in der Praxis möglicherweise aus Unsicherheit oder Schamgefühlen geschieht, dann wachsen
bei dem Kind Verunsicherung, Angst, aber auch Wut, Enttäuschung und sogar Schuldgefühle gegenüber dem Leiden der Mutter. Dies trifft insbesondere
in den Entwicklungsphasen der Kinder zu, in denen von ihnen zunehmend
Rücksichtnahmen abverlangt werden.
Im Hinblick auf eine MS-Erkrankung der Mutter steht für die betreffenden Kinder in vielen Fällen eine Entlastung im Mittelpunkt der Arbeit. Diese wird erreicht durch eine Förderung der Mutter-Kind-Interaktion in Bezug auf die mütterliche Erkrankung. Kinder wollen sich selbst und ihre Eltern verstehen. Dafür
brauchen sie einerseits Hilfen im Umgang mit eigener Wut, Trauer und Enttäuschung, die das Verhalten der Mutter unwillkürlich bei ihnen auslöst. Andererseits sind altersspezifische und kontinuierliche Informationen über die Erkrankung der Mutter, ihre bis dahin vielleicht unverständlichen Verhaltensweisen
und die Einstellungen und Gefühle der Mutter nötig.
Kinderfragen altersgemäß zu beantworten, bedeutet nicht, sie mit Information
zu überhäufen, nach denen sie nicht gefragt haben. Vielmehr soll geduldig
und verständnisvoll auf gestellte Fragen geantwortet, und auf versteckt geäußerte Gefühle reagiert werden (ansprechen, spiegeln). Dadurch kann das
Kind lernen, dass es ernst genommen wird, und wird bei nächster Gelegenheit
wieder fragen. Damit können auch Wut, Trauer und Gefühle der Ablehnung
reduziert werden.
Die Gruppen- und Einzelgespräche, die Videoanalyse und auch die im Folgenden genannten pädagogischen Maßnahmen werden mit dem therapeutisch-pädagogischen Team abgestimmt und sind in der Regel ärztlich verordnet. Der Bedarf wird möglichst zu Beginn der Maßnahme abgeklärt. Die Mutter wird sensibel in diesen Kommunikationsprozess mit einbezogen.14 Im Haus
Daheim wird möglichst frühzeitig mit dieser Arbeit begonnen, damit die Familie sich einübt und eine entsprechende Kommunikation nach Ende der Mutter-Kind-Maßnahme fortführen kann.
Im Haus Daheim werden nach Indikationsprüfung und ärztlicher Verordnung
für an MS erkrankte Frauen mit ihren Kindern Bewegungseinheiten angeboten.
Mit Hilfe der Psychomotorik oder des Mutter-Kind-Turnens werden Kinder in ihren Bewegungsabläufen gefördert, ihre kognitive Lernfähigkeit wird angeregt
14
siehe auch 3.2 Die Kinder MS-kranker Mütter
30
und gestärkt. Ein wichtiger Schwerpunkt ist die Förderung und zielgerichtete
Besserung der Mutter-Kind-Interaktion.
Beim gemeinsamen kreativen Tun im Mutter-Kind-Basteln erfährt die Frau viel
über den Entwicklungsstand ihres Kindes, was zu einer positiven Wahrnehmung der Mutter für das Verhalten ihres Kindes führt. In Problemsituationen,
insbesondere wenn MS-spezifische Besonderheiten der Mutter thematisiert
werden müssen, kann das (konflikthafte) Verhalten von Mutter und Kind durch
Hilfestellungen gefördert werden. Auch hier werden die Ressourcen des Kindes transparenter und der Grad, was dem Kind zugemutet werden kann,
kann realistischer eingeschätzt werden.
Die Qualität der Arbeit im Kinderland und die Beratung der Frauen werden
durch wöchentliche Dienstbesprechungen und Fallkonferenzen, durch täglichen kurzen Informationsaustausch auch mit anderen Berufsgruppen der Einrichtung und durch die Teilnahme an Fortbildungen gewährleistet.
Die individuelle Einzelfallbetreuung kann es erforderlich machen, zu Einrichtungen am Heimatort der Frauen Kontakt aufzunehmen, um ihnen Hilfe vor
Ort zu vermitteln. Dies geschieht in der Regel, indem die jeweiligen Beratungsstellen, Vermittlungseinrichtungen oder der Kostenträger (Krankenversicherung) je nach Dringlichkeit telefonisch oder schriftlich eingeschaltet wird. Ebenso werden bei Bedarf Gutachten zur Einschätzung der individuellen Situation erstellt und an die zuständigen Kontaktstellen versandt.
4.5
Physiotherapie
Die Abteilung Physiotherapie im Haus Daheim arbeitet in enger Abstimmung
mit dem Einrichtungsarzt. Sie ist mit Blick auf die Indikationen der Vorsorgeund Rehabilitationseinrichtung ausgestattet und arbeitet vor allem mit großer
Zuwendung zu den Patienten. Die Einrichtung bietet neben vielen Methoden
der Krankengymnastik alle balneo-physikalischen Therapien in der eigenen
Bäderabteilung mit Kneippanlage, einschließlich der externen Bad Harzburger
Thermalsole.
In Einzelgesprächen wird mit jedem Patienten ein eigener Behandlungsplan
aufgestellt. Dabei wird besonders darauf geachtet, dass Mutter und Kind als
eine Einheit betrachtet und behandelt werden. Ein Schwerpunkt der Behandlung wird auf Übungsempfehlungen für die Zeit nach der Mutter-KindMaßnahme gelegt.
Ein gutes, individuell abgestimmtes physiotherapeutisches Programm lindert
schmerzhafte Muskelverspannungen, verbessert die Beweglichkeit und kann
sogar Spastiken reduzieren. Innerhalb der Krankengymnastik gilt die PNF17 als
17
PNF = propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation. Propriozeptoren sind Rezeptoren, die dem Gehirn
Informationen über die Haltung und Bewegung unseres Körpers übermitteln. Neuromuskulär heißt,
dass es Nerven, Muskeln und Sehnen betrifft. Und Fazilitation bedeutet, etwas einfacher machen oder
Bewegung erleichtern.
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für MS-Patientinnen am besten geeignete Therapie. Sie wird zur Aktivierung
und Kräftigung der Muskulatur eingesetzt. Diese Methode wirkt positiv auf viele Muskeln, die man für Tätigkeiten und Bewegungen des täglichen Lebens
braucht.
Zur Anwendung gelangen auch physiotherapeutische Ansätze nach Bobath.
Diese Methode basiert auf der Beobachtung, dass bestimmte Bewegungen
muskuläre Verkrampfungen entweder mindern oder verstärken können. So
kommt es in der Therapie darauf an, die günstigsten Haltungen und Bewegungen für die einzelne Betroffene zu finden. Richtig angewendet kann die
Bobath-Methode spastische Symptome, Gangattaxien und andere neurologisch bedingte Bewegungseinschränkungen entscheidend bessern.
Die Behandlung stärkt nicht nur die in ihrer Funktion beeinträchtigten Muskeln,
sondern auch andere Muskelgruppen. Dadurch werden die gesunden Muskeln gestärkt, dass sie unter Umständen die Funktion der geschädigten mit
übernehmen können.
4.5.1
Krankengymnastik
Im Rahmen der Krankengymnastik werden individuelle Übungen zur Behandlung von Fehlhaltungen mit Anleitung für ein gezieltes Üben nach der Maßnahme zu Hause durchgeführt. Außerdem gibt es rehabilitative Maßnahmen
zur Verbesserung und Stärkung des Muskelaufbaues sowie zur Behandlung
von Schwächen und Fehlstellungen.
Das Angebotsspektrum der Krankengymnastik umfasst:
Wirbelsäulengymnastik
orthopädische Rückenschule
Atemtherapie / Atemgymnastik
Beckenbodengymnastik
Inhalte sind zunächst eine Erklärung, was der Beckenboden ist und welche Bedeutung er auch im Zusammenhang mit der Blasenfunktion hat.
Die gezielten Übungen können dann dazu beitragen, dass die Blasenfunktion gestärkt und der Harndrang besser kontrolliert werden kann.
4.5.2
Physikalische Therapie
In der eigenen Bäderabteilung sorgt die Masseurin für die ärztlich verordneten
Behandlungen.
Das Angebotsspektrum der physikalischen Therapie umfasst:
klassische Massagen
Parafango
Rotlichtbestrahlung
Kneipp‘sche Anwendungen
Med. Voll- und Teilbäder
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Lymphdrainage
Bindegewebsmassage nach Teubich-Leube, Dicke
Inhalation
4.6
Diätküche und Ernährungsberatung
Es gibt derzeit keine wirksame diätetische Therapie gegen MS. Eine vollwertige
Ernährung allerdings kann die Entzündung und den dabei durch freie Radikale entstehenden oxidativen Stress positiv beeinflussen.
Gegen die Müdigkeit hilft leichte Kost aus viel Gemüse, Obst und Vollgetreide,
bei wenig Fett und Eiweiß. Eine bedarfsgerechte Kalorienaufnahme entlastet
außerdem das Immunsystem. Dabei sollte ausreichend Flüssigkeit, etwa 1 - 1,5
ltr., zu sich genommen werden. Wegen der oft bestehenden Blasenprobleme
trinken MS-Betroffene oft zu wenig, um nicht so oft zur Toilette zu müssen. Daher sollten die Getränke gleichmäßig über den Tag verteilt werden, um die
Blase nicht zu sehr zu belasten.
Einen ebenfalls großen Einfluss auf das Immunsystem hat die Fettaufnahme.
Sie sollte etwa 25 - 30 % der gesamten Energiezufuhr betragen. Dabei ist zu
beachten, dass insgesamt wenig tierische Fette, also wenig Fleisch, Wurst, Käse, Sahne und Butter, und dafür mehr Seefisch, Gemüse, Pflanzenöl, Nudeln
und Reis zu sich genommen werden. Bei Entzündungsgeschehen spielt die
Arachidonsäure eine besondere Rolle, weil sie die Ausgangssubstanz für entzündungsfördernde Botenstoffe ist. Deshalb sollten besonders Eigelb, Fleisch,
Innereien, Butter und Haut vermieden werden, da sie viel dieser Säure enthalten.
Entzündungshemmende Effekte haben dagegen Omega-3-Fettsäuren, wie
sie viel in Fischöl, Leinöl und Rapsöl vorkommen.
Das Ernährungskonzept im Haus Daheim orientiert sich an den Ansätzen von
Dr. Swang und Dr. Evers. Durch eine verminderte Zufuhr von tierischen Fetten
(< 20 gr/Tag) kann, wie eine Diätstudie zeigte, die MS positiv beeinflusst werden. Insgesamt wird eine weitgehend naturbelassene Kost mit einem hohen
pflanzlichen Anteil, ballaststoffreich und mit pflanzlichen Ölen gereicht.
In 2 Gruppen zur Ernährungsberatung werden die Frauen von einer Dipl.Oecothrophologin mit den Besonderheiten des Ernährungskonzeptes des
Hauses Daheim vertraut gemacht.
Ein erhöhter Körperfettanteil ist gerade bei MS-Betroffenen zu reduzieren, weil
er die Krankheit begünstigt. Deshalb werden bei Bedarf 2 weitere Einheiten
Ernährungsberatung speziell zur Reduktionskost angeboten.
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5. Beschreibung der Einrichtung
Bad Harzburg ist das älteste und größte Heilbad des Harzes. Die kleine Stadt
mit dem grünen Herzen ist ein heilklimatischer Kurort mit mildem Reizklima in
400 m Mittelgebirgslage. Die Bad Harzburger Sole-Therme mit ihrer entspannenden und wohltuenden Wirkung und ihrer bis zu 32 Grad warmen Schwefelsole ist der Mittelpunkt des Kurortes. Die lebendige Kurstadt ist das Tor zum Nationalpark Harz, der zu wunderschönen Wanderungen und Spaziergängen
einlädt.
Unser Haus Daheim liegt direkt unterhalb des Burgberges und ist unmittelbar
von Wald umgeben. Die Stadtmitte und die kurgastfreundlichen Einrichtungen, wie die Seilbahn und die berühmte Harzburger Bummelallee können in
10 bis 20 Minuten zu Fuß erreicht werden. Eine Bushaltestelle befindet sich direkt vor unserem Kurhaus.
Ausstattung der Einrichtung
Das Haus Daheim bietet Platz für 34 Frauen und 40 Kinder, die hier eine Vorsorge und Rehabilitation durchführen können. Jedes Zimmer des Hauses ist
allergiegerecht und ausgestattet mit Vorraum, Dusche, WC, Balkon und Telefon. Die Physiotherapieabteilung mit einer eigenen Kneippeinrichtung, Inhalierraum, Sauna und Solarium sorgt für die medizinisch verordneten Anwendungen.
Für einen behaglichen Aufenthalt gibt es gemütliche Aufenthaltsräume mit
Kamin und Fernseher, helle Räume für Gesprächsgruppen und einen Andachts-/Meditationsraum. Die Mahlzeiten werden in zwei Speisesälen serviert.
Auf jeder Etage ist ein Spielzimmer mit Küchenzeile. Für die kleinen und großen
Kinder gibt es ein Spielzimmer, Kinderspielplätze und einen Bolzplatz. Zum Werken und Basteln haben wir extra ausgestattete Räume. Es stehen Waschmaschine, Trockner und Trockenräume zur Verfügung.
Therapeutisches Spektrum
Die inhaltlichen Schwerpunkte der Vorsorgemaßnahmen für MS-kranke Mütter
und ihre Kinder in der Vorsorge-Reha-Klinik Haus Daheim:
Schulmedizinische Grundversorgung in Verbindung mit psychosozialen und
physiotherapeutischen Verfahren durch jeweilige Fachkräfte.
Spezifische Diagnostik und Therapie durch ein erfahrenes und qualifiziertes
Therapeutenteam:
Bei Erwachsenen:
- Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselerkrankungen
- psychische und Verhaltensstörungen
- Krankheiten des Atmungssystems
- Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes
- Faktoren die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen (außer Z 44).
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Bei Kindern:
- Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselerkrankungen
- psychische und Verhaltensstörungen
- Krankheiten des Atmungssystems
Ausgewogenes Angebot bei einer ganzheitlichen Betrachtung der Patienten.
Besondere Fachlichkeit, Sensibilität und Erfahrung in der Interaktionstherapie
für Mutter und Kind bei psychischen und Verhaltensauffälligkeiten.
-
Diagnostik
Medizinische und physikalische Therapie
Psychosoziale Therapie
Pädagogische und therapeutische Arbeit mit Kindern
Therapie unterstützende Maßnahmen
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6. Vernetzung und Nachsorge
Wir fördern bei unseren Patientinnen die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit und
Mitgestaltung, weil wir unsere Arbeit als aktive Rehabilitation und Gesundheitsvorsorge verstehen. Durch diesen starken Einbezug der Teilnehmerinnen,
der bereits im Vorfeld der Maßnahme beginnt, soll die Fähigkeit gefördert
werden, die während der Maßnahme gemachten Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse später im Alltag umzusetzen, gezielt gesundheitsfördernde
Maßnahmen weiterzuführen oder Hilfen in Anspruch zunehmen. Um diese Effekte zu unterstützen halten wir eine psychologische/therapeutische Nachbetreuung je nach Bedarf und Grad der Krankheitsfolgen für äußerst sinnvoll.
So lassen sich langwirkende Verbesserungen in medizinischer, physiologischer,
psychosozialer und psychosomatischer Hinsicht erzielen. Dies leistet letztlich
auch einen bedeutenden Beitrag zur Kostendämpfung.
Unser Haus kooperiert in Bezug auf die Vor- und Nachbetreuung mit der Deutschen MS-Gesellschaft, Landesverband Niedersachsen, Hannover.
7. Qualitätsmanagement
Haus Daheim fühlt sich einem hohen Qualitätsstandard verpflichtet. In diesem
Sinne wird auf allen Ebenen der Klinik ein Total Quality Management System
umgesetzt.
Seit 2006 wurde im Netzwerkverbund des evangelischen Fachverbands für
Frauengesundheit und in Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Institut für
Qualitätsentwicklung im Diakonie Bundesverband wurde das "Bundesrahmenhandbuch Diakonie-Siegel Vorsorge und Rehabilitation für Mütter/MutterKind" erarbeite. Das Handbuch wurde offiziell im Januar 2010 herausgegeben.
Das Gütesiegel entspricht den allgemein anerkannten TQM Kriterien und zeigt
darüber hinaus die Besonderheiten des evangelischen Gesundheitsangebots
für Frauen und Mütter und deren Kinder auf. Haus Daheim, das maßgeblich
an der Entwicklung des Bundesrahmenhandbuchs beteiligt war, wird im Frühjahr 2010 nach dessen Gütekriterien und entsprechend der Vorgaben des §
137 SGB V zertifiziert werden.
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