Übergang Schule und Beruf in Niedersachsen

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Übergang Schule und Beruf in Niedersachsen
Tagungsband zur Fachtagung
Übergang Schule und Beruf
in Niedersachsen
am 11. Februar 2010
im PFL-Kulturzentrum Oldenburg
Herausgeber:
Prof. Dr. Rudolf Schröder
Ludger Wester
Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Kaminski
Dr. Thomas Hildebrandt
Oldenburg, März 2011
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Danksagung
Unser Dank gilt den Referentinnen und Referenten, die durch Vorträge und Beiträge in den
Workshops zum Gelingen der Tagung maßgeblich beigetragen haben.
Eine Fachtagung mit fast 400 Teilnehmenden organisiert sich nicht von selbst; wir danken
den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen in unseren Einrichtungen für ihren Einsatz. Seitens der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer haben insbesondere Anja Jordan,
Katja Delecate und Elisabeth Waldeck zum Gelingen beigetragen. Seitens der Universität
Oldenburg und des Instituts für Ökonomische Bildung erfolgte die organisatorische Unterstützung insbesondere durch Rebecca Stabbert, Kerstin Urban und Dr. Claudia Verstraete.
Ebenso gilt unser Dank den Protokollantinnen und Protokollanten der Workshops, die in den
jeweiligen Kapiteln namentlich aufgeführt sind.
Unser Dank gilt außerdem dem Niedersächsisches Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung, der Landesschulbehörde Niedersachsen und der Oldenburgischen IHK sowie
dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag für die tatkräftige Unterstützung bei der
Werbung und der Einladung der Teilnehmenden.
Oldenburg, März 2011
Die Herausgeber
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ........................................................................................................................ 7 2 Vorträge der Referenten ................................................................................................. 9 2.1 Eröffnung der Tagung Werner zu Jeddeloh, Vizepräsident der
Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer .............................................. 9 2.2 „Schule – und was kommt dann“? Berndt Wozniak, Vorsitzender der
Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Oldenburg ........................................ 12 2.3 Berufsorientierung als eine Gesamtaufgabe Prof. Dr. Dr. h.c. Hans
Kaminski, Direktor IÖB ..................................................................................... 16 2.4 Berufsorientierung – Eintrittskarte in die betriebliche Ausbildung Sybille
von Obernitz, Bereichsleiterin Berufliche Bildung/Bildungspolitik des
DIHK, Berlin...................................................................................................... 20 2.5 Berufs- und Studienorientierung: auf dem Weg zu einem
Gesamtkonzept Prof. Dr. Rudolf Schröder (Stiftungsprofessur
Berufsorientierung, IÖB/Universität Oldenburg) ............................................... 28 2.6 2.5.1 Einleitung ............................................................................................ 28 2.5.2 Zur Situation der Berufsorientierung in Niedersachsen ...................... 29 2.5.3 Bausteine einer systematischen Berufsorientierung ........................... 32 2.5.4 Zusammenfassende Thesen .............................................................. 45 Neue Rahmenbedingungen für die Berufsorientierung in Niedersachsen
Manfred Janßen, Generaliendezernent Berufsorientierung der
Landesschulbehörde Niedersachsen ............................................................... 47 3 Protokolle der Workshops ............................................................................................ 52 3.1 3.2 3.3 Hauptschule ...................................................................................................... 52 3.1.1 Verlaufsstruktur des Workshops ......................................................... 52 3.1.2 Beiträge der Referentinnen und Referenten ....................................... 53 3.1.3 Arbeits- und Diskussionsphase ........................................................... 58 3.1.4 Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer............................ 58 Realschule ........................................................................................................ 59 3.2.1 Verlaufsstruktur des Workshops ......................................................... 59 3.2.2 Beiträge der Referentinnen und Referenten ....................................... 59 3.2.3 Arbeits- und Diskussionsphase ........................................................... 66 3.2.4 Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer............................ 67 Haupt- und Realschule ..................................................................................... 67 - Seite 5 -
3.4 3.5 3.6 3.3.1 Verlaufsstruktur des Workshops ......................................................... 67 3.3.2 Beiträge der Referentinnen und Referenten ....................................... 68 3.3.3 Arbeits- und Diskussionsphase ........................................................... 70 3.3.4 Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer............................ 72 Integrierte Gesamtschule.................................................................................. 74 3.4.1 Verlaufsstruktur des Workshops ......................................................... 74 3.4.2 Einführung in die Thematik ................................................................. 75 3.4.3 Arbeits- und Diskussionsphase ........................................................... 75 3.4.4 Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer............................ 79 Gymnasium....................................................................................................... 79 3.5.1 Teilnehmende und Verlaufsstruktur .................................................... 79 3.5.2 Beiträge der Referentinnen und Referenten ....................................... 80 3.5.3 Arbeits- und Diskussionsphase ........................................................... 88 3.5.4 Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer............................ 89 Berufsbildende Schulen .................................................................................... 90 3.6.1 Verlaufsstruktur des Workshops ......................................................... 90 3.6.2 Vorstellung der Berufsorientierung an den berufsbildenden Schulen für
den Landkreis Wesermarsch .............................................................. 90 4 3.6.3 Arbeits- und Diskussionsphase ........................................................... 93 3.6.4 Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer............................ 94 Resümee der Tagungsergebnisse ............................................................................... 96 4.1 Zusammenfassung und Ausblick ...................................................................... 98 5 Abkürzungsverzeichnis............................................................................................... 101 6 Abbildungsverzeichnis ................................................................................................ 102 7 Literaturverzeichnis .................................................................................................... 103 - Seite 6 -
1 Einleitung
Bei der Berufsorientierung handelt es sich um eine aktuelle, aber keinesfalls neue Herausforderung. Die Disparitäten auf dem Ausbildungsmarkt, der demografische Wandel, die
Schwierigkeiten vieler Jugendlicher beim Übergang von der Schule in einen Ausbildungsberuf oder Studium sowie neue Anforderungen an die Erwerbstätigen verleihen der Thematik
eine ungebrochene Aktualität.
Niedersachsens Bildungspolitik reagiert auf diese Entwicklungen. Die Einführung der Betriebs- und Praxistage an den niedersächsischen Hauptschulen im Jahr 2005 stellten einen
ersten Meilenstein dar. Anfang 2010 wurden neue Erlasse für die Arbeit in der Haupt- und
Realschule verabschiedet, welche die Berufsorientierung weiter stärken. Zugleich gibt es
aber auch eine große Unsicherheit in den Schulen, wie die Erlasse umgesetzt werden können.
Das Institut für Ökonomische Bildung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (IfÖB),
das An-Institut für Ökonomische Bildung (IÖB) und die Oldenburgische Industrie- und Handelskammer fördern seit Jahren gemeinsam die Berufsorientierung in Niedersachsen. Im
August 2008 haben unsere drei Einrichtungen ein gemeinsames Strategiepapier mit dem
Titel „Berufsorientierung in der Schule: Eckpunkte einer nachhaltigen Förderung der Berufsorientierung an allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen“ veröffentlicht. Das Strategiepapier versucht, die wesentlichen Aufgaben einer zeitgemäßen Berufsorientierung zu identifizieren und in ein Gesamtkonzept zu integrieren. Dabei steht das Bundesland Niedersachsen im Vordergrund; zentrale Inhalte lassen sich aber bundesweit übertragen. Nachfolgend
wird eine Zusammenfassung abgedruckt.
Nicht zuletzt die große Resonanz auf das Strategiepapier hat uns in dem Beschluss bestärkt, die Fachtagung „Übergang Schule - Beruf in Niedersachsen“ auszurichten. Die Fachtagung fand am 11. Februar 2010 statt. Es waren über 450 Personen angemeldet. Trotz des
winterlichen Wetters nahmen etwa 380 Personen aus Schule und Wirtschaft an der Tagung
teil.
Dieser Tagungsband folgt im Aufbau dem Verlauf der Tagung. Am Vormittag wurden in mehreren Vorträgen die aktuellen Herausforderungen an die Berufsorientierung beleuchtet.
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Werner zu Jeddeloh, Vizepräsident der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Bernd Althusmann seinerzeit Staatssekretär (heute Minister) im Kultusministerium
Hannover musste witterungsbedingt absagen.

Manfred Janßen, Generaliendezernent Berufsorientierung der Landesschulbehörde,
erläuterte die aktuellen Reformen zur Berufsorientierung.

Sybille von Obernitz, Bereichsleiterin Berufliche Bildung beim DIHK, ging auf die Rolle der Wirtschaft als wesentlicher Partner der Berufsorientierung ein.

Berndt Wozniak, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Oldenburg, betonte die Notwendigkeit zur Kooperation der Partner und die Beiträge der Arbeitsagenturen.

Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Kaminski, Direktor des Oldenburger Instituts für Ökonomische
Bildung, ging auf die neuen Kerncurricula für das Fach Wirtschaft ein, die von erheblicher Bedeutung für die schulische Umsetzung der Berufsorientierung sind.

Prof. Dr. Rudolf Schröder, Inhaber der Stiftungsprofessur für Ökonomische Bildung
und Berufsorientierung an der Universität Oldenburg, ging der Frage nach, wie die
Forderung nach einem systematischen Gesamtkonzept eingelöst werden kann.
Am Nachmittag wurde die Förderung der Berufsorientierung in sechs schulformspezifischen
Workshops vertieft: Hauptschule, Realschule, Haupt- und Realschule (kooperative Gesamtschule), Integrierte Gesamtschule, Gymnasium und Berufsbildende Schulen. Gemäß dem
Motto „Das Rad muss nicht neu erfunden werden“ wurde den Teilnehmenden die
Möglichkeit gegeben, ihre Best Practice Beispiele darzustellen und hinsichtlich der Übertragbarkeit zu diskutieren. Außerdem wurden in den Workshops Forderungen an die
Bildungspolitik entwickelt, die in der Zusammenfassung noch einmal auf den Punkt gebracht
werden. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit der Tagung wird außerdem ein Ausblick auf die
weitere Arbeit gegeben.
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2 Vorträge der Referenten
2.1
Eröffnung der Tagung
Werner zu Jeddeloh, Vizepräsident der Oldenburgischen Industrie- und
Handelskammer
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
herzlich willkommen zu unserer Fachtagung „Übergang Schule-Beruf in Niedersachsen“, die
wir gemeinsam mit dem Institut für Ökonomische Bildung durchführen, und bei deren Planung weitere relevante Akteure mitgewirkt haben.
Wir freuen uns auf die Beiträge zum Thema Berufsorientierung und hoffen, dass wir heute
weitere Impulse für diese wichtige Aufgabe geben, damit Berufsorientierung für alle Jugendlichen eine Eintrittskarte in die betriebliche Ausbildung oder auch andere Formen der Weiterqualifizierung werden kann. Also: Eine verbindliche Struktur der Berufsorientierung,
damit die notwendigen Kompetenzen zu einer realistischen Lebensplanung bei allen
Schülerinnen und Schülern gleichermaßen entwickelt werden können.
Ich begrüße den Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit, Herrn Berndt
Wozniak. Sie sind ein wichtiger Partner für Schülerinnen und Schüler, aber auch für die
Schulen. Danke, Herr Wozniak, dass Sie sich in diesem wichtigen Punkt aktiv einbringen.
Ich freue mich besonders darüber, Frau Sybille von Obernitz, Bereichsleiterin Berufliche Bildung und Bildungspolitik beim DIHK in Berlin, zu begrüßen. Sie haben sicherlich die längste
Anreise zu dieser Tagung hinter sich.
Der IHK-Organisation ist die Wichtigkeit einer guten beruflichen Orientierung durch die Reflexion ihrer Mitglieder bestens bekannt. Das hören Sie in Berlin wahrscheinlich täglich aus
allen Regionen – unabhängig von föderalen Gegebenheiten in den einzelnen Bundesländern: Eine der Grundvoraussetzungen für eine gute Ausbildung im Sinne der Unternehmen und der Auszubildenden ist eine verlässliche und problemadäquate Vorbereitung der jungen Menschen auf die wichtigste Entscheidung im Teenageralter: eine
realistische, den persönlichen Möglichkeiten entsprechende Berufswahlentscheidung.
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Ich begrüße gern die Professoren Hans Kaminski und Rudolf Schröder, die in ihren Beiträgen den Kontext und die Rahmenbedingungen des Themas beleuchten werden. Wer die
inhaltlichen Positionen der beiden und des Instituts für Ökonomische Bildung kennt, wird
wissen, dass die Verbesserung der Situation in der Berufsorientierung nicht vom Aktionismus dominiert werden darf, sondern von Struktureckpfeilern. Wir sind gespannt.
Begrüßen möchte ich Herrn Manfred Janßen, Generaliendezernent für Berufsorientierung
bei der Landesschulbehörde. Er wird nach der Mittagspause als Auftakt für die Workshops
kurz die derzeitigen Rahmenbedingungen für die Berufsorientierung in Niedersachsen aufzeigen.
Ein herzliches Willkommen auch denjenigen, die sich auf dem Markt der Möglichkeiten präsentieren und sich bei der Gestaltung der Workshops engagieren – hier wird die gelebte
Realität gezeigt und diskutiert. Auch die Vertreter der Presse begrüße ich.
Ich freue mich sehr, dass diese Tagung heute stattfindet. Ich freue mich auch darüber, dass
der Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung, Herr Dr. Thomas Hildebrandt, und der Projektleiter des Ausbildungspakts, Herr Ludger Wester, in unserer IHK mit so viel Herzblut an diesem Thema arbeiten – und zwar nicht isoliert, sondern im Dialog mit den Schulen und
Institutionen. Diese Arbeit ist glasklar im Sinne der Schülerinnen und Schüler und der Wirtschaft, daran besteht kein Zweifel, denn Berufsorientierung ist auch ein Stück Wirtschaftsförderung.
Ich möchte noch einige Worte als Unternehmer und Vertreter eines Ausbildungsunternehmens in die Diskussion bringen. Als Vertreter eines bekannten und traditionellen Ausbildungsunternehmens für unterschiedliche Berufe im gewerblich-technischen und kaufmännischen Bereich fallen mir einige Dinge auf, die genau in dieses Thema passen. Es fällt immer
wieder auf, dass sich Jugendliche bei uns bewerben, die die unterschiedlichsten Vorstellungen über ein und dieselbe Berufsausbildung haben.
Weiterhin fällt auf, dass diese Beobachtung nicht nur für den Informationsgrad über einen
konkreten Ausbildungsberuf oder das potentielle Ausbildungsunternehmen begrenzt ist –
nein, es geht auch um die Vorstellung über das Berufsleben, über das Verständnis der
eigenen Rolle in der Ausbildung und teilweise über einfachste Umgangsformen. Ich betone ausdrücklich, dass wir hier nicht über schulische Leistungen sprechen, sondern über Berufsorientierung.
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
Ich frage mich: wie kommt es zu diesen eklatanten Unterschieden? Gibt es überhaupt
eine Verabredung der Beteiligten an den konkreten Inhalten der Berufsorientierung,
was messbare Mindeststandards betrifft – etwa wie bei einer Führerscheinprüfung?
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Der Übergang von der Schule in den Beruf ist ein Meilenstein in der Biographie von
Schülerinnen und Schülern1. Wenn wir das wissen, dann muss die Hinführung zu guten
Entscheidungen unserer Schüler eine abgestimmte Vorgehensweise von qualifizierten
Fachleuten beinhalten, die auch eine Verantwortung für ihr Tun übernehmen müssen.

Wir sind als Unternehmen bei diesen Themen immer mit dabei! Wir erhalten häufig Anfragen zu Projektbeteiligungen, für Vorträge und Hilfen unterschiedlichster Art im Rahmen von Berufsorientierungsmaßnahmen. Mir ist bekannt, dass es tolle Initiativen gibt,
beispielsweise hier in Oldenburg das Konzept der „Probelehre“ oder die „Gütesiegelaktion“, die meines Erachtens im Nordwesten schon 200 Schulen in Form eines Wettbewerbs mit einem durchdachten didaktischen Konzept erreicht hat.
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Ein weiteres tolles Produkt ist die im Mentorenprogramm der Oldenburgischen IHK
entwickelte CD „startup4job“, die als interaktive Arbeitshilfe für Schüler und Lehrer bei
der Berufsorientierung konzipiert wurde.
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Es gibt Unterrichtsmaterialien und Internetplattformen, beispielsweise vom IÖB. Es gibt
Kooperationsverträge zwischen Schulen und Unternehmen, hervorragende Schulkonzepte, unser Mentorenprogramm, Schülerfirmen und viele, viele Dinge mehr. Letztlich
alles „gutes schieres Fleisch“.
Nichts davon muss man lassen, aber die Einbindung in ein Gesamtkonzept wäre sicherlich
sehr sinnvoll! Wenn man das gut macht, ist das Ganze besser als isolierte Teile es jemals sein können. Und ich glaube sagen zu dürfen: ein solches Konzept gibt es leider noch
nicht!
Um es etwas provokativ zu sagen:
Unsere Kinder brauchen keine zufälligen Glücksmomente, sondern eine verlässliche
Selbstverständlichkeit in der Organisation, der Kooperation, der Qualifikation und der
Verantwortung im Berufsorientierungsprozess!
1
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im weiteren Verlauf die männliche Form verwendet, die
auch für die weibliche steht.
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
Dass der Bedarf nach Informationen bei Eltern und Jugendlichen groß ist, wissen wir.
Ob es die Informationsveranstaltungen der Rotary Clubs sind, der Elterntag in der
Agentur für Arbeit oder Veranstaltungen der Kammern, die Ausbildungsmesse „job4u“,
oder wiederum andere Informationsveranstaltungen - überall gibt es einen wachsenden
Zulauf! Die Wirtschaft ist durchaus bereit, sich einzubringen. Das machen wir seit
vielen Jahren. Es wäre aber sinnvoll, wenn auch wir unsere Ressourcen in ein
Konzept einbringen könnten, damit die Unterstützung an der richtigen Stelle und
zur richtigen Zeit ansetzt - und damit effizienter wird!

Mein Wunsch als Unternehmer und in meiner Funktion als Mitglied des Präsidiums der
Oldenburgischen IHK ist es, dass wir Schüler vor uns sitzen haben, die ihrem Alter entsprechend realistische Vorstellungen von unserer Arbeitswelt und ihren eigenen
Wunschberufen haben. Bei dieser großen Aufgabe werden wir im Sinne der Jugend, der Gesellschaftsentwicklung und natürlich auch im eigenen Interesse helfen.

In diesem Sinne bin ich sicher, dass diese Tagung ein Erfolg wird. Die große Anzahl an
Besuchern
2.2
ist
für
mich
ein
erstes
Indiz.
Danke
für
Ihre
Aufmerksamkeit.
„Schule – und was kommt dann“?
Berndt Wozniak, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Oldenburg
Diese Frage stellen sich jedes Jahr rund 6.500 Schüler, die die Schulen im Bezirk der AA
Oldenburg verlassen.

„Bevor andere über Deine Zukunft entscheiden, nimm sie lieber selbst in die Hand“.

„Informiere Dich, welche Berufe es gibt!“

„Finde heraus, was für Dich das Beste ist!“

„Nutze Deine Chancen!“
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Dieser Appell kommt von den rund 60 Berufsberaterinnen und Berufsberatern der AA Oldenburg, Vechta und Wilhelmshaven, die sich im Kammerbezirk hauptberuflich mit Fragen
der Berufswahl und der Berufsorientierung beschäftigen und die eine hohe fachliche Kompetenz, regelmäßig ein dreijähriges Berater-Studium an der Hochschule der Bundesagentur für
Arbeit einbringen und darüber hinaus eigene Erfahrungen in verschiedenen beruflichen Tätigkeiten gesammelt haben.
Erst einmal den Abschluss machen, und dann sehen, wie es weitergeht! Das ist eine häufig
gelebte Haltung der Schüler.
Sehr geehrter Herr zu Jeddeloh, Sie haben als Vizepräsident der IHK, aber auch aus der
Sicht Ihres Unternehmens, das sich immer der Berufsausbildung junger Menschen verpflichtet gefühlt hat, lebendig geschildert, mit welchen Vorstellungen sich die jungen Bewerberinnen und Bewerber bei Ihnen zeigen.
Die Berufswahl ist ein hoch individualisierter Prozess. Die Berufsorientierung soll Schüler,
aber auch deren Eltern frühzeitig und prozessorientiert auf die Berufswahlentscheidung vorbereiten, um dann eine qualifizierte Berufswahl treffen zu können.
Berufsorientierung ist einerseits ein Prozess des Erkennens von eigenen Interessen, Wünschen, Fähigkeiten und andererseits das Wissen über Möglichkeiten, Bedarfen und Anforderungen der Arbeits- und Berufswelt. In diesem Prozess gilt es, Fähigkeiten und Kompetenzen der Schüler zu erkunden und ein Interesse an unterschiedlichen Tätigkeiten zu prüfen
bzw. zu entwickeln.
Sehr geehrte Damen und Herren,
erfolgreiche Berufsorientierung zeichnet sich durch fächer- und jahrgangsübergreifende
Konzeptionen, die Verknüpfung von theoretischem und praktischem Lernen sowie unterschiedlichen Methoden der Kompetenzförderung, Kompetenzfeststellung und Kompetenzdokumentation aus.
Ohne Frage: Die Berufsorientierung in Niedersachsen nimmt Fahrt auf. Die erst jüngst
modifizierte und an veränderte Bedingungen angepasste Rahmenvereinbarung zur Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung zwischen dem Kultusministerium des Landes
Niedersachsen und der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für
Arbeit ist eine gute Grundlage für weitreichende Aktivitäten.
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„Ausbildungsreife sicherstellen – Berufsorientierung stärken“, das ist auch das Ziel,
auf das sich die Partner des nationalen Pakts für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in
Deutschland am 19. Juni 2009 verpflichtet haben.
Unterzeichner dieses Paktes sind neben der BA und der Konferenz der Kultusminister der
Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der Zentralverband des Deutschen
Handwerks (ZDH), der Bundesverband der freien Berufe (BfB), die großen Industrieverbände BDA und BDI sowie die Bundesminister für Bildung und Forschung, Wirtschaft und Technologie, Arbeit und Soziales sowie die Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration. Sie können an den Institutionen unschwer erkennen, welche
hohe Bedeutung der Berufswahlvorbereitung beigemessen wird.
Diese Veranstaltung hier ist der gelebte Beweis, dass nicht nur Fahrt aufgenommen worden
ist, sondern auch die Richtungsdiskussion angegangen wird. Nach wie vor gibt es eine Vielzahl von Akteuren im Feld der Berufsorientierung, die leider häufig interessengeleitet sind
und ohne Fachkompetenz nur ein Marketingziel verfolgen. Dies können junge Berufswähler
häufig nicht erkennen.
Auf meine Frage beim Elterninformationstag der Agentur für Arbeit Oldenburg Mitte Januar
an einen Interessenten am Stand der Polizei, ob er noch ein Gespräch mit dem Berufsberater der AA vereinbaren möchte, antwortete er, dass das nicht nötig sei, da er bereits mit dem
Berufsberater einer großen Krankenkasse gesprochen habe und der geva-Test seine Eignung betätigt hätte.
Für mich bedeutet das: mehr denn je kommt es darauf an, dass die Menschen, die in öffentlich-rechtlichen Systemen eine hohe Wertschätzung bei den Schülern genießen, qualifiziert,
nicht interessengesteuert, an den Fähigkeiten der jungen Menschen orientiert, die Berufsorientierung begleiten.
Dies sind in erster Linie die Lehrer, die Berufsberater, die Kammern und ihre Einrichtungen,
im Praxisbezug natürlich auch die Unternehmen und Betriebe der Region.
Dass die Berufsorientierung im politischen Fokus steht, darf nicht darüber hinweg täuschen,
dass die Probleme leider allzu vieler jugendlicher Schulabgänger bei der Integration in die
Arbeitswelt vielfältiger Natur sind.
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Diese Probleme reichen von suboptimalen schulischen Bedingungen über familiäre/persönliche Problemlagen bis hin zu unzureichenden strukturellen Gegebenheiten (regional unterschiedliche Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsstruktur, mangelhafte öffentliche Verkehrsanbindung, unzureichende kulturelle und Freizeitangebote).
Nicht zuletzt durch die gerade von der Bundesagentur stark geförderte erweiterte vertiefte
Berufsorientierung werden vielfach zurzeit innovative Schulkonzepte entwickelt. Diese setzen auf neue Lernkulturen, beziehen regionale Partner ein und bieten auch Hilfen zur individuellen Gestaltung der Berufswahl.
Aber es gibt noch eine andere Wirklichkeit: Durch den vielfach an Aktionismus erinnernden
Aufwand bei der Berufsorientierung von zum großen Teil kaum qualifizierten Einrichtungen
wird kein entscheidender Beitrag für Schulabgänger, die eigene Biografie zu gestalten, geleistet. Aber auch für uns alle gilt: Viele operative Inseln ergeben noch kein Ganzes. Berufsorientierung muss sich nach meiner festen Überzeugung als fester Bestandteil eines ganzheitlichen Bildungsauftrages verstehen.
Ich wünsche mir zur Vorbereitung der Arbeit der Berufsberater eine schulische Berufsorientierung, die frühzeitig einsetzt, die Unterstützung des gesamten Kollegiums wie auch der
Schulleitung erfährt, die Eltern frühzeitig mit einbindet und die in Kooperation mit Betrieben,
Arbeitsagenturen und weiteren Praxispartnern vor Ort erfolgt. Sie informiert u. a. in der
Schule über die Möglichkeiten und Anforderungen der regionalen und überregionalen Wirtschaft und bietet Schülern Praktika an, damit sie frühzeitig die betriebliche Wirklichkeit kennen lernen.
Ich wünsche mir die Erfüllung des Bildungsauftrages in der Form, dass am Ende junge Menschen die Schule verlassen, die ausbildungsfähig sind und die durch eine Berufsorientierung
noch einmal einen Impuls zur Entwicklung ihrer individuellen Stärken bekommen.
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Bekommen wir es hin, dass die vielfältigen Aktivitäten nicht unbemerkt nebeneinander
stehen?
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Bekommen wir es hin, dass sich diese Aktivitäten ergänzen?

Bekommen wir es hin, dass wir Strategien auf der Grundlage gemeinsamer verbindlicher Standards entwickeln?

Bekommen wir es hin, dass die Aktivitäten Bestandteil eines ganzheitlichen Bildungskonzeptes werden?
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Ich bedanke mich bei den Verantwortlichen der IHK und des Institutes für ökonomische
Bildung für die Ausrichtung dieser Fachtagung. Ich freue mich auf die Erkenntnisse und
Ergebnisse dieses Tages.
2.3
Berufsorientierung als eine Gesamtaufgabe
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Kaminski, Direktor IÖB
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
betrachten Sie meinen kurzen Beitrag mit neun kurzen Punkten und vier Feststellungen wie
die Auszeit beim Volleyball–Spiel, um noch einmal kurz darüber nachzudenken, was am
Ende der Tagung ins allgemeine Bewusstsein für die weitere Verankerung der Berufsorientierung in Niedersachsen gerückt sein sollte.
1. Klassischerweise übernimmt das Schulsystem mindestens drei Funktionen:

es findet Unterricht statt zum Zwecke, allgemeine Qualifikationen und Kompetenzen zu
entwickeln, die den Kindern und Jugendlichen die gesellschaftliche Teilhabe an der
Bewältigung von gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituationen ermöglichen (Qualifikationsfunktion). Auf eine Kurzformel gebracht: „Qualifikationen für eine Welt wie sie
ist und Bildung für eine Welt wie sie sein sollte“.

Schule nimmt aber auch Prüfungen ab, sie verleiht Berechtigungen und beeinflusst
damit die Stellung eines Individuums in der Sozialstruktur einer Gesellschaft. Dies ist
die Selektionsfunktion. Sie macht uns immer die meisten Sorgen. Fördern hört sich
immer besser an als auswählen, selektieren.

Schule vermittelt aber auch über die Art und Weise des Zusammenlebens aller Beteiligten (Lehrer, Schüler, Eltern usw.), über formulierte Rollenerwartungen oder über den
„heimlichen Lehrplan" gelebter Rollen, Normen und Werte, politische Orientierungen,
die das jeweilige Gesellschaftssystem beeinflussen (Integrationsfunktion).
2. Nun muss man sich immer wieder deutlich machen, dass Arbeit und Beruf Grundkategorien menschlichen Daseins darstellen. Arbeit und Beruf sind nicht nur eine wesentliche
Grundlage für den Einkommenserwerb und damit für die materielle Existenzsicherung, sondern ebenso zentral für die Persönlichkeitsentwicklung.
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Damit leisten Arbeit und Beruf einen zentralen Beitrag für die Integration der jungen Menschen in unsere Gesellschaft. Und wir brauchen jeden einzelnen!
3. Damit sind wir schließlich bei der Berufsorientierung der jungen Menschen. Sie ist einerseits eine individuelle Aufgabe für den Berufswähler selbst, aber sie ist auch ein wichtiges
gesellschaftspolitisches Aufgabenfeld, um Unterstützungssysteme anzubieten, die beim
Übergang helfen. Dies führt unmittelbar zur Frage, was wir allen Kindern und Jugendlichen
an Wissen, Fertigkeiten, Einstellungen und Wertorientierungen versuchen müssen zu vermitteln, also welche invarianten Teile jedweder Berufsorientierung gibt es und natürlich, wie
können wir speziell und individuell Fritzchen und Susi unterstützen.
4. Wir wissen, dass das Ziel eine Gleichheit von Lebensbedingungen in Deutschland zu realisieren nicht möglich ist, aber das Ziel, eine Gleichwertigkeit von Lebensbedingungen anzustreben, ist grundgesetzlicher Auftrag (Art. 91a GG). Ebenso gibt es auch keine Gleichheit
von Bildungsbedingungen, aber es sollte schon das Ziel sein, ihre Gleichwertigkeit anzustreben. Dies ist eine hohe Herausforderung für die Konzeptionierung der Berufsorientierung in
einem Flächenland wie Niedersachsen.
Damit kommen wir zur Feststellung 1: Es muss in allen Schulen zumindest das Graubrot zur
Berufsorientierung solide vermittelt werden können. Dafür sollten die Voraussetzungen geschaffen werden, curricular, personell und organisatorisch für jedwede Form der Beratungstätigkeit, für die allgemeine Qualifizierung der Lehrkräfte, die diese anspruchsvolle Aufgabe
zu leisten haben.
5. Bei nüchterner Einschätzung müssen wir festzustellen, dass die Qualifikationsanforderungen an alle Beschäftigten höher werden. Der Anteil z. B. der Informationstechnologien an
der Wertschöpfung von Produkten und Dienstleistungen steigt ständig. Damit wird insbesondere die Situation auf dem Ausbildungsmarkt für Hauptschüler noch einmal kritischer und
enger, weil der kognitive Gehalt der verbleibenden Arbeit höher wird. Die Arbeit geht nicht
aus, wie häufig kurzschlüssig gedacht wird, sie wird aber anders.
Feststellung 2: Der Bedarf an gering qualifizierten Arbeitskräften wird weiter sinken. Auch
angesichts der demografischen Problemlagen, die wir mehr und mehr spüren, wird sich das
z. B. für Hauptschüler nicht sonderlich positiv auswirken. Deshalb ist es m. E. völlig richtig,
dass wir uns grundlegend mit dem Profil der allgemeinbildenden Schulen in der Sek I (HS,
RS) beschäftigen und nach neuen, unkonventionellen Lösungen suchen müssen.
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6. Zurzeit gibt es viele Aktivitäten zur Berufsorientierung in den Schulen, dies ist einerseits
erfreulich, aber viele bunte Punkte ergeben noch kein Bild! Es fehlen m. E. abgestimmte
Gesamtstrategien für die allgemeinbildenden Schulformen, die sich leider nicht aus der Addition, sondern nur durch eine Koordination ergeben werden. Und viele Lehrkräfte sind geradezu verstört und gelähmt von den vielen Anforderungen und von der nicht immer durchdachten Art und Weise der Reformen, sie ziehen sich einfach zurück. Dies ist nicht gut.
Feststellung 3: Es fehlt nicht an Aktivitäten, sondern wir benötigen ein abgestimmtes Gesamtkonzept, in denen diese Aktivitäten ihren spezifischen Stellenwert zeigen müssen. Das
Gesamtsystem muss übersichtlicher werden, damit es alltagstauglicher wird.
Meine Befürchtung ist, dass die bisherige Form der Berufsorientierung – wenn auch in bester Absicht - deshalb in einigen Schulen mehr eine Placebofunktion hat, als dass sie schon
ein strategisches Konzept darstellt.
7. Es gibt eine mehrfache strukturelle Differenz zwischen Anspruch und Einlösung der schulischen Aufgabe Berufsorientierung:
Die erste Differenz besteht in der Wahrnehmung der Wirksamkeit der Berufsorientierung in
den Schulen. Es wird nicht ausreichen, alle beteiligten Lehrkräfte in eine anonyme, nicht
rechenschaftspflichtige Gesamtverantwortung zu treiben. Wir wissen, wenn alle verantwortlich sind, ist am Ende keiner verantwortlich. Verantwortung als didaktischer Wanderpokal ist
kein hilfreiches Organisationsprinzip.
Die Berufsorientierung als schulische Gesamtaufgabe zu definieren, halte ich zwar für richtig, aber es wird sehr darauf ankommen, sie an affine Fächer (z. B. Wirtschaft) inhaltlich „anzudocken“, ohne dass diese Fächer dafür zeitlich bestraft werden und sie die eigenen Kernaufgaben nicht mehr richtig übernehmen können. Die zweite Differenz zwischen Anspruch
und Einlösung besteht in den vielen Projekten, die vor der Schultür stehen. Sie erzeugen
das Gefühl, dass unendlich viel passiert, aber ich befürchte, dass die Evaluation zu ernüchternden Ergebnissen führen könnte.
Sie sind manchmal wie der Theaternebel, der aufsteigt, und wenn dieser verschwindet,
steigt sehr unvermittelt die Realität vor unseren Augen wieder auf. Wie bekommen wir das
koordiniert?
Die dritte Differenz zwischen Anspruch und Einlösung besteht darin, dass Niedersachsen ein
Flächenland ist. Westrhauderfehn ist nicht Oldenburg, Cloppenburg nicht Sögel und Weener
nicht Lüneburg. Und man kann leider das Land Niedersachsen nicht einfach zum „Neustädter Modell“ umbenennen.
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Wir haben unterschiedliche Bedingungen, deshalb müssen wir unterschiedliche Lösungen
suchen, damit zumindest das Graubrot der Berufsorientierung vermittelt werden kann.
8. Damit komme ich zu einer zentralen Bedingung für eine seriöse schulische Berufsorientierung, die Lösung der Frage: Wie können wir die Lehrkräfte landesweit für die Aufgabe qualifizieren? Die Berufsorientierung ist eine Fachaufgabe und keine Gesinnungsaufgabe. Der
pädagogische Eros ist wichtig, aber reicht nicht allein. Es kann nicht angehen, dass z. B.
ohne fachliche Kenntnisse zum regionalen Arbeitsmarkt, zu den Aufgaben eines Betriebes,
zu Berufswahltheorien, zur Funktion von Betriebspraktika, zur Reichweite von Erkundungen
usw. z. B. die Lehrkräfte für Religion, Deutsch, Kunst, Physik unterschiedslos damit beauftragt werden, Berufsorientierung zu unterrichten. Natürlich kann ein Religionslehrer über
diese Kompetenzen auch verfügen, aber damit werden Fachkenntnisse nicht obsolet.
In diesem Feld kommt deshalb der Fachberatung Berufsorientierung eine zentrale Aufgabe
in den Regionen zu, die Entwicklung schulinterner Konzepte zu unterstützen. Stützen wir
deshalb das System und qualifizieren wir es, wo immer auch nötig. Suchen wir nach einem
landesweiten Qualifizierungskonzept für Lehrkräfte – egal wie teuer es sein mag, es ist allemal billiger als der Verlust der jungen Menschen, die den Eindruck haben könnten, sie seien
die nächsten Opfer einer gesellschaftlichen Abwrackprämie.
Es wird auch nicht gegen die bewundernswerten Projektaktivitäten argumentiert, sondern wir
müssen überlegen - wie bei einer ABC-Analyse - , mit welchen drei Entscheidungen auf curricularer, personeller und finanzieller Ebene wir einen Zielerreichungsgrad von 80 % hinbekommen und sollten nicht zuallererst nach jenen weiteren 50 Aktivitäten suchen, mit denen
sich die letzten 20 % auch noch realisieren lassen. Struktur vor Detail!
9. Wir müssen des Weiteren tragfähige Netzwerke zwischen Schulen, Organisationen/Institutionen, Unternehmen und Ausbildungsinstitutionen entwickeln, die nicht mit jedem
neuen Projekt oder Projektchen auch immer wieder neu begonnen werden. Wir müssen
Stabilität auf Jahre hinaus im Planungsvisier haben, sonst verpufft die meiste Energie im
jeweiligen Anfang und nicht in einer konzentrierten und fortgesetzten Arbeit. Jedem Anfang
wohnt zwar ein Zauber inne, aber zu viel Zauber wird dann auch schnell zur durchschaubaren Zauberei. Deshalb: Didaktische Nachhaltigkeit ist wichtig, das kostet weniger als immer
wieder
neue
Projektanfänge.
Hier
brauchen
wir
Unternehmen
und
nen/Institutionen mehr denn je, denn die Herausforderung ist größer denn je.
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Organisatio-
Netzwerke müssen nach Funktionalität beurteilt werden und es kann nicht das erste Ziel
sein, eine allein durch immer weitere Zellteilungen erfolgte Netzwerkbildung zur gleichen
Aufgabe zu betreiben.
Feststellung 4: Bei allen notwendigen schulischen Aktivitäten sollte uns bewusst sein, dass
neue Ausbildungsplätze nicht dadurch entstehen, dass in den Schulen alleine eine bessere
Berufsorientierung betrieben wird. Didaktik schafft keine Arbeitsplätze, schade – ist aber so.
Unternehmen schaffen Ausbildungsstellen, und diese müssen zu den Zielsetzungen von
Unternehmen passen - alles andere ist Lyrik. Machen wir also in den Schulen das, was wir
können und lassen wir uns keine Aufgaben geben, für deren Bearbeitung wir keine soliden
Instrumente haben.
2.4
Berufsorientierung – Eintrittskarte in die betriebliche Ausbildung
Sybille von Obernitz, Bereichsleiterin Berufliche Bildung/Bildungspolitik
des DIHK, Berlin
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
im Vorfeld möchte ich mich bei den Lehrerinnen und Lehrern für die rege Teilnahme an dieser Fachtagung bedanken. Denn die Unternehmen sind auf ein großes Engagement der
Lehrerschaft zum Thema Berufsorientierung angewiesen.
Berufsorientierung ist etwas ganz Elementares und etwas ganz Existenzielles. Es geht um
die Weichenstellung für die Zukunft der jungen Menschen.
Im Gegensatz zu vor 10 oder 15 Jahren haben wir mittlerweile 350 Berufe sowie 11.000
Studiengänge. Da fällt die Entscheidung schwer. Es geht nicht nur um Berufsorientierung für
Haupt- und Realschüler, sondern auch für Gymnasiasten, die sich für ein Studium entscheiden oder auch zunächst einen Beruf erlernen.
Die Berufswahl treffen junge Leute in einer persönlichen Entwicklungsphase, in der ohnehin
sehr viel im Umbruch ist. Und sie ist für viele ein erster Sprung in die Unsicherheit. Raus aus
der Schule und aus dem Elternhaus, die für die meisten doch ein sehr sicherer Hafen sind.
Sie ist zudem etwas sehr Komplexes.
- Seite 20 -
Die Fragen – Was interessiert mich? Was macht mir Spaß? Worin liegen meine Stärken?
Wie kann ich das mit den Angeboten spiegeln, die es gibt? – setzen ja voraus, dass ein junger Mensch sich schon ein Stück weit kennt.
Es gibt, auch wenn Eltern dies möglicherweise anders sehen – kaum jemanden, der die Kinder so kontinuierlich und lange begleitet hat, wie die Lehrer. Deshalb sind gerade sie so
wichtig, weil Berufsorientierung eben so viel damit zu tun hat, die Stärken und Schwächen
jedes Einzelnen zu erkennen.
Wie kann ihnen geholfen werden?
Natürlich indem Unternehmen zeigen, was Berufsleben heißt, indem Auszubildende ganz
authentisch vermitteln, wie sie Ausbildung erleben. Den besten Einblick in den Ausbildungsablauf geben meistens Auszubildende.
Bei Betriebsbesuchen sollte man immer darauf achten, dass natürlich ein Personaler dabei
ist, aber es ist ganz wichtig, dass Auszubildende aus dem Unternehmen über ihre Ausbildung und ihre Arbeit berichten. Die haben nämlich die höchste Akzeptanz bei den jungen
Leuten.
Aber es geht natürlich auch darum, diesen Berufswahlprozess über eine längere Zeit wirklich
professionell zu begleiten. Der Traum wäre eigentlich, wir hätten eine richtige curriculare
Verankerung von „Berufsorientierung“, so wie bei anderen Fächern. Wir müssten nachhaltig
und aufeinander aufbauend eine durchdachte, durch Praxis erprobte Berufswahl ermöglichen, um die Übergänge zwischen Schule und Ausbildung zu verbessern. Berufsorientierung hätte eigentlich eine curriculare Verankerung längst verdient.
Das IFOK-Institut hat etwas ganz Richtiges gemacht. Die haben gesagt, wenn wir über Berufsorientierung sprechen, müssen wir eigentlich mal diejenigen fragen, um die es geht –
nämlich die jungen Leute. Was kommt bei denen an, wie stellen die sich eine Berufsorientierung vor, damit es ihnen etwas hilft? In diesem Projekt haben die Jugendlichen Vorschläge
gemacht, die ganz handfest waren. Zunächst einmal praktische Dinge: Warum gibt es nicht
in jeder Schule ein I-Board? Ein I-Board, ähnlich einem großen I-Pad oder Smartboard, wo
Informationen über Ausbildungsberufe ganz leicht erschließbar abgerufen werden können
und auch, welche Ausbildungsmöglichkeiten es in der jeweiligen Region gibt.
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Solche verständlichen Informationstafeln sollten in jeder Schule stehen, wo man mal eben in
der Pause hingehen und gucken kann, was eigentlich zum Beispiel ein Anlagenmechaniker
ist. Und das ganze Thema nicht zentralisieren auf drei Besuche bei der Berufsberatung der
Arbeitsagentur und möglicherweise noch vier Betriebsbesuche.
Außerdem schlugen die Jugendlichen vor, man solle mehrere Turbopraktika, also Kurzpraktika in Betrieben machen. Es sollte Beratung in Form von Chats übers Internet geben und
Jobscouts, die bei der Berufswahl helfen und die Gegebenheiten der Region kennen. Ähnlich den Mentoren, die sich um benachteiligte Jugendliche kümmern.
Auf die Frage, was denn das Wichtigste sei, was die Jugendlichen aus dieser meinungsbildenden Projektwoche mitgenommen haben, und wie Berufsorientierung ablaufen muss, ist
klar geworden, dass Berufsorientierung viel vielseitiger ist, als die meisten Schüler vorher
gedacht haben.
Damit kann man es also packen. Wenn man die Berufsorientierung vielseitig gestaltet, dann
erreicht man die Schüler auch damit. Den Schülern ist bei dieser Projektwoche klar geworden, dass man an einer Sache dranbleiben muss, wenn man was will. Das ist ja eine wichtige Voraussetzung für das Berufsleben. Dass eine solche Dimension bei einem Projekt zur
Berufsorientierung mitvermittelt wird, würde man spontan nicht unbedingt denken. Wir sehen
immer allein die Ebene der Berufswahl. Aber die Chancen für die Entwicklung der Jugendlichen über eine gute Berufsorientierung sind offenbar sehr viel komplexer.
Es wird viel auf Bundesebene im Zusammenhang mit dem Ausbildungspakt über eine Verbesserung der Berufsorientierung gesprochen. Aber Berufsorientierung ist nicht nur eine
Bringschuld. Es muss der Mut aufgebracht werden, den jungen Menschen klarzumachen,
dass Berufsorientierung auch eine Holschuld ist. Wir müssen - und das ist auch eine Frage
von Authentizität - uns zutrauen, bei aller Verankerung und bei allem Engagement aller Beteiligten, den Jugendlichen immer wieder den Ball zurückzugeben und ihnen sagen, Berufsorientierung bedeutet, dass ihr euch selbst kümmern müsst. Vieles liegt für euch bereit.
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Warum engagieren sich Unternehmen für die Berufsorientierung?
Ich will nicht verhehlen, dass das einen ganz klaren ökonomischen Hintergrund hat. Ich werbe dafür, dass das nicht problematisch gesehen wird, sondern vollkommen rational – so
funktionieren Unternehmen. Sie brauchen gute Fachkräfte und sie versuchen, diese möglichst früh zu gewinnen - und das aus eigenem Interesse. Es ist ja auch ein Ausdruck von
Professionalität, wenn Unternehmen verstehen, welchen Stellenwert die Fachkräfte für sie
haben und sich deswegen besonders früh darum bemühen.
Die Unternehmen haben verstanden, welche demographische Entwicklung auf sie zukommt
bzw. sie antizipieren so langsam die demographische Entwicklung. Die Unternehmen antizipieren auch, dass sie mithelfen müssen, diejenigen jungen Menschen in Ausbildung zu bringen, die dafür nicht die besten Voraussetzungen haben. Vor sechs, acht Jahren wurde so
nicht gedacht, aber so mussten sie damals auch nicht denken.
Das Entscheidende ist: Wenn man die Interessen der Jugendlichen vor Augen hat, eine
möglichst sichere Berufswahl zu treffen. So sehen es die Jugendlichen. Und die Unternehmen? Sie sagen, ich möchte möglichst ziemlich passgenau meine Fachkräfte von morgen
finden. Wie können wir diese beiden Interessen so zusammen bringen, dass am Ende genau das stattfindet? Das ist nämlich das Ergebnis von guter Berufsorientierung.
Wo findet dieses Thema in der Politik statt?
Dies ist natürlich Ländersache, aber wir alle kennen den Ausbildungspakt. Die Neuausrichtung eines Anschlusspaktes ist in der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung verabredet. Das Thema Berufsorientierung muss in diesem Ausbildungspakt ein zentrales Thema
werden, wenn wir einen substantiellen Beitrag für bessere Übergänge von Schule in Ausbildung haben wollen.
Tadellose politische Papiere zu diesem Thema haben wir bereits: Zum Beispiel „Berufswegeplanung ist Lebensplanung“. Das Papier ist in Zusammenarbeit der Partner im Ausbildungspakt entstanden. An der praktischen Umsetzung mangelt es aber noch.
Um was geht es eigentlich bei dem Thema und wer sollte was tun?
Wie systematisch ist das Thema Berufsorientierung im Schulalltag verankert? Wie kriegen
wir hin, dass die Akteure, die wir brauchen, verbindlich das tun, was sie tun sollen?
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Wer hält das nach? Ein Jahrgang hat zurzeit ungefähr 800.000 – 900.000 Schüler. Nehmen
wir an, in allen siebten bis neunten Klassen gibt es eine systematische Berufsorientierung ,
dann wissen wir ungefähr, wie viele Schüler wir parallel über diese drei Jahre in der Schule
erreichen müssen, damit es funktioniert.
Wenn wir uns den Ausbildungspakt anschauen, geht es immerhin pro Jahr um 600.000 –
650.000 Ausbildungsverträge, die hier geschlossen werden. Schaut man sich die Vielzahl
der Akteure an, die da mitwirken, dann ist mit einer guten Projektstruktur ein solches Thema
hinzukriegen. Das bedeutet, das alle Akteure genau wissen müssen, was sie zu tun haben
und es an den Schulen jemanden geben muss, der das koordiniert. Wir wollen noch mehr
Umsetzungsverbindlichkeit im nächsten Ausbildungspakt verabreden.
Wir haben darüber hinaus mit Herrn Dr. Spaenle (2010 Präsident der KMK) verabredet, dass
er in die Kultusministerkonferenz zur nächsten Sitzung Überlegungen mitnimmt, wie er mit
den Kultusministern trotz der föderalen Struktur zu mehr Verbindlichkeit kommt und die Länder zukünftig mit einer anderen Rolle im Pakt mitwirken als bisher.
Die Kultusministerkonferenz hat bisher im Pakt ein sehr begrenztes Mandat. Das macht es
natürlich schwer, für alle Länder verbindliche Standards für die Berufsorientierung zu vereinbaren. Aber die Verbindlichkeit und eine Struktur brauchen wir.
Diese brauchen auch die Unternehmen. Sie müssen schon wissen, dass, wenn sie sich anbieten, a) das angenommen wird und b) an wen sie sich eigentlich in der Schule wenden
müssen. Bundesweit ist das eben völlig unterschiedlich. Sie sehen, auf Bundesebene im
Zusammenhang mit dem Ausbildungspakt hat das Thema Berufsorientierung große Priorität.
Ein wichtiger Hinweis meinerseits für Sie ist, dass wir als IHK-Organisation die Rolle der
Unternehmen an dieser Stelle ganz zentral sehen und uns auch nicht scheuen, verbindliche
Verabredungen einzugehen.
Als positives Beispiel möchte ich an dieser Stelle einmal Baden-Württemberg herausheben.
Dort gibt es eine unterschriebene Verabredung zwischen Landesregierung und Wirtschaft.
Die Kammern haben unterschrieben, dass jede Schule ein Unternehmen als Partner bekommt. Es gibt ganz frisch etwas Ähnliches jetzt in Rheinland-Pfalz. Auch in Niedersachsen
gibt es vielversprechende Versuche zu mehr Verbindlichkeit.
- Seite 24 -
Es kommt uns ganz besonders auf eine langfristige partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Schulen an. Schnellschüsse, wie: „Ich mache jetzt mal eine Vereinbarung mit einer Schule und dann funktioniert Berufsorientierung“ - so denken wir nicht.
Uns ist vollkommen klar, dass Berufsorientierung nur dann funktioniert, wenn die Unternehmen in regelmäßigen Abständen und in enger Abstimmung mit den Schulen diese über eine
längere Zeit begleiten.
Wir werden unsererseits einen Leitfaden für Betriebe erarbeiten, wie überhaupt Praktika von
Schülern in Unternehmen gestaltet werden können. Gerade kleine und manche mittleren
Betriebe tun sich hier oft nicht leicht.
Fest steht: Wir haben in Deutschland unheimlich viele Einzelprojekte zur Berufsorientierung.
Aber was wir eben nicht haben, ist ein bundesweites Verständnis darüber, was gute Berufsorientierung eigentlich ausmacht? Und wenn man fragt, was sind eigentlich die besten und
erfolgreichsten Projekte, dann findet man keine Antwort. Dabei müssen wir wahrscheinlich
nur genau hinschauen. Viel Neues ausdenken müssen wir wahrscheinlich nicht.
Für uns als Industrie- und Handelskammern ist es wichtig, dass wir im Ausbildungspakt mit
den Kultusministern und den anderen Partnern noch stärker konkretisieren, wie wir diesen
Prozess nachhaltig gestalten können. Am Ende müssen die Jugendlichen, die Eltern, die
Lehrer und die Unternehmen das Gefühl haben, dass es funktioniert.
Wo steht jetzt die Schule?
Wir möchten Ihnen, den Lehrerinnen und Lehrern nicht einfach die Verantwortung für die
Berufsorientierung zuschieben nach dem Motto: Die Schulen machen das schon. Wir wissen, davon haben die Schulen die Nase voll, die haben ja für irgendwie alles die Verantwortung oder werden verantwortlich gemacht.
Trotzdem müssen wir einräumen: Die Schule ist für Berufsorientierung der ideale Ort. Nur in
der Schule und über die Schule werden alle Jugendlichen erreicht, denn sie sind jeden Tag
dort. Sie als Lehrerinnen und Lehrer haben sie in Ihrer Obhut, Sie kennen Sie und sie haben
sie in einem längeren Prozess so kontinuierlich wie sonst nur die Eltern. Das ist auch eine
große Chance für eine gute Berufsorientierung. Und insofern geht es nicht darum, die Verantwortung irgendwo hinzuschieben, sondern Sie eher noch einmal darauf anzusprechen:
Es gibt niemanden, der es besser könnte als Sie, die Lehrerinnen und Lehrer.
- Seite 25 -
Wir sind aber jeder Zeit bereit, Sie dabei zu unterstützen. Je klarer Sie uns sagen, wo die
Unternehmen Ihnen helfen können, umso mehr können wir bei unseren Unternehmen dafür
werben, sich in der Berufsorientierung in den Schulen zu engagieren.
Lehren und Erziehen sind ein Prozess, der mit Wissensvermittlung zu tun hat, der aber auch
darüber hinausgeht. Berufsorientierung ist eine Art der Vorbereitung auf die Zukunft. Wir
streiten oft darum, was ein Kind in der Schule lernen soll. Da gibt es hin und wieder erbitterte
Diskussionen zwischen der Schulseite und der Wirtschaftsseite, und der Vorwurf steht im
Raum, die Wirtschaft handele nur aus Eigennutz, wenn sie Berufsorientierung fordert.
Aber gerade Berufsorientierung hat für die Jugendlichen ganz viel mit Lebensplanung zu tun
und eigentlich mit Zukunftsthemen, die jenseits sozusagen der gerade aktuellen Dimensionen von Lernen in der Schule sind. Was muss ich in einem Ausbildungsberuf können, der
mir Spaß macht? Wie kann ich mit diesem Beruf mein Leben gestalten und damit auch Teil
einer Gesellschaft werden?
Wenn man etwas entscheiden will, dann muss man die Fähigkeit haben, sich selbst und
Sachverhalte einzuschätzen und zu reflektieren, um dann fundiert zu wählen. Diesen Prozess bereiten die Lehrer in der Schule vor, auch mit Erziehung und Befähigung zu kritischer
Reflexion. Es kann niemand so gut wie Sie. Sie halten die Fäden dazu in der Hand. Sie
brauchen dann natürlich die Unterstützung der Unternehmen und der Gesellschaft. Und es
ist natürlich auch eine Frage der Rahmenbedingungen. Das kann nicht immer nur Thema
von ein, zwei, drei engagierten Lehrern sein.
Wir müssen auch die Kommunikation zwischen Wirtschaft und Schule verbessern. Beide
Partner müssen sich auf Augenhöhe begegnen und Verständnis für die jeweils andere Seite
entwickeln. Die Unternehmen sollten dabei auch ein Stück an die Hand genommen werden.
Schule und Betrieb sind zwei komplett verschiedene Welten. Unternehmen haben ganz andere Entscheidungsstrukturen, sie funktionieren einfach anders als Schulen. Und dann haben sie die Idee, dass sie gern mit einer Schule zusammenarbeiten wollen. Sie bieten einer
Schule etwas an und wenn die Schule es nicht gleich prima findet: Na bitte, Vorurteil bestätigt.
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Im Gegenzug hat natürlich auch jedes Unternehmen seine eigene Vorstellung. Engagement
muss in ein bestimmtes Konzept hineinpassen, zum Beispiel ein Personalentwicklungskonzept oder in ein bestimmtes Konzept, wie sich ein Unternehmen gesellschaftlich engagieren
will. Das muss den Schulen erklärt werden. So wie Unternehmen es verstehen müssen,
dass Schulen oft nur begrenzte Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten haben.
Wir sitzen alle in einem Boot und wollen, dass die Jugendlichen in dem Thema Berufsorientierung besser qualifiziert sind. Wir, die Industrie- und Handelskammern, werden nicht nachlassen, die Unternehmen bei ihrer Verantwortung zu packen. Natürlich gibt es auch noch
viele Unternehmen, die wir für dieses Thema aufschließen müssen - unbestritten.
Aber die Konzeption und die Absicht, die dahinter stehen, die Regelmäßigkeit und die Aufmerksamkeit, die dem Thema gewidmet wird, Begleitung der Schüler bis zur Schulentlassung und bis zum Übergang ins Berufsleben, die ist gut. Projekte gibt es genug. Manchmal
heißt es auch: Zu viele Köche verderben den Brei. Wir glauben, man muss neben der Tatsache, dass die Schule sich als „Fäden in der Hand haltend“ wahrnimmt, in den Regionen
Netzwerke schaffen, die sich ganz regelmäßig treffen.
Dazu gehören die Arbeitsagenturen vor Ort in Kombination mit den Kammern und in Kombination mit den Schulen. Wenn sich diese drei Akteure in regelmäßigen Abständen zusammensetzen und gucken, wo funktioniert es, wo funktioniert es nicht, woran liegt es, was können wir leisten, um dann möglicherweise auch an Rahmenbedingungen noch nachzubessern, dann sind die Bedingungen perfekt für eine Optimierung der Berufsorientierung.
Wenn man sich die Vielfalt anschaut, die den jungen Menschen heutzutage gegenübersteht,
dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als ihnen dabei zu helfen - sie können in diesem
Alter noch überfordert sein - selbst ihren Weg zu finden. Denn: nach Friedrich Nietzsche ist
der Beruf das Rückgrat des Lebens!
Wir profitieren auch als Gesellschaft davon.
Geben wir gemeinsam das Beste, um unseren Kindern bei der Berufswahl den Rücken zu
stärken. Vielen Dank!
- Seite 27 -
2.5
Berufs- und Studienorientierung: auf dem Weg zu einem Gesamtkonzept
Prof.
Dr.
Rudolf
Schröder
(Stiftungsprofessur
Berufsorientierung,
IÖB/Universität Oldenburg)
2.5.1
Einleitung
Die Berufsorientierung stellt eine aktuelle, aber keinesfalls eine neue Herausforderung dar.
Die Disparitäten auf dem Ausbildungsmarkt, die Schwierigkeiten vieler Jugendlicher beim
Übergang von der Schule in einen Ausbildungsberuf oder Studium, zunehmend fragmentierte Berufsbiografien sowie neue Anforderungen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verleihen der Thematik eine ungebrochene Aktualität.
Das Land Niedersachsen hat deshalb 2005 die Berufsorientierung in den Hauptschulen unter dem Titel „Betriebs- und Praxistage“ deutlich erweitert. Die derzeitige Umsetzung der
Erlasse zur Berufs- und Studienorientierung ist aber primär von Aktionismus und kaum Systematik geprägt.
Es mangelt nicht in Niedersachsen – wie auch in anderen Bundesländern – an Maßnahmen
und Akteuren zur Förderung der Berufsorientierung, wohl aber an der sinnvollen Verzahnung
derselben zur effektiven Förderung der Berufsorientierungsprozesse der Schüler. Die Quantität und Qualität der praktizierten Berufsorientierung differiert zwischen den Schulen erheblich; eine einheitliche Linie ist kaum erkennbar. Als eine Konsequenz konnte bislang die
Vermittlung von Schülern in Betriebspraktika und -erkundungen nur teilweise eingelöst werden. Angesichts der geplanten Einführung der Betriebs- und Praxistage in den Realschulen
ist zu befürchten, dass sich die aus der fehlenden Systematik resultierenden Probleme verschärfen werden.
In den nachfolgenden Ausführungen sollen zum einen die der Erlasse und Kerncurricula zur
Berufsorientierung kurz vorgestellt sowie die Ursachen der mangelnden Systematik erörtert
werden. Zum anderen sollen zentrale Bausteine auf dem Weg zu einer systematischen Berufsorientierung vorgestellt werden. Die Auswahl der Bausteine orientiert sich an dem Orientierungsrahmen für Schulqualität in Niedersachsen, in dem aber die Berufsorientierung nur
sporadisch berücksichtigt wird. Zugleich wird theoriegeleitet von zwei Aspekten ausgegangen: die zu erwerbenden Kompetenzen und die Gestaltung und Unterstützung der individuellen Berufsorientierungsprozesse. Außerdem wird aufgezeigt, dass eine umfassende schulpädagogische Sichtweise zur Sicherstellung einer systematischen Berufsorientierung unerlässlich ist.
- Seite 28 -
2.5.2
Zur Situation der Berufsorientierung in Niedersachsen
Niedersachsen hat in den letzten Jahren verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um die
Berufsorientierung in den Schulen zu stärken. Auf die aktuelle Erlasslage wird von Herrn
Janßen ausführlich eingegangen; hier sollen nur die wesentlichen Punkte herausgestellt
werden.

Der im Jahr 2005 eingeführte Berufsorientierungserlass hat insbesondere an den
Hauptschulen mit 60 – 80 Betriebs- und Praxistagen die Möglichkeiten zur Berufsorientierung erheblich erweitert.

In den Realschulen werden im Schuljahr 2010/11 Betriebs- und Praxistage mit einem
Umfang von mindestens 30 Tagen eingeführt, in den Hauptschulen wird deren Umfang
weiter ausgedehnt.

Die gymnasiale Berufs- und Studienorientierung wird in Niedersachsen im Wesentlichen lediglich durch ein Betriebspraktikum von 10 bis 15 Arbeitstagen in der Jahrgangsstufe 10 „abgedeckt“. Es ist aber geplant, immerhin fünf Tage zur Berufs- und
Studienorientierung einzuführen.

Der Übergang von den allgemeinbildenden in die berufsbildenden Schulen wird von
den Schülern wenig systematisch vollzogen und oftmals nur als eine ungeliebte Warteschleife wahrgenommen. Ab dem Schuljahr 2010/11 sollen die Haupt- und Realschulen berufsbildende Inhalte unterrichten und stärker mit den berufsbildenden Schulen kooperieren. In den Realschulen werden in den Jahrgangsstufen neun und zehn
profilbildende Fächer (z. B. Profil „Wirtschaft und Technik“) eingeführt, die implizit auf
Berufsfelder der berufsbildenden Schulen vorbereiten.
Die eingeführten Maßnahmen gehen zweifelsohne in die richtige Richtung. Wie aber insbesondere die Erfahrungen mit der Einführung der Betriebs- und Praxistage in den Hauptschulen zeigen, bereitet die systematische Umsetzung den Schulen erhebliche Probleme. Als
Konsequenz ist eine einheitliche Linie und Systematik im Sinne eines Gesamtkonzeptes in
den realisierten Berufsorientierungsmaßnahmen der Schulen kaum erkennbar. Hierfür lassen sich mehrere Gründe anführen:

Zahlreiche lokale Akteure „überschwemmen“ die Schulen mit zweifelsohne gut gemeinten, aber in der Regel nur unzureichend abgestimmten Angeboten zur Berufsorientierung.
- Seite 29 -

Die zahlreichen Angebote treffen darüber hinaus in den Schulen auf Lehrkräfte, deren
Qualifikation (u. a. Kenntnis von Berufswahltheorien, Begleitung von Praktika, Kenntnisse des regionalen Wirtschaftsraums und Arbeitsmarktes) bezüglich der Berufsorientierung nicht gesichert ist. Vielmehr wird die Aufgabe oftmals „fachfremd“ wahrgenommen, was zu deutlichen Qualitätseinbußen in der Berufsorientierung führt.

Es ist nicht hinreichend konkret und verbindlich geregelt, wie die Berufsorientierung als
„schulische Gesamtaufgabe“ organisatorisch und im Unterricht umgesetzt werden soll.
Erschwerend kommt hinzu, dass für das Fach Wirtschaft (Haupt- und Realschulen) bzw. den
Fachbereich Arbeit-Wirtschaft-Technik (Integrierte Gesamtschulen) neue, kompetenzbasierte Kerncurricula eingeführt wurden bzw. werden, die aber nur im Falle der Integrierten Gesamtschulen Kompetenzen im Zusammenhang mit der Berufsorientierung klar ausweisen.
Die hier betonte Bedeutung des Fachs Wirtschaft resultiert aus dem Umstand, dass der berufliche Übergang den Übergang in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bedeutet. Die Jugendlichen können sich nur dann in dem Ausbildungsmarkt erfolgreich bewegen und in der
Konsequenz ihre Berufsorientierung selbständig gestalten, wenn sie die Funktionsweise und
die Akteure des Arbeitsmarktes kennen. Darunter fallen beispielsweise

die Personalpolitik der Unternehmen,

den Strukturwandel und die Implikationen auf Angebot und Nachfrage bestimmter Berufsfelder,

den regionalen Wirtschaftsraum und Arbeitsmarkt,

den staatlichen Ordnungsrahmen des Arbeitsmarktes, der sich beispielsweise in dem
Tarifsystem, dem Jugendarbeitsschutzgesetzt, dem Berufsbildungsgesetz usw. ausdrückt.
Müller (vgl. 2002, 180) unterscheidet zwischen der Berufsorientierung im engeren und weiteren Sinn:

Berufsorientierung im weiteren Sinne soll Erkenntnisse, Einsichten und kritische Reflexionen über die Bereiche Gesellschaft, Technik und Wirtschaft ermöglichen.

Berufsorientierung im engeren Sinne soll die Schülerinnen und Schüler befähigen, ihre
berufliche Orientierung und Wahl möglichst selbständig zu gestalten.
- Seite 30 -
Die Berufsorientierung im weiteren Sinne ist zwingend notwendig, um einen Orientierungsrahmen für die Berufsorientierung im engeren Sinne herzustellen. Das Fach Wirtschaft sollte
hier zentrale Beiträge liefern, damit die Jugendlichen vor ihrem Eintritt in den Arbeits- und
Ausbildungsmarkt verstehen, wie dieser Markt funktioniert, welche Akteure in diesem Markt
agieren und wie sich der Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund neuer Trends verändert.
Nur so ist es möglich, dass ein Abgleich zwischen den individuellen Interessen und Fähigkeiten und den Erfordernissen des Arbeitsmarktes erfolgt. Die erfolgreiche Durchführung von
Maßnahmen zur Berufsorientierung im engeren Sinne bedingt die Vor- und Nachbereitung
im Fachunterricht. Wenngleich diverse Fächer einen Beitrag beisteuern können und sollen,
ist mit Blick auf die schulpädagogischen und -organisatorischen Erfordernisse ein Ankerfach
notwendig, um u. a. eine klare Verantwortlichkeit herzustellen. Das Fach Wirtschaft i. w. S.
kann aufgrund der fachlichen und methodischen Affinität diese Aufgaben sehr gut bewältigen, weil beispielweise Betriebserkundungen und Schülerfirmen typische Gegenstände des
Ökonomieunterrichts sind. Die aktuellen Kerncurricula für die Haupt- und Realschulen sowie
Gymnasien nutzen aber nicht dieses Potenzial; vielmehr wird auf das Prinzip der „verteilten
Unverantwortlichkeit“ gesetzt.
Kurzum: Die derzeitigen Erlasse in Niedersachsen tragen dem Anspruch einer Gesamtaufgabe nur sehr bedingt Rechnung. In der Folge wird die schulische Berufsorientierung in einer sehr unterschiedlichen Quantität und Qualität praktiziert. Hinzu kommt eine unüberschaubare Vielfalt von Angeboten, Akteuren und Berufsorientierungsnetzwerken, die sich
teilweise gegeneinander abschotten.
Ziel muss es sein, für die vielfältigen Berufsorientierungsangebote und -akteure ein niedersachsenweites Grundkonzept zu entwickeln, dass aber auch Raum für regionale Gegebenheiten lässt. Vor diesem Hintergrund sollen nachfolgend zentrale Bausteine auf dem Weg zu
einem systematischen Gesamtkonzept zur Berufsorientierung in Niedersachsen vorgestellt
werden.
- Seite 31 -
2.5.3
a)
Bausteine einer systematischen Berufsorientierung
Angestrebte Lernergebnisse der Berufsorientierung
Die Begriffe Berufsorientierung, berufliche Orientierung, Berufswahl u. ä. werden unterschiedlich definiert und auch teilweise redundant genutzt, was eine begriffliche Präzisierung
notwendig macht.
Schlemmer/Rottmann/Jung (vgl. 2008, 83) differenzieren zwischen „Berufsorientierung“ und
„berufliche Orientierung“. Berufsorientierung kann als die Summe aller Maßnahmen verstanden werden, die den Jugendlichen zu Teil werden und „dazu beitragen, dass die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen beruflichen Interessen und Fähigkeiten im Spiegel der Anforderungen der Wirtschafts- und Arbeitswelt aufbauen, um zu einer angemessenen Erstwahl
eines Ausbildungsplatzes bzw. Startberufes oder eines Studienplatzes zu gelangen.“ (vgl.
Kaminski/Schröder/Hildebrandt u. a. 2010, 4). Die Studienorientierung wird unter dem Begriff
Berufsorientierung subsumiert. Die Maßnahmen der Berufsorientierung sollen also die subjektive berufliche Orientierung der Jugendlichen fördern, wobei die berufliche Orientierung
einen wesentlichen Bestandteil zum Aufbau eines beruflich orientierten Selbstkonzepts darstellt, d. h. die Gesamtheit der Auffassungen über die eigene Befähigung im Arbeits- und
Berufsfindungsprozess (vgl. Schlemmer/Rottmann/Jung 2008, 87). Wesentlich ist außerdem,
dass die Berufsorientierung einen lebenslangen Prozess der Annäherung zwischen der Person und der Berufswelt darstellt (vgl. Butz 2008, 158 f.). Diese Forderungen zeigen zugleich
die Relevanz des Kooperationsmodells als theoretische Grundlage zur Gestaltung der Berufsorientierung auf (vgl. Kapitel 3.2).
Vor diesem Hintergrund sollte eine systematische Berufsorientierung mit der Frage starten,
welche Kompetenzen die Jugendlichen erwerben sollen bzw. am Ende des Berufsorientierungsprozesses verfügen sollten. Für eine zielführende Berufsorientierung ist eine
Auseinandersetzung mit den oftmals verwendeten Begriffen Ausbildungsreife und Berufswahlreife notwendig. Eine Person kann als ausbildungsreif bezeichnet werden, wenn sie
bestimmte Mindestvoraussetzungen für die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung mitbringt. Die Expertengruppe "Ausbildungsreife", die im Rahmen des Ausbildungspaktes etabliert wurde, hat die folgenden Merkmalsbereiche erarbeitet (vgl. Expertenkreis Ausbildungsreife 2006, 3):

Schulische Basiskenntnisse (z. B. Lesen, mathematische Grundkenntnisse)

Psychologische Leistungsmerkmale
(z. B. logisches Denken, Merkfähigkeit, Dauer-
aufmerksamkeit)
- Seite 32 -

Physische Merkmale (altersgerechter Entwicklungsstand und gesundheitliche Voraussetzungen)

Psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit
(z. B. Leistungsbereitschaft, Selbstorganisation, Teamfähigkeit, Umgangsformen)

Berufswahlreife (Selbsteinschätzungs- und Informationskompetenz)
Dem Expertenkreis Ausbildungsreife ist zuzustimmen, dass die Berufswahlreife eine Dimension der Ausbildungsreife darstellt. Während die Ausbildungsreife berufsunabhängig formuliert ist, bezeichnet die Berufseignung die Eignung für bestimmte Berufsfelder. Die konkrete
Vermittelbarkeit im geeigneten Beruf ist abhängig von der Angebots- und Nachfragesituation
sowie der persönlichen Disposition des Bewerbers (vgl. BMBF 2006, 166). Diese Begrifflichkeiten lassen sich grundsätzlich auch auf die Studienorientierung übertragen.
Über die konkreten Anforderungen an die Ausbildungsreife gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen. Müller/Rebmann (vgl. 2008) haben dies auf der Basis einer Befragung
von Lehrkräften unterschiedlicher Schulformen in Niedersachsen aufzeigt. Ein Monitoring
des BIBB unter Bildungsexperten unterschiedlicher Bildungseinrichtungen kam ebenfalls zu
kontroversen Einschätzungen (vgl. Ehrenthal/Eberhard/Ulrich 2005).
Für die konzeptionelle Ausgestaltung der Berufsorientierung ist besonders problematisch,
dass die Berufswahlreife nicht eindeutig definiert ist. Ebenso ist das Verhältnis zwischen der
Berufswahlreife und der Ausbildungsreife unklar. Dies führt in der Schulpraxis oftmals dazu,
dass die eigentliche Berufsorientierung mit Blick auf die Ausbildungsreife aus den Augen
verloren wird, weil beispielsweise ein allgemeines Rhetoriktraining einseitig als berufsorientierende Maßnahme „verbucht“ wird.
In einer begrifflichen Annäherung können unter der Berufswahlreife die Fähigkeit und Bereitschaft verstanden werden, als Ergebnis eines möglichst selbstgesteuerten Berufsorientierungsprozesses einen individuell geeigneten Beruf zu wählen und die Wahl in Form von Bewerbungsaktivitäten zu realisieren. Für die konzeptionelle Umsetzung im Schulalltag bietet
es sich geradezu an, Bildungsstandards und Kompetenzmodelle für die Berufswahlreife zu
entwickeln.
Bildungsstandards legen nach der Definition der Kultusministerkonferenz fest, „welche Kompetenzen die Schülerinnen und Schüler bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe an wesentlichen Inhalten erworben haben sollen.“ (KMK 2005, 9).
- Seite 33 -
Mit der Einführung von Bildungsstandards in das deutsche Schulwesen erfolgt ein Wechsel
der Perspektive von der Input- zur Outputbetrachtung.
„Wenn man gute Lernleistungen anstrebt, dann ist die Schlüsselfrage nicht, was zu lehren
ist, sondern welche Lern- und Bildungsprozesse sich auf Schülerseite ereignen und welche
Lernergebnisse in Form von Kompetenzen hieraus hervor gehen.“ (Zeitler/Köller/Tesch
2010, 27) Kompetenzen sind an die jeweilige fachliche Domäne gebunden. Kompetenzerwerb bedeutet, dass die Schüler zunehmend komplexe Aufgabenstellungen lösen können.
Vor diesem Hintergrund sind Kompetenzen in Komplexitätsgraden (vgl. a.a.O, 17) zu definieren.
Das Beispiel in der Abb. 1 zeigt die Umsetzung im Kerncurriculum für den Fachbereich
Arbeit-Wirtschaft-Technik an den Integrierten Gesamtschulen in Niedersachsen. Es ist eindeutig ausgewiesen, über welche Kompetenzen die Schüler am Ende des Themenfeldes
„Erwerbstätige im Wirtschaftsgeschehen“ verfügen sollen. Außerdem werden die Potenziale
des Fachs Wirtschaft i. w. S. zur Berufsorientierung genutzt. An dem besagten Themenbereich sollten sich deshalb auch die Haupt- und Realschulen orientieren.
Themenbereich „Erwerbstätige im Wirtschaftsgeschehen“
Kompetenzbereich Fachwissen: Die Schülerinnen und Schüler










nennen Stationen im Zeitplan zur Berufsfindung.
stellen im Rahmen der Berufswahl Interessen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zusammen.
nennen Einflussfaktoren auf die Berufswahl.
stellen Informationsquellen zur Berufswahl zusammen.
beschreiben verschiedene Wege in den Beruf und Weiterbildungsmöglichkeiten.
beschreiben Anforderungen und Merkmale verschiedener Berufe.
benennen aktuelle Ausbildungsplatzangebote der Region.
nennen den typischen Ablauf eines Bewerbungsverfahrens.
nennen die Elemente eines Ausbildungsvertrages.
nennen Rechte und Pflichten der / des Auszubildenden und des Ausbildungsbetriebes.
- Seite 34 -
Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung: Die Schülerinnen und Schüler …









erstellen einen persönlichen Zeitplan zur Berufsfindung.
vergleichen Selbsteinschätzung mit Fremdeinschätzung.
arbeiten Informationen aus Tests und Beratungen für ihre berufliche/schulische Planung heraus.
werten Informationen zu einem Beruf aus.
erkunden einen Beruf.
entwickeln Entscheidungshilfen für die Berufswahl.
entwickeln Berufsperspektiven.
bewerben sich um einen Betriebspraktikumsplatz.
erkunden einen Beruf im Betriebspraktikum.
Kompetenzbereich Beurteilen/Bewerten: Die Schülerinnen und Schüler …





beurteilen Interessen, Fähigkeiten und Fertigkeiten hinsichtlich einer möglichen Berufswahl.
bewerten Einflussfaktoren auf die Berufswahl.
beurteilen verschiedene Informationsquellen zur Berufswahl.
beurteilen das regionale Ausbildungsplatzangebot.
setzen sich mit den Erfahrungen aus dem Betriebspraktikum auseinander.
Abb. 1:
b)
Berufswahlkompetenzen im Fach Arbeit- Wirtschaft- Technik an Integrierten Gesamtschulen in Niedersachsen (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium
2009b, 29f.)
Lernen und Lehren gestalten
Die Berufswahl der Jugendlichen vollzieht sich in einem hochkomplexen multidimensionalen
Spannungsfeld hinsichtlich der Anforderungen des Arbeitsmarktes und den Erwartungen des
sozialen Umfeldes. Hinzu kommt, dass sich die Jugendliche hinsichtlich ihrer Berufswünsche
und -eignungen oftmals nur sehr bedingt bewusst sind und sich in einer ohnehin entwicklungspsychologisch schwierigen Lebensphase befinden.
Zur Beschreibung, Erklärung und Unterstützung der Berufswahlprozesse sind in unterschiedlichen Forschungsdisziplinen (u. a. Erziehungswissenschaften, Psychologie und Soziologie) eine Vielzahl von Berufswahltheorien entwickelt worden, die die Berufswahl aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Bei allen Unterschiedlichkeiten sind die verschiedenen Berufswahltheorien zwischen zwei Polen angesiedelt: dem berufswählenden Individuum einerseits sowie den Umwelteinflüssen andererseits. Nachfolgen sollen einige Berufswahltheorien vorgestellt werden, die im Rahmen einer systematischen Berufsorientierung zu
berücksichtigen sind:
- Seite 35 -

Differenzialpsychologische Ansätze (vgl. z. B. das hexadiagonale Modell von Holland 1985) haben in der Berufseignungspsychologie und als Folge in der Berufsberatung eine große Bedeutung erlangt. Jeder Mensch ist aufgrund seiner individuellen Eigenschaften für einen oder mehrere Beruf geeignet. Die Berufswahl stellt einen Prozess der Zuordnung der Berufswähler zu geeigneten Berufen dar; Bindeglieder sind die
beruflichen Anforderungen einerseits und die Persönlichkeitsmerkmale und das Kompetenzprofil des Berufswählers anderseits.

Entscheidungstheoretische Ansätze stellen im Gegensatz zu allokationstheoretischen Ansätzen den individuellen Entscheidungsprozess des Individuums in den Mittelpunkt der Betrachtung. Hinsichtlich des Entscheidungsverhaltens lassen sich verschiedene Varianten (rationalen Wahl, „Durchwurschteln“, Zufallswahl) unterscheiden
(vgl. Dichatschek 2002, 6). Entscheidungsmodelle, die ein rationales Entscheidungsverhalten in Verbindung mit wohlgeordneten Entscheidungssituationen voraussetzen,
stoßen allerdings schnell an ihre Grenzen (vgl. Oram 2007, 24).

Entwicklungstheoretische Ansätze erklären die Berufswahl als entwicklungspsychologisches Geschehen und als Abschnitt eines lebenslangen Entwicklungsprozesses.
Dabei geht es auch um die Frage, wann sich welche Persönlichkeitsmerkmale in Abhängigkeit von welchen Umwelteinflüssen ausprägen. Darauf basierend wird gefragt,
über welche Einstellungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Berufswähler in der jeweiligen Phase seiner beruflichen Entwicklung verfügen sollte. Angesichts des Lebensphasenkonzepts relativieren entwicklungspsychologische Ansätze die Bedeutung der
Erstberufswahl. Der entwicklungstheoretische Ansatz von Erikson (vgl. 1968) wird in
den beiden nachfolgenden Ansätzen verarbeitet.

Gemäß dem übergangstheoretischen Ansatz (vgl. Bußhoff 1998) stellt die Berufswahl die Bewältigung eines Übergangs dar. Der Übergang wird als eine individuelle
Anpassungsleistung verstanden, um Unstimmigkeiten im Verhältnis zur Umwelt zu reduzieren. Wenn also die Vorstellungen über die eigenen Neigungen und Fähigkeiten
nicht mit den realen Gegebenheiten übereinstimmen, müssen die Unstimmigkeiten
durch Passungs- oder Kompromissprozesse reduziert werden. Gefordert sind also
Übergangskompetenzen wie die Wahrnehmung von Herausforderungen sowie deren
Annahme, die Entdeckung persönlicher Ressourcen sowie Kompetenzen zur Planung
und Umsetzung von Anpassungsprozessen.
- Seite 36 -

Das Kooperationsmodell (vgl. Egloff 1998, 2001) basiert auf dem entwicklungspsychologischen und übergangstheoretischen Ansatz. Kerngedanke ist, dass die Jugendlichen im Übergang rollenspezifische Unterstützung durch Kooperationspartner wie Eltern und Lehrer finden, die eine selbstverantwortliche Entscheidung fördern. Wichtig ist,
dass bei der Erlangung der Berufswahlreife zunächst die Persönlichkeitsentwicklung
und Selbsterfahrung gefördert werden. Durch die Selbsterfahrung lernen die Jugendlichen ihre eigenen Neigungen und Interessen kennen und können so einen adäquaten
Beruf suchen. Die Entwicklung der Berufswahlreife umfasst sowohl Reife- als auch
Lernprozesse. Wer die Persönlichkeitswerdung der Jugendlichen beeinflusst, ist somit
automatisch fördernd oder hemmend an der Entwicklung der Berufswahlreife beteiligt.
Ziel ist es also, dass die beeinflussenden Personen in dem Prozess ihre Hilfe möglichst
förderlich zur Verfügung stellen.
Die Relevanz der differenzialpsychologischen Lerntheorien zeigt sich auch an der unübersichtliche Vielzahl von Berufs- und Studieneignungstests, die zunehmend auch online bearbeitet werden können. Derzeit werden in verschiedenen Bundesländern Kompetenzfeststellungsverfahren eingeführt, die auch die Berufsorientierung unterstützen sollen.
Ohne das generelle Potenzial solcher Tests in Frage stellen zu wollen, ist einschränkend zu
berücksichtigen, dass eine Zeitpunktbetrachtung erfolgt und Entwicklungspotenziale der Jugendlichen nur unzureichend berücksichtigt werden. Letztendlich müssen im Sinne eines
entscheidungstheoretischen Ansatzes die Jugendlichen eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen. Unabhängig vom Alter kann nur bedingt von einem rationalen Entscheidungsverhalten ausgegangen werden, weil zwischen einer unübersichtlichen Vielzahl von Alternativen gewählt werden kann und die Konsequenzen der Entscheidung im Vorfeld nur bedingt
abgeschätzt werden können.
Im Sinne des entwicklungspsychologischen Ansatzes ist außerdem zu fragen, welche Kompetenzen und Einstellungen zu fördern sind, damit die Jugendlichen ihre berufliche Erstwahl,
aber auch spätere Berufsorientierungssituationen erfolgreich meistern können. Entwicklungspsychologische Ansätze relativieren die Bedeutung der beruflichen Erstwahl. Aus der
Perspektive des übergangstheoretischen Ansatzes ist aber zu berücksichtigen, dass ein
gelungener beruflicher Übergang zur Identitätsfindung der Jugendlichen beiträgt.
- Seite 37 -
Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die Berufs- oder Studienwahl das Ergebnis
eines individuellen Orientierungs- und Entwicklungsprozesses darstellt bzw. darstellen sollte.
Nach Möglichkeit sollen sich die Jugendlichen für eine Alternative entscheiden, die einerseits
ihren persönlichen Neigungen und Fähigkeiten und andererseits den (voraussichtlichen)
Erfordernissen des Arbeitsmarktes entspricht.
Als Grundlage zur Unterstützung der Berufswahl erscheint insbesondere das Kooperationsmodell als geeignet, weil es den Entwicklungsprozess in Verbindung mit der Selbststeuerung
des Jugendlichen in den Mittelpunkt stellt und zugleich die Unterstützung des sozialen Umfeldes mit einbezieht. Berufseignungs- und Interessentests kommen in diesem Kontext eine
wichtige Bedeutung zu, um den Orientierungsprozess der Jugendlichen zu unterstützen. Ein
weiterer Vorteil des Kooperationsmodells ist die hohe Kompatibilität zu einer gemäßigt
konstruktivistischen Unterrichtsphilosophie, da die Selbststeuerung der Lernenden im Mittelpunkt steht, ohne auf Fremdsteuerung und Anleitung verzichten zu wollen.
c)
Kooperation und Schulkultur
Wenn man davon ausgeht, dass die mit der Berufsorientierung im engeren Sinne einhergehenden Praxiskontakte im Fachunterricht vor- und nachbereitet werden müssen, ist eine
Vernetzung im doppelten Sinne notwendig.
Die interne Vernetzung zwischen den Fächern ist mit der externen Vernetzung zwischen
Schule, Eltern, Arbeitsagentur, Unternehmen, Kammern und anderen an der Berufsorientierung beteiligten Partnern abzustimmen. Es gibt eine Vielzahl regionaler und überregionaler
Angebote von Schulen, Arbeitsagenturen, sozialen Einrichtungen, Unternehmen, Kammern,
Verbänden u. a. m., die aufgrund der Informationsflut und der mangelnden Abstimmung der
Akteure zunehmend kritisch betrachtet werden (vgl. Wieland/Lexis 2005, 7; Knauf/Oechsle
2007, 146; Kaminski/Schröder/Hildebrandt u. a. 2010).
In Kapitel 2.5.4 wurde bereits das Kooperationsmodell vorgestellt. Demnach umfasst der
Berufswahlprozess sechs Stufen, die zugleich mit Reife- und Lernprozessen einhergehen.
Im Mittelpunkt steht der Jugendliche, der möglichst selbstverantwortlich seinen Berufsorientierungsprozess gestalten soll. Den unterstützenden sozialen Systemen kommen rollenspezifische Förderungsmöglichkeiten in dem Berufswahlprozess und bei der Erlangung der Berufswahlreife zu, wie in der Abb. 1 dargestellt wird. Ein besonderer Stellenwert wird der Erkundung der Arbeitswelt sowie der Unterstützung durch die Eltern zugemessen.
- Seite 38 -
Basierend auf dem – hinsichtlich der Stufen reduzierten – Kooperationsmodell wird in der
Abb. 2 am Beispiel der niedersächsischen Hauptschulen dargestellt, wie die verschiedenen
Akteure und Maßnahmen sowie die Themenfelder des Fachs Wirtschaft aufeinander abgestimmt werden können. Entsprechende Ansätze sind mit Blick auf die Kompetenzmodelle
weiterzuentwickeln und bereits bei der Entwicklung von Fachcurricula und weiteren Erlassen
zur schulischen Berufsorientierung zu berücksichtigen.
Zur effektiven Abstimmung der verschiedenen Akteure wird zunehmend der Aufbau regionaler Berufsorientierungsnetzwerke vorangetrieben, in denen sich alle mit der Berufsorientierung befassten Partnereinrichtungen zusammenschließen und ihr Angebot koordinieren. Mit
regionalen Netzwerken werden verschiedene Potenziale verbunden (vgl. Düsseldorf 2008,
43 f.; Wilbers 2003, 71 f.):

Aufgrund der regionalen Eingebundenheit lassen sich adressatengerechte Lösungen
einfacher realisieren.

Probleme, die in die Zuständigkeit mehrerer Institutionen fallen, können besser gelöst
werden.

Die Verbindung von systematischem und kasuistischem Lernen wird begünstigt.

Angebots-/Nachfrageüberhänge lassen sich effektiver austarieren.

Regionale Berufsorientierungsnetzwerke können als Instrument der Regionalentwicklung genutzt werden.
Netzwerke haben in der dualen Ausbildungsstruktur der beruflichen Bildung eine lange Tradition. Besonders herauszustellen ist das BLK-Modellversuchsprogramm KOLIBRI (Kooperation der Lernorte in der beruflichen Bildung) (vgl. Krafczyk/Walzik 2001) mit 27 Modellversuchen zur Lernortkooperation in der beruflichen Bildung. Im Zusammenhang mit Berufsorientierungsnetzwerken oder lokalem Übergangsmanagement (vgl. Bertelsmann Stiftung
(Hrsg.) 2008) und dem beruflichen Übergang wurden in den letzten Jahren ebenfalls verschiedene Modellversuche und Projekte gestartet; beispielweise sei auf das Programm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ (vgl. Emminghaus/Tippelt (Hg.) 2009; Tippelt/Reupold/Strobel u. a. (Hg.) 2009), „BerufsWegeBegleitung“ (vgl. Paul-Kohlhoff/Weigele
2007) oder „Kooperatives Übergangsmanagement“ (vgl. Metropolregion Rhein Neckar 2007)
verwiesen.
- Seite 39 -
Abb. 2:
Beispiel zur Verzahnung der Maßnahmen zur Berufsorientierung im engeren
und weiteren Sinne an niedersächsischen Hauptschulen
- Seite 40 -
Allerdings reicht der gute Wille einiger Akteure nicht aus, um ein effektiv arbeitendes Netzwerk zu gründen. So sind die Einflussfaktoren aus institutioneller und personeller Perspektive (vgl. Euler 2004, 35 ff.), die entscheidend zur Förderung oder Verhinderung der Netzwerkarbeit beitragen können, zu berücksichtigen. Auch ist zu fragen, ob alle relevanten
Partner eingebunden sind; nicht selten werden zentrale Einrichtungen wie die Agentur für
Arbeit oder Kammern nicht hinreichend einbezogen. In Berufsbildungsnetzwerken sollten
auch die Eltern bzw. Elternvertreter einbezogen werden (vgl. Beinke 2006; Michaelis 2008).
Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Organisation der Netzwerkarbeit, also ob beispielsweise eine Koordinierungsstelle eingerichtet wird (oftmals sehr sinnvoll) und welchen
Beitrag die Informationstechnologien leisten können.
d)
Lehrerprofessionalität
Wie bereits in dem Beitrag von Herrn Prof. Kaminski deutlich geworden ist, sind die Lehrkräfte von zentraler Bedeutung für eine funktionierende Berufs- und Studienorientierung. Einerseits sind sie zentrale Ansprechpartner für die Schüler, andererseits legen sie die Grundlagen für die Umsetzung der Verordnungen zur Berufs- und Studienorientierung. Letztendlich
entscheidet die Arbeit der Lehrkräfte darüber, ob die politisch verordneten Maßnahmen zur
Berufsorientierung bei den Schülern fragmentarische Erinnerungen bleiben oder sich zu einem Ganzen zusammenfügen. Allerdings ist die Situation in doppelter Weise hinsichtlich der
Lehrerprofessionalität problematisch: einerseits wird die Verantwortung für die Berufsorientierung oftmals Lehrkräften übertragen, die in nicht affinen Fächern unterrichten (insb. Klassenlehrermodell), andererseits wird das besonders affine Fach Wirtschaft oftmals fachfremd,
d. h. ohne eine entsprechende Fakultas unterrichtet.
Die schulische Realisierung der Berufs- und Studienorientierung bedingt somit die Entwicklung und Durchführung entsprechender Fortbildungskonzepte. Hierfür ist zwingend eine Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Studienseminaren und Lehrerfortbildungseinrichtungen erforderlich, um die Angebote aufeinander abzustimmen.
Grundsätzlich ist es erforderlich, dass die Berufs- und Studienorientierung schon in grundständigen Studiengängen zur Ausbildung von Lehrkräften an Universitäten integriert wird.
Hier kann auf die Oldenburger Erfahrungen und Konzepte aus dem SEK I-Bereich der Studienfächer Wirtschaft für die Haupt- und Realschulen zurückgegriffen werden.

Im Rahmen des Bachelor-Studiums ist die Berufsorientierung Bestandteil der verpflichtenden Basisveranstaltungen.
- Seite 41 -

Hinzu kommen zahlreiche Vertiefungsmöglichkeiten, z. B. zum regionalen Wirtschaftsraum, Praxiskontakten oder Gründung von Schülerfirmen.

Die Veranstaltungen werden oftmals an Schulen und in Kooperation mit Lehrkräften
durchgeführt.

Es werden Lehrbeauftragte, z. B. von den regionalen Kammern oder der Agentur für
Arbeit, eingebunden.
Zur Erstausbildung und Fortbildung sind am IÖB mehrere Bausteine – unter Einbindung
namhafter Experten - entwickelt worden, die sich explizit mit der Berufsorientierung beschäftigen:

Kooperation von Schule und Unternehmen

Berufsorientierung in der Sekundarstufe I

Studien- und Berufswahl in der Sekundarstufe II

Schülerfirmen

Grundlagen Entrepreneurship

Erkundung, Expertenbefragung und Betriebspraktikum
e)
Schulmanagement und Qualitätsentwicklung
Wie bereits in den Ausführungen zur Vernetzung der Akteure und Aktivitäten im vorherigen
Abschnitt deutlich wurde, beschränken sich die Aufgaben zur Berufsorientierung nicht auf
die didaktisch-methodische Ebene. Vielmehr ist Berufsorientierung eine Schulentwicklungsaufgabe (vgl. Famulla 2008, 28). Der Begriff Schulentwicklung wird für die bewusste und
systematische Entwicklung der Einzelschule im Systemzusammenhang verwendet (vgl. Bohl
2009, 553).
Die praktische Notwendigkeit zur umfassenden Schulentwicklung zeigt sich auch an typischen Bausteinen der Programme zur Qualitätsentwicklung an Schulen. In der Abb. 3 ist das
niedersächsische Qualitätstableau abgebildet. Die hier dargestellten Bausteine für eine systematische Berufsorientierungsstruktur in Niedersachsen folgen den Qualitätsbausteinen.
Allerdings ist problematisch, dass die Thematik Berufsorientierung nicht in dem Qualitätsraster systematisch berücksichtigt ist. Derzeit lassen deshalb zahlreiche Schulen ihre
Berufsorientierungsprogramme von den diversen Qualitätssiegel-Programmen zertifizieren.
- Seite 42 -
Allerdings sind diese Programme wiederum nicht auf das Qualitätsraster Niedersachsen (gilt
auch entsprechend für andere Bundesländer) abgestimmt, was eine systematische Einbindung in die Schulentwicklung erschwert. Notwendig ist deshalb ein landesweites Qualitätskonzept zur Berufsorientierung, was mit dem niedersächsischen Qualitätsrahmen abge-
Abb. 3:
Kriterien zur Schulqualität am Beispiel Niedersachsen (Niedersächsisches Kultusministerium 200, 27)
stimmt ist.
- Seite 43 -
f)
Ziele und Strategien der Schulentwicklung
Die vorangegangenen Qualitätsbausteine haben bereits deutlich gemacht, dass die Berufsorientierung eine strategische Schulentwicklungsaufgabe darstellt. Ausgangspunkt hierfür ist
ein Paradigmenwechsel von Abschluss- hin zur Anschlussorientierung. Der Schulabschluss
ist ein Meilenstein, aber kein Schlusspunkt. Notwendig ist deshalb eine Erweiterung der Perspektive seitens der abgebenden Schulen, um die Schüler bei der Planung und Gestaltung
des Übergangs zu unterstützen. Die Verankerung im Schulprogramm ist eine notwendige,
aber keinesfalls hinreichende Notwendigkeit. Notwendig ist, dass die Berufsorientierung als
Schulleiteraufgabe wahrgenommen und in die konkrete Schulentwicklungs- und Unterrichtsarbeit überführt wird.
Regulierungsinstrumente
„Partitur“
Empirisches Erscheinungsbild:
„Aufführung“
MAKROEBENE
Verfassungsgesetze
Schulgesetze
Bildungspläne
Bildungsgangregelungen
Abschlussregelungen
Zertifizierungen
Schulverwaltung
Instrumente der Qualitätssicherung
Kulturpolitik
Bildungspolitik
Lehrplanarbeit
Bildungsverwaltung
Personalmanagement:
(Ausbildung, Fortbildung)
MESOEBENE
Autonomieregelungen
Leistungsgesetze
„Schul-policy“
Faktische Schulführung
Schulentwicklungsarbeit
Kommunale Beteiligungen
Schulkultur
MIKROEBENE LEHRER
Regelungen zur Unterrichtsgestaltung
Methodik und Didaktik
Beratungsaufgaben
Erziehungsaufgaben
Faktische Unterrichtsprozesse
Unterrichtskultur
Lehrerhandeln
MIKROEBENE SCHÜLER
Leistungsstandards
Prüfungsregelungen
Zulassungsbedingungen
Abschlussregelungen
Teilnahmeregelungen
Disziplinregelungen
Abb. 4:
Faktisches Nutzungsverhalten
Schulleistungen
Persönlichkeitsentwicklung
Gestaltungsinstrumente und faktische Verhältnisse im Bildungswesen (Beispiele)
(Fend 2008, 17)
- Seite 44 -
Wie aber sicherlich aus meinen Ausführungen und den Beiträgen von Herrn Prof. Kaminski
und Herrn Janßen deutlich geworden ist, bedingt eine systematische Berufsorientierung eine
umfassende schulpädagogische Herangehensweise, die sich nicht auf den schulischen Kontext beschränkt, sondern die Gestaltung institutionalisierter Lern- und Lehrprozesse insgesamt und somit auch das Bildungssystem in den Blick nimmt. Fend (vgl. 2008, 16 f.) unterscheidet diesbezüglich vier Ebenen, wie in der Abb. 4 dargestellt wird.
Um noch einmal auf die Problemanalyse aus dem zweiten Kapitel zurückzukommen: Eine
wesentliche Ursache für die oftmals mangelnde Systematik der schulischen Aktivitäten zur
Berufsorientierung ist auf der Makroebene, d. h. in den Lehrplänen und Erlassen zur Berufsorientierung zu finden. Daraus leiten sich dann zahlreiche Probleme auf den nachgelagerten
Ebenen ab, z. B. die fehlende organisatorische Verankerung in der Schule und die mangelnde Abstimmung auf kommunaler Ebene. Weil den Lehrkräften der Orientierungsrahmen und
die notwendige Qualifizierung fehlen, wirken sich die konzeptionellen Defizite nachteilig auf
die Mikroebene der Lern- und Lehrprozesse aus.
Ein schulpädagogisches Gesamtkonzept zur Berufsorientierung in Niedersachsen würde
dann die Basis für eine abgestimmte Curriculumentwicklung, Qualitätsentwicklung, Schulorganisation und Lehrerqualifikation darstellen, wodurch die systematische Realisierung der
Berufsorientierung in der Schulpraxis erheblich erleichtert würde.
2.5.4
Zusammenfassende Thesen
Wenn die eingeführten und geplanten Maßnahmen zur Förderung der Berufs- und Studienorientierung ihre volle Wirkung entfalten sollen, ist eine landesweite Verbesserung der Systematik unverzichtbar. Diesbezüglich wurden – angelehnt an den Qualitätsrahmen Niedersachsen – relevante Bausteine erörtert.

Ausgangspunkt einer systematischen Berufsorientierung sollten die zu erwerbenden
Kompetenzen im Hinblick auf die Berufswahlreife sein. Hierdurch wird die Einbindung in
den Fachunterricht und die Entwicklung entsprechender Curricula erleichtert. Die Kompetenzen aus dem Themenbereich „Erwerbstätige im Wirtschaftsgeschehen“ des Faches Arbeit-Wirtschaft-Technik an den Integrierten Gesamtschulen stellt auch einen
geeigneten Orientierungsrahmen für andere Schulformen dar.

Berufswahltheoretischer Ausgangspunkt für die zielgerichtete Unterstützung der Schüler in Verbindung mit der Verzahnung der Angebote der verschiedenen Partner ist das
Kooperationsmodell.
- Seite 45 -
Aus didaktisch-methodischer Sicht ist im Sinne eines gemäßigten Konstruktivismus außerdem relevant, dass dieser Ansatz auf der Selbststeuerung des Lernenden aufbaut,
zugleich aber die Bedeutung von Unterstützungsangeboten betont.

Eine systematische Berufsorientierung bedingt eine interne und externe Verzahnung.
Die interne Verzahnung meint die Verankerung im Fachunterricht der relevanten Fächer mit einem Ankerfach Wirtschaft. Die interne Verzahnung ist zugleich die Basis für
die externe Verzahnung, um beispielsweise Betriebserkundungen vor- und nachbereiten zu können. Der Aufbau von Berufsorientierungsnetzwerken ist weiter voranzutreiben. Dabei ist insbesondere sicherzustellen, dass alle relevanten Partner mit eingebunden werden und die Netzwerkarbeit organisiert wird.

Die Berufsorientierung stellt nicht nur eine universitäre Forschungs-, sondern auch eine
Lehraufgabe dar, d. h. entsprechende Angebote sind bereits in die erste Phase der
Lehrerausbildung zu integrieren. Darüber hinaus sind Fortbildungsangebote für im Beruf stehende Lehrkräfte und andere mit Berufsorientierung befasste Personen zu entwickeln und durchzuführen, wobei eine Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Studienseminaren und Lehrerfortbildungseinrichtungen auf Landesebene erfolgen sollte.

Eine systematische Berufsorientierung ist nicht nur eine pädagogische und organisatorische, sondern umfassende Aufgabe der schulischen Qualitätsentwicklung. Notwendig
ist ein landesweites Qualitätsmodell zur Berufsorientierung, das auf den Qualitätsrahmen abgestimmt ist.

Berufsorientierung ist als schulische Gesamtaufgabe zugleich eine Aufgabe der Schulentwicklung. Dies bedingt einen Paradigmenwechsel weg von der Abschluss- und hin
zur Anschlussorientierung in Verbindung mit stabilen organisatorischen Verantwortlichkeiten, wobei auch die Schulleitungen in die Pflicht genommen wird.
Da die Grundlagen einer systematischen Berufsorientierung bereits bildungspolitisch z. B. in
Form von Lehrplänen und Schulverwaltungsgesetzen gelegt werden, ist eine umfassende
schulpädagogische Perspektive notwendig, welche die unterschiedlichen Gestaltungsebenen im Bildungswesen berücksichtigt.
- Seite 46 -
2.6
Neue Rahmenbedingungen für die Berufsorientierung in Niedersachsen
Manfred Janßen, Generaliendezernent Berufsorientierung der Landesschulbehörde Niedersachsen
Steigerung der Ausbildungsfähigkeit und Verbesserung der Berufswahlreife von Schülern
sind zentrale bildungspolitische Anliegen der niedersächsischen Landesregierung. Daher ist
die berufsorientierende Bildung mit dem Ziel eines optimierten Übergangs zwischen Schule
und Beruf ein wesentliches Element rechtlicher Vorgaben für den Unterricht in den verschiedenen Schulformen.
Derzeit ist der Übergang von der Schule in eine Ausbildung u. a. gekennzeichnet durch:

ein in den letzten Jahren ständig gestiegenes Eintrittsalter in eine berufliche Ausbildung

den Zuwachs des sog. „Übergangssystems“

die Verfestigung von Schwierigkeiten beim beruflichen Einstieg für Risikogruppen
(Altbewerber,
Jugendliche
mit
Migrationshintergrund
und
Jugendliche
ohne
Schulabschluss)

mangelnde Transparenz und Übersichtlichkeit hinsichtlich der Bildungsangebote an
der Schnittstelle Schule-Beruf.
Als Reaktion darauf sind die Vorgaben des aktuell gültigen Erlasses zur Berufsorientierung
durch die neuen Erlasse für die Arbeit in den Hauptschulen und Realschulen erweitert und
konkretisiert worden.
Zusammengefasst sind folgende Neuerungen festzustellen:
Hauptschule
Den Hauptschulen stehen mindestens 80 Praxistage in den Schuljahrgängen 7 – 10 zur
Verfügung. Die Gesamtzahl der Tage liegt in der Entscheidung der Schule. Die Praxistage
umfassen insbesondere Schülerbetriebspraktika, Erkundungen, berufspraktische Projekte
und praxisorientierte Lernphasen innerhalb des Fachunterrichts. Angerechnet werden
auch: Bewerbungstraining, Expertenbefragungen, Berufsfindungsmessen, Ausbildungsplatzbörsen, Angebote der Berufsberatung, Arbeit in Schülerfirmen, Zukunftstag. Die Vorgaben der KMK zur Erteilung fachbezogenen Unterrichts sind zu berücksichtigen.
- Seite 47 -

Die Praxistage sollen insbesondere in Unternehmen, berufsbildenden Schulen und
anderen geeigneten außerschulischen Lernorten durchgeführt werden, um die Kooperation der Hauptschulen mit den außerschulischen Partnern weiter zu fördern und
auszubauen.

Die Schulen erarbeiten ein fächerübergreifendes Konzept zur Berufsorientierung, dabei ist das Fach „Wirtschaft“ als „Ankerfach“ zu sehen.

Im Sinne des „Neustädter Modells“ können durch eine intensivierte Kooperation mit
den berufsbildenden Schulen bereits die beruflichen Qualifikationen für die Anerkennung als erstes Ausbildungsjahr in einem Berufsfeld erworben werden.

Die Zusammenarbeit der Lehrkräfte mit den Berufsberaterinnen und Berufsberatern
der Bundesagentur für Arbeit wird vertieft.

Jede Schülerin und jeder Schüler führt einen Nachweis über die Teilnahme an
berufsorientierenden und berufsbildenden Maßnahmen, z. B. im Berufswahlpass.
Realschule

Aufgabe der Realschulen ist eine allgemeine Orientierung auf die Berufs- und Arbeitswelt und die Vermittlung von Kenntnissen für eine bewusste Berufswahl. Außerdem soll auf die Profilwahl (s. u.) vorbereitet werden.

Es sind berufsorientierende Maßnahmen wie Erkundungen, Betriebspraktika an mindestens 30 Schultagen vorrangig in den Jahrgängen 8 bis 10 durchzuführen. Die
Teilnahme an den Maßnahmen ist von allen Schülern zu dokumentieren.

Die Kooperation mit den berufsbildenden Schulen soll intensiviert werden. Ähnlich
wie an den Hauptschulen können berufsbildende Inhalte im Rahmen einer Erweiterung nach dem Vorbild des „Neustädter Modells“ aufgenommen werden.

An den Realschulen wird künftig eine Profilbildung durch mindestens zwei Angebote
aus den Bereichen Wahlpflichtfremdsprache (ab Klasse 6), Technik, Wirtschaft und
Gesundheit/Soziales in den Jahrgängen 9 und 10 ermöglicht. Die Vorbereitung auf
die Wahl des Profilfachs kann im Fachunterricht, Wahlpflichtunterricht, projektorientierten Unterricht oder durch die Praxistage erfolgen. Die Profilwahl im 9. Jahrgang
kann in begründeten Einzelfällen am Ende des ersten Schulhalbjahres gewechselt
werden.

Die Schulen erarbeiten ein fächerübergreifendes Konzept zur Berufsorientierung, das
insbesondere auch eine Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf eine ihren
- Seite 48 -
Kompetenzen, Leistungen und Neigungen entsprechende Wahl des Schwerpunktes
beschreibt.
Gymnasium
Für die Gymnasien gilt weiterhin:

Die Schüler sollen die gesellschaftliche Bedeutung der Berufs- und Arbeitswelt erkennen und erste Einblicke in diesen Bereich erhalten. Einen Ansatzpunkt hierfür bietet der Themenbereich „Regionaler Arbeitsraum“ im Kerncurriculum des Fachs Politik-Wirtschaft.

Die Arbeit in den Schuljahrgängen 5 bis 10 des Gymnasiums schließt auch eine Orientierung über die Berufs- und Arbeitswelt ein. Ab dem Schuljahrgang 8 sollen deshalb nach Möglichkeit Betriebsbesichtigungen, -erkundungen oder -praktika durchgeführt werden.

Das Schülerbetriebspraktikum, das in der Regel in einem Unternehmen oder in einer
anderen Einrichtung abgeleistet wird, umfasst als Blockpraktikum 10 bis 15 Arbeitstage. Im Gymnasium werden Betriebserkundungen frühestens ab dem 8., Schülerbetriebspraktika in der Regel ab dem 9. Schuljahrgang durchgeführt.

Das Gymnasium arbeitet mit den berufsbildenden Schulen und der Agentur für Arbeit
zusammen, um denjenigen Schülern, die das Gymnasium vorzeitig oder nach dem
Schuljahrgang 10 verlassen, eine entsprechende Beratung und Hilfestellung zu geben.
Berufsorientierung als Aufgabe der ganzen Schule
Die Landesregierung sieht die Entwicklung und Umsetzung von schulischen Konzepten zur
Berufsorientierung als eine schulische Gesamtaufgabe an. Das bedeutet für die Schulen,

die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Schüler in den Mittelpunkt zu rücken (Lehrkraft als Moderatorin und Moderator),

die Berufsorientierung als Aufgabe der ganzen Schule zu begreifen,

die Berufswahl als einen Prozess und nicht als eine punktuelle Entscheidung zu
sehen,

die Kooperation und Vernetzung mit externen Partnern als notwendig zu erkennen
und zu praktizieren,

die Kompetenzen der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten zu nutzen,
- Seite 49 -

die Berufsorientierung als didaktisches Grundprinzip im Schulleitbild fest zu
verankern.
Dabei werden die Schulen unterstützt durch Fachberaterinnen und Fachberater für Berufsorientierung.
Zu deren Aufgaben gehören vor allem

die Beratung und Vermittlung neuer fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Erkenntnisse,

die Mitwirkung bei der Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle u. a. vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Inspektionsberichte,

die Unterstützung der Schule bei der Entwicklung der Schulprogrammteile, die sich
auf die Gestaltung des Unterrichts und seine fachliche Qualität beziehen,

die Mitwirkung an und Mitgestaltung der schulinternen und schulübergreifenden Fortbildung auf der Grundlage des von der Schule festgestellten Fortbildungsbedarfs,

die Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen, Mithilfe bei der Vermittlung
schulischer und außerschulischer Kooperationspartner und Koordinierung des Erfahrungsaustausches zwischen den Schulen.
Fördernde Faktoren für eine gelungene Berufsorientierung
Zur Förderung einer gelungenen Berufsorientierung werden vor allem die folgenden Faktoren als relevant angesehen:

Die Maßnahmen zur Berufsorientierung werden in einem systematisch angelegten
Schulkonzept verankert.

Der Unterricht wird mit den Praxiskontakten eng verzahnt, d. h. die Praxiskontakte
werden im Unterricht vorbereitet und die Praxiserfahrungen im Unterricht reflektiert.

Es werden Kompetenzfeststellungsverfahren durchgeführt, deren Ergebnisse in eine
individuelle Förder- und Berufswegeplanung einfließen.

Alle Maßnahmen der Berufsorientierung werden von den Schülern dokumentiert.

Es erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit berufsbildenden Schulen, Betrieben, der
Arbeitsagentur und weiteren außerschulischen Partnern (Kammern, Universität, u. a.
m.).

Die Schulleitung fördert die berufsorientierten Maßnahmen.
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
Wesentliches Element berufsorientierender Bildung ist eine Anschluss- statt einer
Abschlussorientierung.
Das schulische Berufsorientierungskonzept wird einer externen Qualitätskontrolle unterzogen, z. B. im Rahmen eines Gütesiegels.
- Seite 51 -
3 Protokolle der Workshops
3.1
Hauptschule
Protokollführer/innen: Christin Richter, Anne Poppe (Universität Oldenburg/IÖB)
3.1.1
Verlaufsstruktur des Workshops
Der Workshop für die Schulform Hauptschule wurde von Wilfried Batschat (Schulleiter der
Hauptschule „Am Luisenhof“ in Nordenham), Frank Ederer (Ausbildungsberater bei der
Oldenburgischen IHK) sowie Bettina Pulkrabek (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IÖB)
geleitet. Ziel des Workshops war es, die Kompetenzvermittlung in der Berufsorientierung
darzustellen sowie über Aufgaben und Grundlagen der schulischen Vorgaben zu informieren
und in einen Erfahrungsaustausch zu treten.
Herr Batschat eröffnete den Workshop und stellte zunächst die zwei weiteren Referenten
vor. Anschließend erläuterte Frau Pulkrabek Veränderungstrends von Berufen und die damit
einhergehenden veränderten Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt. Laut einer Studie der
DIHK (vgl. Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. 2010) sehen die Unternehmen
dafür die mangelnde Ausbildungsreife als Hauptgrund an.
Im Zuge dieser Ergebnisse hat die Bundesagentur für Arbeit einen Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife entwickelt, auf den im Laufe des Workshops näher eingegangen wurde.
Es wurde deutlich, dass sich der Ausbildungsmarkt für Hauptschüler verschlechtert; in diesem Zusammenhang wurde insbesondere die Ausbildungsreife in den Vordergrund gerückt.
Daran anknüpfend stellte Herr Ederer verschiedene Kompetenzfeststellungsverfahren vor.
Frau Pulkrabek unterbreitete daraufhin Vorschläge, wie die Berufsorientierung durch das
Ankerfach Wirtschaft systematisch in die Schule integriert werden kann, bevor Herr Batschat
die Umsetzung der Berufsorientierung an seiner Schule als best practice Beispiel präsentierte. In der Arbeits- und Diskussionsphase wurden Wünsche für die systematische Verankerung der Berufsorientierung geäußert sowie Probleme identifiziert. Dabei wurde insbesondere die Bedeutung der Ausbildungsreife sowohl für die Schüler als auch für die Unternehmen
hervorgehoben.
- Seite 52 -
3.1.2
a)
Beiträge der Referentinnen und Referenten
Kompetenzvermittlung in der Berufsorientierung – Bettina Pulkrabek (IÖB)
Frau Pulkrabek eröffnete ihren Vortrag mit der Vorstellung einer fragmentierten Berufsbiografie und stellte die Bedeutung des lebenslangen Lernens heraus. Die Berufe sind ständig
und schneller als früher Veränderungen unterlegen, wodurch sich auch die Bedingungen auf
dem Arbeitsmarkt ändern. Vor diesem Hintergrund geht es kaum noch um die Wahl eines
Berufes für das gesamte Erwerbsleben, sondern vielmehr um die Wahl eines Startberufes.
Frau Pulkrabek stellte zudem Ergebnisse der DIHK-Studie „Ausbildung 2010“ (vgl. Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. 2010) vor. Diese Studie liefert Ergebnisse einer IHK-Unternehmensbefragung, bei der zu Beginn des Jahres 2009 Unternehmen zur
Ausbildungssituation befragt wurden. Demnach konnten 21 % der angebotenen Ausbildungsplätze im Jahre 2008 nicht besetzt werden. Als Hauptgrund wurde die mangelhafte
Ausbildungsreife der Schüler genannt. Zugleich haben sich in den letzten 15 Jahren nach
der Meinung der Unternehmen zahlreiche Qualifikationen der Bewerberinnen und Bewerber
verschlechtert (vgl. Abb. 5).
Abb. 5:
Entwicklung der Bewerberqualifikation
(vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung 2005)
- Seite 53 -
in
den
letzten
15
Jahren
Die Studie verdeutlicht zudem, dass neben den (oftmals bemängelten) Kenntnissen im
sprachlichen und mathematischen Bereich IT-Kenntnisse, Fremdsprachen sowie soziale
Kompetenzen vermehrt in den Vordergrund rücken. Mit Blick auf die Eingangsvoraussetzungen für eine berufliche Erstausbildung wird in den letzten Jahren oftmals von der Ausbildungsreife gesprochen. Von der Bundesagentur für Arbeit wurde ein Katalog von Merkmalen
und Mindestanforderungen für die Aufnahme einer Berufsausbildung entwickelt, der Begriffe
und Sachverhalte erläutert und eine Orientierungshilfe für Schulen, Betriebe, Arbeitsagenturen, Eltern und Jugendliche ist. Zugleich soll er eine systematische Hilfestellung bei der Beurteilung der Ausbildungsreife sein (vgl. Abb. 6).
„Basis für die Erstellung des Kriterienkatalogs waren wissenschaftliche Erkenntnisse aus
den Bereichen der Psychologie und Pädagogik sowie der Kompetenzforschung und bereits
bestehende Anforderungskataloge aus der Wirtschaft sowie die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) für Hauptschulen. Diese wurden mit den Erfahrungen der Praxis
(Betriebe, Berufsberatung, Berufsschulen) abgeglichen und auf die aus Sicht der Experten
unverzichtbaren Kriterien („Mindeststandards“) verdichtet.“ (vgl. Bundesagentur für Arbeit
2009, 17)
Abb. 6:
b)
Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2009, 20f.)
Kompetenzfeststellungsverfahren – Frank Ederer (IHK)
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Herr Ederer, Ausbildungsberater bei der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer,
erläuterte verschiedene Kompetenzfeststellungsverfahren, die auch von der IHK angeboten
werden.
Im Kompetenzfeststellungsverfahren entdecken Schüler ihre Stärken, Interessen und Fähigkeiten und nutzen diese zur ersten beruflichen Orientierung.
1.
Berufseignungstest (BET) (vgl. IHK Oldenburg 2010): Der Berufseignungstest erfasst
verschiedene Grundfunktionen der beruflichen Eignung (u. a. rechnerische und sprachliche
Fähigkeiten,
Sachlogik,
Wahrnehmung,
räumliches
Vorstellungsvermögen,
optomotorische Koordination, feinmotorische Geschicklichkeit).
2.
KODE®S (Kompetenz-Diagnostik und Entwicklung für Schüler) (vgl. ISB Information
und Kommunikation GmbH & Co. KG 2010): KODE®S ist ein Kompetenz-„Check“ für
Schüler. Das Verfahren stellt die persönlichen Stärken in vier Kompetenzfeldern (Persönlichkeit, Aktivität- und Handlung, Fach und Methode und Sozial-Kommunikation)
heraus.
3.
PROKOSA (Profiling durch eine Kompetenz-Stärken-Analyse): Auswertungsgespräch
der Ergebnisse des Berufseignungstests und der KODE®S, im Kontext zur Berufswahl
und zum regionalen Wirtschaftsraum.
Außerdem ging Herr Ederer auf die geva-Tests ein. Einige Workshop-Teilnehmer wiesen auf
das Problem der Finanzierung dieser Tests seitens der Schulen hin. Herr Batschat führte
daraufhin am Beispiel seiner Haupt- und Realschule Nordenham an, wo entsprechende
Tests im jährlichen Turnus durchgeführt werden und ein positiver Effekt bei den Schülern zu
beobachten ist. Daher ist er der Ansicht, dass die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für
diese Test durchaus sinnvoll sei, wenngleich sich die Finanzierung in vielen Fällen schwierig
gestaltet. Außerdem wurde auf die Möglichkeit der Co-Finanzierung durch die Agentur für
Arbeit hingewiesen.
c)
Aufgaben und Grundlagen der schulischen Vorgaben –
Bettina Pulkrabek (IÖB)
In den aktuell erstellten Kerncurricula für das Fach Wirtschaft an Hauptschulen ist die Berufsorientierung als eigener Kompetenzbereich nicht enthalten.
Stattdessen sehen die curricularen Vorgaben die Berufsorientierung als eine Querschnitt-
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saufgabe der gesamten Schule an. Dennoch hat das Fach Wirtschaft eine besondere Stellung inne. „Das Fach Wirtschaft in der Hauptschule leistet, wie auch andere Fächer, einen
Beitrag zur beruflichen Orientierung der Schüler. In der Regel wird die erforderliche Koordination in der Zuständigkeit des Fachbereiches Arbeit/Wirtschaft-Technik liegen.“ (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2009a, 8)
Aufgrund dieser Tatsache führte Frau
Pulkrabek einen Vorschlag an (Abb. 7), wie die Berufsorientierung systematisch in den Wirtschaftsunterricht eingebunden werden könnte.
Einbindungsmöglichkeiten in den Wirtschaftsunterricht:
I.
Durchlauf – Jg. 7
Beispiele BO:
1.
Arbeit-Einkommen-Wirtschaften
Einkommen durch Arbeit
2.
Aufgaben und Ziele von Unternehmen
Unternehmen der Region
3.
Wirtschaften braucht Regeln
4.
Leben und Arbeiten in unserer Region
II.
Durchlauf – Jg. 8
5.
Einflüsse auf Kaufentscheidungen
6.
Beschaffung-Produktion-Absatz
7.
Gruppen im Wirtschaftsgeschehen
8.
Arbeiten und Wirtschaften in der Welt
Abb. 7:
Regionaler Arbeitsmarkt
Arbeitsplatzerkundung
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Themenfelder für das Wirtschaft an Hauptschulen für die Jahrgangsstufe sieben
und acht
Anhand der Jahrgangsstufen sieben und acht verdeutlichte Frau Pulkrabek, in welchen
Themenfeldern die Berufsorientierung sinnvoll integriert werden könnte. Beispielsweise bietet es sich parallel zum Themenfeld „Leben und Arbeiten in unserer Region“ für die Klasse
sieben auch an, in diesem Zusammenhang den regionalen Arbeitsmarkt unter die Lupe zu
nehmen, um Berufsorientierung systematisch einzubinden. Im Jahrgang acht empfiehlt sich
das Themenfeld „Arbeiten und Wirtschaften in der Welt“, um in diesem Rahmen die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu thematisieren.
d)
Best practice Beispiele - Einbindung der Berufsorientierung in die Stundentafel der Hauptschule – Wilfried Batschat (Schule am Luisenhof)
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Herr Batschat stellte zunächst die aktuelle Situation der Stundenverteilung an niedersächsischen Hauptschulen dar. Bezugnehmend auf die Anhörfassung des Erlasses „Die Arbeit in
der Hauptschule“ (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2010a, Stand Mai 2009) verwies er auf die wichtigsten Veränderungen im Hinblick auf die Berufsorientierung. Wichtig sei
nicht nur die Vergrößerung des Anteils der Betriebs- und Praxistage auf mind. 80 Tage (vorher 60 Tage), sondern auch die Dokumentation der Teilnahme an berufsorientierenden bzw.
berufsbildenden Maßnahmen durch die Schüler (z. B. in Form des Berufswahlpasses o. ä.)
(vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Berufswahlpass 2010). Ebenfalls sind verbindliche Absprachen zur Zusammenarbeit zwischen Hauptschulen und berufsbildenden Schulen zu treffen,
um die inhaltliche Verzahnung von allgemeiner und beruflicher Bildung sicherzustellen (vgl.
Hayek 2010, 4).
Im Anschluss stellte Herr Batschat das „Neustädter Modell“ vor. Hierbei handelt es sich um
einen Schulversuch der BBS Neustadt und der KGS Neustadt, bei dem die Schüler des
Hauptschulzweiges der KGS im neunten und zehnten Jahrgang insgesamt zehn Stunden
fachpraktischen sowie vier Stunden fachtheoretischen Unterricht an der BBS erhalten. Positiv anzumerken ist, dass seit Beginn des Schulversuchs in Neustadt die Quote der Schüler,
die den Hauptschulzweig der KGS Neustadt ohne einen Abschluss verlassen, in den Jahren
2004 bis 2008 von 19 auf 0 Prozent gesunken ist. Mittlerweile wird dieser Schulversuch auch
von vier allgemeinbildenden Schulen und zwei berufsbildenden Schulen in Hameln erprobt.
Das Neustädter Modell erhielt 2009 unter anderem den Deichmann-Förderpreis (vgl. Deichmann SE 2010) gegen Jugendarbeitslosigkeit und wurde 2010 ebenfalls Preisträger des
bundesweit ausgetragenen Innovationswettbewerbs "365 Orte im Land der Ideen".
Herr Batschat merkte jedoch an, dass ein komplettes Modell kaum zu adaptieren sei. An
anderen allgemeinbildenden Schulen seien 14 Wochenstunden für die Berufsorientierung
nur zu leisten, wenn der Unterricht in einzelnen Fächern gekürzt oder Ganztagsschulen geschaffen werden würden. Für die meisten Schulen ist es sinnvoller, die Elemente zu identifizieren, die sie unter den gegebenen Rahmenbedingungen umsetzen können.
Im weiteren Verlauf stellte Herr Batschat das „Porsche Treckerprojekt“ seiner Schule vor
(vgl. Haupt- und Realschule „Am Luisenhof“ Ganztagsschule 2010a).
Mit diesem Projekt werden jährlich über 10.000 € für die Schule erwirtschaftet. Seit Mai 2009
restaurieren die Schüler der Arbeitsgruppe einen Porsche Junior 109, wobei sich ein Braker
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Unternehmern an der Leitung des Projekts beteiligt. So werden auch Unternehmer der Region in Berufsorientierungsprojekte dieser Hauptschule direkt eingebunden. Hinzu kommen
Bewerbungstrainings, Kompaktseminare zur Berufsfindung im Sinne von Teambildung,
Kommunikation und Gesprächsführung sowie die Einrichtung von Schülerfirmen und die
Teilnahme an Berufs- und Betriebserkundungen.
3.1.3
Arbeits- und Diskussionsphase
In der Arbeits- und Diskussionsphase wurde zunächst auf die Stundenpläne der Haupt- und
Realschulen Bezug genommen. Insbesondere rückte die Problematik der weggefallenen
Stundendeputate der Wahlpflichtkurse in den Vordergrund. Die Diskrepanz zwischen der
geforderten verstärkten Berufsorientierung einerseits sowie der Kürzung einiger Fächer andererseits führte zu intensiven Diskussionen.
Im Gespräch wurde immer wieder hervorgehoben, wie wichtig für die Schüler der Einblick in
die Praxis beispielsweise durch Praktika oder durch Betriebserkundungen ist, um einen Beitrag zur Ausbildungsreife der Schüler zu leisten. Teile der Ausbildungsreife könnten nur in
der Berufspraxis erworben werden.
Weitere Themen der Diskussion waren die Finanzierung von berufsorientierenden Maßnahmen, insbesondere die Berufseignungstests. Diesbezüglich wurde auf die Unterstützung
durch die Agentur für Arbeit und Kammern verwiesen.
Viele Teilnehmer waren der Ansicht, dass Projekte wie das „Neustädter Modell“ in anderen
Schulen so nicht umzusetzen seien und die Übernahme von Teilaspekten keine hinreichende Wirkung entfalte. Zudem wurde auf die unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten (Kooperation in ländlichen Gebieten) und die fehlenden personellen Ressourcen eingegangen.
Es herrschte aber ein breiter Konsens darüber, dass eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Berufsbildenden Schulen anzustreben ist. Auch wurde mehrfach darauf
hingewiesen, dass regionale Netzwerke gebildet werden müssen, um Kompetenzen und
Kapazitäten effektiv zu verzahnen.
3.1.4
Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Im Workshop wurde deutlich, dass die Teilnehmer sich ein einheitlich geregeltes Verfahren
zur Finanzierung der Kompetenzfeststellungsverfahren wünschen.
Außerdem zeigte sich, dass eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Hauptschulen und
den Berufsbildenden Schulen von den Lehrkräften durchaus gewünscht wird. Hierfür wün-
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schen sich die Teilnehmenden eine Konkretisierung der Erlasse in Form einer Handreichung. Das Neustädter Modell wird als nur bedingt übertragbar eingeschätzt.
3.2
Realschule
Protokollführer/innen: Dominik Rathing, Anne Poppe (Universität Oldenburg/IÖB)
3.2.1
Verlaufsstruktur des Workshops
Der Workshop für die Realschule wurde durch die Referenten Frank Mayer (Weiterbildungsberater der IHK Oldenburg), Wolfgang Battenberg (Schulleiter der Realschule „Am Luisenhof“, Nordenham) und Katrin Eggert (Geschäftsführerin des Instituts für Ökonomische Bildung, Oldenburg) gestaltet. In diesem Workshop wurden zum einen Perspektiven der Berufsorientierung auf Grund des neuen Grundsatzerlasses erläutert sowie praktische und erfolgreiche Beispiele berufsorientierender Maßnahmen erarbeitet und diskutiert. Zum anderen
bildeten mögliche Kooperationsmodelle der Zusammenarbeit von Realschulen mit Betrieben
und den Berufsschulen einen weiteren Schwerpunkt.
Ziel war es, die Gemeinsamkeiten der Berufsorientierung in Niedersachsen aufzuzeigen,
ohne dabei die regionalen Unterschiede und Besonderheiten zu vernachlässigen. Den Einstieg in die Thematik lieferte das Beispiel der Realschule „Am Luisenhof“. Anschließend
stellte Frau Eggert die curricularen Voraussetzungen der Berufsorientierung an der Realschule dar. In der folgenden Arbeits- und Diskussionsphase fand ein reger Austausch über
die im Workshop vorgestellten Berufsorientierungskonzepte statt, wobei sowohl die Lehrkräfte als auch die Unternehmer ihre Eindrücke, Bedenken und Erwartungen an die einzelnen
Konzepte schilderten.
3.2.2
a)
Beiträge der Referentinnen und Referenten
Best practice Beispiel - Realschule „Am Luisenhof“ –
Wolfgang Battenberg
(Schule Am Luisenhof)
Herr Battenberg erläuterte das bereits seit Jahren praktizierte Berufsorientierungskonzept
seiner Schule.
Zunächst wies er auf die zu beachtenden Rahmenbedingungen in der Schule und des
Schulumfeldes hin, um das Berufsorientierungskonzept auf die jeweiligen Gegebenheiten
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abzustimmen. Im Falle der Schule „Am Luisenhof“ ist zu beachten, dass diese aus zwei
selbstständigen Schulen (einer Haupt- und Realschule) besteht, welche jedoch konzeptionell
und planerisch gemeinsam agieren. Ein gemeinsames Konzept von Haupt- und Realschule
zur Berufsorientierung stehe stets im Fokus aller Kollegen. Des Weiteren befinde sich die
Schule in einem sozialen Brennpunkt mit Arbeitslosigkeit.
Die Einführung des Berufsorientierungskonzepts war bei vielen Lehrkräften mit der Sorge
verbunden, dass sich die Schule zu einem „Zulieferbetrieb“ der Wirtschaft degradieren könnte. Diese Sorge konnte jedoch durch eine gelungene Kommunikation des Konzepts als auch
durch die stete Beteiligung aller Lehrkräfte am Transformationsprozess entkräftet werden.
Die Einbindung in das Schulprogramm erfolgt über sechs Bausteine:
1. Kooperation
2. Ganztagsschule
3. Neue Technologien
4. Öffnung der Schule
5. soziales Miteinander
6. Berufsvorbereitung.
Diese Bausteine werden möglichst eng miteinander verknüpft, um den Schülern ein ganzheitliches Schulkonzept anzubieten. Dadurch wird gewährleistet, dass die Berufsorientierung
nicht nur an das Schulprogramm angeknüpft, sondern integriert wird. Bausteinübergreifend
werden eine solide berufliche Grundbildung und eine erweiterte Allgemeinbildung angestrebt.
Ergänzend hierzu setzt sich die Realschule weitere ehrgeizige Ziele.

Der Anteil von Schülern, die auf die Hauptschule übergehen, soll reduziert werden.
Gleichzeitig sollen im Durchschnitt höhere Schulabschlüsse erreicht werden.

Die Vermittlungsquote in eine duale Ausbildung soll gesteigert werden. Zugleich soll die
Abbrecherquote in der dualen Ausbildung durch Stärkung der Ausbildungsreife gesenkt
werden.
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Bei der konkreten Umsetzung versucht man, sich am Neustädter Modell zu orientieren, soweit dieses im Rahmen der Möglichkeiten in Nordenham umzusetzen ist. Beim Neustädter
Modell erleben die Schüler der neunten und zehnten Klassen eine Form der dualen Ausbildung bereits an der Schule. Die Schüler verbringen insgesamt zwei Tage in der Woche an
der örtlichen Berufsbildenden Schule, wo sie sich für einen der Bereiche „Nahrung“, „Metalltechnik“, „Körperpflege“ oder „Holz und Farbe“ entscheiden können. Ein Wechsel zwischen
den Bereichen ist nach Ablauf eines Jahres möglich. Die Schüler werden bereits in der achten Klasse durch eine ausführliche Führung durch die Berufsbildende Schule auf die im darauffolgenden Jahr anstehende Bereichswahl vorbereitet. Herr Battenberg berichtete von
einer enorm hohen Akzeptanz der Schüler im Neustädter Modell, zeigte aber auch die förderlichen Rahmenbedingungen auf. So gibt es in Neustadt eine BBS mit mehreren Berufsfeldern, die sich in unmittelbarer Nähe zur Haupt- und Realschule befindet. Diese Voraussetzung ist in anderen Regionen nicht unbedingt gegeben. Ein Nachteil des Modells ist außerdem die Einbuße anderer Fächerstunden wie Musik- bzw. Kunstunterricht in nicht unerheblichem Maße.
Die Schule „Am Luisenhof“ blickt auf eine Vielzahl an berufsorientierenden Maßnahmen, die
teilweise noch in der Vorbereitung sind. So können die benötigten Arbeitstage für die Berufsorientierung ausgedehnt werden. Perspektivisch soll im Profilfach Wirtschaft ein Themenschwerpunkt Berufsorientierung eingerichtet werden. Wichtig ist außerdem, dass Schüler die berufsorientierenden Maßnahmen dokumentieren, um einen umfangreichen Überblick
über die persönliche Weiterentwicklung ihres Berufswahlstatus zu erkennen. Hierfür soll der
Berufswahlpass (vgl. Bundesgemeinschaft Berufswahlpass 2010) eingeführt werden.
Als eine der grundlegendsten Maßnahmen wird die Stärken-Schwächen Analyse angeführt,
die mit Hilfe des allgemeinen Interessen- und Strukturtests (AIST) (vgl. Bergmann & Eder
2005) und dem Handlungsorientierten Modultest zur Erfassung und Förderung beruflicher
Kompetenzen (HAMET2) (vgl. Berufsbildungswerk Waiblingen gGmbH 2010) erfasst werden
kann. Die Ergebnisse der Analyse werden eingehend mit den Schülern und Eltern besprochen, da dies die Akzeptanz der Berufsorientierung stark erhöht.
In späteren Phasen der Berufsorientierung wird mit den Schülern ein Berufseignungstest
(BET) (vgl. Schmale/Schmidtke 2000) und eine Kompetenzanalyse (KODE®S) (vgl. SB –
Information und Kommunikation GmbH 2010) durchgeführt. Auch hier werden die Ergebnisse wiederum den Schülern und Eltern nahegebracht und erläutert. Die Durchführung von
- Seite 61 -
Kompetenzfeststellungsverfahren wurde von Herrn Battenberg als sinnvoll beurteilt, damit
die Schüler ihre Kompetenzen erkennen und gezielt weiterentwickeln können.
Ein weiterer Schwerpunkt der Schule „Am Luisenhof“ liegt auf Praxiskontakten. So werden
Praxisseminare angeboten, in denen unter anderem Personalverantwortliche aus verschiedenen Firmen mit den Schülern Bewerbungssituationen nachstellen, Tipps für die anstehenden Bewerbungen geben und Präsentationstechniken einüben. Die Schüler schätzen an den
Seminaren insbesondere die fundierten Rückmeldungen von den Experten. Verschiedene
Unternehmen beteiligen sich außerdem als Sponsoren.
In das Berufsorientierungskonzept sind auch die schulischen Schülerfirmen eingebunden.
Die Schülerfirmen erhalten sowohl interne als auch externe Aufträge. Um eine professionelle
und erfolgreiche Begleitung der Firmen zu gewährleisten, gibt es regelmäßige Schulungen
der betreuenden Lehrkräfte. Insgesamt wird auf eine verstärkte Fort- und Weiterbildung der
Fach- und Klassenlehrer gesetzt, um die gestiegenen Ansprüche zu erfüllen. Wo Fachwissen fehlt, werden Stundenkontingenten „eingekauft“, z. B. von der örtlichen BBS. Dank dieser Unterstützung werden verschiedene Projekte möglich, die sonst möglicherweise nicht
hätten durchgeführt werden können. Jedoch ergibt sich daraus auch die Frage nach der Finanzierung solcher zusätzlichen Angebote. Hauptschulen haben nach der Erfahrung von
Herrn Battenberg im Vergleich zu Realschulen oftmals weniger Probleme, zusätzliche Fördermittel für die Berufsorientierung zu erhalten. Erfreulich ist, dass im Falle der Schule „Am
Luisenhof“ die Realschule eine Förderung durch die Agentur für Arbeit erhielt.
Durch die dargestellte Fülle an berufsorientierenden Angeboten entsteht ein erhöhter Bedarf
nach einer planvollen Koordination. Diese Aufgabe übernehmen an der Schule „Am Luisenhof“ zum Großteil die Wirtschaftslehrer, welche hierfür eine Entlastung von zwei Stunden
erhalten.
Außerdem werden die Wirtschaftslehrer zusätzlich entlastet, indem die Klassenlehrer die
Schüler in den verschiedenen Praktika besuchen. Herr Battenberg wies in diesem Zusammenhang auch auf die Notwendigkeit des Rückhalts durch die Schulleitung hin.
Beispielhaft stellte Herr Battenberg den Anwesenden einen Überblick über ausgewählte Aktivitäten zur Berufsorientierung zur Verfügung, die an der Realschule „Am Luisenhof“ durchgeführt werden (vgl. Abb. 8).
- Seite 62 -
Abb. 8:
Aktivitäten zur Berufsorientierung der Realschule „Am Luisenhof“ im Überblick
- Seite 63 -
b)
Das Fach Wirtschaft als „Ankerfach“ für die Berufsorientierung – Katrin Eggert
(IÖB)
Frau Eggert stellte zunächst das Kerncurriculum Wirtschaft für die Realschule vor und nahm
dabei insbesondere auf die curricularen Voraussetzungen der Berufsorientierung Bezug.
Das Kerncurriculum Wirtschaft gliedert sich in vier verschiedene Themenfelder:
1. Verbraucher und Erwerbstätige im Wirtschaftsgeschehen
2. Ökonomisches und soziales Handeln in Unternehmen
3. Aufgaben des Staates im Wirtschaftsprozess
4. Ökonomisches Handeln regional, national und international
Für jedes Themengebiet sind die zu fördernden Kompetenzbereiche „Fachwissen“, „Erkenntnisgewinnung“ und „Beurteilen und Bewerten“ ausgewiesen. „Fachwissen“ bezeichnet
das strukturierte ökonomische Wissen, um gesellschaftliche Strukturen und Prozesse zu
verstehen. Im Kompetenzbereich „Erkenntnisgewinnung“ werden fachspezifische Methoden
und Arbeitstechniken eingeübt. Der Bereich „Beurteilen und Bewerten“ beinhaltet die Fähigkeiten der Schüler, wirtschaftliche Sachverhalte, Konflikt- und Entscheidungssituationen zu
reflektieren, zu begründen und zu beurteilen. Das Kerncurriculum sieht vor, dass die vier
genannten Themenfelder horizontal und vertikal im Sinne eines Spiralcurriculums miteinander verknüpft werden. Das bedeutet, dass alle vier Themen mehrfach – in jedem Schuljahr
erneut – mit einem jeweils höheren Komplexitätsgrad behandelt werden.
Die Berufsorientierung als schulische Gesamtaufgabe stellt eine besondere Herausforderung dar. Deshalb gilt es, die Berufsorientierung sinnvoll in die vier Themenfelder einzubinden (vgl. Abb. 9), die von Klasse acht bis zehn jeweils einmal durchlaufen werden. In der
Klasse neun stehen für das Fach Wirtschaft zwei Unterrichtsstunden, ansonsten jeweils eine
Unterrichtsstunde pro Woche zur Verfügung. Die Berufsorientierung wird schwerpunktmäßig
in den Wirtschaftsunterricht der neunten Klasse integriert, weil in dieser Jahrgangsstufe das
Stundenkontingent am größten ist. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang auch die Vorund Nachbereitung des Praktikums. Frau Eggert betonte, dass der in Abb. 9 vorgestellte
Arbeitsplan für das Fach Wirtschaft ein schulinternes Berufsorientierungskonzept nicht ersetzt, aber entscheidend unterstützt. Außerdem wurde hervorgehoben, dass das Fach Wirtschaft als Ankerfach der Berufsorientierung dienen muss, um die anderen Fächer und externen Partner zielgerichtet einbeziehen zu können.
- Seite 64 -
Abb. 9:
Anknüpfungspunkte für die Berufsorientierung im 9. Jahrgang (ausführliche Beispielplanung ist unter www.wigy.de abrufbar)
- Seite 65 -
3.2.3
Arbeits- und Diskussionsphase
Die Diskussion befasste sich vorrangig mit den vorgestellten Berufsorientierungskonzepten.
Die anwesenden Lehrkräfte äußerten die Einschätzung, dass die Verantwortlichkeiten bei
der Umsetzung der Berufsorientierung häufig unklar sind. Ebenso wurde die Notwendigkeit
der Unterstützung durch die Schulleitung und des Kollegiums betont. Die Mehrzahl teilte die
Ansicht, dass gerade der multidisziplinäre Aspekt die Entwicklung von Kompetenzen der
Berufsorientierung fördere und damit ein essenzieller Baustein sei. Allerdings wurde auch
diskutiert, ob die Stundenkürzungen der Fächer Kunst und Musik gerechtfertigt sind. Die
Teilnehmer waren sich weitestgehend einig, dass Musik und Kunst unverzichtbare Teile der
Allgemeinbildung darstellen und ein dauerhaftes Fehlen der Fächer im Stundenplan nicht
förderlich für die Entwicklung der Schüler sei.
Viele Teilnehmer des Workshops, welche aus dem Schuldienst kamen, hielten eine exakte
Umsetzung des Neustädter Modells an ihren Schulen für unmöglich. Herr Battenberg betonte, dass das Neustädter Modell sicherlich nicht eins zu eins zu übertragen sei. Dennoch sei
zu überlegen, ob einzelne Aspekte für die eigene Schule übernommen werden könnten.
Von den Lehrkräften wurde außerdem massive Kritik an der kurzfristigen Einführung des
neuen Erlasses zur Arbeit in der Realschule geäußert.
Die Unternehmensvertreter schätzten die vorgestellten Konzepte als sehr sinnvoll ein. Ihrer
Meinung nach besteht allerdings die größte Aufgabe darin, eine möglichst enge Verzahnung
von Schule und Unternehmen zu erreichen. Dies betreffe insbesondere den Übergang der
Schüler von der Schule in den Beruf. So werden die Praktikumsplätze von den Schülern
meist zufällig gewählt, was wiederum Ausdruck einer nicht sorgfältig durchgeführten Berufsorientierung an den Schulen sei. Vielfach wissen die Schüler gar nicht, welche und wie viele
Unternehmen in der Region ansässig sind. Der regionalwirtschaftliche Bezug sollte daher
sowohl im Wirtschaftsunterricht als auch bei der Berufsorientierung im Vordergrund stehen.
Ausdruck eines starken regionalen Bezuges könnte zum Beispiel eine Reihe von Exkursionen in die Betriebe der Umgebung sein.
- Seite 66 -
3.2.4
Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
In der Diskussion wurde deutlich, dass alle Arbeitsgruppen eine stärkere Einbindung der
Politik in konkrete Umsetzungsprozesse wünschen. Da die Politik die Reformen beschlossen
habe, sollten diese sich auch der Verantwortung stellen, wenn es Schwierigkeiten oder Verzögerungen bei der Umsetzung gibt. In Hinblick auf die Koordination der Berufsorientierung
in der Schule wurde von den Lehrkräften der Wunsch geäußert, dass zentrale Koordinationsstellen eingerichtet werden. Das Fach Wirtschaft sollte dabei als „Ankerfach“ fungieren.
Außerdem wurde die Notwendigkeit von Fortbildungsveranstaltungen betont.
Die Unternehmensvertreter wünschen sich, dass der regionalwirtschaftliche Bezug sowohl
im Wirtschaftsunterricht als auch bei der Berufsorientierung berücksichtigt werden soll. Hierzu wünschen sich einige Lehrkräfte eine stärkere Unterstützung von Unternehmen, z. B. bei
der Einrichtung von Praktikumsbörsen.
3.3
Haupt- und Realschule
Protokollführer/innen: Stephanie Lutze, Martina Raker (Universität Oldenburg/IÖB)
3.3.1
Verlaufsstruktur des Workshops
Der Workshop für die Haupt- und Realschule stand unter dem Thema: „Welche Möglichkeiten bestehen in Bezug auf „Lernen an außerschulischen Lernorten“ und welche Angebote
sind für Schüler notwendig?“. Die Referenten Werner Kähler (Schulleiter der Haupt- und
Realschule Osternburg), Ludger Wester (Projektleiter des Ausbildungspakt, Oldenburgische
IHK) und Michael Koch (Bereichsleiter Qualifizierung und Bereichsleiter Schulpraxis, Institut
für Ökonomische Bildung) beabsichtigten, die Möglichkeiten des Lernens an außerschulischen Lernorten mit den Teilnehmern zu erarbeiten und zu diskutieren. Um die theoretischen Ansätze zum Lernen an außerschulischen Lernorten an einem ausgewählten Beispiel
aus der Praxis zu veranschaulichen, stellte zunächst Herr Kähler das Profil seiner Schule als
best practice Beispiel vor. Die Workshop-Teilnehmer zeigten großes Interesse am vorgestellten Schulprofil der Haupt- und Realschule Osternburg. Es entwickelte sich eine angeregte Frage- und Vertiefungsrunde, so dass direkt im Anschluss die Gruppenarbeitsphase startete, bevor in der abschließenden Feedbackrunde die Teilnehmer sowohl ihre Wünsche als
auch ihre Forderungen zum Thema „Lernen an außerschulischen Lernorten“ äußerten.
- Seite 67 -
3.3.2
Beiträge der Referentinnen und Referenten
Best practice Beispiel Haupt- und Realschule Osternburg – Werner Kähler (Haupt- und
Realschule Osternburg
Herr Kähler begann sein Impulsreferat mit einer Vorstellung des schulischen Profils der
Haupt- und Realschule Osternburg (Oldenburg). Als Schulleiter dieser Schule entwickelte er
zusammen mit Kollegen ein spezielles Profil, welches den Schülern einen besseren Einstieg
in den Beruf ermöglichen soll. Mithilfe der folgenden Grafik verdeutlichte er den Teilnehmern
das Profil seiner Schule (vgl. Abb. 10).
Abb. 10:
Schulisches Profil der Haupt- und Realschule Osternburg
Bei der Erläuterung des Schulprofils stellte Herr Kähler jeweils für die einzelnen Jahrgänge
separat heraus, welche Projekte und Aktivitäten in den jeweiligen Jahrgangsstufen im Vordergrund stehen.
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Im fünften Jahrgang sorgen soziale Trainingseinheiten zur Verbesserung der Teamfähigkeit.
Durch teilweise differenzierte Leistungsangebote werden die Schüler dieses Jahrgangs besonders effektiv gefördert.
In den Jahrgängen fünf bis sieben liegt der Fokus auf der Entwicklung von Lesekompetenz
und dem Aufbau eines Methodenrepertoires mit Fördermaßnahmen. Ab dem achten Jahrgang sind die Schüler dann einen Tag pro Woche nicht in der Schule, sondern sie befinden
sich an „außerschulischen Lernorten“. Hierzu zählen beispielsweise Betriebe, in denen die
Schüler einen Einblick in die Berufswelt bekommen. Ab diesem Schuljahr findet somit systematisch eine Vernetzung mit außerschulischen Akteuren statt. Ab dem neunten Jahrgang
sieht das Schulprofil der HRS Osternburg eine weitere Differenzierung vor. Diese Differenzierung beinhaltet jeweils spezielle Angebote für Real- und Hauptschüler. Schüler der Realschule können sich nun zwischen drei Profil-Schwerpunkten entscheiden:
1. Profilschwerpunkt: Wirtschaft/Verwaltung und EDV
2. Profilschwerpunkt: Technik/Naturwissenschaften und Informatik
3. Profilschwerpunkt: Kernangebot in anderen Fachbereichen.
Bis zur zehnten Klasse erleichtern Projekte in Zusammenarbeit mit der ansässigen Wirtschaft den Übergang in den Beruf. Danach haben die Jugendlichen die Möglichkeit, wahlweise in die Oberstufe an Gymnasien, an Fachgymnasien oder an Fachoberschulen zu
wechseln.
Für Schüler der Hauptschule sieht der Hauptschulzweig der Schule im neunten Schuljahr
einen erhöhten Praktikumsanteil vor, bevor am Ende dieses Schuljahres der Hauptschulabschluss erworben werden kann. In der zehnten Hauptschulklasse erhalten die Jugendlichen
die Chance, eine „Probelehre“ zu beginnen. Diese erstreckt sich über einen Zeitraum von
einem halben Jahr. Während der sechsmonatigen „Probelehre“ in einem Schulhalbjahr sind
die Schüler lediglich einmal pro Woche in der Schule anwesend. Im anderen Schulhalbjahr
steht die Förderung der Allgemeinbildung im Mittelpunkt.
Herr Kähler betonte, dass im neunten Schuljahr nicht die Option bestehe, von der neunten
Klasse Hauptschule in die neunte Klasse Realschule zu wechseln, diese Einteilung findet
unwiderruflich im Vorfeld der neunten Klasse statt. Nach dem erfolgreichen Abschluss des
zehnten Schuljahres erwerben die Schüler den Hauptschulabschluss und erhalten zusätzlich
ein „Kammerzertifikat der IHK“, mit dem sie beispielsweise in die Berufsausbildung an Berufsfachschulen entlassen werden.
- Seite 69 -
Als positives Resultat wurde herausgestellt, dass zahlreiche Schüler von ihren Betrieben der
„Probelehre“ in eine Berufsausbildung übernommen werden. Dieses Ergebnis könnte als
Signal bewertet werden, dass sein Schulprofil erfolgversprechend sei.
Zusammenfassend stellte Herr Kähler fest, dass viele Jahre der Schulentwicklung sowie ein
geschultes und vor allem engagiertes Kollegium benötigt werden, um solch ein Konzept erfolgreich umzusetzen. Erst im Laufe der Jahre hätten sich die passenden Lehrkräfte für eine
solche Umsetzung gefunden.
Wichtig sei, dass Lehrer aller Fächer die Schülergruppen in diesen Projekten betreuen.
Auch außerschulische Kompetenzen dürften nicht unterschätzt werden, da sie in diesem
Rahmen eine große Rolle spielen. Um eine Verbindlichkeit zu erzielen, wird mit den Schülern eine schriftliche Vereinbarung getroffen, die unterzeichnet werden muss; ebenfalls findet
alle sechs Monate ein Qualifizierungsgespräch statt.
Die IHK nimmt im Rahmen der Berufsorientierung an der HRS Osternburg eine zentrale Rolle ein. Sie sucht die Betriebe aus, in denen die Schüler ihre Probelehre und/oder außerschulische Erfahrungen sammeln können. Dennoch ist die Bereitstellung von Betrieben für die
Praxistage vereinzelt problematisch, da häufig zu wenige Betriebe diese Maßnahmen unterstützen. So muss alternativ auf Berufsschulen ausgewichen werden.
Abschließend gab Herr Kähler einen Ausblick zur Berufsorientierung: Zukünftig werden an
der HRS Osternburg von der fünften bis zur siebten Klasse Real- und Hauptschüler gemeinsam nach den neuen Vorgaben, die das Kerncurriculum zur Berufsorientierung vorsieht,
unterrichtet (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2009a).
Im Anschluss an seine Ausführungen leitete Herr Kähler direkt in die Gruppenarbeitsphase
über.
3.3.3
Arbeits- und Diskussionsphase
Die Gruppenarbeitsphase wurde als „Gruppenpuzzle“ organisiert, das bedeutet, dass die
Teilnehmer in gleich große Gruppen aufgeteilt wurden und jede Gruppe gemeinsam die gesamte Aufgabe bearbeitete, jedoch zunächst jedes Gruppenmitglied einen anderen Teilaspekt. Anschließend fügten alle Gruppenmitglieder als Experten ihres Teilgebiets die Ergebnisse zusammen, um diese abzugleichen (vgl. Institut für Ökonomische Bildung gGmbH
2010b) In diesem Workshop orientierten sich die Teilnehmer an den folgenden Fragestellungen:
- Seite 70 -

Welcher Lernort zu welchem Zeitpunkt mit welchem Auftrag?

Welche regionalen Besonderheiten gibt es zu beachten?

Welche Gemeinsamkeiten bzw. schulformspezifische Differenzierungen sind in einer
HRS zu empfehlen?
Aufgabe der Gruppen war es, offene Fragen im Hinblick auf die Gestaltung berufsorientierender Angebote unter Einbeziehung externer Lernorte zu identifizieren. In der Arbeits- und
Diskussionsphase wurden insbesondere folgende Fragen und Probleme herausgestellt:

Vielfach ist es ein Problem, die Stärken und Schwächen der Schüler in Bezug auf ihre
beruflichen Möglichkeiten herauszufinden. Eine individuelle Förderung, um die Interessen und Fähigkeiten der Schüler festzustellen, ist jedoch besonders wichtig. Dies verlangt von den Lehrkräften viel Einfühlungsvermögen, aber auch Raum für individuelle
Gespräche, für die der reguläre Stundenplan oftmals keinen Platz bietet.

Bei Kindern aus sozial schwachen Familien tritt in einigen Fällen das Problem einer
Lese- und Rechtschreibschwäche auf. Vielfach fehlen diesen Schülern diejenigen
Grundfertigkeiten, auf denen die Ausbildungsbetriebe in besonderer Weise Wert legen.
Lehrkräfte müssen kompetenter auf dem Gebiet der „Berufsorientierung“ gemacht werden.
Sie sollten über ein hohes Maß an Eigeninitiative verfügen. Die Motivation der Lehrkräfte, so
sind sich alle einig, ist als eines der größten Probleme zu nennen.
Problematisch sei auch die Vernetzung mit regionalen Betrieben zu sehen. Oft sind einzelne
Regionen durch bestimmte Industriezweige gekennzeichnet. Die Schüler insbesondere für
diese ortsansässigen Betriebe zu begeistern, sei nicht immer einfach. Vor allem die geforderte Initiative, Mädchen die technischen Berufe näher zu bringen, stellt sich häufig als
schwierig heraus. Trotz der Maßnahmen wie der „Mädchen Zukunftstag - Girls Day“, der
mittlerweile das größte Berufsorientierungsprojekt für Schülerinnen ab der fünften Klasse
darstellt und jungen Frauen Ausbildungsberufe und Studiengänge in Technik, IT, Handwerk
und Naturwissenschaften näher bringen möchte, sind Frauen in diesen Berufszweigen immer noch selten vertreten (vgl. Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit
e. V. 2010).
Auch die Vernetzung mit außerschulischen Akteuren, wie mit der Elternschaft und anderen
Kooperationspartnern, beschäftigte die Teilnehmer.
- Seite 71 -
Es herrschte Einigkeit darüber, dass Eltern in den Prozess der Berufsorientierung ihrer Kinder eingebunden werden müssen. Wie und in welchem Umfang diese Einbindung aussehen
soll, darüber konnte jedoch keine Übereinstimmung erzielt werden: von Beratungsgesprächen in Kooperation mit den Eltern bis hin zum „bloßen Unterschreiben“ von „wegweisenden“ Vereinbarungen, die zuvor in Zusammenarbeit von Schülern und Lehrern in ihrem Inhalt ausformuliert wurden – vieles wurde genannt.
Große Einigkeit herrschte hingegen darüber, dass eine gewisse Verbindlichkeit bei den
Maßnahmen unerlässlich ist. Es muss, so die Teilnehmer, verbindlich geregelt sein, wem
welche Aufgabe im Prozess der Berufsorientierung zufällt. Im Hinblick auf die Vorgaben für
die neuen Kerncurricula für die Haupt - und Realschule (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2009a & 2009b) muss Berufsorientierung zudem fächerübergreifend unterrichtet
werden, so dass eindeutige Aufgabenzuweisungen unerlässlich sind.
Insgesamt war zu beobachten, dass die Lehrkräfte in der Gruppenarbeitsphase relativ
schnell und unproblematisch ihre eigenen Fragestellungen und mögliche Probleme identifizierten. Die Teilnehmer äußerten sich positiv über die Auswahl der Methode „Gruppenpuzzle“, da dadurch ein reger Austausch unter den Lehrkräften in unterschiedlichen Gruppenkonstellationen möglich wurde.
3.3.4
Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Die geäußerten Wünsche waren vielfältig und lassen sich den folgenden Aspekten zuordnen:
1. Schüler im Focus/Elternarbeit: Einig waren sich die Lehrkräfte bei dem Wunsch nach
mehr Förderung der Wahlkompetenz der Schüler mit realistischem Blick auf die berufliche Zukunft. Die Schüler sollten im Mittelpunkt der Berufswahldebatten stehen. Den Eltern könnte zwar ein Mitspracherecht eingeräumt werden, sie sollten aber auf die berufliche Zukunft ihrer Kinder keinen zu großen Einfluss ausüben. Die Lehrkräfte äußerten
den Wunsch, dass regelmäßige Infoveranstaltungen, Konferenzen und Gespräche
stattfinden, um den Eltern die Möglichkeit zu geben, sich über den Berufswahlprozess
zu informieren.
2. Vernetzung der Akteure: Bei diesem Aspekt geht es den Teilnehmern vor allem um
die Vernetzung mit wirtschaftlichen Akteuren.
- Seite 72 -
Die Wahl der außerschulischen Lernorte, ebenso wie die verkehrstechnischen Verbindungen zu diesen, stellt in ländlichen Regionen häufig ein Problem dar. Gewünscht
wird zudem eine effektive und langfristige Kooperation mit den außerschulischen Akteuren. Die Kapazitäten in Betrieben und anderen Einrichtungen für die Aufnahme von
Schülern sollte schon im Vorfeld abgeklärt sein, so dass keine Engpässe entstehen und
alle Schüler während der Praxistage auf einen Betrieb/eine Einrichtung zurückgreifen
können. Der Wunsch nach einer Verbindung mit den Industrie- und Handelskammern
wird ebenfalls laut. Die Teilnehmer sind sich einig, dass diese Zusammenarbeit für alle
Beteiligten Vorteile mit sich bringt.
3. Schulentwicklung/Kerncurriculum: Haupt- und Realschulen müssen sich dem Problem der geforderten interkulturellen Öffnung stellen. Gerade diese Schulen verfügen
über einen erhöhten Anteil von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund, mit
möglicherweise nur eingeschränkten Sprach-, Lese- und Schreibkompetenzen. Diese
Kompetenzen sind jedoch für den erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben elementar. Die
Förderung dieser Kompetenzen sollte daher in Zukunft an den Schulen höchste Priorität haben. Zudem müsste das Schulprofil in Bezug auf die Berufsorientierung entsprechend angepasst werden, um den Anforderungen an die neuen curricularen Vorgaben
gerecht zu werden. Möglicherweise sind dafür erhebliche Umstrukturierungsmaßnahmen erforderlich. Da die aktuellen Kerncurricula für Haupt - und Realschulen (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2009a & 2009b) den Praxistagen, Erkundungen und
Projekten an den Haupt- und Realschulen einen größeren Stellenwert beimessen, betonten die Teilnehmer, dass der dadurch mögliche Stundenausfall keine Nachteile für
die Allgemeinbildung der Kinder und Jugendlichen mit sich bringen darf.
4. Personalentwicklung/Fächerintegration: Die Teilnehmer fordern mehr Akzeptanz bei
den Lehrkräften aller Fächer für berufsorientierende Maßnahmen. Es sei wichtig, dass
sich alle Lehrkräfte angesprochen fühlen und in ihren Fächern Schwerpunkte legen, die
den Schülern Hilfestellungen bei ihren Entscheidungen geben. Dazu zählen u. a. auch
das Herausbilden und Fördern von Grundkompetenzen wie der Lese-, Schreib- und
Sprachkompetenz. Das Personal in den Betrieben sollte außerdem für Projekte zur Berufsorientierung durch Lehrgänge geschult werden. Ebenso muss ökonomische Bildung
im Fächerkanon integriert sein, um die Jugendlichen auf das vorzubereiten, womit sie
„draußen“ in der Berufswelt konfrontiert werden.
- Seite 73 -
Insgesamt waren die Wünsche der Teilnehmer vielfältig. Die Teilnehmer schienen sich aufgrund der Tatsache, dass sie sich mit Haupt- und Realschulen befassen, bewusst zu sein,
dass die Anforderungen zur Förderung der Berufsorientierung nicht leicht umzusetzen sind.
Doch gerade weil die beruflichen Aussichten für Haupt- und Realschüler in einigen Bereichen schwierig sind, waren sich die meisten Teilnehmer einig, dass sie jetzt im Zuge einer
besseren und effektiveren Berufsorientierung tätig werden müssen. Denn Kinder und Jugendliche müssten zielgerichteter auf den Einstieg in das Berufsleben vorbereitet werden
und bei ihrer Entscheidungsfindung ausreichend Unterstützung erhalten.
Zudem erscheint es notwendig, dass die Netzwerke zwischen Schule und Berufswelt bereits
frühzeitig gelegt werden. Dabei gilt es vor allem, Betriebe davon zu überzeugen, auch Auszubildende mit einem Hauptschulabschluss eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben.
Dies verlangt ein besonderes Engagement sowie Durchsetzungsvermögen vonseiten der
Lehrkräfte. Letztlich sollte jeder Lehrer bereit sein, diese Aufgabe gerne zu erfüllen. Denn
sein Beruf sei es, jungen Menschen auf ihrem Lebensweg zu unterstützen und mit Rat und
Tat zur Seite zu stehen.
Das Impulsreferat sowie die Arbeits- und Diskussionsrunden haben einerseits viele Probleme und Wünsche, die es zu lösen gilt, hervorgebracht. Andererseits haben die vielfältigen
Diskussionen auch zum Nachdenken angeregt. Nun kommt es darauf an, wie die Akteure
mit diesen Ideen und Eindrücken umgehen und wie sie diese in ihrer Schule umsetzen. Einige Lehrkräfte sind bereits mit gutem Beispiel vorangegangen.
3.4
Integrierte Gesamtschule
Protokollführer/innen: Jens Leiner, Julia von Walcke-Schuldt, Anne Poppe (Universität Oldenburg/IÖB)
3.4.1
Verlaufsstruktur des Workshops
Der Workshop für die Integrierte Gesamtschule beschäftigte sich mit der Frage, wie es laut
Erlassvorgabe gelingen kann, nachhaltige Berufs- und Studienorientierungskonzepte im
Sinne einer Qualitätsentwicklung an der IGS zu erstellen. Anke von der Heide, die als Lehrkraft an der IGS Delmenhorst tätig ist, leitete den Workshop mit den rund 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Nach der Vorstellungsrunde erfolgte zunächst eine knappe Erörterung zur Situation der Be-
- Seite 74 -
rufsorientierung. Dabei wurde insbesondere die aktuelle Erlasslage zur Berufsorientierung
für die Integrierten Gesamtschule (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium, 2004 a)) und
Kooperativen Gesamtschulen (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium, 2004 b)) in den
Mittelpunkt gestellt.
Aufgeteilt nach Sekundarstufe I und II wurden best practice Beispiele an der Tafel gesammelt, wie die Berufsorientierung an der Gesamtschule nachhaltig gelingen kann. Anschließend wurden ausgewählte Beispiele nach Akteuren gruppiert und diskutiert. Als Abschluss
wurden die Wünsche der Teilnehmer zusammengefasst und Forderungen zur Förderung der
Berufsorientierung an den Gesamtschulen formuliert.
3.4.2
Einführung in die Thematik
Frau von der Heide hob zunächst die schulrechtlichen Vorgaben zur Berufsorientierung an
den Integrierten Gesamtschulen hervor. Zur besseren Übersicht hatte sie zentrale Aspekte
aus den schulrechtlichen Vorgaben ausgedruckt und diese für die Teilnehmer an die Pinnwand gehängt, so dass alle Anwesenden diese Richtlinien vor Augen hatten. In Anlehnung
an den Vortrag von Prof. Dr. Schröder vom Vormittag (vgl. 2.5) verwies Anke von der Heide
nochmals auf die Besonderheit der Berufsorientierung an der IGS hinsichtlich der fachlichen
Einbindung. Sie betonte, dass aufgrund der Erlasslage der Berufsorientierung in dieser
Schulform nur wenig Raum zur Verfügung steht. Einschließlich des Schülerbetriebspraktikums sind maximal 25 Tage für berufsorientierende Maßnahmen vorgesehen (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium, 2004a, 2).
3.4.3
Arbeits- und Diskussionsphase
Im praktischen Teil des Workshops bekamen die Teilnehmer den Auftrag, bereits etablierte
Maßnahmen sowie bekannte Kooperationsstellen zur Berufsorientierung auf Moderationskarten zu notieren und getrennt nach den Bereichen Sekundarstufe I und II an der Tafel zu
sortieren. Die meisten Nennungen entfielen auf den Sekundarbereich I. Für den
Sekundarbereich II wurden primär Maßnahmen der Arbeitsagentur sowie das BOGn-Projekt
(vgl. 3.5.2) genannt. Im Anschluss wurden Cluster gebildet und die einzelnen Maßnahmen,
jeweils differenziert nach den verschiedenen Institutionen und Betrieben, vorgestellt.
Die Arbeits- und Diskussionsphase ergab, dass die Agentur für Arbeit viele Maßnahmen zur
- Seite 75 -
Berufsorientierung anbietet, auf welche die Lehrkräfte bei Bedarf zurückgreifen. Die Lehrkräfte werden von der Agentur für Arbeit mit folgenden berufsorientierenden Maßnahmen
unterstützt:

Individuelle Beratung und Unterstützung zum Einstieg in den Beruf sowie Berufseinstiegsbegleitung

Materialien zur Berufsorientierung

Besuch im Berufsinformationszentrum (BiZ)

Individuelle Berufsberatung in der Agentur für Arbeitsvermittlung (Afa)

Individuelle Sprechstundentermine zur Berufsberatung vor Ort in der Schule

Elternveranstaltungen, z. B. Elternabend (als Gesamtforum oder im Klassenverband)

Testverfahren, z. B. Berufswahltest (auch in Klassenform)

Üben von Vorstellungsgesprächen ("Do´s & Don'ts beim Vorstellungsgespräch")

Bewerbungsmappencheck

Informationen für Lehrkräfte

Messebeteiligung (z. B. Job4U-Messe, http://www.job4u-oldenburg.de)

Berufsorientierender Unterricht (im Gesamtforum oder im Klassenverband)

Zudem kooperiert die Agentur für Arbeit mit dem Institut für Ökonomische Bildung im
Projekt BOGn (Projekt zur Förderung der Berufs- und Studienorientierung)
Es wurde deutlich, dass an den Schulen bereits verschiedene Maßnahmen ergriffen werden,
um den Schülern einen Einblick in den Berufsalltag zu ermöglichen und sie bei ihrem Berufsorientierungsprozess zu unterstützen. Ausgewählte Beispiele, die auf den Moderationskarten notiert und anschließend diskutiert wurden, werden nachstehend aufgeführt:

Projekte Wahlpflichtkurs I (Metall) für besonders interessierte Schüler (in enger Zusammenarbeit mit einer Metallbaufirma)

Kooperation mit den Firmen IKEA, Relius und der Volksbank

Unternehmensplanspiel Management Information Game (MIG), bei dem die Schüler mit
den vielfältigen und zum Teil komplexen Wechselwirkungen zwischen Einzelunternehmen und Gesamtwirtschaft vertraut gemacht werden (vgl. Arbeitgeberverband Oldenburg e. V. 2010)

Bewerbungstraining bei verschiedenen Firmen in der Jahrgangsstufe 10 sowie Vorbereitung auf Assessment-Center ( z. B. bei der AOK und den örtlichen Banken)

Betriebserkundungswoche in der Jahrgangsstufe 8
- Seite 76 -

Betriebspraktika in Jahrgangsstufe 8 und/oder 9 in Verbindung mit Praktikumsbericht
und Berufsberatung

Praxistage für Lehrkräfte in den Unternehmen

Mitwirkung
im
regionalen
Qualifizierungsnetzwerk
der
Maritimen
Wirtschaft
(www.qualimare.de) (vgl. Wirtschaftsförderung Wesermarsch )

Aktive Nutzung des Ausbildungsportals Wesermarsch (www.kiekste.de), mit Arbeitgeberprofilen und der Möglichkeit zur Suche nach freien Ausbildungsplätzen (vgl. Wirtschaftsförderung Wesermarsch )

Projekt „Betriebe in Schulen“ (vgl. BEA 2010 b), Projekt „JOBSTARTER“ (vgl. BiBB
2010) sowie Jobstream Wesermarsch (vgl. BEA 2010 a)

Azubi-Tag in Jahrgangsstufe 9
Außerdem wurde oftmals auf die inhaltliche und organisatorische Abstimmung der Aktivitäten mit den Unternehmen hingewiesen. Die im Workshop vertretenden Schulen informieren
die kooperierenden Betriebe über die Ziele, Inhalte und die Organisation einschließlich der
Vor- und Nachbereitung ihrer berufsorientierenden Maßnahmen. Zudem, stimmten sie mit
den Unternehmen die Praktika ab.
Ebenfalls wurde auf die Zusammenarbeit mit Hochschulen verwiesen, um die Studienorientierung zu fördern:

Hochschulinformationstage: Schüler besuchen eine Hochschule und erhalten Informationen über Studiengänge und -fächer sowie Sonderveranstaltungen zu fächerübergreifenden Themen, wie Bewerbungsverfahren und Studienfinanzierung

Studientage: den Schülern des 11. und 12. Jahrgangs wird der Aufbau der Studiengänge erläutert, sie nehmen an einer Vorlesung teil und kommen mit Studierenden ins Gespräch.
Angebote der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer wurden ebenfalls angeführt:

Präsenz mit speziellen Angeboten für die Sek. I und Sek. II auf der Job4u-Messe

einwöchige Berufsorientierungswoche in der Handwerkskammer
Die Teilnehmer des Workshops führten die folgenden Kooperationen mit den berufsbilden-
- Seite 77 -
den Schulen an:

Schnuppertage an der BBS, um u. a. Berufsbilder kennen zu lernen

Teilnahme am Zukunftstag für Mädchen und Jungen, um geschlechteruntypische
Berufe kennen zu lernen

3 Tage Berufskunde plus Betriebserkundungen
Kooperationen mit freien Trägern wurden ebenfalls angeführt. Dabei geht es primär um
Hauptschüler mit Abschlussgefährdung.
Über die genannten Kooperationen hinaus wurden zahlreiche Aktivitäten genannt, die von
den Integrierten Gesamtschulen in Eigenregie durchgeführt werden:

Gründung einer Schülerfirma bzw. einer Schülergenossenschaft

Bewerbungsseminare

dreitägiges Berufs- und Lebensplanungsseminar in Jahrgang 8 (in geschlechtsspezifischen Gruppen)

Unterrichtsreife Hafenwirtschaft (Jahrgang 8, 1. Halbjahr) (unter Verwendung der entsprechenden Materialien des IÖB)

Langzeitaufgabe: Recherche zu einem Beruf

„Interessen finden = Fähigkeiten finden = Fertigkeiten entwickeln“ (8. Jahrgang)

zwei Praxistage im Jahrgang 5:
o
Baustein zur Vorbereitung Gemeinschaftslehre
o
Wenn ich groß bin, werde ich… mein Traumberuf

Praktikumspräsentation für Folgejahrgang

Praxisorientierter Unterricht
Zusammenfassend wurde im Plenum festgestellt, dass zahlreiche Maßnahmen und Aktivitäten zur Förderung der Berufs- und Studienorientierung existieren. Dabei werden auch die
regionalen Begebenheiten und Kooperationsmöglichkeiten berücksichtigt, wie es auch die
Erlasslage vorsieht.
Kritisch wurde jedoch angemerkt, dass die einzelnen Berufsorientierungsmaßnahmen eher
isoliert und unsystematisch in den Unterricht eingebunden werden. Außerdem wurde deutlich, dass Absprachen im Kollegium nicht oder nur selten stattfinden. Daher konnten im
Rahmen des Workshops umfassende jahrgangs- und fächerübergreifende Konzepte kaum
thematisiert werden, da sie in der Realität selten praktiziert werden.
- Seite 78 -
3.4.4
Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Die Lehrkräfte waren sich einig, dass der Berufsorientierung in den Erlassen für die Integrierte Gesamtschule ein größerer Stellenwert eingeräumt werden sollte.
Zentral war für die Lehrkräfte der Wunsch nach Konzepten für eine fächer- und jahrgangsübergreifenden Vorgehensweise sowie zum Aufbau von systematisch angelegten Netzwerken mit den Kooperationspartnern. Außerdem wurde angeregt, an den Schulen eine zentrale
Stelle für die Koordination der Berufsorientierung inklusive der Praktika einzurichten, um
sowohl die Lehrkräfte als auch die Schüler bei diesem Prozess zu entlasten.
Darüber hinaus wurden Fortbildungsmaßnahmen für die mit der Berufsorientierung befassten Personen in den Schulen und kooperierenden Einrichtungen gefordert.
3.5
Gymnasium
Protokollführer/innen: Karin Krzatala, Martina Raker (Universität Oldenburg/IÖB)
3.5.1
Teilnehmende und Verlaufsstruktur
Der Workshop zur Berufs- und Studienorientierung am Gymnasium wurde von Prof. Dr.
Rudolf Schröder (Stiftungsprofessor für Berufsorientierung am Institut für Ökonomische Bildung Oldenburg) moderiert. Zudem leisteten die Referentinnen und Referenten Margrit
Ladenthin, (Studienberaterin der Zentralen Studienberatung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), Gisbert Koch (Lehrer und schulischer BOGn-Koordinator am Gymnasium
Cäcilienschule Oldenburg), Dr. Lena Limanova (Dozentin an der Staatsuniversität Novosibirsk), Karl-Heinz Finger (Berater für akademische Berufe in der Agentur für Arbeit Oldenburg) und Barbara Dananic (Angestellte im Personalwesen der VIEROL AG) einen Beitrag
zum Thema der Berufs- und Studienorientierung an Gymnasien.
In dem Workshop wurde insbesondere der Frage nachgegangen, wie die Berufs- und Studienorientierung systematisch in den Gymnasien verankert werden kann. Einleitend erörterte
Herr Prof. Schröder die Notwendigkeit. Anschließend stellten die Referenten ihre Eindrücke
und Erfahrungen zum Thema Berufs- und Studienorientierung exemplarisch dar.
Aufgrund der Tätigkeitsfelder der Referenten konnten unterschiedliche Perspektiven beleuchtet werden.
- Seite 79 -
Im Anschluss stellte Herr Prof. Schröder das Projekt BOGn (Berufsorientierung an allgemeinbildenden Gymnasien) vor und verdeutlichte in diesem Rahmen zentrale Aspekte eines
Konzepts zur Förderung der Berufs- und Studienorientierung in der gymnasialen Oberstufe.
In der anschließenden Arbeits- und Diskussionsphase wurde thematisiert, wie die konkrete
Umsetzung der Integration des BOGn Projektes in ein bestehendes Schulkonzept erfolgen
kann.
3.5.2
a)
Beiträge der Referentinnen und Referenten
Berufs- und Studienorientierung an Gymnasien – Prof. Dr. Rudolf Schröder
(IÖB)
Zu Beginn des Workshops verwies Herr Prof. Schröder auf die aktuelle Situation der Berufsund Studienorientierung von Abiturientinnen und Abiturienten.
Die Berufsorientierung ist in Abhängigkeit von der Schulform differenziert zu betrachten und
zu fördern. So liegt der Schwerpunkt der Berufsorientierung nach Ansicht von Herrn Prof.
Schröder darin, die Selbstständigkeit der Schüler im Berufsorientierungsprozess zu fördern.
Gymnasiasten haben bei ihrer Berufswahlentscheidung die „Qual der Wahl“. Sie können
zwischen einem Studium an einer Universität, an einer Fachhochschule oder über ein duales
Studium an einer Fachhochschule/Berufsakademie in Verbindung mit Praxisanteilen im Betrieb wählen. Zudem besteht die Möglichkeit, eine Ausbildung zu absolvieren oder eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst als duale Ausbildung oder als Studium aufzunehmen. Darüber
hinaus werden zunächst oftmals die zahlreichen Überbrückungsmöglichkeiten in Anspruch
genommen, um die Zeit zwischen Schulabschluss und Ausbildungs- oder Studienbeginn
sinnvoll zu nutzen (vgl. Abb. 11).
- Seite 80 -
Abb. 11:
Wege nach dem Abitur
Herr Prof. Schröder stellte mit Bezug auf seinen Vortrag (vgl. Kapitel 2.5) noch einmal heraus, dass in Niedersachsen, wie auch in den meisten anderen Bundesländern in den Gymnasien eine Diskrepanz zwischen den Wahlmöglichkeiten der Schüler einerseits und dem
Zeitkontingent zur Berufs- und Studienorientierung anderseits besteht.
b)
Unterstützung der Zentralen Studienberatung im Orientierungsprozess von
Gymnasiasten – Margrit Ladenthin (ZSB Oldenburg)
Frau Ladenthin von der Zentralen Studienberatung (ZSB) der Carl von Ossietzky Universität
Oldenburg stellte in ihrem Vortrag die Angebote zur Studienorientierung der Universität vor:

Die zentrale Studienberatung organisiert Studieninformationstage an der Hochschule.
Außerdem können die Studienberater und -beraterinnen zu Informationsveranstaltungen an einzelnen Schulen eingeladen werden.

Interessierte Schüler können ein Schnupperstudium an der Universität Oldenburg
absolvieren und sich individuell beraten lassen.
- Seite 81 -

Das Angebot des SchulPortals für Lehrer erstreckt sich über Lehrerinfotage und
Schulmanagement-Tagungen.

Für Eltern besteht u. a. die Möglichkeit, im Rahmen des ElternCampus Kurzvorlesungen zu besuchen und sich auf dem Aktionsmarkt über verschiedene Studienmöglichkeiten zu informieren.

Die zahlreichen Beratungs-, Informations- und Orientierungsangebote zur Berufsund Studienwahlorientierung für Schüler, Lehrer und Eltern sind in dem universitätseigenen SchulPortal (http://www.studium.uni-oldenburg.de/44264.html) übersichtlich
dargestellt. Darüber hinaus gibt es Kontaktadressen und weiterführende Internetlinks
zum Beispiel zu Online-Tests als Entscheidungshilfe für eine geeignete Studienwahl.
Ferner wies Frau Ladenthin darauf hin, dass auch die Fakultäten der Universität Oldenburg
zahlreiche Angebote für die jeweiligen Studienangebote organisieren, die mit den Angeboten
der Zentralen Studienberatung abgestimmt werden.
Die Zukunftsaufgaben der Zentralen Studienberatung sieht Frau Ladenthin vor allem darin,
dass das Angebot für Studieninteressierte weiter verstärkt, systematisiert und optimiert wird.
Außerdem müssen die Schnittstellen zwischen Schule und Universität lokalisiert werden. Sie
betonte ausdrücklich, dass die zentrale Studienberatung nicht zwangsläufig zu einem Studium rät. Vielmehr arbeite die Studienberatung neutral und berücksichtige in jedem Fall die
Wünsche und Kompetenzen der zu Beratenden. Die Beratung liefere einen generellen Beitrag zur Entscheidungsfindung für die Studien- oder Berufswahl.
c)
Studien- und Berufsorientierung in Russland/Novosibirsk – Dr. Lena Limanova
(Staatsuniversität Novosibirsk)
Frau Dr. Limanova gab zunächst einen generellen Überblick zur Situation der Studien- und
Berufsorientierung in Russland/Novosibirsk. Sie berichtete, dass es bis zum Jahr 1992 sogenannte Zentren für Berufsbildung gab. Nachdem diese geschlossen wurden, gab es bis
zum Jahr 2008 keinerlei Maßnahmen zur Berufsorientierung.
Anschließend äußerte sich Frau Dr. Limanova zur Integration der Berufsorientierung an russischen Schulen und nahm ebenfalls Bezug auf den Fächerkanon. So wird das Fach „Berufliche Karriere“ fakultativ in den Jahrgängen elf und zwölf in den Schulen angeboten.
- Seite 82 -
Die Schüler in Russland können sich, ähnlich wie in Deutschland, nach der Schule zwischen
einer Ausbildung und einem Studium entscheiden. Bislang regelten die Hochschulen den
Zugang von Studierenden durch Aufnahmeprüfungen, auf die sich die Studierenden intensiv
vorbereiten mussten; hierdurch war zugleich die Studienmotivation gesichert. Im letzten
Schuljahr wurden einheitliche staatliche Prüfungen am Ende des letzten Schuljahres (die
entfernt mit dem deutschen Zentralabitur vergleichbar sind) eingeführt und die Aufnahmeprüfungen der Hochschulen abgeschafft. Entscheidend ist nun allein die Note der Schulendprüfung. Frau Dr. Limanova merkte kritisch an, dass die Schüler durch den Wegfall der Aufnahmeprüfung weniger auf das Studium vorbereitet wären und die Leistung sowie die Motivation gesunken sind. Ein weiteres Problem sieht sie darin, dass die Schüler sich an vielen
Hochschulen bewerben. So bewarb sich im Jahr 2009 beispielsweise ein Schüler an 30
Hochschulen. Ähnlich wie in Deutschland stellen die Mehrfachbewerbungen die Hochschulen vor enorme Planungsprobleme. Weiter berichtete Frau Dr. Limanova, dass eine große
Mehrheit der gymnasialen Schulabsolventen ein Studium an einer Hochschule einer Ausbildung vorziehen. Zudem ist bereits der demografische Wandel zu spüren, so dass die Zahl
der Studienanfänger sinkt.
Für die Zukunft empfindet es Frau Dr. Limanova als zwingend notwendig, die Berufs- und
Studienorientierung zu verbessern und das Bewerbungsverfahren für ein Studium zu
optimieren.
e)
Berufs- und Studienorientierung der Agentur für Arbeit – Karl-Heinz Finger
(Arbeitsagentur Oldenburg)
Herr Finger leitete seinen Vortrag mit einem Überblick über die Aktivitäten ein, mit denen die
Agentur für Arbeit die Studien- und Berufsorientierung unterstützt. Dabei betonte er, dass
der Agentur für Arbeit für die Berufsberatung in den Jahrgängen elf und zwölf lediglich vier
Stunden zur Verfügung stehen. Aufgrund der begrenzten Stundenzahl geht er für insgesamt
zwei Stunden in die Schulklassen, um die zentralen Informationen zur Berufs- und Studienwahl zu vermitteln. In den übrigen zwei Stunden kommen die Schüler in das Berufsinformationszentrum (BIZ) der Agentur für Arbeit.
Herr Finger stellte heraus, dass die beruflichen Möglichkeiten aufgezeigt werden, die mit und
ohne Abitur eingeschlagen werden können. Bedeutsam ist außerdem, dass auf die individuellen Wünsche der Schüler eingegangen werde. Deswegen werden auf Nachfrage auch persönliche Beratungstermine mit den Schülern vereinbart.
- Seite 83 -
Eine themenspezifische Berufsorientierung ist ebenfalls möglich. Dies geschieht in Absprache mit den Schulen, wenn beispielsweise spezifische Informationen über Berufe verlangt
würden. Aus seiner Erfahrung heraus berichtete Herr Finger, dass die Schüler vor dem Betriebspraktikum in der Klasse zehn lediglich über wenige Informationen zur Studien- und
Berufsorientierung verfügen würden. In Klasse elf seien jedoch bereits konkretere Vorstellungen über Berufe und entsprechende Fragestellungen vorhanden, was positiv zu bewerten
ist.
e)
Berufs-
und
Studienorientierung
aus
Sicht
eines
Unternehmens
–
Barbara Dananic (VIEROL AG)
Frau Dananic stellte zunächst die VIEROL AG vor. Die VIEROL AG als international tätiger
Automobilzulieferer bietet Ausbildungsmöglichkeiten in sechs verschiedenen Ausbildungsberufen an. Das Unternehmen bewirbt die Ausbildungsmöglichkeiten aktiv, zum Beispiel im
Rahmen von Vorträgen an Schulen oder Bewerbungstrainings. Des Weiteren bietet das Unternehmen die Möglichkeit, ein Praktikum zu absolvieren oder eine Erkundung durchzuführen. Frau Dananic betonte, dass die VIEROL AG auch das Projekt BOGn unterstützt, welches Herr Prof. Schröder im weiteren Verlauf des Workshops vorstellte (vgl. f)).
Anschließend berichtete Frau Dananic über die Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern. Hierbei werde vorrangig auf die Schulnoten sowie auf die Auseinandersetzung des
Bewerbers mit dem Unternehmen geachtet. Das Unternehmen sortiere eine hohe Anzahl der
Bewerbungsanschreiben direkt aus (ca. 60 %), wobei zahlreiche Bewerbungen bereits durch
schlechte Rechtschreibung negativ auffallen.
Bereits beim Einstellungstest werden oftmals Defizite im mathematischen Bereich (z. B.
Dreisatz) oder Allgemeinbildung festgestellt. Beispielsweise könne oftmals – auch von Gymnasiasten - der Namen des niedersächsischen Ministerpräsidenten nicht genannt werden.
Frau Dananic wies auch darauf hin, dass sich einige Bewerber nicht intensiv genug mit dem
Berufsbild des gewünschten Ausbildungsberufes auseinandersetzen würden. Antworten wie:
„Ich möchte gerne im Büro arbeiten“ und „Ich telefoniere gerne“ sind nach ihrer Erfahrung
keine Seltenheit. Aber auch die Sozialkompetenz ist für die Vierol AG von hoher Bedeutung
und so berichtete Frau Dananic von einem Bewerber, der zwar im Einstellungstest weniger
gut abschnitt, aber aufgrund seiner Teamfähigkeit trotzdem einen Ausbildungsplatzangebot
erhielt. Insgesamt ist die Quote von Ausbildungsabbrüchen in der Vierol AG sehr gering.
- Seite 84 -
f)
Projekt BOGn: Förderung der Berufsorientierung an Gymnasien – Herr Prof. Dr.
Rudolf Schröder (IÖB)
Im Fokus des Vortrags von Herrn Prof. Schröder stand das Pilotprojekt BOGn (Förderung
der BerufsOrientierung an allgemeinbildenden Gymnasien). An dem Anfang 2009 gestarteten Pilotprojekt nehmen die sechs Oldenburger Stadtgymnasien und zwei Integrierten Gesamtschulen teil. Das Projekt BOGn wird zu 50 % von der Agentur für Arbeit Oldenburg finanziert. Das Institut für Ökonomische Bildung (IÖB) ist ein An-Institut der Carl von
Ossietzky Universität Oldenburg und übernimmt in enger Zusammenarbeit mit dem universitären Institut für Ökonomische Bildung (IfÖB) die Durchführung der Maßnahme. Zugleich
besteht eine enge Kooperation mit den Akademischen Beraterinnen und Beratern der Arbeitsagentur Oldenburg. Einerseits bringen sich die Akademischen Berater sowie die Beauftrage für Gleichstellung im Beruf aktiv in den Präsenzveranstaltungen ein, andererseits werden die Präsenzveranstaltungen und die Beratungsangebote terminlich aufeinander abgestimmt.
Das BOGn-Konzept setzt zu Beginn der gymnasialen Oberstufe an, kann aber auch schon
vorher gestartet werden. Durch ein Set von aufeinander abgestimmten Instrumenten wird die
Berufs- und Studienorientierung der Schüler über ein Schul- oder Kalenderjahr in den Jahrgangsstufen zehn und ggf. elf unterstützt. Insgesamt werden während der Projektlaufzeit
2009 bis 2010 1.600 Schüler erreicht.
Durch BOGn sollen die Schüler einen Überblick über Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten in verschiedenen Berufsfeldern erhalten; eine Vertiefung erfolgt durch vereinbarte Berufserkundungen in zahlreichen Unternehmen. Die erweiterte vertiefte Berufsorientierung (so
der Terminus in den Förderrichtlinien der Agentur für Arbeit) umfasst neben der Berufs- auch
die Studienorientierung. Dabei werden unterschiedliche Interessen der Schüler und vorhandene Strukturen und Programme in den Schulen berücksichtigt. Durch BOGn sollen die Jugendlichen aber nicht nur über die vielfältigen Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten in
unterschiedlichen Berufsfeldern informiert, sondern auch hinsichtlich einer möglichst selbst
gesteuerten Berufs- und Studienwahl gefördert werden. Dies betrifft beispielsweise die
Selbsteinschätzung und Zielfindung sowie die Informations-, Entscheidungs- und Zeitmanagementkompetenz.
- Seite 85 -
Die Umsetzung der genannten Ansprüche erfolgt mit einem Portfolio von Instrumenten, die
auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen (vgl. Abb. 13) und zugleich eine enge Zusammenarbeit mit den Lehrkräften, Eltern, Akademischen Beraterinnen und Beratern, Unternehmen,
Kammern und anderen lokalen Akteuren implizieren.

Damit sich die Jugendlichen ihrer beruflichen Interessen und Neigungen bewusst werden, werden zwei Berufsorientierungs- und Kompetenztests durchgeführt:
o
Der geva-Test erfasst u. a. mathematisches und schlussfolgerndes Denken,
sprachliche Gewandtheit, räumliche Orientierung, Konzentrationsleistungen
sowie berufliche Interessen. Neben den entsprechenden Ergebnissen erhalten die Schüler konkrete Empfehlungen zu geeigneten Ausbildungsberufen
und Studiengängen.
o
Eine vertiefte Erfassung persönlichkeitsbezogener Kompetenzen erfolgt durch
die KODE®S-Analyse, die in Kooperation mit der Industrie- und Handelskammer zu Oldenburg durchgeführt wird.

Die Präsenzveranstaltungen finden primär in den Schulklassen statt. Pro Klasse und
Jahr werden drei eintägige Präsenzveranstaltungen angesetzt, die im Frühling, Sommer und Herbst durchgeführt werden. Die Veranstaltungen werden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beiden Institute für Ökonomische Bildung unter Einbeziehung der Akademischen Beraterinnen und Berater der Arbeitsagentur durchgeführt.

Zu Beginn eines jeden Jahres werden in jeder Schule an einem Abend die Eltern über
das Projekt und ihre Möglichkeiten zur Unterstützung ihrer Kinder informiert. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Datenschutz im Zusammenhang mit den Berufsorientierungs- und Kompetenztests.

Die Praxiskontakte werden primär als Berufserkundungen in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen organisiert. Personalverantwortliche informieren die Schüler über
Berufsbilder, Ausbildungsmöglichkeiten, Karriereperspektiven, Einstellungsvoraussetzungen u. a. m. Dabei können die Schüler zwischen verschiedenen Angeboten wählen.
Die Zusammenstellung des Angebots wird vom wigy e. V., dem zahlreiche regionale
Unternehmen angehören, unterstützt.

Mit Blick auf die Unterstützung der individuellen Prozesse ist von zentraler Bedeutung,
dass auch zwischen den Präsenzveranstaltungen und Berufserkundungen die Unterstützung der Jugendlichen und die Kommunikation der Beteiligten gesichert wird.
- Seite 86 -

Hierbei kommt dem Berufsorientierungsportal eine wichtige Bedeutung zu, welches
mit personalisierten Zugangsdaten von den Akteuren der Institute für Ökonomische Bildung, Schülern, Lehrkräften und Akademischen Beratern der AA genutzt wird.

Über das Berufsorientierungsportal können die Selbstlernbausteine aufgerufen werden. Zentrale Inhalte der Präsenztage sind multimedial und interaktiv aufbereitet und
können zur individuellen Vertiefung genutzt werden.

Die individuelle Berufs- und Studienberatung wird von Akademischen Beratern
wahrgenommen und mit den Präsenzveranstaltungen zeitlich verknüpft. Mit Blick auf
geva, KODE®S und organisatorische Fragen erfolgt zusätzlich eine individuelle Beratung durch das IÖB und IfÖB.
Abb. 12:
Die BOGn-Instrumente im Überblick
Herr Prof. Schröder wies auf die enge Zusammenarbeit zwischen dem IÖB/IfÖB, der Agentur für Arbeit sowie den Schulen hin. Außerdem wird den Eltern eine große Bedeutung beigemessen, weshalb in jeder Schule ein Elterninformationsabend durchgeführt wird.
- Seite 87 -
Da sich das Projekt BOGn zurzeit noch in einer Pilotphase befindet, liegen noch keine aussagekräftigen Evaluationsergebnisse vor. Jedoch seien die bisherigen Feedbacks sowie die
Rückmeldungen seitens der Schüler und der Lehrer durchaus positiv zu bewerten. Diese
Feedbacks würden auch zur Weiterentwicklung des Projekts genutzt werden, um Maßnahmen zur Verstetigung und zum Transfer von BOGn zu ermöglichen. Über die Zukunft und
Ausdehnung des BOGn Projekts berichtete Herr Prof. Schröder abschließend, dass das Projekt zwar bislang nur in Oldenburg durchgeführt wird, jedoch eine Ausweitung des Konzepts
auf weitere Orte und auch auf andere Bundesländer angestrebt werde.
g)
Projekt BOGn am Gymnasium Cäcilienschule Oldenburg – Gisbert Koch (Gymnasium Cäcilienschule Oldenburg)
Herr Koch koordiniert die BOGn-Aktivitäten an der Cäcilienschule und berichtete über seine
Erfahrungen. BOGn wird an der Cäcilienschule aufgrund der neuen Organisation der gymnasialen Oberstufe (G8) in den Jahrgängen zehn und elf angeboten. Seit Beginn des laufenden Schuljahres wird das Projekt in Klasse zehn durchgeführt. In dieser Jahrgangsstufe, so
Herr Koch, gehen die Schüler in das Betriebspraktikum und benötigen hierfür eine erste berufliche Orientierung, die durch das Projekt gewährleistet wird. Daher sei dieses Projekt in
der zehnten Jahrgangsstufe richtig platziert.
Der Start von BOGn war am Anfang mit einigen Problemen verbunden, beispielsweise weil
die Präsenztage zu lang bemessen waren. Durch die schnelle Modifikation des BOGnKonzepts ist die Resonanz bei den Schülern als auch bei den Lehrkräften sehr positiv. Außerdem wurde die Intensivierung der Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit betont.
3.5.3
Arbeits- und Diskussionsphase
Die anschließende Diskussion bezog sich insbesondere auf die Verstetigung des BOGnKonzepts in den Projektschulen und den Transfer in andere Gymnasien.
In der Diskussion wurde von den Lehrkräften auf das Problem der Zeitknappheit, die durch
das Abitur in zwölf Jahren verstärkt wird, hingewiesen. Es herrschte Einigkeit, zentrale Inhalte der BOGn-Präsenztage in den Fachunterricht, insbesondere in das Fach PolitikWirtschaft, zu integrieren. Allerdings wurde von Lehrkräften eingeschränkt, dass die eigene
Qualifikation hierfür nicht unbedingt sichergestellt ist.
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Ein Vertreter der Bundeswehr äußerte außerdem den Wunsch, dass die Bundeswehr als
möglicher Arbeitgeber von den Lehrkräften mehr bedacht werden sollte. Außerdem können
an den Bundeswehrhochschulen zahlreiche Studienrichtungen studiert werden.
3.5.4
Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
In dem Workshop wurde insbesondere die Diskrepanz zwischen der Notwendigkeit zur Berufs- und Studienorientierung einerseits und den Möglichkeiten an den Gymnasien anderseits deutlich. Die Lehrkräfte wünschen sich mehr Unterstützung bei der Entwicklung und
Umsetzung von Konzepten zur Förderung der Berufs- und Studienorientierung an ihrer
Schule. Das BOGn-Konzept wurde hierfür als effektiv angesehen.
Eine zentrale Herausforderung stellt die benötigte Zeit vor dem Hintergrund der gekürzten
Schulzeit dar. Unter den jetzigen Bedingungen ist eine Ausdehnung der Berufs- und Studienorientierung mit einer Mehrarbeit verbunden, die durch Entlastungsstunden nur sehr bedingt kompensiert wird.
Die Teilnehmer äußerten generell den Wunsch, dass das Thema Berufsorientierung in den
Stundendeputaten der Schulen größere Berücksichtigung finden sollte. Zugleich wurden von
den Lehrkräfte Weiterbildungsmöglichkeiten gefordert.
- Seite 89 -
3.6
Berufsbildende Schulen
Protokollführer/innen: Christian Lünnemann, Anne Poppe (Universität Oldenburg/IÖB)
3.6.1
Verlaufsstruktur des Workshops
Dr. Thomas Hildebrandt (Geschäftsführer der IHK Oldenburg), Artur Post (Oberstudiendirektor der BBS Wesermarsch) und Dr. Oliver Kamin (IÖB) führten durch den Workshop mit 51
Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Ziel des Workshops war die Erarbeitung und Weiterentwicklung von Modellen zur Förderung der Kooperation zwischen allgemeinbildenden und
berufsbildenden Schulen.
Herr Post stellte als Best Practice Beispiel das Konzept zur Berufsorientierung und – Vorbereitung der berufsbildenden Schulen im Landkreis Wesermarsch vor. Ergänzend wurden als
weiteres Best Practice Beispiel berufsbildende Schulen in der Region Salzgitter angeführt,
welche mehrere Projekte zur Berufsorientierung ins Leben gerufen haben.
Im Anschluss an den Vortrag entstand im Plenum eine rege Diskussion mit dem Schwerpunkt der „systematischen Berufsorientierung“. Als eines der zentralen Ergebnisse wurde
festgestellt, dass es verbindliche Standards für die Kooperation von berufsbildenden und
allgemeinbildenden Schulen geben sollte. Nach Möglichkeit sollten beide Schulzweige durch
die Landesschulbehörde in Bezug auf die systematische Berufsorientierung zur Kooperation
verpflichtet werden.
3.6.2
Vorstellung der Berufsorientierung an den berufsbildenden Schulen für den
Landkreis Wesermarsch
Herr Post stellte als Best Practise Beispiel das Konzept des Landkreis Wesermarsch vor.
Das Konzept zeichnet sich durch unterschiedliche Projekten und Aktivitäten aus, die aufeinander abgestimmt sind.
a) Bildungsnetzwerk Wesermarsch (Bine) und Interneportal kiekste.de
Das Bildungsnetzwerk Wesermarsch (Bine) und das Internetportal kiekste.de sind zentrale
Säulen der Berufsorientierung in der Region Wesermarsch.
- Seite 90 -
„Das Bildungsnetzwerk Bine ist ein freiwilliger Verbund aus aktuell über 80 Mitgliedern, die
sich zusammengeschlossen haben, um durch Zusammenarbeit und Kooperation Jugendlichen im Landkreis Wesermarsch den Übergang von der Schule in den Beruf zu erleichtern“
(vgl. Leitstelle Bildungsnetzwerk Wesermarsch 2010).
Sämtliche berufsbildenden und die meisten allgemeinbildenden Schulen des Landkreis Wesermarsch sind Mitglied in diesem freiwilligen Verbund. Hinzu kommen Wirtschaftsunternehmen, Kammern, die Agentur für Arbeit sowie Behörden der Region.
In der nachstehenden Abbildung wird die Organisationsstruktur von Bine (vgl. Abb. 13) dargestellt. Neben der Vollversammlung und dem Vorstand gibt es fest installierte Arbeitskreise,
z. B. für „Schülerfirmen“ oder „Arbeits- und Wirtschaftslehre“. In der Leitstelle des Bildungsnetzwerkes werden u. a. der Arbeitskreis gegen „(Schul-)Schwänzen“, Lehrerfortbildungen,
Konfliktmanagement an den Schulen und Sozialtraining an den Schulen organisiert.
Abb. 13:
Bildungsnetzwerk Bine - Organisationsstruktur (Stand 2009)
Über das Bildungsnetzwerk Wesermarsch werden auch die berufsorientierenden Schulprojekte der berufsbildenden Schulen, die sich an die zu führenden Schulen wenden, organisiert. In diesem Rahmen wurde insbesondere thematisiert:
- Seite 91 -

Vier Tage Schnupperpraktikum für alle Schüler der Abgangsklassen in einem Berufsfeld ihrer Wahl.

1,5 Tage Berufsfindungsmesse mit ca. 70 - 80 Betrieben der Region (ausgerichtet von
der Berufsbildenden Schule Wesermarsch).

„Unterrichtskarussell“ mit den Schulzentren Elsfleth und Berne. Hierbei besuchen die
Schüler der Hauptschulen an einem Tag in der Woche, insgesamt sieben Wochen lang,
die berufsbildenden Schulen. In dieser Zeit lernen sie fünf verschiedene Berufsfelder
aus verschiedenen Bereichen kennen, wie etwa „Holz“, Metall“ und „Soziales“.

Geplantes Unterrichtskarussell mit der Zinsendorfschule (Lehreraustausch).

Tagesseminare für Bewerbungstrainings.

Kontrolle und Prämierung freiwillig eingereichter Bewerbungsmappen.

Organisation von berufsorientierenden Projekten in den allgemeinbildenden Schulen
mit Lehrern der berufsbildenden Schulen für den Landkreis Wesermarsch.

Trainingsangebote
für
Schüler
und
Schulklassen
im
Bereich
Sozialverhal-
ten/Konfliktmanagement.

Kursangebote bzgl. der Kleidung und des Auftretens im Bewerbungsgespräch.

Kompetenztraining/Kompetenzfeststellung mit der Real- und Hauptschule „Am Luisenhof“.
Es wurde hervorgehoben, dass alle genannten Projekte nur unter der Voraussetzung durchgeführt werden können, dass ein Austausch von Lehrkräften stattfindet. Dabei unterrichten
Lehrkräfte der allgemeinbildenden Schulen auch an den berufsbildenden Schulen. Diese
Kooperation beruht derzeit auf bilateralen und freiwilligen Absprachen.
b) www.kiekste.de - Das Ausbildungsportal Wesermarsch
Bei kiekste.de (vgl. Wirtschaftsförderung Wesermarsch. GmbH, 2010 b) handelt es sich um
ein kostenloses Internetportal mit dem Ziel der Vermittlung von Ausbildungsplätzen in der
Region Wesermarsch.
Die Schülerinnen und Schüler erhalten einen Überblick über angebotene Ausbildungsberufe
in der genannten Region. Die freien Ausbildungsstellen, die die Unternehmen an die regionale Wirtschaftsförderung melden, werden auch in das Portal eingestellt.
Gleichzeitig können in dem Portal auch Schüler ihr Profil und ihren Wunschberuf einstellen,
- Seite 92 -
so dass die Unternehmen aktiv nach geeigneten Bewerbern suchen und Kontakt aufnehmen
können. Die Bündelung des regionalen Angebots gibt Jugendlichen zudem die Möglichkeit,
sich zielgerichtet und selbstständig um einen geeigneten Ausbildungsplatz zu kümmern. Für
Unternehmen bietet dieses Portal zusätzlich die Möglichkeit, sich als Ausbildungsbetrieb
vorzustellen. Viele Ausbildungsplätze in der Region werden inzwischen ausschließlich über
www.kiekste.de bekannt gegeben. Derzeit sind mehr als 125 Unternehmen registriert, die
insgesamt ca. 200 Ausbildungsstellen anbieten.
c)
Best Practice Beispiel: Berufsbildende Schulen der Region Salzgitter
Auch die berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen der Region Salzgitter haben gemeinsame Projekte zur Berufsorientierung initiiert. Neben weiteren Projekten wurden besonders die Aktivitäten mit dem Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) hervorgehoben, in
denen die Schüler der berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen sehr intensiv zusammenarbeiten.
Ein anderes Projekt hat zum Ziel, das Interesse der Schüler für technische Berufe zu erhöhen. Hierzu nehmen die achten Klassen der beteiligten Schule an naturwissenschaftlichen
Projekten teil, wobei sie verschiedene Bereiche wie Holz-, Metall- und Fahrradtechnik durchlaufen. Hierdurch ist das Interesse an technischen Berufen und Themen, insbesondere bei
den Mädchen, gestiegen.
3.6.3
Arbeits- und Diskussionsphase
In der Diskussion wurde hervorgehoben, dass die Berufsbildenden Schulen weit weniger zur
Kooperation mit den Haupt- und Realschulen verpflichtet worden sind als umgekehrt. Aus
der Perspektive der anwesenden Berufsschullehrkräfte beruhen die Angebote der BBS
Wesermarsch im handwerklichen Bereich oftmals auf der Ausnutzung von bestehenden
Überkapazitäten bei den Fachpraxislehrkräften. Für weitergehende Angebote fehlen den
berufsbildenden Schulen in der Regel die finanziellen und personellen Ressourcen. Andere
Schulvertreter stellten kritisch dar, dass Überkapazitäten bei den Fachpraxislehrkräften an
vielen berufsbildenden Schulen nicht vorhanden sind; die Voraussetzungen für den Austausch der Lehrkräfte ist deshalb kaum möglich.
Des Weiteren wurde das Konzept des Unterrichtskarussells, wie es an den berufsbildenden
- Seite 93 -
Schulen im Landkreis Wesermarsch praktiziert wird, kritisch hinterfragt. Es wurde in Frage
gestellt, ob es eventuell demotivierend für die Schüler sein könnte, wenn diese u. U. über
mehrere Tage in Betrieben in einem naturwissenschaftlichen Berufsfeld tätig sein müssen,
obwohl ihre beruflichen Vorlieben eher auf anderen Berufsfeldern liegen.
Hinsichtlich des Portals kiekste.de wurde angeregt, neben der Ausbildungsplatzvermittlung
auch weitere Angebote zur Berufsorientierung zu integrieren.
Ein weiterer Diskussionspunkt war das Zusammenspiel zwischen den berufsbildenden und
allgemeinbildenden Schulen. Es wurden zwei sich ergänzende Möglichkeiten diskutiert:

Die berufsbildenden Schulen unterbreiten den allgemeinbildenden Schulen Angebote
zur Berufsorientierung.

Die berufsbildenden Schulen reagieren nur auf Wünsche und formulieren Ideen der allgemeinbildenden Schulen, ohne permanent ein Angebot bereitzuhalten.
In der Diskussion wurde deutlich, dass die Vielzahl der Aktivitäten nicht von vorhandenen
Überkapazitäten der berufsbildenden Schulen abhängig sein sollte.
3.6.4
Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Zur Systematisierung der Berufsorientierung und –vorbereitung wurden in der Diskussion
unterschiedliche Ideen, Überlegungen und Wünsche geäußert:

Es sollen allgemeingültige Kompetenzen, die im Rahmen der Berufsorientierung zu fördern sind, erarbeitet werden.

Für Schülerinnen und Schüler soll ein verpflichtendes Unterrichtskarussell zu verschiedenen Berufsfeldern durchgeführt werden. Voraussetzung für die Teilnahme ist ein
Kompetenzfeststellungsverfahren, um einer Demotivation aufgrund ungeeigneter Berufsfelder vorzubeugen.
Darüber hinaus soll ein Unterrichtskarussell für die Lehrkräfte der allgemeinbildenden
Schulen eingeführt werden, damit diese die unterschiedlichen Berufsfelder besser kennen lernen.

In jeder Region sollen Konferenzen eingerichtet werden, an denen möglichst sämtliche
mit der Berufsorientierung befassten Akteure inklusive Bildungsverwaltung und -politik
- Seite 94 -
teilnehmen sollen. Im Rahmen der Konferenzen sollen regionale Berufsorientierungskonzepte erarbeitet werden.

Es ist kein Platz für Konkurrenzdenken. Beispielsweise sind die unterschiedlichen Internetportale untereinander zu verlinken. Gleichwohl sollten die Schüler darauf hingewiesen werden, sich an mehreren Stellen, insbesondere bei der Agentur für Arbeit und
den Kammern, zu informieren.

Für alle Schülerinnen und Schüler sollte ein einheitlicher Berufsorientierungspass eingeführt werden.

Es müssen verbindliche Standards für die Kooperation von berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen existieren. Beide Schulformen sollten durch die Landesschulbehörde zur Kooperation verpflichtet werden.

Die Eltern müssen verpflichtend in die Berufsorientierungskonzepte eingebunden
werden.

Für die Lehrkräfte sind verbindliche Fortbildungen zu gestalten.
Zusammenfassend wurde in dem Workshop festgestellt, dass die Verantwortung für die Berufsorientierung zunächst einmal bei den allgemeinbildenden Schulen liegt. Sie müssen die
Aufgaben, die die berufsbildenden Schulen und weiteren Partner übernehmen sollen, klar
definieren. Die Landesschulbehörde sollte die entsprechenden rechtlichen Grundlagen (Erlass für BBS) schaffen und (finanzielle) Mittel zur Verfügung stellen.
Die Vertreter der berufsbildenden Schulen wünschen sich von den allgemeinbildenden
Schulen zudem klare Aufgabenstellungen. Zudem fordern sie einen Erlass, der sie zur
Durchführung berufsorientierender und berufsvorbereitender Maßnahmen verpflichtet. Die
Umsetzung muss mit den regionalen Akteuren abgestimmt werden und sich an der regionalen Wirtschaftsstruktur orientieren. Notwendig hierfür ist die finanzielle Unterstützung durch
das Land Niedersachsen.
- Seite 95 -
4 Resümee der Tagungsergebnisse
(Dr. Thomas Hildebrandt, Geschäftsführer für Aus- und Weiterbildung bei der Oldenburgischen IHK)
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend Dank sagen an alle Gäste, Referenten,
Unterstützer, die den heutigen Tag mitgestaltet haben. Es zeigt sich, dass es gut war, diese
Veranstaltung in Oldenburg durchzuführen. Der Informationsbedarf ist offenbar sehr groß,
die Relevanz des Themas nochmals klarer geworden und der Schulterschluss unterschiedlicher Akteure konnte in der Sache kaum größer sein. Ich möchte am Ende nochmals plakativ
darstellen, was offenbar Konsens ist und eine Gestaltungs- und Handlungsbasis für die inhaltliche Arbeit bietet.
o Berufsorientierung ist die Individualförderung, Jugendförderung, Familienförderung,
Gesellschaftsförderung und Wirtschaftsförderung!
o
Berufsorientierung reduziert Frustrationen bei allen Beteiligten – beispielsweise durch
weniger Ausbildungsabbrüche, weniger Absagen bei Bewerbungen und weniger
Aufwand bei der Selektion der richtigen Bewerber.

Eine verbindliche Struktur bzw. eine Systematisierung der Berufsorientierung ist notwendig, damit die notwendigen Kompetenzen zu einer realistischen Lebensplanung bei allen
Schülerinnen und Schülern gleichermaßen entwickelt werden können. Berufsorientierung
darf nicht als seltener Glücksmoment derjenigen Schülerinnen und Schülern vorbehalten
bleiben, die zufällig hochengagierte und fachlich gut ausgebildete und versierte Lehrkräfte im Bereich der Berufsorientierung vorfinden.

Eine der Grundvoraussetzungen für eine gute Ausbildung im Sinne der Unternehmen
und der Auszubildenden ist eine verlässliche und problemadäquate Vorbereitung der
jungen Menschen auf die wichtigste Entscheidung im Teenageralter: eine realistische,
den persönlichen Möglichkeiten entsprechende Berufswahlentscheidung.

Die Effektivität der Berufsorientierung muss von einer adäquaten verbindlichen Struktur
geprägt sein - nicht von Aktionismus. Dafür benötigen wir messbare Standards und eine
systematische Qualifizierung der Lehrkräfte.
- Seite 96 -

Die Wirtschaft ist bereit, sich einzubringen. Es wäre aber sinnvoll, wenn auch wir unsere
Ressourcen in ein Konzept einbringen könnten, damit die Unterstützung an der richtigen
Stelle und zur richtigen Zeit ansetzt - und damit effizienter wird! Wenn man das gut
macht, ist das Ganze besser als isolierte Teile es jemals sein können.
Implizit sind diese Forderungen im niedersächsischen Schulgesetz verankert. Im Paragraph
2 heißt es zum Bildungsauftrag der Schule:
(1) Die Schülerinnen und Schüler sollen fähig werden,
1. die Grundrechte für sich und jeden anderen wirksam werden zu lassen, die sich daraus ergebende staatsbürgerliche Verantwortung zu verstehen und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen,
2. nach ethischen Grundsätzen zu handeln sowie religiöse und kulturelle Werte zu erkennen und zu achten,
3. ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit,
der Solidarität und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu
gestalten,
4. den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere die Idee einer gemeinsamen
Zukunft der europäischen Völker, zu erfassen und zu unterstützen und mit Menschen
anderer Nationen und Kulturkreise zusammenzuleben,
5. ökonomische und ökologische Zusammenhänge zu erfassen,
6. für die Erhaltung der Umwelt Verantwortung zu tragen und gesundheitsbewusst zu
leben,
7. Konflikte vernunftgemäß zu lösen, aber auch Konflikte zu ertragen,
8. sich umfassend zu informieren und die Informationen kritisch zu nutzen,
9. ihre Wahrnehmungs- und Empfindungsmöglichkeiten sowie ihre Ausdrucksmöglichkeiten unter Einschluss der bedeutsamen jeweiligen regionalen Ausformung des
Niederdeutschen oder des Friesischen zu entfalten,
10. sich im Berufsleben zu behaupten und das soziale Leben verantwortlich mitzugestalten.
- Seite 97 -
(2) Die Schule soll Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern den Erfahrungsraum und
die Gestaltungsfreiheit bieten, die zur Erfüllung des Bildungsauftrags erforderlich sind.
Damit erklärt sich die Notwendigkeit zur individuellen Studien- und Berufswahl unserer Schülerinnen und Schüler, eben nicht nur aus dem Wunsch unserer Unternehmen ausbildungsfähige Jugendliche zu bekommen, sondern gleichermaßen aus einer staatsbürgerlichen Verantwortung für unsere Jugend.
Von daher ist der Wunsch der Wirtschaft nach einer Systematisierung der BO-Aktivitäten in
zeitlich klare Abfolgen von curricularen Inhalten absolut nachvollziehbar, um an der richtigen
Stelle außerschulische Experten einzusetzen. Im Selbstverständnis der Arbeitswelt muss
Verantwortung und Rechenschaft für diesen Prozess klar und verbindlich geregelt sein, wie
es auch klar sein muss, dass diejenigen die mit Berufsorientierung zu tun haben, mit aktuellem Wissen über die Arbeits- und Berufswelt ausgestattet sind. Dann, aber nur dann, ist die
so oft geforderte Handlungsleidenschaft in dem Berufsorientierungsprozess zielführend.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
4.1
Zusammenfassung und Ausblick
Berufsorientierung ist kein neues, aber sehr aktuelles Thema. Die Bildungspolitik des Landes Niedersachsen hat zahlreiche Maßnahmen umgesetzt bzw. eingeleitet, um die Berufsorientierung zu fördern. Dies betrifft unter anderem die

Ausdehnung der Betriebs- und Praxistage an Hauptschulen

Einführung von Betriebs- und Praxistage an Realschulen

Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Haupt- bzw. Realschulen und den berufsbildenden Schulen

Einführung von Profilfächern an den Realschulen.

Rahmenvereinbarung zur Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung
Im Rahmen der Fachtagung wurde deutlich, dass noch zahlreiche Fragen zur praktischen
Umsetzung der Neuerungen offen sind. Dies betrifft zunächst die Frage, wie die „schulische
Gesamtaufgabe“ innerschulisch organisiert werden soll.
Erschwerend kommt in diesem Zusammenhang hinzu, dass die Verankerung in einem ver-
- Seite 98 -
pflichtenden Ankerfach Wirtschaft an den Haupt- und Realschule nicht mehr gegeben ist.
Besser stellt sich die Situation in der Integrierten Gesamtschule dar; hier gibt es einen eigenen Themenbereich in dem Fach Arbeit-Wirtschaft-Technik. Kritisch ist außerdem anzumerken, dass die Berufs- und Studienorientierung in den allgemeinbildenden Gymnasien weiterhin einen rudimentären Stellenwert inne hat. Die Zusammenarbeit zwischen den Schulen
und externen Partnern ist eine weitere Herausforderung; die Netzwerke in den zahlreichen
Regionen können nur bedingt als planvoll und effektiv bezeichnet werden. Eine neue Herausforderung stellt die systematische Zusammenarbeit mit den berufsbildenden Schulen dar;
das Neustädter Modell kann nur auf wenige Regionen in Niedersachsen übertragen werden.
In den Workshops wurden diverse Best Practice Beispiele für die unterschiedlichen Schulformen vorgestellt und hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit erörtert. Außerdem wurden Forderungen an die Bildungspolitik formuliert, die große Übereinstimmungen aufweisen. Erhellend
ist in diesem Zusammenhang auch der Fragebogen, der in die Tagungsmappen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gelegt wurde und von 79 Schulvertretern (Lehrkräfte, Schulleiter, Schulsozialarbeiter) sowie 24 Vertretern von Unternehmen und weiteren Organisationen
ausgefüllt wurde. Unter anderem wurde offen (d. h. ohne vorformulierte Antwortalternativen)
gefragt, wo besonderer Unterstützungsbedarf gesehen wird. In der Abbildung 14 wird die
Antwortverteilung der Schulvertreter dargestellt. Der größte Unterstützungsbedarf (48 Nennungen) wurde hinsichtlich der Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte gesehen, gefolgt von
der Bereitstellung von Lehrmaterialien (36 Nennungen) sowie der Erstellung eines jahrgangsübergreifenden BO-Konzeptes (27 Nennungen) und dessen Integration in eine schulische Gesamtkonzeption (31 Nennungen).
Wo sehen Sie besonderen Unterstützungsbedarf?
- Seite 99 -
Abb. 14:
Unterstützungsbedarf der Schulvertreter zur Berufsorientierung (Mehrfachauswahl der Antwortalternativen möglich)
Die Oldenburgische Industrie- und Handelskammer und das Institut für Ökomische Bildung
werden ihre Aktivitäten zur Unterstützung der Berufsorientierung, z. B. Entwicklung von Konzepten und Unterrichtsmaterialien, Ausrichtung von Berufsorientierungstagen oder die Lehrerfortbildung weiter intensivieren.
Außerdem hat sich eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitgliedern der beiden genannten
Einrichtungen, Schulen, Schulverwaltung, Fachberatern und Arbeitsagentur gebildet, die an
einem Leitfaden zur Berufsorientierung arbeiten. Der Leitfaden soll im Rahmen einer Nachfolgetagung vorgestellt werden.
- Seite 100 -
5 Abkürzungsverzeichnis
AA
Agentur für Arbeit
Abb.
Abbildung
BA
Bundesagentur für Arbeit
BBS
Berufsbildende Schule
BDA
Bundesindustrieverband Deutschland Haus-, Energie- und Umwelttechnik e. V.
BDI
Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.
BfB
Bundesverband der freien Berufe
BIZ
Berufsinformationszentrum
BMBF
Bundesministerium für Bildung und Forschung
DIHK
Deutscher Industrie- und Handelskammertag
geva
Gesellschaft für Verhaltensanalyse und Evaluation mbH
HRS
Haupt- und Realschule
HS
Hauptschule
IGS
Integrierte Gesamtschule
IHK
Industrie- und Handelskammer
IÖB
Institut für Ökonomische Bildung
KGS
Kooperative Gesamtschule
KMK
Kultusministerkonferenz
NSchG
Niedersächsisches Schulgesetz
RS
Realschule
ZDH
Zentralverbands des Deutschen Handwerks
ZSB
Zentrale Studienberatung
KODE
KompetenzDiagnostik und Entwicklung
- Seite 101 -
6 Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Berufswahlkompetenzen im Fach Arbeit- Wirtschaft- Technik an Integrierten
Gesamtschulen in Niedersachsen (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2009b, 29f.) 35 Abb. 2: Beispiel zur Verzahnung der Maßnahmen zur Berufsorientierung im engeren
und weiteren Sinne an niedersächsischen Hauptschulen ..................................................... 40 Abb. 3: Kriterien zur Schulqualität am Beispiel Niedersachsen (Niedersächsisches
Kultusministerium 200, 27) .................................................................................................... 43 Abb. 4: Gestaltungsinstrumente und faktische Verhältnisse im Bildungswesen
(Beispiele) (Fend 2008, 17) ................................................................................................... 44 Abb. 5: Entwicklung der Bewerberqualifikation in den letzten 15 Jahren
(vgl.
Bundesinstitut für Berufsbildung 2005) ................................................................................. 53 Abb. 6: Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2009, 20f.)
54 Abb. 7: Themenfelder für das Wirtschaft an Hauptschulen für die Jahrgangsstufe
sieben und acht ..................................................................................................................... 56 Abb. 8: Aktivitäten zur Berufsorientierung der Realschule „Am Luisenhof“ im
Überblick
63
Abb. 9: Anknüpfungspunkte für die Berufsorientierung im 9. Jahrgang (ausführliche
Beispielplanung ist unter www.wigy.de abrufbar).................................................................. 65 Abb. 10: Schulisches Profil der Haupt- und Realschule Osternburg .............................. 68 Abb. 11: Wege nach dem Abitur ..................................................................................... 81 Abb. 12: Die BOGn-Instrumente im Überblick .............................................................. 87 Abb. 13: Bildungsnetzwerk Bine - Organisationsstruktur (Stand 2009) .......................... 91 Abb. 14: Unterstützungsbedarf
der
Schulvertreter
zur
Berufsorientierung
(Mehrfachauswahl der Antwortalternativen möglich) .......................................................... 100 - Seite 102 -
7
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