Intensivmedizin im „mittelgrossen“ Spital

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Intensivmedizin im „mittelgrossen“ Spital
Intensivmedizin im Kantons- und Regionalspital
Intensivmedizin im
„mittelgrossen“ Spital
Martin Lang
Interdisziplinäre Intensivstation Kantonsspital Frauenfeld
SGI-Symposium 11.1.2006
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Themen
• Allgemeine Gedanken zur Intensivmedizin in der Schweiz
• Aspekte zur Intensivmedizin am „mittelgrossen“ Spital
am Beispiel des Kantonsspitals Frauenfeld
• Gesundheitspolitische Entwicklungen und mögliche Folgen
für die (kleineren) Intensivstationen
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Wie ist die Qualität der CH-Intensivmedizin ?
• SGI-Standards seit > 30 Jahren (= unabhängige Akkreditierung)
– definierte Strukturen (KAI-Reglement zur Anerkennung von
Intensivstationen)  hohe Strukturqualität, periodisch überprüft
– personelle Dotation vorgeschrieben
– FMH Intensivmedizin seit 2001 (vorher Untertitel)
– Stationsleiter ist Facharzt für Intensivmedizin
– trägt die administrative und medizinische Verantwortung für alle
Patienten
• Aber: vertiefte Einblicke in Prozessqualität noch ungenügend!
– Insbesondere: Unterschiede grosse versus kleine Stationen
• (analog USA bei „high-risk“ Magen-Darm-OP)
– Unscharfe Kategorisierungsregeln für Schweregrade Vergleich schwierig
• Dennoch: Hinweise auf international gutes Abschneiden
vorhanden
– z.B: European Prevalence of Infection in Intensive Care (EPIC-Study), JAMA 1995
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intensivmedizinische Landschaft Schweiz (grob,1)
Verteilung der ca. 90 anerkannten Intensivstationen der Schweiz
kleinere
(6-8 Betten)
ca. 40 (44%)
ca. 60% interdisziplinär
universitäre
ca. 15 (17%)
mittlere
(>8 Betten)
ca. 35 (39%)
Quelle: Zusammenstellung der SGI-anerkannten Intensivstationen der Schweiz: www.swiss-icu.ch
1: inklusive Pädiatrie
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Intensiv-Betten ingesamt
• Total CH: 734 Intensivplätze (2002, inkl. Päd., SBK)
• IPS-Plätze gut ausgelastet: 83%
• Keine Überkapazitäten ? (im Gegensatz zu Akutbetten)
– Schliessung von IPS-Betten müssen andernorts kompensiert
werden
• Kosten: 6-10% der Spitalkosten (u.a.Betschart SMW
1995)
– Personalkosten 40-60%
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Intensivmedizin: Vergleich grosse - kleine Station
• Grossspital
– geschlossene Struktur
• Klinik für Intensivmedizin mit
CA, LA und mehreren FA,
erfahrene AA, FA-Anwärter
– FMH Intensivmedizin 24h, 365
Tage
– breites Spektrum, „case-load“
– Spezialitäten (Neurochirurgie,
Pädiatrie,Verbrennung,
Transplantationen etc.)
– Spitzenmedizin
– Trendsetter
– Grosses FB-Angebot
– Konsiliardienste
– uam.
• Kleines Spital
– offene Struktur
– einer Klinik angegliedert
(Anästhesie)
– 1 Leitender Arzt + Stv
• 1-2 FMH
– Oft Ø 24h-Abdeckung FMH
Intensivmedizin
– viele Köche……
– unerfahrene AA
• nicht FA-Anwärter
–
–
–
–
–
–
keine Forschung
FB begrenzt
Case-loadι
Diagnostik begrenzter
Konsiliardienste ι
interdisziplinär
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Situation im Kanton Thurgau
(stellvertretend für CH-Mittelland, exkl. Grenzregion)
BRD
12 Betten
SH
KN1
KSM, 8 Betten, 125000 E.
25 km
WT
KSF, 8 Betten, 125000 E.
KSSG
ZH
A
CH
7 2006
1: Lockerung Territiorialprinzip, Pilotprojekt Basel – Baden-Würtemberg ab
Kantonsspital Frauenfeld
• Spitalgrösse: 260 Betten
• Auftrag vom Kanton Thurgau:
– Erweiterte Grundversorgung
– Betrieb einer Intensivstation
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Organisation IPS KSF
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Spektrum (eine Auswahl)
(auch bei uns wird Intensivmedizin betrieben)
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Reanimation (intern, extern)
Traumatologie (excl. Neurotrauma, Wirbelsäule)
Akute Koronarsyndrome (Herzinfarkt), vorläufig noch konservativ
Schwere akute Lungenprobleme (COPD, Pneumonie, Asthma etc.)
Geburtshilfliche Probleme (1300 Geburten/Jahr)
Schwere Infektionen (Sepsis)
Magen-Darmblutungen
Vergiftungen (Suizid)
Endokrinologische Probleme (Diabetes)
OP nach Tumorchirurgie (Thorax, Bauch)
Grosse OP Orthopädie, Urologie, Chirurgie
–  ohne
Intensivstation: Der Spitalcharakter ist ein ganz
anderer! Wechselbeziehung: grosse OP Δ Intensivstation
– Das eine braucht das andere zum (über)leben!
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Leistung
• IPS-Verfahren
– Herz-Kreislauf-Unterstützung und Monitoring
– Beatmung (1,8 Patienten/Tag)
– Nierenersatzverfahren (CVVHDF 40-100Tage/Jahr)
– Tracheostomien (ca. 20/Jahr)
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Leistung
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Neuralgische Punkte kleiner Stationen
• Erhebliche Schwankungen an Patientenaufkommen bei
konstanter Vorhalteleistung
• Kleines Team (Ausfälle schwer zu kompensieren)
• Facharzt FMH Intensivmedizin oft nur 1x
– keine 24h-265-Tage-Abdeckung (Nacht,WE, Ferien etc.)
– wirft grundsätzliche Fragen auf: (Qualität, medico-legale
Fragen, finanziellen Abgeltung)
• (Intensivmedizinisch) unerfahrene Assistenzärzte
• „Case-load“
• „One-Man(Woman)-Show“ des Leiters, hat keinen „Benchmark“
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Ausblick
„Prognosen
sind schwierig –
vor allem wenn sie die Zukunft
betreffen“1
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1 Niels Bohr, Mark Twain
Was bescheren uns die nächsten Jahre...?
• „Externe“ Faktoren
–
–
–
–
Kosten Gesundheitswesen
Demografie
Swiss DRGs
U.v.m...
• „Interne“ Faktoren
– Minimal Data Set (MDSi)
– KAI-Richtlinien für die
Anerkennung von
Intensivstationen
• Akkreditierung extern
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Gesundheitskosten
CH

2003 : 11,5% BIP
ca. 2. Platz
ca. 50 Mia. Fr./Jahr
4%/Jahr
keine Explosion!
Konsens: Kostenentwicklung bremsen ohne Leistungskürzung,
sondern durch Optimierung des Mitteleinsatzes
Rationalisierung > Rationierung
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Bisher wenig Anreize !
Demografie - ein biologisches Experiment
Palme anstatt Pyramide
mehr und ältere
(hochbetagte)
Patienten !
(Unberechenbare) Konsequenzen:
• Gesellschaft (Entsolidarisierung)
• politisch (Stimmverhalten)
• wirtschaftlich
• Gesundheitssystem....
Needham DM et al: Projected incidence of mechanical ventilation in Ontario to 2026: preparing for the
aging baby boomers. (Crit Care Med 2005;33)
Wenn es so weitergeht: 2026 80%  der Patienten an Beatmungsgeräten im Vgl. zum Jahr 2000
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Da kommt man dann schon ins Grübeln: Woher die Mittel, Rationierung ?
SwissDRGs
Verein SwissDRG: GDK, H+, FMH, santésuisse, MTK
Tarifwirksame Einführung ab 2008! Ambitiös!
„Helvetisierung“ bis 2007
www.swissdrg.org
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SwissDRGs (Diagnosis Related Groups)
Eine der grössten Herausforderungen im
1
Spitalsektor der nächsten Jahre !
• Auswirkungen auch auf die Intensivmedizin!
• System zur Patientenklassifizierung von stationären
Patienten - jeder Fall entspricht einer DRG
• Nutzung zu Vergütungszwecken – jede DRG hat
entsprechende Vergütungshöhe
1)
Indra P: Die Einführung der SwissDRGs in Schweizer Spitälern und ihre Auswirkungen auf das
schweizerische Gesundheitswesen; Schriftenreihe der SGGP, No. 80, 2004
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SwissDRGs
• Bisherige Vergütungspraxis bietet wenig Anreiz zur
wirtschaftlichen Verwendung der Ressourcen
• Sollen notwendige Anreize für die Entwicklung von
effizienteren Strukturen im Spitalsektor setzen
• ® d.h. ineffiziente Spitäler werden bestraft (DRGErlöse zu klein)
• ® Veränderung in der Aufbau-/Ablauforganisation
der Spitäler, bestmögliche Mittelverteilung etc...
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Mögliche Auswirkungen SwissDRGs
• Verbesserte Zusammenarbeit aller Beteiligten
– Vernetzung vertikal (Patientenpfade)
– Vernetzung horizontal (im Spital, regional: IPS-Netzwerke)
• Reduktion Verweildauer („quicker and sicker“)
– Prozess- und Schnittstellenoptimierung (auch Intensivmedizin)
• Mehr Transparenz
– Schweizweite Vergleichbarkeit von Spitalleistungen
• Kosteneinsparungen
– Effizienterer Ressourceneinsatz
– Rationalisierung (Prozess-, Personal- und Sachkostenoptimierung)
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Mögliche Auswirkungen SwissDRGs
• Zunehmende Spezialisierung der Spitäler (economies of scale)
• Nicht mehr die optimale Versorgung des Patienten steht im
Vordergrund, sondern die Sicherung des Überlebens der Institution !
• Mindestmengenregelungen à la BRD
– Bsp. Tumorchirurgie: Auswirkungen auf kleine Intensivstationen, „case load“ι
• Industrialisierung der Patientenversorgung
•  Bewertung der ärztlichen Arbeit wird vermehrt eine Bewertung
der Qualität der Dokumentation „what you mesure is what you get“,
unabhängig davon, ob dokumentierte Leistung angemessen, sinnvoll
oder notwendig war….
•
® Spital-Umbau und ev. sogar - Schliessungen !
–  IPS-Schliessungen, Umwandlung in „Intermediate Care Units“
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Die Hälfte……
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Oder gar nur 40….?
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SwissDRGs und Intensivmedizin
• Alle Leistungen eines Spitals, die an einem Patienten erbracht
werden, werden durch eine einzige, fallbezogene Pauschale
abgegolten
• Intensivmedizinische Leistungen in Pauschale inbegriffen ?
– StA SwissDRG August 2005
• ®Risiko einer ungenügenden Vergütung intesivmedizinischer Leistungen (analog BRD) bei hohen Fixkosten
• Ziel: adäquate Entgeltung v.a. intensivmedizinischer
Komplex- und Langzeitbehandlungen unter DRGs
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Minimal Data Set (MDSi) Intensivmedizin
• Liefert Daten
– für die allgemeine Anerkennung einer Station (Zertifizierung)
– für die Anerkennung als WB-Stätte (FMH,Intensivpflege)
– für „Benchmarking“
• Unterstützt Qualitätsbestrebungen für einzelne IPS
• Liefert Daten für Leistungsnachweis Intensivmedizin CH
• Enthält integriertes Instrument für
Therapieaufwandmessung (NEMS-Score) und
Schweregrad (SAPS II-Score) als Grundlage für künftige
Entgeltung unter DRGs
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Richtlinen KAI1 der SGI
• z.Zt in Totalrevision
• Vermutung !:
– „Härtere“ Strukturkriterien
– Neue Definition der Kategorien gemäss MDSi
– FMH Intensivmedizin während 365 Tagen
– uam.
–  Für die „Kleinen“ wird es schwieriger, die
verlangten Strukturkriterien zu erfüllen
• (Vorhalteleistung zu teuer)
1) Kommission für die Anerkennung von Intensivstationen
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Schluss
• Gute Qualität (wahrscheinlich) auch bei den „Kleinen“
• Gute Auslastung der IPS-Kapazitäten
• Zunehmende Professionalisierung (SGI-Standards,
Struktur-/Prozesskriterien) auch bei den „Kleinen“
• Swiss DRGs führen zu vermehrtem Druck auch auf die
Intensivstationen (alle)
• Es könnte um die Existenzfrage der„Kleinen“ gehen!
• SGI muss für korrekte Abgeltung unter DRGs kämpfen
• Prozessoptimierung auch in der Intensivmedizin
• Regionale Vernetzung von Stationen
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etwas allgemeiner gefasst……
•
•
•
•
Internationale Vernetzung:
– Was in China passiert hat Auswirkungen auf meine Intensivstation
Wollen wir unseren Wohlstand erhalten müssen wir (u.v.m) unsere
Sozialausgaben kontrollieren:
– OECD: Economic Survey of Switzerland 2005, Paris 6.1.2006
• … the status quo ist not tenable from the financial point of
view….(health care system)
Das Gesundheitssystem wird zu einer Gross-BAU-stelle und die
Intensivmedizin ist Teil davon!
Es ist zu hoffen, dass dabei die gute Qualität der (IM) -Versorgung
erhalten bleibt und nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.
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Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!
Merci pour votre attention!
Grazie per la vostra attenzione!
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