T - Argelander-Institut für Astronomie

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T - Argelander-Institut für Astronomie
Thermische Geschichte
des Universums
• Kosmologie (Wdhlg.)
• Kosmologische Thermodynamik
• Teilchenzahlen/Prinzip des Ausfrierens
• Neutrino-Entkopplung
+e--Paarvernichtung
e
•
• Primordiale Nukleosynthese
• Neutrinos als Dunkle Materie?
• Rekombination
Einführung in die extragalaktische Astronomie
Prof. Peter Schneider & Dr. Patrick Simon
Thermische Geschichte des Universums
Kosmologie I (Wdhlg.)
Eine kurze Zusammenfassung des Kapitels über Weltmodelle:
• Beobachtungen sind verträglich damit, dass unser Universum auf großen
Skalen >> 100 Mpc um uns herum isotrop ist.
• das Kosmologische Prinzip postuliert die Homogenität und Isotropie des
Universums.
• Die ART erlaubt homogene und isotrope Weltmodelle:
Es gibt eine Familie von Lösungen der Einsteinschen Feldgleichungen, so
dass eine Schar von mitbewegten Beobachtern (Fundamentalbeobachter)
die gleiche Geschichte des Universums sieht; für jeden Beobachter ist das
Universum isotrop.
Thermische Geschichte des Universums
Kosmologie I (Wdhlg.)
• Die Form dieser Friedmann-Lemaitre Weltmodelle ist charakterisiert
durch den Dichteparameter Ωm und die kosmologische Konstante ΩΛ, die
Größe durch die Hubble Konstante H0.
Die kosmologischen Parameter bestimmen die Expansionsrate des
Universums als Funktion der Zeit.
• Der Skalenfaktor a(t) des Universums ist eine bis heute monoton
ansteigende Funktion; das Universum war früher dichter und heißer.
Entsprechend der ART, muss es einen Zeitpunkt gegeben haben, wo a→0
gegangen ist. Dieser Referenzpunkt wird als Urknall bezeichnet.
• Die Expansion des Universum bedingt aus der Sicht eines mitbewegten
Beobachters einen Impulsverlust: Photonen werden rotverschoben.
Je weiter eine Quelle von uns entfernt ist, umso stärker ist die
Rotverschiebung.
Thermische Geschichte des Universums
Kosmologische Thermodynamik
Kosmologische
Thermodynamik
Thermische Geschichte des Universums
Kosmologische Thermodynamik
Temperatur skaliert mit T ∝ (1+z) ∝ a-1.
Modell erlaubt also, die Zeit “zurückzudrehen” und theoretisch zu
bestimmen, wie die Temperatur sich in der Vergangenheit verändert haben
muss.
➠ Anhand des Wissens, dass über Teilchenphysik gewonnen wurde, können
wir dann rekonstruieren, welchen physikalischen Prozesse im frühen
Universum abgelaufen sein müssen.
Hierfür wird eine statistische Beschreibung der Teilchenmischung
(statistische Thermodynamik) zusammen mit der Teilchenphysik benötigt.
Energieverteilung und Anzahldichte von Teilchen ist wesentlich durch
Temperatur T gegeben, wenn Teilchen im chemischen und thermischen
Gleichgewicht sind (thermodynamisches Gleichgewicht).
Thermische Geschichte des Universums
Standardmodell der Teilchenphysik
Die Thermodynamik von Elementarteilchen wird durch Quantenmechanik
und statistische Physik beschrieben; man unterscheidet zwischen
• Bosonen, Teilchen mit ganzzahligem Spin (z.B. Photon) und
• Fermionen, Teilchen mit halbzahligem Spin (z.B. Elektron oder Neutrino).
Bosonen und Fermionen folgenden einer unterschiedlichen Statistik, weil
Bosonen denselben Quantenzustand beliebig oft aber Fermionen diesen nur
einmal besetzen können.
Aber: Bindungszustände von Fermionen können ganzzahligen Spin haben und
sich so statistisch wie Bosonen verhalten (z.B. Pion).
Thermische Geschichte des Universums
Standardmodell der Teilchenphysik
Das Standardmodell der Teilchenphysik
bietet eine hervorragend getestete
Beschreibung der Anregungs-,
Bindungszustände und Reaktionen von
Elementarteilchen bis zu Energien von
mindestens E ~ 1 GeV.
+ Antiteilchen
Grundkräfte
Bosonen
gx8
1. Starke Wechselwirkung
γ
2. Elektromagnetismus
W+/-
Z0
3. Schwache Wechselwirkung
Fermionen
Quelle: www.desy.de
4. Gravitation
Thermische Geschichte des Universums
Kosmologische Thermodynamik
Charakteristische Energie eines Teilchens bei Temperatur T ist kBT;
kB ist Boltzmann-Konstante.
Gängige Energieeinheit in der Teilchenphysik ist Arbeit, die Elektron über ein
Meter entgegen ein elektrisches Feld der Stärke 1 V/m verrichtet, das
Elektronenvolt (eV).
Z.B. ist die Ruhemasse eines Elektrons ca. mec2 ~ 511 keV.
Somit lassen sich Temperatur und Energie ineinander umrechnen:
1 MeV = 1.1605 x 1010 kB K ~ 1010 kB K
Thermische Geschichte des Universums
Kosmologische Thermodynamik
Temperatur des Mikrowellenhintergrundes (CMB) heute:
T ~ 2.7 K ~ 2.3 x 10-4 eV; “Thermometer des Universums”.
Wie weit zurück kommen wir mit Standardmodell?
Weltalter !s"
18
10
heute
~ 1017 s
1014
~ 1 GeV
1010
106
getestetes Teilchenmodell
100
~1μs !
0.01
T∝(1+z)∝1/a
10
!6
10!4
0.1
100
105
108
T!eV"
Thermische Geschichte des Universums
Kosmologische Thermodynamik
Expansion langsam
genug, um Einstellung
des thermodynamischen Gleichgewichts zu erlauben.
“Kosmische Suppe”
Kontinuierliche Erzeugung und
Vernichtung von Teilchen im
thermodynamischen
Gleichgewicht.
Sk
ale
nf
ak
to
ra
(t)
Temperatur T
T ist wohldefiniert und
nimmt stetig ab.
Es ist nicht ganz klar,
welche Teilchen genau
in der Suppe enthalten
sind (Dunkle Materie?)
1/a
ex
pa
nd
ier
t
Thermische Geschichte des Universums
Kosmologische Thermodynamik
Mittels kosmologischer Parameter wird Expansionsverhalten
modellierbar.
Skalenfaktor a#t$
5
4
Heute
Urknall
l
l
e
3
2
s
e
rt
d
o
M
e
i
s
ri
o
v
a
f
1
!20
!10
0
10
20
Zeit t!Gyr"
Thermische Geschichte des Universums
Expansionsgeschichte
Ωm = 0.23 ; ΩΛ = 0.77
Ωr = 4.2 × 10
−5 −2
h
; h = 0.72
Energiedichte
Anteil !!"
100
80
60
40
Λ-dominiert
ΩΛ
a(t)√∝
e Λ/3 t
Ωm
Ωr
materiedominiert
strahlungsdominiert
2/3
a(t) ∝ t
t ∝ T −3/2
a(t) ∝ t
t ∝ T −2
20
0.01
Heute
1
100
1/2
104
106
Rotverschiebung
Anhand des Modells kann
mit gegebenen
kosmologischen Parametern
rekonstruiert werden,
welche Energieformen die
Expansionsrate H(a) zu
welchen Epochen dominiert
haben.
Ignoriert man alle anderen
Energieformen dieser
Epochen, lässt sich die zeitl.
Entwicklung von a(t) leicht
abschätzen.
z
Thermische Geschichte des Universums
Teilchenzahlen
Chemisches Gleichgewicht:
Teilchenzahlen sind im dynamischen Gleichgewicht, d.h. faktisch konstant bei
gleichem T.
Notwendige Bedingung ist, dass Teilchen erzeugt und vernichtet werden
können, z.B. Elektronen und Positronen durch Paarvernichtung/-erzeugung.
Paarvernichtung
e+
γ
γ
e-
γ
γ
Paarerzeugung
e+
e-
Zahl Teilchen - Zahl Antiteilchen = konstant
Möglichkeit der Teilchenerzeugung und -vernichtung muss in der thermodynamischen Betrachtung berücksichtigt werden.
Thermische Geschichte des Universums
Teilchenzahlen
Aus der statistischen Physik lernen wir für Anzahldichten n von Bosonen
oder Fermionen im chemischen Gleichgewicht:
relativistisch, d.h. m0c2 << kBT:
nrel ∝ T 3
Bei masselosen Teilchen wie Photonen ist es besser von einer Energiedichte
urel als einer Anzahldichte zu reden, da n nicht klar definiert ist.
4
∼
n
k
T
∝
T
u
typische thermische Energie ist kBT, so dass: rel
rel B
nichtrelativistisch, d.h. m0c2 >> kBT: nnrel ∝ T
3/2 −(m0 c2 −µ)/kB T
e
Chemisches Potential μ hängt mit Energie zusammen, die benötigt wird, um
Teilchen zu erzeugen (unter bestimmten Rahmenbedingungen).
Bosonen und Fermionen haben verschiedene Proportionalitätskonstanten in
obigen Gleichungen!
Thermische Geschichte des Universums
Prinzip des Ausfrierens
Aber: Teilchenzahlen “frieren aus”, so bald T zu klein, um genügend
Reaktionen für chemisches Gleichgewicht zu ermöglichen.
Z.B. brauchen Elektron/Positronpaare zwei Photonen mit mind. 511 keV, um
erzeugt werden zu können (T ~ 6 x 109 K).
Teilchenzahlen entkoppeln, wenn die Reaktionsrate (Reaktionen pro Zeit
pro Teilchen)
!
n!σv" (nonrel.)
Γ=
nc!σ" (rel.)
σ : Wechselwirkungsquerschnitt
kleiner wird als die Expansionsrate H(t), d.h. wenn
Γ
! 1 ; Entkopplung
H(t)
Thermische Geschichte des Universums
Prinzip des Ausfrierens
Nach dem Ausfrieren entwickeln sich Teilchenzahl unabhängig vom Rest der
kosmischen Suppe.
Um auch thermisch vom Rest zu entkoppeln (kein Energieaustausch),
müssen alle Wechselwirkungen vernachlässigbar werden.
Reaktionsraten fallen häufig schnell im expandierenden Kosmos ab,
weil (für Fundamentalbeobachter)
1.Teilchendichte mit a-3 abnimmt,
2. Impuls mit a-1 verloren geht, und
3. viele Wirkungsquerschnitte mit der Teilchenenergie abnehmen.
Thermische Geschichte des Universums
Meilensteine der thermischen Entwicklung
Hierdurch lassen sich u.a. folgende Ereignisse identifizieren:
n, p, e+,e-, γ, ν, anti-ν + WIMPs
Urknall
NeutrinoEntkopplung
p,nEntkopplung
e+e--Paarvernichtung
BBN
H/He-Bildung
(ionisiert)
Rekombination
Ende
Strahlungsdominierung
Zeit
nicht diskutiert
t=0
t ~ 3x105 yr
t ~ 10 s
t ~ 0.5 s
t ~ 3 min
t ~ 7x104 yr
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinoentkopplung
Ära der
Neutrino-Entkopplung
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinoentkopplung
Beginnen unsere Betrachtung kurz bevor der Entkopplung der Neutrinos,
bei ca. T ~ 1012 K bzw. ET ~ 100 MeV bzw. t ~ 10-4 s.
WIMP? >~ 100 GeV/c2
Neutron mn = 939.6 MeV/c2
Proton mp = 938.3 MeV/c2
(Muon mμ = 140 MeV/c2)
Elektron/
Positron me = 511 keV/c2
Neutrinos mν <~ 1 eV/c2
Leichteste Baryonen Proton und Neutron
sind zu schwer, um noch thermisch erzeugt
zu werden. Alle Baryonen sind also schon
vorhanden und streuen höchstens nur noch;
Antibaryonen sind zerstrahlt.
Muonen -- zweitschwerstes geladenes Lepton
-- kann auch nicht mehr effizient erzeugt
werden. Muonen zerfallen zu e-e+ und
Neutrinos.
Nur Elektron/Positronen-Paare können noch
durch Photonen effektiv erzeugt werden.
Neutrinos werden “schwach” erzeugt und
vernichtet.
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinoentkopplung
Alle Teilchen befinden (noch) im thermisch/chemischen Gleichgewicht,
z.B. durch folgende Reaktionen:
e± + γ
ν + ν̄
ν + e±
p + e−
p + ν̄
n
↔
e± + γ : Comptonstreuung
↔
ν + e± : Neutrino − Elektronstreuung
↔
n + e+
↔
↔
→
e+ + e− : Neutrino/Antineutrinostreuung
n + ν : inverserβ − Zerfall
p + e + ν̄ : Neutronenzerfall
−
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinoentkopplung
Wir befinden uns in strahlungsdominierter Phase.
➠ Energiedichte wird von relativistischen Teilchen, d.h. Photonen (Bosonen)
und Leptonen (Fermionen) dominiert.
➠ Energiedichte ist gegeben durch:
2
4
π
k
T
B
4
2
ρr c = 10.75
∝
T
30 !c3
Hieraus ergibt sich mithilfe der Friedmann-Lemaitre Gleichungen und T 1/a:
!
"
#−2
3
T
t=
= 0.3 s
32πGρ
1 MeV
a(t) ∝ t1/2
H2(a) = 1/(4t2) ∝ T4
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinoentkopplung
Neutrinos sind nur schwach wechselwirkend, wodurch der Wechselwirkungsquerschnitt wie σ E2 T2 mit der Energie E des Neutrinos
skaliert.
Außerdem geht im chemischen Gleichgewicht die Anzahldichte der
relativistischen Neutrinos wie n T3.
Hierdurch: Γ ∝ n"σ# ∝ T 5
In strahlungsdominierter Phase ist: H(a) = ȧ/a ∝ t−1 ∝ T 2
Kriterium fürs Ausfrieren skaliert also wie:
!
"3
Γ
T
3
≈
∝
T
H
1.6 × 1010 K
➠ Neutrinos sind für T <~ 1010 K nicht mehr mit den anderen Teilchen im
Gleichgewicht (~ 1 MeV ~ 0.3 s).
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinoentkopplung
Neutrinos frieren etwa bei T ~ 1010 K aus.
Und danach?
Beim Ausfrieren haben Neutrinos eine thermische Verteilung (PlanckVerteilung) mit der Temperatur der kosmischen Suppe.
Sie behalten die thermische Verteilung weiterhin bei, aber mit einer
Temperatur, die mit a-1 abnimmt.
Da dies weiterhin auch die anderen Teilchen tun, gibt es zunächst keinen
Unterschied in den Temperaturen der Neutrinos und dem Rest der
kosmischen Suppe.
Thermische Geschichte des Universums
Elektron-Positron Paarvernichtung
Ära der
Elektron-Positron
Paarvernichtung
Thermische Geschichte des Universums
Elektronen-Positronen Paarvernichtung
Etwas später werden Temperaturen kleiner als T ~ 5 x 109 K
oder kBT ~ 500 keV.
➠ e+e--Paare werden nicht mehr effizient erzeugt, Annihilation läuft aber
weiterhin ab.
➠ Dichte der e+e--Paare nimmt sehr schnell ab
(Wirkungsquerschnitt ist groß).
➠ Alle Paare werden in Photonen verwandelt, ein winziger
Elektronenbruchteil bleibt übrig (Materie-Antimaterie Asymmetrie).
Ähnlicher Prozess muss früher mit Baryonen/Antibaryonen-Paaren
abgelaufen sein.
Der Ursprung der winzigen Materie-Antimaterie Asymmetrie ist bisher
unbekannt. Scheint aber für Leptonen und Hadronen gleich zu sein, weil
Universum elektrisch neutral ist.
Thermische Geschichte des Universums
Elektronen-Positronen Paarvernichtung
Die Annihilation der e+e--Paare pumpt Energie in das Photonengas.
➠ Energiedichte des Photonengases nimmt zu.
➠ Temperatur des Photonengas nimmt zu, da ρc2
T4.
Statistisch findet man, dass Temperatur des Photonengases um Faktor
(11/4)1/3 ~ 1.4 nach der Annihilation ansteigt.
Andererseits bleibt die Temperatur des Neutrinogases unverändert
(entkoppelt), weshalb die Neutrinotemperatur auch heute noch um den
Faktor 1.4 kleiner sein muss als die Photonentemperatur (CMB).
➠ Modell sagt einen Neutrino-Hintergrund mit T ~ 1.9 K und n ~ 113 cm-3
pro Neutrinosorte voraus.
Bis heute nicht nachweisbar, weil Wirkungsquerschnitt sehr klein ist.
Thermische Geschichte des Universums
Elektronen-Positronen Paarvernichtung
Nach der Annihilation hat sich das Fermion-Boson Verhältnis verändert, weil
Fermionen (Elektronen/Positronen) in Bosonen (Photonen) umgewandelt
wurden;
➠ Man findet nun:
t = 0.55 s
!
T
1 MeV
"−2
Weil nun keine Annihilation mehr stattfindet, bleibt das Verhältnis zwischen
(p+n)-Dichte (Baryondichte) und Photonendichte konstant:
np + nn
η :=
= 2.74 × 10−8 (Ωb h2 )
nγ
Dichteparameter
Baryonen (heute)
Universum ist elektrisch neutral.
➠ Verhältnis von Elektronendichte zu Protonendichte ist eins, weswegen
ne/nγ etwa 0.8η ist (nicht genau eins wegen Neutronen).
Thermische Geschichte des Universums
Primordiale Nukleosynthese
Primordiale
Nukleosynthese
Thermische Geschichte des Universums
Primordiale Nukleosynthese
Vor Neutrino-Entkopplung bei t ~ 0.5 s sind Protonen und Neutronen im
chemischen Gleichgewicht, hauptsächlich durch:
p+e
p + ν̄
↔
↔
n →
n+ν
+
n+e
p + e + ν̄ ; τn = 887 s
Protonen und Neutronen haben etwa das gleiche chemische Potential, so
dass kurz vor der Neutrino-Entkopplung:
!
"
2
∆m c
nn
= exp −
≈ 1/3 ,
np
kB T
∆m
= mn − mp = 1.293 MeV/c
2
Danach wird Verhältnis graduell kleiner, weil Neutronen zu Protonen
zerfallen, Halbwertszeit τn ~ 15 min.
Thermische Geschichte des Universums
Primordiale Nukleosynthese
Deuteriumbildung
Entscheidender Faktor in der Bildung von Atomkernen schwerer als
Wasserstoff (Proton) ist das Wasserstoff-Isotop Deuterium.
Es ist der Grundbaustein schwererer Atomkerne.
Deuterium wird gebildet aufgrund der “starken”
Reaktion:
p+n→D+γ
Reaktion läuft sehr effizient ab.
Bindungsenergie des D ist EB = 2.225 MeV, etwas
größer als die Massendifferenz von Protonen und
Neutronen oder die Ruhemasse des Elektrons.
William Blair, JHU; FUSE Website
Thermische Geschichte des Universums
Primordiale Nukleosynthese
Problem: Temperatur ist vor und kurz nach Neutrino-Entkopplung nahe EB.
➠ Photonen aus dem Wien-Schwanz der Energieverteilung zerstören das D
direkt wieder.
Erst wenn kBT << EB, kann Deuterium in größeren Mengen überleben.
Dies ist etwa bei TD ~ 8 x 108 K oder t ~ 3 min der Fall.
Es können sich nun Atomkerne schwerer als D bilden:
die Baryonnukleosynthese (Big Bang Nucleosynthesis; BBN) beginnt.
Zu diesem Zeitpunkt ist das Neutron-Proton Verhältnis durch den
Neutronen-Zerfall auf nn/np ~ 1/7 abgesunken.
Da D notwendiger erster Schritt der BBN ist, wird seine Bildung als
“Flaschenhals der BBN” bezeichnet.
Thermische Geschichte des Universums
Primordiale Nukleosynthese
Über mehrere Zwischenschritte wird großer Teil des D in He4, He3 und
Spuren von Li und Be umgewandelt.
He4 hat eine Bindungsenergie von ~ 28 MeV, ist also sehr resistent gegen
Energie der Photonen; BBN endet praktisch hier.
D
T
Quelle: www.einstein-online.info
Ralph Alpher
Hans Bethe
George Gamow
Thermische Geschichte des Universums
Primordiale Nukleosynthese
Helium-Häufigkeit
Anzahldichte Neutronen kurz vor BBN sei nn.
➠ Helium-Anzahldichte nach BBN: nHe ~ nn/2, da praktisch jedes Neutron in
He4 landet.
➠ Wasserstoff-Anzahldichte nach BBN: nH ~ np - nn, da praktisch alle
Neutronen mit gleich vielen Protonen in He4 landen.
➠ Der Massenanteil von He4 nach der BBN ist also etwa:
4nHe
2nn
2(nn /np )
Y =
=
=
4nHe + nH
np + nn
1 + (nn /np )
He 4x so schwer
wie H.
Setzt man nn/np ~ 1/7 aus obiger Überlegung ein, erhält man Y ~ 0.25.
Thermische Geschichte des Universums
Primordiale Nukleosynthese
Etwa 1/4 der baryonischen Masse im Universum sollte als He4
gebunden sein!
Dies ist eine robuste Vorhersage der Urknall-Modelle und in
hervorragender Übereinstimmung mit der Beobachtung!
Heliumanteil im Universum kann später durch Kernfusion in Sternen
geändert werden, wodurch auch schwerere Kerne (“Metalle”) gebildet
werden.
Beobachtungen von wenig prozessiertem Material (kleines Z) zeigt,
dass tatsächlich Y ~ 1/4.
Thermische Geschichte des Universums
Primordiale Nukleosynthese
Detaillierte Modelle erlauben genauere
Vorhersagen, auch für andere Elemente.
relative Häufigkeit
Besonders bemerkenswert ist der rapide
Abfall der Neutronenhäufigkeit
bei t ~ 200 s.
D-Paare verwandeln sich sehr
schnell in Helium-Kerne.
Quelle: E.Vangioni, IAP Paris
Thermische Geschichte des Universums
Primordiale Nukleosynthese
Dichte von He4 und insbesondere D hängt von ΩB ab.
ΩB größer
D-Anteil
nach BBN ist
kleiner
η größer
weniger
Photonen
pro Baryon
D kann sich
früher bilden
Umwandlung
von D ist
effizienter
Y ist größer
BBN setzt
früher ein
mit größerem
n/p-Verhältnis
Thermische Geschichte des Universums
Primordiale Nukleosynthese
h = 0.65
ΩB
sta
rke
Em
pfin
dlic
h
kei
t
BBN Modell macht Vorhersagen für
Häufigkeiten von verschiedenen
leichten Elementen, die alle
gleichzeitig bei gegebenem ΩB erfüllt
sein müssen!
Kästen und Pfeile zeigen erlaubte
Bereiche durch Messungen.
Stärkste Einschränkung durch
Messung der D-Häufigkeit (Absorptionsspektren von Quasaren).
➠ Beobachtete Häufigkeiten sind
mit gleichem ΩB kompatibel!
Quelle:
Vangioni, IAP, Paris
Thermische Geschichte des Universums
Primordiale Nukleosynthese
➠ Vergleich der Messungen (insb. D/H-Verhältnis) ergibt eine
Baryondichte von ΩB h2 ~ 0.02.
➠ mit einer Hubble-Konstanten von H0 ~ 70 km/s/Mpc oder
h ~ 0.7 ist also ΩB ~ 0.04.
➠ Kosmologische Messungen ergeben aber klar Ωm > 0.1, so dass Baryonen
nur kleinen Teil der Materie im Universum ausmachen können.
Der größte Teil der Materie ist (nicht-baryonische) Dunkle Materie!
Was könnte das sein?
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinos als Dunkle Materie
Neutrinos
als
Dunkle Materie
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinos als Dunkle Materie
Aufgrund beobachteter Neutrino-Oszillation
scheinen Neutrino-Familien unterschiedliche
Massen zu besitzen.
Mindestens eine Neutrino-Masse ist von Null
verschieden. Labormessungen ergeben:
Elektron-Neutrino <~ 2 eV;
Muon-Neutrino
<~ 170 keV;
Tau-Neutrino
<~ 16 MeV;
Haben alle Familien eine Masse mν << 1 MeV,
dann ist Überlegung zu NeutrinoEntkopplung noch gültig, nν ~ 113 cm-3.
mν
Ων h =
91.5 eV
für jeden ultra-rel. Neutrino-Typ.
2
Super-Kamiokande Neutrino-Detektor
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinos als Dunkle Materie
➠ Eine Neutrino-Familie mit Masse mν ~ 30 eV würde reichen, um
Ωm ~ 0.3 zu erreichen.
Da sicherlich Ωm < 2, können wir folgern, dass Ruhemasse jeder Familie
nicht zwischen 200 eV und 1 MeV liegen kann.
Erinnerung:
Oberhalb ~ 1 MeV gilt die Annahme der relativistischen Neutrinos (bei
Entkopplung) nicht mehr.
Diese kosmologische Abschätzung ist für das Muon- und Tau-Neutrino
besser als gegenwärtige Labor-Experimente.
Weil Neutrino Dunkle Materie relativistisch zum Zeitpunkt der
Entkopplung (genauer: Strahlungsdominierung) wäre, spricht man hier von
“heißer Dunkler Materie”.
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinos als Dunkle Materie
Andererseits wäre Neutrino Dunkle Materie nicht mit beobachteter
Verteilung von Materie und Massenfunktion von Materie verträglich.
Strukturbildung auf kleinen Skalen wäre zu stark unterdrückt.
kalt
warm
Institute for theoretical physics, Zürich
heiß
Strukturbildung
mittels gravitativem
Kollaps mit kalter
Dunkler Materie
(links) und heißer
Dunkler Materie
(rechts).
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinos als Dunkle Materie
Dieses Argument kann umgekehrt werden, um den Bereich ausgeschlossener
Neutrino-Massen noch zu erweitern (untere Massengrenze).
...und die obere Massenobergrenze, falls die richtige Statistik der NeutrinoZahlen bei Entkopplung von nicht-ultra-relativistischen Neutrinos benutzt
wird.
Zusammengenommen erhält man einen verbotenen Massenbereich:
Kosmologische Beobachtungen (Ωm ~ 0.3 und Strukturbildung) und die
Theorie der BBN schließen dann als Massenbereich der Neutrinos
1 eV <~ mν <~ 1 GeV aus.
Thermische Geschichte des Universums
Neutrinos als Dunkle Materie
Weitere Bemerkungen
Elementehäufigkeit der BBN beruhen auf Annahme, dass es drei NeutrinoFamilien gibt.
Falls Anzahl größer sein sollte:
➠ Energiedichte ist größer; Expansionsrate höher;
➠ weniger Zeit vergeht bis zur Abkühlung auf BBN-Temperaturen;
➠ mehr Neutronen stehen zur Verfügung, weil weniger zerfallen;
➠ der Helium-Anteil wird größer;
Aus BBN wurde schon vor 1990 geschlossen, dass es drei Neutrino-Familien
geben sollte, was 1990 aus dem Zerfall des Z0-Bosons im Labor gemessen
wurde.
Schlussfolgerung der BBN sind für exakt homogenes Universum;
kleine Inhomogenitäten erlauben aber keine starke Erhöhung von ΩB.
Thermische Geschichte des Universums
WIMPs als Dunkle Materie
Für andere hypothetische nur schwach-wechselwirkende Teilchen -- weakly
interacting massive particles oder WIMPs -- würde gleiches Argument wie
für Neutrinos gelten.
Wären WIMPs schwerer als etwa 1 GeV, dann sind sie nicht-relativistisch
(kalt) nach Neutrino-Entkopplung.
Expansionsrate (strahlungsdominiert) danach und Ablauf der BBN wären
unbeeinflusst und deshalb die Schlussfolgerungen immer noch korrekt.
Praktisch alle theoretischen Erweiterungen des Standardmodells sagen
WIMPs vorher -- bisher wurden aber keine beobachtet.
Bilder des
Large Hadron Colliders
Thermische Geschichte des Universums
Rekombination
Nach t ~ 3 min ist die BBN abgeschlossen; Universum ist T ~ 8 x 108 K heiß.
“kosmische Suppe”
Plasma (elektrisch neutral) aus
Photonen,
Protonen,
Elektronen,
He-Kernen,
Spuren von Li, Be,D,T,...
Neutrinos,.........................WIMPs?
Universum kühlt weiter mit a(t)
t1/2
bis Energiedichte der Materie (Staub)
die der Strahlung überholt.
Geschieht bei zeq ~ 23900 Ωm h2.
Ab dann gilt T(t)
1/a(t)
t-2/3, oder
! "
#2/3
3
a(t) =
Ωm H0 t
2
bis entweder ΩΛ oder ΩK dominieren.
Thermische Geschichte des Universums
Rekombination
Ära der
Rekombination
Thermische Geschichte des Universums
Rekombination
Bei ca. t ~ 3 x 105 yr oder T ~ 3000 K haben Photonen nicht mehr genügend
Energie, um Wasserstoff ionisiert zu halten.
➠ Es bilden sich zum ersten Mal Wasserstoffatome (“Rekombination”).
Aber: Warum erst so spät?
Ionisationsenergie von Wasserstoff ist χ = 13.6 eV oder T ~ 1.6 x 105 K.
Wie beim Deuterium ist Anzahl der Photonen mit Energieχoder größer im
Wien-Schwanz der Verteilung bei T >> 104 K immer noch zu groß.
Außerdem gibt es deutlich mehr Photonen als Baryonen, η ~ 3 x 10-10 !
Als Ionisationsgrad x definieren wir:
Anzahldichte freier Elektronen
x=
Anzahldichte aller Protonen
Thermische Geschichte des Universums
Rekombination
Rekombination ist kein einfacher thermodynamischer Gleichgewichtsprozess.
Direkte Bindung eines Elektrons mit einem Proton im Grundzustand erzeugt
Lyman Photon, das sofort wieder ein anderes Atom ionisiert.
➠ H-Atom kann sich nicht durch diesen Prozess effektiv bilden.
H-Atome, die sich durch Zwei-Photonen-Übergang bilden, emittieren zwei
Photonen, die für sich nicht in der Lage sind andere Atome zu ionisieren.
Zwei-Photonen-Übergänge sind aber ~ 108 mal unwahrscheinlicher als EinPhotonen-Übergänge.
Aus Betrachtung aller relevanten Übergänge findet man:
x(z) = 2.4 × 10
−3
√
Ωm
Ω b h2
h2
! z "12.75
1000
Rekombination ist
nicht vollständig!
Thermische Geschichte des Universums
Rekombination
Ionisierte kosmische Suppe ist durch Thomson-Streuung der Photonen an
geladenen Teilchen praktisch undurchsichtig (optisch dick).
Rekombination lässt Universum also transparent werden....
...aber nur für Photonen mit Energien kleiner als 13.6 eV oder Wellenlängen
größer als λ = 121.6 nm (Lyman-Kante).
Aus dem Ionisationsgrad x(z) folgt die optische Tiefe von uns ausgesehen:
! z "14.25
τ (z) = 0.37
1000
➠ Photonen können sich praktisch ohne Wechselwirkung ab z ~ 1000
ausbreiten; Universum wird ab hier transparent.
Thermische Geschichte des Universums
Rekombination
Photonen behalten ihr Planck-Energieverteilung bei, kühlen aber von
ca. T ~ 3000 K auf die heute beobachteten T ~ 2.7 K.
Dieser kosmischen Mikrowellenhintergrund (CMB) wurde 1946 von
G. Gamow basierend auf dem Urknall-Modell vorhergesagt und 1965 von
A.A. Penzias und R.W. Wilson als hartnäckiges “Störsignal” zufällig gefunden.
George Gamow
Arno A. Penzias Robert W. Wilson
AT&T Mikrowellenhorn
Thermische Geschichte des Universums
Rekombination
Erste Zeilen des Artikels von Penzias & Wilson (1965)
COBE hat das Photonen-Spektrum
sehr genau vermessen.
Planck-Theorie und Beobachtung
stimmen perfekt überein
(Messfehler kleiner als Linie).
Abweichungen erlauben Abschätzung
über Energie-Einspeisung in
Photonengas nach Rekombination.
Thermische Geschichte des Universums
Rekombination
Bemerkungen:
• Oben wurde nur Rekombination von Wasserstoff betrachtet;
Rekombination von Helium geschieht auch und früher wegen höherer
Ionisationsenergie von Helium.
• Obwohl Rekombinaton relativ plötzlich geschieht, erhalten wir
ungestreute Photonen aus einer “Dicke” von etwa Δz ~ 60.
• Irgend wann zwischen z ~ 1000 und heute muss Universum wieder
ionisiert worden sein, ansonsten könnten wir keine UV-Photonen von
Quellen grosser Rotverschiebung (z.B. Quasare) erhalten können!
Quellen der Reionisation sind unbekannt, vermutlich aber durch erste
Sterne (am wahrscheinlichsten) oder/und erste AGNs.
Reionisation passierte vermutlich zwischen z ~ 7...11 (WMAP7: z ~ 10).