Internet-gestützte Bürgerbeteiligung: Das Esslinger Fallbeispiel
Transcription
Internet-gestützte Bürgerbeteiligung: Das Esslinger Fallbeispiel
1 Internet-gestützte Bürgerbeteiligung: Das Esslinger Fallbeispiel Hans Hagedorn1, Oliver Märker2, Matthias Trénel3 Abstrakt In der Stadt Esslingen wurde das Internet für eine neue Form der Bürgerbeteiligung nutzbar gemacht. Auf Grundlage ausführlicher Informationen über ein hoch umstrittenes Bebauungsplanvorhaben konnten Bürger ihre Meinung in moderierten Diskussionsforen einbringen. Mit Hilfe aktiver, allparteilicher Moderation entwickelte sich eine zusammenhängende Diskussion mit verwertbaren Ergebnissen. Das Verfahren wurde so konzipiert, dass die Empfehlungen an definierten Schnittstellen in den realen Entscheidungsprozess übergeben werden konnten. Gleichwohl stand die Entscheidung zur Aufstellung des Bebauungsplanes zu keinem Zeitpunkt zur Disposition – was auf die ungenügende Ergebnisoffenheit des Verfahrens hinweist. Dennoch konnten wertvolle Schlussfolgerung für die Verfahrensgestaltung und den Softwareeinsatz bei zukünftigen Bürgerbeteiligungen gezogen werden. Zur Gliederung: Nach einer Diskussion von Bewertungskriterien für kooperative Planung, wird das Gestaltungskonzept bestehend aus drei Säulen vorgestellt: Externe Relevanz sichern durch Schnittstellendefinition (1), interaktive Internetplattformen für die zeit- und ortsunabhängige Kommunikation (2), interne Relevanz sichern durch Moderation (3). Anschließend werden das konkrete Vorgehen und die Evaluationsergebnisse geschildert. 1. Ausgangslage Im Rahmen des Projektes Media@Komm4 will die Stadt Esslingen Informationsund Kommunikationstechnologien einsetzen, um sich von einer Genehmigungsbehörde hin zu einem Dienstleister für die Bürger und Wirtschaft der Stadt zu entwickeln. Dazu sollen nicht nur einfache Online-Verwaltungsdienstleistungen, sondern auch Angebote zur Partizipation und Mitbestimmung gehören. Zukünftig möchte die 1 hammerbacher gmbh, Osnabrück, [email protected], http://hanshagedorn.de Fraunhofer Gesellschaft, AiS, Sankt Augustin, [email protected], http://ais.gmd.de/~maerker 3 Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, [email protected], http://www.wz-berlin.de/~trenel 4 http://www.mediakomm.net 2 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 2 Stadt Esslingen daher Internet-basierte Beteiligungsangebote in die städtebauliche Planungspraxis integrieren. Abbildung 1: Eingangsseite der Beteiligungsplattform zum Neubaugebiet Egert in Esslingen-Zell zu Beginn des Verfahrens. Als erstes Pilotprojekt dieser Art in Deutschland wurde eine Internet-basierte Bürgerbeteiligung als Teil einer „frühzeitigen Bürgerbeteiligung“ im Vorfeld eines formalen Planungsverfahren (Bauleitplanung) durchgeführt. Im Rahmen eines heftig umstrittenen Planungsvorhaben um ein neues Baugebiet sollte mit internetgestützten Instrumenten eine zusätzliche Beteiligungsplattform über einen Zeitraum von vier Wochen angeboten werden.5 5 http://forum.esslingen.de/buerger/ oder http://www.wz-berlin.de/~trenel/esslingen 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 3 Die inhaltliche Situation stellte sich klassisch dar: Die großen Parteien im Gemeinderat wollen eine landwirtschaftliche Freifläche zu Bauland für die Zielgruppe „Familien“ entwickeln. Die Bürger des betroffenen Stadtteils sehen hingegen Nachteile in Form steigender Autoverkehrsbelastung und Verlust der Naherholungsund Naturflächen und stellen überdies den Bedarf dieser zusätzlichen Flächen für die genannte Zielgruppe in Zweifel. Sie gründen eine engagiert arbeitende Bürgerinitiative und die lokale Zeitung greift das Thema mehrfach auf. Vom 21. Mai bis zum 21. Juni 2001 wurde auf den Internetseiten der Stadt Esslingen Bürgern die Möglichkeit gegeben, Informationen über das Planungsvorhaben online abzurufen (Karten, Entwürfe, Gutachten zur Erschließung des Neubaugebietes). Auf Grundlage dieser Informationen konnten die Bürger an einem Diskussionsforum teilnehmen, das intensiv durch drei Moderatoren betreut wurde (Abbildung 1). Zum Zeitpunkt der Bürgerbeteiligung war zwar die Entscheidung zur Planaufstellung (Aufstellungsbeschluss) im Gemeinderat noch nicht gefallen. Gleichwohl handelte es sich nicht um einen ergebnisoffenen Prozess, weil die Mehrheit im Gemeinderat durch die Auslobung eines städtebaulichen Ideenwettbewerbs bereits ihre Unterstützung für das Planungsvorhaben signalisiert hatte und die Planungen zu diesem Zeitpunkt schon relativ weit fortgeschritten waren. Zwischen dem Stadtplanungsamt und dem Gemeinderat wurde verabredet, dass die Stellungnahmen der Bürger dem Gemeinderat vor der Entscheidung über weitere Verfahrensschritte zur Berücksichtigung vorgelegt werden. Neben dem Internetangebot organisierte die Stadtverwaltung eine ca. vierstündige Informationsveranstaltung in der Zeller Stadthalle. Bei dieser Veranstaltung wurden die Planungsunterlagen und Gutachten präsentiert und Bürgern die Gelegenheit gegeben, Fragen zu stellen und kritische Einwände vorzutragen. Bei dieser Gelegenheit wurde auch mittels Kurzvortrag durch die Moderation und mittels Handzettel auf das moderierte Internetforum hin gewiesen. Die Verfahrensgestaltung für das Internet-basierte Bürgerforum wurde von den Autoren übernommen. Dazu wurde im Vorfeld und während des Verfahrens eine Konzeption entwickelt, die sowohl auf die Einbettung des Internetangebotes in das Gesamtverfahren (externe Relevanz), als auch auf die aktive Gestaltung der Kommunikation im Internetforum (interne Relevanz) ausgerichtet war. 2. Kriterien kooperativer Planung Die Bewertung Internet-basierter Bürgerbeteiligung hängt von den jeweiligen Beurteilungsmaßstäben ab. Diese unterscheiden sich zunächst in keinster Weise von den üblichen Kriterien. Aus der Perspektive der gesetzlich verankerten Mindeststandards, oder genauer formuliert, der im kommunalen Planungsalltag verfestigten Interpretation des Planungsrechts, mögen Bemühungen zur Bürgerbeteiligung anders bewertet werden als aus der Perspektive jener innovativen „Ränder der Praxis“ (Sel- 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 4 le 1996) die durch ein kooperatives Planungsverständnis gekennzeichnet sind und in planungstheoretischen Diskursen als „neue Planungskultur“ bezeichnet werden (Selle 1996; 2000). Basisprinzipien dieser „neuen Planungskultur“ und vieler informeller Beteiligungsinstrumente6 sind u.a.:7 – – – – – – – – – – – Zum frühestmöglichen Zeitpunkt beteiligen Möglichst viele und möglichst viele unterschiedliche beteiligen Insbesondere diejenigen beteiligen, die von der Planung betroffen sind Beteiligungsgleichheit Offenheit in Bezug auf Lösungen und Wege zu Lösungen Dialogischer Kommunikationsmodus Moderation durch neutrale (allparteiliche) Dritte8 Unterschiedliche Sichtweisen zusammenführen Initiierung von Lernprozessen Entwicklung einer gemeinsamen Problemsicht Partizipatorische Entscheidungsfindung Wichtig ist auch ein subjektives Kriterium, welches sich nicht auf das Ergebnis des Verfahrens sondern den Verfahrensablauf bezieht: Die interne Verfahrensgerechtigkeit, also ob das Verfahren selbst als mehr oder weniger fair eingeschätzt wird, hat erhebliche Auswirkungen auf die Akzeptanz von Entscheidungen (Röhl 1993). Unserer Auffassung nach hat sich die Entwicklung einer Konzeption und Inwertsetzung einer (Internet-basierten) Bürgerbeteiligung immer an diesen anspruchsvollen Basisprinzipien „neuer Planungskultur“ zu orientieren. Andererseits können die „Niederungen kommunikativer Realität“ (Kreß 2000), also das tatsächlich praktizierte Planungsverständnis und die daraus resultierende Beteiligungskultur, die in der Regel nur wenige oder keine der oben angedeuteten Basiskriterien erfüllen, nicht ignoriert werden. Das heißt, dass Bürgerbeteiligungsverfahren in der Regel nicht mehr leisten können als die sie umgebenden, tatsächlichen Kommunikationsverhältnisse (Machtverhältnisse) bzw. Planungsverhältnisse zulassen. Dennoch gibt es Spielräume, die es zu nutzen gilt und im Idealfall Lernprozesse im Sinne einer „neuen Planungskultur“ herbeiführen. Diese können aber nur dann realisiert werden, wenn bestimmte Bedingungen durch die Gestalter des Beteiligungsverfahrens hergestellt werden. Mit Blick auf Internet-gestützte Bürgerbeteiligung werden diese im folgenden näher beschrieben. 6 Zu informellen Beteiligungsverfahren vergleiche zum Beispiel Beckmann und Keck (1999). vgl. u.a. Märker (1999), Renn und Webler (1998), Rittel und Webber (1972), Rittel und Webber (1973), Selle (1996), Selle (2000); mit Bezug zur Mediation vgl. Förderverein für Umweltmediation e.V. (o.J.), Zilleßen (1998) oder Troja (2001); zur Procedural Justice Forschung vgl. Leventhal (1980), Röhl (1993). 8 Von Allparteilichkeit wird insbesondere im Rahmen von Mediation gesprochen. 7 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 5 3. Erfolgsbedingungen für Internet-gestützte Bürgerbeteiligung: Drei Säulen Der Erfolg Internet-gestützter Bürgerbeteiligung wird von drei „Säulen“ getragen. Die erste weist darauf hin, dass Bürger kaum für ein Beteiligungsverfahren motiviert werden können, es nicht als wichtig und bedeutsam im Planungsprozess wahrgenommen wird. Die Herstellung und Sicherung dieser externen Relevanz durch die Definition von Schnittstellen zwischen dem Beteiligungsverfahren und dem formalen Entscheidungsprozess muss daher notwendiger Bestandteil eines jeden konzeptionellen Entwurfes sein – dies unterstreichen auch Fietkau et al. (2001: 135) in ihrer Synopse Internet-gestützter Diskurs- und Mediationsverfahren in öffentlichen Konfliktlagen. Abbildung 2: Der Erfolg Internet-gestützter Bürgerbeteiligungsverfahren ruht auf drei Säulen. Die zweite Säule beschreibt die technische Grundlage der Software, die in ihrer Bedeutung für Internet-gestützte Bürgerbeteiligungsverfahren zwar häufig überschätzt wird9, jedoch ohne Zweifel den Rahmen für die kommunikativen Prozesse setzt. Um 9 Software ist zwar notwendig aber, keinesfalls hinreichend. Denn erst durch eine konzeptionelle Einbettung in einen Verwertungszusammenhang kann sie in Wert gesetzt werden. Oder anders formuliert: Hat das internet-basierte Beteiligungsangebot Relevanz, dann wird gegebe- 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 6 die Vorteile Internet-gestützter Bürgerbeteiligung zu nutzen, sollte das Internetangebot nicht nur die üblichen Kriterien für Benutzerfreundlichkeit (Übersichtlichkeit, selbsterklärende Bedienung, etc.) erfüllen, sondern vor allem auch interaktiver Natur sein, d.h. fortwährend gestaltbar durch die Beteiligten selbst. Das Informationsangebot kann so auf dem aktuellen Stand gehalten werden und gleichzeitig verschiedene Perspektiven wiederspiegeln. Wichtig ist auch ein umfassendes Funktionalitätsspektrum der Diskussionssoftware, damit die Moderation über ausreichend Steuerungs- und Eingriffsmöglichkeiten verfügt (Trénel 2001a: 88). Beteiligungsverfahren sind nicht automatisierbar, sondern erfordern die flexible Gestaltung des Verfahrens und der Diskussionsinhalte. Dem muss die Software durch weitgehende Konfigurierbarkeit Rechnung tragen. Darüber hinaus sollte das Internetangebot ortsund zeitunabhängige aber zugleich kohärente Diskussionen ermöglichen, denn die Bürger sollen sich bequem von zu Hause oder der Arbeit aus zu selbstgewählten Zeitpunkten beteiligen können. Diese flexible Teilnahmemöglichkeit erschwert grundsätzlich die gewünschte enge inhaltliche Verzahnung der Diskussionsbeiträge. Dem muss durch ein besonderes Verfahrens- und Softwaredesign begegnet werden. Es kommt dabei vor allem darauf an ein Verfahren zu finden, dass die Vielzahl der Einzelbeiträge in zusammenfassende Texte überführen kann.10 Neben der Herstellung der verfahrensexternen Relevanz und der Einrichtung einer interaktiven Internetplattform ist die aktive Gestaltung und Qualitätssicherung des Kommunikationsprozesses ein Charakteristikum aller informellen Beteiligungsinstrumente, welche mittels Moderation durch unabhängige (allparteiliche) Dritte realisiert wird. Ähnlich wie bei „realen“ Bürgerversammlungen oder anderen Gruppendiskussionen trägt Moderation auch bei Diskussionen in Internetforen entscheidend dazu bei, ob Ergebnisse erzielt werden können oder nicht. Denn durch Moderation kann unter den Beteiligten das Vertrauen darin gestärkt werden, dass der Prozess tatsächlich zu einem Ergebnis führen wird. Darüber hinaus kann geschickte Moderation als motivierend und herausfordernd erlebt werden. Die interne Relevanz durch lebendige, ergebnisorientierte Verfahrensgestaltung ist somit die dritte Säule für den Erfolg von (Internet-gestützten) Bürgerbeteiligungsverfahren. Der Erfolg Internet-gestützter Bürgerbeteiligung ruht diesen Überlegungen folgend auf drei Säulen (siehe Abbildung 2), die für sich genommen alle notwendig aber nicht hinreichend sind. Das Fundament der Säulen wird von einigen Grundvoraussetzungen gebildet wird. Dazu gehört vor allem der hindernisfreie Internetzugang aller relevanten Interessenengruppen. Neben der technischen Ausstattung geht es nenfalls sogar ein nach software-ergonomischen oder funktionalen Gesichtspunkten mangelhaft gestaltetes Angebot genutzt, während ansprechende Internetangebote möglicherweise nicht genutzt werden, weil der Verwertungszusammenhang nicht vorhanden oder unglaubwürdig ist, oder aber nicht deutlich genug kommuniziert wurde. 10 Hierzu bieten sich „Ein-Text-Verfahren“ an, auf die im Abschnitt 5 näher eingegangen wird. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 7 dabei um die Frage, ob die Kenntnisse und die Motivation vorhanden sind sich in diesem Medium zu artikulieren. Gegebenenfalls kann es ausreichen, wenn aus jeder Interessengruppe einige Vertreter an der Online-Diskussion teilnehmen. 3.1 Externe Relevanz durch definierte Schnittstellen (Säule 1) Im Esslinger Pilotprojekt „Internet-basierte Bürgerbeteiligung zum Neubaugebiet ‚Egert’ Esslingen-Zell“ zeigte sich von Anfang an, dass die Vorgeschichte der Planung – die im wesentlichen unter Ausschluss und nicht unter der Mitwirkung der Esslinger Bürger stattfand – auch für den geplanten Internetauftritt ein bestimmender Faktor war. So sagte ein Mitglied der ortsansässigen Bürgerinitiative: „Warum soll ich mich im virtuellen Raum beteiligen, wenn ich schon im realen nicht ernst genommen werde?“. Der „Anfangsverdacht der Irrelevanz“ (Selle 2000), dass der Einsatz der Informationstechnik im Rahmen des Media@Komm-Projektes die eigentliche und einzige Bestimmung des Pilotprojektes sein könnte, stand von Anfang an als kritischer Punkt im Raum und kann als Unsicherheitsfaktor sowohl für die Bürger als auch für die beauftragte Moderation angesehen werden. Eine umfassende Verwertungszusage gab es nicht, Ergebnisoffenheit konnte ebenfalls nicht mehr vorausgesetzt werden. Dennoch fand diese Beteiligung vor dem formalen Verfahren statt, so dass bei einer realistischen Einstufung des Pilotprojektes entsprechende Spielräume vorhanden waren. Das Bestreben der Moderation war daher von Anfang an, das Pilotprojekt im Hinblick auf die oben aufgelisteten Basisprinzipien der „neuen Planungskultur“ nicht auf die gleiche Stufe mit konsensorientierten kooperativen Verfahren wie z.B. Online-Mediation (Trénel 2001b) zu stellen, sondern die tatsächliche Reichweite des Projektes in der Öffentlichkeit klarzustellen. Nach einer entsprechenden Analyse der Planungsgeschichte stufte die Moderation das Pilotprojekt als zusätzliche „Bürgeranhörung“ ein und kommunizierte dies entsprechend in der Öffentlichkeit. Zu hohe Erwartungen hätten Unmut bei der Umsetzung der Ergebnisse erzeugt, zu niedrige Erwartungen die Beteiligungsmotivation reduziert und dadurch die Chance auf Teildialoge zunichte gemacht. Es war daher sinnvoll, die bestehenden Machtverhältnisse offen darzustellen und darauf hinzuweisen, dass die große Mehrheit im Stadtrat eine Bebauung bereits befürwortet. Erklärtes Ziel war, ein Verfahrensmodul anzubieten, das als Internet-basierte Bürgeranhörung die Elemente der schriftlichen und der face-to-face Kommunikation entlastet und möglicherweise die Qualität der Gesamtlösung erhöht. Dazu waren einige Maßnahmen zur Sicherung der Relevanz vor, während und nach dem vierwöchigen Beteiligungszeitraum notwendig, die sich vor allem auf die Schaffung von Schnittstellen zwischen dem Internet-basierten Kommunikationsprozess und dem „realen“ Kommunikations- bzw. Entscheidungsprozess konzentrierten: 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 8 – – – – Konfliktanalyse Öffentlichkeit herstellen Experten (aus der Verwaltung) einbinden Entscheidungsträger einbinden und Ergebnisse sichern Konfliktanalyse: Die Konfliktanalyse im Vorfeld war Hauptbestandteil und Ausgangspunkt für alle weiteren Maßnahmen. Denn nur bei einem angemessenen Verständnis der vorliegenden Konflikte und Interessenlagen ist ein sinnvoller Einsatz von (Online-) Moderation möglich. Hier unterscheiden sich internetgestützte Verfahren in keiner Weise von anderen Kommunikationsformen. Im Vergleich zu einem face-to-face Kommunikationsverfahren fällt auf, dass die Konfliktanalyse nicht strikt vor dem eigentlichen Verfahrensbeginn abgeschlossen war, sondern auch während der Diskussionsphase andauerte. Auch wenn dies zum Teil durch die Kürze der Vorbereitungszeit und dem Pilotcharakter des Verfahrens zu erklären ist, so lässt sich dennoch festhalten, dass hier eine Besonderheit von internetgestützten Verfahren liegt. Während zu Beginn eines realen Workshops alle wesentlichen Informationen vorliegen müssen, um ein faires Verfahren zu gewährleisten, ermöglichte die asynchrone Kommunikation auch nachträglich Informationen zu beschaffen oder neue Diskussionsteilnehmer hinzuzuziehen. Wichtige Gesprächspartner waren die Verantwortlichen für das Media@Komm Projekt in Esslingen, die Vertreter des Stadtplanungsamtes, der Bürgerinitiativen und der Ratsfraktionen. Ebenso war der Kontakt mit dem zuständigen Redakteur der Lokalzeitung eine wichtige Quelle für Informationen zum Konfliktverlauf. Potenzielle Neubürger des zu bebauenden Gebietes konnten leider nicht identifiziert werden. Die Analyse ergab, dass die zentrale Konfliktlinie zwischen Politik/Verwaltung und den ansässigen Bürgern verlief. Innerhalb dieser Gruppen gab es wenig Interessenunterschiede. Auf der Politikseite waren sich die großen Fraktionen sich einig, dass die wirtschaftlichen ProArgumente stark zu gewichten sind, während für die ansässigen Bürger die schutzorientierten Kontra-Argumente die größere Bedeutung hatten. Öffentlichkeit herstellen: Aufgrund der beschriebenen Vorhersehbarkeit der politischen Entscheidung konnte die Moderation keine Garantie für die Verwertung der Diskussionsergebnisse im politischen Raum geben und entschloss sich daher, andere definierte Schnittstellen zwischen dem virtuellen und realen Diskussionsprozess zu schaffen. Angestrebt wurde darum die Zusammenarbeit mit der Esslinger Lokalzeitung, die bereits im bisherigen Diskussionsverlauf eine gewisse Moderatorenrolle übernommen hatte. Ziel dieser Zusammenarbeit war die medienübergreifende Verbreitung der Diskussionsergebnisse (Ergebnistransfer in die Öffentlichkeit), um den Dialog im Internet Gewicht zu verleihen. Gleichzeitig sollte damit die Motivation zur Beteiligung gefördert werden. Experten (aus der Verwaltung) einbinden: Die zweite wichtige Schnittstelle zwischen virtuellem und realem Verfahren wurde engagiert vom Stadtplanungsamt 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 9 ausgefüllt. Nach beharrlicher Aufforderung durch die Moderation wurden Fragen und Kommentare von Bürgern zeitnah und aufrichtig beantwortet, so dass hier von einem echten Dialog zwischen Bürger und Verwaltung gesprochen werden kann, der auch für die vielen passiven Nutzer des Internetforums nachvollziehbar war. Entscheidungsträger einbinden und Ergebnisse sichern: Im Vorfeld und insbesondere während des gesamten vierwöchigen Verlaufs der „Internet-basierten Bürgeranhörung“ wurden Vertreter der Stadtverwaltung und des Gemeinderats durch die Moderation angesprochen und aufgefordert, auf Stellungnahmen bzw. Anfragen, die im Internetforum eingegangen waren, zu antworten. Die Moderatoren konnten jedoch keinen politischen Vertreter dazu bewegen, sich persönlich an der Diskussion zu beteiligen. Vor dem Start der „Internet-basierten Bürgeranhörung“ lag die Zusage vor, dass der Gemeinderat bzw. der zuständige Bauausschuss die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung „zur Kenntnis nehmen“ wird und – käme es zu dem Aufstellungsbeschluss – die eingegangenen Bedenken und Anregungen im weiteren (dann formalen) Verlauf des Verfahrens berücksichtigt würden. Dem Bauausschuss wurde daher nach Ablauf der Internet-basierten Anhörung eine Dokumentation der gesamten Diskussion und eine – mit den (aktiven) Teilnehmern den Diskussionsforums abgestimmte11 – Zusammenfassung vorgelegt, die auch im Internet abrufbar war.12 Ein Vertreter des Moderatorenteams stellte zudem die Ergebnisse in der Bauausschusssitzung in einem Kurzvortrag vor. 3.2 Softwaredesign für eine flexible Internetplattform (Säule 2) Die Beteiligungsplattform13 des Pilotprojektes bestand aus drei zentralen Bereichen: Eingangsseite – Bürgerinformation – Moderierte Diskussionsforen – Eingangsseite: Die Eingangsseite (Abbildung 1) führte in kurzer Form in das Beteiligungsangebot ein und informierte über den Zeitraum, über das Moderatorenteam14, 11 Alle aktiven Teilnehmer hinterließen in den Foren ihre E-Mail Adresse, so dass diesen eine Zusammenfassung via E-Mail mit der Bitte um Kommentierung und Ergänzungen zugesandt werden konnte. Aufgrund der beschränkten Zeit bis zur Sitzung des Bauausschusses konnte über die durch die Moderation erstellte Zusammenfassung der Diskussion kein weiterer Diskussionsprozess durchgeführt werden. Dies kann aber durchaus in anderen Projekten möglich und sinnvoll sein, z.B. mittels eines Collaborative Authoring Tools wie etwa die Software Digital Document Discourse Environment (D3E, http://d3e.open.ac.uk/). 12 http://zeno.gmd.de/zeno/open/sdm994421299015 13 http://forum.esslingen.de/buerger/ 14 Die Mitglieder des Moderatorenteams waren über eine einzige e-mail Adresse erreichbar. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 10 über die angestrebte Verwertung der Ergebnisse (Einordnung des Beteiligungsangebotes), über die vorausgehenden Planungen, über den jeweils aktuellen Stand der Dinge und über die Ansprechpersonen. Die Eingangsseite wurde mehrfach durch die Moderation aktualisiert, um über den Stand des Verfahrens fortlaufend zu informieren. Von der Eingangsseite wurde auf das eigentliche Internetangebot verwiesen, zum einen auf den Bereich „Bürgerinformation“ und zum anderen auf die moderierten Diskussionsforen, die beide mit der eingebundenen Software Zeno15 realisiert wurden. Bürgerinformation: In diesem Bereich wurden Informationen bzw. Verweise auf Informationen zum Planungsvorhaben zur Ansicht bzw. zum Download zur Verfügung gestellt. Dies wurde mittels eines virtuellen Arbeitsraums (Shared Workspace) von Zeno realisiert. In dem Arbeitsraum wurde von Mitarbeitern der Stadtverwaltung und von den Moderatoren im Vorfeld und während des vierwöchigen Beteiligungszeitraums eine Ordnerstruktur angelegt (Ordner, Unterordner, usw.), Informationen hochgeladen oder entsprechende Verweise auf Informationen erzeugt (siehe Abbildung 3). 15 http://www.ais.fraunhofer.de/MS/zeno/zenoSystem.html 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 11 Abbildung 3: Der Bereich „Bürgerinformation“ wurde mittels eines Shared Workspace des Mediationssystems Zeno realisiert. Für die Einrichtung und Pflege des Arbeitsraumes waren entsprechende Zugangsund Nutzungsberechtigungen erforderlich (Login-Prozedur mit Usernamen und Passwort), während das Browsen und Herunterladen keinerlei Zugangsberechtigung voraussetzte16. Im Verlauf der Bürgerbeteiligung wurden von Bürgern neue Informationen nachgefragt und vom Stadtplanungsamt prompt eingestellt. 16 Das Hochladen von ergänzenden Informationen ohne Username und Passwort war aufgrund einer Panne in der Zeno-Konfiguration leider nicht möglich. Auf diese Weise hätten Bürger eigenhändig das Informationsangebot um ihre Perspektive ergänzen können. Immerhin haben die Moderatoren auch einen Verweis auf das Internetangebot der Bürgerinitiative eingerichtet. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 12 Abbildung 4: Diskussionsbereich mit Verweisen zu den Foren zu Beginn des Beteiligungsprozesses. Moderierte Diskussionsforen: Diese wurden ebenfalls auf der Basis von Zeno realisiert. Von der Eingangsseite wurde auf einen Bereich im Zeno Arbeitsraum verwiesen, in dem sich zu Beginn zunächst zwei Diskussionsforen („Anregungen und Bedenken zum Baugebiet Egert Esslingen-Zell“ und „Kommentare, Anregungen und Kritik zu dem Internetangebot erwünscht!“, siehe Abbildung 4) befanden, die jeweils durch Anklicken betreten werden konnten. Dieser Bereich und die Seiten der Diskussionsforen selbst (z.B. das Forum „Anregungen und Bedenken...“ in Abbildung 5) wurden im Verlauf der Diskussion durch die Moderatoren ständig modifiziert, wobei bestimmt Moderationsstrategien verfolgt wurden (siehe 3.3). Die interaktive Plattform Zeno sowie die Startseite wurden auf dem Server der Stadt Esslingen installiert bzw. abgelegt. Aufgrund technischer Probleme stellte dieser Server seine Tätigkeit ab und zu spontan ein, so dass die Beteiligungsplattform 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 13 zusammen genommen ca. vier Tage nicht zugänglich war. Es ist davon aus zu gehen, dass durch diese (heutzutage leider nicht unüblichen) Computer-Pannen einige Bürger abgeschreckt wurden – zumindest haben die Moderatoren einige verärgerte E-mails erhalten von Personen, die sich später nicht mehr an der Diskussion beteiligt haben. Abbildung 5: Beispiel für ein Zeno Diskussionsforum (hier ein Ausschnitt aus dem Forum „Anregungen und Bedenken zum Baugebiet Egert Esslingen-Zell). 3.3 Interne Relevanz durch aktive Moderation (Säule 3) Zur Sicherung der internen Relevanz der Bürgerbeteiligung, also eines ergebnisorientierten und lebendigen Kommunikationsprozesses, griffen die Moderatoren aktiv aber neutral in den Austausch der Beiträge ein. Beim Esslinger Internetforum beschränkten sich die Online-Moderatoren im Gegensatz zur weit verbreiteten Praxis nicht nur auf das Zurückziehen unangebrachter Beiträge oder darauf, die Diskussionsteilnehmer an einen sachlichen und respektvollen Umgang zu erinnern. Sondern es wurden zusätzlich eine Reihe wichtiger Moderationsstrategien verfolgt: 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 14 – – – – – – – Übersichtlichkeit und Ergebnisorientierung der Diskussion garantieren Lebendigkeit des Forums herstellen Argumentation herausfordern und weiterentwickeln Einfachen Zugang aber auch Authentizität und Sicherheit gewährleisten Konflikteskalationen bearbeiten Reflexivität des Verfahrens ermöglichen Moderation im Team Übersichtlichkeit und Ergebnisorientierung der Diskussion garantieren: Auf der Basis der Konfliktanalyse und Vorgeschichte der Planung stellten die Moderatoren zu Beginn klare und einfache Fragen in das Forum. Im Verlauf der Diskussion wurde gelegentlich die Zuordnung der Beiträge – mit Zustimmung der Bürger – von der Moderation geändert. In regelmäßigen Abständen schrieben die Moderatoren Zusammenfassungen der Diskussion und stellten auf deren Grundlage zugespitzte Fragen in neu eröffneten Diskussionsforen. Letzteres immer dann, wenn ein Diskussionsforum unübersichtlich zu werden drohte oder hinreichend Argumente ausgetauscht worden waren. Im Verlauf der vierwöchigen Diskussion zeigten sich sehr schnell die Vorteile einer aktiven Gestaltung des Kommunikationsprozess durch die Online-Moderation. Durch die eingangs klar formulierten Fragen wurde eine gute Strukturierung der Diskussion in Schwerpunkte erreicht. Inhaltlich äußerte sich diese Strukturierung in einem relativ hohen Grad der gegenseitigen Bezugnahme, was für internet-basierte Kommunikation erfahrungsgemäß keineswegs selbstverständlich ist. Die gegenseitige Bezugnahme wurde auch durch die persönliche Ansprache von Akteuren erreicht. Auch die Zusammenfassungen und Versuche, die Diskussion zuzuspitzen, mittels eigener Foren für „Kernfragen“ wurde angenommen und sorgte dafür, dass nicht alle Themen in einem Forum bearbeitet wurden, sondern eine strukturierte Diskussion möglich war.17 Diese Strukturierung war auch für die Erstellung der abschließenden Dokumentation von Vorteil. Lebendigkeit des Forums herstellen: Die Moderatoren versuchten den Bürgern zu vermitteln, dass in dem Forum „was passiert“. Deswegen wurde auf Anfragen oder Änderungswünsche von Bürgern oder bei Bedienungsproblemen prompt und durch persönliche Ansprache reagiert und auf eine eigene Vorstellung des Moderatorenteams inklusive Fotos nicht verzichtet. Durch möglichst zeitnahe und persönliche Rückmeldung wurde versucht, interne Relevanz herzustellen. Es sollte zu keinem Zeitpunkt der Eindruck entstehen, dass das Forum sich selbst überlassen ist. Argumentation herausfordern und weiterentwickeln: Um eine möglichst fruchtbare Diskussion zu gewährleisten, wurden die Teilnehmer der Diskussion durch persönliche Ansprache per E-Mail gebeten, andere Stellungnahmen zu kom17 Das Hauptforum blieb trotz der neuen Foren “Kernfragen zu ...“ weiterhin für die Teilnehmer offen. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 15 mentieren. Da die Diskussion um das geplante Neubaugebiet im Internetforum natürlich nicht bei Null anfing, haben die Moderatoren Zeitungsartikel, Pamphlete und Leserbriefe in dem Forum verfügbar gemacht und die Teilnehmer des Forums dazu ermuntert, diese zu zitieren. Einfachen Zugang aber auch Authentizität und Sicherheit gewährleisten: Auf eine abschreckende Login-Prozedur mittels Usernamen und Passwort wurde trotz des das viel diskutierten Themas „Sicherheit und Authentizität“ verzichtet, insbesondere weil die Qualität der Argumente und nicht die Häufigkeit bzw. die Identität des Absenders zählte. Stattdessen wurde ein weiches Sicherheitskonzept verfolgt: Zunächst wurde die Diskussion beobachtet. Dabei stellte sich heraus, dass alle Teilnehmer unter ihrem tatsächlichen Namen und unter Angabe ihrer korrekten E-MailAdresse Beiträge einstellten. Nur in einem Fall hatten die Moderatoren starke Zweifel bezüglich der Authentizität eines Beitrages. Da es sich vorgeblich um eine Person der Stadtverwaltung handelte, wurde der Beitrag zunächst zurückgezogen und anschließend, da er sich als „echt“ herausstellte, wieder freigegeben. Um weitere Unsicherheiten zu vermeiden, wurden dann an diese Personen und jeden, der es wünschte, Usernamen und Passworte18 vergeben. Diese Personen hatten dann zwar nicht mehr Rechte als alle anderen Teilnehmer, jedoch konnten so ihre Identität durch das jeweils zuvor durchgeführte Login geschützt werden. Konflikteskalationen bearbeiten: Obwohl die Diskussion sachlich und fair verlief, kam es dennoch zu einem Streitfall zwischen zwei Teilnehmern inklusive Klagedrohung. In diesem Fall mussten Beiträge von den Moderatoren zurückgezogen werden und die betroffenen Teilnehmer zum Überdenken ihrer Beiträge aufgefordert werden. Um den Zugang zur Diskussion möglichst einfach zu gestalten, waren die Zeno-Foren auf „Direktveröffentlichung“ eingestellt, so dass neue Beiträge jeweils mit dem Absender sofort für alle anderen Teilnehmer sichtbar waren. Der „Zwischenfall“ offenbarte die Schwäche dieser Strategie: Die besagten Beiträge standen zwar nur etwa 2 Stunden im Forum, bevor die Moderation sie „entdeckte“ und zurückzog19, allerdings konnte die Entstehung des Konflikts nicht mehr verhindert werden.20 18 Passworte werden automatisch durch Zeno generiert und an den Adressaten via E-Mail versendet. 19 Originalbeiträge können durch die Moderation nicht gelöscht, nur zurück gezogen werden. Lediglich das Editieren ist möglich. Allerdings wird in Zeno (Version 1.9) immer eine unveränderbare Kopie des Originals gespeichert. 20 Folgende Strategie wäre denkbar für die Zukunft: Neue Beiträge können zunächst nur durch den Autor und die Moderation gelesen werden und werden erst dann für alle sichtbar, wenn sie jeweils durch die Moderation oder automatisch nach einem vorher festgelegten Zeitraum freigegeben wurden. Diese Strategie hätte auch den Vorteil, dass der Autor jeweils noch Zeit hätte seinen Beitrag zu überdenken, zu editieren oder auf die Veröffentlichung zu verzichten. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 16 Reflexivität des Verfahrens ermöglichen: Die Moderatoren haben in einem separaten Diskussionsforum („Kommentare, Anregungen und Kritik zu dem Internetangebot erwünscht!“) dazu eingeladen, das Internetangebot selber zu kommentieren. Dort geäußerte Änderungswünsche wurden, wenn möglich, noch während der Laufzeit des Forums umgesetzt. Zum Beispiel wurden Verweise von der Eingangsseite auf Informationen und die Diskussionsforen vereinfacht und zu große Dateien im Informationsbereich „abgespeckt“. Moderation im Team: Die Autoren moderierten das Internetforum im dreitägigen Wechsel. Dadurch konnte eine zeitnahe Moderation über die gesamte Laufzeit gewährleistetet werden. Ein Team von Moderatoren ist einem einzelnen Moderator aber nicht nur deswegen vorzuziehen, weil dadurch eine lückenlose Betreuung der Diskussion auch an Wochenenden und Feiertagen möglich ist. Hinzu kommt, dass textbasierte Kommunikation hin und wieder zu Unsicherheiten und dann zu großen Interpretationsspielräumen führen kann. Davon ist auch die Moderation betroffen. So hat sich als Vorteil erwiesen, dass die Moderatoren sich gegenseitig zu Rate ziehen konnten, wenn Unsicherheiten bezüglich des Inhalts bzw. der „verschlüsselten“ Aussagen eines eingegangen Diskussionsbeitrags – insbesondere im Hinblick auf die Wahrung der Allparteilichkeit – bestanden. Die Vorteile eines Moderatorenteams liegen hier auf der Hand, allerdings erforderte die Teamarbeit in unserem Projekt häufige und zeitaufwendige Absprachen via E-Mail oder Telefonkonferenzen. 4. Evaluation Nach der Übergabe der Ergebnisse der Internet-gestützten Bürgerbeteiligung in Esslingen-Zell an den Stadtrat (siehe 3.1) standen eine Reihe von Daten zur Auswertung zur Verfügung: Die protokollierten Diskussionen, ein Zugriffsprotokoll auf den Zeno-Server, Zeitungsberichte sowie die Daten einer Fragebogenstudie unter den aktiv Beteiligten mit einer Rücklaufquote von 50%. Was hat uns dieser Pilotversuch gezeigt, wie ist das Internet-gestützte Bürgerbeteiligungsverfahren gemessen an den oben beschriebenen Kriterien zu bewerten und was können wir aus den Erfahrungen lernen? 21 4.1 Umfang und Motive der Beteiligung Zwischen dem 21.5. und 21.6.2001 haben sich 26 Personen, darunter drei Vertreter der Stadtverwaltung und drei Moderatoren, aktiv an der Diskussion um das NeubauAllerdings würde diese Strategie eine Login-Prozedur mit Usernamen und Passwort verlangen, was bekanntlich die Zugangsschwelle deutlich erhöht. 21 Eine ausführliche Beschreibung der Evaluation wird in Kürze in der Schriftenreihe “WZBpapers“ des Wissenschaftszentrum Berlin veröffentlicht. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 17 gebiet Zeller Egert in Esslingen beteiligt. Hinzu kamen nach vorsichtiger Schätzung ca. 80 passiv Beteiligte, die selber keinen Beitrag formulierten, dafür aber Beiträge lasen22. Zwei Drittel der aktiv Beteiligten waren männlich, die meisten zwischen 40 und 50 Jahre alt und jeder zweite von ihnen gingen akademischen Berufen nach. Ungefähr die Hälfte der beteiligten Bürger waren direkte Anwohner der projektierten Erschließungsstraße oder des Baugrundstücks selber und gleichzeitig entschiedene Bebauungsplan-Gegner. Auch die andere Hälfte der aktiv beteiligten Bürger gab an, Gegner des Bauvorhabens zu sein, wenn auch nicht ganz so entschieden wie die direkten Anwohner. Lediglich eine Person befürwortete das Bauvorhaben offensiv. Gemeinderats- und Ortschaftsvertreter konnten nicht für die Diskussion gewonnen werden. Die Diskussionsforen wurden mit insgesamt 119 Beiträgen gefüllt, von denen mehr als die Hälfte von Bürgern beigesteuert wurden, während die restlichen Beiträge zu gleichen Teilen auf das Konto der Stadtverwaltung und der Moderation gingen23. Die meisten Beiträge wurden in der zweiten Hälfte des Verfahrens geschrieben – zwei Drittel der Beteiligten stiegen auch erst nach der Halbzeit in die Diskussion ein. Die beteiligten Bürger investierten im Schnitt ca. fünf Stunden. Mit welcher Motivation? Laut eigener Angaben war das Interesse am Meinungsaustausch und an Informationen über das Bauvorhaben ein wesentlicher Grund. Auch die Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung war vielen ein Anliegen. Die entschiedenen Gegner wollten darüber hinaus auch die politische Entscheidungsfindung beeinflussen – allerdings ohne ernsthafte Hoffnung, die Gemeinderatsvertreter würden sich für Ihre Argumente interessieren. Gleichzeitig ging es denjenigen, die nicht zum Kreis der direkt Betroffenen zählten, auch darum, das neue Medium als demokratisches Instrument auszuprobieren. Diese Ergebnisse belegen, dass eine Reihe von direkt betroffenen und an der Thematik interessierten Bürgern durch das Beteiligungsverfahren erreicht werden konnte, ohne Illusionen über die Einflussmöglichkeiten des Beteiligungsverfahrens auf die politische Entscheidung zu erzeugen. Dies ist auch angesichts der relativ kurzen Vorbereitungszeit als Erfolg zu werten. Es ist schwer zu beurteilen, ob die Zahl der beteiligten Bürger eine hohe oder eine niedrige ist, auch weil unbekannt ist, 22 Die Startseite wurde insgesamt 1387 mal aufgerufen, die “Bürgerinformation“ 1648 mal und das Diskussionsforum “Anregungen und Bedenken zum Neubaugebiet“ 4336 mal. Die konservative Schätzung von 80 passiven Teilnehmern resultiert aus dem Abzug der Zugriffe durch die Moderatoren, der aktiven Teilnehmer, der Fachöffentlichkeit (Media@Komm) und von Suchmaschinen, wobei mehrmaliges Zugreifen pro Person berücksichtigt wurde. 23 Die Beiträge verteilten sich nicht gleichförmig auf alle Beteiligten, sondern folgten (wie in Internet-Diskussionsforen üblich) einem logarithmischen Verlauf: die Moderatoren ausgenommen wurden 40% aller Beiträge von lediglich vier Personen geschrieben. Oder: die Hälfte der aktiv Beteiligten schrieb nicht mehr als zwei Beiträge. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 18 wie groß die Grundgesamtheit der Bürger ist, die mit diesem Beteiligungsangebot erreicht werden sollte. Allerdings handelte es sich nicht um eine Abstimmung, sondern um ein deliberatives Verfahren, in dem Argumente und Ideen gesammelt und weiterentwickelt werden sollten. Deswegen soll die Bewertung des Diskussions- und Verfahrensablaufs sowie die Bewertung der Auswirkungen ein größeres Gewicht bei der Auswertung erhalten. 4.2 Bewertung des Diskussions- und Verfahrensablaufes Wie bereits oben erwähnt zeichnete sich die Diskussion durch eine hohe Kohärenz aus, d.h. in den Diskussionsforen entstanden teils längere „Äste“ durch die gegenseitige Bezugnahme. Viele Beiträge waren sehr detailliert: beispielsweise wurden die Ursachen der rückläufigen Bevölkerungsentwicklung in Esslingen, die Möglichkeit den Wohnungsbedarf im Bestand zu decken, oder die Frage ob die Bebauungsgegner nur an sich selbst denken würden, in aller Tiefe diskutiert. Diese Beobachtung korrespondiert mit der Einschätzung der Beteiligten, die Diskussion in den Foren wäre lebendig gewesen. Die wahrgenommene Verfahrensgerechtigkeit ist für die Bewertung des Verfahrens mindestens ebenso bedeutend wie das inhaltliche Ergebnis. Diesbezüglich wurden den Moderatoren gute Noten gegeben: Ihnen wurde ganz überwiegend Neutralität in der Sache bescheinigt, Vertrauen entgegen gebracht und zugestanden, die Diskussion übersichtlicher gemacht zu haben. Trotzdem stimmten insbesondere die direkt betroffenen Anwohner der Behauptung „Ich fand die Diskussion in den Foren sehr fair!“ nur teilweise zu – der einzige Befürworter des Bauvorhabens fühlte sich sogar persönlich angegriffen. Das Informationsangebot zum Bauvorhaben, welches das Stadtplanungsamt auf der Plattform zur Verfügung stellte, wurde fast durchweg als sehr hilfreich eingestuft. An der Orientierung im Forum gab es wenig auszusetzen, allerdings waren sich die Beteiligten nicht einig, was die Benutzerfreundlichkeit der Diskussionsforen anging: einige übten deutliche Kritik, andere hatten offenbar keine Probleme bei der Bedienung. 4.3 Bewertung der Auswirkungen Die Zufriedenheit mit dem Beteiligungsangebot insgesamt war unter den Befragten recht hoch und die überwiegende Mehrheit würde sich auf jeden Fall ein weiteres Mal beteiligen, wenn es in Zukunft wieder solch ein Beteiligungsangebot geben würde.24 Ein Befragter lobte „wie aus [einer] starren Behörde ein flexibler, zukunftsorientierter Dienstleister für [die] Esslinger Bürger geworden ist“. Schaut man 24 die restlichen Befragten würden sich “vielleicht“ ein weiteres Mal beteiligen 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 19 genauer hin (siehe Abbildung 6) zeigt sich, dass zwar die meisten der direkt betroffenen Bürger dem Beteiligungsverfahren immerhin ein „befriedigend“ attestierten, diese das Verfahren aber tendenziell negativer beurteilten. Der Grund dafür liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit in der unter den direkt Betroffenen oft anzutreffenden Ansicht, ihre Argumente würden von den Gemeinderatsvertretern nicht berücksichtigt. Diese Einschätzung wiederum hängt mit dem Eindruck zusammen, das Beteiligungsangebot sei einem einseitigen „Bürgerstriptease“ gleichgekommen, weil sich die Befürworter des Bauvorhabens bzw. die Gemeinderatsvertreter in dem Forum nicht zu Wort meldeten. In einer öffentlichen Stellungnahme bezeichnete die Bürgerinitiative das Beteiligungsverfahren folglich als „Alibi-Veranstaltung“. Wenigstens in einem Punkt dürften die entschiedenen Bebauungsgegner von der Teilnahme an dem Internetforum profitiert haben: Besonders diejenigen, die zwar einer Bebauung kritisch gegenüber standen, sich aber nicht zu den ganz entschiedenen Gegnern zählten, behaupteten nach der Diskussion die Argumente der Neubaukritiker besser zu kennen. Wie erwartet beschloss der Esslinger Bauausschuss einen Monat nach Abschluss des Internet-gestützten Beteiligungsangebotes unter Protest der Bürgerinitiative die Planaufstellung und leitete damit das Planungsverfahren für die Bebauung des Egert in Zell ein. Der Ausschuss beschloss ferner, dass alle Beiträge aus dem Internetforum als Einwände und Anregungen in die gesetzlich vorgeschriebene Bürgerbeteiligung im Rahmen der Bauleitplanung übernommen werden25. Was hat die Internet-gestützte Bürgerbeteiligung abgesehen von prozeduralen Veränderungen, also in der Sache selbst, bewirkt? An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Moderatoren im Laufe der Diskussion zwei „Berührungspunkte“ zwischen den Gegnern und Befürwortern des Bebauungsvorhabens identifizierten und als solche auch in der von allen Beteiligten akzeptierten Zusammenfassung der Diskussion deklarierten. Dies betraf zum einen die Anbindung des Neubaugebietes an den öffentlichen Nahverkehr, und zum anderen die Entwicklung eines Gesamtkonzeptes, welches den zukünftigen Flächenverbrauch in Esslingen regelt und begrenzt. Diese Punkte wurden nach Abschluss der Beteiligung vom Bürgermeister und einigen Gemeinderatsfraktionen in aller Öffentlichkeit (Lokalzeitung) aufgegriffen. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese „Berührungspunkte“ im Bebauungsplan bzw. der weiteren Baupolitik niederschlagen werden. Eine weitere Bürgerbeteiligung (per Internet) bei der Überarbeitung des Flächennutzungsplanes ist vom Stadtplanungsamt bereits anvisiert. 25 D.h. alle Beiträge werden dokumentiert und zu den Akten der Bauleitplanung gelegt. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 20 Wie bewerten Sie das Beteiligungsangebot? Personen 8 6 4 2 kein entschiedener Gegner ht ec hl sc af lh m an ge ch au sr ei ig ed fri be t d en d en gu t se hr gu t 0 entschiedener Gegner Abbildung 6: Zufriedenheit mit dem Beteiligungsangebot insgesamt. Damit hat die Internetgestützte Bürgerbeteiligung zweifelsohne die öffentliche Debatte über das Neubaugebiet beeinflusst. Aber es gibt noch weitere Indikatoren, die darauf hin deuten, dass das Internetforum in Esslingen-Zell „im Gespräch“ war: So wurde in der Lokalzeitung mindestens vier mal auf das Internetangebot Bezug genommen, wenn auch meist in eher knapper Form. Ungefähr die Hälfte der Befragten gab an, über die Tageszeitung auf das Internetforum aufmerksam geworden zu sein. Ebenso viele erfuhren von dem Internetangebot über persönliche Kontakte, denn fast alle Beteiligten sprachen über das Internetforum in der Familie, im Freundeskreis und in der Nachbarschaft. 4.4 Vor- und Nachteile Internet-gestützter Bürgerbeteiligung Die 23 Esslinger Bürger gehören zu den wenigen Personen, die bislang an einer Internet-gestützten Bürgerbeteiligung in aktiver Form teil genommen haben. Welche Vorteile und welche Nachteile hat ihrer Ansicht nach ein Beteiligungsangebot online? Abbildung 7 beinhaltet eine inhaltlich repräsentative Auswahl von Originalzitaten. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 21 + + „Bequem von zu Hause, zu jeder Zeit“ – „Zeit zum Formulieren, in Ruhe andere rung“ Kommentare lesen“, „Reaktionsmöglichkeiten auch für nicht spontan han- – delnde Menschen“, „positiv für nicht- – Redegewandte“, „keine Scheu vor Pub- + „Dokumentation der Argumente“ „vertiefte Herausarbeitung einzelner „zu starke Intellektualisierung“ „Emotionen können wahre Gesichter zeigen im Internet aber nicht möglich, likum, Emotionen besser reguliert“ + „fehlender Internetzugang verhindert eine breite Beteiligung der Bevölke- Menschen bleiben visuell inkognito“ – „Auch möchten die Leute nicht unbedingt ihre Meinung öffentlich kundtun“ Argumentationslinien“ + „Man kann sich problemlos in kurzer Zeit informieren und Meinungen austauschen!!“ Abbildung 7: Vor- und Nachteile Internet-gestützter Bürgerbeteiligung aus Sicht der Teilnehmer. 5. Schlussfolgerungen Aufgrund der Planungsgeschichte war von Anfang an klar, dass dieses Verfahrensmodul im Hinblick auf die Basiskriterien „neuer Planungskultur“ nur einen kleinen Beitrag wird leisten können. Erklärtes Ziel war daher, ein Verfahrensmodul anzubieten, das als „Internet-basierte Bürgeranhörung“ die Elemente der schriftlichen und der face-to-face Kommunikation entlastet und die Qualität der Gesamtlösung erhöht. Auch wenn es angesichts der geringen Zahl von beteiligten BebauungsBefürwortern nur im begrenzten Maße geglückt ist, unterschiedliche Sichtweisen zusammenführen, setzt das Esslinger Pilotprojekt doch ein positives Zeichen. Die Autoren sehen Ihren Drei-Säulen-Ansatz für die Gestaltung Internetgestützter Bürgerbeteiligungsverfahren im wesentlichen bekräftigt, denn erstens konnten durch die Definition von Schnittstellen eine Reihe von kritischen Bürgern zur Beteiligung motiviert werden; zweitens konnte mit Hilfe der aktiven Moderation nicht nur ein Diskussionsergebnis sondern auch Verfahrensgerechtigkeit hergestellt werden; und drittens konnte das Planungsproblem unter Verwendung einer interaktiven InternetPlattform besser erörtert werden als sonst üblich. Denn im Gegensatz zur üblichen Beteiligungspraxis im Rahmen der Bauleitplanung, die durch voneinander abgeschirmte und in der Regel einmalige (schriftliche) Kommunikationsereignisse in Form einer „Einbahnkommunikation in Richtung auf die federführende Planungsin- 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 22 stanz“ (Selle 1996: 80) gekennzeichnet ist26, wurden durch die Internet-basierte Beteiligung mehrfache Frage-und-Antwort-Reihen sowie Argumentationsstrukturen geschaffen, die von allen Interessierten verfolgt werden konnten. Gleichwohl hat das Pilotprojekt auch offene Fragen für die Zukunft aufgeworfen, die noch einer Lösung harren: 5.1 Einbindung von Entscheidungsträgern Für zukünftige Verfahren ist zu überlegen, wie die Schnittstelle zur Politik durchlässiger und ergebnisorientierter gestaltet werden kann. In Esslingen wurde gezeigt, dass Meinungsäußerungen der Bürger per Internet gesammelt, inhaltlich zusammengefasst und danach strukturiert an die Entscheidungsträger herangetragen werden können. Jedoch fehlt dieser Vorgehensweise der gegenseitige Dialog, der notwendig wäre, um substanzielle Veränderungen der Planungen und einen Interessenausgleich herbeizuführen. Solange die entscheidungstragenden Politikerinnen und Politiker nicht ihre Bewertungsmaßstäbe und Einschätzungen darlegen, können die Bürger nur aufgrund von Vermutungen diskutieren und nicht zielgerichtet auf die eigentlichen Kernargumente eingehen. Durch das Internet existiert jetzt die technische Möglichkeit diesen gegenseitigen Dialog zu führen. Daher stellt sich die Frage an die Kommunalpolitiker, ob sie die Möglichkeit zu einem engeren Ideenaustausch mit den von Ihnen vertretenen Bürgern nutzen wollen, oder ob sie ihre Entscheidungen innerhalb der professionellen Politik-Arena vorbereiten wollen. Es besteht die Aussicht, dass sich diejenigen Politiker, die ihre Meinung offener und im Dialog mit ihren Wählern bilden, ihr Profil in der Öffentlichkeit schärfen und verbessern werden. Dadurch könnte sich der vermehrte Aufwand auszahlen, der sich durch diese Dialogbereitschaft ergibt. Ein wichtige Aufgabe bei der Gestaltung von Internet-gestützten Beteiligungsverfahren wird es sein, diesen Aufwand besonders für die Politik genau einzugrenzen und nur an sinnvollen Punkten im Verfahren einzusetzen. Denn ebenso wie die Bereitschaft zu Kommunikation bei den Bürgern eine knappe Ressource ist, so gilt diese Knappheit auch in der Politik.27 5.2 Aufwand und Kosten Die Online-Moderation war sehr zeitaufwendig und damit kostenintensiv. Zwar konnte im Vergleich zur Durchführung konventioneller Dialogverfahren die Reisetätigkeit der Moderation deutlich verringert werden. Dennoch erforderte das Lesen der 26 also durch ein ‘Diskurs-Modell’, das in der Hauptsache auf einzelne Interaktionen zwischen Einwender und Anhörer zugeschnitten ist 27 Eine gesonderte Studie zur Einbindung der Politikebene ist zur Zeit der Drucklegung in Vorbereitung und kann bei den Autoren angefordert werden. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 23 vielen schriftlichen Beiträgen in den Foren, die Beantwortung von Anfragen und die Koordination des Prozesses via E-Mail oder Telefon viel Zeit. Von einer Vereinfachung oder gar Beschleunigung der Kommunikation kann daher keine Rede sein. Oder anders formuliert: Auch Online-Moderation kostet Geld und Zeit. Auszahlen kann sich dieser Aufwand in einer höheren Qualität der Ergebnisse und in einer breiten Zustimmung zu konfliktreichen Planungen. Aus der Sicht der Verwaltung bleibt ebenfalls festzuhalten: diese Form internetbasierter Dialoge ist für die Mitarbeiter unter den gegebenen Rahmenbedingungen in Stadtplanungsämtern ebenfalls sehr zeitaufwendig. Es wird also nicht jedes Planungsverfahren dafür in Frage kommen, sondern eben nur solche, die besonders umstritten sind. Für einzelne Akteure besteht jedoch die Möglichkeit, ihren Aufwand sehr punktuell einzusetzen und zu steuern. Daher können Online-Verfahrenselemente gerade für Entscheidungsträger mit hohen Zeitbelastungen ein sinnvoll einzusetzendes Instrument sein. 5.3 Softwareanforderungen Trotz Online-Moderation wurde von einigen Teilnehmern die fehlende Übersichtlichkeit in den Foren bemängelt. Textbasierte Kommunikation neigt schon bei relativ wenigen Beiträgen zur Überforderung der Teilnehmer. So unterstützt zwar die verwendete Software Zeno die kompakte Strukturierung von Beiträgen (siehe Abbildung 5). Dennoch stieß die Übersichtlichkeit auch hier relativ schnell an Grenzen. Auch könnten die Eingriffsmöglichkeiten für Moderatoren noch weiter ausgebaut werden. Z.B. wären Funktionen zur Um- und Restrukturierung der Diskussion (Umhängen oder Kopieren einzelner Beiträge oder ganzer Threads) sehr hilfreich gewesen. Nützlich im Sinne der Moderation wäre auch eine konfigurierbare Benachrichtigungsfunktion (Notification) gewesen, die via E-Mail oder mittels SMS Benachrichtigungen versendet, z.B. mit dem Hinweis, dass ein oder mehrere neue Beiträge eingetroffen sind und auf Freigabe warten. Insgesamt wäre es zu begrüßen, wenn in der Diskussions-Software zukünftig eine klare Unterscheidung der Moderationsansicht (viele Funktionen) von der Teilnehmeransicht (wenige, einfache Grundfunktionen) realisiert werden würde.28 Einen Ausweg aus der Unübersichtlichkeit kann das „Ein-Text-Verfahren“ anbieten, das im Rahmen des Harvard-Konzepts entwickelt wurde (Fisher 2001) und sowohl in der großen Politik wie auch vielen anderen Konflikten bereits erfolgreich angewendet worden ist (Horvath 2000). Kerngedanke des Verfahrens ist es, nicht über eine Fülle von Einzelbeiträgen und -vorschlägen zu diskutieren, sondern von Anfang an an einem gemeinsamen Text zu arbeiten und ihn wechselseitig so zu verändern, dass er am Ende die Interessen aller Konfliktparteien gut berücksichtigt. Ein 28 Dieses Ziel wird mit der Entwicklung von Zeno 2 verfolgt. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 24 wichtiger Vorteil besteht darin, dass alle Teilnehmer automatisch dazu angehalten sind, die Argumente ihrer Konfliktpartner zu lesen und zu verstehen, da dies der einzige Weg ist, auch die eigenen Argumente im gemeinsamen Text unterzubringen. Ein weitere Vorteil im Hinblick auf die Internet-Unterstützung ist, dass das Verfahren schon von der Grundidee her auf eine asynchrone Zusammenarbeit setzt. Dies ermöglicht eine konzentrierte, überlegte Bearbeitung und ist besonders bei emotional aufgeladenen Konflikten dem synchronen, physischen Treffen vorzuziehen. Grundsätzlich ist schon mit dem aktuellen Zeno-System ein Ein-Text-Verfahren durchführbar. Der Ausgangstext könnte von der Stadtverwaltung geschrieben werden, wenn sie als einigermaßen allparteilicher Akteur angesehen wird. Dieser Text wird im Forum veröffentlicht, wo zu überschaubaren Abschnitten Kommentare, Kritiken und Umformulierungsvorschläge gesammelt werden. Die Einarbeitung dieser Vorschläge sollte in mehreren Stufen durch die Moderation erfolgen, um ein stimmigen Gesamttext zu erhalten. Weiterentwicklungen der Diskussionssoftware können diese Bearbeitungsform unterstützen, sollten sie aber keinesfalls in ein bestimmtes Ablaufkonzept einengen, um die Flexibilität des Verfahrens zu sichern. Insbesondere sollte die Funktion des menschlichen Vermittlers bei der Einarbeitung der Vorschläge in den Gesamttext erhalten bleiben, da hierbei Kreativität für neue Lösungsvorschläge in hohem Maße gefordert ist. 5.4 Zeitpunkt für den Einsatz von Internet-Elementen Ein entscheidender Nachteil des Esslinger Pilotprojektes war von Anfang an die mangelnde Ergebnisoffenheit. Die Entscheidung über die Aufstellung des Bebauungsplanes stand nicht mehr ernsthaft zur Disposition. Daher sollte bei Planungsverfahren aufmerksam darauf geachtet werden, wann der richtige Zeitpunkt für eine offene Bürgerdiskussion vorliegt. Eine frühzeitige Diskussion kann mit InternetDialogen sehr gut unterstützt werden. Das hat das Esslinger Pilotprojekt gezeigt. Denn trotz des Verdachts, bei der Internetplattform könne es sich um eine „Spielwiese“ für Bürger handeln, zeigten viele Esslinger Bürger qualifizierte Gesprächsbereitschaft. Mit der Bedrohung wachsender Politikverdrossenheit im Nacken sollte aber bedacht werden, dass „die Bereitschaft zur Kommunikation eine knappe Ressource ist“. Es gilt behutsam mit ihr umzugehen, sie „nachhaltig“ zu nutzen“ (Selle 2000: 18). Dies gilt auch für Internet-gestützte Bürgerbeteiligung. 6. Literatur Beckmann, Jens und Gerhard Keck (1999): „Beteiligungsverfahren in Theorie und Anwendungen.“ 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 25 Fietkau, Hans-Joachim, Andrea Renz und Matthias Trénel (2001): „Online-Mediation in öffentlichen Konfliktlagen.“ Zeitschrift für Konfliktmanagement 4 (3), 132-135. Fisher, Roger, William Ury, Bruce Patton (2001): Das Harvard-Konzept: Sachgerecht verhandeln - erfolgreich verhandeln, 20. Auflage Förderverein für Umweltmediation e.V. (o.J.): Studienbrief Umweltmediation. Eine interdisziplinäre Einführung. Bonn: Förderverein für Umweltmediation e.V. Hall, Nicola (2001): Building digital bridges – creating inclusive online Parliamentary Consultations. Hansard E-democracy programme. http://www.hansardsociety.org.uk/findingsdigitalbridges.pdf Hansard Society (2000): Public Participation: Issues and Innovations. Sixth Report, Public Administration Select Committee. http://www.publications.parliament.uk/pa/cm199900/cmselect/cmpubadm/79/001110 2.htm Horvath, Patrick (2000): Jimmy Carters Mediation in Camp David. Strategien und Ergebnisse. http://www.medicalnet.at/horvath/carter.htm Kreß, Angelika (2000): „Repräsentation – Partizipation – Diskurs. Zur demokratietheoretischen Begründung verfahrensgesteuerter Diskurse.“ S. 197-236 in Diskurs – Begriff und Realisierung, Hrsg: Heinz-Ulrich Nennen. Würzburg: Königshausen und Neumann. Leventhal, G. S. (1980): „What should be done with equity theory? New approaches to the study of fairness in social relationships.“ S. 27-55 in Social exchange: Advances in theory and research, Hrsg: K. Gergen, M. Greenberg und R. Willis. New York: Plenum Press. Märker, Oliver (1999): Computervermittelte Kommunikation in der Stadtplanung, Unterstützung formaler Beteiligungsverfahren durch Issue Based Information Systems. GMD Research Series, 10 / 1999. Sankt Augustin (Germany): GMD Forschungszentrum Informationstechnik GmbH. Renn, Ortwin und Thomas Webler (1998): „Der kooperative Diskurs: Theoretische Grundlagen, Anforderungen, Möglichkeiten.“ S. 3-103 in Abfallpolitik im kooperativen Diskurs. Bürgerbeteiligung bei der Standortsuche für eine Deponie im Kanton Aargau, Hrsg: Ortwin Renn, Hans Kastenholz und Patrick Schild. Zürich. Polyprojekt Risiko und Sicherheit: Dokumente. 19. Rittel, Horst W.J. und Melvin M. Webber (1972): „On The Planning Crisis: System Analysis of the First and Second Generation.“ Bedriftsokonomen 8, 390-396. Rittel, Horst W.J. und Melvin M. Webber (1973): „Dilemmas in a General Theory of Planning.“ Policy Science, 155-169. Röhl, Klaus (1993): „Verfahrensgerechtigkeit (Procedural Justice). Einführung in den Themenbereich und Überblick.“ Zeitschrift für Rechtssoziologie 14, 1-34. Selle, Klaus (1996)2: Was ist bloß mit der Planung los? Erkundungen auf dem Weg zum kooperativen Handeln. Dortmunder Beiträge zur Raumplanung, 69. Dortmund. Selle, Klaus (2000): Was? Wer? Wie? Warum? Voraussetzungen und Möglichkeiten einer nachhaltigen Kommunikation. Arbeitsmaterialien für Studium und Praxis. KIP – 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel 26 Kommunikation im Planungsprozess, Dortmund: Dortmunder Vertrieb für Bau- und Planungsliteratur. Trénel, Matthias (2001a). Konfliktmanagement im Internet. Wissenschaftliche Zeitschrift der Technischen Universität Dresden 50 (1/2), 87-90. Trénel, Matthias (2001b). Online-Mediation: Nutzen, Software und Strategien. Wirtschaftspsychologie (2), 45-50. Troja, Markus (2001): Umweltkonfliktmanagement und Demokratie. Zur Legitimation kooperativer Konfliktregelungsverfahren in der Umweltpolitik. Forum Mediation und Verhandlung, Köln: Centrale für Mediation. Zugl. Oldenburg, Univ., Diss., 2000. Zilleßen, Horst (1998): „Das politische, gesellschaftliche und rechtliche Umfeld für Umweltmediation in Deutschland.“ S. 48-76 in Mediation – Kooperatives Konfliktmanagement in der Umweltpolitik, Hrsg: Horst Zilleßen. Opladen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. 10.11.01, Hagedorn, Märker, Trénel