als PDF - Flüchtlingsrat Niedersachsen
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ISSN 1433-4488 H 43527 FLÜCHTLINGSRAT Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen Regina Andresen Nigerianer im Kirchenasyl Dokumentation Rassismus & Sozialabbau brutale Verschärfung des AsylbewerberLG Jean-Rene Kwaka Kongo-Zaire: Von Befreiung keine Spur Kein Mensch ist illegal Aufruf von Kassel Interview mit Sans Papiers AK Asyl Oldenburg Knast, Botschaftsrundreisen und Panda-Service: Abschiebepraxis für Fortgeschrittene OLYMPIC-Staatsaffaire Das niedersächsische Kartell der Ahnungslosen: Goldene Nasen mit dem Elend der Flüchtlinge Ausgabe 3|97 Heft 44|45 Juli 1997 Service InfoBrief Asyl in der Kirche Gerichtsentscheidungen Durchführungserlaß AsylbLG Materialien, Seminare K U R D E NVE R F O LGU NG - K I R CHE NAS Y L - HÄR T E F ALLR E GE LU NG Einladung zur FLÜCHTLINGSRAT - Redaktion Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen Liebe Leserinnen und Leser ! Am Rundbrief ist in den letzten Monaten technisch und organisatorisch einiges so verbessert worden, daß er auch im online-Zeitalter wirkungsvoll verwendet werden kann. Die Service-Funktion, die der gedruckte Rundbrief zwischen der persönlichen Beratung in der Geschäftsstelle und dem künftigen online-Betrieb leistet, muß weiter ausgebaut werden. Wichtiger aber ist, daß der Rundbrief die Vielfalt der Aktionen und Diskussionen in der flüchtlingspolitischen Arbeit vermittelt. Zur Klärung der grundsätzlichen und praktischen Organisation unserer künftigen redaktionellen Arbeit lade ich alle Interessierten aus der flüchtlingspolitischen Arbeit herzlich nach Hannover ein. Diese Einladung ist ausdrücklich nicht an die förmliche Mitgliedschaft gebunden. Offene Redaktions-Versammlung Sonnabend, den 26. Juli um 11.00 Uhr in Hannover, Rolandstraße 16, Geschäftsstelle der VVN/BdA (U-Bahnstation Werderstraße) Für die organisatorische und inhaltliche Vorbereitung würde ich mich über eine Rückmeldung sehr freuen, - natürlich auch von denjenigen, die an der persönlichen Teilnahme verhindert sind. Mit herzlichen Grüßen George Hartwig Beitrittserklärung/Abonnement Hiermit erkläre ich meinen Beitritt zum Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat e.V. Die Satzung habe ich zur Kenntnis genommen und erkenne sie an. Das Abonnement des Flüchtlingsrat-Rundbriefs ist in dem Vereinsbeitrag enthalten (Mindestbeitrag: 10,-DM pro Monat für Einzelpersonen und Initiativgruppen und Organisationen) für Erwerbslose: 5.- DM Hiermit abonniere ich den Flüchtlingsrat-Rundbrief zum Preis von 120,- DM pro Jahr Name _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Straße Plz/ Ort _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Tel Datum/Unterschrift ________________________________ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Fax _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Organisation ___________ _____________________________ Ich möchte meinen Beitrag wie folgt begleichen: auf Rechnung durch Einzugsermächtigung: monatlich Geldinstitut DM _ _ _ _ _ _ _ _ _ von meinen Konto Nr. _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ abzubuchen _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ BLZ Datum/Unterschrift Bitte einsenden an: 2 Ich/Wir ermächtige/n Sie - bis auf Widerruf - , den Mitgliedsbeitrag in Höhe von ___________ ________________________________________ Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat e.V. - Lessingstr.1 - 31135 Hildesheim Kontonummer 8402-306 beim Postgiroamt Hannover BLZ 25010030 Inhaltsverzeichnis Spendenaufruf für Braunschweiger Kirchenasyl OLYMPIC-Staatsaffaire Aufruf: Kein Mensch ist illegal Kampagne “Verfolgte Frauen schützen!" Europäischer Friedenszug nach Diyabakir Europa “Die Spirale nach unten” (Herbert Leuninger) Kurden-Verfolgung und Kirchenasyl Delegationsreise in die Türkei (Ex-Minister Schnoor u.a.) Kurdische Flüchtlinge im Kirchenasyl (BAG INFOBRIEF 2/0097) Flucht vor Folter (Malte Schubert/ai) Haßbriefe gegen Kirchenasyl (E.Spoo) Freispruch für “illegalen” Flüchtling (BI Regensburg) IHD-Bilanz u. Ermordung von Kurden im Krankenhaus Erbil kurdischer KDV/European Peace Congress 22 Jahre Knast für kurdische Fahne Auseinanderreißen einer kurdischen Familie (Anfrage der Grünen) Polizeiliche Räumung eines Kirchenasyls im Saarland Deportation Abschiebung nach Algerien (Pro Asyl) BMI: Vietnamesische Flüchtlinge raus! Tamilen in Niedersachsen “Abschiebepraxis für Fortgeschrittene” (AK Asyl Oldemburg) Länderberichte Kongo-Zaire (Jean-Rene Kwaka Mbangu und Kass Kasadi) Nigeria (Regina Andresen) Bürgerkriegsflüchtlinge “Abschiebung verfrüht” (US-Außenministerium) UNHCR klagt über die BRD Bericht über Flüchtlingsfamilie bei Nienburg (HARKE) Bericht über Flüchtlingsfamilie in Braunschweig (Gabriele Thiel) Antrag im Landtag zur Rückführung (Grüne) Bericht über einen Kosova-Flüchtling in Hannover Menschenrechtslage im Kosova (Pro Asyl) “bayrische Verhältnisse” in Niedersachsen (Frauenhilfe Bosnien/AK Asyl) Härtefallregelung Keine Abschiebungen der Familien Aka, Bashir, Dogan, Sincar Keine Abschiebung bei Petition (Vergleich Baden-Württemberg/Nds.) Grundrecht auf Asyl 17000$ Freikauf vom Wehrdienst? Asylrecht: 1 Jahr nach Karlsruhe 60 Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention Das Bundesamt auf dem Weg in die Illegalität (SAGA Freiburg) Rassismus und Sozialabbau “Deutschfeindliche Machenschaften” in Salzgitter (Kai Weber) Krankenhausbehandlung nur noch im Ausnahmefall (Gabriele Thiel) Verschärftes Asylbewerberleistungsgesetz (Pro Asyl) Gutscheine sind Schlechtscheine (Karl-Heinz Welder) Bundesweiter Leitfaden in Vorbereitung (Georg Classen) Arbeitsverbot für Flüchtlinge Service INFOBRIEF 2/97 der Ökumenischen BAG Asyl in der Kirche BVG-Entscheidung: Keine Fluchtalternative für kurdischen Jugendlichen Kurzbericht zur IMK vom 6.6.97 36 Nds.MI: Abschiebungsschutz für sowjetische Deserteure VG: Keine Abschiebung von serbischen Roma nach Bosnien-Herz. Rückübernahmeverfahren mit BR Jugoslawien Nds. MI zu Rückführung unbegleiteter Minderjähriger/Int.Sozialdienst Nds. Durchführungserlaß zu AsylbLG Materialien/Seminare EUROPA Die Spirale nach unten Asylpolitik in Europa und der Europäische Flüchtlingsrat* Herbert Leuninger Mit Frankreich zusammen bestimmt Deutschland die europäische, vielleicht mittlerweile sogar die internationale Asylpolitk. Dies wiederum geschieht unmittelbar über den Einfluß, den Deutschland auf allen Ebenen ausübt, indirekt aber auch durch die Bedeutung, die europäische Entwicklungen im Asylbereich auf der Weltebene haben. D as Asylrecht steht in Europa unter starkem Druck und es stellt sich die Frage, ob es auf Dauer diesem Druck standhält und in seinem wesentlichen Gehalt überleben kann. Unter der Oberfläche der Diskussionen um die Asylpolitik in Europa sieht der EUROPÄISCHE FLÜCHTLINGSRAT (ECRE) eine Debatte verlaufen, in der tiefere Werte infrage stehen. Es geht nicht nur um die Kosten für die Aufnahme von Flüchtlingen oder um die Effektivität der Asylverfahren. "Wir sprechen über die Zukunft des Asylrechts überhaupt". So sagte es der Generalsekretär von ECRE Philip Rudge auf einer Internationalen Tagung zur Inhaftierung von Asylbewerbern Ende des vergangenen Jahres. Er hält es nicht für unstatthaft, zu fragen, ob einige Staaten das Asylrecht überhaupt noch erhalten wollen. Generell geht es derzeit darum, Flüchtlinge daran zu hindern überhaupt noch nach Europa zu gelangen. Diesem Abwehrziel dienen die Einführung der Visapflicht für mehr als 130 Staaten, die Bestrafung von Verkehrsunternehmen vor allem der Fluglinien, die Flüchtlinge ohne ausreichende oder mit gefälschten Papieren transportieren, die Drittstaatenregelung mit ihrem Domino-Effekt und nicht zuletzt die Inhaftierung von Asylbewerbern. * Dieser Text ist die aktualisierte und erweiterte Fassung eines Vortrags von Herbert Leuninger vor der Jahrehauptversammlung 1997 des Niedersächsischen Flüchtlingsrats. Er ist in dieser Form entnommen der Homepage von PRO ASYL im internet 4 Womit müssen wir in Zukunft noch alles rechnen? Diese Entwicklung schließt mittlerweile auch die Länder Mittelund Osteuropas ein. Das Abwehrund Abschreckungskonzept, wie es vor allem in Deutschland entwickelt wurde, hat in allen europäischen Ländern mit unterschiedlicher Wirkung Schule gemacht. Auf internationalen Konferenzen der Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen wird deutlich, wie stark der direkte und indirekte Einfluß Deutschlands auf die Ausgestaltung des Asylrechts in der EU, bei zwischenstaatlichen Vereinbarungen und im nationalen Kontext ist. Mit Frankreich zusammen bestimmt Deutschland die europäische, vielleicht mittlerweile sogar die internationale Asylpolitk. Dies wiederum geschieht unmittelbar über den Einfluß, den Deutschland auf allen Ebenen ausübt, indirekt aber auch durch die Bedeutung, die europäische Entwicklungen im Asylbereich auf der Weltebene haben. Dabei ist die Interessenlage der westlichen Industrienationen unter Einschluß der USA und Kanadas ziemlich ähnlich. Die Unterschiede liegen eher in der Rechtskultur der einzelnen Länder bzw. in dem Gewicht, den der organisierte Bereich der Bürgergesellschaft und dabei der menschenrechtliche Sektor auf die Asylpolitik hat. Deutschlands Einfluß hat auch durch die EU ein wirkungsvolles Instrumentarium. Wenn auch die EU nur aus 15 Staaten besteht, verfügt sie mit ihrer gesammelten Entscheidungsmacht einen weitreichenden Einfluß auf die ganze Region und selbst weit über diese hinaus. Die gemeinsame Aufgabe Wie dem auch sei, die Aufgabe bleibt unaufgebbar und zwar geht es darum, eine gemeinsame europäischen Asylpolitik nicht auf dem untersten sondern auf dem höchsten Menschenrechts-Niveau zu fordern. Eine derartige Europapolitik hätte dann, wie jetzt im negativen, eine positive Bedeutung für den weltweiten Flüchtlingsschutz. Die Asylinitiativen und -organisationen dürfen diese Aufgabe allerdings nicht isoliert und nur auf nationaler Ebene, sondern müssen sie in einem möglichst starken, zumindest schon einmal europäischen Verbund angehen. Auch deswegen ist es sehr wichtig, daß es neben UNHCR regierungsunabhängige Organisationen wie u.a. den EUROPÄISCHEN FLÜCHTLINGSRAT (ECRE) gibt, die diesen Prozeß aufmerksam verfolgen und die entsprechenden Positionen in den politischen Prozeß einzubringen versuchen. ECRE sieht seine Aufgaben und Ziele in der nahen Zukunft darin allgemein seine und die der einzelnen Mitgliedsorganisationen Anwaltskompetenz auszubauen sich mit den wichtigen Themen auf der Tagesordnung der EU zu befassen Stellungnahmen zu formulieren, die die Vorstellungen, wie sie auch von den Mitgliedsor ganisationen erarbeitet werden, aufnehmen und bündeln, die eigenen Positionen auf allen politischen Ebenen und in der Öffentlichkeit wirksam einzubringen sich auf neue konzeptionelle Überlegungen auf dem Flüchtlingssektor einzulassen, im einzelnen 1) ECRE will eine Kampagne gegen die Inhaftierung von Asylbewerbern und Flüchtlingen starten ECRE hat sich bereits auf einer Tagung im Jahre 1987 gegen das Konzept der Inhaftierung von Flüchtlingen gewandt. Damals schon hatte UNHCR das Thema auf die Tagesordnung des Exekutiv-Komitées gesetzt. Trotz der wohlmeinenden Absicht, auf diese Weise dem Mißbrauch solcher Maßnahmen begegnen zu können, zeichnete sich für ECRE damals schon die Gefahr ab, daß Behandlung dieses Themas eher zu einer weiteren Verbreitung der Inhaftierung führen könnte. Tatsächlich haben wir es mit einer ziemlich verbreiteten Angelegenheit zu tun. Dies gilt für Großbri- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 EUROPA tannien, Österreich, Deutschland, die Schweiz, Belgien und Dänemark. Dabei bleibt dieses Thema in der öffentlichen Diskussion ziemlich kontrovers. In den Niederlanden hat es Bemühungen gegeben, dem Rechnung zu tragen. In Italien, Griechenland, Spanien und Portugal, wo Abschiebehaft für abgelehnte Asylbewerber keine allgemeine Praxis ist, gibt es auch keine öffentliche Diskussion hierüber. minalisierung des Asylbewerbers, scheint der eigentliche Zweck der Inhaftierung ganz klar die Abschreckung zu sein. Das Argument, die Nicht-Inhaftnahme bestimmter Asylbewerber könnte andere zum Kommen ermutigen, so als Argument in einem Regierungsschreiben an ai, ist gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, daß Haft gegenwärtig benutzt wird um mögliche Ankömmlinge zu entmutigen. In der Politik und in Teilen der Öffentlichkeit verstärkt sich eine Haltung, Flüchtlinge sollten für den ihnen gewährten Schutz dankbar sein, gleich unter welchen Bedingungen dieser Schutz gewährt wird. Die Selbstverständlichkeit, mit der Asylbewerber verhaftet werden, entspringt nicht zuletzt einer solchen Einstellung. Dabei ist Haft vielleicht der größte Gegensatz zu dem, was wir als die soziale Dimension des Asylschutzes bezeichnen. Ein Mensch verliert nicht seine Menschenrechte nur dadurch, daß er Asyl beantragt. Das ist eine geradezu absurde, das ganze Konzept des Asyls und der Menschenrechte infrage stellende Position. Gerade das Thema der Inhaftierung verdeutlicht, daß die rechtlichen und sozial-humantitären Aspekte des Asyls nicht leicht voneinander getrennt werden dürfen. Außerdem kann eine Haft die Möglichkeit des Asylbewerbers seine Verfahrensrechte wahrzunehmen, drastisch beschränken. Bei dem ganzen Komplex gibt es unter den Asylorganisationen grob gesprochen zwei Positionen., die der "Abschaffer" und die der "Reformer". Beide Positionen haben gute und ehrenhafte Gründe für sich und sie müssen nach Philip Rudge - nicht unbedingt als Gegensätze betrachtet werden. Die "Abschaffer" räumen nur ganz, ganz seltene Fälle einer berechtigten Inhaftnahme ein und möchten, daß die davon betroffenen Häftlinge unter besseren Bedingungen und mit mehr Rechten inhaftiert werden. Unterdessen gehen die "Reformer" davon aus, daß Haft für Asylbewerber in manchen Ländern unverhältnismäßig oft stattfindet. Sie stellen sich daher auf Mindestforderungen ein und sind der Auffassung, daß eine derartige pragmatische Haltung in der jetzigen politischen Stimmung der einzig gangbare Weg ist. Bei PRO ASYL hat es übrigens die gleiche Diskussion gegeben, die mit dem produktiven Kompromiß endete, sowohl die Abschaffung der Abschiebehaft wie auch deren Verbesserung zu fordern, solange sie besteht. Wo die äußeren Bedingungen vielleicht zufriedenstellend sind, wird es schwierig sich die seelischen Verletzungen vorzustellen, die dadurch entstehen, daß der Häftling nicht weiß, warum und wie lange man ihn einsperrt. Es ist ein Mißverständnis, daß ein vielleicht komfortables Gefängnis kein Gefängnis ist. Eine Verbesserung der Haftbedingungen sollte die Tatsache nicht verdunkeln, daß sich die Rechtslage weiterhin verschlechtert und die Zahl der Gefangenen sich vergrößert. Es geht bei der Verbesserung der Lage letztlich um eine Veränderung der Rechtslage. Entgegen einem in den Medien entstehenden negativen Bild und der wachsenden Tendenz zur Kri- 2) ECRE nimmt Stellung zur Entschließung des EU-Rates zur "Lastenteilung"(20./21. Juni 1995) ECRE geht davon aus, daß Regelungen zur "Lastenteilung" der direkten Aufnahme großer Gruppen von Flüchtlingen und Vertriebenen dienen sollten. Keinesfalls sollten sie an die Stelle individueller Asylverfahren treten, wo diese angezeigt sind. Die Ursachen, die eine größere Fluchtbewegung auslösen, sollten keinen Einfluß auf die "Lastenteilung" haben. Somit darf auch die Ratsentschließung keinesfalls so interpretiert werden, daß dadurch individuelle Rechte von Flüchtlingen und Vertriebenen beeinträchtigt würden. ECRE legt Wert darauf, daß die neuen Regelungen dem Recht auf Familieneinheit für Flüchtlinge und Vertriebene keine Hindernisse in den Weg legen. ECRE setzt sich dafür ein, daß die Umsetzung der Kriterien aus § 4 der Ratsentschließung flexibel und großzügig erfolgt, so daß eine Verteilung von Flüchtlingen auf Staaten, die eine für die Aufnahme von Flüchtlingen wenig geeignete Infrastruktur besitzen, vermieden wird. ECRE fordert eine Politik, bei der Umverteilungen im Rahmen der "Lastenteilung" nur freiwillig und kurz nach Ankunft erfolgen. ECRE befürwortet eine finanzielle "Lastenteilung", durch die eine Weiterverteilung von Flüchtlingen von einem in ein anderes EULand vermieden wird. Dazu wäre die Einrichtung eines entsprechenden Dauer-Fonds sinnvoll. EC RE empfiehlt, daß neben den regierungsamtlichen Berichten auch Informationen solche von unabhängigen und Regierungsunabhängige Organisationen herangezogen werden. Dadurch sollte sichergestellt werden, daß Entscheidungen bei einer Umsetzung sachgerecht und unparteiisch getroffen werden. Ein Mensch verliert nicht seine Menschenrechte nur dadurch, daß er Asyl beantragt. Das ist eine geradezu absurde, das ganze Konzept des Asyls und der Menschenrechte infrage stellende Position. Entgegen einem in den Medien entstehenden negativen Bild und der wachsenden Tendenz zur Kriminalisierung des Asylbewerbers, scheint der eigentliche Zweck der Inhaftierung ganz klar die Abschreckung zu sein. 3) ECRE will Einfluß zu nehmen auf die Politik der Rückführung der Flüchtlinge aus Bosnien und dem vormaligen Jugoslawien; Aus der Sicht von ECRE sind in Bosnien-Herzegowina drei Phasen notwendig: 1.die Konsolidierung; 2. die Normalisierung 3. die Versöhnung 1. Konsolidierung bedeutet das Ende von Gewalt, des Mordens, der ethnischen Säuberungen und der Zerstörung. 2. Normalisierung heißt jeder erdenkliche Einsatz, um wieder die Grundvoraussetzungen für eine Existenz zu schaffen, wie sie in Europa als normal angesehen werden: d.h. Freizügigkeit, Schulbesuch, ärztliche und medizinische Versor5 EUROPA gung, die Wahrnehmung geschäftlicher und wirtschaftlicher Aktivitäten und ein Leben in Frieden und Ordnung. Dennoch wäre es erforderlich, über die rechtlichen Fragen hinaus auch die soziale und wirtschaftliche Dimension der Flüchtlingsfrage besser als bisher in den Blick zu nehmen. 3. die Versöhnung Es dürfte ein langer und komplizierter Weg sein, um alle Bereiche der Gesellschaft in einen Dialog der Toleranz einzubeziehen. Ziel muß sein, eine Basis für das Zusammenleben der gesamte Bevölkerung zu schaffen, in das Flüchtlinge und Vertriebene, wenn sie zurückkehren einbezogen werden können. Die Rolle der unabhängigen Regierungsorganisationen in dem gesamten Prozeß könnte folgendermaßen umschrieben werden: Zusammenarbeit mit Flüchtlingsgruppen, zu denen bereits ein enger Kontakt besteht. - sobald das von UNHCR geplante Informationssystem funktioniert und die Lageberichte aus den Heimatorten vorliegen, die Beratung möglicher Rückkehrer, aber auch jener, die derzeit oder nie mehr zurückkehren können. - Viele unabhängige Regierungsorganisationen arbeiten bereits in den drei nationalen Einheiten des vormaligen Jugoslawien beim humanitären und sozialen Wiederaufbau und werden dies in den kommenden Monaten fortführen. 4) ECRE schaltet sich ein in die Diskussion über das Konzepts eines "Schutz auf Zeit", bei großen Fluchtbewegungen ECRE fordert, daß Flüchtlingen, denen "Schutz auf Zeit" gewährt wurde, nach zwei Jahren das Recht auf Daueraufenthalt bekommen. daß die Möglichkeit Asyl zu beantragen, durch einen "Schutz auf Zeit" nicht verloren gehen. daß während des zeitlich befristeten Aufenthalts Flüchtlinge an Bildungsprogrammen teilnehmen können. daß sie hinsichtlich der Familienzusammenführung, der 6 Wohnung, Arbeit, Sozialhilfe, der Ausweise und Reisedokumente wie anerkannte Flüchtlinge behandelt werden. 5) Es geht ECRE künftig darum, die wirtschaftliche und soziale Lage aufgenommener Flüchtlinge zu verbessern Es gibt eine Initiative aus der Zeit der spanischen Präsidentschaft, nach der die wirtschaftliche und soziale Lage der Flüchtlinge in Europa untersucht werden soll. Eine auch in diesem Bereich sinnvolle Harmonisierung müßte nach ECRE den Vorstellungen einer menschenwürdigen Lebensgestaltung entsprechen, wie sie immer noch in den demokratischen Ländern Europas gelten. Allerdings variieren in Europa die sozialen Verhältnisse in einem so starken Maße, daß hier eine Harmonisierung wohl vorläufig nicht zu erwarten ist. Dennoch wäre es erforderlich, über die rechtlichen Fragen hinaus auch die soziale und wirtschaftliche Dimension der Flüchtlingsfrage besser als bisher in den Blick zu nehmen. 6) Weiterhin sollen die Auswirkungen der "sicheren Drittstaaten"-Regelung verfolgt werden. Hier hat ECRE ein Projekt zur Beobachtung und Dokumentierung einzelner Fälle gestartet, das fortgeführt werden soll. 7) Es sind rechtsstaatlich einwandfreie Bedingungen für die Rückführung in einen "sicheren Drittstaat" durchzusetzen ECRE erhebt hierfür Mindestforderungen: Danach muß das Aufnahmeland ein Asylverfahren durchführen, wenn eine Familienbindung vorliegt. Die Entscheidung über die Rückführung soll durch die zentrale Asylbehörde erfolgen. Der aufnehmende Staat muß zur Rückübernahme bereit sein und folgende Voraussetzungen erfüllen: Er ist Unterzeichnerstaat der Genfer Flüchtlingskonvention, bietet damit Schutz gegen die Zurückweisung in den Verfolgerstaat und ist in der Lage zu einer menschenwürdigen Behandlung und Unterbringung des Flüchtlings. Der zurückweisende Staat übersetzt die Entscheidung der Asylbehörde in eine für den Flüchtling verständlichen Sprache, erlaubt eine (aufschiebende) Berufung gegen die Entscheidung, stellt ein Papier darüber aus, daß die Nichtbehandlung des Asylantrags keine inhaltliche Entscheidung darstellt. 8) ECRE fordert einheitliche Mindestgarantieren für Asylverfahren in der EU Hier hat ECRE folgende Vorstellungen entwickelt. Jedem Asylbewerber muß ein faires Verfahren zugestanden werden, das von der kompetenten und zentralen Asylbehörde durchgeführt wird. Es muß eine individuelle und umfassende Prüfung erfolgen, bei der Rechtsberatung und Übersetzungshilfe garantiert sind. Auch muß jederzeit der Kontakt zu UNHCR oder zu Asylorganisationen möglich sein. Erfolgt eine Ablehnung des Asylantrags ist der Ablehnungsbescheid dem Flüchtling schriftlich, mit der Begründung und mit einer Rechtsmittelbelehrung zuzustellen. muß ein eingelegtes Rechtsmittel aufschiebende Wirkung haben. ist der Widerspruch inhaltlich zu prüfen. Das ECRE-Netzwerk "Anwaltschaft wahrnehmen" Unter der Federführung des Brüsseler ECRE-Büros wurde ein eigenes Netzwerk "Anwaltschaft wahrnehmen" gegründet, an dem sich Mitgliedsorganisationen aus 12 europäischen Ländern beteiligen. Ziel des Netzwerkes ist FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 EUROPA es, in der europäischen Politik die ECRE-Positionen möglichst gleichzeitig in den verschiedenen Ländern und auf der EU-Ebene vernehmbar zu machen, diese zu erläutern und an ihrer Umsetzung mitzuwirken. Zu diesem Zweck sollen gemeinsame und möglichst gleichzeitige Aktionen von Brüssel aus koordiniert werden. Ein wichtiges Element bei diesem Netzwerk ist ein gut funktionierender Austausch von Ideen und Informationen. Hierzu sollen alle technischen und elektronischen Möglichkeiten genutzt werden. Eine wichtige Voraussetzung für das Projekt ist, daß ECRE in Brüssel die Vorhaben in der EU rechtzeitig erfährt und bereits an die Entwürfe der Dokumente herankommt. Um die Ziele, die sich das Netzwerk gesteckt hat, erreichen zu können, sind vielfältige Formen der politischen Einflußnahme erforderlich. Sie werden in der Bundesrepublik bisher nur zum Teil und sporadisch angewendet. Hierzu zählen vornehmlich: Treffen mit PolitikerInnen aus Regierung, Parlament und Parteien gezielte Verteilung der Positions-Papiere von ECRE Kontakte zu den Medien gemeinsame Aktionen mit anderen Organisationen wie UNHCR, Kirchen und Gewerkschaften Die Einrichtung einer zentralen Informationsstelle Die Durchführung von Tagungen und Seminaren Anregungen und Informationen für Anfragen im Parlament informelle Kontakte mit Politikerinnen und Politikern. In der europäischen Asylarbeit haben wir es teils mit unterschiedlichen teils mit vergleichbaren Organisationsformen wie in der Bundesrepublik zu tun. Auffällig ist, daß in den anderen Ländern durchweg ein besseres Verhältnis, als wir es in der Bundesrepublik kennen, zwischen den Organisationen und ihren Regierungen sowie den Parlamenten besteht. In den skandinavischen Ländern, aber auch in Ländern wie Großbritannien, Italien, Holland, Belgien und der Schweiz sind runde Tische und gemeinsame Konferenzen in Asylfragen selbstverständlich, auch wenn die Politik dieser Länder sich der Tendenz nach nicht wesentlich von der deutschen unterscheidet. Dennoch gibt es einen von beiden Seiten irgendwie nützlich erachteten Informationsaustausch. Auf diesen Erfahrungen beruht auch der Netzwerk-Plan. Die Vertreterinnen und Vertreter aus anderen Ländern sind immer wieder überrascht zu hören, daß wir in der Bundesrepublik, das gilt vor allem aber nicht nur für PRO ASYL, mit der (Bundes-) Regierung nur über die Öffentlichkeit Kontakt halten und diese Verbindung eher den Charakter der Konfrontation hat. Woran dies liegt, ist schwer zu sagen. Liegt es an einem selbstherrlichen Verständnis staatlicher Vollmacht in der Bundesrepublik, an einer besseren demokratischen Substanz in anderen europäischen Ländern, hat dort die Bürgeroder Zivilgesellschaft einen anderen Rang oder sind die asylpolitischen Vorstellungen in Deutschland so unterschiedlich, daß eine vernünftiger Austausch überhaupt nicht mehr möglich ist? Dies ist schwer einzuschätzen. Noch gibt es auf der Ebene einiger Bundesländer diesen für ein demokratisches Staatsverständnis notwendigen Kontakt. Es wird in Deutschland zu überlegen sein, was in Sachen wirksamer Lobbyarbeit bei Regierung und Parlamenten besser gemacht werden kann. Allerdings müßten Regierung und Parlamentsmehrheiten auch eine größere Frustrationstoleranz aufweisen, wenn es um die Kritik an ihren Entscheidungen geht. Maastricht II und die Asylpolitik Am 17. Oktober 1995 hat der Generalsekretär des Europäischen Flüchtlingsrates Philip Rudge bei der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für institutionelle Angelegenheiten des Europäischen Parlaments eine Stellungnahme abgegeben. Es ging um die Regierungskonferenz 1996 (Maastricht II) und speziell um den Bereich Justiz und Inneres, der sogenannten Dritten Säule. In diesen Bereich fallen die Einwanderungs- und Asylpolitik. Diese Politik wird durch zwischenstaatliche Verträge und Abmachungen geregelt. Dadurch entsteht - im Unterschied zu dem, was in der Ersten Säule geregelt wird - kein verbindliches übernationales Recht. ECRE konnte dabei dem zustimmen, was der Ausschuß in seiner im Mai 1995 beschlossenen "Resolution zum Funktionieren des Vertrags über die Europäische Union" gesagt hatte. Hauptanliegen dabei war die Rolle, die die Europäischen Institutionen, vor allem auch das Europäische Parlament zu spielen haben. Es geht darum, daß die Prozesse der Entscheidungsfindung möglichst demokratisch verlaufen. Außerdem ging es um den Charakter der Verträge, die zwischenstaatlich abgeschlossen werden. ECRE hatte sich dazu in seinem "Positionspapier über das Funktionieren des EU-Vertrages hinsichtlich der Asylpolitik" vom Juni 1995 geäußert. Dabei wurde betont, daß eine Reform der Strukturen noch keine Garantie dafür ist, daß es wirklich zu einer fairen und großzügigen Asylpolitik kommt. Die Vertreterinnen und Vertreter aus anderen Ländern sind immer wieder überrascht zu hören, daß wir in der Bundesrepublik mit der Regierung nur über die Öffentlichkeit Kontakt halten und diese Verbindung eher den Charakter der Konfrontation hat. Andererseits sieht ECRE in einer Strukturreform die Voraussetzung dafür, daß sich die vom Europäischen Parlament eingenommenen Positionen auf die europäische Asylpolitik auswirken könnten. Das bezieht sich vor allem auf die "Entschließung zur Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament die Zuwanderungs- und Asylpolitik betreffend. ECRE hatte sich zu einer künftigen europäischen Asylpolitik geäußert und gefordert, daß diese an den höchsten Menschenrechtsstandards statt an dem kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren sollte. Daß die EU-Mitgliedstaaten aber zu letzterem tendierten, konnte an zwei Beispielen belegt werden: Sie machen die Mängel sichtbar, die sich aus derzeitigen Asylpolitik in der Europäischen Union ergeben. 7 EUROPA Dieser völlige Mangel an Transparenz, an demokratischer Kontrolle auf sowohl nationaler wie auch europäischer Ebene, das Fehlen einer gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit, schließlich die übliche Geheimniskrämerei im Umfeld der europäischen Asylpolitik sind unannehmbar. Zum einen wurde im Juni 1994 vom Rat der Justiz- und Innenminister eine "Entschließung über Mindestgarantien für Asylverfahren" angenommen. Sie wurde ohne vorherige Beratung mit einem der nationalen oder dem Europäischen Parlament verabschiedet. Nicht einbezogen worden waren auch zwischenstaatliche Gremien, die über ein entsprechendes Expertenwissen verfügen. Darüber hinaus gab es auch weder eine Beratung mit dem Amt des UNHCR, noch mit nichtstaatlichen Organisationen oder juristischen Fachkreisen. Dieser völlige Mangel an Transparenz, an demokratischer Kontrolle auf sowohl nationaler wie auch europäischer Ebene, das Fehlen einer gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit, schließlich die übliche Geheimniskrämerei im Umfeld der europäischen Asylpolitik sind unannehmbar. Und Offenheit ist gerade dann erforderlich, wenn es um die Grundrechte von Menschen geht, die in ihrer Verletzlichkeit eines besonderen Schutzes bedürfen. Was den Inhalt dieser Entschließung betrifft, haben die EU-Mitgliedstaaten, statt sich an Mindestgarantien für faire und effiziente Asylverfahren, die auf Menschenrechtsstandards basieren, zu orientieren, den kleinsten gemeinsamen Nenner gewählt. Sie haben bei der Visapflicht, bei der Drittstaatenregelung, bei den Sanktionen gegen Transportunternehmen oder bei der Auslegung des Flüchtlingsbegriffs einfach in die für die Flüchtlinge ungünstigsten nationalen Regelungen zusammengefaßt. Zweites Beispiel ist Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention. Er stellt mit seiner Flüchtlingsdefinition den Eckstein des Asylrechts und des Flüchtlingsschutzes dar. Und doch, wie wird diese Grundfrage von den Mitgliedstaaten erörtert? Wiederum sind außerhalb des Rates keine Arbeitspapiere verfügbar. Darum ist es auch nicht möglich, daß irgendein nationales oder das Europäische Parlament einen formellen Beitrag zur Diskussion leisten konnte. Dies war erst recht nichtstaatlichen Organisationen verwehrt. 8 Mit dem einstimmig festgelegten "Gemeinsamen Standpunkt" wollten die Regierungen verhindern, daß Staaten mit einem besseren Asylrecht nach dem Abbau eines Teils der EU-Binnengrenzen mehr Asylbewerber aufzunehmen hätten. ECRE hat ähnlich wie UNHCR kritisiert, daß die Gemeinschaft damit eine Chance zum besseren Schutz der Flüchtlinge vertan habe. Zwar gelte nach wie vor, daß Flüchtlinge gemäß der Genfer Konvention wegen ihrer politischen und religiösen Überzeugung oder ihrer Angehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe Schutz vor Verfolgung genießen sollten, aber nicht bei der "Verfolgung durch Dritte". Darunter sind nichtstaatliche oder oppositionelle Gruppen zu verstehen. So sei der Status algerischer Flüchtlinge ungesichert. Auch Bürgerkriegsflüchtlinge hätten generell keinen Anspruch auf Aufnahme, oder nur dann, wenn bestimmte Gruppierungen wie in Bosnien-Herzegowina einen Teil des Territoriums kontrollierten. UNHCR hatte darauf hingewiesen, daß derzeit nur in vier EUMitgliedstaaten, nämlich in Deutschland, Frankreich, Italien und Schweden Menschen, die von nichtstaatlicher Seite verfolgt wurden, nicht als Flüchtlinge anerkannt würden. Nun solle, wenn auch durch einen Rechtstext, der zwar nicht bindend sei, dennoch die restriktive Praxis einer Minderheit in der EU auf alle ausgedehnt werden. Beunruhigend sie auch die Zweideutigkeit der Vereinbarung. Obwohl gemeinsame Kriterien für die Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 beschlossen worden seien, hätten die Mitgliedstaaten nach wie vor die Möglichkeit, eigene Wege in der Asylpolitik zu beschreiten. UNHCR gestand zu, daß der "Gemeinsame Standpunkt" auch positive Elemente enthalte. Sie könnten in einigen Staaten bei konsequenter Anwendung zu Verbesserungen führen. Dies gelte in Deutschland für Flüchtlinge, die den Kriegsdienst aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder politischen Überzeugung verweigert hätten. Zurück zu Maastricht II: Bei der anstehenden Revision würde ECRE die Übertragung des Asylbereichs auf die Zuständigkeit der Gemeinschaft befürworten. Das System, nach dem in den letzten Jahren Abkommen zwischen den einzelnen Staaten geschlossen wurden, habe sich als erfolglos und unzulänglich erwiesen. Dies hätten auch der Rat, die Kommission und das Europäische Parlament auch so gesehen. Vor allem hatte das Europäische Parlament die dabei aufgetretenen Defizite an Demokratie und Information beklagt. Daher sollte die Regierungskonferenz 1996 genutzt werden, um Artikel K 9 des EUVertrages zu nutzen, bestimmte Bereiche von der Dritten zur Ersten Säule und damit in die Zuständigkeit der Gemeinschaft zu verlagern. (Bild 10) Nur dann - so sieht es ECRE - könnten Transparenz und demokratische Kontrolle der Politik sichergestellt werden. Nach Artikel K 9 des EU-Vertrages wäre es möglich, daß die Asylund Einwanderungspolitik auf die Union übertragen würde, die dann verbindliches Unionsrecht setzen könnte. Es sollte schließlich sichergestellt werden, daß alle EU-Entscheidungen, die von allgemeinem Interesse sind, im vorgesehenen Publikationsorgan der Gemeinschaft veröffentlicht werden. Kommissionspapiere und die Diskussionen hierüber sollten generell der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dies würde die Zusammenarbeit mit anderen, nicht zuletzt auch mit regierungsunabhängigen Organisationen und eine Beratung durch sie möglich machen. ECRE und alle seine Mitgliedsorganisationen, das sind in Deutschland - neben PRO ASYL die Arbeiterwohlfahrt, der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Deutsche Caritasverband, das Deutsche Rote Kreuz und das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche, sind einbezogen in einen europäischen Prozeß. Dieser ist schwer zu verfolgen, noch schwerer zu durchschauen und, wenn überhaupt, dann nur unter Einsatz aller Kräfte zu beeinflussen. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 KEIN MENSCH IST ILLEGAL D er nebenstehende Aufruf ist am 28.6. beim bundesweiten Treffen in Kassel verabschiedet worden. Aus Niedersachsen waren Gruppen aus Göttingen, Hannover und Oldenburg vertreten. Bis zum 7.7. können ErstunterzeichnerInnen sich per Post, Fax, Telefon oder Email unter der Documenta-Adresse melden: Kein Mensch ist illegal vom 28.06. bis 07.07. in der Orangerie Hybrid WorkSpace - documenta X An der Karlsaue 20c, D34117 Kassel Telefon: 0561-108 88 90 oder 0172-841 66 Telefax: 0561-108 88 91 http://www.contrast.org /borders [email protected] http://www.documenta.de/workspace [email protected] Nach dem 07.07. ist die Postadresse: Initiative Kein Mensch ist illegal c/o FFM Gneisenaustraße 2a 10961 Berlin Der Aufruf mit ErstunterzeichnerInnen soll in Tageszeitungen veröffentlicht werden. Anzeigen kosten Geld, deshalb Spenden dazu bitte auf das Konto: Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V., Stichwort: Kein Mensch ist illegal Kto.-Nr. 630024264 Berliner Sparkasse BLZ 100 500 00 Der Aufruf Kein Mensch ist illegal ist keine zentral organisierte Kampagne. Jede/r ist aufgerufen, in den jeweiligen örtlichen und organisatorischen Bezügen aktiv und kreativ zu werden. "Ihr sollt wissen, daß kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?" (Elie Wiesel) Kein Mensch ist illegal M i g ra n t I n n e n u n d F l ü c h t l i n g e si n d i n E u ro pa u n e rw ü n sc h t . Na c h de m e s fü r si e n a h e z u u n m ö g l i c h i st , a u f l e g a l e m We g h i e rh e r z u fl i e h e n , e i n z u re i se n o de r e i n z u w a n de rn , i st di e Ü be rsc h re i t u n g de r S t a a t sg re n z e n n u r n o c h " i l l e g a l " m ö g l i c h u n d n i c h t se l t e n m i t t ö dl i c h e n Ge f a h re n ve rbu n de n . " I l l e g a l " w i rd, w e r bl e i bt , o bw o h l de r Au fe n t h a l t n i c h t m e h r e rl a u bt , g e st a t t e t o de r g e du l de t i st . S yst e m a t i sc h w e rde n di e ve rbl i e be n e n E i n re i se - u n d Au f e n t h a l t sm ö g l i c h k e i t e n re du z i e rt . S o w i rd e i n e i m m e r g rö ß e re Z a h l vo n M e n s c h e n i n di e I l l e g a l i t ä t g e z w u n g e n . Gre n z e n t re n n e n n i c h t n u r T e rri t o ri e n , Gre n z e n t re n n e n M e n sc h e n . Gre n z e n ve rl a u fe n ü be ra l l : i m S o z i a l a m t w i e a u f de m B a h n h o f, i n de r I n n e n st a dt w i e a n de r S t a a t sg re n z e . D i e Gre n z e i st ü be ra l l , w o M e n sc h e n be fü rc h t e n m ü sse n , n a c h P a pi e re n g e fra g t z u w e rde n . I n e n t re c h t e t e m , u n g e si c h e rt e m o de r i l l e g a l i si e rt e m S t a t u s z u l e be n , be de u t e t di e st ä n di g e An g st vo r D e n u n z i a t i o n u n d E rpre ssu n g , w e i l di e E n t de c k u n g B e st ra f u n g , Absc h i e be h a f t o de r di e so f o rt i g e Absc h i e bu n g z u r F o l g e h a t . E s be de u t e t vö l l i g e S c h u t z - u n d R e c h t l o si g k e i t g e g e n ü be r B e h ö r de n , Arbe i t g e be rn u n d Ve rm i e t e rn , a be r a u c h i m F a l l e vo n K ra n k h e i t e n , U n f ä l l e n o de r Ü be rg ri f f e n . E s be de u t e t a u c h , so z i a l e K o n t a k t e f ü rc h t e n z u m ü sse n . K i n de r k ö n n e n k e i n e S c h u l e u n d k e i n e n K i n de rg a rt e n be su c h e n , J u g e n dl i c h e k e i n e Au s bi l du n g a n f a n g e n . E s be de u t e t , st ä n di g a u f de r Hu t z u se i n . I m K a m pf g e g e n R a ssi sm u s w i rd e s i m m e r w i c h t i g e r, Mi g ra n t I n n e n i n i h re n K ä m pf e n g e g e n I l l e g a l i si e ru n g u n d f ü r i h r R e c h t , ü be rh a u pt R e c h t e z u h a be n , po l i t i s c h u n d pra k t i s c h z u u n t e rs t ü t z e n . Je de r M e n sc h h a t da s R e c h t , se l bst z u e n t sc h e i de n , w o u n d w i e e r l e be n w i l l . D e r R e g u l i e ru n g vo n Mi g ra t i o n u n d de r Ve rw e i g e ru n g vo n syst e m a t i sc h e n R e c h t e n st e h t di e F o rde ru n g n a c h Gl e i c h h e i t i n a l l e n so z i a l e n u n d po l i t i sc h e n B e l a n g e n , n a c h de r R e spe k t i e ru n g de r M e n sc h e n re c h t e j e de r P e rso n u n a bh ä n g i g vo n He rk u n f t u n d P a pi e re n e n t g e g e n . D e sh a l b ru f e n w i r da z u a u f , M i g ra n t I n n e n be i de r E i n - u n d We i t e rre i se z u unterstützen. Wi r ru fe n da z u a u f, Mi g ra n t I n n e n Arbe i t u n d P a pi e re z u ve rsc h a ff e n . Wi r ru f e n da z u a u f , M i g ra n t I n n e n m e di z i n i sc h e Ve rso rg u n g , S c h u l e u n d Au sbi l du n g , U n t e rk u n f t u n d m a t e ri e l l e s Ü be rl e be n z u g e w ä h rl e i st e n . Denn kein Mensch ist illegal. 9 KURDENVERFOLGUNG Kurdenverfolgung systematische Folter von Staat gedeckt Delegationsreise in die Türkei Bericht über die Gespräche und Ergebnisse der Menschenrechtsdelegation in die Türkei vom 17. bis 20. April 1997 Autoren: Dr. Herbert Schnoor ehemaliger Innenministerdes Landes Nordrhein-Westfalen Dr. Arendt Hindriksen Mitglied der Bremischen Bürgerschaft für Bündnis 90/Die Grünen A Dieser Bericht ist Anlaß für eine erneute AbschiebestoppForderung an die Innenminister uf Initiative und Veranlassung von KOMKAR - Verband der Vereine aus Kurdistan e. V. hielt sich die Delegation vom 17. bis 20. April 1997 in Ankara auf, um durch Gespräche und Begegnungen einen Eindruck über die aktuelle Situation der Menschenrechte und Demokratie in der Türkei zu gewinnen und durch einen Besuch bei IBRAHIM AKSOY im Gefängnis in HAYMANA und von anderen politischen Gefangenen auf das Schicksal von derzeit über 170 unschuldigen Gewissensgefangenen in türkischen Gefängnissen hinzuweisen und auf ihre Freilassung hinzuwirken. Die Delegation bestand aus · Herrn Dr. Herbert Schnoor, ehemaliger Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen · Herrn Jörn-Erik Gutheil, Landeskirchenrat der Ev. Kirche im Rheinland · Herrn Dr. Arendt Hindriksen, Mitglied der Bremischen Bürgerschaft für Bündnis 90/Die Grünen · Herrn Heiko Kauffmann, Sprecher von PRO ASYL · und als Dolmetscher Herrn Mustafa Aydin. 10 Heiko Kauffmann Sprecher von PRO ASYL Jörn-Erik Gutheil Landeskirchenrat der Ev. Kirche im Rheinland Gespräch mit dem Türkischen Menschenrechtsverein IHD in Ankara Die Delegation sprach mit dem Generalsekretär des IHD Ankara, Herrn KAMIL ATESOGULLARI, Vorstandsmitgliedern und weiteren Mitarbeitern des IHD Ankara. Schwerpunkte des Gesprächs waren die Arbeit des IHD, das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen und Folter, die Lage der Gefangenen, die Rückkehrgefährdung abgeschobener Flüchtlinge. Die menschenrechtswidrige Behandlung von politischen Gefangenen, die Anwendung von Folter durch Polizei und andere Sicherheitsorgane, sei in der Türkei nach wie vor gang und gäbe: Folter ist systematische staatliche Politik und weit verbreitete Praxis... Sie geschieht systematisch und mit politischer Unterstützung; sie ist politisch gewollt; Folterer werden vom Staat gedeckt!" Wenn Folterer identifiziert und überhaupt überführt werden könnten, werde nicht gegen sie ermittelt, schon gar nicht würden sie verurteilt - i.d.R. würden sie versetzt, z.B. auch nach Deutschland. Die Folterer laufen frei herum, die Opfer werden verurteilt - und die unter Folter erzwungenen Aussagen werden noch gegen sie verwendet." Die Folter mache nicht einmal mehr vor Kindern halt; das Beispiel von MANISA, wo 16 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren in Polizeihaft schwer mißhandelt wurden, zeigt deutlich, daß die Polizei nicht zur Rechenschaft gezogen wird (trotz Intervention des türkischen Abgeordneten SABRI ERGÜL) - die meisten der Jugendlichen wurden inzwischen zu 2 ½ bis 12 ½ Jahren Haft verurteilt aufgrund von Anklagen, die ausnahmslos auf den Foltergeständnissen in Polizeihaft beruhen. Auf unsere Frage, ob dies eher als Einzelfall" oder Ausnahme" zu verstehen sei, wurde geantwortet: Manisa gibt es tausendfach; Manisa findet jeden Tag an vielen Orten der Türkei statt; es wird versucht, es zu verschweigen und zu verleugnen." Über das Ausmaß an Menschen- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 KURDENVERFOLGUNG rechtsverletzungen, Folter, extralegalen Hinrichtungen, Attentaten, Morden, außergesetzlicher Haft, der Praxis des Verschwindenlassens, der Vernichtung von Dörfern und anderen Menschenrechtsverletzungen gibt der IHD monatlich und jährlich jeweils eine Übersicht, einen aktuellen Report, heraus. Die Delegation erhielt die Zusammenstellungen der letzten Jahre und die aktuellen Monatsübersichten von Januar, Februar und März 1997. Die Abschiebepraxis abgelehnter Asylbewerber/innen, z.B. aus Deutschland, trage zu einem bedrohlichen Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen in der Türkei bei. Nach den Regeln des humanitären Völkerrechts stimmten die Voraussetzungen für die Abschiebung von Flüchtlingen in die Türkei nicht, da sie sich aufgrund des Fehlens oder beliebigen außer-Kraft-Setzens von rechtsstaatlichen Kriterien nicht an Abmachungen und Zusicherungen halte (z.B. deutsch-türkisches Konsultationsverfahren vom 10. März 1995). Abgelehnte Asylbewerber/innen, die einer gegen den türkischen Staat gerichteten Straftat verdächtigt werden, würden nach Maßgabe der Anti-Terror-Gesetze behandelt, die in der Zuständigkeit der Staatssicherheitsgerichte liegen. Sie können zwischen 15 und 30 Tagen in Polizeihaft genommen werden, ohne rechtliches Gehör, ohne Hilfe von Rechtsanwält/inn/en, immer der Gefahr der Folter ausgesetzt. Auf unsere Nachfrage nach der Intensität der Rückkehrgefährdung wird deutlich und bestimmt erklärt: Wenn nach Ankunft abgeschobener Asylbewerber jemand im Verhör als Kurde, als Alevit oder als politisch Linksoppositioneller identifiziert wird, ist er jederzeit in Gefahr, geschlagen, mißhandelt und gefoltert zu werden!" Der IHD nennt als aktuelles Beispiel den Fall von HASSAN KUTGAN, der im Dezember 1996 in die Türkei abgeschoben, von der Flughafenpolizei verhaftet und in Haft brutal geschlagen und syste- matisch gefoltert worden sei. Auch die von amnesty international dokumentierten Fälle abgeschobener Kurd/inn/en, die nach ihrer Abschiebung gefoltert oder mißhandelt wurden, sind dem IHD namentlich bekannt. Gespräch mit der türkischen Menschenrechtsstiftung (TIHV) Der IHD bezweifelt auch die von den deutschen Innenministern vermutete Fluchtalternative im Westen der Türkei. Die Praxis der Dorfzerstörungen verfolge eine erzwungene Vertreibung von über 3 Mio. Menschen aus politischen Gründen. Auch in den Großstädten, in die sie geflohen seien, gebe es immer wieder gezielte Razzien, Verlust von Arbeitsplätzen, Festnahmen und erneute Vertreibung: Dr. ÖLCER berichtet über die Arbeit der Menschenrechtsstiftung, die in der Türkei über 4 regionale Behandlungs- und Rehabilitationszentren für Folteropfer verfügt (Ankara, Istanbul, Izmir und Adana). 3,5 Mio. Menschen leben in der Türkei in einer Asylsituation!" Die Rechtsunsicherheit in der Türkei werde immer größer. Initiativen für Frieden und Toleranz würden als Gefahr" angesehen, Vorschläge und Initiativen wie die vom Unternehmerverband TÜSIAD würden von Nationalen Sicherheitsrat sofort vehement abgewehrt werden. Die Macht der Militärs wird immer größer." Dies führe zu einer Spaltung der Gesellschaft und zu immer mehr Rechtsunsicherheit (Militär-Demokratie"). Auf die demokratischen Institutionen sei kein Verlaß, weil letztlich alles vom Militär und den Sicherheitsdiensten abhinge. Es käme vor, daß Leute in Zivil in den östlichen Provinzen in die Dörfer kämen und um eine Spende für die PKK gebeten hätten; am nächsten Tag seien dieselben Leute als Polizisten wiedergekommen. Kurden könne schon der Besitz von verdächtigen" kurdischen Büchern zum Verhängnis werden. Auch die Arbeit im IHD sei mit Gefährdungen und Risiken verbunden, wie Beispiele in der Vergangenheit belegten. Neben der Behandlung und Hilfe für die Folteropfer arbeiten die Zentren wissenschaftlich, um die physischen Spuren der Folter nachzuweisen. Der TIHV betreibt außerdem Aufklärungsarbeit über Folter und Menschenrechtsverletzungen, bietet Seminare an und dokumentiert und veröffentlicht Berichte über Folter, Verschwundene und über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Wenn nach Ankunft abgeschobener Asylbewerber jemand im Verhör als Kurde, als Alevit oder als politisch Linksoppositioneller identifiziert wird, ist er jederzeit in Gefahr, geschlagen, mißhandelt und gefoltert zu werden!" Da in den TIHV-Zentren alle Informationen über Menschenrechtsverletzungen, Folter etc. zusammenlaufen, gibt die Menschenrechtsstiftung jeden Tag eine zweisprachiges Bulletin - in türkisch und englisch - heraus, das an ca. 140 Abonnenten im Inund Ausland geschickt wird. Darüber hinaus veröffentlicht der TIHV jährlich den Turkey Human Rights Report" und andere Publikationen (File of Torture - Deaths in Detentention Places or Prisons"). Diese Berichte belegten u.a., daß in der Türkei seit 1980 Hunderttausende Menschen gefoltert und über 420 Menschen durch Folter getötet worden sind (1980 - 1995). Dr. ÖLCER bekräftigt die Berichte des IHD; die Zahl der Gefolterten habe zugenommen, die allgemeine Entwicklung ginge nicht in Richtung Verbesserungen, sondern Verschlechterung. Die Türkei habe zwar alle internationalen Vereinbarungen über Folter bzw. die Verhinderung von Folter unterschrieben, aber nicht die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen geschaffen, sie in der Türkei auch umsetzen und anwenden zu können. 11 KURDENVERFOLGUNG Es gebe allein über 150 Gesetze, mit denen Gefangene ohne Grund festgehalten werden könnten: Polizisten, die foltern, werden nicht vor Gericht gestellt; Menschen, die gefoltert wurden, werden verurteilt - und die unter Folter erpreßten ´Geständnisse` werden gegen sie verwendet". Solange das Anti-Terror-Gesetz nicht abgeschafft wird, solange wird es Folter und politische Gefangene in der Türkei geben!". Solange Militärs und Nationaler Sicherheitsrat die Politik bestimmten, bliebe auch ein Menschenrechtsminister nur ein Alibi, der nichts ausrichten könne. Bestimmt und entschieden wird die Aussage des IHD zum Thema Folter bekräftigt: Polizisten, die foltern, werden nicht vor Gericht gestellt; Menschen, die gefoltert wurden, werden verurteilt - und die unter Folter erpreßten ´Geständnisse` werden gegen sie verwendet". Die Folterer laufen frei herum". Folter werde in der Türkei nicht nur systematisch angewandt und gebilligt: Die Folter geschieht mit politischer Unterstützung; sie wird von der Regierung gewünscht." Die Polizei in der Türkei sei sehr politisch. Viele Polizisten gehörten ´Sicherheitsgruppen` der rechten Parteien oder den ´Grauen Wölfen` an. Dr. ÖLCER bekräftigte auch die Angaben des IHD über die Rückkehrgefährdung abgeschobener Flüchtlinge: Es gibt keine Garantie für Rückkehrer, nicht geschlagen und gefoltert zu werden." Zusicherungen aus Ankara könnten nicht funktionieren, weil die rechtsstaatlichen Voraussetzungen nicht vorhanden seien. Viele Menschen, die gefoltert und mißhandelt worden seien, hätten Angst und kämen nicht zur Behandlung zum TIHV, um nicht noch weitere Schwierigkeiten zu bekommen. Viele berichteten jedoch telefonisch über Folter und erlittene Menschenrechtsverletzungen, ohne dabei ihre Identität zu offenbaren. Auch unter diesen befänden sich aus Deutschland abgeschobene Flüchtlinge. Dr. ÖLCER schloß sich der Einschätzung des IHD an: Die Abschiebung von Flüchtlingen soll ausgesetzt werden, weil das, was 12 mit ihnen passiert, zunehmend nicht mehr berechenbar ist." Dr. ÖLCER berichtete der Delegation von Einzelfällen, in denen der TIHV auf dringende medizinische Hilfe angewiesen ist. Während des Gesprächs traf aus Deutschland die telefonische Mitteilung ein, daß ein junger kurdischer Flüchtling aus Bremen abgeschoben worden sei und am Nachmittag in Istanbul eintreffen werde. Auch der TIHV bestätigte Schwierigkeiten mit den Behörden, Ermittlungen, Verfahren gegen die Menschenrechtler. Der Verein/die Sektion in ADANA sei von Schließung bedroht bzw. geschlossen worden, z.B. weil Ärzte sich geweigert hätten, die Namenslisten ihrer Patienten herauszugeben. Gespräche mit der Gewerkschaft KESK HASAN HAYIR, der Vorsitzende der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes und ca. 15 Mitglieder dieser Gewerkschaft berichteten in einer lebhaften Diskussion von den Schwierigkeiten der gegenwärtigen Gewerkschafts- und Menschenrechtsarbeit in der Türkei. 8 Jahre habe die Gewerkschaft um ihre Anerkennung kämpfen müssen; heute sei sie mit ca. 500.000 Mitgliedern eine der größten Organisationen in der Branche, was ihre Spielräume jedoch nicht vergrößere. Seit 1980 seien Gesetze in Kraft, die sich gegen die Gewerkschaften richteten. Sie richteten sich auch gegen die allgemeine demokratische Arbeit: Denken und Schreiben ist immer noch strafbar in der Türkei". Tausende seien dafür ins Gefängnis gekommen. Auf unsere Nachfragen zu den Berichten von IHD und TIHV: Man kann schon froh sein, wenn man (von der Polizei) nicht geschlagen wird". Die Folter ist eine Säule des Staates; sie gehört zur Sicherheitskultur der Türkei." Die Polizisten haben nur eine Bildung - und das ist die Folter." Bei der Frage nach den Möglichkeiten, Visionen und Zielen der Gewerkschaft wurde der schmale Grat deutlich, auf dem sich Gewerkschaftsarbeit bewegt. KESK setzt sich nicht nur für Einkommensverbesserungen ein: Wir wollen Demokratie." Die Türkei habe 1992 der ILO zugesagt, daß sie die Gewerkschaften als Partner sehe. KESK halte internationale Kontakte zu Gewerkschaften - auch zu DGB und GEW (in der KESK sind sehr viele Lehrer organisiert). Diese Beziehungen gäben den Mitgliedern Kraft und Mut. KESK habe aber auch Kontakte und führe Gespräche mit den Staatsgewerkschaften und mit dem Unternehmerverband Tusiad, dessen Forderungen aus seinem jüngsten Papier (u.a. Abschaffung der Folter, Auflösung des Nationalen Sicherheitsrates) von KESK geteilt werden. Es gäbe zwar Folter, Unterdrückung, Menschenrechtsverletzungen und Rechtsunsicherheit in der Türkei, aber es gäbe auch Gegenkräfte, die für eine Veränderung eintreten. Allerdings gibt es viel Angst und Unsicherheit. 3 Millionen Menschen seien seit 1980 bereits mindestens einmal inhaftiert worden, weil sie ihre Meinung geäußert hätten. Die Kurden kämpften seit über 10 Jahren für ihre Rechte; es gäbe Tausende von Toten auf beiden Seiten. Dieser Krieg binde Ressourcen, die für Verständigung und friedliche Entwicklung gebraucht würden. Täglich ereigneten sich Anschläge und Explosionen. Demonstrationsteilnehmer würden brutal zusammengeschlagen. Dies schaffe vermehrt Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung. Die Militärs nutzten die Konflikte zwischen Kurden und Türken, zwischen Aleviten und Strenggläubigen aus; die Menschen würden bewußt in Gruppen geteilt und Konflikte zwischen diesen Gruppen von Regierung und Militär benutzt, um einen Dialog und friedliche Veränderungen zu verhindern. Vor diesem Hintergrund bewerteten Mitglieder von KESK auch die Konflikte der Militärs FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 KURDENVERFOLGUNG und innerhalb der türkischen Regierung mit der REFAH-Partei Erbakans. Weitere Themen in dem Gespräch mit KESK waren · die Verstrickung von Regierung und Sicherheitskräften in Verbrechen und schmutzige Geschäfte; · Waffenlieferungen aus Deutschland, die im Krieg gegen die Kurden eingesetzt werden; · die Möglichkeiten von Lehrern, im Unterricht Fragen von Frieden und Verständigung zu behandeln. Dazu die Aussage: Ein türkischer Lehrer darf nicht unterrichten, was der Staat selbst unterzeichnet hat, z.B. die Kinderrechtskonvention oder die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen". Gespräch mit KÜRT-KAV Stiftung für kurdische Kultur und Wissenschaft YILMAZ CAMLIBEL, der Vorsitzende, berichtet über die Arbeit der Stiftung, die im Februar 1992 gegründet und im Januar 1996 offiziell als erste kurdische Stiftung überhaupt anerkannt worden ist. Die Stiftung verfolgt die Ziele · über die kurdische Kultur und Geschichte zu forschen und sie lebendig zu halten; · an der Einleitung des Friedensprozesses mitzuwirken; · den Ärmsten und Schwächsten unter den Kurden durch entsprechende Projekte Hilfe und Unterstützung zu geben; · eine Schule für kurdische Sprache (in Istanbul) zu errichten. Zu den Projekten, deren Finanzierung zum Teil bei Stiftungen im Ausland beantragt ist, gehörten Sprachkurse, Gesundheitsprojekte für Familien, Projekte für Kinder von Flüchtlingen (Binnenvertriebene), Projekte für Frauen und Mädchen, die von Dorfschützern vergewaltigt und von den Eltern und Verwandten verstoßen worden seien (Frauenhaus), ein Kultur- und Begegnungszentrum. Bezüglich der Durchführung von Sprachkursen in Istanbul, die Ende April 1997 beginnen sollen, habe sich ein ernsthafter Konflikt mit der Regierung entwickelt. Nachdem die Stiftung alle Auflagen erfüllt und die Genehmigung der Schulbehörde in Istanbul erhalten habe, habe die Regierung Widerspruch eingelegt; eine eigene Schule, auf der kurmanci gelehrt wird, sei als Separatismus" bezeichnet worden. Das Bildungsministerium habe die Anträge der Stiftung abgelehnt. Diese sei daraufhin bis vor das Verfassungsgericht in Ankara gegangen und habe schließlich Recht und die höchstrichterliche Erlaubnis zur Durchführung der Sprachkurse bekommen. Das Bildungsministerium ignoriere dieses Urteil und beharre auf seiner Ablehnung - ein Beispiel dafür, daß die Achtung der vollziehenden Gewalt vor den Gerichten offenbar nicht mehr vorhanden sei. CAMLIBEL erklärte: Es gibt keine Achtung vor den Gerichten. Die Türkei ist gesetzlos. Exekutive und Militär machen, was sie wollen!" Es gibt kein Gesetz, auf das die Bürger sich verlassen können!" CAMLIBEL nannte ein weiteres Beispiel für die offensiven Bemühungen der Regierung zur Zerstörung der kurdischen Sprache und Kultur und verwies als Beleg dafür auf entsprechende Berichte in türkischen Zeitungen. Die Innnenministerin, Frau Meral Aksener habe einen Antrag an den Nationalen Sicherheitsrat gerichtet, alle Kinder in nationalen Kindergärten zu sammeln, damit sie dort von klein auf (nur) türkisch lernten. Solche Zwangskindergärten hätten für die kurdischen Kinder eine Türkisierung" zur Folge, weil ihre Mütter sie nicht mehr, wie bisher, die kurdische Sprache lehren könnten. Gespräch mit der Stiftung für Erziehung, Kultur und Sozialdienste für die Türkei Hier handelt es sich um eine junge Stiftung im Aufbau, die hauptsächlich Projekte für Menschen aus den zerstörten Dörfern, für Kinder und Gesundheitsprojekte durchführt; weitere Informationen, Projektbeschreibungen etc. erhalten die Delegationsteilnehmer nach Rückkehr in Deutschland. Gespräch mit der Partei für Demokratie und Frieden - DBP Es gibt keine Achtung vor den Gerichten. Die Türkei ist gesetzlos. Exekutive und Militär machen, was sie wollen!" Die Gespräche mit dem Vorsitzenden YAVUZ KOCOGLU und mehreren Mitgliedern be- und verstärkten die Informationen und Eindrücke aus den vorangegangenen Begegnungen und Gesprächen. Von einer Öffnung in Richtung Demokratie könne in der Türkei keine Rede sein; sie sei auch nicht gewollt. Obwohl die ökonomische Lage sich weiter verschlechtere, werde über ein Drittel des Staatshaushaltes der Türkei in den Krieg gegen die Kurd/inn/en gepumpt. Würde dieses Geld - jährlich über 10 Milliarden Dollar - für Gesundheit und Soziales ausgegeben, ginge es Türk/inn/en und Kurd/inn/en besser und man könnte die kurdische Frage in Frieden lösen. "Die kurdische Frage ist eine politische Frage, sie wird aber von der Regierung und den Militärs nur als Terror-Frage behandelt!" Tatsächlich griffen Terror und Willkür immer mehr um sich, eine Geheimarmee und Geheimpolizei seien aufgebaut worden, es gäbe seit mehreren Jahren spezielle "Anti-Terror Einheiten". Auch bei den rechten Parteien gäbe es immer mehr bewaffnete 13 KURDENVERFOLGUNG "Es gibt oft keinen Straftatbestand, den man Verfolgten vorwerfen kann; dafür gibt es dann spezielle Organisationen, die bringen die Menschen um und werden nie vor Gericht gestellt." Gruppen. "Diese Schwadronen werden ausgebildet, um im Osten Menschen umzubringen, über 90% sind Freiwillige." Diese bewaffneten Gruppen, Todesschwadrone wie die "Türkische Rachearmee", arbeiteten mit Kriminellen zusammen; über sie liefe der Drogenhandel und das Glücksspiel; sie würden vom Staat gedeckt. Der "Susurluk-Unfall" sei zum Synonym für die Verstrickungen und Verbindungen zwischen Regierung, Sicherheitsdiensten, Terrorgruppen und Kriminellen geworden. malige Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Herbert Schnoor, ihm Asyl angeboten hatte. "Es gibt oft keinen Straftatbestand, den man Verfolgten vorwerfen kann; dafür gibt es dann spezielle Organisationen, die bringen die Menschen um und werden nie vor Gericht gestellt." Anläßlich seines 500. Hafttages am 26. Februar 1997 startete KOMKAR in Deutschland eine Kampagne, um die Öffentlichkeit auf sein und das Schicksal der anderen politischen Gewissensgefangenen aufmerksam zu machen. Die Delegationsmitglieder sind Mitunterzeichner einer Anzeige, die am 21. März 1997 geschaltet und in der die Freilassung IBRAHIM AKSOYS und der anderen Gefangenen gefordert wurde. Auch Mitglieder der DBP seien ohne Grund verhaftet, geschlagen und nach 2 Tagen wieder freigelassen worden. Es gäbe Ermittlungen und Verfahren gegen mehrere Mitglieder. Besuch bei IBRAHIM AKSOY im Gefängnis von Haymana am 19. April 1997 Ein vorrangiges Ziel der Reise war es, IBRAHIM AKSOY, den ehemaligen Abgeordneten und Vorsitzenden der Partei für Demokratie und Wandel und nach Möglichkeit weitere der noch inhaftierten DEP-Abgeordneten wie Leyla Zana und Orkan Dogan zu besuchen. Damit wollten wir auf das Schicksal der über 170 Gewissensgefangenen in der Türkei aufmerksam machen, die allein deshalb inhaftiert wurden, weil sie ihre Meinung frei geäußert haben. AKSOY war nach § 8 des Anti-Terrorismus-Gesetzes im Zusammenhang mit von ihm verfaßten Schriften und mündlichen Stellungnahmen verurteilt worden. Er trat seine Haftstrafe am 14. Oktober 1995 an, obwohl er sich bei Urteilsverkündung gerade in Deutschland aufhielt und der da14 Gegen AKSOY liegen über 40 Anklagen bei den Staatssicherheitsgerichten der Türkei vor. Selbst wenn er aus der Haft entlassen wird, kann er wegen der noch laufenden Verfahren jederzeit sofort wieder verurteilt und inhaftiert werden. Inzwischen haben sich sowohl die Interparlamentarische Union als auch amnesty international Aksoys angenommen. Vor diesem Hintergrund war schon von Deutschland aus versucht worden, eine Besuchserlaubnis zu erhalten. Auch die persönliche Intervention von Dr. Schnoor hatte jedoch nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Dennoch fuhren wir am 19. April noch Haymana, ca. 60 km von Ankara entfernt, um mit seinem Anwalt und Freunden von der DBP zu versuchen, mit Ibrahim zusammenzutreffen. Es war Bayram, Opferfest, und vor dem Gefängnis standen viele Familien, um ihre inhaftierten Angehörigen zu besuchen. Wir stellten uns in die Reihe der Wartenden und wurden schließlich auch zur umfänglichen Sicherheitsüberprüfung in den Vorhof des Gefängnisses eingelassen. Während die türkischen Freunde und auch unser Dolmetscher schon passieren durften, Jörn-Erik Gutheil bereits den Handstempel zum Passieren erhalten hatte und unsere Sicherheitsüberprüfung schon so gut wie abgeschlossen war, kam einer der wachhabenden Offiziere angerannt und erklärte aufgeregt, daß - nach einem Anruf der Staatssicherheit aus Ankara - kein Ausländer zu IBRAHIM AKSOY vorgelassen werden dürfe. Dieses Besuchsverbot politischer Gefangenen gelte für alle Ausländer. Das Gefängnis in Haymana, am Rande des kleinen Ortes, ist ein altes Gefängnis in altem Gemäuer für ca. 50 Inhaftierte, die sich zu viert eine Zelle von ca. 16 qm teilen müssen und von dort jeweils Zugang zu einem kleinen Innenhof haben. Eine mannshohe Mauer mit aufgesetztem Stacheldrahtverhau umgibt das Gefängnis im Abstand von ca. 2025 m. Nur vom vergitterten Eingangstor aus hat man ungehinderten Einblick in den Vorhof und den Eingangsbereich des Gefängnisses. Während wir vor diesem vergitterten Tor warteten, erschien überraschend IBRAHIM AKSOY an der Tür des Gefängnisses, hob die Arme und winkte uns zu. Er hatte unsere Botschaft und Grüße erhalten. Wir winkten zurück, solange das aufmerksam gewordene Wachpersonal dies zuließ. Wir haben IBRAHIM AKSOY gesehen. Er hat uns gesehen und weiß von unserer Delegation; insofern war unser Besuch trotz des Verbots nicht ohne Erfolg. Zusammenfassung und Bewertung, Empfehlungen und Konsequenzen Die Kernaussagen und Schwerpunkte aller Gespräche lassen sich in vier Punkten zusammenfassen: I. Systematische Folter, vom Staat gedeckt Folter wird - nach allen Informa- tionen, die wir haben - in der Türkei weiterhin systematisch in einem erschreckenden Ausmaß angewendet. Entgegen aller Zusagen und Versprechungen, diese Praxis zu ändern, muß davon ausgegangen werden, daß Folter mit staatlicher Unterstützung ge- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 KURDENVERFOLGUNG schieht und daß Folterer vom Staat gedeckt werden und straffrei bleiben. Die Türkei hat 1988 die Europäische Antifolterkonvention und das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die Folter, 1995 die Konvention über die Rechte des Kindes ratifiziert. Auch die einstimmige Verurteilung der türkischen Regierung wegen "weitverbreiteter ..., ständiger ..., vorsätzlicher ... und systematischer Folter" durch das Komitee gegen Folter (CAT) der Vereinten Nationen 1993 hat die Regierung zu keinerlei Maßnahmen veranlaßt, diese Praxis abzustellen und zu verhindern. Auch die Berichte des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen über Folter von 1995 und 1996 bestätigen erneut diese Vorwürfe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei im Dezember 1996 erstmals wegen (1992 erfolgter) Folterungen verurteilt; mehrere hundert Klagen gegen die Türkei liegen der Europäischen Menschenrechtskommission noch vor. Dies alles läßt die türkische Regierung und die türkische Staatsmacht einschließlich der Militärs offensichtlich unberührt. Folter scheint - allen gelegentlichen und wiederholten Ankündigungen zum Trotz - eine "Säule türkischer Politik", zum Bestandteil der herrschenden "Rechtsund Sicherheitskultur" der Türkei geworden zu sein. Selbst Kinder und Jugendliche bleiben nicht verschont. Damit verstößt die Türkei in eklatanter Form auch gegen die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, unter anderem gegen die Art. 3, 19, 34 und 37 der Konvention. II. Zunehmende Rechtsunsicherheit und Unberechenbarkeit durch die Aushöhlung und Zerstörung demokratischer Institutionen Fortgesetzte Verstöße gegen die Menschenrechte, willkürliche Festnahmen, Polizeiterror, ungesetzliche Haft, Verschleppungen, Überfälle, Anschläge und Morde durch Privatarmeen und Todesschwadrone, die Korruption in der Regierung, stilles und offenes Einvernehmen zwischen Justiz, Politik und Militärs über die Verfolgung und "Kriminalisierung" Unschuldiger sowie die Begünstigung und Deckung der Täter deuten auf die Aushöhlung rechtsstaatlicher Institutionen der Türkei hin. Allen Gesprächen und Aussagen war die Eindringlichkeit gemeinsam, mit der unsere Gesprächspartner immer wieder auf den Gegensatz zwischen dem Vorhandensein, der "formalen" Existenz der Institutionen eines demokratischen Rechtsstaates einerseits und ihres zunehmenden Mißbrauchs, ihrer ständigen Aushöhlung und Instrumentalisierung durch Regierung, Militärs und rechte Staatsparteien einschließlich ihrer eigenen "Sicherheitsorgane" - andererseits hinwiesen. Kaum einer unserer Gesprächspartner, der nicht aus persönlicher Erfahrung oder aus seinem engsten Umfeld über Festnahmen, Inhaftierungen, Folter, Verschleppungen und Vertreibungen berichten konnte. "Susurluk" scheint zum Synonym für die engen Verbindungen und Verstrickungen von und zwischen Sicherheitsdienst, Mafia und Politik in der Türkei geworden zu sein. Der Gegensatz, der wachsende Widerspruch zwischen Recht und Rechtsanwendung wurde von unseren Gesprächspartnern eindringlich vermittelt ("Die Türkei ist gesetzlos"). Immer wieder wurde von den Gesprächspartnern auch darauf hingewiesen, daß die enormen Kriegslasten der hochverschuldeten Türkei die sozialen und wirtschaftlichen Gefahren noch verschärften, was radikale und fundamentalistische Strömungen begünstigen könne. Diese Lage werde wiederum von den Militärs benutzt, sich als Garanten von Sicherheit und Ordnung zu präsentieren. Die Militärs verschärften so die Gegensätze in der Bevölkerung und zwischen den ethnischen - religiösen Gruppen. Mehrere Gesprächpartner wiesen vor diesem Hintergrund mit Sorge auf das Beispiel `Algerien´ hin. III. Behinderung und Zerstörung der kurdischen Kultur und der kurdischen Sprache Der türkische Staat scheint mit einer neuen Offensive zur Zerstörung der kurdischen Kultur und der kurdischen Sprache zu beginnen. Verbote von Sprachkursen durch das Bildungsministerium - trotz der Erlaubnis und gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts -, Berichte über Pläne zur "Türkisierung" der kurdischen Kinder in staatlichen "Zwangskindergärten" lassen neue, sehr ernst zu nehmende offene und indirekte Bemühungen erkennen, den Gebrauch der kurdischen Sprache und das Bekenntnis zur kurdischen Identität zu kriminalisieren und weiter "einzudämmen" und so die kurdische Sprache und Kultur zu zerstören. Kaum einer unserer Gesprächspartner, der nicht aus persönlicher Erfahrung oder aus seinem engsten Umfeld über Festnahmen, Inhaftierungen, Folter, Verschleppungen und Vertreibungen berichten konnte. In diesem Zusammenhang erscheint ein "vertraulicher" Bericht des Nationalen Sicherheitsrates aufschlußreich, in dem vor der "kurdischen Gefahr" wegen der höheren Geburtenrate der kurdischen Bevölkerung gewarnt wird. Danach hätte diese bis zum Jahr 2025 die 50%-Grenze überschritten. Um "schwerwiegende Folgen" zu verhindern, schlägt der Bericht eine Familienplanungskampagne in der kurdischen Region vor. In diesem Bericht wird ebenfalls bestätigt, daß Maßnahmen der "inneren Sicherheit", insbesondere der Kampf gegen den Terrorismus - für die nach dem Gesetz der Innenminister zuständig ist - nun ganz und gar vom Militär übernommen worden sind (laut CILDKET 51/96 und 52/96, zitiert aus "Nützliche Nachrichten" 1/97 des Dialogkreises). IV. Rückkehrgefährdung abgeschobener Asylbewerber/innen aus Deutschland Unsere Gesprächspartner trugen vor, es bestehe eine unmittelbare Gefährdung eines großen Teils 15 KURDENVERFOLGUNG der aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschobenen Flüchtlinge. Auch nach wiederholter Befragung bestätigten die Gesprächspartner - unabhängig voneinander - ihre Aussagen. Sie erklärten: Wer nach der Rückkehr aus Deutschland im Verhör - als Kurde - als Alevit - als politisch links-stehend identifiziert wird, sei jederzeit in Gefahr, geschlagen, mißhandelt oder gefoltert zu werden. Wer nach der Rückkehr aus Deutschland im Verhör - als Kurde - als Alevit - als politisch links-stehend identifiziert wird, sei jederzeit in Gefahr, geschlagen, mißhandelt oder gefoltert zu werden. Alle Gesprächspartner lehnten deshalb entschieden die gegenwärtige Abschiebepraxis ab. Absprachen mit der türkischen Regierung seien nicht hilfreich, weil die türkische Seite ihre Zusagen nicht einhalte. Eine Gefährdung abgeschobener Asylbewerber/innen könne sich nach Auffassung unserer Gesprächspartner bereits aus der Teilnahme an in der Bundesrepublik legalen, d.h. zugelassenen Demonstrationen ergeben; viele Rückkehrer meldeten erlittene Mißhandlungen und Folterungen "anonym" und tauchten aus Angst vor weiteren Nachstellungen und Verhaftungen unter. Die Rückkehrgefährdung müsse sich nicht unmittelbar nach der Ankunft ergeben - sie bestehe zeitversetzt immanent fort. So sei Mehmet Kaya im Oktober 1993 aus Deutschland in die Türkei abgeschoben worden; er sei am 24. Juni 1996 in der Türkei von Mitgliedern der "Türkischen Rachearmee" (Türk Intikam Tugayi) ermordet worden, als er sich auf dem Heimweg von einem Kongreß der Kurdischen Demokratischen Partei (HADEP) befunden habe. (Quelle: PRO ASYL) Die Forderung der Menschenrechtsvereinigungen in der Türkei an die Bundesregierung ist deutlich: "Abschiebungen von Flüchtlingen sollen ausgesetzt werden, weil das, was mit ihnen geschieht und passieren kann, zunehmend nicht mehr berechenbar ist!" 16 Empfehlungen und Konsequenzen Die zentralen Aussagen unserer Gesprächspartner lassen u. E. in der Zusammenschau eine neue Qualität hinsichtlich des Ausmaßes und der Intensität von Menschenrechtsverletzungen in der Türkei erkennen. Aus ihren Kernaussagen müssen Konsequenzen für die deutsche Politik gezogen werden. Die Aussagen stimmen nicht mit den Erklärungen der Bundesregierung, den Lageberichten des Auswärtigen Amtes und den Einschätzungen der Innenminister über die aktuelle Menschenrechtslage in der Türkei sowie über die Rückkehrgefährdung abgeschobener Asylbewerber/innen überein. Wir haben keine Veranlassung, die Glaubwürdigkeit unserer Gesprächspartner in Frage zu stellen, deren Berichte auch von anderen Stellen immer wieder bestätigt worden sind. Innenminister, Auswärtiges Amt und Bundesregierung dürfen sich deshalb nicht über ihre Aussagen, Argumente und Urteile einfach hinwegsetzen. Die Kenntnis und Prüfung der Aussagen und Berichte unserer Gesprächspartner sollte es den Verantwortlichen in Regierung und Parlament möglich machen, eine Neubewertung der Bonner Haltung und der deutschen Politik gegenüber der Türkei vorzunehmen. Dies gilt für die Außenwie für die Innenpolitik: 1. Wenn in der Türkei systematisch gefoltert und die Folter in der Staatspraxis weiterhin ohne energische Gegenmaßnahmen hingenommen wird, dann kann dies nicht ohne Auswirkungen auf die deutsche Außenpolitik gegenüber der Türkei bleiben. Der Bundesaußenminister muß deshalb handeln - im Interesse der deutsch-türkischen Freundschaft und im Interesse der Menschen in der Türkei, die trotz aller Repressalien immer wieder die Einhaltung der Menschenrechte einfordern. 2. Die Innenminister der Länder dürfen abgelehnte Asylbewerber/innen nur dann in die Türkei abschieben, wenn sie sicher sind, daß diesen dort keine menschenrechtswidrige Behandlung droht. Wir wissen, daß nicht alle Ausländer/innen, die in der Bundesrepublik Deutschland um politisches Asyl nachsuchen, auch wirklich verfolgt sind und deshalb auch wirklich einen Asylanspruch haben. Das gilt auch für Asylbewerber/innen aus der Türkei. Aber auch dem Asylbewerber gegenüber, dem kein Asyl in der Bundesrepublik Deutschland gewährt und der deshalb in seine Heimat zurückgeschickt wird, hat die Bundesrepublik Deutschland Schutzpflichten. Den Hinweisen aus der Türkei, daß in die Türkei abgeschobene Kurden, Aleviten und Angehörige bestimmter politischer Gruppen immer mit der Möglichkeit der Folter zu rechnen haben, müssen die Innenminister nachgehen, denn keine deutsche Regierung oder Behörde darf durch Abschiebungen an menschenrechtswidrigen Maßnahmen anderer Staaten mitwirken. 3. Wir erwarten deshalb, daß das Auswärtige Amt Kontakt zu unseren Gesprächspartnern, insbesondere zum türkischen Menschenrechtsverein (IHD) und zur türkischen Menschenrechtsstiftung (TIHV) aufnimmt und zu deren Aussagen in einem ergänzenden Lagebericht Türkei" konkret Stellung nimmt. Von den Innenministern der Länder erwarten wir, daß sie sich bei ihren Entscheidungen über die Abschiebung von Asylbewerbern in die Türkei konkret mit den Aussagen unserer Gesprächspartner über die Lage der Menschenrechte in der Türkei auseinandersetzen. Frankfurt, Düsseldorf, Bremen, den 17. Mai 1997 gez. gez. gez. gez. Dr. Herbert Schnoor Dr. Arendt Hindriksen Heiko Kauffmann Jörn-Erik Gutheil FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 VERFOLGUNG VON KURDEN F amilie Arslan hat drei schlechte Jahre hinter sich: 1994 Verhaftung und Folterung des Vaters durch türkische Sicherheitskräfte, 1995 Flucht nach Deutschland, 1996 Ablehnung des Asylgesuchs durch die deutschen Behörden. Der Vater, Emin Arslan, besaß bis zu seiner Flucht ein Restaurant in Viransehir, einem kleinen Ort in der Osttürkei. Daß er gelegentlich der kurdischen Arbeiterpartei PKK Lebensmittelspenden zukommen ließ, ist in den vorwiegend von Kurden bewohnten Provinzen im Südosten der Türkei nichts besonderes. Die politische Forderung der PKK nach einem unabhängigen kurdischen Staat findet breite Unterstützung in der Bevölkerung. Die Anwendung der Gewalt durch die PKK wird jedoch von vielen, so auch Emin, abgelehnt. Die Lebensmittelspenden sollten für Emin Arslan fatale Folgen haben. Am frühen Morgen des 14. Februar 1994 holten ihn Mitglieder einer Polizeisondereinheit zu Hause ab. Sie brachten ihn gefesselt und mit verbundenen Augen in ein Gebäude. Nach zwei Tagen des ungewissen Wartens wurde er zum Verhör abgeholt. Er mußte sich nackt ausziehen und die Handgelenke in von der Decke hängendende Metallschellen legen. Diese wurden dann nach oben gezogen, so daß er gerade noch auf den Zehenspitzen stehen konnte. Dann wurde er mit eiskaltem Wasser abgespritzt und mit Stöcken bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen. Die Polizei legte ihm einen Mord oder zumindest die Mitwisserschaft zur Last. Außerdem wurde ihm eine Verbindung zur PKK vorgeworfen. Auch in anschließenden Verhören wurde er geschlagen und mit Fußtritten traktiert. Bis Ende Februar dauerte dies Martyrium. Während dieser Zeit wußte seine Familie nichts über seinen Verbleib. Fortwährende Schikane Nach der Gerichtsverhandlung am 28. Februar wurde er unter der Bedingung freigelassen, sich täglich auf der Polizeiwache zu melden. Auch nach seiner Entlassung war er fortwährenden Schikanen ausgesetzt. Mitglieder ei- ner Polizeisondereinheit suchten ihn in seinem Restaurant auf und beschimpften ihn. Für Emin Arslan waren diese Besuche ein deutliches Signal für weiteres Unheil. Das Gefühl, bedroht zu werden, wuchs zu einer Angst um sein Leben und das seiner Familie, als zwei seiner Verwandten, die mit ihm verhaftet worden waren, Anfang 1995 ermordet und von Folter gekennzeichnet aufgefunden wurden. Daraufhin versteckte er sich mit seiner Familie außerhalb von Viransehirs. Hiermit machte er sich jedoch straffällig, da er der Auflage des Gerichts, sich täglich bei der Polizei zu melden, nicht mehr nachkommen konnte. Daher war auch an eine Flucht in den Westen der Türkei nicht zu denken. Der einziger Ausweg, sich vor einer möglichen Bedrohung zu retten, bestand darin, das Land zu verlassen. Die Flucht nach Deutschland sollte jedoch nicht die erhoffte Sicherheit bringen. Der Asylantrag der Familie wurde vom Bundesamt für die Anerkennung von Asylbewerbern abgelehnt. Die ablehnende Entscheidung des daraufhin angerufenen Verwaltungsgerichts Hannover wird damit begründet, daß die Verhaftung von Emin Arslan "im Zusammenhang mit einer Strafverfolgungsaktion" geschehen sei. Die Tatsache, daß Emin Arslan gefoltert wurde, wird vom Gericht hierbei gar nicht verneint. Im Gegenteil. Es bestätigt, daß Herr Arslan viele Einzelheiten schildern konnte. Dennoch befindet das Gericht, daß Abschiebungshindernisse wegen Foltergefahr nicht vorlägen, da er sich durch zwei falsche Datumsangaben unglaubwürdig gemacht habe. In dem einen Fall hatte er jedoch die Angaben aus seiner Anhörung vorm Bundesamt bei Gericht korrigiert, in dem anderen Fall ließ sich die Datumsangabe durch eine Verwechslung erklären. Angesichts der Angst vieler Flüchtlinge vor Gericht und der geringen Bedeutung von Kalenderdaten in seinem bisherigen Leben verwundert dies nicht. Der Richter ließ sich hiervon nicht beeindrucken. In völliger Unkenntnis der Sachlage stellte er zudem fest, daß die Familie ja im Westen der Türkei Zuflucht finden könn- Flucht vor Folter Kurdische Familie sucht Zuflucht in einer Kirchengemeinde, da laut Verwaltungsgericht trotz Folter keine Abschiebungshindernisse vorliegen Malte Schubert* te. Hier wäre Emin Arslan jedoch in zweifacher Weise vor einer Verfolgung nicht sicher gewesen: Kurden unterliegen auch im Westen des Landes einer zunehmenden Verfolgung. Außerdem war er den Auflagen des Gerichts nicht nachgekommen. Eine Verhaftung mit erneuter Folter wäre höchstwahrscheinlich. Skandalös an der richterlichen Entscheidung ist auch, daß versäumt wurde, die Gefahr einer Wiederholung der Folter als Abschiebehindernis nach § 53 Ausländergesetz zu berücksichtigen. Dieser Paragraph soll Personen, denen kein Asyl gewährt wird, Schutz vor Folter gewähren. amnesty international wandte sich daraufhin mit der Bitte an den Petitionsausschuß des Bundestages, auf Bundesinnenminister Kanther in der Weise einzuwirken, für Familie Arslan ein Abschiebungshindernis festzustellen. Die Entscheidung des Bundesamtes im Hinblick auf Abschiebungshindernisse ist nämlich weisungsgebunden. Dadurch besteht die Möglichkeit, die Entscheidung zu beeinflussen. Auch die gerichtliche Bestätigung steht dieser Einwirkungsmöglichkeit nicht entgegen. Auf einer Pressekonferenz, die zusammen mit der Kirchengemeinde veranstaltet wurde, sollte auf das Schicksal der Familie hingewiesen werden. Die Resonanz in den Medien und der Bevölkerung war hervorragend. Binnen weniger Wochen konnten mehrere tausend Unterschriften gesammelt werden. Die Flucht nach Deutschland sollte jedoch nicht die erhoffte Sicherheit bringen. * Malte Schubert ist Pressesprecher von amnesty international Bezirk Hannover. Die Familie Arslan wurde von Peggy Kupiers, ebenfalls ai Hannover, betreut. 25 VERFOLGUNG VON KURDEN Haß-Briefe gegen das Kirchenasyl Pfarrer schildert Anfeindungen Hilfe der Polizei vermißt Eckart Spoo* In Hannover sind es vor allem FlugblattPamphlete der Statt-Partei, mit denen die BürgerInnen angesprochen werden, die offensichtlich auch der Innenminister für die Mehrheit seiner Wähler hält. Pfarrer von Gemeinden, in denen ausländische flüchtlinge Kirchenasyl gefunden haben, werden von Rassisten mit Haß verfolgt. Nicht nur in Lübeck, wo man nach dem Brand in der St. Vicelin-Kirche den Namen eines solchen Pfarrers und mehrere Hakenkreuze an die Wand geschmiert fand. Auch in Hannover. Seit die Gerhard- Uhlhorn- Gemeinde in Hannover- Linden eine Gruppe von Nigerianern aufgenommen hat, die in aktiver Opposition zum Militärregime in ihrer Heimat stehen, erhält Pastor Frank-Peter Schultz neben Zuspruch, tatkräftiger Unterstützung und vielen Spenden auch manche Briefe und Anrufe, die ihn erschrecken. bei der Kriminalpolizei, berichtet er im Gespräch mit der FR, finde er gegen die Drohungen keine Hilfe. Es begann damit, daß ihn ein junger Mann, Jura-Student, telefonisch attakkierte und an alle haushalte in der Umgebung der Kirche Flugblätter verteilte. Die Empfänger wurden aufgefordert, dafür zu sorgen, daß der Mißbrauch mit dem sog. Kirchenasyl ein Ende hat und Wirtschaftsflüchtlinge, die sich hier alimentieren lassen wollen, nach Recht und Gesetz abgeschoben werden". Die Bürger müßten sofort handeln". Der Flugblatt- Verantwortliche erstattete auch Strafanzeige gegen Schultz und einen zweiten Pfarrer wegen Beihilfe zur Verhinderung von Abschiebungen. Das Verfahren ist inzwischen bei der Gene- * in der Frankfurter Rundschau vom28.05.1997 26 ralstaatsanwaltschaft in Celle anhängig. Der Student wandte sich ferner ans niedersächsische Innenministerium: Eine in der Gemeinde tätige ABM-Kraft helfe bei der Betreuung der Nigerianer, was doch nicht rechtmäßig sei. Das Ministerium schaltete prompt das Arbeitsamt ein, das einen Kontrolleur in die gemeinde entsandte. Mit Namen, Anschrift und Telefonnummer sowie Deutschem Gruß" meldete sich bei Schultz ein Briefschreiber, der in schlechtem Deutsch wissen ließ, illegale Flüchtlinge gehörten in die Zuchthäuser und Zwangsarbeitslager ihrer Heimatsländer". Der Absender verlangte äußerste Härte, Null-Toleranz". Es kamen auch anonyme Schreiben, darunter eines, in dem Frank-Peter Schultz als Pastorenschwein" beschimpft wurde, weil er Beihilfe zum Diebstahl von Sozialhilfe und Förderung der Verrassung und Bastardisierung Deutschland" leiste. Ähnliche Schreiben gingen anderen Gemeinden zu,die Kirchenasyl gewährt haben. Ein Brief an Schultz endete mit dem Satz: dein Kadaver wird der nächsten Müllverbrennungsanlage zur Entsorgung zugeführt." Der Pfarrer erstattete dreimal Anzeige. Im Gegensatz zu den gegen ihn selber eingeleiteten Ermittlungen wurden die von ihm beantragten jeweils rasch eingestellt. Für die abgelehnten Asylbewerber aus Nigeria wurden Folgeanträge gestellt, die beim Verwaltungsgericht schmoren; in einem vorläufigen Bescheid meinte die zuständige Richterin, außer verschärften Vernehmungen" hätten die Flüchtlinge nach einer Abschiebung doch wohl nichts zu befürchten. Jetzt hofft die gemeinde, daß ihre Schützlinge in Kanada Zuflucht finden werden. Die dortige Beamten, erfuhr Schultz, hätten die Fälle gründlich geprüft; zwei Nigerianer könnten voraussichtlich im Juli die Reise antreten. Kirchenasyl Freispruch für illegalen kurdischen Flüchtling BI Asyl, Presse-Erklärung vom 5.6.97 Nach einer 4-stündigen Berufungsverhandlungen am 4. 6. 97 hob das Landgericht Regensburg auf, in dem Nuri Bekiroglu wegen illegalem Aufenthalt" zu 50 Tagessätzen à 8 DM verurteilt worden war. Der kurdische Flüchtling wurde freigesprochen. Zur Vorgeschichte: 1994 und 1995 befand sich Nuri Bekiroglu zeitweilig im Schutz einer Kirche bzw. der BI Asyl. Dies wurde damals sofort den Zuständigen der Stadt und der Öffentlichkeit mitgeteilt und erregte großes Aufsehen. Auch die Medien berichteten. Durch diesen Schutz wurden die beabsichtigten Abschiebungen in der Türkei verhindert. Aufgrund seiner vielfältigen politischen Aktivitäten für die Rechte seines kurdischen Volkes drohen Nuri Bekiroglu in der Türkei zumindest Inhaftierung und Folter. Wegen illegalem Aufenthalt" in diesem Zeiträumen wurde er vom Amtsgericht Regensburg im Juni 1996 zu oben genannter Strafe verurteilt. Gegen dieses Urteil erhob sowohl die Staatsanwaltschaft Berufung (ihr erschien das Strafmaß zu gering als auch Nuri Bekiroglu. vertreten durch seine Rechtanwältin Frau Schenk. die auf Freispruch plädierte. Zur Urteilsbegründung: Nachdem in der Verhandlung die Sachlage ausführlich erörtert worden war, begründete der Vorsitzende Richter mündlich die Aufhebung des Amtsgerichturteiles und die Freisprechung zusammengefaßt wie folgt: Nuri Bekiroglu befand sich wegen der geplanten Abschiebung in einer Notlage. Er befürchtete. in der Türkei festgehalten und inhaftiert zu werden. Daß ihm dies im Fall der Abschiebung tatsäch- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 VERFOLGUNG VON KURDEN lich gedroht hatte, kann nach seinen Erläuterungen seiner Anwältin und ai, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte und Auswärtiges Amt nicht ausgeschlossen werden. Das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit ist höher zu werten als die Ausreisepflicht. Deshalb ist sein Verstoß gegen die Ausreisepflicht nicht rechtswidrig. Der Vorsitzende Richter bemerkte abschließend, das in der Ver- handlung die Verhältnisse in der Türkei nur bis März 1995 (der Zeitraum der drohenden Abschiebung) und die daraus möglichen Gefahren für Nuri Bekiroglu geprüft worden seien, und sein Freispruch insoweit nicht verallgemeinert werden könne. IHD-Bilanz April 97 Ermordungen von Kurden Der Menschenrechtsverein veröffentlichte die Bilanz der ihm bekannt gewordenen Menschenrechtsverletzungen (in der Türkei und in Kurdistan) im April 97: Festnahmen von Pressemitarbeitern 623 27 36 41 Angriffe auf Pressemitarbeiter11 Beschlagnahmte Ausgaben von Publikationen 28 Polizeiüberfälle auf Büros von Zeitungen u. Publikationen 10 Von Sicherheitskräften erschossen, da angeblich der Aufforderung stehenzubleiben nicht nachgekommen 3 In der Haft "verschwunden" Menschen Bombenanschläge 5 14 Anklage des Staatssicherheitsgerichts Istanbul gegen 7 Vorstandsmitglieder des IHD wegen "separatistischer Propaganda" (wegen einem bei einer Durchsuchung beschlagnahmten Videofilm.) * [email protected] Das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit ist höher zu werten als die Ausreisepflicht. im Krankenhaus des Kurdischen Roten Halbmonds Kurdistan-Solidarität Hannover* Festnahmen davon Kinder Haftbefehle Kurzbewertung: Eine schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Wir begrüßen dieses Urteil und freu- en uns darüber. Das Urteil hat großer prinzipielle Bedeutung, auch wenn es (verständlicherweise) nicht verallgemeinert werden kann. Wir erwarten nun, daß die vor 2 Jahren in die Wege geleiteten Ermittlungen gegen uns (BI Asyl) wegen Verdacht auf Beihilfe zum illegalen Aufenthalt von Nuri Bekiroglu endlich eingestellt werden. Prof. Dr. Ulrich Gottstein (IPPNW Deutschland) DRINGENDE NOTWENDIGKEIT: Die deutsche Bundesregierung muß von den USA ein sofortiges Eingreifen in dieser von den UN anerkannten Schutzzone verlangen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz muß ebenfalls sofort aktiv werden, um weitere Ermordungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Übergriffe auf Patienten in den Krankenhäusern verhindern zu helfen. nachdem Hilferufe vom Kurdischen Roten Halbmond hier soeben eingingen: WIE IN SREBRENICA SCHAUT DIE WELT ZU, während eine fremde Macht, mit Unterstützung durch lokale Profiteure, hunderte oder tausende von Männern, Frauen und Kindern ERMORDET, sowie Frauen vergewaltigt werden. Nicht nur wird erneut das Vertrauen in UN und US-Schutzzonen total zerstört, sondern wiederum wird der Verdacht genährt, daß die UN und USA nur dann mit diplomatischem Druck und Gewaltandrohung reagieren, wenn das Vorkommen von Öl (Golfkrieg) oder ein politischer Vorteil gesichert werden sollen. Dabei sind es die Forderungen und Hoffnungen der Menschen der Welt, daß Menschlichkeit und Menschenrechte verteidigt werden. Wichtiger als NATO-Osterweiterung wäre es, Sorge zu tragen, daß das NATO-Mitglied Türkei gezwungen wird, von kriegerischer Invasion Iraks abzusehen und endlich den Krieg gegen die Mehrheit des Kurdischen Volks zu beenden. JETZT ABER IST IHRE DRINGENDE INTERVENTION NÖTIG! BITTE HELFEN SIE ! Sehr verehrter Herr Minister, sehr verehrter Herr Präsident, Mit sorgenvollen Grüßen, gez. Prof.Dr. Gottstein ich schreibe mit der dringenden Bitte um sofortige Intervention, * aus Presse-Erklärung vom 19,5.97 über [email protected] (Isgard Lechleitner) Im folgenden dokumentieren wir das Schreiben von Prof. Dr. Ulrich Gottstein (IPPNW Deutschland) vom 18.5.1997 an den Bundesaußenminister, Dr. K. Kinkel und dem Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes, Prof. Dr.K. Ipsen, zu den Morden an der kurdischen Zivilbevölkerung in Erbil durch Angehörige der KDP und des türkischen Geheimdienstes (MIT): betrifft: ERMORDUNGEN VON KURDEN IM KRANKENHAUS des Kurdischen Roten Halbmonds in ERBIL/Nordirak, sowie MASSENERMORDUNGEN AUF DEN STRASSEN von ERBIL durch TÜRKISCHEN Geheimdienst, Militär sowie KDP-Kämpfer von MESUT BARZANI 27 VERFOLGUNG VON KURDEN Kurdische Kriegsdienstverweigerer Besonders schlimmer Fall von Behördenignoranz DFG-VK fordert Bleiberecht für kurdische Familie Deutsche Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen NRW und DFG-VK Bildungswerk NRW e.V* Welche Konsequenzen es hast, wenn ein kurdischer Alevit den Kriegsdienst in seiner Heimat verweigert, dazu braucht es nicht viel Phantasie. Die Familie Dalmirzak lebt derzeit in schrecklicher Angst. Das Ordnungsamt der Stadt Mülheim/Ruhr möchte gegen sie spätestens zum 20. Juni dieses Jahres aufenthaltsbeendende Maßnahmen", d.h. die Abschiebung in die Türkei, gegen die kurdisch alevitische Familie einleiten". Die beiden Söhne Ecevit und Deniz sind Kriegsdienstverweigerer und müssen bei der Abschiebung in die Türkei mit drakonischen Strafen rechnen. Bekanntlich gibt es in der Türkei kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, obwohl dies ein anerkanntes internationales Menschenrecht ist. Kriegsdienstverweigerer müssen sich auf hohe Haftstrafen, auf Folter und schlimmstenfalls auf ihr Verschwinden" einstellen. Manfred Stein, Leiter des Ordnungsamtes Mülheim/Ruhr, schiebt diese Tatsache laut WAZ vom 27.5.97 mit der lapidaren Bemerkung beiseite, daß man in einem demokratischen Land den Militärdienst nicht so einfach verweigern kann". Daß Deutschland für die Familie Dalmirzak zur zweiten Heimat geworden ist, sei hier nur kurz erwähnt. Die Söhne haben nach * Presse-Erklärung [email protected] vom 02.06.97 28 Beendigung ihrer Schule einen Ausbildungsplatz erhalten und auch ihr Vater hat einen Arbeitsplatz (Dazu Originalton Manfred Stein: Wir sind kein Immigrationsland - bei fünf Millionen Arbeitslosen wüßte ich nicht, wieso ein Arbeitsplatz ein Grund sein sollte, den Aufenthalt zu gestatten."). Die Aktionen ihrer Mitschüler für sie - sie sammelten 800 Unterschriften für ein Bleiberecht - zeigen zusätzlich, daß Ecevit und Deniz viele Freunde gewonnen haben. Nachdrücklich möchte die DFGVK noch einmal darauf hinweisen, daß kurdische Aleviten in der Türkei unter einer besonderen Verfolgung leiden. Welche Konsequenzen es hast, wenn ein kurdischer Alevit den Kriegsdienst in seiner Heimat verweigert, dazu braucht es nicht viel Phantasie. Nur am Rande erwähnt sei, daß der älteste Sohn der Familie, Jussuf Dalmirzak seit acht Jahren in der Türkei verschwunden" ist. Die DFG-VK verurteilt das Vorhaben der Stadt Mülheim/Ruhr, die Familie Dalmirzak abzuschieben. Sie fordert ein unbeschränktes Bleiberecht der Familie und ruft zur gemeinsamen, bundesweiten Solidarität mit der Familie Dalmirzak auf. European Peace Congress 98 - KDV und Asyl Vom 29.-31. Mai 1998 findet in Osnabrück der European Peace Congress statt. Einer der drei Arbeitsschwerpunkte befaßt sich mit dem Thema Kriegsdienstverweigerung, Desertion und Asyl. Der Flüchtlingsrat arbeitet in der Vorbereitungsgruppe u.a. mit connection e.V. und amnesty international zusammen. Schwerpunkt sind die ost- und südosteuropäischen Länder. Interessierte und arbeitswillige Menschen wenden sich bitte an Norbert Grehl-Schmitt, der dies Projekt federführend im Flüchtlingsrat betreibt. 22 Jahre Knast für eine kurdische Fahne Führungsmitglieder der kurdischen Partei Hadep in Ankara zu Haft verurteilt Weil er beim Parteitag der einzigen legalen pro-kurdischen Partei, Hadep, eine türkische Flagge abgerissen und sie durch eine kurdische Fahne ersetzt hat, ist ein junger Mann vom Staatssicherheitsgericht in Ankara zu einer Gefängnisstrafe von 22 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Außerdem wurden 31 Führungsmitglieder der Hadep wegen Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (KKP) zu Haftstrafen verurteilt, der Hadep-Vorsitzende Murat Bozlak und ein anderes führendes Parteimitglied zu jeweils 6 Jahren Haft. Bei dem Parteitag im Juni 1996 hatten maskierte Männer die türkische Fahne heruntergerissen und durch die kurdische Flagge und ein Foto der PKK-Chefs Abdullah Öcalan ersetzt. Das genügte seinerzeit, um die Delegierten beim Verlassen des Parteitags von der Polizei zusammenknüppeln zu lassen und gegen die Parteiführung einen Prozeß anzustrengen. Nach dem Urteil wird mit einem Verbot der Hadep gerechnet. Die Partei war 1994 nach dem Verbot ihrer Vorgängerpartei DEP gegründet worden. Die gewählten Abgeordneten der DEP waren zu langen Haftstrafen verurteilt worden. K u rz v o r Dru c k l e g u n g w i rd b e k a n n t, d a ß a u c h K u d re t G ö z ü to k z u 4 ½ Ja h re n H a f t verurteilt worden ist. F ra u G ö z ü to k i s t e i n e fü h re n d e H A DE P -F u n k ti o n ä ri n u n d w a r a u f E i n l a du n g de s Flüchtlingsrats auf einer Vortragsreihe in Nieder sa c h se n u n d b e i de r Au s länderkomission. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 VERFOLGUNG VON KURDEN D ie Abgeordneten Lippmann-Kasten und Schröder (Grüne) hatten gefragt: Wie aus Presseberichten zu entnehmen war, konnte am 16.01. d.J. in letzter Minute die vom Landkreis Schaumburg angeordnete Abschiebung einer kurdischen Mutter und ihrer vier Kinder aus Hülsenhagen in die Türkei durch Intervention des niedersächsischen Flüchtlingsrates gestoppt werden. Die unangekündigte Abschiebung war angeordnet worden, obwohl der Vater der Kinder im Besitz einer bis zum 31.01.97 gültigen Duldung war, erklärt hatte, freiwillig auszureisen und sogar eine gemeinsame Ausreise der Familie gerichtlich angeordnet war. Obwohl der Vater zum Zeitpunkt der Abholung der Familie durch die Beamten nicht zu hause war, wurden die Frau und die vier Kinder zum Flughafen gebracht und später durch eine Anordnung des Innenministeriums wieder aus dem Flugzeug geholt. Wir fragen die Landesregierung: 1.Wie bewertet die Landesregierung das Vorgehen des Landkreises? 2.Wie ist das Vorgehen mit dem Erlaß der Landesregierung vom 07.07.1997, wonach Familien nicht getrennt abzuschieben sind, in Einklang zu bringen? 4.Wird das Land dienstaufsichtsrechtliche Konsequenzen ziehen? Innenminister Glogowski beantwortete wie folgt: (...) Nachdem seine Asylanträge erfolglos blieben, ist er seit Mitte 1995 vollziehbar ausreisepflichtig. Da die Asylverfahren seiner Ehefrau und der gemeinsamen Kinder seinerzeit noch anhängig waren, wurde der Aufenthalt des Familienvaters zunächst noch geduldet. Nach dem auch die Asylverfahren der Ehefrau und der Kinder seit 01.08.1996 rechtskräftig negativ abgeschlossen sind, ist die gesamte Familie vollziehbar zur Ausreise aus Deutschland verpflichtet. Da sie dieser Verpflichtung nicht freiwillig nachkommen ist, ersuchte der Landkreis Schaumburg am 06.12.1996 das für die Koordinierung von Flugabschiebungen zuständige Landeskriminalamt, die Familie nunmehr zwangsweise in die Türkei zurückzuführen. Am 16.01.1997 erhielt das Niedersächsische Innenministerium Kenntnis von der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung. Da die Ausländer im Besitz von bis zum 31.01.1997 gültigen und als Duldungen zu qualifizierenden Bescheinigungen des Landkreises Schaumburg waren, veranlaßte des Innenministerium die Aussetzung der Abschiebung. Zu Frage 1: Da der Aufenthalt der Familie aufgrund der vom Landkreis Schaumburg erteilten Bescheinigungen bis zum 31.01.1997 als geduldet galt, war die Einleitung der Abschiebung vor Ablauf dieser Frist unzulässig. Die Familie durfte darauf vertrauen, daß eine Abschiebung auch anderer Familienangehöriger vor Ablauf der Duldungsfrist nicht erfolgen würde. Zu Frage 2: Um die gemeinsame Ausreise asylsuchender Familienangehöriger bei unterschiedlichen Verfahrensständen zu ermöglichen, kann nach § 43 Abs. 3 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) der Aufenthalt bereits ausreisepflichtiger Familienmitglieder im Rahmen einer Ermessenentscheidung geduldet werden, bis die Verfahren der anderen abgeschlossen sind. Mit Runderlaß des Innenministeriums vom 07.07.1994 wurden die Ausländerbehörden des Landes Niedersachsen aufgefordert, dieses Ermessen grundsätzlich zugunsten der betroffenen Ausländer auszuüben und ihnen die gemeinsame Ausreise zu ermöglichen, es sei denn, die unverzügliche Beendigung des Aufenthalts einzelner Familienangehöriger ist aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unter den Voraussetzungen der § 46 Nrn. 1-5 oder § 47 des Ausländergesetzes (Ausweisungsgründe) geboten. Wenn aufgrund dieser Regelung der weitere Verbleib einzelner Familienmitglieder im Bundesgebiet bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geduldet wird, darf die Aufenthalts- Auseinanderreißen einer kurdischen Familie rechtswidriges Verhalten des Landkreises Schaumburg Antwort des Innenministers Presseinformation Nr. 73/97 (Auszug) bescheinigung erst nach diesem Zeitpunkt oder nach schriftlichem Widerruf der Duldung erfolgen. Zur Klarstellung weise ich darauf hin, daß die in der Fragestellung enthaltene Aussage, der fragliche Runderlaß verbiete die getrennte Abschiebung von Familienangehörigen, unzutreffend ist. Die Regelung soll es Familien unter den genannten Umständen vielmehr ermöglichen, gemeinsam auszureisen. Wenn die Familie bzw. einzelne Familienmitglieder diese Möglichkeit nicht nutzen, entfalten § 43 Abs. 3 AsyVfG und der Runderlaß vom 07. 07. 1994 keine Bindungswirkung mehr und es sind aufenthaltsbeendende Maßnahmen einzuleiten. Zur Klarstellung weise ich darauf hin, daß die in der Fragestellung enthaltene Aussage, der fragliche Runderlaß verbiete die getrennte Abschiebung von Familienangehörigen, unzutreffend ist. Daneben war in diesem Einzelfall der Runderlaß des Innenministeriums vom 28.11.1995 zur Vermeidung von Abschiebungen und Abschiebungshaft zu beachten. Danach soll Familien mit Kindern in der Regel der konkrete Abschiebungstermin angekündigt werden, um ihnen Gelegenheit zu geben, Vorbereitungen für die Ausreise zu treffen. Die vom Landkreis Schaumburg vorgetragenen Gründe rechtfertigen im Fall der türkischen Familien ein Abweichen von dieser Regel nicht. Zu Frage 4: Der Landkreis wurde von der Bezirksregierung Hannover als zuständige Fachaufsichtsbehörde entsprechend den Antworten auf die Fragen 1 und 2 belehrt und angewiesen, die Regelungen des Runderlasses vom 28.11.1995 zu beachten. 29 VERFOLGUNG VON KURDEN APPELL VON HANNOVER: JOIN THE WINNING SIDE JOIN THE PEACE TRAIN" Europäischer Friendenszug nach Diyarbakir Hans Branscheidt Sehr geehrte Damen und Herren, Im Nahen Osten gibt es keinen Frieden! Der Zug stellt einen Anschluß an Europa her. Einen Anschluß Kurdistans. Der Türkei. Der Friedenszug befördert keinen militärisch-wirtschaftlich-diplomatischen Anschluß, sondern die Einführung menschlicher, solidarischer, demokratischer Beziehungen auf dem Weg zur Vollendung eines zivilen Europas. Dieser Zug irrt sich nicht. Die Invasion ist der Irrtum. Der Zug kennt & äußert seine Botschaft: Es ist höchste Zeit für den Frieden". Der Zug irrt nicht, weil sein Motto die Erkenntnis der Menschen Europas ausdrückt, nicht die Ansicht einer Minderheit von Generälen. Der Zug ist ein Pionierzug. Ein Erstereignis. Gegründet auf der Erwartung auf allgemeine Demokratie. Auf Einhaltung der Menschenrechte. Für Kurden wie Türken. Auf Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit. Ein unschlagbarer Zug." 30 Wir alle wissen seit langem vom Krieg in Kurdistan. Von den Menschenrechtsverletzungen der Türkei. Von den Opfern. Den Flüchtlingen und den vielen Menschen, die gefoltert wurden. In diesen Tagen schiebt sich die Dampfwalze der Türkischen Kriegsmaschinerie als tödlicher Zug auf dem Wege einer völkerrechtswidrigen Invasion in die Kurdengebiete des Nordirak. Erneut auch hier Tod & Verderben stiftend. Die Option des Krieges auf alle Ewigkeit verlängernd und ausdehnend. Entgegen dem Veto des Generalsekretärs der Vereinten Nationen. Entgegen den Friedens- und Menschenrechtsvorstellungen des Europäischen Parlaments. Entgegen den Friedensbekundungen und der Verhandlungsbereitschaft der kurdischen Seite. Gegen auch unsere Bemühungen und Aufrufe und Friedenskonferenzen, die unter dem Namen Appell von Hannover Beachtung fanden. Der Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates der Türkei für die Fortsetzung und Ausdehnung des Krieges wollen wir heute unsere demokratische Friedensvorstellung entgegensetzen. Wir schicken der Invasion einen Friedenszug ins Haus. Einen europäischen Friedenszug der von Brüssel über Istanbul nach Diyarbakir fährt. Ein Friedenszug mit dem Namen des ermordeten kurdischen Dichters MUSA ANTER". Einen Sonderzug der europäischen Bundesbahnen mit Menschen aus Deutschland und ganz Europa. Die den Bevölkerungen der Türkei und Kurdistan den Friedenswunsch der Völker Europas überbringen. ES IST HÖCHSTE ZEIT FÜR DEN FRIEDEN IN KURDISTAN" Diese Botschaft ist gerichtet an die Regierung der Türkei. Verbunden mit der Erwartung auf Einhaltung der Menschenrechte. Auf Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit. Diese Botschaft wird in Istanbul und Diyarbakir im Rahmen großer Friedensfestivals ihre Bestätigung finden. Die Botschaft des Friedenszuges gründet auf vielfältigen Bekundungen des kurdischen und türkischen Volkes für den Frieden und den politischen Dialog auf dem Weg zu einer allgemeinen Demokratisierung. Jenseits aller Waffen. Die Menschen des Europäischen Friedenszuges erwarten während ihrer Anwesenheit eine Antwort der türkischen Regierung. Die Antwort sollte die Vorstellungen des kurdischen Volkes & die Forderungen des Europäischen Parlaments positiv berücksichtigen. Ein Zeichen der Friedensbereitschaft der türkischen Regierung wäre die sofortige Freilassung der international bekannten Abgeordneten Leyla Zana und des renommierten Wissenschaftlers Ismail Besikci sowie aller anderen inhaftierten Parlamentarier, Schriftsteller und Journalisten. Die Teilnehmer des Europäischen Friedenszuges, darunter Vertreter von namhaften Menschenrechtsorganisationen, Kirchen, Parteien, Verbänden und NGOs werden vor ihrer Rückkehr in die Metropolen Europas in einem demonstrativen Akt den Friedenswunsch der demokratischen Menschen Kurdistans und der Türkei öffentlich bestätigen. DAS VERSPRECHEN AUF DEMOKRATIE ERFORDERT DIE FRIEDLICHE LÖSUNG DES KONFLIKTS Eine weite Reise für den Frieden in einem großen Zug auf langer Fahrt wird auch für die Beteiligten eine großartige solidarische Möglichkeit der menschlichen Begegnung bieten. Eine lange Fahrt mit Lesungen, Vorträgen und Programmen in allen reservierten Waggons. ZUR TEILNAHME AN DIESEM EREIGNIS WIRD HERZLICH EINGELADEN NIE WAR EIN FRIEDENSZUG WICHTIGER FAHREN SIE MIT Bitte fragen Sie uns nach den Umständen und Bedingungen der Mitreise. Bitte fordern Sie die weiteren Informationen an. Bitte unterzeichnen & begrüßen Sie unsere Absicht auch im Falle Ihrer Nichtteilnahme durch Ihre Unterschrift. Bitte unterstützten Sie in diesem Fall auch das wichtige Vorhaben durch Ihre Spende unter dem Stichwort: Friedenszug" auf das Konto Hans Branscheidt, 3o 24 79 - 6o2 (BLZ 5oo 1oo 6o), Postgiro FFM. Der folgende technische Intruktionsbrief soll Sie vorab über den praktischen Ablauf der Reise informieren. Sie können den Anmeldebogen auch sofort ausfüllen. Mit ganz herzlichem Dank und guten Grüßen Hans Branscheidt FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 VERFOLGUNG VON KURDEN D er große Friedenszug MUSA ANTER" nimmt Gestalt an. Das Angebot der Deutschen Bundesbahn liegt endlich vor. Dieses Schreiben geht an beide: Mitreisende wie Unterstützer und Befürworter. Mit der Bitte um genaue Lektüre. Mit der Bitte um sofortige Rückantwort des ausgefüllten Fragebogens samt verbindlicher Teilnahmebestätigung. Mit der gleichfalls dringenden Bitte um sofortige Überweisung des Fahrgeldes für den Zugtransfer. Und schließlich möchten wir auch Ihre Programmwünsche für die Zugreise wissen & womöglich in Erfahrung bringen, ob sie selber etwas beitragen möchten? DER START Die 1o Waggons des SONDERZUGES starten in Brüssel am 26. August gegen 7.00 Uhr am frühen Morgen. Am Vorabend der Abfahrt wird sich in Brüssel eine große Europäische Friedenskundgebung ereignen, durch die Zug und Reisende mit ihrer Botschaft verabschiedet werden. Die Reisezeit dauert insgesamt etwa 47 Stunden bis zur Ankunft in Istanbul. Wir werden uns bemühen, möglichst Liegewagen zu reservieren, damit die Teilnehmer ausgeruht ankommen. Die Route wird durch Aufenthalte und Kurzveranstaltungen in verschiedenen an der Strecke liegenden Stationen unterbrochen: Köln, Mainz, München, Wien, Sofia. Nach der Abfahrt aus Istanbul wird der Zug an jeder Station auf dem Weg nach Diyarbakir haltmachen. Ankunft am 1. September 1997 zum Großen Friedensfest in Diyarbakir. WAS MAN WISSEN MUSS Wir bitten alle Teilnehmer & Teilnehmerinnen möglichst in Brüssel zuzusteigen: Des gemeinsamen demonstrativen Startes wegen. Der Zugang zum Zug ist aller- dings auch an den oben genannten Stationen der Reiseroute möglich. Die genauen Zeiten des Eintreffens des SONDERZUGES auf den verschiedenen Bahnhöfen werden wir noch mitteilen. Es versteht sich, daß bei diesen Gelegenheiten nur verbindlich angemeldete Teilnehmer einsteigen können, deren Namen auf den Listen unserer Zugbegleiter erfaßt sind und abgehakt werden. Der Zug wird einen Waggon für Medienarbeit mit sich führen, der mit Fax, Telephon und anderen elektronischen Kommunikationsmitteln ausgerüstet ist. Wir werden bemüht sein, in Diyarbakir für die Teilnehmer Unterkünfte in Hotels zu für ein bis zwei Tage zu mieten. Individuelle Wünsche, etwa ein längerer Aufenthalt an Ort und Stelle, müssen aus eigener Kraft realisiert werden. Für die Rückreise nach Europa (Deutschland) empfehlen wir denn doch das Flugzeug. Wir versuchen, eine Chartermöglichkeit von Istanbul zu arrangieren. Wir haben nichts dagegen, wenn Teilnehmergruppen aus bestimmten Ländern oder Regionen die Rückflugcharter selber organisieren. Dies geht mühelos über jedes Reisebüro. Nach unseren eigenen Berechnungen ergeben sich für die Reiseteilnahme Gesamtkosten in Höhe von ca. 15oo.- DM. Dies beinhaltet die Bahnfahrt, die Verpflegung, die Busrückfahrt nach Istanbul, den Rückflug, die zwei Übernachtungen und etwas Taschengeld. Zur Bestätigung Ihrer verbindlichen Anmeldung bitten wir Sie heute um - neben der Ausfüllung des Anmeldebogens - die Überweisung von DM 7oo.- (Bahnfahrtkosten) auf das Konto Postgiro 3o 24 79 - 6 o2 (BLZ 5oo 1oo 6o), von Hans Branscheidt. Nur die rasche Anmeldung und Überweisung sichert Ihnen ihren Platz. Viele Anmeldungen liegen uns erfreulicherweise bereits vor. Die Fahrt soll zu einem solidarisches Erlebnis werden. Wir werden uns Anmeldung zum Friedenszug weitere Informationen im Büro des Flüchtlingsrats aus dem Merkblatt von Hans Branscheidt viel zu sagen haben. Wir haben ein Programm. Wir transportieren eine Botschaft. Es wird auf der Reise also menschlich zugehen und freundlich. Dennoch müssen wir auch deutlich machen, daß die Reise strapaziös werden könnte. Die eigenen physischen Verhältnisse sollten also vorher gründlich bedacht sein. Ein paar Tips am Schluß: Verzichten Sie auf ein Zuviel an Kleidung. Leichtes Gepäck. Sicher ist ein Pullover für den Abend gut. Eine leichte Decke. Die nötigen Hygieneartikel. Medikamente. Toilettenpapier in Reserve. Feuchtigkeitstücher. Filme, Foto, Schreibmaterial vergißt wahrscheinlich niemand. Die Papiere (Pässe) müssen unbedingt in Ordnung sein. Ablaufdatum beachten! Noch nie war ein Friedenszug wichtiger. Unterstützen Sie uns. Fahren Sie mit! Der Europäische Friedenszug fährt von Brüssel nach Diyarbakir. Der Frieden wird siegen. Join the winning side, join the Peace Train" Mit ganz herzlichen Grüßen Hans Branscheidt DER HINWEIS AN MITREISENDE & BESONDERS AN NICHTMITREISENDE: In gewissem Umfang können Sie Faltblätter & Plakate kostenlos zum Verbreiten bei uns bestellen. Es gibt T-Shirts und Mützen und Sticker mit dem Logo des Friedenszuges. Die sollen verkauft werden. Sie können auch mithelfen, Interviews und Medientermine für uns zu vermitteln: auch über die regionalen Programme und die lokale Presse. Wir gehen ein erhebliches finanzielles Risiko. Ein fördernde Überweisung wäre nicht schlecht. 31 VERFOLGUNG VON KURDEN Bundesverfassungsgericht: Keine Fluchtalternative Kurdischer Jugendlicher hatte Erfolg - 2 BvR 1024/95 - Wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung dokumentieren wir die Entscheidung des BVG vom 21. Mai 1997 im vollen Wortlaut: ... zwei Hilfsbeweisanträge, um zu belegen, daß Jugendliche, die ohne Verwandte in Großstädten der Westtürkei leben, unter menschenunwürdigen Bedingungen auf der Straße dahinvegetieren müßten. IM NAMEN DES VOLKES In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des türkischen Staatsangehörigen A... Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Ursula Hein und Kollege, Mörkenstraße 61, Hamburg hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Sommer, Jentsch, Hassemer gemäß §93c in Verbindung mit §93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBI I s. 1473) am 24. März 1997 einstimmig beschlossen: Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 14. März 1995 - 11 VG A 5190/93 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 16a Absatz 1des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. 32 Gründe : A. Die Verfassungsbeschwerde betrifft aus Art. 16a Abs. 1 GG folgende verfassungsrechtliche Anforderungen an die zur Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet führende Feststellung einer inländischen Fluchtalternative. I. 1. a) Der Beschwerdeführer, ein inzwischen 16jähriger Kurde aus dem von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und der PKK betroffenen Osten der Türkei, reiste im Alter von elf Jahren in das Bundesgebiet ein und stellte im März 1993 einen Asylantrag. Zur Begründung gab er an, er habe in seinem Heimatdorf Angriffe und Razzien des türkischen Militärs miterlebt, bei denen Einwohner mißhandelt und als PKK-Mitglieder verdächtigte Bauern getötet worden seien. Er sei von seinem Vater ins Ausland geschickt worden, als das Militär angekündigt habe, daß es die Jugendlichen aus dem Dorf entfernen wolle. b) mit Bescheid vom 29. Juli 1993 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländische Flüchtlinge den Asylantrag ab, stellte fest, daß keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, und drohte dem Beschwerdeführer die Abschiebung an. Zur Begründung führte es aus, der Beschwerdeführer habe keine individuelle staatliche Verfolgung vorgetragen und allein wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit keine kollektive Verfolgung zu befürchten. c) Mit der daraufhin beim Verwaltungsgericht Hamburg erhobenen Klage berief sich der Beschwerdeführer auf eine Gruppenverfolgung als kurdischer Jugendlicher. In seinem Heimatdorf gebe es inzwischen keine männlichen Jugendlichen mehr. Sie seien alle als Unterstützer der PKK angesehen und diesem Grunde systematisch verfolgt und mißhandelt worden. Als 13jähriger habe er keine Möglichkeit, an einem anderen Ort in der Türkei menschenwürdig zu leben. Er habe keine Verwandten in der Westtürkei, die ihn aufnehmen könnten. In Istanbul lebten bereits jetzt 15.000 Kinder und Jugendliche unter menschenunwürdigen Umständen auf der Straße. In der mündlichen Verhandlung berichtete der Beschwerdeführer, sein Heimatdorf sei zwischenzeitlich zum größten Teil zerstört worden. Von Verwandten habe er gehört, daß seine Familie das Dorf verlassen habe. Sie wüßten jedoch nicht genau, wo sich seine Angehörigen jetzt aufhielten. Er habe außer ihnen nur Verwandte in der Provinzhauptstadt, wo die Situation nicht viel besser sei als in seinem Dorf. Der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers stellte zwei Hilfsbeweisanträge, um zu belegen, daß Jugendliche, die ohne Verwandte in Großstädten der Westtürkei leben, unter menschenunwürdigen Bedingungen auf der Straße dahinvegetieren müßten und daß Jugendliche aus dem kurdischen Teil der Türkei, die von Sicherheitskräften allein in der Westtürkei aufgegriffen würden, zwangsweise zu ihren Eltern zurückgebracht würden. 2. Mit dem angegriffenen Urteil vom 14. März 1995 wies das Verwaltungsgericht Hamburg die Klage als offensichtlich unbegründet ab: Der Beschwerdeführer sei als Kind vor seiner Ausreise weder individuell politisch verfolgt worden, noch könne er sich darauf berufen, als Kurde einer landesweiten Gruppenverfolgung ausgesetzt zu sein. Denn ihm stehe trotz seines jugendlichen Alters eine inländische Fluchtalternative offen. Den dazu gestellten Hilfsbeweisanträgen sei das Gericht nicht nachgegangen, weil das insoweit in der Dokumentation des Verwaltungsgerichts vorliegende Material ausreichend erscheine. Die Behauptung, Jugendliche, die ohne Verwandte in Großstädten der Westtürkei leben, müßten unter menschenunwürdigen Bedingungen auf der Straße leben, werde zwar von Sachverständigen in dieser allgemeinen Form bestätigt. Dies besage jedoch nichts für die Frage, ob für den Beschwerdeführer in der gesamten Türkei keine inländische FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 VERFOLGUNG VON KURDEN Fluchtalternative bestehe. Zum einen seien die Fluchtalternativen nicht auf die wenigen Großstädte in der Westtürkei begrenzt, über welche entsprechende Sachverständigengutachten erstattet worden seien. Zum anderen müßte ausgeschlossen werden, daß die Familie des Beschwerdeführers selbst, Verwandte, Bekannte, Dorfangehörige oder politische Freunde sich des Jugendlichen in der Westtürkei an irgendeinem Ort annehmen könnten. Im übrigen sei es unschlüssig, vom Fehlen einer inländischen Fluchtalternative zu sprechen, weil der Rest seiner großen Familie, darunter seine Geschwister, nach wie vor in der Türkei lebten. In der mündlichen Verhandlung habe der Beschwerdeführer angegeben, er habe gehört, daß seine Familie inzwischen das Dorf verlassen habe. Darüber, wo die Familie jetzt lebe, sei nichts vorgetragen worden, auch nicht darüber, aus welchen Gründe der Beschwerdeführer dort nicht leben könne. 1. Mit seiner rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, das Urteil verletze ihn in seinen Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1, Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die angegriffene Entscheidung werde insbesondere den verfassungsgerichtlichen Anforderungen an die Abweisung eines Asylbegehrens als offensichtlich unbegründet nicht gerecht: Wenn das Verwaltungsgericht davon ausgehe, daß alleinlebende kurdische Jugendliche in den Großstädten der Westtürkei unter menschenunwürdigen Bedingungen dahinvegetierten, müsse auch davon ausgegangen werden, daß dem Beschwerdeführer ein solches Schicksal drohe, solange es keine konkreten Anhaltspunkte dafür gebe, daß in seinem Falle diese Regelvermutung nicht gelte. Es sei unerfindlich, wie das Gericht zu der Annahme komme, es gebe außerhalb der Großstädte Fluchtalternativen für den jugendlichen Beschwerdeführer. Willkürlich sei es, die unter Beweis gestellten Lebensbedingungen für Jugendliche in den Großstadtslums für unerheblich zu halten, weil der Beschwerdeführer nicht ausgeschlossen habe, daß sich seine Familie, Verwandte, Bekannte, Dorfangehörige oder politische Freunde seiner in der Westtürkei annehmen könnten. Es sei ihm schlechterdings nicht möglich, das Nichtbestehen einer Tatsache unter Beweis zu stellen. Allein der Umstand, daß seine Familie noch in der Türkei lebt, bedeute nicht, daß er dort Schutz vor einem menschenunwürdigen Leben auf der Straße finden könnte. Es sei ihm weder zuzumuten, in seine Heimatregion zurückzukehren, noch wisse er, wo sich seine Familie derzeit aufhalte. Dies habe das Verwaltungsgericht offenbar nicht zur Kenntnis genommen, weil es ausführe, daß weder der Aufenthaltsort der Familie vorgetragen worden sei, noch weshalb der Beschwerdeführer dort nicht leben könne. Kein Gehör gefunden habe er auch mit seinem unter Beweis gestellten Vortrag, daß in der Westtürkei alleinlebende kurdische Jugendliche damit rechnen müßten, zwangsweise zu ihrer Familie in den kurdischen Teil der Türkei zurückgebracht zu werden. 2. Das Bundesverfassungsgericht hat der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg sowie den Beteiligten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Justizbehörde hat sich zu der Verfassungsbeschwerde unter anderem wie folgt geäußert: Das Verwaltungsgericht habe sich mit der Frage, ob dem Beschwerdeführer als Kurden eine inländische Fluchtalternative offenstehe, auseinandergesetzt. Im Hinblick auf die obergerichtliche Rechtsprechung, die für Kurden den vom Bestehen einer inländischen Fluchtalternative in westlichen Landesteilen der Türkei ausgehe, dürfte die Abweisung der Klage hinreichend begründet sein. Auch die Frage, ob dem Beschwerdeführer wegen seines jugendlichen Alters etwa eine inländische Fluchtalternative nicht offenstehen könnte, sei in der angegriffenen Entscheidung gewürdigt worden. B. I. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, da dies zur Durchsetzung der in §90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§93a Abs. 2 Buchstabe b, §93b Satz 1 BVerfGG). Dem Beschwerdeführer würde durch die Versagung einer Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entstehen. Das hier zuständige Hamburgische Oberverwaltungsgericht vertritt zwar im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Obergerichte grundsätzlich die Auffassung, daß es Kurden aus den traditionellen Siedlungsgebieten im Osten der Türkei generell zumutbar sei, in der Westtürkei Zuflucht vor Verfolgung zu suchen. Jedoch sei eine Berücksichtigung individueller Umstände unter anderen hinsichtlich der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Annahme einer inländische Fluchtalternative (Gewährleistung des Existenzminimums) nicht ausgeschlossen. So sei bei sehr jungen Asylbewerbern im Einzelfall zu prüfen, ob sie in der Lage sind, am Ort der inländischen Fluchtalternative ihren Unterhalt zu sichern; dies könne insbesondere dann zweifelhaft sein, wenn sie dort keine Unterstützung von Verwandten oder anderen Personen zu erwarten haben (vgl. Hamburgisches OVG, Beschluß vom 1. November 1995 - OVG Bs V 150/95). Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer nach Aufhebung des angegriffenen Urteils und Zurückverweisung der Sache bei einer erneuten, verfassungskonformen Entscheidung mit seiner Klage zumindest in der Berufungsinstanz Erfolg haben könnte (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Es sei unerfindlich, wie das Gericht zu der Annahme komme, es gebe außerhalb der Großstädte Fluchtalternativen für den jugendlichen Beschwerdeführer. Willkürlich sei es... II. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG auch offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind vom Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Danach ist es mit Art. 19 Abs. 4 in Ver33 VERFOLGUNG VON KURDEN bindung mit Art. 16a Abs. 1 GG unvereinbar, daß das Verwaltungsgericht mit letztlich spekulativen Erwägungen dem Beschwerdeführer den vollen Nachweis für das Nichtbestehen einer inländischen Fluchtalternative aufgebürdet und zugleich den weiteren Rechtsweg abgeschnitten hat. Vielmehr mußte sich das Gericht in Wahrnehmung seiner Aufklärungspflicht durch geeignete Fragen und Nachforschungen selbst davon überzeugen, daß eine inländische Fluchtalternative außerhalb vernünftiger Zweifel gegeben ist. 1. a) Das Bundesverfassungsgericht hat in Bezug auf die einen Asylsuchenden in seinem Heimatland erwartende (Verfolgungs-) Situation sowohl hinsichtlich der Ermittlung des Sachverhalts selbst als auch seiner rechtlichen Bewertung zu prüfen, ob die tatsächliche und rechtliche Wertung der Gerichte sowie Art und Umfang ihrer Ermittlungen der Asylgewährleistung gerecht werden (vgl. BVerfGE 76, 143 <162>). Den Fachgerichten ist dabei ein gewisser Wertungsrahmen zu belassen. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist eine fachgerichtliche Bewertung aber dann, wenn sie anhand der gegebenen Begründung nicht mehr nachvollziehbar ist oder nicht auf einer verläßlichen Grundlage beruht (vgl. 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschlüsse vom 20. Juni 1990 - 2 BvR 1727/89 -, InfAuslR 1991, s. 85 <88> und vom 12. März 1992 - 2 BvR 721/91 -, InfAuslR 1992, s. 231 <233>. b) Besondere Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung sind bei der Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet zu stellen, welche die Unanfechtbarkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zur Folge hat. Denn die Asylgewährleistung des Grundgesetzes fordert geeignete verfahrensrechtliche Vorkehrungen, die der Gefahr unanfechtbarer Fehlurteile entgegenwirken. Es muß sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage zumindest eindeutig aus der Entscheidung selbst ergeben. Das Bundesverfassungsgericht hat den unbestimmten Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin ausgelegt, daß im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststel- 34 lungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (vgl. BVerfGE 65, 76 <95 f.>; 71 276 <293>; BVerwG, DÖV 1979, s. 902 f.). Den sich aus Art. 16a Abs. 1und 19 Abs. 4 GG ergebenden Mindestanforderungen an die Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet ist durch die Neuregelung des Asylgrundrechts sowie des Asylverfahrensrechts nicht die Grundlage entzogen worden (vgl. Kammerbeschluß vom 3. September 1996 - 2 BvR 2353/95 -, NVwZ Beilage 2/1997, S. 9 m.w.N.). c) Soll der Asylsuchende bei angenommener regionaler Gruppenverfolgung auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden, so setzt dies verläßliche Feststellungen darüber voraus, daß der Betroffene dort nicht in eine ausweglose Lage gerät. Er muß danach in dem in Betracht kommenden Gebiet nicht nur vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sein; es dürfen ihm dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (vgl. BVerfGe 80, 315 <343 f.>; 81, 58 <65 f.>). Eine existentielle Gefährdung kann sich auch daraus ergeben, daß der Asylbewerber am Ort der Fluchtalternative für sich das wirtschaftliche Existenzminimum weder aus eigener Kraft noch mit Hilfe Dritter gewährleisten kann. 2. Die maßgeblichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum offensichtlichen Bestehen einer inländischen Fluchtalternative halten einer Überprüfung anhand der dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht stand. Die Annahme, daß der Beschwerdeführer in der Westtürkei eine zumutbare Zuflucht vor der vom Verwaltungsgericht unterstellten Gruppenverfolgung in seiner Heimatregion finden könnte, beruht nicht auf einer verläßlichen Grundlage. Um eine inländische Fluchtalternative als offensichtlich gegeben ansehen zu können, durfte sich das Verwaltungsgericht nicht mit der Feststellung begnügen, es sei nach den Angaben des Beschwerdeführers und den vorhandenen Erkenntnissen nicht ersichtlich, warum er nicht an irgendeinem Ort in der Westtürkei - gegebenenfalls mit Hilfe Dritter - sollte leben können. Vielmehr mußte sich das Gericht in Wahrnehmung seiner Aufklärungspflicht durch geeignete Fragen und Nachforschungen selbst davon überzeugen, daß eine inländische Fluchtalternative außerhalb vernünftiger Zweifel gegeben ist. Das ist nicht geschehen. A) Der Beschwerdeführer hatte angegeben, daß seine Familie aus dem Heimatdorf vertrieben worden sei und er bisher nicht habe in Erfahrung bringen können, wo sie sich gegenwärtig aufhalte. Die Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens ist vom Verwaltungsgericht nicht nachvollziehbar in Zweifel gezogen worden. Das Verwaltungsgericht hätte deshalb davon ausgehen müssen, daß eine Rückkehr des Beschwerdeführers zu seine Familie im Zeitpunkt seiner Entscheidung ausschied, weil weder ihr Aufenthaltsort bekannt war noch feststand, ob dieser Ort eine hinreichend sichere, nicht mit existentieller Not erkaufte Zuflucht vor Verfolgung bot. Den Beschwerdeführer traf zwar die Pflicht, nach bestem Wissen Auskunft über den Verleib seiner Familie zu geben, nicht aber die volle Darlegungs- und Beweislast für ihren Aufenthaltsort, den er unwidersprochen - selbst nicht kannte. Eine Beweislastentscheidung vermochte daher die für die Annahme einer inländischen Fluchtalternative erforderlichen Feststellungen des Gerichts zum Aufenthaltsort der Familie nicht zu ersetzen. b) Die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, wenn schon die Familie oder Verwandte nicht in Betracht kommen sollten, so könnten sich doch Bekannte, Dorfangehörige oder politische Freunde des Beschwerdeführers FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 VERFOLGUNG VON KURDEN in der Westtürkei annehmen, ist ebenfalls nicht tragfähig. Das Verwaltungsgericht hat den Beschwerdeführer nicht danach gefragt, ob er möglicherweise andere Bezugspersonen in der Westtürkei habe, die ihm die notwendige Unterstützung leisten könnten. Es hat ihn lediglich zum Aufenthaltsort seiner Familie und dazu angehört, ob er keine Verwandten an anderen Orten habe, wo er hingehen könne. Mit keinem Wort hat das Gericht darauf hingewiesen, daß es auch Personen außerhalb des Verwandtenkreises als Garanten einer inländischen Fluchtalternative in Betracht ziehe. Der Beschwerdeführer hatte deshalb keine Veranlassung, bereits in der mündlichen Verhandlung - wie später in der Verfassungsbeschwerde - darzulegen, daß er in der Westtürkei auch außerhalb des Familienund Verwandtenkreises niemanden kenne, der bereit wäre, ihn aufzunehmen. c) Das Offensichtlichkeitsurteil läßt sich auch nicht mit der Erwägung begründen, daß möglicherweise alleinstehende Jugendliche in der Westtürkei außerhalb der Großstädte nicht unter menschenwürdigen Bedingungen auf der Straße leben müßten, weil dies so bisher lediglich in Gutachten über die Situation in den Großstädten bestätigt worden sei. Es wäre Sache des Gerichts gewesen, sich erst durch die Einholung entsprechender Auskünfte sachverständiger Stellen zu vergewissern, ob der von ihm angenommene Ausweg für Jugendliche zumutbar ist, ehe es das Asylbegehren des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet beurteilen durfte. d) Auch der - von ihm auf der Grundlage nicht tragfähiger Erwägungen offenbar für nicht entscheidungserheblich erachteten - Frage, ob Jugendliche wie der Beschwerdeführer zwangs- weise zu ihren Eltern in das Krisengebiet zurückgebracht werden, wenn sie von der Polizei allein in der Westtürkei angetroffen werden, hat sich das Verwaltungsgericht nicht gestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist aufzuheben. III. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist aufzuheben; die Sache ist an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen, damit über den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Asylantrag neu entschieden werden kann (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG): Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Sommer Jentsch Hassemer Kirchenasyl geräumt Polizeiliche Räumung des Kirchenasyls im saarländischen Heusweiler und Abschiebung* D ie Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche protestiert gegen die polizeiliche Räumung des Kirchenasyls in Heusweiler bei Saarbrücken und die Abschiebung der kurdischen Familie Sahindal in die Türkei. Die Räumung des Kirchenasyls ist eine Mißachtung des gewaltfreien Schutzraums im Gemeindezentrum der alt-katholischen Gemeinde Saarbrücken. Während Vater und Tochter festgenommen wurden, gelang der Mutter und dem Sohn die Flucht. Die kurdische Familie, die seit fünf Jahren in der Bundesrepublik lebte, hatte in der Friedenskirche Zuflucht gefunden, weil sie bei einer Abschiebung in die Türkei um ihre Sicherheit fürchtete. Die gewaltsame Beendigung des Kirchenasyls und die Abschiebung sind eine Verhöhnung des christlich humanitären Engagements der alt-katholischen Gemeinde. Sie beherbergte die Familie, weil die erlittene Folter Zweifel an der Rechtmäßigkeit ei- ner Abschiebung begründete. Außerdem besteht für abgeschobene kurdische Flüchtlinge in der Türkei generell, darauf wies auch der ehemalige Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Schnoor, kürzlich hin, ein hohes und unmittelbares Rückkehrrisiko. Berichte von Menschenrechtsorganisationen belegen, daß Abgeschobene in türkischen Gefängnissen und Polizeistationen festgehalten, mißhandelt und gefoltert oder zum Verschwinden gebracht werden. Die Abschiebung der Familie Sahindal macht sichtbar, daß auch die politisch Verantwortlichen in Saarbrücken der Senkung von Flüchtlingszahlen Priorität gegenüber dem Schutz von Flüchtlingen einräumen. Die polizeiliche Räumung dieses Kirchenasyls zeigt aber auch in erschreckender Weise, daß Politiker mehr und mehr zu gewaltsamen Mitteln greifen, um dem zivilgesellschaftlichen Engagement christlicher Gemeinden ein Ende zu setzen. Seit der neuen Welle ausländerfeindlicher Progrome in Deutsch- land und der Beschneidung des Asylrechts 1993 wurde heute zum dritten Mal die christliche Beistandspflicht einer zufluchtgewährenden Gemeinde verletzt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche bittet die altkatholische Gemeinde Saarbrücken, in ihrem Engagement für bedrohte Flüchtlinge nicht nachzulassen und fordert alle Kirchengemeinden und alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes auf, zufluchtsuchenden Flüchtlingen Schutz zu bieten. Sie bekräftigt ihre Forderung nach einem generellen Abschiebestopp für kurdische Flüchtlinge aus der Türkei. Kontakt: Alt.- Kath. Pfarramt Saarbrücken, Pfr. Schmitt-Auer Tel: 0681-9850909 Fax: 0681-985090910 *Presseerklärung der BAG Asyl in der Kirche vom 27.6.97 35 DEPORTATION Amt habe festgeAbschiebungs- Auswärtige stellt, daß diese Person wohlbehalten in Algerien lebe. konferenz (s. auch die folgenden Beiträge) der Innenminister Bosnien: pflaumenweiche Beschluß am 6. Juni 1997 Der der IMK zur nachrangigen Ab- Kurzbericht Algerien: Die algerische Regierung will nachverhandeln. Mit einem Inkrafttreten des Rückübernahmeabkommens ist nach Aussage des MI in nächster Zeit noch nicht zu rechnen. Der in Zeitungen transportierte Bericht über einen algerischen Flüchtling, der nach seiner Abschiebung aus England ermordet worden sein sollte, entspreche nicht den Tatsachen: Das schiebung von Flüchtlingen bosnischer und kroatischer Volkszugehörigkeit aus der Republik Srpska wird in Niedersachsen (ähnlich wie in Hessen) durch Ergänzungserlaß konkretisiert:* (Nicht nur Familien, sondern auch Einzelpersonen bosnischer und kroatischer Volkszugehörigkeit aus der Republik Srpska werden bis zum nächsten Jahr geduldet. Hessen duldet diesen Personenkreis bis Ende März, Niedersachsen nur bis Ende Februar (Dann ist der Winter zu Ende"). * Der Erlaß vom 12.6., verteilt am 24.6. liegt inzwischen beim Flüchtlingsrat vor AhmdiyyaFlüchtlinge: Der rheinland-pfälzische Innenminister ist mit seinem Antrag ge- Abschiebung nach Algerien: PRO ASYL: Vorgehen der Behörden fahrlässig und inhuman Erneute Forderung eines Abschiebestopps Presseerklärung vom 19. Mai 1997 weder seine hochschwangere deutsche Verlobte, noch sein Anwalt erhielten auf Nachfrage Auskunft über den Verbleib von Ismail Grip Der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL, Heiko Kauffmann, hat scharf gegen die Abschiebung des algerischen Flüchtlings Ismail Grip protestiert, der am Freitag vor Pfingsten - einen Tag nach dem vorläufigen Inkrafttreten des Rückführungsabkommens - von den deutschen Behörden nach Algerien abgeschoben worden ist. Der gerade begonnene Wahlkampf hat in Algerien zu einer neuen Welle des Terrors geführt. Die täglichen Berichte über Massaker, Folter, Morde und Anschläge zeugen von der fortgesetzten Verschlechterung der Menschen- 36 rechtssituation. Unmittelbar nachdem die neue britische Regierung infolge der Ermordung eines abgeschobenen Flüchtlings in algerischem Polizeigewahrsam einen Abschiebestopp erlassen hat, muß das Vorgehen der deutschen Behörden als fahrlässig und inhuman bezeichnet werden", erklärte Kauffmann. Ismail Grip sei als ehemaliger Polizist und Deserteur sowohl von seiten der islamistischen bewaffneten Terrorgruppen als auch der algerischen Behörden und Sicherheitskräfte bedroht. Angesichts der Situation in Algerien ist die Ignorierung des staatlichen Terrors, der staatlichen Verfolgung und der Rück- scheitert, aufgrund neuer Hinweise zur Bedrohung und Bespitzelung von Ahmadiyya-Flüchtlingen einen bundesweiten Abschiebungsstopp zu verhängen. Sollten die Berichte über islamistische Gruppen zutreffen, die Ahmadis in Deutschland bis in die Anhörungen beim Bundesamt hinein bespitzeln, so sei dies im Rahmen von Asyl(folge)anträgen zu klären, erklärten die Minister. (Dies betrifft besonders das aktuelle Kirchenasyl in Braunschweig; hier hatte man sich im Innenministerium über den Abschiebestopp-Antrag aus Rheinland-Pfalz schon vor der IMK mokiert.) Kongo/Zaire: Bis auf Weiteres bleiben Abschiebungen nach Kinshasa nach § 54 AuslG ausgesetzt. Der Abschiebungsstopp soll in Abstimmung mit dem BMI zu jedem 15. des Monats um jeweils vier Wochen verlängert werden. Ein neuer Lagebericht des Auswärtigen Amts liegt offenbar noch nicht vor. (s. hierzu die Stellungnahmen in diesem Heft) kehrgefährdung von Flüchtlingen geradezu grotesk, wirklichkeitsfremd und problemblind", sagte Kauffmann. Die Begleitumstände der Abschiebung nannte Kauffmann empörend: weder seine hochschwangere deutsche Verlobte, noch sein Anwalt erhielten auf Nachfrage Auskunft über den Verbleib von Ismail Grip. Daß seine Papiere von den deutschen Behörden nicht für die angestrebte, vom Paar seit langem geplante Eheschließung anerkannt wurden, aber offensichtlich ausreichten, um Ismail Grip in die Hände seiner potentiellen Verfolger auszuliefern, nannte Kauffmann ein beschämendes Zeugnis der Hartherzigkeit deutscher Abschiebementalität." Erneut fordert PRO ASYL einen Abschiebestopp nach Algerien und die Aussetzung des Rückführungsabkommens. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 DEPORTATION S eit dem Inkrafttreten des Rückübernahmeabkommens zwischen der Bundesregierung und Vietnam bis zum 7.5.97 wurden 2.365 Flüchtlinge aus Deutschland in die Volksrepublik abgeschoben. Dennoch ist die Bundesregierung unzufrieden - schließlich sollten bis zu 40.000 Flüchtlinge die Bundesrepublik bis zum Jahr 2000 verlassen. Im Rahmen einer weiteren Vereinbarung mit der vietnamesischen Seite soll nun das procedere geändert werden, um noch mehr Flüchtlinge loswerden zu können. Dies geht aus einem Bericht der Bundesregierung an den Innenausschuß des Deutschen Bundestages zur Umsetzung des deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommens vom 21.Juli 1995" hervor, den die Bundesregierung kürzlich auf Bitten der SPD-Fraktion vorlegte. Die Kernpunkte der Vereinbarung, die der Bonner Staatssekretär Prof. Dr. Schelter am 20. März 1997 dem vietnamesischen Botschafter übersandte, sehen vor: · Freiwillige Rückkehrer sollen unmittelbar von der vietnamesischen Botschaft die Heimreisepapiere erhalten, ohne daß die besonderen Verfahrensbestimmungen des Rückübernahmeabkommens eingehalten werden müssen." · Um sicherzustellen, daß abzuschiebende Vietnamesen ein von der Grenzschutzdirektion bereits eingeleitetes Rückübernahmeverfahren nicht durch einen Antrag auf freiwillige Rückkehr unterbrechen und dadurch die von den deutschen Behörden angestrebte Abschiebung verhindern können, soll ein bereits eingeleitetes Verfahren nach dem Abkommen grundsätzlich Vorrang haben vor der Antragstellung des Ausländers bei der Botschaft." · Ferner soll die vietnamesische Botschaft die Personalien der dort um Rückkehr nachsuchenden Vietnamesen dem Bundesministerium des Innern zur Verfügung stellen, damit von der Grenzschutzdirektion ein Abgleich mit den dort vorhandenen Daten durchgeführt werden kann." Bei 19.001 bis zum 7. Mai 1997 bei der Grenzschutzdirektion Koblenz eingegangenen Anträgen auf Rückübernahme seien rund 5.000 Antragsteller bereit, freiwillig nach Vietnam zurückzugehen. Die Abschiebung ohne Rücksicht auf das Bemühen der Betroffenen um freiwillige Rückkehr würde daher eine wesentliche Verfahrenserleichterung" bedeuten. Allerdings habe die vietnamesische Seite ihr Einvernehmen noch nicht erteilt. Zu Klagen der vietnamesischen Behörden über die menschenrechtswidrige Behandlung, Fesselung und Beraubung abgeschobener Flüchtlinge, denen mitgeführtes Bargeld weggenommen worden sei, stellt die Bundesregierung fest, daß sich die Behörden in all diesen Fällen rechtmäßig verhalten haben", was sich bekanntlich nicht widersprechen muß. Wichtiger als die Klagen der Vietnamesen über Menschenrechtsverletzungen erscheinen der Bundesregierung angebliche Versäumnisse der vietnamesischen Behörden: - Nichteinhaltung der vereinbarten Prüfungsfrist (6 bzw. 12 Wochen), - Ablehnung von Abschiebungsersuchen wegen ungenauer" Angaben, - unterschiedliche Behandlung von Familienangehörigen Auch auf Seiten der Bundesländer werden Umsetzungsschwierigkeiten" beklagt. 40 bis 50 Prozent der für einen Flugtermin gemeldeten Personen entziehe sich der Abschiebung durch Untertauchen. Ein möglicher Grund hierfür kann darin liegen, daß einzelne Ausländerbehörden die interne Vorschrift einhalten müssen, den konkreten Abschiebungstermin dem jeweiligen vietnamesischen Staatsangehörigen im Vorfeld mitzuteilen", lautet die unverhohlene Kritik des BMI. BMI: Vietnamesische Flüchtlinge raus! Bis zum 7. Mai wurden 2.365 Flüchtlinge gem. Abkommen nach Vietnam abgeschoben Kai Weber Derzeitiger Stand der Umsetzung des Rückübernahmeabkommens (Stichtag 7.5.97) 1. Bei der Grenzschutzdirektion Koblenz eingegangenen Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . .19.001 2. Davon an die deutsche Botschaft in Hanoi weitergeleitet . . . . . . . . . . . . . . . . . .16.889 3. Durch dt. Botschaft an das vietnam. Innenministerium übergeben . . . . . . . . . . . . . . . . . .16.357 4. Von Vietnam anerkannt (Liste B) . . . . . . . . . . . . . . . . . .6.803 5. Vom vietnam. Innenministerium zurückgegebene Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . .3.514 6. Fristüberschreitung (6 Wochen bzw. 3 Monate) .3.539 Personen 7. Vollzogene Abschiebungen . . . . . . . . . . . .2.365 Personen Vietnam Veranstaltung am 23. Juli in Hannover Am 23.7.97 treffen sich bundesweit VertreterInnen von exil-vietnamesischen Organisationen und Zeitungsredaktionen und in Hannover. Anlaß der Konferenz ist der erste öffentliche Auftritt von vietnamesischen Dissidenten, die sich z.T. seit 1967 in Haft bzw. in Hausarrest befanden. (Nähere Infos im Büro.) 37 DEPORTATION Abschiebungsschutz für Deserteure der ehemaligen Westgruppe der früheren sowjetischen Streitkräfte Erlaß des Nds. Innenministeriums vom 29.4.97 Bezug: 1. Mein Erlaß vom 11. 04.1997 -Az.:45.03 -12230/1-1 (§ 54) 1-14 2. Mein Erlaß vom 07. 07.1995 Az.:45.25 - 12230/1-1 (§30) VORIS 26200 000 000 038 D ie Innenminister und -senatoren der Länder haben mit ihrem Beschluß vom 17.04.1997 die Entscheidung des Bundesministers des Innern, das Bundes- amt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge anzuweisen, auf Antrag bei Deserteuren der ehemaligen Westgruppe der früheren Sowjetarmee Abschiebungshindernisse gem. §53 des Ausländergesetzes (AuslG) zu prüfen, zustimmend zur Kenntnis genommen. Gleichzeitig haben die Innenminister und -senatoren der Länder beschlossen, die Abschiebung des betroffenen Personenkreises bis zur Entscheidung des Bundesamtes auszusetzen. Hiermit ordne ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern gem. § 54, Satz 2 AuslG an, die Abschiebung von Deserteuren der ehemaligen Westgruppe der früheren Sowjetarmee so lange auszusetzen, bis das Bundesamt über den Antrag der Betroffenen zum vorliegen von Abschiebungshindernissen gem. § 53 AuslG entschieden hat. Bevor aufenthaltsbeendende Maßnahmen für vollziehbar aus- reisepflichtige Deserteure und Zivilbeschäftigte und deren Angehörige der ehemaligen Westgruppe der früheren Sowjetarmee, deren Asylverfahren bereits bestand - oder rechtskräftig abgeschlossen ist -, eingeleitet werden, bitte ich, die Betroffenen auf die jetzt vom BMI eröffnete Möglichkeit, auf Antrag Abschiebungshindernisse gem. § 53 AuslG vom Bundesamt prüfen und feststellen zu lassen, hinzuweisen. Soweit bereits Bescheide vorliegen, werden die Verfahren wieder aufgegriffen. In den Fällen, in denen das Bundesamt das Vorliegen von Abschiebungshindernisse gem. § 53 AuslG feststellt, sind den Betroffenen unter Beachtung meines Bezugserlasses zu 2. Aufenthaltsbefugnisse gem. § 30 AuslG zu erteilen. Meinen Bezugerlaß zu 1. hebe ich auf. Im Auftrag... Einbürgerung ist teuer: Sind 17.000 US-Dollar für den Freikauf vom Wehrdienst zumutbar? Grüne stellen Anfrage zur behördlichen Aufforderung zum Rechtsbruch Bündnis 90/Die Grünen im Landtag* I n einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung schildert die migrationspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Heidi Lippmann-Kasten, zwei Beispiele, in denen einmal die Bezirksregierung Braunschweig und das Bundesamt zur Anerkennung von Flüchtlingen Antragstellern die Möglichkeit zum Rechtsbruch aufzeigen. * Pressemitteilung vom 15.05.97 38 Lippmann-Kasten fragt die Landesregierung, ob sie, wie die Bezirksregierung Braunschweig einem einbürgerungswilligen Iraner schreibt, die Zahlung von 17.000 US-Dollar für den Freikauf vom Wehrdienst" im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens für zumutbar hält. In einem weiteren Beispiel zitiert sie aus dem Ablehnungsbescheid eines irakischen Asylbewerbers, dem vom Bundesamt gesagt wird, er könne von der Türkei aus in den Irak einreisen, mit ge- oder verfälschtem Paß, ggf. mit Hilfe eines Schleusers, legal bzw. illegal". Lippmann-Kasten bezeichnet diese Aufforderungen zum Rechtsbruch durch deutsche Bundesbzw. eine nds. Bezirksregierung als skandalös. Während Behördenvertreter deutsche Gesetze bis zum i-Tüpfelchen korrekt auslegen bzw. umsetzen und jeder Verstoß massiv geahndet wird, wird Antragstellern anderen Staaten gegenüber die Möglichkeit zum illegalen Verhalten empfohlen. Mit Spannung erwartet sie die Antwort durch den Innenminister, der gerade in flüchtlingsund ausländerpolitischen Fragen immer wieder auf die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland verweist. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 DEPORTATION underte von tamilischen Flüchtlingen aus Sri Lanka müssen demnächst mit ihrer Abschiebung aus Niedersachsen rechnen. Nach einer Wende in der obergerichtlichen Rechtsprechung werden tamilische Flüchtlinge in der überwiegenden Mehrzahl nicht mehr als politisch Verfolgte anerkannt. Seit Beendigung des vorübergehenden Waffenstillstands im Jahr 1995 wütet der Bürgerkrieg auf der Insel jedoch schlimmer als je zuvor. Tamilische Flüchtlinge, die gewaltsam nach Sri Lanka abgeschoben werden, sind an Leib und Leben gefährdet. Aus diesem Grund demonstrierten am 5. Mai 1997 einige Hundert von der Abschiebung bedrohte tamilische Flüchtlinge in der Hannoverschen Innenstadt. Die Demonstrationsroute führte vom Kröpke zum niedersächsischen Innenministerium (Referat Ausländer- und Flüchtlingsangelegenheiten), wo die Abschlußkundgebung stattfinden wird. Tamilen in Niedersachsen: Zu der im Anschluß stattfindenden Pressekonferenz luden über den Flüchtlingsrat ein: Hulle Hartwig, SPD MdL, Vorsitzende der Ausländerkommission Heidi Lippmann-Kasten, Bündnis 90 / DIE GRÜNEN MdL Vertreter/in des Niedersächsischen Flüchtlingsrat Vertreter/in der World Tamil Movement Vertreter/in der von Abschiebung betroffenen Flüchtlinge Offener Brief an den Nds. Innenminister H Außer bei einem Lokalredakteur der NP und einer freien Mitarbeiterin der JW fand dies Thema kein Medien-Interesse. Wir dokumentieren im folgenden einige Unterlagen; Kontaktadressen sind über das Büro erhältlich. W ir wenden uns in einer Situation an Sie, in der viele unter uns tamilischen Flüchtlingen in Niedersachsen verzweifelt sind. Dies ist auch der Grund warum wir am heutigen Tage mit einer Kundgebung und Demonstration in Hannover auf uns aufmerksam gemacht haben. Seit 1993 herrscht Krieg in unserem Land. Doch niemals zuvor ist dieser Krieg in derart grausamer Weise eskaliert wie seit Beendigung des vorübergehenden Waffenstillstands im Jahre 1995. In den vergangenen Monaten erreichten uns immer wieder schreckliche Nachrichten von unseren Angehörigen. Danach sind weite Teile unseres Siedlungsgebietes im Norden auf der JaffnaHalbinsel zerstört. Unsere Dörfer und Städte wurden bombardiert, nahezu die gesamte dort lebende Bevölkerung wurde zu Flüchtlingen und lebt unter erbärmlichen Umständen weitgehend abgeschnitten von humanitärer Hilfe. Unabhängige internationale Beobachter und Journalisten dürfen das Land nicht betreten. In den östlichen Siedlungsgebieten der Tamilien herrscht ein strenges Regiment der Regierung. Überall kommt es zu heftigen Kämpfen zwischen der Regierung und der LTTE.Die Dörfer im Osten werden von Sicherheitskräften durchkämpft. Jede/r die/der auch nur im Verdacht steht mit den tamilishen Tigern" zusammenzuarbeiten wird mitgenommen. Viele verschwinden" ohne je wiedergesehen zu werden. Manchmal finden sich ihre Leichen. In den bisher nicht umkämpften Gebieten, dort wo man behauptet, wir könnten unbehelligt leben, wie im Großraum Colombo, herrscht unter uns Tamilen ebenfalls ein Klima der Angst.. Für die Regierung ist jeder Tamile ein potentieller Tamil Tiger". Wir bekommen das dadurch zu spüren, daß wir wie Menschen 2. Klasse in einem System der Apartheid behandelt werden. Es kommt zu großangelegten Durchsuchungsaktionen und tausende werden willkürlich verhaftet, gefoltert oder verschwinden". Niemand kann sicher sein, daß er trotz Zahlung von Bestechungsgeldern und der Erduldung erniedrigender Behandlung die Stationen und Lager der Sicherheitskräfte lebend verläßt. Der Fund von schrecklich zugerichteten Leichen ist alltäglich. Besonders gefährdet sind sind tamilische Rückkehrer aus dem Exil. Wir würden heute nicht demonstrieren, verehrter Herr Minister, wenn wir im Falle unserer zwangsweisen Rückkehr nicht wirklich um unser Leben fürchten müßten. Sie gelten in den Augen der Regierung als zugehörig zum Netz der LTTE in der Diaspora. Trotz dieser für uns als tamilische Flüchtlinge gefährlichen Lage, in der wir im Falle eine Rückkehr nach Sri Lanka mit hoher Wahrscheinlichkeit um unser Leben fürchten müssen, haben die niedersächsischen Verwaltungsgerichte und auch das zuständige Oberverwaltungsgericht, die Asylbegehren hunderter tamilischer Flüchtlinge in den vergangenen Monaten abgewiesen. Sie taten dies mit der Begründung, daß seit Anfang 1994 von einer Gruppenverfolgung der Tamilen in Sri Lanka nicht mehr ausgegangen werden könne, es sich bei den Konflikten um einen normalen" Bürgerkrieg handele und die Rückkehrer schließlich sicher im Großraum Colombo leben könnten. Sie lehnten die Asylanträge ab, obwohl nahezu alle Kenner der Lage in Sri Lanka, einschließlich der bekannten Menschenrechtsorganisation und Gerichtsgutachter von einer Verschlimmerung der Situation seit 1995 ausgehe. Der Fund von schrecklich zugerichteten Leichen ist alltäglich. Aus diesem Grund möchten wir sie bitten, sich unserer Befürchtungen anzunehmen. Wir bitten Sie, lassen Sie sich durch unabhängige Zeugen und Kenner der Situation in Sri Lanka informieren. Bitte veranlassen Sie, daß niemand der tamilischen Flüchtlinge abgeschoben wird, bis die wahre Situation bekannt wird, bis wir in Frieden in unsere Heimat zurückkehren können. 39 DEPORTATION Keine Abschiebung Wie sieht es von Tamilen wirklich aus in nach Sri Lanka Sri Lanka? Aufruf zur Demonstration Alagan Ananadaraja* S Mit Repressalien hätten insbesondere auch die Flüchtlinge zu rechnen, die aus dem Ausland nach Colombo abgeschoben würden: "Es wäre geradezu kriminell, die Leute zurückzuschicken". eit 1983 herrscht Krieg in Sri Lanka. Seither sind wir Tamilen/innen gezwungen, das Land je nach Eskalation des Krieges, in immer neuen Flüchtlingswellen, zu verlassen. Diejenigen unter uns, die bis Ende 1993 nach Niedersachsen gekommen sind, haben von der Regierung oder den Gerichten den Status als Flüchtling erhalten und dürfen hier bleiben. Dafür sind wir dankbar. Dies gilt nicht für diejenigen, die nach 1993 geflohen sind und auch für diejenigen nicht, die aufgrund der bisher gewalttätigsten Phase des Krieges nach 1995 das Land verlassen mußten. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Verwaltungsgerichte sagen, daß wir Tamilen nicht mehr als Gruppe politisch verfolgt werden. Sie sagen, daß es sich um einen normalen Bürgerkrieg handelt, und daß wir deshalb keinen Schutz erhalten können. Und sie sagen, daß wir in der Hauptstadt Colombo vor Verfolgung sicher seinen. - Doch die Faktenlage ist anders. Seit Beendigung des vorübergehende Waffenstillstands im Jahre 1995 ist die Lage für uns Tamilen in Sri Lanka so schlimm wie niemals zuvor. In unserem Siedlungsgebiet im Norden auf der Jaffna-Halbinsel hat die srilankische Armee in ihrem Eroberungsfeldzug das Land zerstört und fast die gesamte dort lebende Bevölkerung zu Flüchtlingen gemacht. Der Krieg wurde gezielt auch gegen die Zivilbevölkerung geführt. Mit Flugzeugen und Artillerie wurden unsere Städte und Dörfer bombardiert. Kein ausländischer Beobachter darf das Gebiet betreten, in dem die Armee wütet und sich zur einzigen Nachrichtenquelle aufspielt. Hunderttausende haben alles verloren. In den anderen Siedlungsgebieten, vor allem im Osten des Landes, werden unsere Dörfer und Städte von Sicherheitskräften durchkämmt und alle mitgenommen, die auch nur im Verdacht stehen, mit der LTTE, den tamilischen Tigern, in Verbindung zu stehen. Die Menschen verschwinden zu Hunderten. Sie werden gefoltert. Manchmal finden sich ihre Leichen. Für die Sicherheitskräfte ist jeder Tamile ein potentieller Tamil Tiger". Das bekommen wir auch in den vermeintlich sicheren Landesteilen, wie in Colombo, zu spüren. Man behandelt uns wie Menschen 2. Klasse in einem System der Apartheid. Tausende werden willkürlich verhaftet und erst nach schlimmen Leiden durch Folterungen und nach Zahlung von Bestechungsgeldern wieder freigelassen. Und auch hier kann niemand sicher sein, daß er die Folterlager der Sicherheitskräfte nicht als Leiche verläßt. * Sprecher der tamilischen Flüchtlinge; Demo vom5. Mai 1997 in Hannover 40 balam, Rechtsanwalt und Generalsekretär des All Ceylon Tamil Congress", der ältesten tamilischen Partei Sri Lankas, anläßlich eines Pressegeprächs im April `97 in Bremen. Jeder Tamile, der sich in Colombo aufhalte, werde grundsätzlich als Tamil Tiger"Mitglied verdächtigt. Regelmäßig komme es zu groß angelegten Durchsuchungsaktionen, Kontrollen und Festnahmen, bei denen immer wieder Tamilen verschwinden" würden. Mit Repressalien hätten insbesondere auch die Flüchtlinge zu rechnen, die aus dem Ausland nach Colombo abgeschoben würden: "Es wäre geradezu kriminell, die Leute zurückzuschicken". Während seines Deutschlandbesuchs in 1986 behauptete der srilankische Außenminister Lakshman Kadirgama in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau", daß alle Asylbewerber, die im Ausland um Aufenthaltsgenehmigung bitten, von den `Tigers´ geschickt worden" seien. Wir fragen: Wer übernimmt angesichts der tatsächlichen Lage und einer solchen Stimmung, die auch durch die anfangs Verständigungsbereitschaft signalisierende Präsidentin Chandrika Kumaratunge gegen alle Tamilen geschürt wird, eine Garantie für unsere Sicherheit. Auch das Direktorat für ausländische Beziehungen" der Europäischen Kommission betont in einem Schreiben vom Februar 1997, daß sie zu keiner Unterstützung von Repatriierungsmaßnahmen bereit seien, solange in Sri Lanka Krieg geführt wird. Wir können in unser schönes Land nicht zurückkehren, solange dieser schreckliche Krieg andauert. Und deshalb fürchten wir den Tag unserer Abschiebung. Wir erbitten und fordern von der Regierung in Niedersachsen: Keine Abschiebung von Tamilen nach Sri Lanka. Wir erbitten und fordern von den Verwaltungsgerichten die rechtmäßige Flüchtlingsanerkennung. Täglich werden durch Folter Ermordete gefunden. Dies bestätigte Kumar Ponnam- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 DEPORTATION I ch komme heute auf ihr Schreiben vom 30.04.1996 zurück, in dem Sie darum gebeten haben, einen Abschiebungsstopp für tamilische Flüchtlinge aus Sri Lanka anzuordnen. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat seit November 1992 tamilische Volkszugehörige aus Sri Lanka, die aus dem Norden des Landes stammen, als politisch Verfolgte anerkannt. Gleichzeitig hat das OVG eine fehlende inländische Fluchtalternative für tamilische Volkszugehörige festgestellt, da in anderen Teilen des Landes für Tamilen ein ausreichendes wirtschaftliches Existenzminimum nicht gewährleistet sei. Diese Rechtsprechung hat das OVG Anfang dieses Jahres geändert. In den Leitsätzen zu seiner Entscheidung vom 22.02.1996 hat das OVG tamilische Volkszugehörige, die nach Ende 1993 aus Sri Lanka ausgereist sind, nicht mehr grundsätzlich als gruppenverfolgt angesehen. Es hat damit auf den politischen Wandel reagiert, der bereits 1992 /1993 in Sri Lanka einsetzte und der nach den von den ehemals wichtigsten Oppositionsparteien gewonnenen Parlementswahlen im August 1994 und den Präsidentschaftswahlen im November 1994 Fortschritte gemacht hat. Die Präsidentin, Frau Kumaratunga, setzt nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes ihre Bemühungen, Sri Lanka zu einem nach westlichen Grundsätzen geprägten demokratischen Rechtsstaat zu führen, konsequent fort. Die Regierung habe den Schutz und die Förderung der Menschenrechte zu einem Schwerpunkt ihrer Politik erklärt. Die im Jahre 1992 auf internationalen Druck in Sri Lanka eingesetzte Human Rights Task Force" sei mit zusätzlichen Rechten ausgestattet, die es ihr erlaube, Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen durch srilankische Sicherheitskräfte nachzugehen und aufzuklären. Die auch in der Vergangenheit beklagten Menschenrechtsverletzungen in Sri Lanka beschränkten sich auf die Gebiete, die im Norden und Osten des Landes bisher von den Separatisten der LTTE kontrolliert wurden und seien nahezu ausschließlich der LTTE zuzurechnen. Im Westen und Süden des Landes und in der Hauptstadt Colombo sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes Tamilen keiner besonderen Gefärdung oder Verfolgung durch srilankische Sicherheitskräfte ausgesetzt. Vor dem Hintergrund der häufigen Terroranschläge tamilischer Separatisten mit zahlreichen Opfern in der Zivilbevölkerung hätten lediglich junge mänliche Tamilen, insbesondere in der Hauptstadt Colombo mit häufigen Polizeikontrollen und auch kurzzeitigem Polizeigewahrsam zu rechnen, wenn ihre Identität ungeklärt sei. In einer Ergänzung zum Lagebericht für Sri Lanka vom März dieses Jahres wird vom Auswärtigen Amt die Erklärung des UNHCR`s vom 04.01.1996 zitiert, wonach die Eskalation des bewaffneten Konflikts mit der LTTE nicht zu einer verminderten Beachtung der menschenrechte durch die Regierung führe. Vom UNHCR wird bestätigt, daß sich trotz der Herausforderungen, denen sich die Behörden wegen der Sicherheitslage in Colombo und anderen Gebieten auf Grund der verübten Terroranschläge durch tamilische Separatisten ausgesetzt sehen, die Verbesserungen in der menschenrechtlichen Situation die von der gegenwärtigen Regierung erzielt wurden, aufrechterhalten und in einigen Bereichen sogar verstärkt werden konnte. Junge Tamilen, die im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus häufiger durch srilankische Sicherheitskräfte kontrolliert und kurzzeitig in Gewahrsam genommen würden,erfahren nach Einschätzung des UNHCR`s eine faire und humane Behandlung. Gleichzeitig weist der UNHCR darauf hin, daß zurückkehrende Asylbewerber keiner negativen Sonderbehandlung unterliegen und die institutionellen und rechtlichen Mechanismen zur Überwachung und Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen in Sri Lanka funktionieren würden. In diesem Kontext muß auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vom 20.06.1995 gesehen werden, in Nds. Innenministerium: Keine Notwendigkeit für Abschiebungsstopp für tamilische Volkszugehörige aus Sri Lanka* der das Gericht festgestellt hat, daß auch bei Gruppenverfolgten im individuellen Verfahren geprüft werden müsse, ob Umstände vorlägen, die die Verfolgungsbetroffenheit mindern bzw. entfallen lassen könnten. Solche mindernden Umstände lägen z.B. bei srilankischen Staatsangehörigen tamilischer Volkszugehörigkeit vor,die aus Europa zurückkehrten, weil dieser Personenkreis einem wesentlich geringeren Risiko einer Verhaftung ausgesetzt sei, als junge Tamilen die in Sri Lanka lebten. Zusammenfassend ist festzustellen, daß es über das individuelle Asylverfahren hinaus keine Notwendigkeit für einen gruppenbezogenen Abschiebungsschutz für tamilische Volkszugehörige aus Sri Lanka gibt. Die Anordnungsbefugnis der Obersten Landesbehörden zur Aussetzung von Abschiebungen gem. § 54 des Ausländergesetzes (AuslG) darf nicht in der Weise erfolgen, daß die geänderte Rechtsprechung aufgrund der deutlich verbesserten Menschenrechtssituation in einem bisherigen Verfolgerstaat" durch die Anordnung eines Abschiebungsstopps ausgehebelt wird. Eine solche Vorgehensweise würde auch dem Sinn und Zweck der Anordnungsbefugnis der Obersten Landesbehörden zur Aussetzung von Abschiebungen gem. § 54 Satz 1 AuslG widersprechen. § 54 des Ausländergesetzes (AuslG) darf nicht in der Weise erfolgen, daß die geänderte Rechtsprechung aufgrund der deutlich verbesserten Menschenrechtssituation in einem bisherigen Verfolgerstaat" durch die Anordnung eines Abschiebungsstopps ausgehebelt wird. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrage... * aus einem Schreiben vom 28.8.96 an den Nds. Flüchtlingsrat 41 KONGO-ZAIRE Kongo-Zaire: Von Befreiung noch keine Spur Jean-René Kwaka Mbangu* Übersetzung: Anne Wehmann E Wie soll in einem Staat Demokratie hergestellt werden, der sich lediglich auf seine repressiven Apparate beschränkt? Wie kann man vorgeben, Veränderungen zu wollen, wenn die beigetragenen Praktiken doch nur die des Systems bleiben, das ersetzt werden sollte? s ist noch nicht absehbar, ob die neue politische Ära in der Demokratischen Republik Kongo ebenso lange anhalten wird wie die vorherige. Sicher ist, daß zahlreiche Beobachter jetzt schon Parallelen zwischen den Personen und ihren Methoden ziehen. Der Poet und Dramaturg Elikya MBokolo, sich wieder den Quellen der zairischen Krise" zuwendend, deckte im Monde diplomatique des vergangenen Monats den Virus der Heldenschöpfung" im politischen Leben auf. Als Erbe Mobutus hat diese Plage letztendlich sämtliche politischen Führer des ehemaligen Zaire angesteckt. Gestern noch Patrice Lumumba, der von Mobutu Sese Seko als Nationalheld proklamiert wurde, der im Anschluß selbst mit dem Bild des Führers" und Retters" des zairischen Volkes behängt wurde, heute LaurentDesiré Kabila, der Befreier" von Kongo-Zaire, als welcher auch jetzt noch Etienne Tshisekedi, zu Beginn des Jahrzehnts Messias" genannt, gesehen wird. Aber die frappierendste Ähnlichkeit, die somit in den Augen des Autors dieser Worte den ersten Schwachpunkt der Männer des AFDL darstellt, ist die Inbeschlagnahme der Staatsattribute, nach dem, was man schon allein aufgrund der bereits vor Ende des Krieges ausgehandelten unglaublichen Verträge beurteilen kann. * Jean-René Kwaka Mbangu ist Mitglied des Flüchtlingsrats. Er gibt in Hildesheim als Journalist die deutsch-französische Zeitschrift Elikya (Hoffnung) heraus über die Hintergründe des Konflikts in Kongo-Zaire und über Flüchtlingspolitik in Deutschland 42 Der zairische Verein für Menschenrecht (Azadho), ganz mit den ihn betreffenden Problemen beschäftigt, schaut mit strengem Blick auf das Verhalten der neuen Herren in Kinshasa. In einem Bericht vom Beginn dieses Monats hat diese Organisation, als Hauptzuständige für die Verteidigung der Menschenrechte, die Ausschreitungen der AFDL in Kinshasa angeprangert. Die Autoren dieses Berichtes, die laut Reuter die Zahl der Getöteten vor, während und nach dem Fall der Hauptstadt an die AFDL-Truppen auf 647 schätzen, haben darüber hinaus ihre Besorgnis bezüglich der Tendenz der neuen Autoritäten ausgesprochen, in einen totalitären Staat und eine pseudofreiheitliche Demokratie abzugleiten. Im Ausland ertönen die gleichen Alarmschreie, der gleiche Ton, mit dem Unterschied, daß die Standpunkte nicht immer leicht zu fassen sind. Sicherlich hat Frankreich mit einer scheuen Strenge seine Befürchtungen bezüglich der Initiativen des neuen Regimes zur Einschränkung der individuellen Freiheiten zum Ausdruck gebracht. Aber die Sichtweise Frankreichs aufgrund seiner Affinitäten mit dem gestürzten Diktator und dem Zusammenbruch, der auf seine väterliche Afrikapolitik zurückzuführen ist, hat bei den europäischen Partnern kaum Aufsehen erregt. Deutschland zum Beispiel, obwohl während des Konfliktes im Kongo eher zurückhaltend, war eines der ersten Länder, das dem heutigen Regime in Kinshasa seine Zusammenarbeit anbot. Die USA hingegen, deren Unterstützung der zairischen Rebellion nicht weiter nachzuweisen ist, setzt auf Mehrdeutigkeit. Und zwar verlangen die Amerikaner einerseits von den neuen Machthabern eindeutige Schritte in Richtung Demokratie, vertreten andererseits aber den Standpunkt, daß der aktuelle Präsident von Kongo durchaus eine autoritäre Haltung einnehmen muß, um seine Macht zu verankern. Es fällt nunmehr schwer, den amerikanischen Einfluß auf die UNO zu übersehen, die dem Druck Kinshasas nachgeben will und Roberto Garreton, den chilenischen Anwalt, der für die Untersuchun- gen über die Flüchtlingsmassaker verantwortlich ist, absetzen zu lassen. Kabila selbst hat klare Vorstellungen über seine Politik. Für ihn müssen die ersten Regierungsmaßnahmen der Organisierung dieses untergehenden Staates dienen, damit das kongolesische Volk Wahlen abhalten kann. Dieses Versprechen, in zwei Jahren Wahlen durchzuführen, gilt als Bürgschaft für seine demokratische Einstellung. Darauf, dies hervorzuheben, bestand, wie sollte es anders sein, Nelson Mandela selbst. Obwohl er an der Spitze der Friedensvereinbarungen steht, die unter anderem das Aufstellen einer Transitionsbehörde vorsah, die sämtliche zairischen Parteien repräsentieren soll, schätzt der südafrikanische Präsident das Verbot jeglicher Betätigung der politischen Parteien als einziges Mittel Laurent-Desiré Kabilas ein, in seinem Land wieder Ordnung zu schaffen und gegebenenfalls seinen eigenen politischen Selbstmord zu vermeiden. Aber wie sich schon Elikya MBokolo seinerzeit in Anbetracht der Demokratisierungsversprechen seitens Mobutu fragte: Wie soll in einem Staat Demokratie hergestellt werden, der sich lediglich auf seine repressiven Apparate beschränkt? Wie kann man vorgeben, Veränderungen zu wollen, wenn die beigetragenen Praktiken doch nur die des Systems bleiben, das ersetzt werden sollte? Während des rasenden Vordringens ihrer Truppen durch die befreiten Gebiete" hat die Allianz von ihrem Vorhaben der persönlichen Machtausübung insbesondere durch die Verbreitung ihrer eigenen staatsbürgerlichen Erziehung mittels obligatorischer Ideologiefortbildungen kein Hehl gemacht. Da verwundert es wenig, daß die ersten Maßnahmen dem Verbot der politischen Parteien galten, die der Allianz nicht angehören und des weiteren alle Demonstrationen gegen die neuen Machthaber zu unterdrücken. Diese autoritären Maßnahmen, Grund für das abweichende Verhalten der Befreiungssoldaten, ziehen als ärgerliche Konsequenz die erneute Debatte um die Ab- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 KONGO-ZAIRE sichten Kabilas und seine tatsächliche Position innerhalb der Allianz nach sich. Als Beispiel nur Brüssel, wo Hunderte von Demonstranten Mitte Mai vor der amerikanischen Botschaft gegen die Besetzung unseres Landes durch ausländische Kräfte" protestierten. Es ist natürlich einfach, darin nur die spontane und unüberlegte Reaktion einer Gemeinschaft zu sehen, die sich ausge- schlossen fühlt. Aber auch die Informationen, die Anfang Juni von Brian Atwood, dem Vorsitzenden der amerikanischen Entwicklungsagentur USAID an Reuter geliefert wurden, zeigen die Anwesenheit ausländischer Truppen, insbesondere aus Ruanda, im Osten Zaires. Ende Mai machte Philippe Buyoya, obwohl Berater im Außenministerium, vor Reportern der französischen Presse- agentur folgende Aussage: Kabila hat sich mit den Leuten verbündet, denen an seinem Sieg gelegen ist." Es ist für eine Regierung, der einerseits an der Sicherung der Interessen ihrer Beschützer gelegen ist und die andererseits die Bestrebungen eines Volkes nach Freiheit erfüllen muß, schwierig, den Vormarsch der Demokratie zu verfolgen. Wi e a u ße ro rde n tl i c h sc h w i e ri g di e S i tu a ti o n de r z a i ri sc h e n F l ü c h tl i n ge i n De u tsc h l a n d z u b e u rte i l e n i st, z e i g t d e r fo l g e n d e B e i tra g : W enige Monate hätten Mobutu Sese Seko noch gefehlt, um am 24. November den 32. Jahrestag seiner Machtergreifung zu feiern. Die Hälfte der mehr als 40 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung des von Mobutu in Zaire umgetauften Landes ist unter dreißig Jahre alt - ein anderes Leben als das unter seiner Diktatur ist ihnen unbekannt. Die Millionen Menschen, die im Südwesten in der Hauptstadt Kinshasa leben, kennen die Situation ihrer Landsleute in der südöstlichen Großstadt Lubumbashi oder im nordöstlichen Goma an den Großen Seen nur aus zweiter Hand. Geringe Mobilität und staatskontrollierte Fernsehbilder ließen über Jahrzehnte die Gerüchteküche brodeln. So wurde die Basis für den Glauben an den Mythos unüberbrückbarer ethnischer Konflikte geschaffen. So wurde im Land über Jahre der Realitätssinn für die Existenz politisch motivierter Opposition getrübt. Trotz dieser Rahmenbedingungen ist es der AFDL, der Allianz der Demokratischen Kräfte für die Befreiung, gelungen, in kürzester Zeit quer durch das riesige Land zu marschieren und die Diktatur aus Dörfern, Städten und schließlich der Hauptstadt zu vertreiben. Der Jubel über die Befreiung, mit dem die Soldaten der Allianz im ganzen Land begrüßt wurden, muß zumindest als eine Abstimmung gegen die Beibehaltung des Systems Mobutu, als Akklamation der Veränderung, bewer- tet werden. Im historischen Vergleich verlief die zairische Revolution dabei außergewöhnlich unblutig. Es ist unbestreitbar, daß Menschen ermordet wurden und die Tragödien jedes Einzelnen dieser Schicksale wird aufgearbeitet werden müssen. So wurde beispielsweise bereits eine Untersuchungskommission unter Leitung von Herrn Yambuya eingesetzt, der seit Jahren für die italienische Sektion von Amnesty International arbeitet, um die Flüchtlingstragödie im Lager Ubundu aufzuklären. Dennoch bleibt für die Geschichte festzuhalten, daß Millionenstädte wie Kinshasa oder Kisangani befreit wurden, ohne daß es zu einer einzigen großen Schlacht gekommen wäre. Die AFDL Sammelbewegung für den Wiederaufbau Seit ihrer Gründung im Herbst 1996 erweiterte sich die AFDL von einer Allianz ihrer vier Gründungsparteien zu einer echten Sammelbewegung. Sie kennt keine Mitgliedsausweise, die verschiedenen Strömungen der Gesellschaft tragen zum Meinungsbildungsprozeß innerhalb der Allianz bei. Heute beraten unter dem Sammelbegriff AFDL nicht nur die Mitglieder des größten Teils der ehemals über 500 Parteien Zaires über die Zukunft des Landes, sondern auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen und verdiente Personen des zivilen Lebens. Weitere Organisationen, auch Kirchen und Gewerk- Demokratische Republik Kongo - Die Aufgabe Kass Kasadi* schaften, würden sich zwar nicht als Teil der AFDL bezeichnen, bringen jedoch ihre Positionen trotzdem aktiv in die von der AFDL organisierten Kommissionen ein. Die Zukunft der Demokratischen Republik Kongo bedeutet eine unglaublich große Aufgabe des Wiederaufbaus und Neuaufbaus nicht nur materieller Wert, sondern auch ideeller Werte, wie zum Beispiel Glaube an die Demokratie und an die Menschenund Bürgerrechte. Zur Mitarbeit an diesem Wiederaufbau ist jede Hilfe und jede Person gefragt, ausgenommen die Leute, die sich in der Zeit der Diktatur durch Verbrechen schuldig gemacht haben. So können * Kass Kasadi ist Europarepräsentant des Secrétariat Générale der AFDL (ALLIANCE DES FORCES DEMOCRATIQUES POUR LA LIBERATION DU CONGO) Der Beitrag stammt von [email protected] (FIC) vom 28.05.97. Er ist hier gekürzt widergegeben. 43 KONGO-ZAIRE bspw. Mitglieder der Partei Mobutus, der MPR, an den Beratungen der verschiedenen lokalen Runden Tische und Kommissionen teilnehmen, solange sie nicht persönlich eines Verbrechens überführt wurden. Ent-mobutufizierung Der gewählte Sprecher der Allianz, Laurent Kabila, sagte am 17. Mai, nachdem er sich bereit erklärte, die Exekutivaufgaben eines Präsidenten zu übernehmen, diese Revolution solle eine Revolution des Pardons" sein, nicht der Rache. Hauptziel der notwendigen Entmobutufizierung ist es, den Opfern der Diktatur die Gewißheit zu geben, daß ihnen nun Gerechtigkeit widerfahren wird. Hierzu wurden bereits in vielen Stadtteilen und Orten Meldezentren eingerichtet. Opfer der Diktatur können sich an diese Zentren richten und über ihnen oder ihren Angehörigen verübten Verbrechen und Enteignungen berichten. In dieser Phase geht es dabei zunächst einmal darum, Beweise zu sammeln. Der weitere Umgang mit den Tätern fällt in den Bereich des wiederaufzubauenden Justizwesens. Zum Justizminister wurde für diese Aufgabe Herr Luangy Celestin ernannt. Celestin war schon in den sechziger Jahren in der Opposition gegen Mobutu aktiv. Damals gehörte er zu den Köpfen der Studierendenbewegung ECP. Zur Flucht gezwungen, beendete er sein Jurastudium in Belgien, wo er bis zum vergangenen Jahr als Anwalt tätig war. Bei der Planung des neuen Justizwesens wird er, wie alle Ministerinnen und Minister, von einer überparteilichen, zwölfköpfigen Fachkommission unterstützt. Die neue Regierung Die Abschaffung der Diktatur Mobutus bedeutete gleichzeitig auch die Auflösung der Institutionen des alten Regimes und des alten Staates Zaire. Viele dieser Institutionen und der dort beschäftigten Beamten hatten aufgrund der ausbleibenden Bezahlung ohnehin schon seit länge44 rem ihre Arbeit eingestellt. Trotz erfolgreicher Revolution müssen in der neuen Demokratischen Republik Kongo jedoch bestimmte Instanzen schnell wieder zur Funktion gebracht werden, um Versorgungsengpässe für die Bevölkerung zu verhindern und das Ernten der Früchte der neuen Freiheit, bspw. der Mobilität, überhaupt zu ermöglichen. Das Land braucht also umgehend eine neue Exekutive und diese wurde für eine Übergangsperiode mit der Ernennung Kabilas zum Präsidenten und der Berufung fachkompetenter Ministerinnen und Minister geschaffen. Laurent Désir Kabila wurde in einer Nachtsitzung des erweiterten Rates der Allianz am 17. Mai zum Präsidenten gewählt. Da die Stabilität innerhalb des Landes noch immer die vordringliche Aufgabe der neuen Regierung ist, fällt auch die Organisation des Verteidigungsressorts zunächst in den Aufgabenbereich des Präsidenten. Der Präsident ist in seinen Entscheidungen nicht autonom, sondern hängt von den Vorgaben des Secrétariat Général bzw. der Fachkommissionen ab. Somit ist die Verhinderung jeglicher Alleinherrschaft einer einzelnen Person nachhaltig garantiert. Die wichtigsten Aufgaben der neuen Regierung Die neue Regierung hat sich drei Prioritäten gesetzt. An erster Stelle der Aufgaben steht die Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität in dieser ersten Phase in Kongo. Zwar kann tagsüber bereits in den meisten Teilen des Landes die öffentliche Sicherheit gewährleistet werden, doch nachts bedrohen noch in vielen Regionen des Landes mordende Terrorbanden das Leben der Menschen. Zu diesen Banden gehören insbesondere die berüchtigten Milizen der sogenannten Interahamw Sympathisanten der ehemaligen Diktatur im benachbarten Ruanda. Aber auch Bewaffnete, die an Konflikten in anderen Nachbarstaaten beteiligt sind, sowie noch nicht entwaffnete Einheiten der Armee Mobutus stellen für die Sicherheit der Bevölkerung noch immer eine große Bedrohung dar. Die Verhin- derung dieser Überfälle ist die Grundvoraussetzung für eine ausreichende Versorgungssituation der Bevölkerung. An zweiter Stelle steht die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Waren und Dienstleistungen. Dafür ist der Ausbau von Kommunikationsmöglichkeiten und Mobilität unerläßlich. Mobilität ist notwendig, um die Möglichkeiten zur eigenständigen Versorgung des Landes im Binnenhandel nutzen zu können. Kommunikation ist die Voraussetzung für demokratische Mitgestaltung und Kontrolle. Eigenständige Medien und Kommunikationsnetze sollen hierbei gezielt aufgebaut werden. Die AFDL selbst verfügt heute lediglich über drei tägliche Sendetermine von jeweils zwei Stunden auf dem Radiosender Voix du Peuple. Das übrige Programm gestaltet der Sender selbst. Die eigene Zeitung der AFDL, Congo Libre", ist gerade erst in Zweitausgabe erschienen. Ihr zur Seite werden verschiedenste Zeitungen, die sich bereits unter Mobutu Verdienste als Stimmen der Opposition erworben haben, im Sinne der Demokratisierung des Landes von der neuen Regierung gefördert werden. Diese Förderung soll insbesondere in Produktionshilfen (Papier) und Unterstützung im überregionalen Transport bestehen und auf die Erlangung einer finanziell unabhängigen Position der Zeitungen hinauslaufen. Die Organe der alten Diktatur erhalten keine Förderung mehr. Der dritte Hauptaufgabenbereich ist die Ankurbelung der Wirtschaft des Landes und die Schaffung der notwendigen finanziellen Ressourcen des Staates, sowie der Investitionsfähigkeit der Bevölkerung. Als oberste Aufgabe des wirtschaftlichen Lebens wird dabei die Förderung des Gemeinwohls betrachtet. So wird bspw. die Vergabe von Schürflizenzen an internationale Partner an die Bedingung gekoppelt, Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung zu schaffen. Demokratisierung Jede im Land lebende Person kann sich zur Mitwirkung in FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 KONGO-ZAIRE Kommissionen bereiterklären. Nach Prüfung der Qualifikation (letztinstanzlich durch das Secrétariat Général) wird eine Empfehlung ausgesprochen, auf welcher Ebene die Person ihren Aufbauwillen und ihre Kompetenz einbringen sollte. Neben den Kommissionen entstehen zudem überall im Land Runde Tische, an denen die Bewältigung der lokalen Aufgaben, aber auch die weitere politische Entwicklung des Landes diskutiert werden. Durch zweiwöchige freiwillige Bildungskurse u.a. über Bürgerrechte, Grundzüge eines demokratischen politischen Systems oder politische Partizipation, die in Französisch, Lingala, Suaheli und anderen Landessprachen durchgeführt werden, und eine Informationsbroschüre wird das Mitarbeitspotential der Bevölkerung gefördert. Für die Tausende, die aus dem Exil ins Land zurückkehren, wurden schon in den letzten Monaten ähnliche Strukturen entwickelt. Neuankommende werden zunächst befragt, ob sie nur zu Besuch kommen wollen, ob sie länger bleiben oder ob sie für immer nach Kongo zurückkehren wollen. Dann werden sie nach ihren Fachkompetenzen und nach ihrer demokratischen Orientierung befragt. Auch sie müssen sich, bevor ihnen eine Empfehlung für ein Aufgabengebiet ausgesprochen wird, drei Tage lang über Bürgerrechte, über Demokratie, aber auch über interessante Details wie den Ursprung des Namens Zaire" informieren lassen. Ob man sie nun als Sekretariate", Kommissionen" oder Räte" übersetzen will, diese parteiübergreifenden Strukturen bestimmen derzeit auf allen Entscheidungsebenen die politische Organisation des Landes. Insbesondere in den Regionen, die schon länger aus der Kontrolle Mobutus befreit wurden, haben sie bereits eine recht hohe Entscheidungsdynamik entwickelt. In diesen Regionen blühen auch die so lange unterdrückten Nichtregierungsorganisationen wieder auf, bspw. die Marktfrauenvereinigung von Lubumbashi. Auch sie bringen ihre Fachkom- petenz direkt als Mitglieder der Kommissionen ein. In der gestaffelten Verwaltungsstruktur der Übergangsperiode gilt dies bis hinauf zum Secrétariat Général. Aus dem Secrétariat Général der AFDL heraus wurden schließlich auch die Empfehlungen ausgesprochen, auf die hin kürzlich die einzelnen Ministerinnen und Minister des neuen Staates berufen wurden. Jedem Ministerium ist darüber hinaus eine zwölfköpfige Fachkommission zugeordnet. Das gilt auch für den Präsidenten, dem eine eigene Kommission quasi als Stab zur Seite gestellt wurde. Entsprechend der Art der Ministerien gibt es innerhalb des Secrétariat Général Fachbeauftragte, die während der Übergangsperiode die Kommunikation zwischen dem Politik formulierenden Organ und den ausführenden Instanzen gewährleisten. Als zusätzliche Kommission besteht zudem die Sonderkommission, die sich mit der Wiederbeschaffung der von Mobutu und seiner Machtclique gestohlenen Gelder und Sachmittel beschäftigt. Verfassung und Wahlen Bis ca. Mitte Juli wird der nächste Schritt der Demokratisierung eingeleitet sein: die Berufung der Assemblée Constituante. Diese voraussichtlich etwa 300 Personen zählende konstituierende Versammlung wird ebenfalls parteiübergreifend und mit Beteiligung der NGOs zusammengesetzt sein und die wichtigen Entscheidungen über die Verfaßtheit des neuen Staates einleiten, bspw. das Zusammentreten der Verfassungsgebenden Versammlung. Die dort entwickelte Verfassung, die sich in ihrem Entwurf vermutlich zum einen an der für das historische Bewußtsein des Landes so wichtigen ersten Verfassung nach der Unabhängigkeit orientieren wird, zum anderen an modernen, progressiven Verfassungen wie etwa der des neuen Südafrikas, wird schließlich die politische Grundlage bilden, auf der im ganzen Land freie, gleiche und geheime Wahlen stattfinden können. Die Situation innerhalb der Bevölkerung Zur Zeit läßt sich noch kein einheitliches Bild zur Situation der Bevölkerung in Kongo zeichnen, da die östlichen Landesteile bereits seit einem halben Jahr befreit sind - und sich somit die Normalisierung des Lebens vollziehen konnte - während Kinshasa erst am 17. Mai 1997 von der Diktatur befreit wurde. Allerdings läßt sich bereits für das gesamte Land feststellen, daß die Sicherheit der Bevölkerung nunmehr gewährleistet ist. Die Menschen beginnen nun, die neue Freiheit zu nutzen und bringen z.B. Waren sicher über weite Strecken, ohne befürchten zu müssen, von marodierenden Armee-Einheiten erpreßt zu werden Dadurch sind die Märkte in den Städten sehr gut bestückt und die Preise sinken. Es wird immer mehr Menschen möglich, das alltägliche Leben zu finanzieren. Durch die Preissenkungen werden nicht nur Nahrungsmittel bezahlbar, auch die medizinische Versorgung wird für weite Teile der Bevölkerung langsam möglich. Die früher wertlose Landeswährung Nouveau Zaire gewinnt gegenüber dem US-Dollar (vor der Befreiung wurde in Lubumbashi ein Dollar für 450.000 NZ getauscht, heute sind es 140.000 NZ). Den Menschen ist nunmehr aber nicht nur das überleben ermöglicht, auch die Organisation des politischen Lebens außerhalb der AFDL wird unterstützt und gefördert. Gewerkschaften, Kirchen etc, die vor der Befreiung existierten und die nicht die Diktatur unterstützten, setzen ihre Arbeit fort oder bauen neue Strukturen auf. Viele Menschen sind bereit, sich in den vorhandenen oder neu geschaffenen Strukturen zu engagieren, auch wenn sie dafür keinerlei Lohn erhalten; in erster Linie ist für sie der Aufbau des Landes wichtig. Besonders deutlich ist dieses im Bereich der sozial tätigen NGOs zu sehen. 45 BÜRGERKRIEGS-FLÜCHTLINGE US-Außenministerium kritisiert deutsche Flüchtlingspolitik: Abschiebungen bosnischer Flüchtlinge verfrüht" Auszüge aus einer Pressekonferenz des amerikanischen Außenministeriums vom 21.5.971) Daher ist das Prinzip der freiwilligen Repatriierung ein sehr wichtiges Prinzip, das nach Auffassung der Vereinten Nationen hochgehalten werden muß. Frage: Was sagen Sie dazu, daß tausende Bosnien-Flüchtlinge gezwungenermaßen die 16 deutschen Länder verlassen und damit ein neues Balkan-Wirrwarr erzeugen? [...] Herr Burns: [...] Die Vereinigten Staaten unterstützen die Rückkehr der Flüchtlinge unter den Wachsende Bedrohung UNO beklagt unverhohlene Mißachtung der Flüchtlingskonvention Andreas Zumach2) Diese Kritik der Hochkommissarin richtete sich auch gegen die Zwangsrückführung bosnischer Flüchtlinge aus Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten Die UNO-Hochkommissarin für Flüchtlinge, Sadako Ogata, sieht das Recht auf Asyl und Schutz vor Verfolgung weltweit einer wachsender Bedrohung" und Erosion ausgesetzt. Immer mehr Staaten verletzten dieses in der UNO-Flüchtlingskonvention von 1951 verankerte Recht durch unverhohlene Zutrittsverweigerungen an ihren Grenzen oder durch die subtilen Veränderungen von 1)Quelle: Internet: http://www.state.gov/www/briefings/9705/970521.htr; Übersetzung: Kai Weber 2) aus der Tageszeitung vom 02.04.97 46 Bedingungen des Dayton-Friedensabkommens und der Rückkehrbemühungen der UN-Hochkommissarin für Flüchtlinge, Frau Ogata. UNHCR, die UN, hat jetzt eine Strategie zur Ermöglichung einer Rückkehr von Flüchtlingen und im eigenen Land Vertriebenen über zwei Jahre, 1997 und 1998, formuliert. In dieser Angelegenheit drängen wir die deutsche Regierung, bei der Repatriierung eng mit den Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten und zu differenzieren, zu unterscheiden zwischen Bosniern aus Gebieten, in denen ihre ethnische Gruppe in der Minderheit ist und denjenigen aus Gebieten, in denen ihre ethnische Gruppe der Mehrheit angehört. Die Vereinigten Staaten unterstützen mit Nachdruck die freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen und inländischen Vertriebenen nach Bosnien. Wir sind überzeugt, daß es verfrüht ist, Bosnier mit Gewalt in Gebiete zurückzubringen, in denen ihre ethnische Gruppe in der Minderheit ist. Die Begründung dafür ist: Wir müssen realistisch sein. Die Bedingungen sind noch nicht geeignet für die Rückkehr von Minderheiten in einige Gebiete. Wir haben in der letzten Woche fürchterliche Gewalt von Kroaten gegen die serbische Minderheit in der Krajina-Region erlebt, und wir haben auch gewalttätige Vorfälle in Ostslovenien gesehen. Ministerin Albright hat der kroatischen Regierung ihre Mißbilligung dieser Vorfälle übermittelt. [...] Worauf es hier ankommt ist: Wieviel Fortschritt auch immer wir in Sachen Bosnien gemacht haben, es ist noch immer nicht sicher für einige Flüchtlinge, in ihre Heimatstädte zurückzukehren. Daher ist das Prinzip der freiwilligen Repatriierung ein sehr wichtiges Prinzip, das nach Auffassung der Vereinten Nationen hochgehalten werden muß. [...]" Gesetzen", erklärte Ogata gestern vor der UNO-Menschenrechtskommission in Genf. Flüchtlinge, die diese Hürden dennoch überwinden könnten und Aufnahme in einem anderen Land fänden, seien zunehmend gefährdet durch tödliche Attacken" auf ihre Unterkünfte. Vor allem Frauen und Kinder würden immer häufiger Opfer von Übergriffen und sexueller Gewalt. Mit Blick auf die Lage in Ruanda und Zaire monierte die Hochkommissarin, daß Insassen von Flüchtlingslagern - darunter auch Kinder - von den Konfliktparteien zwangsrekrutiert werden. Ogata beklagte, das in der UNO-Konvention vereinbarte Prinzip der freiwilligen Rückkehr" von Flüchtlingen werde zunehmend unterminiert durch Zwangsrückschaffungen in Heimatländer, in denen keine sicheren Lebensbedingungen herrschen". Diese Kritik der Hochkommissarin richtete sich auch gegen die Zwangsrückführung bosnischer Flüchtlinge aus Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten. Bosnien ist für Ogata ein Bei- spiel für den Verstoß gegen das in der UNO-Konvention verankerte Recht auf die Rückkehr von Flüchtlingen in ihr Heimatland. Das Dayton-Abkommen vom Dezember 1995 enthalte zu dieser Frage zwar viele exemplarische Bestimmungen". Deren Umsetzung scheitere aber an unakzeptabler politischer Obstruktion" verschiedene Seiten in Bosnien sowie an fehlendem politischen und finanziellen Engagement der internationalen Gemeinschaft. Seit Verabschiedung der UNOFlüchtlingskonvention 1951 stieg die Zahl der Flüchtlinge, die unter das damals formulierte Mandat des UNO-Hochkommissariats fallen, von 1,5 auf 13,2 Millionen im Jahre 1996. Zusätzlich betreut das UNO-Hochkommissariat derzeit 3,1 Millionen Rückkehrer sowie 9,4 Millionen innerhalb ihres Heimatlandes Vertriebene - insgesamt also rund 26 Millionen Menschen. Darüber hinaus gab es nach UNHCR-Schätzungen 1996 weitere rund 20 Millionen intern vertriebene Menschen, für deren Betreuung die finanziellen Mittel der UNO-Organisation nicht ausreichen. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 BÜRGERKRIEGS-FLÜCHTLINGE Al s b e i sp i e l h a fte P re sse -B e ri c h te rsta ttu n g d ru c k e n w i r d e n fo l g e n d e n B e i tra g v o n F ri e db e rt Wo l te r a u s de r N i e n b u rge r T a ge sz e i tu n g H ARK E " v o m 1 1 . Ju n i 1 9 9 7 . Di e se r Arti k e l v e rmi tte l t i n a l l e r K ü rz e di e z e n tra l e P ro b l e ml a ge de r F l ü c h tl i n ge mi t de r e rz w u n ge n e n Rü c k k e h r u n d z u gl e i c h mi t de r so z i a l e n Di sk ri mi n i e ru n g i n De u tsc h l a n d. H aßbergen. Sie sind 28 und 24 Jahre alt, der Sohn ist vier. Sie haben Tod und Terror erlebt, wie Eltern der Nachkriegsgeneration: Dzeko Muratovic (28), Ana (24) und Desan (4). Als Bürgerkriegsflüchtlinge haben sie in Haßbergen eine wohnliche Bleibe gefunden - auf Zeit. Sie sollen zurückkehren, sagt der Landkreis Nienburg, sie wollen es selbst, können es aber nicht gemeinsam. Grund dafür ist, daß das Ehepaar unterschiedlichen Glaubensrichtungen angehört, er Moslem, sie serbisch-orthodox. Weder Serbien noch Kroatien toleriert beides, sagen sie im Gespräch mit der HARKE: Deswegen hatten sie auch ihren Wohnort Cajnice in der Republik Srpska (Serbien) verlassen müssen, hatten nach anderer Bleibe gesucht, Trebine zum Beispiel, und waren von Miliz und Polizei immer wieder vertrieben worden. Verschwindet hier", hieß es. Dzeko und Ana haben vorübergehend in Haßbergen ihre neue Heimat gefunden, kümmern sich rührend um ihren Sohn, der die Odyssee mit anschließender Flucht miterlebte. Still mußte er sein, als es tagsüber besser war, sich zu verstecken. Nachts ging es per Lkw und auch zu Fuß auf unbekannter Route gen Norden ungefähr eine Woche lang. Der Bruder Dzekos in Leer war erste Anlaufstelle, bis Haßbergen im Dezember 1994 zugewiesener Aufenthaltsort würde. Wir haben viel freundlichen Kontakt zur Bevölkerung", sagen beide, füh- len sich wohl, weil wir keine Angst haben müssen, es steht einer hinter uns und fragt nach Glauben oder Herkunft". Deutsch haben sie in nullkommanichts gelernt, Verständigung ist, kein Problem viel mehr die Ungewißheit um die Zukunft. Reguläre Arbeit zu regulärem Lohn bleibt Illusion, Hoffnung, solange in Deutschland bleiben zu dürfen, bis zu Hause Menschen nicht mehr wegen ihres Glaubens vertrieben werden. Gearbeitet hat das Ehepaar Muratovic übrigens schon, wie es das Gesetz in ihrem Fall vorsieht oder erlaubt. Etwa zehn Tage Unkraut jäten an einer Straße in der Samtgemeinde Heemsen stand an, Stundenlohn zwei Mark. Angewandt wird auf Bürgerkriegsflüchtlinge das Asylbewerberleistungsgesetz, das zwei Mark Aufwandsentschädigung für Arbeit an staatlichen kommunalen und gemeinnützigen Stellen vorschreibt. Noch eine Arbeit stand an, Heidelbeeren pflücken. Für das Kilo gab es 1,50 Mark, gut drei Wochen lang, Verdienst zirka 300 Mark. Verdienst? Wer Leistungen der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz erhält oder begehrt, ist auch verpflichtet, seine Arbeitskraft einzusetzen und sich um Arbeit zu bemühen. Wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten, hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt", heißt es in dem Schreiben des Landkreises an Familie Muratovic. Und weiter: Wie sich ergeben hat, werden noch Saisonkräfte für die Heidelbeerernte benötigt. Sollten Sie diesen Termin nicht wahrnehmen, werde ich zu prüfen haben, ob die bisher gewährte Sozialhilfe eingestellt oder zumindest gekürzt wird." Als wären es unsere eigenen Kinder" Flüchtlingsfamilie aus Haßbergen soll nach Serbien zurück - will auch kann aber nicht Von Friedbert Wolter Am 9. April legt der Landkreis die Rückkehr nach Ex-Jugoslawien nahe, mit vorsorglicher Abschiebungsandrohung, freiwillig bis 31. Juli. Mit Hilfe von Betreuerin Regina Andresen wird Einspruch erhoben. Laut Erlaß vom 14. April 1997 ist die Rückführung der bosnischen und kroatischen Volkszugehörigen aus der Republik Srpska erst für nächstes Jahr vorzusehen". Der Landkreis am 15.Mai: Nach....Abstimmung mit dem niedersächsischen Innenministerium in diesem Einzelfall wird auch von dort kein Anlaß zur Beanstandung an dieser Verfahrensweise gesehen, insbesondere auch nicht am der gesetzten Ausreisefrist in diesem Fall". Dazu Regina Andresen: Familie Murotovic nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand, und was haben die schon durchmachen müssen. Die Betroffenen kennen ihr Problem am besten, ich kann nur helfen." 47 BÜRGERKRIEGS-FLÜCHTLINGE Rückkehr nach Nirgendwo Eine ganz normale Abschiebungsandrohung Gabriele Thiel Familie K. aus dem Gebiet der sogenannte Herceg-Bosna flüchtete 1993 nach monatelanger Verfolgung aus Todesangst nach Deutschland. Vater und Tochter waren in Konzentrationslagern in der Nähe Moslars inhaftiert. Die Flucht gelang nur unter abenteuerlichen und lebensgefährlichen Bedingungen. Die Frauen lebten mehrere Wochen hinter Matratzen versteckt und verkleideten sich als katholische Nonnen, obwohl sie der muslimischen Minderheit angehörten, um über Kroatien nach Deutschland zu entkommen. In Braunschweig fanden sie Zuflucht und konnten sich von den Strapazen erst einmal erhoben. Doch November 1996 erhielten sie die Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung, gegen die bei der Ausländerbehörde Widerspruch eingelegt wurde. Unterstützerinnengruppe für Frauen im Exil K arla Begründung: Eine Rückkehr in das Gebiet um Mostar sei nicht möglich, die Wohnung sei zerstört, die Zusage, sich in einer anderen Stadt in der bosnisch- 48 Karla kroatischen Förderation niederlassen zu dürfen, sei nicht zu bekommen. Hinzugefügt wurden Atteste über verschiedene schwere Erkrankungen der Frau und der Traumatisierung des Ehemannes. Erwähnt wurde auch die geplante Anhörung vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Doch die Ausländerbehörde ließ die Familie bis Mai im Ungewissen. Nun sollte plötzlich die Reisefähigkeit durch das hiesige Gesundheitsamt überprüft werden. Die Familie geriet in Panik. Mit ärztlichem Attest wurde dem Gesundheits- und Ausländeramt mitgeteilt, daß die gesundheitliche Verfassung eine Rückkehr in eine völlig ungewisse Zukunft nicht erlaubt. Der Leiter des Gesundheitsamtes hielt jedoch die vorgetragenen Beschwerden für wenig glaubwürdig. Das Ausländeramt kündigte der Familie mündlich an, daß die Abschiebungsandrohung nicht aufgehoben werde. In diese Situation platzte die Nachricht, daß ab sofort Flüchtlingen aus Westeuropa Zölle bis zu 51% des Neuwerts für ihr Hab und Gut auferlegt werden, wenn sie zurückkehren. Offensichtlich hält man die Flüchtlinge für besonders vermögend und übersieht, daß fast alle von Sozialhilfe leben mußten. Frau K: Ich bin verzweifelt. In Bosnien erwartet uns bitterste Armut. Im besten Fall werden wir Unterkunft in einem Lager finden. Dort leben bis zu 30 Personen in einem Raum. Die Ernäh- ist eine unabhängige und selbstorganisierte Frauengruppe in Oldenburg. Wir arbeiten seit ca. zwei Jahren mit und für geflüchtete Frauen, vor allem mit Frauen aus der ZAST Blankenburg. Unsere Schwerpunkte sind Austausch, Angebot (bei Bedarf) von z.B. Sprachkursen, Beratung und Öffentlichkeitsarbeit. Frauen, deren Transfertermin feststand, haben uns häufig nach Adressen von Gruppen und Initiativen in den jeweiligen Transferorten gefragt. Deshalb haben wir jetzt vor, möglichst viele Kontaktadressen aus anderen Städten in einer Broschüre zusammen zustellen, die wir an die Frauen in der ZAST weitergeben können. rung ist nicht gesichert. Suppenküchen haben kaum noch Gelder. Ohne offizielle Anmeldung werden neuankommende Flüchtlinge gar nicht erst registriert und haben überhaupt keinen Anspruch auf humanitäre Hilfe durch Flüchtlingsorganisationen. Ich selbst bin sehr krank und weiß nicht, ob ich irgendeine Arbeit bewältigen kann. Mein Mann ist auch schon über 60. Die Rückkehr in unsere Heimatstadt ist völlig unmöglich. Wir waren in Todesgefahr. Die Spannungen um Mostar herum nehmen laufend zu. Vielleicht gibt es bald wieder Krieg und Kroatien verleibt sich die gesamte HercegBosna ein. So müssen wir Zuflucht in Sarajevo suchen. Doch dort können wir nur illegal leben. Nur wenn jemand für uns einen Garantiebrief unterschreibt, können wir vielleicht dort bleiben. Auf dem Schwarzmarkt kostet ein solcher Brief 2500,- DM pro Person. Ich weiß nicht, wie wir dieses Geld aufbringen sollen." Fazit: Nicht nur Flüchtlingen aus der sogenannten Republik Srpska droht bitterste Not und damit Gefahr für Leben und Gesundheit, auch viele BosnierInnen aus der Konförderation sind in einer ausweglosen Situation. Sie brauchen Unterstützung, um entweder ihre Rechte in Deutschland doch noch durchzusetzen oder auf lange Sicht vielfältige Hilfen in Bosnien-Herzegowina. Sonst war es in Deutschland nur ein Überleben auf Zeit". (Braunschweig, 20. Juni. 1997) So haben sie direkt eine oder mehrere Anlaufstellen. Wer Interesse hat setze sich doch mit uns in Verbindung. Am besten schickt ihr gleich eure Adresse, Bürozeiten und eine Beschreibung der Arbeit, die für asylsuchende Frauen verständlich ist! Eine Übersetzung in die geläufigen Sprachen wäre natürlich toll. Vielen Dank Karla Unterstützerinnengruppe für Frauen im Exil Kaiserstr. 24 26122 Oldenburg Tel/ Fax: 0441-2489661 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 BÜRGERKRIEGS-FLÜCHTLINGE D er Landtag wolle beschließen: Nach dem Friedensschluß von Dayton ist die Situation in den Bürgerkriegsgebieten im ehemaligen Jugoslawien immer noch instabil. Die Trennung in ethnisch scharf von einander abgegrenzte Gebiete führt dazu, daß viele Menschen in ihre ursprüngliche Heimatregion zum derzeitigen Zeitpunkt nicht zurückkehren können. Dies betrifft insbesondere multiethnische Familien und Ehepaare, aber auch diejenigen, deren Region ethnisch anderweitig aufgeteilt wurde. Darüber hinaus lassen Gründe wie z.B. eine starke Traumatisierung durch die Kriegserlebnisse, Vergewaltigungen und Folter, eine Rückkehr nicht zu. Die gesellschaftlichen Strukturen sind durch Krieg, Massenmord, Flucht und Vertreibung zerrüttet. Haß und Mißtrauen zwischen den Volksgruppen sind im gesamten Land spürbar. Das in dem Abkommen von Dayton allen Flüchtlingen zugesicherte Recht, frei an ihren früheren Wohnort zurückzukehren, in Sicherheit, ohne jedes Risiko der Bedrohung, Einschüchterung, Verfolgung oder Diskriminierung, das mit dem Ziel vereinbart wurde, langfristig gesehen zu einem friedlichen Zusammenleben der verschiedenen Ethnien zurückzukehren, kann derzeit nicht garantiert werden. Im Gegensatz zu diesem Geist von Dayton geht das niedersächsische Innenministeriums in seinem Erlaß vom 14. April 1997 nunmehr davon aus, daß alle bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge einschließlich der gemischtethnischen Familien und der Personen bosniakischer und kroatischer Volkszugehörigkeit aus der Republik Srpska zurückgeführt werden können, da - mit wenigen Ausnahmen - jeder die Möglichkeit habe, sich in einem Gebiet niederzulassen, in dem seine Volkszugehörigkeit die Mehrheit hat. Dieses steht im Widerspruch zu dem Lageberichtes des Auswärtigen Amtes für Bosnien und Herzegowina und die Republik Srpska vom 30. Januar 1997, in dem die Situation in allen Lebensbereichen als erschreckend dargestellt wird. Während Innenminister Kanther die Rückführung" der bosnischen Kriegsflüchtlinge den Ländern überläßt, hat sich der Bundesaußenminister Kinkel gegen die Rückführungspläne der Innenministerkonferenz gewandt. Die Länder sind mehrfach von ihm aufgefordert worden, nicht nur den Familienstand, sondern vielmehr die Herkunftsorte der Flüchtlinge zu berücksichtigen. Die Forderung des Bundesaußenministers nach lückenloser Einhaltung des Daytoner Abkommens beinhaltet nicht nur eine Verpflichtung für die Vertragspartner. Auch die Bundesrepublik, die der Unterzeichnung des Vertrages als Zeuge beigewohnt hat, ist gefordert, mit der Rückführung solange zu warten, bis eine Rückkehr an den Heimatort möglich ist. Gegenstand der Kritik des Außenministers war wiederholt auch die rigide Form, mit der die Länder die Rückführung der Flüchtlinge durchsetzen. Der Niedersächsische Landtag stellt fest, daß die Freiwilligkeit der Rückkehr und - gemäß dem Geist des Daytoner Abkommens das Recht der Flüchtlinge, frei an ihren früheren Wohnort zurückzukehren, in Sicherheit und Würde, höchste Priorität hat. Die Politik der ethnischen Säuberung darf nicht durch Abschiebungen in ethnisch-bereinigte Gebiete im Nachhinein legitimiert werden. Die Landesregierung wird aufgefordert, a) die Kritik des Bundesaußenministers und der Flüchtlingshilfsorganisationen an der übereilten und unsensiblen Abschiebungspraxis zur Kenntnis zu nehmen und von dem derzeitigen Rückführungszeitplan Abstand zu nehmen b) in Abstimmung mit den Innenministern der Länder und der Bundesregierung ein Bleiberecht für diejenigen sicherzustellen, die derzeit nicht die Möglichkeit zur Rückkehr in Sicherheit und Würde haben. Hierzu gehören insbesondere: - Angehörige bi-ethnischer Familien, bis die Situation in BosnienHerzegowina sich so verändert hat, daß diese Familien in Sicherheit und Würde an ihre Heimat- Antrag Statt Abschiebung - Recht der bosnischen Flüchtlinge auf Rückkehr in Sicherheit und Würde Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag orte zurückkehren können - Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, die nicht in den Genuß einer Amnestie kommen, um sie vor Strafverfolgung zu schützen, weil sie sich dem Kriegsdienst in einem völkerrechtswidrigen Krieg entzogen haben - Personen aus Gebieten, in denen sie bei einer Rückkehr nicht mehr der Mehrheitsbevölkerung angehören würden - Roma, weil sie nach Aussagen von Menschenrechtsorganisationen im gesamten Gebiet von Bosnien-Herzegowina keine Existenzgrundlage mehr haben - Schülern, Auszubildenden und Studenten bis zum Abschluß ihrer Ausbildung. Ein dauerhaftes Bleiberecht bedürfen insbesondere - durch Kriegs- und Fluchtereignisse traumatisierte Personen, so z.B. ehemalige Häftlinge aus Konzentrationslagern, vergewaltigte Frauen und weitere Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen - geladene und potentielle Zeuginnen und Zeugen des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, um die Betroffenen persönlich zu schützen und um die Anklagen in Den Haag nicht zu gefährden. Die in dem Erlaß des Innenministeriums vom 14.4.1997 vorgesehenen Ausnahmeregelungen für bestimmte, auch hier genannte Personengruppen, sind nicht ausreichend. Die Landesregierung wird aufgefordert zu veranlassen, daß den Betroffenen eine mindestens zwölfmonatige Aufenthaltsbewilligung und Arbeitserlaubnis ausgestellt wird. 49 BÜRGERKRIEGS-FLÜCHTLINGE Der Niedersächsische Landtag stellt fest, daß der Wiederaufbau und die Rückkehr Hand in Hand gehen müssen. Er fordert die Landesregierung auf, denjenigen, die freiwillig zurückgehen wollen und die Möglichkeit dazu haben, über die bisherigen Leistungen hinaus bei ihrer Rückkehr behilflich zu sein. Selbsthilfe-, Rückkehr- und Wiederaufbauprojekte von Flüchtlingen sollen unterstützt und finanziell gefördert werden. Hierzu wird eine Koordinationsstelle eingerichtet, die bei allen technischen und finanziellen Fragen tätig wird, so z.B. bei der Koordinierung und Kostenübernahme von Möbel-, Hausrat- und Baumaterialien-Transporten. Darüber hinaus wird eine Informations- und Beratungsstelle als Netzwerk für Initiativen zur Rückkehrhilfe eingerichtet, die Betroffene, Städte und Gemeinden, Schulen, Einzelpersonen und Gruppen über die Möglichkeiten von Partnerschaften und Wiederaufbauprojekten berät und finanziell unterstützt. Begründung Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. 1. 1997 stellt die Situation in allen Lebensbereichen in Bosnien, Herzegowina und der Republik Srpska als überaus erschreckend dar. So bestehen in vielen Gebieten des Landes mafia-ähnliche und lokalherrschaftliche Strukturen aus Kriegszeiten fort, wobei die Polizei das Recht nur unvollkommen durchsetzt. Flächendeckend kommt es weiterhin zu willkürlichen Verhaftungen und Mißhandlungen im Polizeigewahrsam. Die Menschenrechtslage hat sich kaum verbessert. Es kommt weiterhin zu Diskriminierungen von Minderheiten, zu Zerstörungen von Häusern aus ethnischen Gründen und zu Vertreibungen in Einzel- und Gruppenfällen. Zwischen den einzelnen ethnischen Gebieten ist die Bewegungsfreiheit kaum gewährleistet. Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen. In ganz Bosnien und Herzegowina kommt es nach wie vor zu Übergriffen und Schikanen durch die Bevölkerung, zu Schießereien, Handgreiflichkei50 ten und Eigentumsdelikten, wobei die lokalen Behörden häufig nicht einschreiten. Von schätzungsweise 2,1 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen sind im vergangenen Jahr ca. 250.000 an ihre Herkunftsorte zurückgekehrt, von denen der größte Teil Binnenvertriebene sind. Etwa 80 % der Bevölkerung leben weitgehend von humanitärer Unterstützung. In der industriellen Produktion, die auf ca. 8-12 % des Vorkriegsniveaus gesunken ist, sind ca. 5 % beschäftigt. Hinzu kommen 250.000 demobilisierte Soldaten, die nur schwer einen Arbeitsplatz finden. Ca. 60 % des Wohnungsbestandes sind zerstört oder stark beschädigt. Rücksiedlungsprojekte werden von örtlichen Behörden blockiert. Tagsüber aufgebaute Häuser werden nachts wieder abgerissen. Nach wie vor lebt eine große Zahl von Binnenflüchtlingen in Sammellagern, wie Kasernen, Turnhallen und Schulen. Vielerorts stößt eine Rückkehr ethnischer Minderheiten auf Widerstand. Trotz gewährter finanzieller Hilfen durch die internationale Staatengemeinschaft kommt der Wiederaufbau nicht voran. Dies gilt insbesondere auch für das deutsche Vorzeigeprojekt im Kanton Una Sana, das bisher lediglich finanziell bewilligt ist, jedoch noch nicht ansatzweise in die Tat umgesetzt wurde. Sowohl von staatlicher als auch nicht staatlicher Seite werden Rückkehrmöglichkeiten bestimmter Volkszugehöriger unterbunden. Da die Infrastruktur des Landes nicht in der Lage ist, eine größere Zahl von Rückkehrern aufzunehmen, würden Massenabschiebungen zu einer weiteren Destabilisierung vor Ort führen. Angesichts fehlender Arbeitsplätze und Wohnraums wären die Betroffenen kurz- bis mittelfristig von der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und humanitärer Unterstützung abhängig. Trotz gegenteiliger Äußerungen der bosnischen Verwaltung gibt es große Schwierigkeiten bei der Registrierung der RückkehrerInnen durch die Gemeindeverwaltungen, die Voraussetzung für finanzielle Hilfe zum Leben ist. Viele Gemeinden verweigern die Registrierung bei Flüchtlingen, die versuchen, in einer anderen als ihrer Heimatgemeinde Aufnahme zu finden. Abgesehen von der hier allgemein beschriebenen Situation in der Föderation sind darüber hinaus bestimmte Personengruppen gefährdet, so z.B. bi-ethnische Familien, gegen die insbesondere in ländlichen Gebieten Vorbehalte bestehen. Eine weitere Gruppe, die mit verschärften Sanktionen rechnen muß, sind Deserteure. Trotz der Verabschiedung eines Amnestiegesetzes kommt es zu Verhaftungen. Nach dem gültigen Strafgesetzbuch steht Desertion im Kriegszustand nach wie vor unter schwerer Strafe, bis hin zur Todesstrafe. In der Republik Srpska ist die Situation in allen Bereichen noch schwieriger als hier dargestellt. Darüberhinaus weigert sich die serbische Führung, Nicht-Serben und Serbinnen aufzunehmen. Angesichts dieser Fakten ist es unverantwortlich, Bürgerkriegsflüchtlinge unter Zwang nach Bosnien, Herzegowina und in die Republik Srpska abzuschieben. Von daher ist es unerläßlich, die geplanten Abschiebungen nach Bosnien zu stoppen und sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, den unrealistischen Zeitplan für die Rückkehr der Flüchtlinge zurückzunehmen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dieses schon durch die Verlängerung des Abschiebungsstopps bis zur nächsten Innenministerkonferenz getan. Statt weiterhin Druck auf die Flüchtlinge auszuüben, ist es dringend erforderlich, die Bedingungen für eine freiwillige Rückkehr zu schaffen und in Zusammenarbeit mit bosnischen Stellen, internationalen und nichtstaatlichen Organisationen, Kommunen sowie den Flüchtlingen selbst Wiederaufbauprojekte in die Wege zu leiten. (Hannover, den 10.06.97) A n m e rk u n g : A u c h d i e s e r g u tg e m e i n te A n tra g l ä ß t j e d e Ä u ß e ru n g z u e i n e m s e l b s tv e rs tä n d l i c h e n B l e i b e re c h t v e rm i sse n . R e d . FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 BÜRGERKRIEGS-FLÜCHTLINGE D ie 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen hat am 2. Juni 1997 durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Kaiser als Einzelrichterin beschlossen: Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller 4 A 4228/97 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.05. 1997 wird insoweit angeordnet, als den Antragstellern die Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina angedroht worden ist. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Gegenstandswert beträgt 4.500,00 DM. Gründe I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gleichzeitig erhobenen Klage (4 A 4228/97) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. 05. 1997 ist gemäß §§ 75, 71 Abs. 4, 36 Abs. 3 Asyl-VFG i. V. m. §80 Abs. 5 VwGO zulässig und mit dem tenorierten Ausspruch begründet. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung zwischen dem öffentlichen Interesse am Vollzug des angefochtenen Bescheides und dem privaten Interesse der Antragsteller bis zur Entscheidung in der Hauptsache von der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen verschont zu werden, geht zugunsten der Antragsteller aus. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen bezüglich der Abschiebungsandrohung nach Bosnien-Herzegowina ernstliche Zweifel i. S. v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG. Deutschland und der Bundesregierung der Bundesrepublik Jugoslawien über die Rückführung und Rückübernahme von ausreisepflichtigen deutschen und jugoslawischen Staatsangehörigen (MBI. 1997, 133) heißt es hierzu, daß der Besitz eines jugoslawischen Passes noch kein Nachweis über die jugoslawische Staatsangehörigkeit ist. Soweit der im Paß eingetragene Wohnort außerhalb des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Jugoslawien liege, sei dies ein Indiz dafür, daß es sich nicht um einen jugoslawischen Staatsangehörigen handele. Hierzu gehörten insbesondere Personen, denen man in Jugoslawien aus humanitären Gründen" einen jugoslawischen Paß ausgestellt habe. Es handele sich hierbei fast ausschließlich um bosnische Staatsangehörige serbischer Volkszugehörigkeit, die keinen bosnischen Paß mehr besäßen und die Ausstellung auch nicht beantragen wollten, weil sie sich als Serben fühlten. Im Hinblick darauf, daß die Antragsteller entsprechend ihren bisherigen Angaben (bestätigt durch den Besitz der jugoslawischen Reisepässe) serbische Roma aus dem Gebiet der Föderation Bosnien und Herzegowina sind, begegnet die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach Bosnien und Herzegowina ernstlichen Zweifeln. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, für die Antragsteller ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen, begegnet schon aus den im Bescheid genannten Gründen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 Asyl-VFG) keinen rechtlichen Bedenken. Die Antragsteller stammen aus dem heute bosniakisch dominierten Volovo. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30.01.1997 ist eine Rückkehr von Serben sowohl in kroatisch als auch in bosniakisch dominierte Gebiete der Föderation praktisch nicht möglich. Unter Berufung auf Auskünfte von UNHCR wird im Lagebericht mitgeteilt, daß Rückkehrmöglichkeiten für Vertriebene serbischer Nationalität in die Föderation weitgehend sowohl von staatlicher als auch von nichtstaatlicher Seite unterbunden würden. (...) Nach dem Erlaß des Nds. MI vom 29.11.1996 zur. Umsetzung des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Soweit die Antragsteller sich grundsätzlich bei einer Rückkehr auf die serbisch dominierte Republik Srpska (RS) verweisen lassen Serbische Roma dürfen nicht nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden Verwaltungsgericht Göttingen Aktenzeichen: 4 B 4229/97 müssen, sind nach dem Lagebericht aus dem Ausland zurückkehrende Serben wegen Zweifel an ihrer Loyalität gegenüber der RS-Regierung nur bedingt willkommen. Im übrigen sind die Lebensbedingungen in der RS deutlich schlechter als in der Föderation. Viele Flüchtlinge leben dort unter völlig unzureichenden Bedingungen in Sammellagern. Rückkehrer in die RS haben danach nur sehr geringe Chancen aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt zu verdienen und der überwiegende Teil der internationalen Wiederaufbauhilfe konzentriert sich auf die Föderation. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen bezüglich der Abschiebungsandrohung nach BosnienHerzegowina ernstliche Zweifel. Es bestehen nach alledem Anhaltspunkte dafür, daß ein zwingendes Abschiebungshindernis aus § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für die Antragsteller zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung insoweit führt, als BosnienHerzegowina in der Androhung nicht als Staat ausgeführt ist, in den die Abschiebung nicht erfolgen darf (§ 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG). Entsprechendes hat die Kammer mit Beschluß vom 20.05.1997 im Verfahren 4 B 4215/97 für einen Bosniaken aus Bijeljina in der RS entschieden. Nach alledem war dem gegen die Abschiebungsandrohung gerichteten Eilantrag zu entsprechen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG. 51 BÜRGERKRIEGS-FLÜCHTLINGE Verfahren Rückübernahmeabkommen Jugoslawien, freiw. Ausreisen Bundesinnenministerium* B Die jugoslawische Seite machte erneut deutlich, daß sie nicht zur Rückübernahme von bosnischen Kriegsflüchtlingen, denen aus humanitären Gründen jugoslawische Pässe ausgestellt wurden, bereits ist. etr.: Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesregierung der Bundesrepublik Jugoslawien über die Rückführung und Rückübernahme von ausreisepflichtigen deutschen und Jugoslawien Staatsangehörigen (Rückübernahmeabkommen) hier. 1. Sitzung des Expertenausschusses Am 30./31. Januar 1997 fand in Belgrad die 1. Sitzung des gemäß Artikel 8 des Rückübernahmeabkommens eingerichteten deutsch-jugoslawischen Expertenausschusses statt. Die jugoslawische Seite hat bekräftigt, ihren Verpflichtungen aus dem Rückübernahmeabkommen ohne Einschränkungen nachkommen zu wollen. Bei der praktischen Durchführung ergeben sich jedoch derzeit folgende Probleme: 1. Wird mit dem Ersuchen auf Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit von den deutschen Stellen ein Originalpaß übersandt, so verfährt das jugoslawische Bundesministerium für innere Angelegenheiten wie folgt. - Wird Ersuchen positiv beschieden, so wird der Paß einbehalten, * Schreiben vom 05.02.1997 an die Innenminister /-senatoren der Länder; leicht gekürzt siehe auch nds. Umsetzungserlaß in FLÜCHTLINGSRAT 2/97 52 für die Rückübernahme wird von den diplomatisch-konsularischen Vertretungen der Bundesrepublik Jugoslawien in der Bundesrepublik Deutschland ein Paßersatzpapier ausgestellt. Die betroffene Person erhält ihren Paß erst nach Einreisein die Bundesrepublik Jugoslawien zurück. - Wird das Ersuchen negativ beschieden, ebenfalls wird der Paß einbehalten, da die jugoslawische Seite in diesen Fällen von einer Ungültigkeit des Passes ausgeht. - Eine Zurücksendung des Originalpasses kann nach jugoslawischer Auffassung nur dann erfolgen, wenn die Überprüfung ergibt, daß es sich bei der betreffenden Person um einen Kriegsflüchtling aus Bosnien und Herzogowina handelt, dem aus humanitären Gründen ein jugoslawischer Paß ausgestellt worden ist. In der Regel sollte daher von der Übersendung von Originalpässen abgesehen und der Weg der Glaubhaftmachung mittels Paßkopie gewählt werden. 2. Die jugoslawische Seite besteht auch bei freiwilliger Ausreise auf Prüfung der Staatsangehörigkeit und Identität des Rückkehrers. Die Rückreise kann nur mit einem von der diplomatisch-konsularischen Vertretung ausgestellten Paßersatzpapier erfolgen. Die zu 1. gemachten Ausführungen gelten daher auch für freiwillig Zurückkehrende. 3. Wird ein von der Abschiebung bedrohter jugoslawischer Staatsangehöriger in einer diplomatisch-konsularischen Vertretung vorstellig, um seine freiwillige Ausreise einzuleiten, so ist die Botschaft oder das Konsulat bereit, auf Antrag eine Bescheinigungen über diese Vorsprache auszustellen. Bisher von den deutschen Behörden verwendete Vordrucke, mit denen die diplomatisch-konsularischen Vertretungen die persönliche Vorsprache bestätigten sollten, werden seitens Jugoslawiens nicht akzeptiert. Sie werden von dort als Fälle der unfreiwilligen Ausreise an- gesehen. Daher sollten solche Vordrucke auch nicht mehr verwandt werden. 5. Zur Frage der Rückführung von Personen, die in gemischt-nationaler Ehe leben, vertritt die jugoslawische Seite die Auffassung, daß ein Verfahren gemäß dem Rückübernahmeabkommen nur für den Ehepartner mit jugoslawischer Staatsangehörigkeit eingeleitet werden kann. Gleiches gilt für diejenigen Kinder, deren Geburt in Deutschland in den diplomatisch-konsularischen Vertretungen zur Eintragung ins Geburtenregister angemeldet worden ist. Der nicht-jugoslawische Ehepartner unterfällt dem jugoslawischen Ausländerrecht und muß ein Einwanderungsvisum beantragen. 6. Die jugoslawische Seite machte erneut deutlich, daß sie nicht zur Rückübernahme von bosnischen Kriegsflüchtlingen, denen aus humanitären Gründen jugoslawische Pässe ausgestellt wurden, bereits ist. Sie bittet von Rückübernahmeersuchen betreffend dieses Personenkreises abzusehen. Ist die Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis aus dem deutschen Behörden vorliegenden Unterlagen nicht eindeutig zu erkennen, so ist die jugoslawische Seite zur Entgegennahme des Ersuchens und zur Prüfung der Staatsangehörigkeit und Identität der betroffenen Personen bereit. 7. Gemäß Artikel 5 Abs. 1 des Rückübernahmeabkommens haben die Rückführung und Übernahme von Personen gleichmäßig und kontinuierlich zu erfolgen. Die jugoslawische Seite bittet, diese Prinzipien auch bei der Übermittlung der Ersuchen anzuwenden. In Anbetracht der z.Zt. in großem Umfang eingehenden Ersuchen sieht sie sich nicht in der Lage, die im Abkommen sowie im Durchführungsprotokoll vorgesehenen Fristen einzuhalten. Ich bitte, die zuständigen Behörden entsprechend zu unterrichten. Im Auftrag ... FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 BÜRGERKRIEGS-FLÜCHTLINGE 1 993: G. flieht aus dem serbisch besetzten Kosova und kommt nach Deutschland; als Flüchtling aus Rest-Jugoslawien" erhält er eine Duldung. 1994: G.s Duldung wird nur noch wochenweise verlängert, um G.s Bemühungen um die Paßbeschaffung durch die jugoslawischen" Behörden zu forcieren. Im Juni stellt G. auf Anraten seiner Freundin einen Asylantrag; zu diesem Zeitpunkt geht das OVG Lüneburg von einer Gruppenverfolgung der Kosova-Albaner aus. Er muß von seiner Unterkunft in der Innenstadt Hannovers in die ZAST Langenhagen ziehen und erhält dort statt der Sozialhilfe ein Taschengeld von 16 DM wöchentlich. Vor der Anhörung wird die Freundin aus dem Anhörungszimmer geschickt; der Angestellte des Bundesamtes verweigert die Einholung einer Erlaubnis durch den Stellenleiter; während der Anhörung unterstellt er G., daß er lüge - Was würden Sie dazu sagen, wenn ich Ihnen nicht glaube?" und erklärt, daß er als Laie nicht verstehen könne, wie auf Fotos aus erhöhter Perspektive Einzelpersonen zu erkennen sein können; (G. erklärt, daß die Polizei ihm bei seiner Verhaftung ein Demonstrationsfoto vorgelegt hätte);bei der Protokollverlesung fordert der Dolmetscher G. auf, das Protokoll ohne die von G. geforderte Berichtigungen zu unterschreiben. Das Protokoll von G.s Anhörung geht zur Entscheidung nach Bielefeld, während das Bundesamt in Langenhagen inzwischen auch schon von einer Gruppenverfolgung der Kosova-Albaner ausgeht. Der Anhörer": Du kommst hier nicht so einfach durch, dafür sorge ich!" Im Juli reicht G. durch seine Anwältin ein ärztliches Attest nach, daß Brandnarben an G.s Beinen konstatiert. Im September erfolgt die Ablehnung von G.s Asylantrag; sein Vortrag sei unsubstantiiert; das Attest findet keine Erwähnung; die Rechtsanwältin legt Widerspruch ein. Einziger Lichtblick: G. wird umverteilt und darf in die Wohnung seiner Freundin ziehen. Ende Oktober erkennt das VG Hannover G. als asylberechtigt aufgrund der Gruppenverfolgung in Kosova an. Ebenfalls im Oktober hob aber das BVG die Rechtsprechung des OVGs auf, indem es eine Gruppenverfolgung in Kosova verneint. G. muß abwarten, daß seine Anerkennung rechtskräftig wird. 1995: Im Januar unterrichtet der Bundesbeauftragte für die Anerkennung Ausländischer Flüchtlinge G. s Anwältin (die Kanzlei hatte inzwischen eine andere angestellt), daß er (im November!) die Zulassung zur Berufung beantragt habe - damit wird das Urteil des VG nicht rechtskräftig. Ende Dezember entscheidet das OVG Lüneburg, daß der Widerspruch zulässig sei - im Unterschied zu früheren Zulassungsanträgen, die das OVG zurückgewiesen hatte, hat der Bundesbeauftragte in seine Begründung zu G.s Fall inzwischen einen entscheidenden neuen Passus aufgenommen. 1996: Im Juli erkunden sich G. und seine Freundin beim Standesamt über die für eine Heirat notwendigen Papiere; ihnen wird erklärt, daß man auf das laufende Asylverfahren keine Rücksicht nehmen könne; er habe also seinen Paß, seine Geburtsurkunde und eine Ledigkeitsbescheinigung vorzulegen, letztere mit einem Bestätigungsstempel des zuständigen Gerichtes (Apostille); könne er die nicht bekommen, sei eine entsprechende Negativbescheinigung der zuständigen Behörden erforderlich. Im übrigen hätten andere Kosova-Albaner die Papiere schließlich auch besorgen können. 1997: Nach drei Monaten illegalen Aufenthalt im Kosova gelingt es G. mit entsprechendem Geldaufwand einen über ein Jahr gültigen Paß sowie die anderen benötigten Urkunden samt der Apostille" zu erhalten - zuvor wurde die Polizeiliste ebenfalls durch einen angemessenen Geldbetrag von G.s Namen gecleant". Als die Papiere dem Standesamt Hannover im Februar vorgelegt werden, wird ihnen mitgeteilt, daß inzwischen eine Ledigkeitsbescheinigung nicht mehr ausrei- Lotteriespiel Asyl und weiterer Behördenärger Chronik eines Einzelfalls" Christine Polzer che - ein Ehefähigkeitszeugnis" sei notwendig, das dann auch noch von der deutschen Botschaft im betreffenden Land bestätigt (legalisiert") werden müsse. Glücklicherweise ist die mitgebrachte Ledigkeitsbescheinigung eigentlich sogar schon das gewünschte Ehefähigkeitszeugnis. Es fehle also nur noch der Stempel der deutschen Botschaft in Belgrad. Später stellt sich heraus, daß das zuständige OLG ein Ehefähigkeitszeugnis erst ab 1. April des Jahres verlangt, doch das hannoversche Standesamt es schon ab dem Februar eingefordert habe, da bis zum 1. April keine Aufgebotsbestellung mehr angenommen werden könne. G. schickt das Papier also per Einschreiben an die Kurierstelle des Auswärtigen Amtes in Bonn. Dort kommt es nie an. Im März erklärt die Deutsche Post AG das Schreiben als endgültig verschollen gegangen; als Entschädigung werden 54,50 DM überwiesen. Die Standesbeamtin, der das Originalpapier vorgelegen hatte, sähe noch eine Möglichkeit", bekommt aber von ihrer Leiterin keine Zustimmung für ihren Plan: Die Erstellung des Aufgebots wird trotz der Verlustbestätigung durch die Post verweigert. Als G. und seine Freundin daraufhin ein Gespräch mit der Leiterin einfordern, läßt sich diese die vorhandenen Papiere vorlegen. G. zeigt seinen Paß vor, woraufhin die Leiterin beim gegenüberliegenden Ordnungsamt anruft; die zuständige Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde kassiert den Paß ein. Ende Februar hatte unterdessen die Berufungsverhandlung vor dem OVG stattgefunden. Erstmals seit der Anhörung wird wie53 BÜRGERKRIEGS-FLÜCHTLINGE der über die individuelle Verfolgungsgeschichte entschieden. Das Gericht urteilt, daß diese nicht glaubwürdig sei - aufgrund einer Demonstrationsteilnahme werde auch in Kosova niemand verhaftet und außerdem halte sich kein wirklich politisch Verfolgter ein Jahr in Deutschland auf, bevor er erst dann einen Asylantrag stelle. Das Attest, in dem auch die Verfolgungsgeschichte G.s beschrieben wird, wird als im wesentlichen nicht medizinischen Inhalts" abgetan. Daß oder ob G. Flugblätter verteilt habe, ist offenbar unerheblich; er sei nicht verhaftet worden und könne somit auch nicht die beschriebenen Folterungen erlitten haben. Kosova: März 1997 dokumentiert, die nach ihrer Ankunft von der serbischen Polizei verhört, verhaftet und mißhandelt wurden. Menschenrechtslage in Kosova dramatisch und besorgniserregend: Dokumentation von PRO ASYL belegt Rückkehrgefährdung Aussetzung und Annullierung des Abkommens gefordert PRO ASYL* A Die Broschüre "Kosovo - Kosova. Fluchtursachen, Asylpraxis, Materialien zur Rückkehrgefährdung" ist ab sofort beim Förderverein PRO ASYL e.V., PF 10 18 43 60018 Frankfurt am Main zum Preis von DM 13,- erhältlich. ls "dramatisch und äußerst besorgniserregend" bezeichnete PRO ASYL, die Menschenrechtslage in Kosova ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Rückführungsabkommens zwischen Deutschland und der Bundesrepublik Jugoslawien. Eine soeben fertiggestellte Dokumentation von PRO ASYL belege - so der Autor und Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, Michael Stenger: "daß Flüchtlinge aus Kosova bei ihrer Rückkehr nachweislich Verhören, Verhaftungen und zunehmend körperlichen und psychischen Mißhandlungen ausgesetzt sind." In der Broschüre sind mehr als 40 Beispiele von Rückkehrer/inne/n zwischen September 1996 und * Presseerklärung vom 1. Juni 1997 54 Unterdessen hat G.s Bruder das erforderliche Papier ein zweites Mal recht zügig besorgen können; ein Verwandter bringt es Die `Urgent Actions´ von amnesty international wegen drohender Mißhandlung und mutmaßlichen staatlichen Mordens sind ebenso wie die Berichte des "Rates zur Verteidigung der Menschenrechte und Freiheit" (KMDLNJ) in Prishtina aufgenommen, eine der wichtigsten Menschenrechtsgruppen in Kosova, deren Aussagen auch vom Auswärtigen Amt als "verläßliche Quelle" eingestuft werden. Danach registrierte der Menschenrechtsrat in Kosova allein für das Jahr 1996 unter anderem: 14 Todesfälle in Polizeihaft oder Gefängnis, 14.919 Mißhandlungsfälle, 1.712 Fälle willkürlicher Inhaftierung 5.197 Fälle von Folter, 240 Fälle von Gewalttaten gegenüber Kindern, 269 Mißhandlungen von Frauen. Michael Stenger: "Fast täglich erreichen uns neue Meldungen über Menschenrechtsverletzungen; fast täglich erhalten wir Belege dafür, daß serbische Polizei gegen die Bürger/innen albanischer Abstammung vorgeht, ihnen droht, sie festnimmt oder mißhandelt." Dies gelte selbst für "freiwillig" zurückkehrende Arbeitsmigrant/inn/en und gehe bis zur Sippenhaft bei Desertion: "Einer der erschütterndsten Fälle der Dokumentation ist der Fall der Familie Gashi, deren Familienangehörige - Mutter und kleine Geschwister - nach der Flucht des nach Deutschland. Diesmal gehen G. und C. zum Standesamt im Ort der Nebenwohnung von C., das in einem anderen Bundesland liegt. Dort, so haben sie erfahren, reicht es noch aus, eine Ledigkeitsbescheinigung vorzulegen. Diese muß nicht an die Botschaft, sondern muß dem OLG vorgelegt werden. Dieses hat sieben Wochen später die Papiere überprüft. Am Freitag, den 13. Juni, heiraten G. und C.. Vaters und zweier erwachsener Söhne nach Deutschland (Deserteure) von der Polizei mehrfach bedroht und geschlagen wurden. Der 14-jährige Bruder wurde zehn Tage inhaftiert, mißhandelt und erst nach Zahlung eines Lösegeldes wieder freigelassen." Stenger: "Das Rückführungsabkommen gefährdet nicht nur die jeweils Betroffenen, sondern bewegt die jugoslawische Seite ganz offensichtlich zu einer noch schärferen Gangart in Kosova. Bonn darf diese explosive Stimmung nicht noch weiter anheizen!". PRO ASYL erklärte: "Bonn muß endlich begreifen, daß internationale Alleingänge bei der Frage der Rückführung von Flüchtlingen, Abkommen ohne international überprüfbare Garantien für die Sicherheit der Rückkehrer/innen und ohne die Einbeziehung der zuständigen Gremien wie UNHCR und der Vertretung kosova-albanischer Organisationen, sich kontraproduktiv auf Menschenrechte und Flüchtlingsschutz auswirken!" Angesichts dieser anhaltend instabilen und gefährlichen Lage in Kosova und der nachweislich vorhandenen Rückkehrgefährdung für Flüchtlinge fordert PRO ASYL die unverzügliche Aussetzung und Annullierung des Abkommens. Die Broschüre "Kosovo - Kosova. Fluchtursachen, Asylpraxis, Materialien zur Rückkehrgefährdung" ist ab sofort beim Förderverein PRO ASYL e.V., PF 10 18 43 60018 Frankfurt am Main zum Preis von DM 13,- erhältlich. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 BÜRGERKRIEGS-FLÜCHTLINGE D ie Warnungen des bosnischen Flüchtlingsministers Rasim Kadic vor Massenabschiebungen, die in Bosnien-Herzegowina zu massiven politischen und sozialen Spannungen führen werden, stoßen bei Innenminister Glogowski auf taube Ohren. Der Wunsch der bosnischen Regierung nach freiwilliger und vorbereiteter Rückkehr der Bürgerkriegsflüchtlinge in ihre angestammten Orte wird auf makabere Art und Weise zur Vorbereitung und Legitimierung von Massenabschiebungen mißbraucht. Bosnien-Herzegowina ist immer noch zu 50-60% zerstört. Die industrielle Produktion beträgt 8 12% des Vorkriegsstandes. 60% des Wohnraums sind zerstört oder schwer beschädigt. 8O% der Bevölkerung leben von humanitärer Unterstützung. Die Arbeitslosigkeit liegt zwischen 70 und 80% im Landesdurchschnitt. In Bosnien-Herzegowina leben zur Zeit etwa 750.000 Binnenflüchtlinge. Weite Gebiete des Landes sind durch die Verminung wirtschaftlich nicht nutzbar (1-3 Millionen Minen nach Schätzung des UNHCR). Im Durchschnitt werden jeden Monat 50 Menschen durch Minen getötet oder verletzt. (Quellen: u.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes v 30 011997; Bundesministerium der Verteidigung, 16.01.1997). Zwischen Dagebliebenen, Binnenflüchtlingen und aus dem Ausland Zurückkehrenden entwickeln sich Gegensätze, die das Zusammenleben erschweren. Die Auswirkungen der Rückkehr werden nicht erfaßt, so daß entstehender sozialer Sprengstoff nicht rechtzeitig entschärft werden kann. Dies gefährdet die beginnende Stabilisierung im Land. Es ist festzustellen, daß eine Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur in Einzelfällen möglich ist. Die Rückkehr einer großen Zahl von Flüchtlingen würde das zerstören, was mit der Aufnahme der Menschen in Deutschland geleistet wurde. Der überwiegende Teil der bosnischen Flüchtlinge wird dann sofort zurückkehren, wenn es mög- lich ist, an ihre Heimatorte zurückzukehren. Dennoch wird durch den neuen niedersächsischen Erlaß vom 14 04.1997 ein Druck zur freiwilligen Rückkehr" ausgeübt, der an Psychoterror grenzt und zu einer Retraumatisierung vieler Flüchtlinge durch die erneute Vertreibung führen kann. Unter diesem Druck der Androhung von Abschiebungen von freiwilliger Rückkehr" zu sprechen, grenzt an Zynismus. Die deutschen Behörden verlagern die Verantwortung für die im Abkommen von Dayton und im Rückkehrabkommen zugesagte Rückkehr in die Heimatorte in vollem Umfang auf die Zentralregierung von Bosnien-Herzegowina, obwohl bekannt ist, daß diese keinen Zugriff auf das serbisch besetzte Gebiet (Republika Srpska) hat, aus der allein 60% der in Deutschland lebenden Flüchtlinge stammen. Eine Klärung der jeweiligen Wohnraumsituation, von der die notwendigen Lebensgrundlagen abhängig sind, ist nach dem neuen Erlaß für Abschiebungen nicht erforderlich. Diese in höchstem Maße unmoralische und unverantwortliche Umgehensweise mit Bürgerkriegsflüchtlingen leistet sich in ganz Europa einzig die BRD. Die Behauptung des Innenministeriums, es sei für jeden bosnischen Flüchtling möglich, sich in einem Gebiet niederzulassen, in dem seine Volkszugehörigkeit die Mehrheit hat ist schlichtweg falsch! Fast alle Städte und Gemeinden in Bosnien-Herzegowina sind nur dann bereit, Flüchtlinge aufzunehmen und zu registrieren, wenn sie bereits vor dem Krieg ihren Wohnsitz dort hatten. Daher ist es so gut wie unmöglich, sich in einem anderen als dem Heimatort registrieren zu lassen. Aber auch eine Rückkehr in die ursprünglichen Heimatorte scheitert oftmals daran; daß die Fristen, um frühere Wohnrechte oder Wohneigentum zurückzufordern, inzwischen abgelaufen sind und der Wohnraum an Binnenvertriebene weitergegeben wurde. Rückkehrer erhalten diese Wohnungen nicht zurück. Ohne Wohnraum können sie sich je- Erlaß: SPD-Regierung schafft bayrische Verhältnisse in Niedersachsen Frauenhilfe Bosnien und Arbeitskreis Asyl* doch nicht registrieren lassen. Die Registrierung ist jedoch die elementare Voraussetzung, ohne die keine Lebensgrundlage besteht. Wohin die Familien zurückkehren können, die aus unterschiedlichen Volksgruppen kommen, läßt der Erlaß offen, stellt nur sarkastisch fest, daß auch sie zurückgeführt" werden können. Bezahlt Herr Glogowski den Scheidungsanwalt und versorgt er die Trennungskinder? Vor dem Hintergrund dieser realen Situation wird deutlich, daß der Erlaß aus einer Mischung von Verdrehungen, Unterstellungen, Zynismen, Naivitäten, Lügen und Halbwahrheiten zusammengesetzt wurde, der sich über alle Erkenntnisse des UNHCR und anderer Hilfsorganisationen hinwegsetzt sowie alles Reden von humanitärer Flüchtlingspolitik Lügen straft. Von der Zumutbarkeit" einer freiwilligen Rückkehr für alle Flüchtlinge zu sprechen, zeigt deutlich die Gesinnung unseres Herrn Innenministers. Dieses Handeln von Innenminister Glogowski und seiner Kollegen ist nur möglich, wenn wir alle schweigen: Wir fordern jede und jeden auf, beim Innenministerium (Lavesallee 6, 30169 Hannover) und bei den Landtagsabgeordneten gegen diesen Erlaß und gegen Abschiebungen von bosnischen Flüchtlingen zu protestieren. Keine Abschiebungen nach Bosnien-Herzegowina! Rückkehr in Freiwilligkeit und Würde! * V. Stüben c/o Aktionszentrurn, Bernhardstr 48, 27472 Cuxhaven; (Text gekürzt) 55 NIEDERSÄCHSISCHE HÄRTEFALLREGELUNG Forderung an den niedersächsischen Innenminister Glogowski: Keine Abschiebung der Familien Aka, 2. Familie Bashir Familie Bashir reiste im August in die Bundesrepublik ein. Bashir, Dogan und Sincar! 1989 Die Familie gehört der Ahmadiyya Bleiberechtsregelung von 1996 muß angewandt werden Wir wenden uns mit unserem Aufruf gegen die drohende Abschiebung von mindestens vier Flüchtlingsfamilien, die mit ihren Kindern seit 8 bis 11 Jahren im Bundesgebiet leben und in die deutschen Lebensverhältnisse vollintegriert sind. Die Abschiebungen werden vorbereitet, obwohl die Bleiberechtsregelung aus dem Jahr 1996 ein Aufenthaltsrecht für langjährig im Bundesgebiet lebende Flüchtlinge vorsieht: Wer vor dem 01.07.1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und eine Arbeit nachweisen kann, soll der Bestimmung zufolge eine Aufenthaltsbefugnis erhalten. Dennoch haben die zuständigen Ausländerbehörden allein drei der vier Familien leben im Landkreis Hannover, die vierte Familie kommt aus dem Landkreis Goslar die Erteilung eines Bleiberechts mit unsäglichen Begründungen verweigert. Das Schicksal der Familien stellt sich im Einzelnen wie folgt dar: 1. Familie Aka Im September 1986 reiste die Familie Aka ins Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Nach rechtskräftiger Ablehnung ihres Asylantrags durch das OVG Lüneburg am 20.11.1989 wurde Familie Aka jedoch nicht abgeschoben, sondern jahrelang weiterhin geduldet, teils wegen einer im Dezember 1990 an den niedersächsischen Landtag gerichteten Petition, teils wegen jeweils bestehender Abschiebungsstopps für Kurden aus der Türkei oder wegen der für die Kinder Sükriya und Even betriebenen Asylverfahren. Nach Aufhebung des Abschiebungsstopps beantragte die Familie am 28.6.1994 erneut die Anerkennung als Asylberechtigte. Auch dieser zweite Asylantrag wurde schließlich mit der Entscheidung des VG Hannover vom 02.07.1996 abgelehnt. Den im September 1996 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach der Bleiberechtsregelung lehnte der LK Hannover am 30.01.1997 mit der Begründung ab, die Familie habe sich nicht in die hiesige 56 wirtschaftliche, soziale und rechtliche Ordnung integriert". Gegen diese Einschätzung hat die Petrus-Kirchengemeinde Barsinghausen heftig protestiert. Auch der Arbeitgeber von Herrn Aka gab zu Protokoll, Herr Aka gelte in ihrer Firma als äußerst zuverlässiger und versierter Mitarbeiter" mit einem guten und freundschaftlichen Kontakt zu seinen Kollegen". Der Landhof Hülsemann, bei dem Frau Aka stundenweise arbeitet, bestätigte, Frau Aka werde als zuverlässige und fleißige Kraft" geschätzt und solle daher weiterhin beschäftigt werden. Alle diese Gründe vermochten das Verwaltungsgericht Hannover jedoch nicht zu überzeugen: Herr Aka sei, so die skandalöse Begründung, nicht durchgängig" einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Außerdem habe die Familie mehrfach Asyl beantragt und auch daher keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Um der Abschiebung zu entgehen, rettete sich die Familie Aka ins Kirchenasyl nach Barsinghausen. Die eingelegte Petition für ein Aufenthaltsrecht der Familie Aka wurde am 20.6. im Landtag ohne jede Aussprache abgelehnt. -Glaubensgemeinschaft an. Angehörige dieser moslemischen Religionsgemeinschaft werden in Pakistan nach wie vor verfolgt. Jahrelang wurden Ahmadiyya durch niedersächsische Gerichte als Gruppenverfolgte anerkannt. Der Asylantrag der Familie Bashir scheiterte erst im Sommer dieses Jahres vor dem Bundesverwaltungsgericht. Den daraufhin gestellten Antrag auf Erteilung eines Bleiberechts nach der Bleiberechtsregelung lehnte der Landkreis Goslar ab. Es fehle an erkennbaren Integrationsbemühungen", so die skandalöse und sachlich unhaltbare Begründung für die Ablehnung des Antrags auf Erteilung eines Bleiberechts, welche von der Bezirksregierung Braunschweig bestätigt wurde. Tatsächlich ist Familie Bashir weitgehend in den deutschen Lebensalltag integriert. Die Kinder sind in der Ausbildung oder gehen in deutsche Schulen. Sie kennen ihre sog. Heimat" nur vom Hörensagen, sprechen fließend deutsch und können sich ein Leben in Pakistan nicht vorstellen. Der Vater Ahmed Bashir hat sich mehrfach intensiv um Arbeit bemüht und 1995 u.a. eine Ausbildung zum Taxifahrer absolviert. Leider erhielt er später keine Beschäftigung als Taxifahrer, da er ohne Aufenthaltsbefugnis nur über eine eingeschränkte Arbeitserlaubnis verfügt. Kurzzeitig konnte Herr Bashir in einer Pizzeria Capri" eine Anstellung als Spezialitätenkoch aufnehmen. Diese Arbeit mußte er jedoch wieder aufgeben, da die Arbeitserlaubnis auf Betreiben des LK Goslar nicht verlängert wurde. Inzwischen hat Herr Bashir jedoch eine ganze Reihe weiterer Arbeitsangebote vorlegen können, die er sofort antreten würde, wenn er eine neue Aufenthaltserlaubnis und damit verbundene Arbeitserlaubnis erhielte. Der Empfehlung des nds. Innenministeriums, Herrn Bashir eine Aufenthaltsbefugnis auf Probe" FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 NIEDERSÄCHSISCHE HÄRTEFALLREGELUNG zu erteilen, mochte der LK Goslar nicht folgen. Um der Abschiebung zu entgehen, floh Familie Bashir ins Kirchenasyl der ev.-reformierten Gemeinde Braunschweig. Eine für die Familie eingelegte Petition wurde schließlich im Landtag abgelehnt. Vorausgegangen waren spektakuläre Falschaussagen des Innenministers vor dem Landtag. 3. Familie Sincar Familie Sincar reiste am 6.9.1986 ins Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Sämtliche Asylanträge für alle Familienangehörigen wurden jedoch abgelehnt. Zwar gestand das Gericht zu, daß verschiedene politisch aktive Familienangehörige verfolgt und teilweise sogar ermordet worden waren, jedoch bestehe, so das Gericht, kein derartig enger räumlicher und zeitlicher Kontakt, daß Sippenhaft befürchtet werden müsse. In den vergangenen Jahren wurden mehrere Familienangehörige der Familie Sincar ermordet, darunter der ehem. HEP (später: DEP-) Abgeordnete Mehmet Sincar. Mit Schreiben vom 14.08.96 beantragte Familie Sincar unter Bezugnahme auf den Erlaß des MI vom 25.04.96 die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach der Härtefallregelung. Der Landkreis Hannover bestätigte daraufhin mit Schreiben vom 15.08.96 den Eingang des Antrags und erklärte, bis zum Abschluß der Prüfung würden keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eingeleitet. Diese Prüfung des LK Hannover dauerte lange: Erst am 25.02.1997 teilte der Landkreis mit, die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis sei wegen ergänzenden Sozialhilfebezugs nicht möglich. Dagegen ist festzuhalten, daß Familie Sincar nach eigener Aussage seit Oktober 1996 keine ergänzenden Sozialhilfeleistungen mehr in Anspruch nimmt. Die Familie bestreitet ihren Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit. Ein ggf. bestehender Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe wird von Familie Sincar nicht genutzt, er wäre auch unschädlich, wie aus dem Erlaß des MI vom 25.09.96 hervorgeht. 4. Familie Dogan Familie Dogan reiste im Dezember 1989 in das Bundesgebiet ein und beantragte ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Das Bundesamt lehnte diese Anträge mit Bescheid vom 17.12.1990 ab. Gegen den mit Datum vom 29.4.1991 zugestellten Bescheid erhob Familie Dogan Klage, welche mit Urteil vom 24.5.1993 abgewiesen wurde. Den Antrag, die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen, lehnte das OVG Lüneburg durch Beschluß vom 11.08.1993 ab. Zwischenzeitlich wurde die Familie wegen eines verhängten Abschiebungsstopps geduldet. Am 30.08.95 stellte Familie mit ihren sechs Kindern unter Bezugnahme auf den Antrag an den LK Hannover einen Folgeantrag beim Bundesamt. Dieser wurde abgelehnt. Aufgrund der über einjährigen Duldung erhielt Familie Dogan eine Frist zur Ausreise bis zum 13.05.96. Mit Schriftsatz vom 10.06.96 beantragte Familie Dogan die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gem. Bleiberechtsregelung. Obwohl die Familie seit über einem Jahr Arbeit nachweisen kann und seit Oktober 1996 in der Lage ist, ihren Lebensunterhalt vollständig aus eigener Kraft zu bestreiten, wurde ihr Antrag vom Landkreis Hannover mit der denkwürdigen Begründung abgelehnt, es könne nicht von einer Integration der Familie gesprochen werden, da eine Erwerbstätigkeit nicht durchgängig vorgelegen hat". Für den 26.6.1997 war die Abschiebung geplant. Der Landkreis Hannover hat zugestimmt, die Abschiebung wegen der laufenden Petition bis zur Sommerpause auszusetzen. Die Angehörigen der o.g. Familien leben seit mittlerweile 8 - 11 Jahren im Bundesgebiet und sind in die hiesigen Verhältnisse bestens integriert. Die Kinder gehen auf deutsche Schulen und kennen ihr Herkunftsland nicht. Vor diesem Hintergrund wäre es unmenschlich, die Familien abzuschieben. Wir möchten Sie daher bitten, sich unserer Forderung nach einem Bleiberecht für die hier genannten Familien anzuschließen: Zur Unterstützung der Forderung des Niedersächsischen Flüchtlingsrats läuft eine Unterschriftenaktion mit der Bitte an die Landesregierung, den Familien Aka, Bashir, Dogan und Sincar ein humanitäres Bleiberecht in Niedersachsen zu ermöglichen. Wir bitten um Hilfe für diese Aktion; Unterschriftslisten sind im Büro erhältlich. Spendenaufruf für Braunschweiger Kirchenasyl Das Kirchenasyl in Braunschweig sollte - entsprechend der Zusagen aus dem Niedersächsischen Innenministerium für eine positive Lösung dieses skandalösen Falles - eigentlich nur wenige Wochen dauern. Mittlerweile ist nicht mehr absehbar, wielange es dauern kann, bis die Familie den Schutz der Kirchengemeinde in Sicherheit verlassen kann. Die Verantwortlichen in Politik und Ministerialbehörde wollen keine Schwäche zeigen und setzen anstelle einer humanitären Entscheidung auf Zermürbung und Aushungern des Kirchenasyls. In der Tat belastet ein Kirchenasyl alle Beteiligten enorm. In Braunschweig sind durch die besondere Situation erhebliche finanzielle Mittel notwendig, für die die beteiligte Gemeinde nicht alleine verantwortlich bleiben sollte. Wir bitten deshalb herzlich um Unterstützung der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde in Braunschweig: Spenden bitte unter Stichwort Kirchenasyl an Pastor Kuhlmann KtoNr.: 21373-306 Postbank Hannover BLZ 250 100 30 57 NIEDERSÄCHSISCHE HÄRTEFALLREGELUNG Baden-Württemberg: Keine Abschiebung bei Petition Petitionsausschuß verteidigt Stillhalteabkommen gegen den Innenminister Fritz Schwab* Stuttgart - Innenminister Thomas Schäuble (CDU) ist mit seinen Plänen, Ausländer trotz laufender Petitionsverfahren abzuschieben, gescheitert. Der Petitionsausschuß des Landtags hat sich dieser Absicht erfolgreich widersetzt. Bei den Abgeordneten im Petitionsausschuß herrschte in den vergangenen zwei Wochen helle Empörung. Stein des Anstoßes war eine Kabinettsvorlage, die an die Öffentlichkeit gelangt war. Die Landesregierung hatte geplant, das mit dem Parlament vor fünf Jahren ausgehandelte Stillhalteabkommen für Bürgerkriegsflüchtlinge, ausländische Straftäter und Asylbewerber aufzukündigen. Der Schutz vor Abschiebung sollte zukünftig auch während eines laufenden Petitionsverfahrens entfallen. Doch in der Regierung hatte man nicht mit dem parteiübergreifenden Widerstand der Landtagsabgeordneten gerechnet, die das in der Verfassung verankerte Petitions-Grundrecht in seinem Kern gefährdet sahen. Nachdem das Stillhalteabkommen nun auf unbefristete Zeit bestehen bleibt, bewertet der Vorsitzende des Petitionsauschusses, Hans Freudenberg (FDP), diesen Erfolg des Parlaments als Sieg der Argumente und einen Erfolg für die beispielhafte Petitionskultur in Baden-Württemberg". Freudenberg spricht von einem sachlichen Gespräch"., * in der Nürtinger Zeitung/Wendlinger Zeitung vom 20.05.1997 58 das zwischen ihm und dem Innenminister stattgefunden habe. Dabei habe sich Schäuble von den guten Gründen für das derzeit praktizierte Stillhalteabkommen überzeugen lassen. Seit 1992 bewahrt eine Petition vom sofortigen Vollzug einer Abschiebung, wenn ein Mitglied des Petitionsausschusses gegen diese Maßnahme Einwände erhebt. Über hundert Fälle wurden so in den vergangenen Jahren zugunsten der betroffenen Personen entschieden. Ich konnte das Hauptargument der Regierung, nämlich die Sorge vor einer Verzögerung bei der Ausweisung, entkräften", beurteilt Freudenberg das Ergebnis des Vier-Augen-Gesprächs. Das Innenministerium befürchtet vor allem bei den Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien die Flucht in das Petitionsverfahren. Doch in der obersten Ausländerbehörde des Landes wird die Kontroverse mit dem Petitionsausschuß inzwischen gelassener gesehen. Man konzentriert sich auf die Fälle, die Schäuble derzeit heißer unter den Nägeln brennen. So hat das Ministerium allein gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) in den vergangenen Wochen 13600 Anfragen auf Rücknahme von Bürgerkriegsflüchtlingen gestellt. Gerade einmal 300 Landsleute will der Balkanstaat aber wieder aufnehmen, so eine Sprecherin des Innenministeriums. Im Vergleich dazu fallen die 122 ausländerrechtlichen Petitionen, die in den ersten drei Monaten dieses Jahres eingereicht wurden, kaum ins Gewicht. Politikverbot in Niedersachsen:* Petition hat keinen Status Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern während des Petitionsverfahrens beim Niedersächsischen Landtag Sehr geehrte Damen und Herren, mit Schreiben vom 14.04.1997 übersandten Sie mir vorab eine Durchschrift einer Eingabe an den Niedersächsischen Landtag mit der Bitte um Aussetzung aller Abschiebungen von straffällig gewordenen Jugendlichen, die im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen sind, zumindest bis zur Entscheidung über die Petition. Das Ausländergesetz (AuslG) regelt in § 55 die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung. es besteht die Möglichkeit, im öffentlichen Interesse die Durchführung von Abschiebungen gem. § 55 Abs. 3 AuslG vorübergehend auszusetzen. Von dieser Ermächtigung wird in Niedersachsen gebraucht gemacht, in dem grundsätzlich Abschiebungen bis zum Abschluß eines Petitionsverfahren ausgesetzt werden. Ist jedoch durch Gericht- sentscheidung rechtskräftig entschieden, daß die Abschiebung eines Ausländers zulässig ist, kann gem. § 55 Abs. 4 AuslG eine Duldung nur noch erteilt werden, wenn die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist oder ein Abschiebungsstopp vorliegt. Eine Landtagseingabe stellt dabei grundsätzlich kein Abschiebungshindernis in diesem Sinne dar. Bei Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung eines Verwaltungsgericht ist daher eine Aufenthaltsbeendigung trotz anhängigen Petitionsverfahrens möglich. Bezüglich des von Ihnen angesprochenen türkischen Staatsangehörigen Bülent Tumani liegt derzeit eine rechtskräftig inhaltliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Abschiebung nicht vor, so daß sein Aufenthalt bis zu einer gerichtlichen Entscheidung bzw. einer Entscheidung im Petitionsverfahren geduldet wird. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrage... * Schreiben des Niedersächsischen Innenministeriums vom 02.05.1997 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 MINDERJÄHRIGE Zu dem bei einer Ausländerbehörde Ihres Bezirks bekanntgewordenen Umstand, daß der Internationale Sozialdienst e.V. (ISD) für seine Bemühungen bei der Vorbereitung der Rückkehr minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge eine Gebühr von 250,- DM den Ausländerbehörden in Rechnung stellt und der Frage einer evtl. Erstattungspflicht seitens des Landes ergibt sich folgendes: Die internationalen Schutzabkommen für Kinder und Minderjährige (Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, Haager Minderjährigen-Schutzabkommen) stehen der Rückführung illegal eingereister bzw. im Asylverfahren erfolglos gebliebener minderjähriger Ausländer nicht entgegen. Nach Auffassung der Bundesregierung Iäßt die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen die innerstaatlichen Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt vom Ausländern unberührt. Gleichwohl dürfen Minderjährige, sofern keine asylverfahrensunabhängigen Bleibegründe bestehen, aus Gründen des KindeswohIs nur dann in ihr Herkunftsland zurückgeführt werden, wenn dort die Unterbringung und Betreuung in der eigenen Familie, im Verwandtenkreis oder einer geeigneten Einrichtung möglich ist. Diese Position vertritt die Bundesregierung auch im Rahmen der VerhandIungen auf europäischer Ebene über gemeinsame Grundsätze für die Behandlung von unbegleiteten Minderjährigen. Die Prüfung, ob die Unterbringung und Betreuung ausländischer Minderjähriger in der eigenen Familie, im Verwandtenkreis oder einer geeigneten Einrichtung - und damit die Rückführung selbst - möglich ist, obliegt der örtlichen Ausländerbehörde. Da die örtlichen Ausländerbehörden mangels detaillierter Erkenntnisse die Situation in der Regel nicht selbst bewerten können, bedienen sie sich der Hilfe der Behörden des Herkunftsstaates und der dortigen deutschen Vertretung. Soweit auf diesem Wege eine zeitnahe und ausreichende Aufklärung nicht möglich sein sollte, können sie auch die Hilfe des ISD in Anspruch nehmen. Der Verein hatte dem Saarland in anderem Zusammenhang im September 1995 mitgeteilt, daß z.B. bei Rückführungen in die Türkei ein Sozialbericht nach einer drei- bis sechsmonatigen Bearbeitungsdauer erstellt werde, der der zuständigen Behörde in deutscher Übersetzung nebst einer Rechnung über eine einmalige Kostenpauschale in Höhe von 250,- DM zugehe. Die Inanspruchnahme ISD ist insoweit als besondere Serviceleistung", die von anderen staatlichen oder nichtstaatlichen Stellen so nicht erbracht werden kann, anzusehen. Die ggf. erhobene Ausländerrecht Rückführung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer, Inanspruchnahme des Internationalen Sozialdienstes Deutscher Zweig e.V, Frankfurt Nds. Innenministerium* Kostenpauschale ist somit auch von der Stelle, die die Hilfe in Anspruch nimmt, zu erstatten. Diese Kosten stehen im Zusammenhang mit der Prüfung, ob eine Rückführung überhaupt möglich ist, so daß eine Erstattungspflicht des Landes nicht besteht. Soweit Ausländerbehörden dies zum Anlaß nehmen sollten, künftig aus Kostengründen auf die Einschaltung des ISD trotz ungeklärter Unterbringungssituation im Heimatland zu verzichten, müßten sie von Rückführungen im Einzelfall absehen, ggf. auch unter Hinnahme der sich aus der Sozialhilfebedürftigkeit ergebenden Kosten. Auf die telefonischen Besprechungen mit Herrn van Lehmden nehme ich Bezug. Im Auftrage... * Rundschreiben vom 10.02.1997 Bis auf Weiteres keine Abschiebungen ins ehemalige Zaire Erlaß des MI vom 25.06.1997: Ausländerrecht Abschiebungen in die Demokratische Republik Kongo / ehem. Zaire Aufgrund der im ehemaligen Zaire herrschenden Verhältnisse sind Abschiebungen dorthin bereits seit geraumer Zeit nicht möglich. Unabhängig von der vom Auswärtigen Amt avisierten aktuellen Lageeinschätzung kann von einer kurzfristigen Veränderung dieser Situation derzeit nicht ausgegangen werden, so daß Abschiebungen bis auf weiteres nicht durchgeführt werden können. Von der Beantragung von Abschiebungshaft gem. § 57 AuslG ist daher abzusehen. Soweit sich zairische Staatsangehörige bereits in Abschiebungshaft befinden sollten, ist die Aufhebung des Haftbeschlusses zu beantragen. Im Auftrage ... 59 GRUNDRECHT AUF ASYL Asylrecht Ein Jahr nach Karlsruhe: Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts noch nicht umgesetzt PRO ASYL* Nicht Schlußpunkt, sondern Ausgangspunkt Flüchtlingsarbeit und -politik wird durch das Engagement Tausender Bürgerinnen und Bürger mehr denn je zum Prüfstein im Kampf für die Schutzrechte des Individuums gegenüber dem Staat und gegen den Verlust weiterer sozialer und humanitärer Standards dieser Gesellschaft!" Die Karlsruher Asylentscheidungen vor einem Jahr sind für PRO ASYL und die Flüchtlingsbewegung nicht Schlußpunkt, sondern Ausgangspunkt für eine Neuorientierung des Flüchtlings- und Menschenrechtsschutzes im Sinne des Grundgesetzes, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention", erklärte Heiko Kauffmann, Sprecher von PRO ASYL, zum Jahrestag der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylrecht vom 14. Mai 1996. PRO ASYL kritisiert die Untätigkeit der Bundesregierung, welche bislang weder die Vorgaben des Gerichts zum Flughafenverfahren umgesetzt noch erforderliche Konsequenzen aus dem Drittstaaten-Urteil gezogen habe. Beim Flughafenverfahren gehe es um die Festschreibung und Einrichtung einer kostenlosen asylrechtlichen Beratung: Das Bundesinnenministerium macht es sich zu einfach, wenn es die Rechtsanwaltskammern um die Einrichtung eines Notdienstes bittet", erklärte Kauffmann. Es gehe darum, dem verfassungsrechtlichen Gebot Genüge zu tun *Presseerklärung vom 13. Mai 1997 60 und in Frankfurt und an anderen Flughäfen (insbesondere München, Berlin, Düsseldorf und Hamburg) eine rechtlich fundierte Beratung zu organisieren und ständig bereitzustellen. Dies müsse in Absprache und unter Beteiligung der unverzichtbaren Arbeit der Flughafensozialdienste geschehen. Nach Auffassung von PRO ASYL sind ebenfalls aus dem Drittstaaten-Urteil Konsequenzen zu ziehen. So erfordere das Konzept der normativen Vergewisserung" eine regelmäßige Kontrolle und Überprüfung der Praxis und Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention durch die Dritt- und Viertstaaten. Da diese jederzeit weitere und neue Verträge mit Viert-, Fünft- und Sechststaaten abschließen könnten, sei auch eine laufende Überprüfung und Aktualisierung verfassungsrechtlich geboten. Die Bundesregierung müsse endlich die vom Verfassungsgericht ins Auge gefaßte europäische Gesamtregelung ernst nehmen. Kauffmann: Die Urteile des höchsten Gerichts sind durchgängig vom Europa-Gedanken geprägt - nun muß auch die europäische Karte gespielt werden." Diese verbiete eine Harmonisierung auf niedrigstem Niveau", sondern müsse grundlegenden Schutzanforderungen entspre- chen, wie sie u.a. der Europäische Flüchtlingsrat ECRE formuliert hat: · einheitliche Grundsätze über den materiellen Gehalt des Asylrechtes; · ein Rechtsanspruch auf individuelle Überprüfung des Asylbegehrens innerhalb des einheitlichen EU-Raumes durch eine zentrale Behörde; · die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln mit aufschiebender Wirkung; · die Sicherstellung einer Verfahrensberatung und rechtlichen Vertretung; · die Beachtung des Refoulement-Verbots in den Verfolgerstaat (auch in Form einer Kettenabschiebung); · die Gewährung sozialer Mindestrechte während des Asylverfahrens einschließlich des Rechts auf Arbeit. Die Durchsetzung eines effektiven Rechtsschutzes für Flüchtlings sei durch die Entscheidungen des Verfassungsgerichts vom vergangenen Jahr zwar noch schwieriger geworden, aber, so Kauffmann abschließend: Flüchtlingsarbeit und -politik wird durch das Engagement Tausender Bürgerinnen und Bürger mehr denn je zum Prüfstein im Kampf für die Schutzrechte des Individuums gegenüber dem Staat und gegen den Verlust weiterer sozialer und humanitärer Standards dieser Gesellschaft!" Union will Grundrecht auf Asyl abschaffen CDU und CSU wollen das Individualrecht auf Asyl abschaffen und in eine nur institutionelle Garantie" umwandeln. Nur so ist zu verhindern, daß jährlich mehr als 100000 Ausländer unter fälschlicher Berufung auf das Asylgrundrecht nach Deutschland kommen", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Erwin Marschewski (FR,1.5.97). Er kehrte damit zu einer alten Forderung seiner Partei aus der Scheinasylanten-Kampagne zurück. Im Gegensatz zum Individualrecht auf Asyl nach Artikel16 a Grundgesetz denkt die CDU/CSU an eine völlig freie und nicht mehr einklagbare Handhabung einer institutionellen Garantie" für Schutz vor Verfolgung. Folgerichtig bot die CDU/CSU der SPD und FDP am 29.4.97 zumwiederholten Male an, gemeinsam über eine Begrenzung des unbegründeten und unvertretbaren" Familiennachzugs nach Artikel 6 Grundgesetz und über eine Einschränkung des Aussiedlerzuzugs nach Artikel 116 nachzudenken. Nur so sei eine Begrenzung der Zuwanderung möglich. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 GRUNDRECHT AUF ASYL Was ist das Asylrecht in der Verfassung noch wert? Für pragmatische, sprich anwendungsorientierte Flüchtlingsarbeit ist es allemal ein Fakt, mit dem ohne Illusion gearbeitet wird. Für Legalisten aller Lager ist der Streit wichtig über Abschaffung oder ist eigentlich schon abgeschafft... Vera Gaserow gibt diese Diskussion in ihrem Artikel in der TAZ vom 8./9 Juni 1996 wider: M it seinem Asylurteil hat das Bundesverfassungsgericht selbst die flüchtlingspolitischen Mindeststandards unterschritten, zu deren Einhaltung die Bundesrepublik sich durch internationale Abkommen verpflichtet hat. Die Karlsruher Richter, so der Frankfurter Asylrechtsexperte Viktor Pfaff, haben eine Regelung bestätigt, die das Herzstück der Genfer Flüchtlingskonvention durchbricht. Deutschland ist an mehreren Punkten aus dem internationalen Schutzsystem ausgestiegen." Pfaffs geharnischte Kritik beruht auf einer ersten eingehenden Analyse des Karlsruher Urteils, die der Jurist jetzt auf einem Kollo- quium in Berlin vortrug. Die Tagung wurde von der Berliner Ausländerbeauftragten und der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz organisiert. Konkrete Perspektiven aufzuzeigen fiel den versammelten Fachleuten jedoch schwer. Zu viele Einschränkungen hat das Asylgrundrecht im Laufe seiner über 40jährigen Geschichte erfahren, und jedesmal warnten die Kritiker, die neuerliche Restriktion bedeute nun aber endgültig seine Abschaffung. Jetzt sei das bundesdeutsche Asylrecht tatsächlich auf ein Niveau heruntergeschraubt, wo man ernsthaft über seine Verzichtbarkeit diskutieren müsse. Selbst das Schengener Abkommen, von Flüchtlingsgruppen und Asylexperten einst heftig als Rückschritt bekämpft, bietet Flüchtlingen heute mehr Schutz als die vom Bundesverfassungsgericht abgesegnete Drittstaatenregelung. Nach dem Vertrag von Schengen haben Flüchtlinge zumindest einen Anspruch auf staatliche Überprüfung ihres Asylgesuchs in einem der Vertragsstaaten. Nach dem neuen deutschen Asylrecht können sie ohne rechtliches Gehör in einen Drittund von dort in einen Viert- und Fünfstaat bis ins Verfolgerland weitergeschoben werden. Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention Experten meinen: Seit der Asylentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bieten internationale Regelungen inzwischen mehr Schutz als das deutsche Recht Ein fundamentaler Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention", die eine Rückschiebung in den Heimatstaat verbietet, urteilte Victor Pfaff. Der Asylrechtsexperte sprach sich deshalb dafür aus, für internationale Abkommen zu kämpfen:" Wenn man die Genfer Flüchtlingskonvention wirklich einfordert, braucht man dieses Asylgrundrecht nicht mehr." Andere Experten warnten, die Bundesrepublik könne eher zum Vorreiter werden, Schutzabkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention zu durchlöchern. Die Bundesrepublik", so der Berliner Jurist Professor Peter Knösel, ist derart weit von zivilisierten Standards entfernt, daß es eine Utopie wäre zu glauben, sie ließe sich auf internationaler Ebene in eine positive Richtung bewegen." Artikel 3 EMRK: Bundesverwaltungsgericht im Widerspruch zum Europäischen Gerichtshof Am 15.4.97 hat das BVerwG (9 C 38.96) erneut entschieden, daß Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention nur anwendbar sei, wenn die entsprechende Gefahr im Heimatland von einem Staat oder einer staatsähnlichen Struktur ausgeht. Das BVerwG setzt damit seine Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK im offenen Widerspruch zu dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte fort (vgl. u.a. BVerwG U.v. 17.10.95-9 C15/95 ) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte am 17.12. 96 im Fall Ahmed gegen Österreich befunden, daß es auf die Staatlichkeit oder Quasistaatlichkeit des Gefahrenverursachers nicht ankommen soll. (Die deutsche Übersetzung kann unter der Nummer 14963 bei der ZDWF bestellt werden). Jetzt hat der Europäische Gerichtshof seine Rechtsprechung verfestigt und sogar noch erweitert. In einer Entscheidung vom 2.5.97 (D. gegen Vereinigtes Königreich) bekräftigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Gefahr im Sinne des Artikel 3 EMRK nicht von dem Heimatstaat ausgehen muß. Zugleich erstreckte das Gericht den Anwendungsbereich des Artikel 3 EMRK auf Fälle, in denen ein Schwerkranker nur aufgrund der medizinischen Verhältnisse in seinem Heimatland und fehlender persönlicher Bezugspunkte dort durch eine Rückkehr zusätzlich gefährdet ist. Der absolute Charakter des Artikel 3 EMRK bedinge zugleich, daß er selbst dann anwendbar sei, wenn der Ausländer nach den nationalen Bestimmungen noch gar nicht eingereist sei, jedoch sich physisch auf dem Territorium des EMRK-Unterzeichnerstaates befinde. Im Fall eines kolumbianischen Drogendealers (H.L.R. gegen Frankreich, 29.4.97) hatte der Gerichtshof ebenfalls entschieden, daß auch eine Gefährdung durch rivalisierende Drogenbanden eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK darstelle. Die Klage wurde jedoch wegen fehlender Glaubhaftmachung der Gefährdung sowie Zweifeln an der Schutzunfähigkeit und Schutzunwilligkeit des kolumbianischen Staates abgewiesen. (Quelle: Asylmagazin 3/97) Kai Weber 61 GRUNDRECHT AUF ASYL Das Bundesamt auf dem Weg in die Illegalität Asylverschärfungen aufgrund der Praxis der Anhörungsverfahren SAGA Freiburg* Nachfolgendes Schreiben eines sogen Außenstellen-Leiters des "Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge" liegt vor. Es bildet auch Ausgangspunkt einer Presseerklärung von Pro Asyl vom 8.4.1997 unter dem Titel "Schwere Eingriffe in das Anhörungsverfahren zu Lasten der Antragsteller das Bundesamt auf dem Weg in die Illegalität". Ü ber den Ton und die untenstehende Anweisung des Außenstellen-Leiters muß nicht weiter spekuliert werden. Es ist deutlich erkennbar, welche Eingriffe in die "Weisungsfreiheit der Einzelentscheider/innen" (Pro Asyl) vorgenommen werden. Die meisten AnhörerInnen resp. EntscheiderInnen haben diese Weisungsfreiheit aber bereits "richtig" verstanden! Tatsächlich ist die reale Anerkennungsquote des Bundesamts im Durchschnitt auf 6 - 7 % gesunken. Früher wurde einmal behauptet, mit dem Rückgang der Flüchtlingszahlen würde auch die Unterscheidung in "echte" und sogenannte "unechte" Flüchtlinge eher möglich sein, d.h. eine größere Anerkennungswahrscheinlichkeit bestehen. Faktisch ist aber die Anerkennungsquote in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken, obwohl sie - nach dieser Theorie- hätte ansteigen müssen. Von 1995 (10 %) auf 1996 (7,9 %). Oder genauer nach Ländern: Türkei: von 21 % (1995) auf 12 (1996); Afghanistan: von 11 % (1995) auf 5 % (1996); Iran: von 37 % (1995) auf 27 % (1996); Sri Lanka: von 14 % (1995) auf 8 % (1996) etc. Die konkreten Auswirkungen dieser - für das Asylverfahren zentralen - Anhörungsbeschleunigung sind: * Anhörungszeiten pro Anhörung knapp 2 Std.(d.h. mit Überset- *Südbadisches Aktionsbündnis gegen Abschiebungen c/o Aktion Dritte Welt Freiburg aus [email protected] vom 29.05.97 62 zung und evtl. Rückübersetzung verbleibt zur Darstellung der konkreten Fluchtursachen kaum Zeit, da die meisten Anhörungen lange Überprüfungen der Reisewege und Einreisemodalitäten zum Gegenstand haben) * Protokolle enthalten - bestenfalls - nur noch unmittelbar fluchtauslösende Momente, nicht aber eine Fluchtgeschichte. Dolmetscher erklären den Asylsuchenden unaufgefordert bereits vor der Anhörung, daß frühere Ereignisse keine Bedeutung hätten. Daten und logische Abläufe werden in den Übersetzungsverfahren auch aus der Hetze der Zeit verwechselt oder - um Monate und Wochen- verschoben. * Rückübersetzungen werden teilweise nicht mehr gewährlei- stet. In den Protokollen findet sich dann der unzutreffende Hinweis, es sei auf Rückübersetzung "verzichtet" worden. * Protokolle werden manchmal direkt während des Verfahrens der "Anhörung" diktiert, teilweise werden auch noch indirekte Rede und Interpretation durch den Anhörer/die Anhörerin willkürlich durcheinandergebracht. * das Recht auf eine Anhörerin/ Dolmetscherin für eine Flüchtlingsfrau wird oftmals nicht gewährleistet * die Anhörungsverfahren werden in vielen Fällen vom Gericht nicht weiter hinterfragt und in sich als Grundlage für die nächste (Negativ-)Entscheidung genommen. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Ha-Außenstelle Freiburg - RLV 3.9. 11.2.97 An alle Einzelentscheider im Hause Am 3. Februar 1997 habe ich mit dem Präsidenten des BAFl ein Gespräch geführt. Der Präsident hat sich unzufrieden über die Leistungen der Außenstelle Freiburg gezeigt. Er hat betont, daß zwei Anhörungen und zwei Entscheidungen pro Tag zumutbar sind und von ihm verlangt werden. Er hat insbesondere Kritik geäußert an der langen Zeit zwischen Antragstellung und Anhörung. Er hat angewiesen, daß nur noch angehört werden soll bis zwischen Antragstellung und Anhörung maximal vier Tage liegen. Ich habe veranlaßt, daß ab Montag, den 17.2.97, täglich 4 Antragsteller pro EE zur Anhörung geladen werden. In ihrem eigenen Interesse und mit Rücksicht auf die Schreibkanzlei empfehle ich Ihnen, sich möglichst kurz zu fassen. gez. ... Ha-Außenstelle Freiburg - RLV 3.9. (Datum nicht bekannt) An alle Einzelentscheider im Hause Mit Schreiben vom 11.2.97 hatte ich Sie angewiesen, ab 17.2.97 nur noch anzuhören und die Entscheidungen aufzuschieben. Ich hatte 4 Anhörungen pro Tag verlangt. Dies wird von den meisten eingehalten. Mit denjenigen, die dies regelmäßig nicht leisten, werde ich noch weitere Gespräche führen, um die Ursachen aufzuklären. Zu meinem Bedauern muß ich feststellen, daß nicht alle meinen Appell, sich bei der Länge der Protokolle zu beschränken, beherzigt haben. Nach der Durchsicht zahlreicher Protokolle komme ich zur Überzeugung, daß bei einem durchschnittlich gelagerten Fall ca. 10 Seiten (1 Kassette) ausreichen. Ich werde dies auch weiter überwachen und auf Beachtung dringen. Das Protokoll gehört nicht zum weisungsfreien Bereich. gez. ... FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 DEPORTATION A sylrechtsgruppen aus Bremen, Hamburg und Oldenburghaben gestern vor dem Bremer Unternehmen Pandi-Services demonstriert. Die Anti-RassismusOrganisationen werfen der Gesellschaft vor, auf illegale oder zumindest dubiose Weise" Paßersatzpapiere für Asylsuchende zu beschaffen, damit diese abgeschoben werden können. Dabei sei das Herkunftsland oft egal. Hauptsache überhaupt eins, da Flüchtlinge in ihre Heimat abgeschoben werden müssen. Pandi kassiere dafür Provisionen. Pandi-Services bezeichnet sich selbst als Havarie-Kommissariat. Man werde im Auftrag von Reedereien bei Havarien tätig. Und bei blinden Passagieren. Dazu Geschäftsführer Wöhrn: Wir sorgen nur dafür, daß die Leute wieder in ihre Heimat kommen. Alles legal." Dazu sind die Reedereien in Deutschland tatsächlich verpflichtet. Es sei denn, der Flüchtling stellt Asylantrag. Wie berichtet, hatte sich Bremens Ausländerbeauftragte Dagmar Lill erst im vergangenen Jahr mit Innensenator Ralf Borttscheller darüber gestrit- ten, weil der mit Hilfe von Pandi die Identität Asylsuchender feststellen lassen wollte. Das Vorhaben verlief nach heftigen Protesten im Sande. Den gleichen umstrittenen Service des Bremer Unternehmens macht sich jetzt offensichtlich Mecklenburg-Vorpommern zunutze. Der Fall aus Sicht des Flüchtlingsrats Hamburg: Im Januar 1995 erreicht der Liberianer Adrews Jackson auf einem russischen Frachter Rostock. PandiMänner wollen ihn dazu überreden nach Ghana zurückzufliegen. Er weigert sich, stellt einen Asylantrag. Da er im Bürgerkrieg von Liberia nach Ghana geflohen war, gibt er zunächst Ghana als Herkunftsland an und die Ausländerbehörde in Mecklenburg-Vorpommern lehnt sein Asylersuchen ab. Jackson wird mit Paßersatzpapieren abgeschoben, ohne wie eigentlich per Gesetz vorgesehen - der ghanaischen Botschaft vorgeführt zu werden. Die nötigen Papiere wurden von Pandi besorgt Anruf genügt", so der Flüchtlingsrat Hamburg. Im Februar 1996 erreicht Jackson erneut als blinder Passagier Ham- Abschiebepraxis für Fortgeschrittene Bremer Firma soll illegal" Pässe zum Abschieben beschaffen Yeti* burg. Diesmal hat er eine liberianische Geburtsurkunde bei sich. Diese hält die liberianische Botschaft für gefälscht. Die ghanaische Vertretung erkennt ihn aber auch nicht als Landsmann an. Wir sorgen nur dafür, daß die Leute wieder in ihre Heimat kommen. Alles legal." Dennoch soll Jackson jetzt wieder nach Ghana abgeschoben werden. Grund: neue Paßersatzpapiere. Wie man daran plötzlich gekommen ist, konnte das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern nicht so recht erköären. Allerdings liegt das Ghana emergency travel certifikate" der taz vor. Darin wird Jackson als Issaka Abdulai aus Ghana ausgewiesen. Momentaner Wohnort in Deutschland: Pandi-Services, Bremen." *Bremer taz vom 24/25. 05. 97 Asylgewährung nach dem Zufallsprinzip Richter will Minderjährigen in die Kriegswirren Afghanistans schicken Der minderjährige Shukran A. soll in das kriegsgeschüttelte Afghanistan abgeschoben werden. Er sollte von den Taliban-Milizen zwangsrekrutiert werden, floh und landete am 30. April 1997 auf dem Frankfurter Flughafen. Dort stellte er einen Asylantrag, der nur wenige Tage später als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt wurde. Während die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt - wie fast alle anderen Gerichte in Deutschland - in ähnlich gelagerten Fällen des vergangenen Monats die Abschiebung regelmäßig aussetzte, weil dies "gegen Art.3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verstoßen würde", sieht der für Shukran A. zuständige Einzelrichter der 6. Kammer keinerlei Abschiebungshindernisse. Die 5. Kammer des VG-Frankfurt hat demgegenüber in einem Urteil vom 7. Mai 1997 festgestellt: "Nach den vorliegenden Berichten kommt es zu Amputationen, Steinigungen, Folterungen und Tötungen jeder Art. Die Herrschaft der Taliban ist damit in vielen Fällen willkürlich und unberechenbar ... unter diesen Umständen kann dem Kläger eine Abschiebung nach Afghanistan derzeit nicht zugemutet werden." PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann erhebt deshalb schwere Vorwürfe: "Die Entscheidung über Leben oder Tod darf nicht von der zufälligen Zuteilung eines Falles zu einem in unseren Augen offensichtlich befangenen Richter abhängen, der ganz alleine entscheidet. Dies ist Asylrechtspre- chung nach dem Zufallsprinzip oder in russischer Roulette-Manier." PRO ASYL unterstützt deshalb den notwendigen Gang von Shukran A. zum Verfassungsgericht und appelliert an die Verfassungsrichter "ein unhaltbares Urteil nach Recht und Gesetz zu revidieren." Dies ist Asylrechtsprechung nach dem Zufallsprinzip oder in russischer Roulette-Manier." In der bevorstehenden Abschiebung des minderjährigen Shukran A. sieht PRO ASYL überdies einen Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. In Art. 6 hat sich die Bundesregierung verpflichtet "in größtmöglichem Umfang das Überleben und die Entwicklung des Kindes" zu gewährleisten. Presseerklärung PRO ASYL vom 23. Mai 1997 63 DEPORTATION Knast, Botschaftsrundreisen und Pandi-Service Wie der Staat Menschen loswerden will Arbeitskreis Asyl Oldenburg E Die zuständige Sachbearbeiterin bei der Ausländerbehörde Oldenburg wollte diesen Menschen irgendwie loswerden. s fing alles ganz harmlos an. Der Liberianer Jackson Andrews kam am 9.1.1995 als Blinder Passagier auf einem russischen Frachter im Hafen von Rostock an, einer Stadt in der Bundesrepublik Deutschland, wo er hoffte, nach Bürgerkriegserlebnissen und Herumirren in Westafrika Schutz und Zuflucht zu finden. Doch dann kam alles ganz anders ... Noch bevor ein Fuß auf deutschen Boden gesetzt werden konnte, kam ein Mann der Hamburger Abschiebeagentur PandiService an Bord und bot den insgesamt acht liberianischen stoaways neue Bekleidung, 50 Dollar Handgeld, sowie ein Flug nach Accra/Ghana falls sie die BRD wieder verlassen würden, ohne Asylanträge zu stellen. Er sagte ihnen, sie müßten sich dazu als Ghanaer ausgeben, weil sie dann nicht nach Liberia zurückgeschickt würden. Alle bis auf zwei nahmen das Angebot an, einer der beiden "Verweigerer" war Jackson Andrews. Andrews beantragte am 10.1.1995 in der ZAST Rostock politisches Asyl und folgte in Unkenntnis der rechtlichen Lage hier dem falschen Hinweis des Mitarbeiters vom Pandi-Service: Er gab sich, ohne vorhandene Papiere, als Ghanaer Issaka Abdulai (der Name eines Freundes in Tema/Ghana) aus; als Geburtsort erfand er auf die Schnelle den Ort Bongo. Ob dieser in Ghana überhaupt existiert, ist bis heute noch nicht raus. Das Asylverfahren nahm seinen gewohnten Verlauf: Ghana ist si- 64 cheres Herkunftsland, entsprechend schnell war der Asylantrag abgelehnt. Um die Staatsangehörigkeit von Andrews zu klären, damit bei der ghanaischen Botschaft Reisepapiere für die Abschiebung beantragt werden konnten (sog. TC Travel Certificate), wurde vom Pandi-Service schon gleich nach der Asylantragsstellung ein Botschaftsangehöriger nach Rostock eingeflogen. Nach einem mehr als "Augenscheindiagnose" zu bezeichnenden Kontakt mit Andrews wurde er zum Ghanaer definiert, und die Ausländerbehörde erhielt über den Pandi-Service das begehrte TC für die Abschiebung. Das TC ist mit dem Datum vom 12.1.95 (!) auf Issaka Abdulai ausgestellt; als dessen Anschrift ist die Firmenadresse des PandiService eingetragen! Wie die Botschaft Ghanas uns am 29.4.1997 schrieb, wurde das TC 1995 aufgrund eines ghanaischen Passes von Andrews ausgestellt, aber weder Andrews noch die Rostocker Ausländerbehörde wußten von solch einem Paß!?! Die Frage, ob nun die Botschaft zwei Jahre später eine billige Ausrede benutzte oder ob der Pandi-Service 1995 mit dem Botschaftsangestellten die Sache unter der Hand geregelt hat, konnte bisher nicht geklärt werden. Tatsache ist, daß Andrews am 15.4.1995 als Issaka Abdulai nach Accra/ Ghana abgeschoben wurde. Wie er berichtete, landete er dort für mehrere Monate im Knast, bevor er dann freikam. Am 16.2.1996 kam Jackson Andrews erneut in die BRD, diesmal als einer von neun liberianischen Blinden Passagieren auf dem griechischen Frachter Constantinos D. nach Hamburg. Nachdem er mit einigen anderen tagelang am Schuppen 64 im Hamburger Freihafen festgehalten worden war (um sie wieder "zurückzuschieben"), konnte er durch die Hilfe Hamburger Flüchtlingsinitiativen Einreisen und Asyl beantragen. Er legte seine liberianische Geburtsurkunde vor, nach der er am 25.4.1975 in Monrovia/Liberia geboren wurde. Der Asylantrag mußte in der ZASt Oldenburg gestellt werden; dies passierte Ende Februar, Anfang März 1996 fand seine Anhörung statt. Zu diesem Zeitpunkt wußten weder die Hamburger noch die Oldenburger UnterstützerInnen, daß Andrews schon einmal in der BRD Asyl beantragt hatte. Die Folge war die Verhaftung von Jackson Andrews am 15.3.96 um 6:00 Uhr morgens in der ZASt OL (die ED-Behandlung machte es möglich). Er wurde in die JVA Vechta in Abschiebehaft genommen, wo er die nächsten sechs Monate verbrachte. Neben dem "üblichen" Ärger mit verschwundenen Briefen, eingeschüchterten SozialarbeiterInnen etc., durfte Andrews die Erfahrung der Botschaftsrundreisen machen. Die zuständige Sachbearbeiterin bei der Ausländerbehörde Oldenburg, Frau Kolbe-Michaelsen, wollte diesen Menschen irgendwie loswerden. Nun, keine Botschaft der englischsprachigen westafrikanischen Staaten (Liberia, Ghana, Nigeria, Sierra Leone ...) erkannte ihn als einen der ihren an. Interessant war das unterschiedliche Vorgehen der Botschaften: Während z.B. die ghanaische Botschaft ein eher ausführliches Interview machte, erklärte eine liberianische Botschaftsangestellte den Hamburger UnterstützerInnen gegenüber, sie würden nur Kurzinterviews machen, alles andere würde "einiges" an Verwaltungsgebühren für die Ausländerbehörden mit sich bringen. Im Juli 1996 wurde Andrews aufgrund der Überfüllung der JVA Vechta in den Abschiebeknast Wolfenbüttel überführt. Am Freitag, den 13.9.1996 wurde er dann entlassen, innerhalb von sechs Monaten war es den Behörden nicht gelungen, ihn abzuschieben und es bestand auch keine Aussicht darauf, so daß nach der geltenden Erlaßlage die Entlassung anstand. Andrews bekam die Auflage, sich am Montag, den 16.9 in Oldenburg zu melden. Er könne das Wochenende in der ZASt OL übernachten. Reisegeld bekam er leider keines; die Strecke Wolfenbüttel-Oldenburg beträgt über 200 km, zu Fuß in drei Tagen ist das eventuell zu schaffen ... Nach knapp zwei Wochen in Ol- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 DEPORTATION denburg wurde Andrews dem Bundesland zugeteilt, in dem er seinen ersten Asylantrag gestellt hatte, Mecklenburg-Vorpommern. Zuständig war für ihn Frau Fleischhauer, Sachbearbeiterin beim Landesamt für Flüchtlingsund Asylangelegenheiten in Nostorf (knapp 45 km von Hamburg entfernt), wo Andrews in einem Flüchtlingswohnheim untergebracht wurde. Offiziell war er aber nur Gast dort, denn er war in der ZASt Rostock gemeldet. Ein Umstand, den Frau Fleischhauer permanent für die Einschränkung der Auszahlung von Taschengeld und der Ausstellung von Reisegenehmigungen nach Hamburg bzw. Oldenburg heranzog, was ihr natürlich entsprechenden Ärger einbrachte. Für sie war schon nach vier Wochen klar, daß Andrews natürlich Ghanaer ist und in Wirklichkeit Issaka Abdulai heißt. Dies teilte sie uns auch schriftlich mit (25.10.96). Alle Papiere in Nostorf wurden trotz Protestes auf Issaka Abdulai ausgestellt (sein Duldungspapier war auf Issaka Abdulai ausgestellt und mit Jackson Andrews unterschrieben). Um weiteren Ärger aus dem Weg zu gehen, verteilte Fleischhauer Andrews im Januar 1997 nach Friedland (bei Neubrandenburg) um; das war weit weg, insbesondere von Hamburg und Oldenburg. Am 18.2.1997 kamen dann plötzlich zwei Polizeibeamte in das Flüchtlingswohnheim in Friedland und fragten nach ihm. Aber er war glücklicherweise gerade nicht im Zimmer und am folgenden Tag natürlich auch nicht mehr in Friedland, sondern irgendwo anders. Was war geschehen? Frau Fleischhauer hatte plötzlich ein TC für Issaka Abdulai für die Abschiebung nach Ghana bekommen (Man erinnere sich: Issaka Abdulai wurde schon einmal nach Ghana abgeschoben, 15.4.1995). Die Art und Weise, wie Fleischhauer dieses TC sich organisierte, konnte inzwischen recherchiert werden: Im Gegensatz zu Frau Kolbe- Michaelsen von der Ausländerbehörde OL machte Frau Fleischhauer es sich recht einfach. Die ganze Akte Jackson Andrews fiel unter den Tisch, d.h. die Tatsache, daß Andrews angab, Liberianer zu sein, daß er als dieser einen zweiten Asylantrag gestellt hatte, daß er eine Geburtsurkunde vorgelegt hatte etc. erwähnte sie bei der TC-Beschaffung nicht. Sie bat dabei das Auswärtige Amt in Bonn um Unterstützung, konkret Herrn Börner vom Referat 514. Dieser forderte bei der ghanaischen Botschaft das TC für Issaka Abdulai an, ohne zu wissen, daß dieser identisch mit Andrews war, der als Liberianer Asyl beantragt hatte. Gegenüber der taz (12.4.97) bestätigte er indirekt die Angaben der Botschaft, daß seitens des Auswärtigen Amtes Druck ausgeübt wurde. Herr Wilson, der erste Botschaftssekretär, war über die wahre Geschichte sehr erstaunt, als er am 27.2.97 von dem "untergetauchten" Andrews in Begleitung zweier MitarbeiterInnen des AK Asyl OL aufgesucht wurde. Er sagte, unter den tatsächlichen Umständen wäre natürlich nie ein TC ausgestellt worden, und versprach, das TC zurückzuziehen und ohne Geburtsurkunde keine TC's mehr auszustellen. Einige Tage später erklärte er allerdings telefonisch, er werde das TC nicht zurückziehen. Dieses Problem müßten wir mit dem deutschen Behörden klären. Er sagte nur zu, nach Ablauf der Gültigkeit kein neues auszustellen. Frau Fleischhauer erwartete natürlich eine Dienstaufsichtsbeschwerde unsererseits, die nach "sorgfältiger Prüfung" durch Frau Hoffmann vom Innenministerium in Schwerin, Referat 810, ergab, daß Frau Fleischhauer natürlich eine "beanstandungsfreie fachliche Entscheidung" getroffen hatte ... Am 26.4.1997 passierte Andrews das Mißgeschick, daß er in Hamburg von Polizisten kontrolliert wurde und aufflog, wenige Tage vor Ablauf des TC. Er konnte noch Kontakt zu uns aufnehmen, und die HamburgerInnen übergaben ihm am Flughafen seine Sachen. Doch die Abschiebung am 9.5.1997 klappte nicht: Andrews wehrte sich mit Händen und Füßen, und der Pilot weigerte sich schließlich, ihn mitzunehmen. Knapp zehn Tage saß er dann in Untersuchungshaft, ohne daß ihm irgendein Kontakt zur Außenwelt erlaubt wurde; alle dachten er wäre weg. Schließlich schnitt er sich mit einer Glasscherbe in den Arm und mußte einem Arzt vorgeführt werden, den er bat, seine Anwältin zu informieren. Der Arzt reagierte sofort und schuf einiges an Aufregung unter den UnterstützerInnen. Denn das TC für die Abschiebung war gleich nach seiner mißglückten Abschiebung abgelaufen und die Behörden wollten ihn scheinbar solange isolieren, bis sie wieder ein neues besorgt hatten. Sofort wurde die ghanaische Botschaft von uns informiert, die sich an ihre alte Zusage, kein neues TC auszustellen, sogar erinnerte! Allerdings waren sie bereit, das alte TC zu verlängern!! Mit von der Partie war auch wieder der Pandi-Service Bremen, scheinbar der Notnagel der Ausländerbehörden in besonders schwierigen Fällen. Um unsererseits den Druck zu erhöhen, fand am 21.5.97 eine Protestaktion vor der ghanaischen Botschaft in Bonn statt, Motto: Nationalität egal, Abschiebung nach Ghana sofort möglich! Während Herr Wilson sofort Gesprächsbereitschaft zeigte, wurden zwei Leute des AK Asyl OL von seinem Chef, dem Botschafter persönlich, dann doch herausgeworfen. Am 23.5. 97 fand eine ähnliche Aktion noch einmal in Bremen vor einem Büro des Pandi-Service statt (vgl. taz 24.5.97). Doch hier zeigte sich niemand verantwortlich und Auskunft gab es weder für Presse, noch für andere Leute. Andrews sitzt inzwischen im Abschiebeknast Hamburg/Glasmoor. Es gab für ihn einen Haftprüfungstermin, ein weiterer am 20. Juni wurde angesetzt. Es bleibt zu hoffen, daß nach all diesen miesen Tricks der staatlichen Abschiebeverwaltung für Andrews dann endlich Ruhe einkehrt; nachdem im Januar 1995 doch alles so harmlos begonnen hatte... Die Dienstaufsichtsbeschwerde unsererseits ergab nach "sorgfältiger Prüfung", daß Frau Fleischhauer natürlich eine "beanstandungsfreie fachliche Entscheidung" getroffen hatte ... 65 OLYMPIC-LAGER Olymic-Staatsaffaire Im Innenministerium flattern die Hemden Warum eigentlich? Kommentar von George Hartwig A m 19.6.97 im Niedersächsischen Landtag: Eineinhalb Stunden Große Anfrage der CDU zur Olympic-Affäre: ein Minister windet sich, weiß von nichts, sämtliche Spitzenbeamten - bis auf einen - mit blassen Gesichtern hinter ihm an der Wand. Die Regierungsloge überfüllt mit mehr oder weniger beteiligten Beamten der Bezirksregierungen. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt Regierungsakten, ein Untersuchungsausschuß droht. Wenig später in der gleichen Besetzung: Die Petition des Flücht- lingsrats für die kurdische Familie Aka (s. Bericht über Härtefall und Kirchenasyl in diesem Heft) wird vor dem gleichen Landtag ohne jede Aussprache abgelehnt. Dies zeigt deutlich: es geht bei Olympic auf gar keinen Fall um den unmenschlichen Umgang dieser Regierung mit den von ihr abhängigen Flüchtlingen. Es geht um eine ganz normale Schmiere- oder Schmieren-Aufführung. Bestechung, Begünstigung, Amtsmißbrauch, Unterschleif, persönliche Bereicherung - alles brotlose Themen für die Staatsanwaltschaft; vielleicht erwischt es den ein oder anderen Trittbrettfahrer. Ich habe vor der Presse gesagt, ich hielte es für ausgeschlossen, daß Beamte des Innenministeriums irgendwo die Hand aufgehalten hätten. Nein wir haben es mit Überzeugungstätern zu tun, die dafür sorgen, daß Flüchtlinge in diesem Land so diskriminiert und schikaniert werden, wie das Gesetz es eben wünscht. Wenn private Betreiberfirmen dies tun, - gut. Wenn die staatliche Sammellagerhaltung in den ZASten dies möglich macht, vielleicht noch besser. Wenn kommunale Betreiber dies leisten, warum sollte das Land auch noch mit Standards und Kontrollen stören. Natürlich verfolge ich mit Interesse die Manöver des Staatssekretärs, die Aufregung im Regierungslager kurz vor der Landtagswahl, wo man sich mit den Schwarzen doch so schön arrangiert glaubte, die wahltaktischselektive Neugier der Schwarzen, die beredte Zurückhaltung der Grünen. Aber eines - denke ich - ist klar: Niemand in dieser Allparteien-Koalition wird beschädigt werden, und erst recht wird niemand das migrationspolitische Steuer herumreißen. Was bleibt, ist die Suche nach dem Sündenbock: Es wird der Flüchtlingsrat sein. Warum also die Aufregung im Innenministerium? Da könnt Ihr ja in mein Auto gehen" Bewohner klagen über Heim Am Euzenberg" Eigentlich läuft hier alles ganz gut" Auf dem zugigen Flur toben ein paar Kinder, barfuß, der Fußboden besteht aus blankem Beton, der ursprüngliche Deckbelag aus Linoleum ist Anfang des Jahres wegen Brandgefahr abgelassen und noch nicht wieder ersetzt worden. Erste Eindrücke eines Besuchs im Flüchtlingswohnheim Am Euzenberg im Duderstädter Gewerbegebiet. Duderstadt. An einem Herd in der Gemeinschaftsküche im Erdgeschoß rührt eine Afghanin Maisbrei in einem Topf an. Ein an die kahle Wand - weiter oben ist sie noch nicht einmal verputzt geklebter Zettel fordert die Hausbewohner zu sparsamen Wasser- * freier Journalist aus Göttingen, Beitrag vom13.11.96 66 verbrauch auf. Daneben hängen Übersetzungen in Arabisch, Serbokroatisch und weitere Sprachen. In der früheren Munitionsfabrik leben rund hundert Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber aus dem ehemaligen Jugoslawien, dem Iran, dem Irak, Afghanistan, aus Sri Lanka, Sierra Leone und Vietnam. Zwanzig weitere sollen noch am Abend dazukommen, weil die Betreiberfirma, die in Hannover ansässige Olympic GmbH, eine weitere Sammelunterkunft in Gerlingerode schließt. Sie dürfen hier ohne Genehmigung gar nicht schreiben", sagt Harald Fuhrmann, noch bevor wir überhaupt die erste Frage gestellt haben. und ich darf kein Wort sagen. Aus Datenschutzgründen." Fuhrmann ist einer von zwei Sozialarbeitern im Lager und gleichzeitig der kommissarische Heimleiter. Eine Genehmigung zum Von Reimar Paul* Gespräch mit ihm und den Bewohnern kann auch die Firmenzentrale am Telefon nicht ohne weiteres erteilen, dafür sei die Bezirksregierung in Braunschweig zuständig. Bei der Behörde, das ergibt ein weiteres Anruf, hat man mit der Anwesenheit von Journalisten im Wohnheim aber keine Probleme. Schließlich stimmen auch die Olympic-Verantwortlichen zu. Probleme jederzeit im Griff" Eigentlich läuft hier alles ganz gut", so Fuhrmann beim nun erlaubten Gespräch in seinem Büro. Von Unruhe oder beengten Wohnverhältnissen, die Mitarbeiter des Flüchtlingsberatungszentrums in Göttingen beklagt hatten, sei ihm jedenfalls nichts bekannt. Klar, hin und wieder gebe es mal kleine Beschwerden, die er und sein Kollege im Griff hätten. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 OLYMPIC-LAGER Hilfe bei Behördengängen und Arztbesuchen, Hausaufgabenbetreuung der etwa 20 schulpflichtigen Kinder im heim, Freizeitprogramm im Spielzimmer: Praktisch rund um die Uhr seien die Sozialarbeiter im Einsatz. Davon hat die iranische Familie Nakhjauvnpur noch nicht viel mehr bemerkt. Hier gibt es nichts, was wir tun können", sagt Vater Fararmaz, Gemeinschaftsraum, keine Tischtennisplatte, nichts ." Einmal pro Woche dürfte sie Wäsche waschen, klagt Ehefrau Mitra. Und beim Kochen dauert es oft eine halbe Stunde, bis die Kochplatte heißt ist", Am schlimmsten sei die Situation aber für ihre Kinder. Nur zweioder dreimal habe ein Sozialarbeiter in diesem Jahr das Angebot gemacht, die Hausaufgaben zu kontrollieren. Und das Kinderspielzimmer? Sehen Sie selbst, sagt Mitra Nakhjauvnpur. Der vielleicht 20 Quadratmeter große Raum ist mit Pritschen für die erwarteten. Neuankömmlinge vollgestellt. Die übrige Einrichtung besteht aus einer kleinen Wandtafel, einem Teddybären, einem Kinderfahrrad mit platten reifen. Draußen auf dem Spielplatz sieht es nicht besser aus. In den harten Lehmboden sind zwei mit einer Querstrebe verbundene Metallstangen gerammt worden: Das Gerüst für eine Schaukel, die selbst allerdings nicht vorhanden ist. Der Holzrahmen der Sandkiste vermodert, frischer Sand offensichtlich seit Monaten nicht mehr nachgefüllt worden. Familie in nur einem Zimmer Ein anderer Bewohner - er will aus Angst vor Repressalien seinen Namen nicht nennen - beklagt sich, daß seine vierköpfige Familie künftig in einem einzigen Zimmer leben soll. Da könnt ihr ja in mein Auto gehen", habe ihm ein Sozialarbeiter auf die Frage geantwortet, wohin er sich denn mit seiner Frau zurückziehen könne. Das Duderstädter Lager ist bestimmt nicht das schlimmste , sagt Martin Weber Becker vom Flüchtlingsberatungszentrum. Aber man sieht hier gut, wohin es führt, wenn die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in private Hände gegeben wird." Geschäftemacherei auf Kosten der Flüchtlinge", kommentiert dies ein Sprecher des Niedersächsischen Flüchtlingsrates. Die privaten Betreiber versuchten Kosten einzusparen, wo immer es gehe. Der landesweit aktive Flüchtlingsrat, in dem rund hundert Asylinitiativen, Kirchengruppe und Gewerkschaftssgliederungen mitarbeiten, will in den kommenden Wochen eine Kampagne zur Schließung aller Flüchtlings-Sammelunterkunfte in Niedersachsen starten. Auch des Heims in Duderstadt. Nachtrag1: Das niedersächsische Sammellager Duderstadt, betrieben von der Firma Olympic, gehört nach politischen Aktivitäten auf allen Ebenen der Vergangenheit an. Die verbleibenden Insassen/Bewohner sollen dezentral verteilt werden; für eine Übergangszeit von 1 Jahr wird das Haus im städtischen Auftrag durch einen Wohlfahrtsverband verwaltet werden. Red. Nachtrag 2: Es sollte nicht unerwähnt bleiben, daß das einzige landeseigene Flüchtlingslager im Regierungsbezirk Braunschweig ausgerechnet in einer ehemaligen KZAnlage (Außenstelle Lager Dora) eingerichtet worden ist: die heutigen Flüchtlinge sind die unfreiwilligen Nachfolger von 700 ungarisch/jüdischen KZ-Häftlingen auf diesem Gelände. (Red.) Material für die Staatsanwaltschaft Die Recherche über das Geschäftsgebaren und die Verflechtungen der Firma Olympic ist nicht neu. Als das Lager Euzenberg in Duderstadt von Olympic aus- und umgebaut wurde - allem Anschein unter Einsatz von Insassen anderer Lager und als dort ständig Berliner Autokennzeichen auftauchten und als Namen aus der Region bekannt wurden - haben Leute aus dem Göttinger AK Asyl und aus dem Flüchtlingsrat versucht, hinter den Vorhang zu sehen. Ohne jeden greifbaren Erfolg. Das journalistische Engagement, ebenso wie Nachfragen bei Insidern der SPD und der Grünen schienen gegen eine Gummiwand zu stosen. Hinter vorgehaltener Hand wurde damals kolportiert, die betreffenden Personen seien unangreifbar, wegen der wackeligen Einstimmen-Mehrheit in einem Großraumverband bzw. in der damit verbunden Verkehrsgesellschaft. Wie auch immer, - die Zustände in den Olympic-Lagern waren nicht schlechter, sondern gleich mies und diskriminierend wie in den anderen Lagern auch, und wir interessierten uns weniger für die Motive der Täter als für die Situation der Opfer. von George Hartwig Der Hartnäckigkeit und dem persönlichen Engagement eines Göttinger Journalisten - und Mitglied des Flüchtlingsrats - ist es zu verdanken, daß nun doch einige der damals wie heute beteiligten PolitikerInnen nervös geworden sind und daß doch einige Herren dieser und anderer LagerbetreiberFirmen weiche Knie bekommen haben, und daß das schnelle Geld künftig anders eingesackt werden muß. Aber die Goldgräberzeit mit privaten Flüchtlingslagern ist eh vorbei, seitdem das Land die ZAStMassenlager betreibt. Übrigens ist nicht der Journalist mit seinen Recherche-Ergebnissen an die Öffentlichkeit gegangen, er hat das Material auch nicht wie das Innenministerium behauptet - breit im Land verteilt. Der Journalist hatte nämlich einen Exklusiv-Vertrag mit dem Spiegel (und der Spiegel kommt mit seinem Material i.d.R. erst raus, wenn es hieb- und stichfest ist). Nein, - ganz offensichtlich hat das Innenministerium selbst die Flucht nach vorn angetreten, nachdem aus einem Gespräch mit der Spiegel-Redaktion klar war, daß keine wesentlichen Beweise gegen das Ministerium vorlagen. 67 OLYMPIC-LAGER Ähnlichkeiten sind nicht beabsichtigt, weil wir davon ausgehen, daß am Lagergeschäft beteiligte Schafe alle grau bis dunkelgrau sind. Die Kampagne, die jetzt läuft, ist die Kampagne des Innenministeriums selbst. Ein Spitzenbeamter scheint aus der Schußlinie gezogen, ein von den Vorwürfen betroffener Beamter in die LKA-Kommission versetzt, die mit der Aufklärung zu tun hat, beiden Oppositions- Interview mit Ewald Hebeler, ehemaliger Mitarbeiter einer Lagerbetreiber-Firma Ich hatte drei Stellen, Heimleiter, Sozialarbeiter und Hausmeister. 68 H.O.: Weißt Du irgend etwas über Unterschlagungen oder Veruntreuungen von öffentlichen Geldern bei der Firma? Wie steht es mit dem angeblichen Einsammeln von Pfandgeldern durch Oliver Gerke zu dessen persönlichem Vorteil? E.H.: Also, der Gerke wollte im Wohnheim DM 20 für jeden Schlüssel haben, die habe ich ihm verweigert. Die Firma wollte von den Flüchtlingen auch Pfandgelder für die Grundausstattung haben, die habe ich als Heimleiter aber nie eingesammelt. Ist ja rechtswidrig. Die wollten DM 20 für jeden Schlüssel und DM für einen Satz Geschirr. Bei jüdischen Migranten hat niemand Pfandgelder verlangt, die werden viel besser behandelt als die Asylbewerber. Die müssen ihre Grundausstattung auch nicht zurückgeben. Ansonsten weiß ich, daß Herr Rohne sein Privathaus ohne besonderen Lohn von Firmenhausmeistern teilweise über deren normale Arbeitszeit hinaus hat bauen lassen. Zu den Leistungen, die der Firma in den Tagessätzen erstattet werden, gehört die regelmäßige Gebäudereinigung bei Gemeinschaftsräumen, Küchen und Duschen, entweder durch einen Reinigungsdienst oder durch die Flüchtlinge selber gegen Entgelt. In Wirklichkeit fin- flügeln die Daumenschrauben angelegt (wir sitzen doch alle in einem Boot...) und die Staatsanwaltschaft so lange es ging herausgehalten. Wir geben im Folgenden - anonymisiert - einiges von dem Material wider, das wohl auch der Staatsanwaltschaft vorliegt. Die Interviews sind authentisch, die Namen wurden verändert, Ähnlichkeiten sind nicht beabsichtigt, weil wir - wie der ehemalige Minister Jürgen Trittin in seinem erhellenden Statement - davon ausgehen, daß am Lagergeschäft beteiligte Schafe alle grau bis dunkelgrau sind. det weder das eine noch das andere statt, die streichen die Gelder einfach ein und tun nichts dafür. Entsprechend gammlig und dreckig sieht es in den Wohnheimen aus. dem Heim aufgetaucht und hat mich sofort bei der Firma angeschissen, daß ich nicht am Arbeitsplatz wäre, dabei wußte der, was ich zu tun hatte. Als ich dann mit einem Flüchtling auf dem Sozialamt war, wurde ich von ihm wieder angeschissen, weil ich nicht im Wohnheim war. Alles Schikane, um mich loszuwerden! H.O.: Kannst du bestätigen, daß im Putzmittelbereich extrem geknausert wird, Entzweischneiden von Scotch-Britt-schwämmen etc? E.H.: Ja, kann ich bestätigen. Die Putz- und Waschmittel kamen ebenso wie Einrichtungsgegenstände erst aus Nienburg, dann aus Wunstorf, die habe ich dort persönlich abgeholt, im Wohnheim S.-Straße. Als die Behörden kontrollieren wollten, wo die Putzmittel her sind und wie die abgerechnet wurden, hat die Zulieferfirma alle paar Wochen gewechselt. Inzwischen bringt Regionalleiter Walter Kraatz die Putzmittel selber in den Wohnheimen vorbei. H.O.: Was ist Kraatz für ein Typ? Er kommt aus dem Osten? E.H.: Der ist in der DDR Schuldirektor oder Schulamtsleiter gewesen, hat dort zuletzt in Nordhausen gelebt und seinen Job verloren, weil ihm eine Stasivergangenheit nachgewiesen werden konnte. H.O.: Stimmt es, daß es bei der Firma so eine Art Seilschaft von alten Stasi-Leuten gibt? E.H.: Ja, kann ich bestätigen. Kraatz, Stegemann, Bothe (Heimleiter in X.), Petersen und Hoffmann kamen alle aus dem Raum Nordhausen/Worbis und sollen alle Stasi-Vergangenheit haben. Einer von denen hat mich rausgemobt, nachdem ich dort wegen der Eßpakete Stunk gemacht habe. Ich sollte nachts ein Heim herrichten, mußte dann zum nächsten Job weiter, da ist er in H.O.: Du warst Sozialarbeiter? E.H.: Ich hatte drei Stellen, Heimleiter, Sozialarbeiter und Hausmeister. Die Firma hat für drei Stellen abgerechnet, ich wurde aber nur für eine bezahlt. Real hatte ich im mobilen Dienst dreizehn Wohnheime zu betreuen, immer abwechselnd eine Woche 24 Stunden Bereitschaft und zehn Stunden normaler Dienst. Überstunden wurden vielfach nicht bezahlt oder falsch abgerechnet. Ich war mit 3800 Mark einer der Bestverdienenden in meinem Bereich. Hausmeister wurden mit 1300-1700 Mark bezahlt, aber die Stellen für 3000 Mark abgerechnet. Außerdem mußten die unbezahlte Überstunden leisten. H.O.: Was war das für eine Geschichte mit den Essenspaketen? E.H.: Die Firma hat den Heimleitungen die Dinger geradezu aufgedrängt, obwohl da nur Scheiße drin war. Irgendwann habe ich herausbekommen, daß die Herstellerfirma der Pakete eine Tochter von der Firma ist. Die haben die Pakete in der ZASt X. von einer bayerischen Firma angeliefert bekommen, dort umgepackt und teurer weiterverkauft. H.O.: Laut Aussage eines Heimleiters haben Flüchtlinge den Kaufpreis der Freßpakete und den Preis ihres Inhalts gegeneinander aufgerechnet und sind auf FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 OLYMPIC-LAGER Preisunterschiede von 70-90% gekommen. E.H.: Das kommt etwa hin. Die Pakete wurden im Rathaus Burgdorf ausgestellt, drin fand dann ein Paketbüffet" als Werbeveranstaltung für die Dinger statt Ich hab da Motz gemacht und die Pakete geöffnet, um den Inhalt zu prüfen. Reihenweise war da vergammeltes Zeug drin, die Verfallsdaten längst überschritten und so weiter. Dann tauchten Hörich und Co auf und behaupteten, die Dinger wären gar nicht ausgeliefert worden und Flüchtlinge hätten sie mutwillig demoliert. H.O.: Kannst du bestätigen, daß die Firma von der öffentlichen Hand Gelder für die Anschaffung von Möbeln für die Wohnheime bekommt, diese aber zur Einrichtung privater Ferienhäuser verwendet und in die Wohnheime altes Gerümpel schafft? M.R: Ich war mit Oliver Gerke in einer alten SU-Kaserne in Ostdeutschland, da haben wir Möbel aufgeladen, die gar nichts gekostet haben. Die Firma hat aber Unkosten geltend gemacht. Die haben generell Möbel aus alten NVA-Kasernen beschafft, auch Handtücher und solche Sachen, mit den LKWs von Hörich. Die haben die Sachen geschenkt ge- kriegt und dann mit Land und Behörden abgerechnet. Es wird auch für neue Waschmaschinen abkassiert, aber Geräte von Berger in X. angeschafft, der Schrottmaschinen repariert. H Stadt. Das wurde von den Bediensteten wenig thematisiert, da die Ausschreibung der Stellen zwar bekannt gegeben wurde, aber nicht, daß einige der höherwertige Stellen bereits intern vergeben waren. Arnold Nitschke war damals Vorsitzender des Personalrats. der hat auf Mewes Machenschaften den Daumen drauf gehalten, er war Mewes Gewährsmann und in X-Stadt auch sein offizieller Stellvertreter. Nach Mewes Abgang aus dem Landesdienst wurde er sein Nachfolger. Er betrieb dann nach seinem eigenen Ausscheiden eine eigene Unterbringungsfirma, die Nitschke GmbH, die später von der Firma geschluckt wurde. Behringer war in X-Stadt unter anderem für Materialbeschaffung und Gepäck zuständig, logischerweise macht er heute bei der Firma den Spediteur. Interview mit Bernd Lechte, .O.: Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Firma und dem Grenzdurchgangslager X-Stadt? B.L.: Herbert Mewes war in Personalunion Leiter von X-Stadt und Y-Dorf. Es gab damals in Göttingen eine Troika: Mewes, Dohl und Karl. Michael Dohl wurde von Mewes nach Hannover geschickt. Er hatte kurz zuvor sein Diplom in BWL gemacht und kurze Zeit in der Privatwirtschaft gearbeitet. Als das Land nun eine Stelle zu vergeben hatte, um die Konzeption für das damals noch nicht existierende Lager Y-Dorf zu machen, hat Mewes gegenüber Bänsch, der damals sein Dienstvorgesetzter war, Dohl vorgeschlagen. Der bekam die Stelle dann auch und hat Mewes das neue Lager auf den Leib geschneidert. H.O.: Was heißt das? B.L. Das Lager in Y. war in jeder Beziehung viel besser ausgestattet. Im Prinzip fand Mewes hier Leute und Material zur Gründung seiner Privatfirma vor. Mewes und Karl gingen dann zusammen nach Y., wobei Mewes aber gleichzeitig die Leitung des Lagers X-Stadt innebehielt. Die Personalpolitik war in diesem Zusammenhang interessant: Es wurden in X-Stadt bewußt windige Leute für Y. abgeworben, die für eine Seilschaftbildung und krumme Geschäfte in Frage kamen. Die bekamen in Y. höherwertige Stellen gegenüber X- H.O.: Was wissen sie über den Zusammenhang mit der EXPO ? Schon damals wurde in X-Stadt gesagt, Bänsch wolle mit der EXPO Geld verdienen, seit bekannt war, daß sie nach Hannover kommt. Seine Frau betrieb schon ein Aussiedlerwohnheim, als er selber noch Mitarbeiter in der Behörde war. Die Verteilung eines großen Teils der Aussiedler wurde zentral in Hannover vorgenommen, und zwar von Bänsch selbst. Seit der Firmengründung von der Firma wurde der Einstieg in die H.O.: Was weißt du sonst noch über Unregelmäßigkeiten von der Firma? E.H.: Vor einem Jahr gab es eine HAZ-Meldung über eine Hoteleröffnung für die EXPO. Das Personal, welches das Haus ausgebaut hat, wurde via Erstattungen vom Land für Flüchtlingswohnheime bezahlt. Das Hotel Wartburg in Y. wurde von der Firma angekauft, aber nie bezahlt. ehemaliger Mitarbeiter einer Lagerbetreiber-Firma EXPO von langer Hand vorbereitet, die Flüchtlingswohnheime waren immer nur eine Interimsgeschichte. H.O.: Was wissen sie über die Firmen MaTik und RNV? B.L.: MaTik hat schon 1989 Freßpakete hergestellt, erst wurden die von der Firma abgekauft, dann haben Behringer und ein Herr Olsen die niedersächsische Sektion des Ladens übernommen. H.O.: Wissen sie etwas über Zusammenhänge zwischen der Bezirksregierung Z. und Mitarbeitern der Firma? B.L.: Davon weiß ich nichts. In diesem Zusammenhang fällt mir aber ein, daß Nickel ursprünglich von der Bezirksregierung Z. kommt. 69 OLYMPIC-LAGER H.O.: Welches sind die frühesten ihnen bekannten Mauscheleien, die sich vielleicht nachweisen ließen? B.L.: Es ging um die Ausschreibung zur Vergabe der Krankenstation im Jahr 1990 im Lager XStadt. Nach Presseberichten (August bis Oktober 90) wurde das Angebot von Mewes zurückgezogen, da ihm die Presse scheinbar auf die Schliche kam. Die Angebote der konkurrierenden Bewerber waren ihm offensichtlich bekannt. Sein Gebot unterschied sich nur um wenige DM von denen der Mitbewerber. Als das aufzufliegen drohte, zog er sein Angebot zurück. Der für die Vergabe zuständige Dienststellenleiter war Arnold Nitschke. Ein von Mewes als Wohnheim betriebenes ehemaliges Krankenhaus in M-Stadt, das anfangs mit 100 Leuten belegt war, wurde vom Personal des Lagers X-Stadt renoviert. Laut Vertrag mußte die Firma selber für Mobiliarverschleiß aufkommen, tatsächlich wurden zu Bruch gegangene Möbel aber aus den Beständen des Lagers XStadt ergänzt. Außerdem scheint die Firma von Anfang an von den Behörden bei der Vertragsvergabe bevorzugt zu werden. So gab es in R-Stadt einen privaten Anbieter, bei dessen Objekt es sich um ein Hotel mit Restaurant handelte. Der war chancenlos, weil Mewes schon da war. Mewes und Bänsch haben auch bei die Firma noch Mobiliar in X-Stadt eingekauft, die haben da ja noch immer ihre Leute sitzen. Selbst der Liefke ist einer von Mewes Männern, der hat ihm in Verbindung mit Nickel den Job in Z. verschafft, damit er da den Daumen draufhält, und als Nachfolger wieder einen von seinen Adlaten eingesetzt. H.O.: Wie würden sie diese Seilschaften kurz skizzieren? B.L.: Also: Mewes hat für die Einstellung von Dohl bei Bänsch gesorgt, Mewes nahm Karl nach Y. mit, Dohl ist bis heute sein Kontakt- und Gewährsmann im Ministerium, Bänsch hatte seinerseits Mewes aufgebaut. Bänsch war seit Ende der Sechziger im Landesdienst. Der damalige Minister Jürgens hat Mewes nach X-Stadt geholt. Anfang der Neunziger Jahre haben wir wegen der Zustände in den Wohnheimen eine Frau von den Grünen in Bewegung gesetzt, da gab es aber keine Reaktion. Olympic oder die Farbe des Geldes Affäre um Betreibergesellschaft von Flüchtlingswohnheimen Am Mittwoch, dem 04. Juni, trat Niedersachsens Innenstaatssekretär Claus Henning Schapper mit einer erstaunlichen Bekanntmachung vor die Abgeordneten des niedersächsischen Landtags und die Öffentlichkeit: Gegen mehrere Beamte des Landes Niedersachsen werde ermittelt, weil sie im Verdacht stünden, der Isernhagener Firma Olympic, die Flüchtlingswohnheime betreibt, Vorteile gewährt zu haben. Ermittelt werde wegen Bestechung, Unterschlagung von Landesmitteln und falschen Abrechnungen. Laut Auskunft der Staatsanwaltschaft Hannover, die am gleichen Tag mit dem niedersächsischen LKA eine SOKO bildete, richteten sich die Ermittlungen gegen fünf bis sieben Beamte aus Landes- und Bezirksregierungen". In Gang gekommen war die Affäre durch das Rechercheprotokoll eines Journalisten, das ohne dessen Wissen durch eine Indiskretion ins niedersächsische Innenministerium gelangt war und von dort aus quasi wie eine Regierungsdrucksache weitere Verbreitung gefunden hatte. Zahlreiche Personen, die aus den in dem Text enthaltenen Überlegungen 70 und Vermutungen, die auf eine Korruptionsaffäre hindeuteten, Kapital schlagen konnten, hatten das Papier erhalten, darunter auch die Beschuldigten selber. Als es mit ziemlicher Verspätung endlich auch bei der Staatsanwaltschaft Hannover eintraf, begann diese sofort mit Ermittlungen. Dies nicht zuletzt, als dort auch noch andere Hinweise als die in dem Papier enthaltenen Vorwürfe vorlagen. Offensichtlich unter Zugzwang, ergriff das Innenministerium die Flucht nach vorn und machte die Vorwürfe öffentlich. Im Kern geht es dabei um folgenden Sachverhalt: Die beiden geschäftsführenden Gesellschafter der Olympic-Firmengruppe kommen beide aus dem Landesdienst. Der eine war bis 1990 Leiter des Grenzdurchgangslagers Friedland und des Aussiedlerauffanglagers Bramsche-Hesepe, der andere dessen Vorgesetzter als Abteilungsleiter Aussiedler" im Niedersächsischen Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten. Nachdem der eine sich bereits 1990 mit einer privaten Betreibergesellschaft selbständig gemacht hatte, von Hinrich Olthoff schied der andere am 30.06.91 ebenfalls aus dem Landesdienst aus, um knapp zwei Jahre später bei ersterem einzusteigen. Es gibt Vorwürfe, es habe sich seit jener Zeit ein enges Beziehungsgeflecht zwischen der Firmenleitung, den für die Flüchtlingsunterbringung zuständigen Beamten der Landesregierung und den Bezirksregierungen entwickelt. So soll ein Mitarbeiter im Referat 42 des Innenministeriums seine Einstellung beim Land diesen beiden ehemaligen Kollegen zu verdanken haben. Mitarbeiter von Olympic und der Tochterfirma FACT berichten von einer miserablen Ausstattung der Wohnheime, einem schlechten Umgang der Firmenleitung mit dem Personal und engen Verquickungen der Firma mit der öffentlichen Verwaltung. In der Vergangenheit ergaben Prüfberichte bei Betreibergesellschaften von Flüchtlingswohnheimen des Öfteren grobe Mißstände. Schon 1993 wurde in Hannover bekannt, daß die JohanniterUnfallhilfe mindestens 2,5 Millionen Mark zuviel veranschlagt hatte. Einerseits gab es Minderausstattungen in den Wohnheimen, FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 OLYMPIC-LAGER andererseits wurde für Stellen abgerechnet, die nur auf dem Papier existierten. In einem Fall bestand das gesamte Personal eines Wohnheimes aus einem Zivildienstleistenden. Als die Aufsichtsbehörde die 16 Verträge mit Johannitern, DRK, der Olympic-Vorgänger-Firma OlympiaDienstleistungs-GmbH und der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde überprüfte, kam heraus, daß nicht ein Vertrag korrekt eingehalten wurde. Im gleichen Jahr gelangten Einzelheiten über die Überprüfungen der niedersächsischen Landeswohnheime durch einen Mitarbeiter Trittins an die Öffentlichkeit. Dieser Mann, ein ehemaliger Verfassungsschutzbeamter namens Glaeser, führte in zahlreichen Heimen unangemeldete Kontrollbesuche durch. Hierzu meldete ddp: In einem internen Prüfbericht des niedersächsischen Ministeriums für Bundes- und Europaangelegenheiten wurden im Zeitraum zwischen Januar und April in 27 Flüchtlingsheimen vertragliche Minderleistungen in Höhe von knapp 730.000 Mark festgestellt. Die Firma FACT war in mehreren Fällen wegen Mängeln in ihren Häusern aufgefallen. In einem handschriftlichen Vermerk eines Beamten wurde die Streichung der Firma von der Liste geeigneter, erstattungsfähiger Betriebe vorgeschlagen...." Im gleichen Jahr kritisierte auch der Landesrechnungshof Minderausstattungen der Wohnheime und Verschwendung von Steuermitteln. Ermöglicht werden solche Verhältnisse durch ein spezifisch niedersächsisches Modell der Kostenberechnung bei Wohnheimen: Für die Betreiber werden pauschale Tagessätze erhoben, die von der Grundausstattung der Wohnheimräume bis zu den Sozialarbeiterstellen alles einschließen, so daß besetzte Stellen nicht gesondert abgerechnet werden müssen, es also erstmal gar nicht auffällt, wenn für diese kassiert wird, ohne daß es einen realen Beschäftigten gibt. Zum anderen wird in den in der ersten Hälfte der Neunziger abgeschlossenen Verträgen von einer pauschalen Belegungszahl der Wohnheime ausgegangen, so daß bei 40 Flüchtlingen in einem Wohnheim für 120 abkassiert werden kann, wenn das Heim 120 Betten hat. Einer der erhobenen Vorwürfe lautet, einer der heutigen Gesellschafter habe als Landesbediensteter die Vorgaben für diese Verträge mitentwickelt und damit sozusagen im Vorhinein Geschäfte mit sich selber abgeschlossen". Von Seiten des Innenministeriums wurden derlei Vorwürfe bislang energisch zurückgewiesen, wobei die verantwortlichen Beamten allerdings keine sehr gute Figur machten. So erklärte Schapper noch am 04.06., dieser ehemalige Beamte wäre niemals für den Bereich Asylbewerber zuständig gewesen, um am nächsten Tag einzuräumen, daß er neben dem Bereich Aussiedler" kommissarisch auch für Asylbewerber zuständig gewesen sei. In einem dem Innenausschuß vorliegenden Papier des Innenministeriums (unterzeichnet Hubertus Lueder) werden mehr neue Fragen aufgeworfen als beantwortet. Dort heißt es zu diesem Beamten: Mit der Unterbringung von Asylbewerbern war er nur insoweit beschäftigt, als er im Sommer 1990 wegen der Vakanz der Referatsleiterstelle...an den vorbereitenden Arbeiten zur Unterbringungskonzeption beteiligt war. Diese fanden ihren Abschluß mit dem eingangs erwähnten Kabinettsbeschluß. An der anschließenden Erarbeitung eines Mustervertrags war er nicht mehr beteiligt. Dies übernahm der neu bestellte Referatsleiter Gutzmer." Merkwürdig erscheint auch die Tatsache, daß unisono von Seiten der Landesregierung wie auch der Firma zu hören ist, eine Bevorzugung von Olympic bei der Vertragsvergabe sei allein deshalb unmöglich, weil die Vertragspartner für die Wohnheime vor Ort die Kommunen seien, - nur: die Häuser hießen einmal Landeswohnheime", und die Umstellung auf kommunale Trägerschaft erfolgte erst ab Anfang 1994. Hierbei stiegen die Kommunen als neue Partner in laufende Verträge ein, die vorher von Bezirks- oder Landesregierung abgeschlossen wurden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, hier solle jemand für dumm verkauft werden. Nachdem es dem MI bislang nicht gelungen ist, die Vorwürfe vollständig zu entkräften und die Opposition, CDU wie Grüne, ebenso wie die Presse auf Schappers und Lueders Ausführungen alles andere als zufrieden reagierten, wurde es am 18.Juni wohl auch der Staatsanwaltschaft zu bunt. Die Strafverfolger wurden im Innenministerium und allen Bezirksregierungen vorstellig, um die Akten zu dem gesamten Sachverhalt einzusammeln. Lager Euzenberg und kein Ende Ein ungepflegter Flur mit nacktem Betonfußboden, kahle Wände, verdreckte Toiletten mit krustigen Ablagerungen in der Schüssel, fast auseinanderfallende Duschkabinen, mit schwarzen Stockflecken übersäte Decken in den Baderäumen, mittendrin die Bewohner, überwiegend ärmlich gekleidet, in Zimmern, die mit Mobiliar vom Sperrmüll oder aus Spenden eingerichtet sind... Das sind die ersten Eindrücke im Flüchtlingswohnheim Am Euzenberg" in Duderstadt, einer südniedersächsischen Kleinstadt im Landkreis Göttingen. Die hier untergebrachten Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge wirken resigniert und verzweifelt. Wir können nicht mal richtig kochen, weil es eine halbe Stunde dauert, bis die Platte warm ist, an allen Ecken und Enden wächst Schimmel." berichtet Frau N. aus dem Iran. Eine andere Heimbewohnerin weiß von Pilzerkrankungen bei zahlreichen Kindern. In einem Zimmer, das auch als Lagerraum für alte Matratzen genutzt wird, schläft ein Neugeborenes gemeinsam mit fünf Erwachsenen. Das Kinderbett wurde, wie die gesamte übrige Babyausstattung, erst nach der Geburt des Kindes angeschafft. Duderstadt-Euzenberg ist kein Einzelfall, ähnlich gammlig sieht es beispielsweise im Flüchtlingswohnheim Walsrode aus. 71 OLYMPIC-LAGER Dieses Firmenkonglomerat dient nur dazu, eine Nebelwand aufzubauen, um die tatsächlichen Verhältnisse zu verschleiern." Wesentlicher Unterschied: während das Heim in Duderstadt eine alte Munitionsfabrik mit massiven, aber an vielen Stellen feuchten Mauern ist, handelt es sich in Walsrode um eine Leichtbaukonstruktion aus Holz, Rigips, Spanplatten und ähnlichen Materialien. Wesentliche Gemeinsamkeit: Beide Häuser gehören dem selben privaten Betreiber, der OlympicGruppe mit Stammsitz in Isernhagen bei Hannover. Ein ehemaliger Flüchtlingssozialarbeiter weiß zu berichten, daß die Firma bei Kontrollbesuchen der Bezirksregierung im Schnitt angeblich zwei Tage vorher Bescheid wisse. Dann würden die Feuerlöscheinrichtungen komplettiert und aktualisiert und Mitarbeiter aus anderen Heimen herbeigeholt, um einen ordnungsgemäßen Zustand der Heime und eine ausreichende Personaldecke vorzutäuschen. Ein Kollege aus Duderstadt machte ähnliche Beobachtungen: Er berichtet von völlig abgenutztem Bettzeug", das man kaum noch gebrauchen könne", welches an die Flüchtlinge ausgegeben werde. Solche Beobachtungen stehen in krassem Widerspruch zu der Tatsache, daß Olympic mit Tagessätzen von mindestens Zwanzig Mark pro Flüchtling sehr gut verdient und auch nicht gerade eine notleidende Firma ist: Zur Olympic-Gruppe gehören nämlich an die zehn verschiedene Betriebe, die in verschiedenen Branchen als Dienstleister tätig sind und über gute Einnahmequellen verfügen. So bewirtschaftete Olympic die Markthalle in Hannover, betreibt Liegenschaften für die EXPO und Unterkünfte für Werksangehörige vor allem von VW. Zeitweise stellte Olympic sogar die Essenspakete für die Flüchtlinge selber her und druckte Warengutscheine. Norbert Ohnesorg, Justiziar der ÖTV-Bezirksverwaltung Hannover, der im Augenblick vor dem Arbeitsgericht die Olympic-Belegschaft gegen ihre Firmenleitung 72 vertritt, meint zu der verschachtelten Firmenstruktur: Dieses Firmenkonglomerat dient nur dazu, eine Nebelwand aufzubauen, um die tatsächlichen Verhältnisse zu verschleiern." Die Firmenleitung versuchte auf gerichtlichem Wege die Bildung eines Betriebsrats zu verhindern, was von dem Arbeitsrichter, Tobias Walkling, in der ersten Verhandlung aber abschlägig beschieden wurde. Nachdem sich der Themenkomplex Olympic" zur Affäre ausgewachsen hatte, machte die Firma einen plump anmutenden taktischen Rückzieher: Plötzlich wurde Carsten Thür das ihm zur Wahl eines Betriebsrats benötigte Material, das man ihm wochenlang vorenthalten hatte, ausgehändigt. Die Firma versuchte über ihren Anwalt sogar, den Arbeitsrichter auf außergerichtlichem Wege dazu zu bewegen, von einer zweiten mündlichen Verhandlung Abstand zu nehmen, mit dem Hinweis da ist ja die ganze Presse, und das könnte der Firma gegenwärtig sehr schaden". Dementsprechend war Olympic sogar bereit, einer Betriebsratswahl pauschal zuzustimmen. Der Richter indes bestand auf der Durchführung einer ordentlichen Verhandlung, welche den Betriebsrat nun auf den Weg brachte. Die Vorwürfe gegen Olympic sind nicht neu, und die inkriminierten Praktiken beschränken sich auch nicht auf Olympic. Silke Stokar von der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen berichtet etwa, daß eine Überprüfung der Wohnheime im Regierungsbezirk Weser-Ems wenige Wochen, bevor die OlympicAffäre ruchbar wurde, Minderleistungen und krumme Rechnungen in allen überprüften Fällen ergeben hätte. Auszubaden haben dies die Flüchtlinge, denen SozialarbeiterInnen, Kinderbetreuung, ausrei- chendes Mobiliar und hygienische sanitäre Einrichtungen vorenthalten werden. Bei einem Tagessatz von Zwanzig bis Fünfunddreißig, maximal sogar fünfundfünfzig Mark pro Flüchtling ist die Wohnheimunterbringung für die öffentliche Hand dabei ausgesprochen teuer, sehr viel teurer als es dezentrale Unterbringung jemals sein könnte. Im Falle Olympic weisen, wie oben gesagt, sowohl Landesregierung als auch Firmenleitung darauf hin, daß die Verträge mit den Kommunen abgeschlossen wurden und die Höhe der Tagessätze gar nicht vom Land bestimmt wurde. Daß dies falsch ist, wurde oben bereits dargelegt; außerdem heißt es in einem an die Bezirksregierungen gerichteten Schriftstück des damaligen Bundes- und Europaministeriums vom 16.04. 1991: ..."Tagessätze über 20 DM (zuzüglich Mehrwertsteuer) bedürfen meiner Genehmigung"... Im Auftrage Gutzmer". Mit Ausnahmeregelungen wurde hierbei sehr großzügig umgegangen. So gehören die Tagessätze der von der Olympic- Tochter FACT betriebenen Wohnheime für jüdische MigrantInnen zu den höchsten in Niedersachsen. Im Falle des Wohnheims Wallenhorst-Rulle liegt dieser bei 42 Mark. Der Vertrag wurde mündlich abgeschlossen. Ironischerweise liefert die Firma Olympic den Beleg für das von den Rechten ständig vorgetragene Argument, daß Flüchtlinge die steuerzahlende Bevölkerung teuer kommen. Es sind allerdings nur die Lagerbetreiber, die daran profitieren, daß die besondere Ghettoisierung, Entmündigung und materielle Unterversorgung der Flüchtlinge so subventioniert wird, daß daran eine goldene Nase zu verdienen ist. Unterm Strich erscheint mir die private Lager-Betreiberei als eine der besten Geschäftsideen unterhalb der Schwelle zur reinen Kriminalität. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 SOZIALE DISKRIMINIERUNG Soziale Diskriminierung von Flüchtlingen Ausgrenzung von Gemeinschaftsfremden Die auf der letzten Flüchtlingsrat-Sitzung in Salzgitter öffentlich gemachte Ankündigung, in Salzgitter wie in anderen Orten Niedersachsens Gutscheinpools zu gründen, um den vom Asylbewerberleistungsgesetz betroffenen Flüchtlingen Gutscheine in Bargeld umzutauschen, hat die CDU/FDP-Ratsfraktion in Salzgitter zu heftigen Ausfällen gegen den Flüchtlingsrat veranlaßt: Der Umtausch von Gutscheinen sei, so die öffentlich und offenbar auch ernstgemeinte Kritik, ein skandalöses Vorhaben" und werde aufs Schärfste verurteilt. Wir wissen, daß gerade in diesem Bereich ein erheblicher Mißbrauch getrieben wird, der kaum zu kontrollieren ist. Um so unverständlicher ist, daß ganz offen zum Mißbrauch deutscher Steuergelder aufgefordert wird", empörten sich die Damen und Herren der CDU/FDP-Ratsfraktion. Wir werden nach Lösungen suchen, um derartige deutschfeindliche Machenschaf- ten zu unterbinden", heißt es abschließend. Die um die deutschen Steuergelder so besorgten Ratsmitglieder sollten sich von ihrer Verwaltung einmal ausrechnen lassen, wieviel Geld die Stadt Salzgitter zusätzlich ausgibt, um Flüchtlinge durch Gutscheine zu diskriminieren. Die von einer CDU/FDP-Koalition bestimmte Ratsmehrheit der Stadt Hildesheim rechnete 1996, also noch nach dem alten Asylbewerberleistungsgesetz, mit Einsparungen in Höhe von 100.000 DM durch Verzicht auf Gutscheine - und beschloß kurzerhand die Beibehaltung der Bargeldauszahlung. Offenbar ist in Salzgitter die Versuchung groß, das eigene schlechte Gewissen angesichts der praktizierten Apartheid durch einen umgekehrter Rassismus zu kompensieren, welcher die Einforderung von Solidarität und Mitmenschlichkeit nur noch mit deutschfeindlichen Machen- Behandlung im Krankenhaus nur noch im Ausnahmefall? 1994: Frau G. kommt als Kriegsflüchtling aus Sarajevo nach Braunschweig, sie leidet an einer schweren Ernährungsstörung. 1995: Nach einem Krankenhausaufenthalt bezieht sie eine eigene Wohnung, kommt nach der anstrengenden Flucht zur Ruhe und nimmt allmählich an Gewicht zu. Ohne Probleme wird sie ambulant weiter behandelt. 1996: Ihr allgemeiner Gesundheitszustand verschlechtert sich deutlich. Ihre Hausärztin betont, daß Frau G. sehr krank sei. Die Ursache für den extremen Kalziummangel könne ambulant nicht gefunden werden. Im November 1996 hält sie Rücksprache mit der Krankenhilfe im Sozialamt, um für Frau G. eine Krankenhauseinweisung durchzusetzen. Zeitgleich wird die Sozialhilfe gekürzt, weil eine freiwillige Rückkehr nach Bosnien zumutbar wäre. Die für Frau G. unbedingt notwendige hochwertige Ernährung kann so nicht gewährleistet werden. Der Widerspruch gegen die Kürzung bleibt erfolglos. Am 13.12.96 wird die Ablehnung der Kostenübernahme für die stationäre Behandlung bekannt. Mit einem persönlichen Anschreiben und einem erneuten Attest der Ärztin wird erneut die Kostenübernahme beantragt. Frau G. sieht sehr schlecht aus, sie scheint um 20 Jahre vorgealtert. Sie hat häufig Schmerzen und fühlt sich sehr schwach. Für Mitte Februar 1997 erhält Frau G. die Aufforderung, sich im Gesundheitsamt Braunschweig vorzustellen. Dort wird sie oberflächlich untersucht und festgestellt, daß sie sich noch bewegen kann". Nach 3 Wochen wird dem Sozialamt mitgeteilt, daß eine Krankenhausbehandlung nicht notwendig sei. Bargeld statt Gutscheine CDU/FDP in Salzgitter wollen Deutschfeindliche Machenschaften" unterbinden Kai Weber schaften" zu übersetzen imstande ist. Zusatz der Red.: L e tz te Wo c h e h a t a u c h d e r L a n d k re i s G ö tti n g e n d i e B a rg e l d z a h l u n g g a n z u n s p e k ta k u l ä r e i n g e fü h rt. G e g e n d i e i d e o l o g i s c h e n H a rd l i n e r i n d e r K re i s v e rw a l tu n g , - d e r S o z i a l d e z e rn e n t h ä l t d i e B a r z a h l u n g i m m e r n o c h f ü r re c h ts w i d ri g -, h a t d i e B e z i rk s re g i e ru n g Braunschweig einfach die vom K re i sta g a b g e sti m m te H a u sh a l t seinsparung genehmigt. von Gabriele Thiel, Braunschweig Inzwischen sind 4 Monate seit dem ersten Antrag verstrichen. Frau G. sieht sehr krank aus. Ich habe Angst um ihr Leben und mache das wiederholt dem Sozialarbeiter in der Krankenhilfe deutlich. Plötzlich Ende März gibt es endlich grünes Licht. Frau G. darf im Städtischen Krankenhaus aufgenommen werden. Nach gut einer Woche ist eine schwere Darmerkrankungen diagnostiziert (Zöliakic). Frau G. erhält eine spezielle glutenfreie Kost. Nach weiteren 14 Tagen ist sie nahezu beschwerdefrei. Bei gutem Krankheitsvorlauf werden die schweren Mangelzustände in etwa einem Jahr beseitigt sein und Frau G. kann evtl. in ihre Heimat zurückkehren. Fazit: Das jetzt gültige Asylbewerbeleistungsgesetz wird Flüchtlingen mit chronischen und doch schwerwiegenden Erkrankungen nicht gerecht. 73 SOZIALE DISKRIMINIERUNG Verschärftes AsylbewerberLeistungsgesetz Schlimmste Entgleisung im Europäischen Jahr gegen Rassismus PRO ASYL1 Das Ergebnis der Absprachen zwischen Regierungsparteien und SPD sei ein Parteienkonsens gegen Flüchtlinge",der den Geruch der Apartheid verbreite. Als bislang schlimmste Entgleisung im Europäischen Jahr gegen Rassismus" hat PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann die von Bundestag und Bundesrat mit Mehrheit verabschiedete Novelle zum Asylbewerberleistungsgesetz bezeichnet, die am 1. Juni 1997 in Kraft tritt. Nunmehr erhalten Asylsuchende, Kriegsflüchtlinge und geduldete Ausländer/innen ab 1. Juni drei Jahre lang (bisher: 1 Jahr) nur noch drastisch gekürzte Sozialleistungen. Damit werden mehr Flüchtlinge auf noch längere Zeit aus der existentiellen Grundsicherung ausgegrenzt. Noch härter geht PRO ASYL mit der in letzter Minute zwischen Regierungsparteien und SPD verabredeten Ausdehnung der Neuregelung auf alle in Deutschland lebenden Asylsuchenden und die bereits länger im Lande lebenden Flüchtlinge, Bürgerkriegsflüchtlinge und geduldeten Ausländer/innen ins Gericht. Bis zum 1. Juni 2000 gewähre der Gesetzgeber mehreren hunderttausend Betroffenen gerade noch das blanke physische Existenzminimum - in der Praxis werde auch dieses wohl häufig noch unterschritten werden. Kauffmann: Die Einführung eines dauerhaft geringeren Existenzminimums für eine ganz bestimmte Gruppe hier lebender Menschen ist staatlich organisierter Rassismus. Auch wenn das Gesetz mit den Mitteln der Rechtsstaatlichkeit auf den Weg gebracht wurde, muß es als rassistisch geprägtes Sondergesetz bezeichnet werden." Das Ergebnis der Absprachen zwischen Regierungsparteien und SPD sei ein Parteienkonsens gegen Flüchtlinge", der den verfassungsrechtlichen Vorgaben und dem Menschenwürde-Gebot des Grundgesetzes nicht genüge und den Geruch der Apartheid verbreite. Die SPD-Ländervertreter im Bundesrat seien ihren eigenen Kolleginnen und Kollegen aus der Bundestagsfraktion in den Rücken gefallen, die in parlamentarischen Debatten immer wieder darauf hingewiesen hätten, daß eine langfristige Unterschreitung des Sozialhilfeniveaus nicht vertretbar sei und die SPD dem sogenannten Asylkompromiß" von 1992 nur in diesem Bewußtsein habe zustimmen können. Gutscheine sind Schlechtscheine Karl-Heinz Welder (AK Asyl Northeim) 2 E s gibt ... nicht wenige Deutsche, vielleicht die Lichterkettenmenschen" nach Brandanschlägen, die es nicht hinnehmen wollen, daß durch Gutscheine eine Art von Apartheid (Zweiklassengesellschaft) an der Registrierkasse im Supermarkt entsteht. Menschen mit Cash", von reichlich bis sehr knapp bemessen einerseits und Menschen mit Gutscheinen, die sich beim Bezahlen ausgegrenzt und erniedrigt fühlen! Spätestens in diesem Augenblick werden Gutscheine zu Schlechtscheinen: Gutscheine haben keinen Wert in Bosnien, Vietnam oder sonstwo. Ein hier angesparter 20-oder 50-Mark-Betrag konnte bis Mai 1997 durch Überweisung die teils unvorstellbare Not von Familienangehörigen im Heimatland lindern helfen. Wir sind zwar nicht das Sozialamt 1Presseerklärung vom 31. Mai 1997 2Gast-Kommentar im TIP 11.06.97 74 der Welt", aber wenn sichFlüchtlinge bei uns etwas vom Munde absparen und kleine Beträge nach hause schicken, dann sollten wir das bewundern und als vorbildhaft empfinden. Das Gutscheinsystem soll angeblich auch abschreckende Wirkung auf Flüchtlinge jenseits unserer Grenzen ausüben, weil die Ertrunkenen in der Oder und Neiße oder zum Beispiel die Selbstmorde und überlangen Haftzeiten in Abschiebeknästen nicht abschreckend genug sind. Es kostet Geld, erhöht also die Ausgaben für den betroffenen Personenkreis. Es wird nun auch mehr labile Gutscheinmenschen geben, die ihren zu knappen Bargeldrestbetrag durch Diebstahl vergrößern werden. Nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts (siehe Drittstaatenregelung) ist auch die Rechtsweggarantie im Rechtsstaat Deutschland für Gutscheinflüchtlinge auf kaltem Wege abgeschafft, denn mit 80 Mark monatlich können keine Anwaltsko- sten bis zu 1.300 Mark in der ersten Instanz bezahlt werden! Für mich sind Gutscheine also Schlechtscheine, weil die Nachteile gegenüber Bargeldleistungen überwiegen. Übrigens: beim gelben 10-Mark-Gutschein läßt sich mit schnellem Scherenschnitt der Rand sternförmig umfalten. Dieser Schein müßte dann zwar nicht wie anno 1937 wie der Judenstern ans Jackett geheftet werden, aber wie kann mir 1997 nur dieser Vergleich mit dem unglaublichen Judenstern kommen? Neulich sprach er mich an, der abgelehnte und in einer Notunterkunft völlig isoliert lebende Ausländer: Könnten Sie mir bitte für 100 Mark in Gutscheinen 100 Mark Bargeld eintauschen? Warum?", war meine erste Reaktion. Er erklärte mir, daß er seinen Bruder in Düsseldorf besuchen möchte, die Bahn keine Gutscheine akzeptiere, und außerdem müsse er noch monatlich 60 Mark seinem Anwalt bezahlen. - Was hätten Sie gemacht? FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 SOZIALE DISKRIMINIERUNG O ffenbar um Flüchtlingen und Asylbewerbern ihren Aufenthalt in Deutschland so schwer wie möglich zu gestalten, ist zum 1. Juni das Asylbewerberleistungsgesetz geändert worden. Das vermutet jedenfalls Einbecks stellvertretende Verwaltungschefin Ursula Belker. Sie findet das Gesetz geschmacklos". Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge erhalten nicht nur um 20 Prozent gekürzte Leistungen - ihnen wird auch kein Bargeld mehr ausgezahlt: Sie erhalten Wertgutscheine. Für Ursula Belker ist die Gesetzänderung nicht nur in verwaltungstechnischer Hinsicht ein rotes Tuch: Das ist auch aus sozialen Gründen nicht vertretbar." Der Arbeitskreis Asyl Northeim hält die Gutscheine für eine diskriminierende Maßnahme". Darüber ist er auch empört: Durch die Ausgabe von Gutscheinen können keine Gelder eingespart werden, wenn der Wert der Gutscheine zuzüglich dem ausgezahlten Taschengeld der bislang ausgezahlten Bargeldsumme entspricht", so KarlHeinz Welder vom Arbeitskreis. Das Gutscheinsystem solle hauptsächlich abschreckende Wirkung auf Flüchtlinge jenseits der deutschen Grenzen ausüben, weil die Ertrunkenen in der Oder und Neiße oder zum Beispiel die Selbstmorde und überlangen Haftzeiten in Abschiebeknästen nicht abschreckend genug seien. Welder: Das nun erweiterte Gutscheinsystem kostet Geld und erhöht die Ausgaben für den betroffenen Personenkreis. Es ist Wasser auf die Mühlen der Ausländerfeinde." Es werde auch labile GutscheinFlüchtlinge geben, die ihren zu knappen Bargeld-Restbetrag durch Diebstahl vergrößern werden. Das Gutscheinsystem polarisiere unter vielen Deutschen menschliches Verhalten, denn es gebe andererseits genug Deutsche, die peinliche und diskriminierende Szenen mit Ausländern an der Supermarktkasse nicht hinnehmen werden". Die Kassiererinnen in den Geschäften würden zusätzlich Streß ausgesetzt werden, denn die meisten ausländischen Gutscheinkunden würden von einigen oder nicht informierten Bargeldkunden als Störfall" angesehen werden. Die Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland werden erneut ein Stück weiter ausgegrenzt", meinte zur neuen Regelung Petra Datta, Flüchtlingsbeauftragte beim Paritätischen Sozialzentrum in Northeim. Gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Probleme lassen sich aber durch ein Zwei-Klassen-System nicht lösen." Eher als Konsequenz zu erwarten sei nach Dattas Meinung ein Anwachsen von Schwarzarbeit, Kleinkriminalität und Entsolidarisierung. Oder andersherum vorgestellt: Was würde wohl passieren, wenn Besitzer von Läden und Ladenkette zusammenkämen und befänden, daß sie zwar gern mit den Flüchtlingen Geschäfte machten, aber daß ihnen die ganze Gutscheingeschichte doch zu aufwendig würde, arg diskriminierend obendrein, und sie da einfach nicht mehr machen wollten ?" Die Flüchtlingsbeauftragte: "Wie wäre es, wenn (bis zu jenem denkwürdigen Tag) sich Verkäufer und Kassierer gegenüber den Wertscheinleuten beim Scheineberechnen und beim nicht mehr als 10% Bargeld zurückgeben dürfen" freundlich und geduldig verhielten, wenn die anderen Kunden in der Schlange ebenso freundlich und gelassen warteten, mit ihrem Frust dagegen gelegentlich zu Politikern ihres Wahlkreises gingen?" Datta schlägt vor: Wie wäre es, wenn Nachbarn und Bekannte den Wertscheinleuten ihre Unterstützung auf mancherlei Art anböten: Mal ein Mitnehmen im Auto, Fahrtkosten sparend, mal ein gemeinsames Einkaufen ?" Flüchtlingsbetreuer Thomas Freitag (Einbeck) sieht noch mehr Frust und Resignation bei den Empfängern der Gutscheine aufkommen: Das ist nicht fair und erschwert auch unsere Arbeit. Wasser auf die Mühlen der Ausländerfeinde Kritik über Gutscheinsystem für Flüchtlinge und Asylbewerber Bericht über AK Asyl Northeim* Wir versuchen ja schon, zu vermitteln." Hinzu kämen Einschränkungen bei der Krankenhilfe, Wegfall der Bekleidungspauschale. Viele wohnten nicht mehr in Heimen, sondern in Mietwohnungen. Aber nehmen etwa Telekom und Stadtwerke Gutscheine an ? Freitag wundert sich deshalb nicht, daß versucht werde, die Gutscheine auch zu Bargeld zu machen. Die Leute haben ja nur 80 Mark Taschengeld in der Tasche." Für den Flüchtlingsbetreuer klingt es deshalb zynisch, wenn Bayern Innenminister sagt: Das ist eine unterstützende Maßnahme zur freiwilligen Rückkehr..." Anmerkung der Red.: Da s n e u e A sy l b e w e rb e rl e i stu n g s g e s e tz i s t z w a r m a te ri e l l b ru ta l v e rsc h ä rft, a b e r d i e E n tsc h e i d u n g ü b e r G u tsc h e i n e o d e r B a rg e l d z a h l u n g i st fü r di e K o mmu n e n e i n fa c h e r a l s b i s h e r g e w o rd e n , d a k e i n e b e so n d e re B e g rü n d u n g m e h r n o tw e n d i g i s t. D i e B e z i rk s re g i e ru n g e n ts c h e i d e t l t. m ü n d l i c h e r A u sk u n ft a l s K o m m u n a l a u f s i c h t n u r n a c h w i rts c h a ftl i c h e n G e s i c h tp u n k te n . E s g e n ü g t a l s o a l s B e g rü n d u n g b e re i ts d i e d a m i t e rz i e l te H a u s h a l ts e i n s p a ru n g . K e i n e K o m m u n a l v e rw a l tu n g u n d k e i n R a t o d e r K re i s ta g k a n n s i c h m e h r u n te r H i n w e i s a u f e i n e a n gebliche Rechtslage die Gut scheine leisten. E s l i e g t n u r b e i i h n e n s e l b s t. * im TIP vom 11.06.1997 75 SOZIALE DISKRIMINIERUNG AsylbLG-Novelle Bundesweiter Leitfaden Georg Classen* Zum 1. 6. 1997 ist die AsylbLGNovelle in Kraft getreten. Sie beinhaltet drei Jahre Leistungskürzungen für alle Ausländer mit Duldung, für alle Asylbewerber, sowie für Kriegsflüchtlinge mit Aufenthaltsbefugnis nach § 32 oder 32a AuslG". Der mit Hilfe der SPD-Länder gefundene Kompromiß" geht noch über den ursprünglichen Seehofer-Entwurf vom Oktober 1995 hinaus, da er auch Kriegsflüchtlinge mit Aufenthaltsbefugnis und mit Duldung einbezieht und ohne Rücksicht auf die bisherige Aufenthaltsdauer die nächsten drei Jahre für alle Leistungsberechtigten gilt. Im Bundesrat dagegen gestimmt haben nur die vier rotgrün regierten Länder. Der Gesetzgeber liefert keine Begründung für diese im ursprünglichen Gesetzesentwurf nicht vorgesehene, ohne Unterschied alle hier lebende Leistungsberechtigten für die nächsten drei Jahre treffende Kürzung, denn die zugrunde liegenden Verhandlungsprotokolle des Vermittlungsausschusses werden geheimgehalten. Völlig unabhängig von der bisherigen Aufenthaltsdauer sind für die gekürzten Leistungen drei Jahre Bezugsdauer - gerechnet ab Inkrafttreten am 1. 6. 1997 vorgesehen, so daß frühestens zum 1.6.2000 überhaupt wieder Leistungen nach § 2 AsylbLG gewährt werden können. Bei Leistungsbeginn (z.B. durch Einreise) nach dem 1.6 1997 bzw. zwischenzeitlicher Unterbrechung des Leistungsbezugs gilt die Kürzung entsprechend länger. Das Sachleistungsprinzip nach § 3 AsylbLG ist deutlich gelockert *Georg Classen ist der Spezialist für das AsylbLG. Der Flüchtlingsrat hat mit ihm zusammen das Sonderheft zum Ausländer-Leistungsgesetz herausgegeben 76 worden, um den Ländern bzw. Kreisen und Kommunen künftig den politischen und rechtlichen Spielraum zu geben, sich anstelle von Sachleistungen für die Gewährung gekürzter Geldleistungen zu entscheiden, ohne dabei jedoch - von Ausnahmefällen abgesehen - den Leistungsberechtigten einen Rechtsanspruch auf Geldleistungen zuzugestehen. Die verwaltungsmäßig kostengünstigere und weniger diskriminierende Geldleistungsgewährung wäre daher künftig vor allem auf politischen Wege einzufordern. Einen für die Argumentation ggf. hilfreichen Überblick über die bisherige Praxis der Länder bei der Gewährung von Geld- bzw. Sachleistungen nach §§ 2 und 3 AsylbLG liefert eine Untersuchung der Wissenschaftliche Dienste des dt. Bundestages" vom Februar 1997: Hetzel, S. Ausarbeitung Asylbewerbeleistungsgesetz", Reg. -Nr. WF III - 219/96, Tel. 0228-16-22325.Erhältlich auch bei der ZDWF. Die Frage der Leistungsberechtigten von Kriegsflüchtlingen mit Aufenthaltsbefugnis hat bei den Sozialämtern zu großer Verunsicherung geführt. Im Ergebnis ist aber festzustellen, daß jedenfalls derzeit nur Bosnier ggf. unter das AsylbLG fallen können. Niedersachsen hat dies bereits im Erlaß zur AsylbLG-Novelle entspre- chend geregelt. In Berlin ist ein entsprechendes Rundschreiben an die Sozialämter in Vorbereitung, aus den anderen Ländern liegen mir noch keine Informationen vor. Zu dieser Frage habe ich eine ausführliche Stellungnahme beigefügt. Ich habe vor, im Herbst eine Neuauflage des Leitfadens zum AsylbLG Menschenwürde mit Rabatt" für PROASYL zu erarbeiten grundsätzlich nach dem selben Konzept wie die erste Auflage, aber mit völlig neu bearbeitetem Inhalt, wozu auch ein ausführlicher Dokumentationsteil gehören soll. Ich möchte daher schon jetzt bitten um Zusendung von dazu hilfreichen Materialien wie - Ländererlassen zur AsylbLG-Novelle - Dokumentationen über Sozialamtspraktiken und über Widerstandsaktionen - Presseberichte (da ggf. Druckvorlagen, möglichst Originale bzw. hochwertige Kopien Ich möchte darum bitten, diese Information in Ihrem Bundesland bzw. an die Mitgliedsorganisationen weiterzugeben. Herzliche Grüße! Georg Classen Red.: Das ist hiermit geschehen. Wir bitten die LeserInnen des Flüchtlingsrat-Rundbrief, diese Beiträge auch an den Flüchtlingsrat zu geben. Ausgemachte Schweinerei unter nds. Federführung* Die künftige Regelung ist eine ausgemachte Schweinerei unter nds. Federführung*", kritisiert Heidi Lippmann-Kasten, migrationspolitische Sprecherin der Grünen, die Gesetzesänderung. Über die Asylbewerber hinaus werden jetzt alle Nichtdeutschen, die nur einen befristeten Aufenthaltsstatus haben, in ihrer wirtschaftlichen Existenz nachhaltig bedroht." Lippmann-Kasten befürchtet, daß die Ausweitung der Sozialleistungskürzung unterhalb dessen, was bisher als Existenzminimum angesehen wurde, mittelfristig auf weitere Personen- gruppen wie SozialhilfeempfängerInnen und Behinderte ausgedehnt wird: Heute trifft es Ausländer, morgen alle Sozialhilfempfänger und Behinderte." *Im Ursprungsentswurf zur Gesetzesänderung vom Herbst 1995 hatte die Bundesregierung eine Ausweitung des Leistungszeitraums auf zwei Jahre vorgesehen, Bürgerkriegsflüchtlinge waren ausdrücklich ausgenommen. Auf Antrag von Niedersachsen waren letztere aufgenommen worden. (...) *aus der Pressemitteilung der Grünen im nds. Landtag vom 22. Mai 1997 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 SOZIALE DISKRIMINIERUNG E rstes Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) Durchführung des AsylbLG Bezug: RdErl. v. 14.08.1995 Der Bundesrat hat am 25.04. 1997 dem vom Deutschen Bundestag durch Beschlüsse vom 08.02.1996 und 24.04.1997 verabschiedeten Ersten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes zugestimmt. Dieses Gesetz tritt bereits zum 01. Juni 1997 in Kraft. Das Gesetz wird nach Auskunft des BMG am 30.05.1997 im BGB. 1 5. 1130 verkündet. Der Gesetzestext ist Ihnen von hier unmittelbar nach Bekanntwerden in Form einer Synopse mit dem derzeit noch geltenden Recht zugänglich gemacht worden. Für die Durchführung auch des geänderten Gesetzes im Lande Niedersachsen ist bis auf weiteres der Bezugserlaß maßgeblich, soweit neugefaßte Bestimmungen dem nicht entgegenstehen. Zu gegebener Zeit wird der Bezugserlaß unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich bei der Anwendung des geänderten Gesetzes gewonnenen Erkenntnisse an die neue Rechtslage angepaßt. Das Gesetz enthält im wesentlichen folgende Neuregelungen, um deren Beachtung ich schon jetzt bitte: 1. Zu §1: Der Personenkreis der Leistungsberechtigten wurde gegenüber der bisherigen Fassung konkretisiert und erweitert. a)In den Kreis der Leistungsberechtigten sind nach § 1 Abs. 1 Nr.3 nunmehr auch Personen einbezogen, die wegen des Krieges in ihrem Heimatland eine Aufenthaltsbefugnis nach den §§ 32 oder 32 a AuslG besitzen. Damit falten die in Niedersachsen aufhältigen bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge, die noch im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 32 AusIG sind, ab 01.06.1997 nicht mehr unter den Anwendungsbereich des BSHG. Sie erhalten künftig Leistungen nach dem AsylbLG. b)Nach § 1 Abs. 1 Nr.4 falten unter den Anwendungsbereich des AsylbLG auch die Ausländerinnen und Ausländer, die eine Duldung nach § 55 AusIG besitzen. Hierzu gehören Bürgerkriegsflüchtlinge, die nicht im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis sind. Für ihre Ieistungsrechtliche Zuordnung kommt es auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit der freiwilligen Ausreise nicht mehr an. c)Zu den Personen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr.5 zählen sowohl Ausländerinnen und Ausländer, die keinen Asylantrag gestellt haben und denen keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden ist, so daß sie vollziehbar zur Ausreise verpflichtet sind, als auch solche, die nach Ablehnung des Asylantrages noch nicht ausgereist oder abgeschoben sind. 2. Zu §2: Nach der Neufassung des § 2 Abs. 1 wird das BSHG auf Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG nunmehr frühestens erst nach dreijährigem Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG entsprechend angewendet. Die 36-Monatsfrist beginnt frühestens am 01.06.1997 zu laufen. Da das Gesetz keine Übergangsregelung enthält, werden bisherige Leistungszeiten nicht angerechnet AsylbewerberLeistungsgesetz Durchführungserlaß Niedersächsisches Innenministerium* Auch Leistungsberechtigte, denen bisher gemäß § 2 bereits Leistungen entsprechend dem BSHG gewährt worden sind, erhalten ab 01.06.1997 für 36 Monate nur noch Leistungen nach den §§ 3 ff. Die Voraussetzungen für eine leistungsrechtliche Besserstellung nach § 2 Abs. 1 liegen somit frühestens zum 01.06.2000 vor. Im Ergebnis erhalten alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG damit ab 01.06.1997 für 36 Monate nur noch Leistungen nach den §§ 3 ff. Erst danach ist zu prüfen, ob ihre Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen. 3. Zu § 3: a)Nach § 3 Abs. 1 Satz 5 erhalten in Abschiebungshaft genommene Personen künftig ein Taschengeld in Höhe von 70 v.H. des Geldbetrages nach § 3 Abs. 1 Satz 4, also 56 DM. Diese Regelung ist auf in Untersuchungshaft befindliche *Erlaß des Niedersächsischen Innenministerium vom 28.05.1997 an die Bezirksregierungen mit Nebenabdruck an Landkreise, kreisfreie Städte und ZASten 77 SOZIALE DISKRIMINIERUNG Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden. b)Bei der Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen i.S. des § 44 AsylVfG sieht § 3 Abs. 2 wie bisher den Vorrang von Sachleistungen vor. Allerdings können künftig unter erleichterten Voraussetzungen Leistungen in Form von - Wertgutscheinen - anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder - Geldleistungen gewährt werden. War dies bisher nur dann zulässig, soweit es nach den Umständen der Unterbringung oder der örtlichen Gegebenheiten erforderlich ist", genügt es künftig, daß es nach den Umständen erforderlich ist". Zudem ist die bisherige weitere Rangfolge (Geldleistungen nur dann, wenn besondere Umstände der Aushändigung von Wertgutscheinen oder anderen unbaren Abrechnungen entgegenstehen") entfallen. Soweit entsprechende Umstände tatsächlich vorliegen und von der Bezirksregierung anerkannt sind, kann die zuständige Behörde anstelle von Sachleistungen den Bedarf durch geldwerte Leistungen (Wertgutscheine oder andere vergleichbare unbare Abrechnungen, wie etwa Kundenkonten, blätter) oder Barleistungen decken. Die Ausgabe von Wertgutscheinen bietet unter Berücksichtigung sowohl der unveränderten Zielsetzung des Gesetzes als auch der Wahrung der Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Leistungsberechtigten sowie unter Kostengesichtspunkten eine vernünftige und auch zumutbare Lösung. Diese in weiten Bereichen des Landes bereits eingeführte und in der Praxis bewährte Leistungsform sollte - auch wegen ihrer Nähe zu den vorrangigen reinen Sachleistungen - beibehalten werden. 4. Zu § 4: Bisher richtete sich die Vergütung der niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte nach der Vergütung, die die örtliche Ortskrankenkasse 78 für solche Leistungen bezahlt. Durch die Neuregelung des § 4 Abs. 3 Satz 2 und 3 wird der Leistungsbehörde nunmehr ermöglicht, eine regionale und für sie günstigere Vereinbarung auszuwählen. 5. Zu § 6: Nach bisher geltendem Recht (dürfen nur") war die Gewährung sonstiger Leistungen nur in bestimmten, eng begrenzten Fällen vorgesehen. Die jetzt gewählte Fassung des Gesetzestextes gibt den Leistungsbehörden ein größeres Ermessen. Hierdurch ist es im Einzelfall möglich, Härtefällen gerecht zu werden, die wegen des Fehlens einer Übergangsregelung in § 2 entstehen können. Dies dürfte beispielsweise für Fälle gelten, in denen bei Inkrafttreten des Gesetzes eine vor diesem Zeitpunkt begonnene ärztliche oder zahnärztliche Behandlung noch nicht abgeschlossen ist, für die nach dem bisherigen Recht in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des BSHG Krankenhilfe gewährt worden ist. In diesen Fällen kann die Behandlung, auch wenn sie über die Akutversorgung 1.5. des § 4 hinausgeht, auf der Grundlage des § 6 auch nach dem 01.06.1997 fortgeführt werden, solange und soweit dies im Einzelfall zur Sicherstellung des Behandlungserfolges unerläßlich ist. Auf den RdErl. vom 05.12.1996 - 41.3 - 12235 - 8.4.2.1 - weise ich ergänzend hin. 6. Zu§7: Nach der Neufassung des § 7 Abs. 1 können die Länder für die Kosten der Unterkunft und Heizung Pauschalbeträge festsetzen oder die zuständige Behörde dazu ermächtigen. Vorbehaltlich näherer Regelung bleibt es zunächst bei den bisherigen Beträgen von 300 DM für den Haushaltsvorstand und 150 DM für Haushaltsangehörige. Nach § 7 Abs. 3 kann der AsylbLG-Leistungsträger Ansprüche der Leistungsberechtigten gegen Dritte, die nicht Leistungsträger .5. des SGB 1 sind, entsprechend § 90 BSHG auf sich überleiten. Entsprechend anwendbar sind nach § 7 Abs. 4 auch die Vorschriften des SGB I über die Mitwirkung der Leistungsberechtigten und des SGB X über die Auskunftspflicht von Angehörigen, Unterhaltspflichtigen oder sonstigen Personen. 7. Zu § 8: § 8 Abs. 1 Satz 1 regelt den Nachrang der Leistungen nach dem AsyIbLG gegenüber anderen Leistungen. Diese können Leistungen, zu denen Dritte, insbesondere nach § 84 Abs. 1 Satz 1 AuslG verpflichtet sind, sowie sonstige Sozialleistungen sein. Leistungen nach dem AsylbLG werden nicht gewährt, soweit der Lebensunterhalt anderweitig gedeckt wird. Vorsorglich weise ich darauf hin, daß Leistungen erst dann versagt werden können, wenn die aus einer Haftungserklärung nach § 84 AuslG verpflichtete Person die Kosten des Lebensunterhalts tatsächlich trägt. Anderenfalls sind Leistungen zu gewähren und die aufgewendeten Mittel nach § 84 AuslG zur Erstattung geltend zu machen. Eine landesrechtliche Regelung i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 besteht nur hinsichtlich der Kostenerstattung für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina. Auf den RdErl. vom 10.02.1997 41.11 - 12235 - 4.0.1 - (VORIS 27100 01 00 34 005) weise ich hin. § 8 Abs. 2 sieht die Möglichkeit eines monatlichen Zuschusses an Personen vor, die eine Verpflichtung nach § 84 Abs. 1 Satz 1 AusIG gegenüber einer in § 1 Abs. 1 genannten Person sechs Monate oder länger erfüllt haben. Voraussetzung ist, daß außergewöhnliche Umstände in der Person der oder des Verpflichteten den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Der Zuschuß ist der Höhe nach auf das Doppelte des Betrages nach § 3 Abs. 1 Satz 4 (d.h. 80 bzw. 160 DM) begrenzt. 8. Zu § 9: Nach § 9 Abs. 3 sind nunmehr auch die §§ 44 bis 50 SGB X FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 SOZIALE DISKRIMINIERUNG (Rücknahme, Widerruf und Aufhebung von Verwaltungsakten, Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen) entsprechend anzuwenden. Ebenfalls entsprechend anzuwenden sind nach § 9 Abs. 4 der § 117 BSHG und die auf Grund dieser Vorschrift erlassenen Rechtsverordnungen (BMG verfolgt das Ziel die Verordnungen zum 01.01.1998 in Kraft zu setzen). In diesem Zusammenhang weise ich auf die Änderung des Art. II § 1 Nr.15 SGB 1 durch Art. 2 Nr.2 des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23.07.1996 (BGBI. 1 5. 1088) hin. Danach ist der Regelungsgehalt des § 9 Abs. 4 in das SGB einbezogen. Es kann somit nicht geltend gemacht werden, die entsprechende Anwendung einer BSHG-Vorschrift durch ein nicht zum SGB zählendes Gesetz sei keine hinreichende Grundlage für die Nutzung und Übermittlung von Sozialdaten. 9. Zu § 10a: Die Regelung der örtlichen Zuständigkeit ist in ihrem Kern § 97 BSHG unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse und des betroffenen Personenkreises des AsylbLG nachgebildet. § 10a Abs. 1 regelt die allgemeine Zuständigkeit für Leistungen außerhalb von Einrichtungen i.S. des Abs. 2. Danach ist die Behörde örtlich zuständig, in deren Bereich die oder der Leistungsberechtigte vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verteilt oder von der zuständigen Landesbehörde zugewiesen worden ist. In den übrigen Fällen ist die Behörde zuständig, in deren Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten. Nach Abs. 2 ist für Leistungen in Einrichtungen, die der Krankenbehandlung oder anderen Maßnahmen dienen, die Behörde örtlich zuständig, in deren Bereich die oder der Leistungsberechtigte den gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in den letzten zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. Nach Satz 3 ist die Behörde, in deren Bereich sich die oder der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält (Absatz 1 Satz 2), dann zum unverzüglichen vorläufigen Eintreten verpflichtet, wenn - ein Eilfall vorliegt und die an sich zuständige Behörde nicht sofort leistet oder leisten kann oder - nicht spätestens innerhalb von vier Wochen feststeht, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt der oder des Leistungsberechtigten begründet worden ist. Der in Absatz 2 verwendete Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in Absatz 3 definiert, dessen Rechtswirkung sich auf die Durchführung des AsylbLG beschränkt. 10. Zu § 10b: Die Vorschrift über die Kostenerstattung zwischen den zuständigen Behörden ist den Regelungen der §§ 103 und 107 BSHG nachgebildet. Unter Zugrundelegung der Vorschrift des § 10a über die örtliche Zuständigkeit sieht § 10b eine Kostenerstattung in folgenden Fällen vor: -Zuständigkeit der Behörde bei Leistungen in Einrichtungen im Sinne des § 10a Abs. 2 Satz 1 in Eilfällen oder in Fällen, in denen der gewöhnliche Aufenthalt nicht innerhalb von vier Wochen zu ermitteln ist; Kostenerstattungspflichtig ist die Behörde, in deren Bereich der letzte maßgebende gewöhnliche Aufenthalt der oder des Leistungsberechtigten lag (Absatz 1); -Zuständigkeit der Behörde bei Austritt aus einer Einrichtung: Der eingeschränkte Kostenerstattungsanspruch richtet sich gegen die Behörde, in deren Bereich der gewöhnliche Aufenthalt der oder des Leistungsberechtigten bei Aufnahme in die Einrichtung oder bis zu zwei Monaten vor der Aufnahme lag (Absatz 2); Zuständigkeit einer Behörde, in deren Bereich eine Leistungsberechtigte oder ein Leistungsberechtigter innerhalb eines Monats nach einem umzugsbedingten Aufenthaltswechsel Leistungen außerhalb einer Einrichtung bedarf; Die Kostenerstattungspflicht richtet sich gegen die für den Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts zuständige Behörde (Absatz 3); sie endet spätestens nach Ablauf eines Jahres seit dem Aufenthaltswechsel. Ergänzende Hinweise zur Rückforderung überzahlter Leistungen und Erstattung notwendiger Kosten nach dem Aufnahmegesetz: Soweit eine termingerechte Leistungsumstellung zum 01.06.1997 nicht möglich ist und deswegen weiterhin die höheren (BSHG-) Leistungen gezahlt werden, sind diese Leistungen unter Beachtung des § 48 Abs. 1 Nr.4 SGB X zurückzufordern. Diese höheren Leistungen sind keine notwendigen Kosten i.S. des Aufnahmegesetzes und somit nicht erstattungsfähig. Im Hinblick auf das neue Aufnahmegesetz, das am 01.07.1997 in Kraft tritt, weise ich darauf hin, daß eine Verrechnung mit den Ausgaben des 3. Quartals nicht mehr wie bei der Spitzabrechnung in der bisherigen Form erfolgen kann. Ab 01.07.1997 werden den Kommunen nicht mehr die tatsächlich geleisteten Ausgaben erstattet, sondern die durch die Aufnahme entstehenden Kosten pauschal abgegolten. Für die Pauschalierung werden die AZR-Daten als Berechnungsfaktor für den vierteljährlichen Erstattungsbetrag herangezogen. Überzahlungen und Nachzahlungen, die den Geltungszeitraum des bisherigen Aufnahmegesetzes bis 30.06.1997 betreffen, müssen deshalb gesondert nachgewiesen und abgerechnet werden. Im Auftrage ... Anmerkung der Red.: Auf Veranlassung des Nds.Innenministeriums waren alle Kommunen bereits vorab in einer Eilaktion veranlaßt worden, den gesamten Kreis der von der Verschärfung betroffenen Flüchtlinge vorsorglich anzuschreiben, um Rückforderungen von ev. noch nicht ausreichend gekürzten Leistungen möglich zu machen. 79 SOZIALE DISKRIMINIERUNG Arbeitsverbot für Flüchtlinge ...nicht mehr zu verkraften. Die Arbeitserlaubnis ist daher grundsätzlich abzulehnen. Bundesanstalt für Arbeit* A rbeitserlaubnisverfahren: Erteilung der Arbeitserlaubnisse an neueinreisende ausländische Flüchtlinge Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) hat mir mit Schreiben vom 30.05. 1997 folgendes mitgeteilt: Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Albanien haben eine Massenflucht bewirkt. Eine Stabilisierung der Lage zeichnet sich nicht ab. Nach allen Erfahrungen der letzten Jahre muß befürchtet werden, daß ein nicht unerheblicher Teil dieser Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland zu gelangen versucht. Die viel zu hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland macht es unerläßlich, die vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten solchen Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen, die bereits dem inländischen Arbeitsmarkt angehören, oder aber - wie Arbeitnehmer aus den EU-Staaten - ein gesichertes Zugangsrecht haben. Darüber hinausgehende Zugänge von Ausländern - insbesondere solche, deren Aufenthalt rechtlich nicht auf Dauer angelegt ist sind dagegen nicht mehr zu verkraften. Bei der Entscheidung über die Arbeitserlaubnis für die albanischen Bürgerkriegsflüchtlinge halte ich es angesichts der extrem hohen Arbeitslosigkeit deshalb für ver- tretbar, ohne Prüfung des Einzelfalles generell davon auszugehen, daß bevorrechtigte Arbeitsuchende für eine Vermittlung zur Verfügung stehen. Die Arbeitserlaubnis ist daher grundsätzlich abzulehnen. Zur Vermeidung unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Gruppen bitte ich, bei der arbeitsmarktabhängigen Arbeitserlaubnis für die erstmalige Beschäftigung von Asylbewerbern und geduldeten Ausländern, die nach dem 15. Mai 1997 in die Bundesrepublik Deutschland neu eingereist sind, bis auf weiteres entsprechend zu verfahren. Flankierend hierzu, bitte ich, die Vermittlungsbemühungen für bevorrechtigte Arbeitsuchende unter Ausschöpfung der Förderungsmöglichkeiten nach dem AFG nochmals zu verstärken." Ich bitte, ab sofort entsprechend zu verfahren. Im Auftrag... Blüms Erlaß programmiert Verelendung und stärkt rassistische Positionen. PRO ASYL Presseerklärung vom 18.Juni 1997: Durch die Hintertür: Unbefristetes Arbeitsverbot für alle neuen Asylantragsteller Bundesarbeitsminister Blüm nimmt Albanien-Flüchtlinge zum Vorwand PRO ASYL: Blüm programmiert Verelendung und stärkt rassistische Positionen Albanien ist nichts als ein Vorwand Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL kritisiert, daß Bundesarbeitsminister Blüm mit seinem Erlaß und dieser Lagebeschreibung suggeriere, die vergleichsweise niedrigen Zugänge albanischer Flüchtlinge seien ein wesentlicher Faktor für die Arbeitslosigkeit in Deutschland. * Schreiben vom 06. 06. 1997 80 Die nicht vorhandene AlbanienProblematik nehme Blüm im übrigen als Vorwand für einen handstreichartigen Eingriff in das Arbeitserlaubnisrecht, PRO ASYL: Blüm führt durch die Hintertür des Arbeitsamtes wieder ein, was sich vor Jahren im Ausländerrecht als teurer Unfug erwiesen hat: Ein faktisches langjähriges Arbeitsverbot für Asylsuchende. Dies treibt die Flüchtlinge in die Abhängigkeit von Sozialhilfeersatzleistungen, die man auf ein Niveau unterhalb des Existenzminimums gesenkt hat. Das erzwungene Nichtstun von Flüchtlingen nährt dann eben wieder jenen Rassismus, den die Bundesregierung im Europäischen Jahr gegen den Rassismus zu bekämpfen vorgibt. Blüms Erlaß programmiert Verelendung und stärkt rassistische Positionen." PRO ASYL führt in der Anlage zur Presse-Erklärung aus: Im Zeitraum von Januar bis Mai 1997 stellten nach Angaben des Bundesinnenministeriums genau 380 Personen aus Albanien einen Asylantrag. Damit liegt Albanien in der Statistik der Hauptherkunftsländer weit hinten. Dies waren laut Presseinformationen des BMI vom 7. Mai 1997: 1. Türkei 2. Irak 3. Brep. Jugoslawien 4. Sri Lanka 5. Afghanistan 6. Iran 7. Armenien 8. Zaire 9. Pakistan 10. Georgien 7.180 4.688 4.501 1.674 1.544 1.325 1.257 941 846 835 gez. Günter Burkhardt Geschäftsführer FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 KEIN MENSCH IST ILLEGAL L e i d e r h a t u n s e i n e i g e n e s I n te r v i e w i m A n s c h l u ß a n d i e G ö tti n g e r Ve r a n s t a l t u n g m i t S a n s P a p i e rs i n d e r Ü b e rs e tz u n g n i c h t m e h r e rre i c h t. W i r fre u e n u n s d e s h a l b , d a ß ü b e r d a s i n te rn e t a l s E rs a tz d a s f o l g e n d e S o Z -I n terview vorliegt: N irgendwo in Europa ist es ImmigrantInnen bisher gelungen, solchen Einfluß auf eine öffentliche Debatte über ihre Situation zu bekommen, wie der Bewegung der "Sans Papiers" in Frankreich. Madijguene Cisse, eine Sprecherin der Bewegung, befand sich im Rahmen der "Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung" auf einer Veranstaltungsrundreise in Deutschland. Für die SoZ sprach mit ihr Gerhard Klas über die Motivation der Sans Papiers, sich an den Märschen zu beteiligen und die Reaktionen linker Parteien und Gruppen auf die Selbstorganisierung der "ImmigrantInnen ohne gültige Aufenthaltspapiere". SoZ: Warum unterstützt das Flüchtlingsnetzwerk Sans Papiers die "Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung"? Madijguene Cisse: Als Menschen ohne Papiere gehören wir zu den Ausgegrenzten in Europa. Wir haben keine Rechte: Weder können wir in Krankenhäuser gehen, um uns behandeln zu lassen, noch können wir unsere Kinder zur Schule schicken. Selbst Menschen mit einer Aufenthaltsgenehmigung dürfen z.B. nicht wählen, auch wenn sie arbeiten und Steuern bezahlen. Deshalb unterstützen wir die Euromärsche. SoZ: Wie waren die Reaktionen der anderen Gruppen im Marschbündnis, als Sans Papiers bekundet hat, an den Märschen teilzunehmen? M.C.: In Frankreich werden die Märsche von Gewerkschaften und der Erwerbsloseninitiative AC! (Agir ensemble contre le chomage!) unterstützt. Uns ist aufgefallen, daß wir nicht von Anfang an mit eingeladen wurden, die Euromärsche vorzubereiten. Wir selbst sind im französischen Koordinationsbüro der Euromärsche vorbeigegangen. Dort haben wir gefragt, warum wir nicht eingeladen wurden. Eine befriedigende Antwort haben wir darauf nicht erhalten. SoZ: Ab wann wurdet ihr als gleichberechtigte Partner angesehen? M.C.: Mittlerweile werden wir auch von der französischen Koordination eingeladen. Im März waren wir allerdings schon auf dem europäischen Koordinationstreffen in Brüssel. Komisch, daß das französische Koordinationsbüro so lange gebraucht hat, obwohl wir doch in Frankreich seit mehr als einem Jahr als Sans Papiers aktiv sind und es uns gelungen ist, mit unseren Kirchenbesetzungen die öffentliche Debatte über einen Zeitraum von mehreren Wochen zu dominieren. Wir konnten nicht verstehen, daß wir als Ausgegrenzte nicht ganz selbstverständlich zu den Vorbereitungen eingeladen wurden. SoZ: Haben die französischen Vertreter der Euromärsche eure Kritik verstanden? M.C.: Sie sagten nur, daß vielleicht niemand daran gedacht hat, uns einzuladen. Sie waren auch sehr geniert. Allerdings glaube ich, daß bei einigen Gruppen auch politische Gründe im Hinblick auf den Wahlkampf dahinterstecken. SoZ: Welche Unterstützung hat euer Kampf von linken Gruppen bekommen? M.C.: Bei vielen linken Gruppen wußten wir nicht, warum sie uns unterstützen. Von Anfang an unterstützten uns kleine, linksextreme Gruppen, z.B. die LCR, die JRE, auch eine maoistische Gruppe. Dabei hatten wir oft das Gefühl, daß wir nur so lange für sie interessant waren, wie sie sich die Hoffnung machen konnten, daß wir ihre Meinung übernehmen, auf ihre Linie einschwenken. Sie hatten zum Teil sehr klare Vorstellungen, wie sie in bestimmten Punkten vorgehen wollten. Wenn wir dazu eine andere Meinung Kein Leben ohne Risiko Interview mit einer Vertreterin der Bewegung Sans Papiers SoZ-Verlag* hatten, sind sie zum Teil einfach verschwunden. SoZ: Sehr viel Unterstützung habt ihr von den französischen Gewerkschaften erhalten. In Deutschland, wo du auch mehrere Jahre gelebt hast, gibt es kein vergleichbares Engagement der Gewerkschaften. Wie erklärst du dir das? M.C.: In Frankreich sind die Gewerkschaften von politischen Parteien unabhängiger. Die SUD, die der LCR nahe steht, die CGT und eine Abspaltung der CFDT unterstützen uns materiell, finanziell und auch ideell. Neulich startete die CGT eine Kampagne, die Sans Papiers in ihre Gewerkschaft aufzunehmen und ihnen so einen besseren Schutz gegen die Repressionsorgane des Staates zu bieten. Viele Sans Papiers sind daraufhin Mitglieder geworden. SoZ: Was motiviert die Gewerkschaften, sich in dieser Art und Weise zu engagieren? M.C.: Das war keine spontane Aktion. Bei unserer ersten Kirchenbesetzung im März 1996 waren die Gewerkschaften noch nicht als Struktur vertreten, lediglich einzelne Gewerkschafter haben uns unterstützt. Erst nach der Räumung der zweiten Kirche, die wir besetzt haben, tauchte der Vorsitzende der CGT auf. *[email protected] vom 28.05.97 Dieser Artikel erschien in SoZ Nr.11/97 81 VERFOLGTE FRAUEN SCHÜTZEN Leider funktionieren in fast allen anderen Ländern Europas die Flüchtlingsgruppen nach diesem paternalistischen Prinzip. SoZ: Wie verlaufen eure Bemühungen, Migrantengruppen international zu vernetzen? M.C.: Das ist nicht einfach, denn in anderen europäischen Ländern gibt es keine autonome Organisation von Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung. Wie früher in Frankreich, gibt es dort fast ausschließlich Vereine, die für die Sans Papiers arbeiten. Als wir, die Sans Papiers, beschlossen haben, die Kirche St.Bernard zu besetzen und dies auch taten, kamen viele Mitglieder der französischen Flüchtlingsgruppen, die uns davon abraten wollten. Sie meinten, mit Kindern sei eine solche Aktion zu gefährlich und wir sollten besser nach Hause gehen. Alle Sans Papiers lehnten diesen Vorschlag jedoch ab. Sie wollten nicht ihr Leben, wie es bisher war, weiterleben. Die Unterstützer von den französischen Flüchtlingsgruppen forderten uns daraufhin auf, ruhig zu bleiben. Sie boten uns an, mit den Behörden zu sprechen und Verhandlungen zu führen. Aber auch das lehnten wir ab. Wir erklärten ihnen, daß wir diejenigen sind, die den rassistischen Strukturen tagtäglich ausgesetzt sind. Wir sind fähig, für uns selber zu sprechen und zu entscheiden. Diese Haltung ist bezeichnend für das Vorgehen der Sans Papiers im Unterschied zu französisch verwalteten Flüchtlingsgruppen, in denen Franzosen für die Flüchtlinge sprechen und entscheiden. Leider funktionieren in fast allen anderen Ländern Europas die Flüchtlingsgruppen nach diesem paternalistischen Prinzip. Allerdings haben wir Kontakte zu kleinen Gruppen und Einzelpersonen in Belgien, Großbritannien und Deutschland, um die Selbstorganisation der Sans Papiers voranzutreiben. SoZ: Welche Repressionen erfahren die Sans Papiers seitens des französischen Staates? M.C.: Die französischen Behörden versuchen vor allem, die Sprecher von Sans Papiers einzuschüchtern. Nach der Räumung der Kirche St.-Ambroise mußten wir uns zu zweit den Demütigungen von Polizisten aussetzen, die uns anschließend brutal in einen ihrer Busse warfen. Am nächsten Tag hatte ich einen Gerichtstermin und wurde zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Obwohl ich die Strafe bisher nicht absitzen mußte -- sie wurde zur Bewährung ausgesetzt -- schwebt die angedrohte Haftstrafe wie ein Damoklesschwert über mir. Bei vielen Demonstrationen werde ich verhaftet. Seit August 1996 habe ich insgesamt fünf Gerichtstermine gehabt, jedesmal mit der zweimonatigen Haftstrafe im Nacken. Doch immer, wenn ich von der Polizei festgenommen werde oder vor Gericht stehe, gibt es eine große Demonstration von Menschen, die mich unterstützen -- manchmal sogar in Toulouse oder Lyon. Deshalb haben sie mich noch nicht ins Gefängnis gesteckt. SoZ: Hast du Angst, dich jetzt ohne Papiere in Deutschland aufzuhalten? M.C.: Man kann nicht Kämpfen und Angst haben. Vielleicht werde ich morgen schon in Deutschland festgenommen und eingesperrt. Es gibt eben keinen Kampf ohne Risiko. Kampagne Verfolgte Frauen schützen!" Niedersächsisches Koordinationstreffen Am 21. Juni 97 trafen sich in Hannover auf Einladung des Niedersächsischen Flüchtlingsrates die migrationspolitischen Sprecherinnen der Landtagsfraktionen von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen, Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, des Caritasverbandes Hildesheim, des Diakonischen Werkes Hannover, der iaf, des DGB-Landesbezirks Niedersachsen/Bremen und anderer migrationspolitisch aktiver Gruppen. Ziel dieses Informations- und Koordinationstreffens war es, die bundesweite Kampagne Verfolgte Frauen schützen!" in Niedersachsen bekanntzumachen. Die Kampagne Verfolgte Frauen schützen!" wird initiiert von * Vorstandsmitglied des Flüchtlingsrats Presse-Erklärung vom 23.6.97 82 PRO ASYL und dem deutschen Frauenrat bundesweit seit März dieses Jahres betrieben mit Unterstützung der Wohlfahrtsverbände, des DGB, von Kirchen und vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf). Sie wird bis zum Internationalen Frauentag, dem 8. März 1998, fortgeführt. In ihrem Einführungsreferat stellte Isabel Basterra (Migrationsreferentin im DGB-Bundesvorstand und Vertreterin des DGB bei der Bundesarbeitsgemeinschaft PRO ASYL) Begründungen und Ziele der Kampagne vor. Da in den bundesdeutschen Asylverfahren Frauen mit ihren spezifischen Verfolgungsgründen, wie z.B. Arbeitsverbot, Kleidungsvorschriften, Auspeitschung, genitale Verstümmelung, Sippenhaft und die speziell Frauen gegenüber angewandten Verfolgungsmethoden, Jacqueline Duchat* wie Vergewaltigung, um Aussagen über Ehemänner, Freunde oder Verwandte zu erzwingen, nicht berücksichtigt werden, geht es darum, ihre geschlechtsspezifischen Verfolgungsgründe als Asylgründe in der Asylgesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland zu verankern. Gleichzeitig ist die Situation von asylsuchenden Frauen auch bei der Durchführung der Asylverfahren zu verbessern. Ein bereits am 31. Oktober 1990 einstimmig vom Bundestag angenommener Antrag zur Verbesserung der Situation von asylsuchenden Frauen wurde bis heute nicht einmal in Teilen umgesetzt. Die Anwesenden berieten über die Möglichkeiten der konkreten Umsetzung der Kampagne in Niedersachsen und der sie begleitenden Unterschriftensammlung an den deutschen Bundestag. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 VERFOLGTE FRAUEN SCHÜTZEN O ffener Brief an die Innenminister und -senatoren der Bundesrepublik Deutschland Innenministerkonferenz am 5. und 6. Juni 1997 Hintergrundinformationen zur Kriegstraumatisierung Mehr als 4.000 Unterzeichner und Unterzeichnerinnen aus dem In- und Ausland fordern im Rahmen der Kampagne von Medica mondiale e.V. für traumatisierte Frauen aus Bosnien-Herzegowina umgehend einen gesicherten Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland, um eine Retraumatisierung im Zuge einer erneuten Deportation zu verhindern. Im weiteren fordern wir einen angemessenen Zeuginnenschutz für potentielle und geladene Zeuginnen des Den Haager Kriegsverbrechertribunals. Eine Abschiebung zu dem derzeitigen Zeitpunkt ist aus Sicht der Menschenrechtsorganisationen unverantwortlich. Eine Korrektur Ihrer Beschlüsse ist erforderlich. Sehr geehrte Herren Innenminister, wir bitten Sie eindringlich darum, den extrem traumatisierten Frauen aus Bosnien-Herzegowina einen gesicherten Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren. Viele von ihnen sind potentielle Zeuginnen für das Den Haager Kriegsverbrechertribunal. Wir erlauben uns, Ihnen zur Entscheidungsfindung folgende Hintergrundinformationen zur Verfügung zu stellen: - zur Traumatisierung - zu den Auswirkungen der zwangsweisen Rückführung auf die traumatisierten Frauen - zu den Forderungen von Medica mondiale e.V. - zu unseren Vorschlägen für Ihr weiteres Entscheidungsverfahren - zur Unterschriftenübergabe und - zu Medica mondiale e.V. Wir hoffen und erwarten, daß diese Informationen Einfluß haben werden auf Ihre weiteren Entscheidungen bezüglich der anstehenden Abschiebungen traumatisierter Frauen. Setzen Sie sich bitte in der Sitzung der Innenministerkonferenz dafür ein, dieses menschenverachtende Rückführungsverfahren zu beenden. 1. Zur Traumatisierung Was wissen Sie über die Traumatisierung? Ein Trauma bedeutet immer eine Verletzung, eine Erschütterung der psychischen Organisation eines Menschen, ein Verlust der Flexibilität in der Wahrnehmung von Werten und Realitäten. Diese Entpersönlichung und Entmenschlichung, die sie erlebt haben, löst tiefe Verzweiflung und ein Gefühl existentieller Sinnlosigkeit bis hin zu Suizidalität aus. Das Trauma ist eine Wunde, die gewissermaßen wie ein Riß durch die Seele geht und alle sonst üblichen Bewältigungsmechanismen außer Kraft setzt. Die Zerstörung des Urvertrauen in sich selbst, in die Verläßlichkeit menschlicher Bindungen, in die Sinnhaftigkeit des Lebens führt - so die Psychoanalytikerin Dr. Ursula Wirtz (1995) - in die Isolation, in Welt- und Menschenferne. Traumatische Geschehnisse entwerten und beschädigen das Selbstbild und verursachen exzessive Scham, was die soziale Isolation verstärkt. Diese Isolation wird durch die gesellschaftliche Tabuisierung verstärkt. Besonders für Frauen, die sexualisierte Gewalt und Folter erlitten haben, ist das Öffentlichmachen ihres Traumas nahezu unmöglich, da im patriarchalen Kontext diese Gewalt immer noch völlig tabuisiert wird. Dies führt dazu, daß nur wenige Frauen sich offen über ihre erlittene Gewalt äußern können, insbesondere in offiziellen Settings wie in den Anhörungsverfahren. Abhanden gekommen ist das Bewußtsein einer leibseelischen Einheit. Diese entstehenden Grenzstörungen - in der innerpsychischen und außenpsychischen Struktur - forcieren den Identitätsverlust und die Überlebensschuld", so der Psychologe David Becker (1994). Ausgelöst wird die Traumatisierung durch sexualisierte Gewalttaten und andere Formen physischer und psychischer MEDICA e.V.: KriegsTraumatisierung Aufenthaltsstatus für traumatisierte Frauen aus Bosnien-Herzegowina Offener Brief* Gewalt, Folter und Verfolgung. Fachleute, die mit Gewaltopfern und Shoah-Überlebenden gearbeitet haben, wissen um die oft lebenslangen psychischen und physischen Folgen. Haben Sie sich beispielsweise mit der Aufarbeitung des Holocaustes beschäftigt? Wissen Sie, daß Menschen, die Ausschwitz überlebt haben, selbst heute 50 Jahre später, nicht darüber berichten können! Wissen Sie, daß traumatisierte Frauen, die Folter, Vergewaltigung, sexualisierte Gewalttaten und Vertreibung erlebt haben, nur überleben können, wenn sie diese Gewalttaten verdrängen, von sich abtrennen! Gewalttaten werden aus dem Bewußtsein verbannt, dies ist eine normale Reaktion, eine der Überlebensmöglichkeiten". Diese Verletzungen sind zu schrecklich, als daß sie ausgesprochen werden können. Sie sind unsagbar", obwohl sie sich nicht einfach begraben lassen. Schwere körperliche Krankheiten sind oft die Folge. Das Überwältigende der traumatischen Erfahrung ist nicht kommunizierbar. Es entzieht sich der Versprachlichung (Ursula Wirtz, 1995). Erst wenn die Wahrheit anerkannt wird - so TraumaexpertInnen, PsychologInnen und TherapeutInnen - kann die Genesung des Opfers beginnen. Doch viel zu sehr wird das Verschweigen auch durch unsere derzeitige Rechtssprechung - forciert und Eine Korrektur Ihrer Beschlüsse ist erforderlich. * [email protected] (Medica Cologne e.V.) vom 03.06.97 83 VERFOLGTE FRAUEN SCHÜTZEN aufrechterhalten. Diese Frauen brauchen unsere Hilfe, medizinisch und psychotherapeutisch. Traumatisierte Frauen brauchen Zeit. Für diesen Heilungsprozeß sind qualifiziert ausgebildete PsychotherapeutInnen erforderlich. Wir fragen Sie, können Sie die bisherigen Entscheidungen tatsächlich politisch, moralisch und ethisch verantworten? 84 2. Zu den Auswirkungen der zwangsweisen Rückführung auf die traumatisierten Frauen Wissen Sie, daß nach einer erfolgten Traumatisierung die sogenannte Rückführung bzw. Zwangsabschiebung" zu einer Retraumatisierung führen wird? Wissen Sie, daß für traumatisierte Frauen die Gefahr groß ist, ihren Vergewaltiger und Peiniger zu begegnen! Bislang werden diese Kriegsverbrecher weder in der Serbischen Republik, im Förderationsgebiet noch in West-Europa wirkungsvoll verfolgt! Diese Frauen haben berechtigte Angst vor weiteren Racheakten. Jede Frau, die schon einmal Angst vor Männergewalt hatte, weiß, was ein Leben mit solchen Nachbarn bedeutet. Wissen Sie, daß viele Flüchtlingsfrauen in ihr Land zurückkehren wollen? Zur Zeit ist aber eine Rückkehr aufgrund der katastrophalen Nachkriegssituation und der ethnischen Diskriminierungen - auch zwischen den Binnenflüchtlingen - nicht möglich! Auch stehen den Flüchtlingsfrauen weder Arbeit noch eigenständige Möglichkeiten zur Existenzsicherung zur Verfügung. Wovon sollen beispielsweise verwitwete, alleinstehende und alleinerziehende traumatisierte Frauen ihre Existenzsicherung bestreiten? Wissen Sie, daß aufgrund des Duldungsstatus traumatisierte Frauen keine Therapie beginnen können! Einerseits fordern die derzeitigen Bestimmungen, daß Frauen die Traumatisierung entsprechend nachweisen müssen, damit sie einen Aufenthaltsstatus erhalten können. Andererseits ist der psychotherapeutische Nachweis nicht möglich, da die Sozialhilfe diese medizinisch-psychotherapeutischen Kosten für die Behandlung nicht übernimmt ein bislang nicht aufgelöster Widerspruch. Eine vergleichbare Situation trifft auf die potentiellen und geladenen Zeuginnen des Den Haa- ger Kriegsverbrechertribunals zu, die alle eine extreme Traumatisierung erfahren haben. Sie erhalten auch in der Bundesrepublik Deutschland keinen Schutz und gefährden somit das derzeitig stattfindende Anklageverfahren gegen die Kriegsverbrecher. Dies führt dazu, daß die ausführlichen Zeuginnenaussagen zum Teil aus Angst vor Mord- und Gewaltandrohungen zurückgezogen werden. Bislang gibt es für diese Frauen keinen ausreichenden Zeuginnenschutz. Traumatisierte Frauen nach Bosnien-Herzegowina zurückzuschicken, ist unmenschlich! Wir fragen Sie, können Sie die bisherigen Entscheidungen tatsächlich politisch, moralisch und ethisch verantworten? 3. Forderungen von Medica Medica mondiale fordert die konsequente Umsetzung der Schutzforderung des Artikels 33 Bleiberecht aus humanitären Gründen" auf Frauen bezogen, die geschlechtsspezifische Neudefinition des Begriffs allgemeine Gefahrenlage" und die Neudefinition des in allen Ländern unausgesprochenen patriarchalen Sittenkodex, der Frauen nach wie vor in vielen Ländern diskriminiert. Medica mondiale fordert den Schutz vor Abschiebung der traumatisierten Frauen und ihrer Familien. Medica mondiale fordert ein humanitäres Bleiberecht gemäß § 30 Ausländergesetz, d.h. die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis für einen angemessenen Zeitraum. Medica mondiale fordert kostenlose qualifizierte medizinische und psychotherapeutische Hilfsmaßnahmen für die traumatisierten Frauen aus Bosnien-Herzegowina. Medica mondiale fordert umgehend die länderweite Einrichtung von Frauen-Härtefallkommissionen. Es bedarf der umgehenden Ankennung von geschlechterspezifischen Gewalt- und Fluchterfahrungen in der deutschen Asylund Ausländergesetzgebung. Dies beinhaltet ebenfalls Schulungen von Beamtinnen und Beamten sowie von Entscheidenden zum Thema Interkulturelle ge- schlechterbezogene Handlungskompetenz". Medica mondiale fordert eine umgehende Realisierung des Schutzes für die geladenen und potentiellen Zeuginnen für das Den Haager Kriegsverbrechertribunal, d.h. einen gesicherten Aufenthaltsstatus in der BRD. Die Betroffenen müssen geschützt werden, um das Anklageverfahren nicht zu gefährden. Medica mondiale fordert eine konsequente Verfolgung und Auslieferung der Kriegsverbrecher an das internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. 4. Vorschläge für Ihr Entscheidungsverfahren Für weitere Fragen stehen wir Ihnen als Beraterinnen zur Verfügung. Wir haben sowohl umfangreiche Informationen über die Situation traumatisierter Frauen aus Bosnien-Herzegowina als auch andere länder- und fachspezifische Kenntnisse gesammelt, die für Sie im Rahmen der anstehenden Entscheidungen während dieser Innenministerkonferenz relevant sind. Wir beraten Sie gerne und stellen Ihnen unsere Ergebnisse zur Verfügung. Zu nennen ist die Medica mondiale Dokumentation über fachspezifische Stellungnahmen von Expertinnen (Medizinerinnen, Juristinnen, Psychotherapeutinnen) zur Traumatisierung im Rahmen unserer symbolischen Frauen-Härtefallkommission, die am 14.4.1997 in der Hessischen Landesvertretung in Bonn stattgefunden hat. 5. Zur Unterschriftenübergabe Im Auftrage vieler namhafter Frauen und Männer überreichen wir Ihnen das beiliegende Paket von mehr als 4.000 Unterschriften aus dem In- und Ausland. Mit dieser Unterschrift machen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner ihren Protest deutlich gegen das derzeitig stattfindende Abschiebungsverfahren. Tagtäglich erhalten wir Hunderte von neuen Unterschriften. Vorausgegangen ist zu Ostern 1997 unser Aufruf in den Tageszeitungen, der von mehr als 200 Wissen- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 VERFOLGTE FRAUEN SCHÜTZEN schaftlerinnen, Politikerinnen, Psycholo-ginnen, Juristinnen, Schauspielerinnen, Fachfrauen, Frauengruppen und Frauenorganisationen aus dem In- und Ausland als Erstunterzeichnerinnen mitgetragen wurde. Wir bitten Sie, unsere Forderung nach einem gesicherten Aufenthaltsstatus für traumatisierte Frauen aus Bosnien-Herzegowina nicht nur zu berücksichtigen, sondern diese Forderung im Sinne der moralischen Verantwortung unserer Demokratie zu realisieren. 6.Zu Medica mondiale e.V. Oberflächlich betrachtet, tun sie Vergleichbares: Sie bieten sexuelle Dienstleistungen an. Der keine" Unterschied zwischen den Huren, über deren rechtliche Gleichstellung vergangene Woche der Bundestag stritt, und den 500.000 Frauen, die jährlich als Prostituierte in die Staaten der Europäischen Union geschleust werden, besteht darin, daß die einen freiwillig einem Gewerbe nachsehen und sich als normale Gewerbetreibende behandelt sehen wollen, und die anderen zur gleichen Tätigkeit unter Zwang und Gewalt erpreßt werden. Dabei befinden sich die illegalen Prostituierten in einem aussichtslosen Kreislauf, denn ihre Angst vor sofortiger Abschiebung hindert sie daran, die Schlepper und Zuhälter anzuzeigen. nur in Nordrhein-Westfalen auf eine entsprechende Regelung pochen, und auch dort ist ihre rechtliche Position, beispielsweise als Nebenklägerinnen, äußerst schwach, wenn es tatsächlich zu einem Verfahren kommt. Nach Deutschland gelockt und ausgebeutet, zur Aussage genötigt, als Zeuginnen vor Gericht geopfert" und am Ende doch abgeschoben? Die Skandalisierung des Frauenhandels als moderner Sklaverei" ist in eigenartige Begründungszusammenhänge getaucht. Die Angst vor grenzüberschreitender Überflutung", insbesondere auf dem Landweg aus Osteuropa, und der Wunsch nach Kontrolle über den Sklavenmarkt" (FR) prägen sowohl den kürzlich vorgelegten Bericht der Berliner Fachkommission Frauenhandel", der die Lage der ausländischen Prostituierten in der Hauptstadt erkundet, als auch den Ton der großen Anfrage, den die CDU-Opposition an den Brandenburgischen Landtag richtete. Die 252 Kilometer lange Grenze Brandenburgs zu Polen wird als visumfreie Eingangsschleuse" vorgestellt, durch die die osteuropäischen Frauen unkontrolliert" in die Bundesrepublik gelangten. Immerhin gehört Brandenburg zu den wenigen Bundesländern, die grundsätzlich anerkennen, daß die Opfer nur dann als stabile Zeuginnen auftreten können, wenn die Frauen geschützt und individuell betreut werden. Ruft man sich ins Gedächtnis, daß der Handel mit Frauen und Kindern nach Angaben der UNESCO hinter dem Drogen- und Im Mittelpunkt des Aktionsplans zur koordinierten Bekämpfung des Frauenhandels", die der Ministerrat der Europäischen Union am Wochenende in Den Haag beschloß, steht deshalb ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht", das ausländische Prostituierte auch ohne gültige Papiere vorerst im Land duldet; zumindest solange, bis der Prozeß gegen die Täter abgewickelt ist. Das als holländisches Modell" bekannte und bereits Anfang der neunziger Jahre von Ausländerinnen-Organisationen geforderte Bleiberecht wurde allerdings auch jetzt nur unverbindlich empfohlen und auf die rechtlichen Voraussetzungen der Mitgliedsländer beschränkt. Außer in den Niederlanden und Belgien können die betroffenen die Frauen bislang Medica mondiale ist aus der Initiative der Ärztin Dr. Monika Hauser hervorgegangen, die während des Krieges ein medizinisches und psychosoziales Behandlungszentrum für durch Folter und Vergewaltigung betroffene, traumatisierte Frauen in Bosnien-Herzegowina - Medica Zenica - gegründet hat. Heute arbeiten mehr als 70 Frauen in diesem Zentrum. Es ist ein Zufluchtsort für Frauen und Mädchen, die während des Krieges durch se- xualisierte Gewalterlebnisse schwer traumatisiert wurden. Aufgrund der geleisteten Arbeit liegen fundierte Erkenntnisse über die Kriegstraumatierungen von Frauen vor, die unzweifelhaft erkennen lassen, daß eine Abschiebung traumatisierter Frauen nicht zu verantworten ist. Köln, den 2.6.1997 Dr. Monika Hauser Gabi Mischkowski Marlies Fröse (Vorstand) Sprung über den Armutslimes Frauenhandel Die Europäische Union beschließt vages Bleiberecht für Zwangsprostituierte Ulrike Baureithel Waffenhandel an dritter Stelle auf den illegalen Märkten rangiert und riesige Kapitalmassen auf ihm umgeschlagen werden, dann erscheint das philanthropische Interesse an der elende Lage der Frauen, die häufig unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Länder der Europäischen Union gelockt werden, unter ordnungspolitischem Aspekt. Gefragt ist ein gemeinsamer Maßnahmekatalog, der nicht nur die Grenzen limitiert, sondern auch die Märkte der Gemeinschaft lizensiert. Frauenhandel ist kein Kavaliersdelikt, zumindest das hat die Ministerrunde in Den Haag deutlich gemacht. Doch die Kampfansage an die Menschenhändler muß auch als Drohung an die Frauen verstanden werden: bleibt, wo ihr seid, lautet die unmißverständliche Botschaft aus dem Innern der Festung. Seid ihr aber schon mal hier, dann helft mit, den Armutslimes zu befestigen. Gegen die, die euch folgen wollen. 85 KAPITEL Bundesamt: Opfer wurde durch Vergewaltigung belästigt von Kai Weber Der nachfolgende Fall macht exemplarisch deutlich, in welcher zynischen Art und Weise die Mißhandlung von Frauen in Asylverfahren verharmlost wird. Frau L. stellte im Juni 1995 einen Asylantrag in der Bundesrepublik. In ihrer Anhörung, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung unterbrochen werden mußte, gab sie an, daß zunächst ihr Ehemann vom Geheimdienst entführt und ermordet wurde. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung wurde sie selbst festgenommen und während der neuntägigen Haft schwer geschlagen und mehrfach vom Wachpersonal vergewaltigt. Das Bundesamt lehnte den Asylantrag mit der Begründung ab, es fehle an einer asylbegründenden Eingriffsintensität (s. unten). Auch Abschiebungshindernisse vermochte das Bundesamt nicht auszumachen. Frau L. erhielt die Ablehnungsentscheidung zusammen mit der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung. Dagegen erhob sie zwar Klage, war aber nicht in der Lage, diese rechtzeitig zu begründen, sodaß die Klage wegen Nichtbetreibens abgelehnt wurde. In ihrer Not wandte sich Frau L. an den Asyl e.V. Hildesheim. Da alle Rechtsmittelfristen versäumt waren, blieb nur noch die Möglichkeit einer Petition beim Petitionsausschuß des Bundestags. Dieser kam zu dem Ergebnis, daß Anhaltspunkte für eine offensichtliche fehlerhafte Wertung des Bundesamtes nicht erkennbar seien. Der Bescheid des Bundesamtes vom 21. Juni 1995 weist nachvollziehbare Begründungen auf. (Schreiben des Petitionsaus86 schuß vom 06.03.1997) Aufgrund akuter Suizidgefahr wurde Frau L. schließlich dem Amtsarzt vorgestellt, der Reiseunfähigkeit attestierte und eine fachpsychologische Behandlung der erlittenen Traumata empfahl. Bis zum Abschluß der Therapie wird Frau L. nun geduldet. Auszug aus dem Anhörungsprotokoll von Frau L. vor dem Bundesamt am 07.06.1995 ... F.: Wo lebt Ihr Mann und haben Sie noch mehrere Familienangehörige? A.: Mein Ehemann ist verstorben, mein Vater lebt noch in Kinshasa. F.: Wann ist Ihr Mann verstorben? A.: Mein Mann ist im März d.J. ermordet worden. F.: Von wem? Vermerk: Die Antragstellerin verliert bei dieser Frage die Fassung, weint. Die Anhörung wurde ca. 10 Minuten unterbrochen, nachdem die Antragstellerin getrunken hat und befragt wurde, ob sie in der Lage ist, der Anhörung weiterhin zu folgen, antwortet sie mit ja. F.: Von wem wurde Ihr Mann ermordet? A.: Von Soldaten. F.: Was war für Sie der konkrete Anlaß, Ihr Heimatland Zaire zu verlassen und in Deutschland einen Asylantrag zu stellen? A.: Nach der Entführung und Ermordung meines Mannes im Frühjahr 1995 wurden ich, meine Kinder und mein jüngerer Bruder vom Geheimdienst AND gesucht. ... F.: Wann wurden Sie verhaftet und warum wurden Sie verhaftet? A.: Das war am 30. März 1995, mein Mann ist aber schon am 28.03.1995 entführt worden. ... F.: Wo wurden Sie nach Ihrer Verhaftung festgehalten? A.: Unsere Haftdauer betrug 9 Tage, wir wurden im Gefängnis Circo im Stadtteil Lingwala inhaf- tiert. F.: Was hat man dort mit Ihnen gemacht? A.: Ich wurde von den Wärtern mit Fäusten geschlagen, so daß ich einen Zahn verloren habe, und mit Füßen getreten. Außerdem wurde ich zweimal vergewaltigt. ... Auszug aus dem Bescheid des Bundesamts für Frau L. vom 16.06.1995 (Gesch.-Z. B 1980641246), zugestellt am 21.06.1995 ... Soweit die Antragstellerin zu 1. ihre behauptete Verfolgungsfurcht darauf stützt, daß ihr Mann Ende März 1995 von Soldaten des Geheimdienstes (AND) entführt und ermordet worden sei, kann sich dieses Vorbringen schon deshalb nicht als asylbegründend auswirken, weil nur eine gegen sie selbst gerichtete Verfolgungsmaßnahme für ihr Asylbegehren von Bedeutung ist. Eine gegen sie gerichtete politische Verfolgung hat die Antragstellerin jedoch nicht dargetan. Auch das Vorbringen der Antragstellerin zu 1., nach der Entführung ihres Mannes sei auch nach ihr gesucht und sie am 30.03.1995 verhaftet worden, kann nicht zu einer Anerkennung als Asylberechtigte führen. Das durch die Antragstellerin zu 1. angeblich ausgelöste Verhalten der zairischen Behörden hat die Zumutbarkeitsschwelle, welche die asylrechtlich irrelevante politische Diskriminierung von der politischen Verfolgung trennt, nicht überschritten (so schon BVerwG, Urteil vom 27.05.1996 - 9 C 35.86 u.a.-). Kurzfristige Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Verhöre, Einschüchterungen und Bedrohungen durch staatliche Stellen wegen einer vermuteten Regimegegnerschaft im Zuge von Ermittlungen erreichen in der Regel ebenfalls nicht die asylbegründende Eingriffsintensität. Daß es bei der Antragstellerin ausnahmsweise anders sein könnte, ist ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen. Dies gilt auch für die Anwendung von körperlicher Gewalt durch das Wachpersonal während der FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 KAPITEL 9tägigen Inhaftierung im Gefängnis CIRCO. Staatliche Übergriffe rechtfertigen eine Anerkennung als politisch Verfolgter jedoch nur dann, wenn sie an asylrechtlich geschützte Merkmale des Betroffe- nen anknüpfen und ihn nicht lediglich belästigen, sondern in eine ausweglose Notlage bringen. Eingriffe in Leben, Gesundheit und Freiheit sind stets asylerheblich, sofern sie schwerwiegend und damit nicht mehr hinnehmbar sind. Eingriffe in andere Rechtsgüter sind hingegen nur dann asylerheblich, wenn sie die Menschenwürde des Betroffenen in ihrem Kern verletzen. Dies ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. ... Duldung für Moslems aus der Republik Srpska E ine ganze Reihe von Verwaltungsgerichten hat mittlerweile entschieden, daß eine Abschiebung bosnischer Flüchtlinge aus der Republik Srpska rechtlich nicht zulässig ist Vor diesem Hintergrund blieb auch der Innenministerkonferenz kaum etwas anderes übrig, als zumindest für bosnische Flüchtlinge aus der Republik Srpska eine Sonderregelung zu beschließen: Erlaß des MI vom 12.06.1997 Rückführung der ehemaligen Bürgerkriegsflüchtlinge nach Bosnien und Herzegowina Als Anlage 1 erhalten Sie den aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes vom 02. Juni 1997 zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Bosnien und Herzegowina. Der Lagebericht war Grundlage des Beschlusses der Innenminister und -senatoren der Länder vom 05./06. Juni 1997 in Bonn zur Rückführung nach Bosnien und Herzegowina. Eine Ausfertigung des Beschlusses füge ich zu Ihrer Information als Anlage 2 bei. Die Möglichkeit, freiwillig nach Bosnien und Herzegowina zurückzukehren, ist nach wie vor für alle bosnischen Flüchtlinge, unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrem Herkunftsort, gegeben. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (s. S.12 ff des Lageberichts) und wegen der derzeit noch schwierigen wirtschaftlichen Lage in Bosnien und Herzegowina muß zur Zeit noch davon ausgegangen werden, daß Bürgerkriegsflüchtlinge, die aus der Republik Srpska stammen und zwangsweise in das Födera- tionsgebiet zurückgeführt werden, dort von einigen Kommunen nicht registriert werden, wenn sie keinen Wohnraum oder sonstige Unterkunft (z.B. bei Verwandten) nachweisen können. Eine Registrierung ist neben der Bedürftigkeit eine Voraussetzung für den Erhalt humanitärer Hilfe der vor Ort tätigen internationalen Hilfsorganisationen. Gemeinschaftsunterkünfte für die Unterbringung zurückkehrender Flüchtlinge stehen nach Informationen des Auswärtigen Amtes zur Zeit im Föderationsgebiet ebenfalls noch nicht zur Verfügung. Unter Berücksichtigung der besonderen Situation in Bosnien und Herzegowina ordne ich im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern gem. § 54 Satz 2 des Ausländergesetzes (AusIG) an, die Abschiebung von bosniakischen und kroatischen Volkszugehörigen und in gemischtethnischer Ehe lebenden Ehepaaren aus der Republik Srpska, die bisher zur ersten Rückführungsphase gehörten, bis zum 28. Februar 1998 auszusetzen. Ausreiseauffordemngen sind - soweit sie bisher nicht ergangen sind, zunächst zurückzustellen. Die Ausländerinnen und Ausländer sind gem. § 55 Abs. 2 AusIG zu dulden. Die Duldung ist auf längstens 6 Monate zu befristen. Auf diesen Abschiebungsstopp können sich nicht Personen berufen, die auch bisher nicht von den Beschlüssen der Innenministerkonferenz zur Rückführung bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge begünstigt waren (nach dem 15.12.1995 eingereiste Flüchtlin- ge oder Straftäter). Die Flüchtlinge sind darauf hinzuweisen, daß sie die Zeit, in der sie weiterhin auf Grund des vorstehenden Abschiebungsstopps geduldet werden, zur Vorbereitung ihrer freiwilligen Rückkehr nutzen sollten. Den Flüchtlingen können zur Vorbereitung ihrer Rückkehr für die Durchführung von Orientierungsreisen Rückkehrberechtigungen (Vignette) erteilt werden. Ich behalte mir die Entscheidung darüber vor, den Abschiebungsstopp zu einem früheren Zeitpunkt aufzuheben. Das wird insbesondere dann erfolgen, wenn erkennbar ist, daß die von der internationalen Gebergemeinschaft für Bosnien und Herzegowina zur Verfügung gestellten Hilfen wirksam werden und eine Verbesserung der Situation für zurückkehrende bosnische Flüchtlinge aus der Republik Srpska eingetreten ist. Rückübernahmeersuchen Anfängliche Unklarheiten bei der Umsetzung des Rückübemahmeabkommens mit der Republik Bosnien und Herzegowina, insbesondere die altemative Benennung von drei bosnischen Stellen für die Entgegennahme der Rückübemahmeersuchen im Durchführungsprotokoll, haben zu einer sowohl für die bosnischen Behörden als auch für die deutschen Ausländerbehörden unübersichtlichen Verfahrensweise geführt. Nach Erkenntnissen der deutschen Botschaft in Sarajewo und anderer Länder hat sich nunmehr herausgestellt, daß es am günstigsten ist, die Rückübernahmeersuchen an die bosnische Botschaft in Bonn zu richten. (...) Im Auftrage ... 87 AUFNAHMEGESETZ Aufnahmegesetz Gesetz zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen* Der Niedersächsische Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen: §1 Aufgabe (1) Die Aufnahme folgender ausländischer Flüchtlinge obliegt, soweit und solange sie nicht durch das Land selbst erfolgt, als Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises den Gemeinden: 1. Asylbewerberinnen und Asylbewerber. 2 Asylbewerberinnen und Asylbewerber. die nach Ablehnung ihres Asylantrags noch in einer Aufnahmeeinrichtung des Landes im Sinne des § 44 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) oder in einer Gemeinschaftsunterkunft gewohnt haben, die einer Aufnahmeeinrichtung angegliedert ist. 3. Asylberechtigte, 4. im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen der Bundesrepublik Deutschland oder auf Grund von Übernahmeerklärungen des Bundesministeriums des Innern aufgenommene Personen (§ 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge vom 22. Juli 1980, BGBI. 1 5. 1057, zuletzt geändert durch § 43 des Gesetzes vom 2. September 1994, BGBI. I S. 2265) und 5. Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge auf Grund einer Aufenthaltsbefugnis nach § 32 a des Ausländergesetzes. *Nds. GVBI. Nr.11/1997 ausgegeben am 18.6.1997 106 (2) Den Gemeinden obliegt als Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises ferner die Aufnahme der Ausländerinnen und Ausländer, die sich im Land aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen aufhalten und für die die Landesregierung die Verteilung beschlossen hat. (3) Die Aufnahme gilt als Leistung der für die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) oder des Bundessozialhilfegesetzes zuständigen Stelle. (4) Bei der Verteilung von Personen nach den Absätzen 1 und 2 soll die Einwohnerzahl der Gemeinden berücksichtigt werden. Gemeinden, die Standort einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 44 AsylVfG sind, können von der Pflicht zur Aufnahme von Asylbewerberinnen und Asylbewerbem ganz oder teilweise freigestellt werden. §2 Unterbringung (1) Die Gemeinden haben die von ihnen aufzunehmenden Personen unterzubringen; fiir die Personen, die ihnen voraussichtlich zugewiesen werden, haben sie rechtzeitig ausreichende Kapazitäten bereitzustellen. (2) An Stelle kreisangehöriger Gemeinden kann der Landkreis Personen nach § 1 Abs. 1 und 2 in Einrichtungen unterbringen, die er selbst betreibt oder betreiben läßt, wenn dies der zweckmäßigen Erfüllung der Aufnahmepflicht der Gemeinden dient. (3) Das Land kann selbst Unterbringungseinrichtungen schaffen und betreiben oder schaffen und betreiben lassen. §3 Erstattung von Aufwendungen (1) Das Land zahlt den Landkreisen und kreisfreien Städten zur Abgeltung aller den kommunalen Körperschaften durch die Aufnahme entstehenden Kosten vierteljährlich eine Pauschale in Höhe von 1900 Deutsche Mark je Person nach 1. § 1 Abs, 1 Nr.1, 2. § 1 Abs. 1 Nr. 3 für zwei Jahre vom Zeitpunkt ihrer Anerkennung als Asylberechtigte an, 3. § 1 Abs. 1 Nr. 4 für vier Jahre vom Zeitpunkt des Eintreffens im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland an. Die Höhe der zu leistenden Zahlungen wird jeweils für ein Vierteljahr ermittelt. Dies geschieht auf der Grundlage der durchschnittlichen Anzahl der Personen nach Satz 1, die sich im Abrechnungszeitraum in den jeweiligen Landkreisen und kreisfreien Städten aufgehalten haben. (2) Bei einer Unterbringung in Flüchtlingswohnheimen werden abweichend von Absatz 1 für die Dauer der laufenden Verträge 1. für diese Einrichtungen die genehmigten oder bestätigten Tagessätze für Wohnheimplätze erstattet und 2. je untergebrachter Person eine vierteljährliche Pauschale von 1200 Deutsche Mark, bei Vollverpflegung von 675 Deutsche Mark gezahlt. (3) In besonders gelagerten Einzelfällen kann das Land mit Landkreisen oder kreisfreien Städten eine von den Absätzen 1 und 2 abweichende Regelung vereinbaren. (4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 werden 1. für ausländische Flüchtlinge. die in Einrichtungen untergebracht sind, die das Land auf seine Kosten betreibt oder betreiben läßt, nur insoweit Zahlungen geleistet, als die kommunalen Körperschaften zusätzliche Laistungen erbracht haben, 2. die notwendigen Kosten für Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt sowie für Hilfe zur Pflege nach Einzelnachweis erstattet, soweit sie den Betrag von 15 000 Deutsche Mark je Person und Kalenderjahr übersteigen. (5) Das Fachministenum wird ermächtigt, im Einvernehmen mit FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 SERVICE dem Finanzministerium die in den Absätzen 1 und 2 genannten Pauschalbeträge durch Verordnung entsprechend einer Neufestsetzung des Betrages nach § 3 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 Nr.1 AsylbLG anzupassen. (6) In den Fällen des § 1 Abs. 1 Nrn. 2 und 5 sowie Abs. 2 sind die den kommunalen Körperschaften entstehenden Kosten im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs abgegolten. Das Land kann abweichend von Satz 1 1. Kosten für solche ausländischen Flüchtlinge erstatten, die im Rahmen der bisherigen Soforthilfeaktionen der Bundesrepublik Deutschland für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufgenommen worden sind, und 2. Kosten der Behandlung im Krankheitsfall für sonstige Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien.Herzegowina erstatten. §5 Inkrafttreten, Außerkrafttreten §4 Übergangsvorschrift (2) Gleichzeitig tritt das Aufnahmegesetz vom 9. März 1982 (Nds. GV13I. S. 63), geändert durch Gesetz vom 10. Januar 1994 (Nds. GVBI. S.9), außer Kraft. Die Landkreise und kreisfreien Städte, in denen die durchschnittlichen, mit den Bezirksregiernngen abgestimmten Aufwendungen für außerhalb von FIüchtlingswohnheimen untergebrachte Personen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 im Jahr 1995 pro Person über 7600 Deutsche Mark lagen, erhalten zusätzlich zu der vorgesehenen Pauschale in den auf das Inkrafttreten dieses Gesetzes folgenden drei Zeiträumen von jeweils sechs Monaten abgestuft 75 vom Hundert, 50 vom Hundert und 25 vom Hundert des Unterschiedsbetrages zwischen 7600 Deutsche Mark und diesen Aufwendungen. (1) Dieses Gesetz tritt am 1. Juli 1997 in Kraft. Hannover. den 12. Juni 1997 Der Präsident des Niedersächsischen Landtages Horst Milde Das vorstehende Gesetz wird hiermit verkündet. Der niedersächsische Ministerpräsident Schröder Seminare und Tagungen Lust Last Frust. Solidarität und ehrenamtliches Engagement. Diskussionsforum 12. Juli 1997 in Hannover aus Anlaß des 5-jährigen Bestehens des Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit und für interkulturelle Verständigung. Anmeldung und weitere Infos: Landesverband der Volkshochschulen Niedersachsen, Bödeckerstr. 16, 30161 Hannover, Tel. 0511 348 41-39, Fax 348 41-42 Menschenrechte im Tschad, 19. - 21. September 1997 in Wustrow. Anmeldung/weitere Infos: Kurve Wustrow, Kirchstr. 14, 29462 Wustrow, Tel. 05843-507, Fax 05843-1405 Aktive Friedensarbeit und Gewaltfreiheit in der Einen Welt, 21. - 23. November 1997 in Wustrow. Anmeldung/weitere Infos: Kurve Wustrow, Kirchstr. 14, 29462 Wustrow, Tel. 05843- 507, Fax 05843-1405 Pressearbeit für Migrantinnen und Migranten, 06.09. 07.09.1997 in Göttingen. Für Migrantinnen und Migranten. Anmeldung: Landeszentrale für politische Bildung,Frau Winkler, Hohenzollernstr. 46, 30161 Hannover Vierte landesweite Konferenz von Migrantinnen/Migranten und Flüchtlingen in Niedersachsen, 26.09. 27.09.1997 in Wolfsburg. Für Migrantinnen und Migranten. Anmeldung: Landeszentrale für politische Bildung,Frau Winkler, Hohenzollernstr. 46, 30161 Hannover Annäherungen an das Fremde - Lebenssituationen ausländischer Mädchen und Frauen im Herkunftsund im Zuwanderungsland. 04.11. - 06.11.1997 in Han- nover. Für kommunale Frauenbeauftragte, Kommunalpolitikerinnen, Migrantinnen, Sozialarbeiterinnen. Anmeldung: Landeszentrale für politische Bildung,Frau Winkler, Hohenzollernstr. 46, 30161 Hannover Ausgewählte Aspekte aus dem Themenbereich Migration, 13.11. - 15.11.1997 in Königslutter. Für Lehrkräfte im Fachbereich geschichtlich-soziale Weltkunde sowie Lehrkräfte ausländischer Herkunft. Anmeldung: Landeszentrale für politische Bildung,Frau Winkler, Hohenzollernstr. 46, 30161 Hannover Irgendwo hingehören - Jugendliche mit Migrationshintergrund zwischen sozialer Integration und ethnischer Gruppenbildung, 24.11. 26.11.1997 in Bad Nenndorf. Für Lehrkräfte an Haupt-, Real- und Berufsbil- denden Schulen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Jugendsozialarbeit/Jugendhilfe, Migrantinnen und Migranten. Anmeldung: Landeszentrale für politische Bildung,Frau Winkler, Hohenzollernstr. 46, 30161 Hannover Videowettbewerb für Jugendliche in Niedersachsen. Unter dem Motto Wegsehen, hinsehen, Anders sehen können sich Jugendliche (bis 21 Jahre) mit kreativen Beiträgen über die Begegnung von Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund an einem Videowettbewerb beteiligen. Es sind viele Preise ausgeschrieben. Einsendeschluß ist der 31.07.1997. Weitere Infos: Büro der Ausländerbeauftragten, Stichwort Videowettbewerb, Am Marstall 18, 30159 Hannover, Tel. 0511 - 1207504. 107 SERVICE Materialien und Broschüren Schutz für Flüchtlinge und Asylsuchende, Aktuelle Entwicklungen des Asylrechts. Gesprächskreis Arbeit und Soziales Nr. 67. Mit Beiträgen von Cornelie Sonntag-Wolgast, RA Heinrich Freckmann, Georg Classen. zu bestellen bei der Friedrich Ebert Stiftung, Abt. Arbeitsund Sozialforschung, Godesberger Allee 149, 53175 Bonn (kostenlos) Integration und Konflikt. Kommunale Handlungsfelder der Zuwanderungspolitik. Gesprächskreis Arbeit und Soziales Nr. 69. zu bestellen bei der Friedrich Ebert Stiftung, ebd. Identitätsstabilisierend oder konfliktfördernd? Ethnische Orientierungen in Jugendgruppen. Gesprächskreis Arbeit und Soziales Nr. 72. Mit Beiträgen von Wilhelm Heitmeyer, Eberhard Seidel-Pielen, Dieter Schwulera u.a.. zu bestellen bei der Friedrich Ebert Stiftung, ebd. Bernd Tobiassen, Asylrecht für kurdische Flüchtlinge. Praxis-Handbuch für die Flüchtlingsberatung mit Mustertexten für Anträge und Klagen (auch auf Diskette). Von LoeperLiteraturverlag, Kiefernweg 13, 76149 Karlsruhe, Tel. 0721 - 706755, Fax 0721 - 788370; (Es liegt leider kein Rezensionsexemplar vor) 108 Materialmappe zur Begleitung im Asylverfahren, auch für Schulungszwecke, zu bestellen bei der ZDWF, Postfach 1110, 53701 Siegburg, Tel. 0224150001, Fax 0224150003. Ratgeber soziale Beratung von Asylbewerbern, auch für Schulungszwecke, zu bestellen bei der ZDWF, ebd. Leitfaden für Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, 4. Auflage, zu bestellen bei der ZDWF, ebd. Flüchtlinge, Verfassungsrecht und Menschenrechte. Ergebnisse einer Fachtagung über rechtliche und politische Rahmenbedingungen der Rückkehr und Wiederansiedlung von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien. ZDWF-Schriftenreihe Nr. 65. zu bestellen bei der ZDWF, ebd. Der Aspen Institute Berlin und Carnegie Endowment for International Peace (Hg.), Der trügerische Frieden. Bericht der Internationalen BalkanKommission, rororo aktuell, Rowohlt Verlag Hamburg, Mai 1997 nepitani - Regelmäßige Publikation für Jugendliche in Deutschland und Bosnien-Herzegowina,, zu beziehen über: Schüler Helfen Leben e.V., Fritz- Kohl-Str. 24, 55122 Mainz, Tel. 06131 385742. Die Redaktion ist interessiert an Berichten bosnischer Flüchtlinge in Deutschland. Asylrechtsprechung. ISBN 3-930747-96-0, Pro Universitate Verlag GmbH, Am Tiefenweg 11, 76547 Sinzheim, Tel. 07221210425. 69,-- DM Shalom 1/1997, Themenheft Flüchtlinge und Gemeinde, zu bestellen bei: Arbeitsstelle Konziliarer Prozeß der EKvW, Olpe 35, 44135 Dortmund, Tel. 0231 - 5409-68, Fax 0231 - 5409-21 (kostenlos) Till Müller-Heidelberg / Ulrich Finck / Wolf-Dieter Narr / Marei Pelzer (Hg.), Grundrechte - Report. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland. Rowohlt Taschenbuch-Verlag, Hamburg Juni 1997 Lageberichte des Auswärtigen Amts zu Bosnien und Herzegowina (5/97), Mazedonien (5/97), Sri Lanka (Ergänzung v. 13. Mai zum Bericht v. 17. März), Elfenbeinküste (4/97), Liberia (4/97), Kirgisistan (4/97), Ukraine (4/97), Belarus (3/97), Jugoslawien (3/97), Kasachstan (3/97), Tadschikistan (3/97), Türkei (3/97 und 11/96), Zaire (2/97), Usbekistan (2/97), Gambia (2/97), Armenien (1/97), Somalia (1/97), Irak (1/97); zu bestellen bei amnesty international, Postfach 170229, 53108 Bonn Antwort der Landesregierung auf eine große Anfrage der CDU-Fraktion vom 6.1.97: Menschenhandel in Niedersachsen. Drucksache 13/2854, Niedersächsischer Landtag. Prof. Dr. G. Wießner, Gutachten zur Situation von Jeziden in Syrien,, zu bestellen beim Flüchtlingsrat Renate Dieregsweiler, Krieg - Vergewaltigung Asyl.. Die Bedeutung von Vergewaltigung im Krieg und ihre Bewertung in der bundesdeutschen Das andere Gedenken / Ein Strich durch das Vergessen, Doppelnummer der Jekh Chib Nr. 6/7, bundesweite Zeitschrift zur Situation der Roma in der BRD.. Zu bestellen beim Rom e.V., Bobstr. 68, 50676 Köln, Tel. 0221 - 242536, Fax 0221 2401715 Literaturhinweise und Empfehlungen der Koordinationsstelle Nord-Süd im Bildungsbereich, WUS, Goebenstr. 35, 65195 Wiesbaden, Tel. 0611-9446170, Fax 0611-446489 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44, Juli 1997 KURDEN IM KIRCHENASYL Ök um e n i s c h e Bu n desarbeit sgem einschaft in der K ir che INFOBRIEF 2/97 Kurdische Flüchtlinge im Kirchenasyl Trotz systematischer Menschenrechtsverletzungen in der Türkei halten deutsche Politiker an ihrer rigorosen Abschiebepolitik fest. Die Ausländerbehörden erweisen sich als deren willfährige Vollstrecker von Martin Rapp Nach sieben Wochen im Kirchenasyl konnte die kurdische Familie Atak am 1. Mai die Ev. Kirchengemein-de Lendringsen in Westfalen verlassen. Die Ausländerbehörde hatte zugesagt, solange von "aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen", solange das Verwaltungsgericht bzw. das Bundesamt für die Anerkennung Ausländischer Flüchtlinge (BAFl) über die Zulassung eines neuen Asylantrages noch nicht entschieden hat. Dieser Zeitaufschub verschaffte der Familie nur eine kur-ze Atempause. Knapp drei Wochen später machte das Verwaltungsgericht Arnsberg die Hoffnungen der Familie zunichte, in einem erneuten Asylverfahren ihre Gefährdung in der Türkei geltend machen zu können. Die Kirchengemeinde handelte prompt und nahm die Familie Atak erneut ins Kirchenasyl auf. So bleibt der Schwebezustand zwischen der Hoffnung, doch noch in Deutschland bleiben zu können, und der Angst vor den drohenden Mißhandlungen im Falle einer er-zwungenen Rück- kehr weiterhin bestehen. Nun stellt sich die Lendringser Gemeinde auf einen längeren Aufenthalt der Familie im Kirchenasyl ein. Die UnterstützerInnen der Familie wissen, daß sie einen langen Atem brauchen, um die Abschiebung der Familie endgültig abzuwenden. Weil Politiker und Behörden sich von einem an den Menschenrechten orientierten Flüchtlingsschutz mehr und mehr verabschieden und sich immer unnachgiebiger verhalten, wird das Kirchenasyl für Flüchtlinge und Gemeinden oftmals zur Zerreißprobe. So dauern die meisten derzeitigen Kirchenasyle in der Bundesrepublik bereits länger als ein Jahr. Hintergrund dieser Entwicklung ist die forcierte Abschiebepolitik seit der Grundgesetzänderung von 1993. Seit der Aufhebung des Abschiebestopps für Kurden aus der Türkei, dem Hauptherkunftsland von Flüchtlingen in der Bundesrepublik, durch die Innenminister der Länder im Frühjahr 1995 wurden allein Tausende nach Istanbul abgeschoben. Seitdem häufen sich die Meldungen über abgeschobene Asylbewerber, die in türkischen Gefängnissen mißhandelt und gefoltert wurden oder die seit ihrer zwangsweisen Rückkehr in die Türkei verschwunden sind. Die Bundestagsabgeordnete Amke DietertScheuer legte dazu kürzlich eine erschütternde Dokumentation vor. Auch der ehemali-ge Innenminister von NordrheinWestfalen, Herbert Schnoor, Landeskirchenrat Jörn-Erik Gutheil, der Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Arendt Hindriksen und Heiko Kauffmann von Pro Asyl kamen nach einer gemeinsamen Delegationsreise in die Türkei im April zu dem Schluß: "Wer nach der Rückkehr aus Deutschland im Verhör als Kur-de, als Alevit, als politisch linksstehend identifiziert wird, sei jederzeit in Gefahr, geschlagen, mißhandelt oder gefoltert zu werden." Die Bundesregierung und die Innenminister müßten deshalb Konsequenzen ziehen und dürften nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Doch die politisch Verantwortlichen halten bisher an der unerbittlichen Abschiebepraxis fest. Als Begründung muß die von Menschenrechtsorganisationen vielfach widerlegte Behauptung herhalten, wonach Flüchtlinge aus dem Südosten der Türkei im Westen des Landes vor staatlicher Verfolgung und Gefahr für Leib, Leben und Freiheit sicher seien. Anderslautende Gerichtsentscheidungen, wonach KurdInnen als Gruppe verfolgt sind, hob das Bundesverfassungsgericht im Mai vergangenen Jahres auf. Demnach muß ihre politische Verfolgung im Einzelfall nachgewiesen werden. Kein Wunder, daß abgelehnte kurdische Asylbewerber/innen aus Angst vor der Abschiebung in das Folterland Türkei immer häufiger um Zuflucht in christlichen Gemeinden bitten. Fanden 1995 insgesamt 75 Kurden Schutz in evangelischen und katholischen Gemeinden und Klöstern, waren es im vergange17 KURDEN IM KIRCHENASYL nen Jahr bereits 137. Ende Mai diesen Jahres befanden sich schon über 70 kurdische Flüchtlinge in der Obhut christlicher Gemeinden. Das sind mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge, die sich zur Zeit in der Bundesrepublik im Kirchenasyl befinden. Darüber hinaus leben etwa zwanzig kurdische Flüchtlinge im "stillen" Kirchenasyl. In diesen Fällen wissen die Behörden zwar, daß sich die Asylbewerber in den Gemeinden befinden, diese sehen ihren Verhandlungsspielraum bei einem öffentlichen Kirchenasyl allerdings völlig schwinden. In den meisten Bundesländern reagieren die politisch Verantwortlichen inzwischen mit ungewohnter Härte und Unnachgiebigkeit auf die sich ausweitende Kirchenasylpraxis. Die lokalen Ausländerbehörden und die Gerichte erweisen sich dabei zunehmend als willfährige Vollstrecker der politisch Verantwortlichen von Bund und Ländern. Bereits im vergangenen Jahr zwangen die bayerischen Behörden die kurdische Familie Demirkiran nach über anderthalb Jahren Kirchenasyl in Höchstadt zur "freiwilligen" Rückkehr in die Türkei. Die Familie Simsek, die in einer Augsburger Gemeinde Zuflucht gefunden hatte, kam der Abschiebung in die Türkei nur durch die Flucht in ein europäisches Nachbarland zuvor. In Augsburg, Erlangen und im bayerischen Weißenburg befinden sich drei kurdische Familien bereits seit über zwei Jahren im Kirchenasyl, ohne daß sich eine Lösung zugunsten der Flüchtlinge abzeichnet. Eine Anwendung der Härtefallregelung, wonach Flüchtlinge nicht abgeschoben werden dürfen, wenn eine Abschiebung eine unzumutbare soziale Härte darstellt, kommt für die bayerischen Behörden nicht in Betracht, obwohl die meisten Familien bereits seit vielen Jahren in Deutschland leben und auch die übrigen Kriterien dieser Regelung erfüllen. Die Härtefallregelung könne auf Flüchtlinge im Kirchenasyl nicht angewendet werden, weil diese sich dort länger als drei Monate "illegal" aufhielten, lautet die Begründung der bayerischen 18 Staatsregierung, deren Zynismus kaum zu übertreffen ist. In Hof und in Fischbach im bayerischen Landkreis Kronach befinden sich zwei Familien seit mehr als einem Jahr im Kirchenasyl. Der ökumenische Arbeitskreis Asyl in Fischbach rechnet mit der bevorstehenden gewaltsamen Räumung des Kirchenasyls für die Familie Karakus. Sie fand im Mai vergangenen Jahres im Pfarrhaus der evangelischen Gemeinde Zuflucht, weil der Familienvater in der Türkei aus politischen Gründen inhaftiert und mißhandelt worden war und bei einer Rückkehr eine neuerliche Verhaftung befürchtet. Das Bayerische Oberste Landesgericht lieferte dem bayerischen Innenminister Beckstein bereits im April die juristische Legitimation für die gewaltsame Beendigung des Kirchenasyls und ordnete Abschiebehaft, sogenannte "Sicherungshaft" nach § 57,2 Ausländergesetz, an. Damit hob das Gericht anderslautende Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts auf, die den Haftantrag gegen die Familie abgelehnt und die vorübergehende Flucht ins "verdeckte" Kirchenasyl als "Flucht in die Öffentlichkeit" gewertet hatten. Der Asylantrag des Familienvaters war abgelehnt worden, nachdem er nicht zur Anhörung beim BAFl erschienen war, obwohl er die Einladung nie erhalten hatte. Auch die niedersächsische Landesregierung sucht inzwischen die Konfrontation mit kirchenasylgewährenden Gemeinden. So laufen auch deren Bemühungen um einvernehmliche Lösungen zur Zeit ins Leere. Noch im vergangenen Jahr wurden in Elze und Arnum zwei Familien, die nur durch das couragierte Engagement der Kirchengemeinden und die Aufnahme ins Kirchenasyl in letzter Minute vor der Abschiebung nach Istanbul gerettet werden konnten, von Verwaltungsrichtern als asylberechtigt anerkannt. Anfang Mai willigte ein kurdisches Ehepaar nach wenigen Tagen im Kirchenasyl in Nordhorn ein, unter Begleitung einer Gemeindebetreuerin "freiwillig" in die Türkei zurückzukehren, weil der Asylfolgeantrag chancenlos war. Bereits Ende Februar hatte eine kurdische Familie aus Barsinghausen der "freiwilligen" Aus- reise zugestimmt, nachdem der Familienvater verhaftet worden war und die Fortsetzung des Kirchenasyls für die übrige Familie sinnlos erschien. Die dortige Ausländerbehörde erweist sich auch in einem aktuellen Fall von Kirchenasyl als besonders unerbittlich. Das Amt verweigert der 7-köpfigen kurdischen Familie, die seit elf Jahren in Deutschland lebt und arbeitet, das Bleiberecht nach der sogenannten "Altfallregelung", weil die Familie angeblich einen Anspruch auf Sozialhilfe hat, obwohl diese nie einen Pfennig vom Sozialamt bezogen hat. Zur Zeit gewähren sieben niedersächsische Gemeinden kurdischen Flüchtlingen Kirchenasyl, außer in Barsinghausen in Göttingen, Hannover, Hildesheim und Lahstedt. In Göttingen lebt ein kurdisches Ehepaar bereits seit März 1996 in einer Kirchengemeinde. Eine yezidische Familie ist im "stillen" Kirchenasyl. In Baden-Württemberg bestehen zur Zeit vier, in Thüringen und im Saarland jeweils ein Kirchenasyl für kurdische Flüchtlinge aus der Türkei. In NordrheinWestfalen beendete die Ausländerbehörde des Kreises Coesfeld Ende Januar mit einem Großaufgebot der Polizei das Kirchenasyl in Nottuln und schob die Familie Araz nach Istanbul ab. Dort wurden sie verhaftet und erst nach zwei Tagen wieder freigelassen. Der Vater wurde seitdem mehrmals festgenommen und mißhandelt. Er hatte sich wie viele andere Flüchtlinge, die Zuflucht in Kirchengemeinden fanden, geweigert, als "Dorfschützer" am schmutzigen Krieg gegen die aufständischen KurdInnen teilzunehmen und war deshalb von türkischen Sicherheitskräften schikaniert, verhaftet und gefoltert worden. Trotzdem sollten er und seine Familie aus Deutschland abgeschoben werden. Die Weigerung, "Dorfschützer" zu werden, ist - wie Kriegsdienstverweigerung und Desertion - schließlich kein Asylgrund in der Bundesrepublik. Auch Folter, Vergewaltigung, Mißhandlungen und Gefängnis sichern kurdischen Flüchtlingen keinen Aufenthalt in der Bundesrepublik. So gewähren Kirchengemeinden Flüchtlingsschutz, weil die Mängel und De- FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44, Juli 1997 KURDEN IM KIRCHENASYL fizite des Asylverfahrens offensichtlich sind. Dies bestätigt auch die repräsentative Kirchenasylstudie "Zufluchtsort Kirche". Demnach ist das Anhörungsverfahren insgesamt untauglich, die Rechtsmittelfristen sind zu kurz, die Gerichtsverfahren willkürlich. Abschiebehindernisse werden in der Regel nicht zur Kenntnis genommen. Einen Abschiebstopp für Flüchtlinge aus der Türkei lehnen die Innenminister von Bund und Ländern - aus Gründen der Staatsräson - bisher ab, vor allem aus Rücksicht auf den NATO-Partner Türkei, den wichtigsten und verläßlichsten Wirtschaftspartner im Nahen Osten. Ein Abschiebestopp für Flüchtlinge aus der Türkei schaffe darüber hinaus – so die Befürchtungen deutscher Politiker – einen Präzedenzfall, schließlich werden die Menschenrechte auch in anderen Ländern systematisch mit Füßen getreten. Trotzdem: Nur ein genereller Abschiebestopp für Flüchtlinge aus der Türkei kann verhindern, daß Abgeschobene dort nicht gefoltert werden oder verschwinden. 19 KURDEN IM KIRCHENASYL Den Spieß umkehren! Es gibt kaum Absurderes als die Begründungen deutscher Verwaltungsrichter und Beamter, mit denen sie Abschiebungen von Menschen aus der Türkei rechtfertigen. Wie macht man der kleinen kritischen Öffentlichkeit, wie macht man sich selbst begreiflich, daß das, was man da tut, rechtens ist, den eigenen Ansprüchen an zivilisiertes Verhalten genügend, dem Grundgesetz verträglich und vielleicht gar im Einklang mit den eigenen, eisernen Rationen von Ethik und Moral steht? In der Türkei fügen Menschen anderen Menschen Schaden zu, daß es zum Himmel schreit. Systematisch und willkürlich, offen und versteckt, auf Verlangen des Staates und ohne seinen Auftrag. Da verschwinden Leute ohne richterlichen Bescheid im Gefängnis, da werden Zeitungen verboten und Gewerkschaftsbüros geschlossen, Dörfer bombardiert und Wälder verbrannt. Journalisten und Gewerkschafterinnen, Poeten, Musiker, Grafikerinnen und Lehrer, Parlamentsabgeordnete und Stadträte, viele "einfache Leute" – verschwunden, inhaftiert, gefoltert, erschossen. Im Namen der "nationalen Sicherheit". Keine namhafte Menschenrechtsorganisation, die nicht dagegen anginge. Kein ernstzunehmendes internationales Gremium, das nicht auf’s Schärfste mit der Türkei ins Gericht ginge. Was muß man erfinden, um mit Fug zu unterschreiben, daß sie sicher seien nach ihrer Abschiebung: Kurden, Aleviten, Yeziden, Menschenrechtler, Oppositionelle, Menschen, die in welcher Form auch immer ihren Willen zur Verän- derung bekundet haben, hier in Deutschland oder dort in der Türkei. Wie macht man das: Sich einzureden, eine sieben- oder neunköpfige kurdische Familie, seit vier oder sechs oder acht Jahren im deutschen Exil, könne zurückkehren, einfach so. Es gibt Beamte, die dem politischen Druck standhalten. Sie sind weder bereit, das Recht zu beugen, noch ihr Gewissen zu verbiegen. Sie erkennen an: Asyl, Abschiebungshindernisse, Menschenrechtschutz. Eine Tür, eine Stadt, einen Regierungsbezirk weiter: Dieselben Schicksale, dieselbe Angst vor der latenten oder manifesten Bedrohung, dieselben Unwägbarkeiten werden mit Federstrichen vom Tisch gewischt. Seit das Land NRW den Abschiebestopp allein aufgrund des Drucks aus Bonn aufheben mußte, ohne daß sich die Situation auch nur einen Deut gebessert hätte, liegt die Beweislast bei dem, der abschieben will: Er muß sich die Realität zurechtbiegen. Wann hätten die deutschen Behörden angesichts der unüberschaubaren Flut von Berichten, Dokumenten, Analysen und Kommentaren je den Nachweis erbracht dafür, daß in der Türkei ein erträgliches Leben möglich ist für die, die einer der Minderheiten angehören oder sich für deren Rechte engagieren? Wann hätten die für die Abschiebungen Verantwortlichen je auch nur eine sichere Adresse nennen können, an die sich Menschen nach ihrer zwangsweisen Rückführung wenden können, die um ihr Leben fürchten? Ein Anruf bei einer deutschen Auslandsvertretung oder auch bei der Dependance einer der deutschen Kirchen in Istanbul oder Ankara genügt: Wer sich erkundigt, erhält nur eine Antwort: NEIN! WIR HABEN ANGST! Noch halten sich die großen Kirchen in der Bundesrepublik bedeckt. Aber immer mehr Kurden und andere Verfolgte fliehen in die Gemeinden, weil sie nicht haben nachweisen können, daß sie im Fall der Rückkehr einem tödlichen Verdacht ausgeliefert sind, den sie hier nicht beweisen und dort nicht entkräften können, der aber vom ersten Tag ihrer Rückkehr an ihr Leben regieren wird. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand, und sie sind bereit, eher auf den wenigen Quadratmetern im Kirchenasyl über Monate auszuharren, als auch nur für eine Stunde dem Verhörexperten der türkischen Staatspolizei in die Hände zu fallen. Durch die wachsende Zahl verzweifelter kurdischer Menschen in den katholischen und evangelischen Gemeinden erwächst den Kirchen ein neues Mandat. Ihr Glaube verpflichtet sie, einer Praxis zu widerstehen, die Menschen auf dem Altar diplomatischer Interessen opfert. Sie haben das Recht und die Pflicht, den Staat öffentlich und unmißverständlich zur Vernunft zu rufen und aufzuräumen mit den Behauptungen, mit denen er sich Menschen aus der Türkei vom Hals schafft. Christoph Keienburg, Sprecher der BAG Asyl in der Kirche Hungerstreik in der Dortmunder Petrikirche Ein Beispiel erfolgreicher Selbstorganisation von Flüchtlingen 20 Sechs Familienangehörige der Familie Yildirim wurden von Sonderkommandos der türkischen Sicherheitskräfte als angebliche PKK-Aktivisten umgebracht. Andere Familienangehörige sitzen in der Türkei in Haft und wurden dort teilweise gefoltert. Ein Teil der Familie floh nach Deutschland und beantragte Asyl. Viele Familienmitglieder wurden als FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44, Juli 1997 KURDEN IM KIRCHENASYL Asylberechtigte anerkannt. Nicht jedoch Veysi Yildirim: Sowohl das Bundesamt als auch das Verwaltungsgericht lehnten seinen Asylantrag mit der formalen Begründung ab, er hätte diesen nicht innerhalb der ersten drei Monate nach seiner Einreise gestellt. Von dieser Frist wußte er allerdings nichts. Nun droht ihm die Abschiebung in die Türkei. Deshalb trat Yildirim am 30.1.1997 mit zehn weiteren Personen, denen ebenfalls die Abschiebung drohte, in einen unbefristeten Hungerstreik. Sie forderten die Anerkennung als politisch Verfolgte gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention, einen Abschiebestopp für kurdische Flüchtlinge und ein Ende der deutschen Waffenexporte in die Türkei. Für ihre Aktion wählten sie einen Raum mit großem Symbolgehalt und hoher Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit: die mittelalterliche Stadtkirche St.Petri mitten in der Dortmunder Einkaufs- zeile. Sie suchten von Anfang an einen breiten UnterstützerInnenkreis, die Kooperation mit den Gremien der evangelische Kirche und betrieben mit Erfolg eine intensive Öffentlichkeitsarbeit. Neben überregionalen deutschen Medien berichteten auch die türkischen Zeitungen Özgür Politika, Demokrasi und Hürriyet sowie der prokurdische Sender MED-TV zum Teil mit der Namensnennung von Beteiligten über die Aktion. Das zog weitere von Abschiebung bedrohte Kurden an. Die Hungerstreikenden bildeten einen Sprecherkreis und ließen von den mehreren hundert Anfragen weitere 40 Personen an der Aktion teilnehmen. Parallel dazu fanden öffentliche Veranstaltungen statt, die auf die Lage der Hungerstreikenden, auf die Situation in der Türkei und das deutsche Asylrecht aufmerksam machten. Überraschend groß war die Zahl der Solidaritätsbekun- dungen aus ganz Deutschland wie auch die praktische Solidarität vieler Dortmunder. Durch die Vermittlung eines Landtagsabgeordneten kam es am 20. Februar zu einem Gespräch im Düsseldorfer Innenministerium, das mit der Zusage endete, die zuständigen Ausländerbehörden zu bitten, vor dem Vollzug der Abschiebung "neue bzw. ergänzende Informationen zu den einzelnen Sachverhalten" anzunehmen und zu beachten. Als ihnen diese Zusage schriftlich zuging, beendeten sie den Hungerstreik nach 28 Tagen am 26. Februar 1997. Bis heute ist noch keiner der Beteiligten abgeschoben worden. Von den Verwaltungsgerichten wird allerdings die Frage, ob der Hungerstreik eine exilpolitische Aktivität "niedrigen" oder "hohen" Profils gewesen ist, unterschiedlich bewertet. Ralf Wieschhoff Abgeschoben, verhaftet, mißhandelt, gefoltert, verschwunden ... Dokumentation über die Gefährdung abgeschobener Kurdischer Flüchtlinge in der Türkei. Aus einem Bericht der Bundestagsabgeordneten Amke Dieter-Scheuer Nur die Spitze des Eisbergs sind nach Meinung der Bundestagsabgeordneten Amke Dietert-Scheuer die vorliegenden Berichte über das Schicksal in die Türkei abgeschobener und dort weiterverfolgter kurdischer Flüchtlinge. Teilweise erfolgte die Verfolgung der Abgeschobenen aufgrund politischer Aktivitäten, die im Asylverfahren nicht berücksichtigt bzw. als unglaubwürdig dargestellt wurden. Die Familie Abdurrahman und Ayse Tekin floh im September 1993 aus Handak bei Cizre in die Bundesrepublik. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Am 5. Januar 1994 wurde die Familie nach Istanbul abgeschoben, unmittelbar am Flughafen von Polizeibeamten in einer Zelle in einen Keller eingeschlossen. Sie bekamen nichts zu essen und wurden am darauffolgenden Tag verhört. Herr Tekin wurde beschuldigt, die PKK unterstützt zu haben. Zwar wurde die Familie am Nachmittag freigelassen, doch bereits an der Busstation wurde Herr Tekin von drei Männern in Zivil in ein Auto gezerrt und mit verbundenen Augen an einen unbekannten Ort gebracht. Dort wurde er vierzehn Tage in Einzelhaft gehalten. Er wurde geschlagen, beschuldigt, ein Terrorist zu sein und sollte Namen von PKKMitgliedern nennen. Bei den Verhören wollten die Beamten Informationen über seine Aktivitäten in Cizre und Deutschland erhalten. Sie schlugen ihn mit Fäusten und einem Schlagstock, unterzogen ihn der "falaka" (Schläge auf die Fußsohle) und traten ihn. Herr Tekin wurde mit verbundenen Augen in einen Wagen gebracht und aus dem Auto geworfen. Bei der Rückkehr nach Cizre stellte die Familie fest, daß sich ihr Haus andere Personen angeeignet hatten. Diese weigerten sich, es zu verlassen. Bei Auseinandersetzungen mit der eintreffenden Polizei erlitt Frau Tekin einen Nasenbeinbruch, vermutlich durch einen Schlag mit einem Gewehrkolben. Herr Tekin floh in den Irak, von wo er 1995 aufgrund innerkurdischer Auseinandersetzungen erneut fliehen mußte. Da seine Frau inzwischen erneut in die Bundesrepublik geflohen war, folgte er ihr wenige Monate später. Murat Fani (geb. in Cizre) floh 21 KURDEN IM KIRCHENASYL 1989 nach Deutschland und beantragte politisches Asyl. Er war kulturell aktiv, sammelte Spenden für die ERNK und kandidierte für das Kurdische Nationalparlament. Im Juli 1993 wurde seine Wohnung durchsucht. Dabei soll die Polizei einschlägige Literatur und Spendenquittungen sichergestellt haben. Die türkische Tageszeitung "Hürriyet" berichtete, daß die PKKVerantwortlichen von Landau gefaßt worden seien, erwähnte den Namen Fanis aber nicht. Nach Ablehnung des Asylantrags wurde er und seine Familie am 17. März 1994 nach Istanbul abgeschoben, wo Beamte des BGS der Flughafenpolizei die Pässe der Familie übergaben. Dort wurde die Familie 24 Stunden lang festgehalten. Bevor die Familie freigelassen wurde, mußte Herr Fani einige Papiere unterschreiben. Herr Fani telefonierte mit einem Freund in Istanbul, der versprach, die Familie mit dem Auto vom Flughafen abzuholen. Murat Fani rief Verwandte in Mersin an und kündigte die baldige Ankunft der Familie an. Noch vor Ankunft des Freundes kamen zwei Zivilbeamte, fragten nach Murat Fani, brachten ihn in einem Auto fort und legten ihm eine Augenbinde an. Am folgenden Abend wurde er bei seinem ersten Verhör nach Kontakten in Deutschland befragt. Schließlich wurde Herr Fani vorgehalten, laut "Hürriyet" sei er in Lindau von der deutschen Polizei verhaftet worden. Weil er den Artikel kannte, legte er dar, daß nicht er, sondern eine Person aus Landau gemeint sei. Er hingegen komme aus Lindau. Die Beamten wußten auch von seiner Kandidatur für das Kurdische Parlament. Als Herr Fani leugnete, wurde er als Lügner beschimpft. Die Beamten bestanden darauf, daß er Namen von führenden PKK-Aktivisten in Europa nenne. Dabei sollen sie, so Muart Fani, keine "schlimme Folter" angewandt haben. Er sei an den ersten drei Abenden lediglich geschlagen worden. Dabei wurde ihm ein Zahn zerbrochen. Am 9. Tag wurde er mit einer Augenbinde an einen dunklen Ort 22 gebracht und freigelassen. Riza Askin (geb. in Tilkiler) floh 1993 in die Bundesrepublik. Nach Ablehnung seines Asylantrages wurde er am 7. Februar 1994 nach Istanbul abgeschoben. Am Flughafen wurde er verhört und durchsucht. In seinen Koffern fanden sich Kleidungsstücke und andere Gegenstände mit PKKEmblemen. Er wurde daraufhin verhaftet und einen Tag lang mit Schlägen und Stromstößen gefoltert, was vom Auswärtigen Amt bestätigt wurde. Herr Askin unterschrieb ein Geständnis und gab zu, in der Bundesrepublik die PKK unterstützt zu haben. Er widerrief dies jedoch eine Woche später mit der Begründung, er sei dazu gezwungen worden. Den Koffer habe er nicht gepackt und die Gegenstände kenne er nicht. Den Koffer hätten Polizeibeamten in der Asylbewerberunterkunft gepackt. Herr Aksin wurde zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hob die Ablehnung seines Asylantrages inzwischen in seiner Abwesenheit auf. Gülizar Doruk wurde am 12. April 1994 mit ihren fünf Kindern ohne den Ehemann - von Hannover nach Istanbul abgeschoben. Dort wurden sie und ihre Kinder 11 Tage in der Haftanstalt in unmittelbarer Nähe des Flughafens festgehalten. Es wurde Frau Doruk nicht gestattet, mit Verwandten oder Vertrauenspersonen Kontakt aufzunehmen oder einen Anwalt anzurufen. Sie wurde wiederholt verhört und nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes befragt. Dabei wurde sie vor den Kindern geschlagen, bespuckt, beleidigt und bedroht. Die älteste Tochter wurde geschubst und geohrfeigt, nachdem sie empört fragte, warum ihre Mutter geschlagen werde. Nach elf Tagen wurde die Familie ohne Begründung freigelassen, nicht ohne den Kindern zu drohen, sie bis ans Lebensende zu verfolgen und nach ihrem Vater zu suchen. Familie Doruk floh erneut nach Deutschland. Der Asylfolgean- trag wurde am 16.1.1997 gemäß § 51 (1) Ausländergesetz positiv entschieden. Ausschlaggebend waren die Mißhandlungen in der Haft nach der Abschiebung. Ayhan Bugrahan (geb. Provinz Bingöl) floh 1989 in die Bundesrepublik und beantragte Asyl. Nach der Ablehnung zog er seine Klage im Frühjahr 1993 zurück. Ende 1993 wurde Herr Bugrahan unter dem Verdacht, Falschgeld verbreitet zu haben, festgenommen. Er stellte einen erneuten Asylantrag. Zwischenzeitlich wurde er des Rauschgifthandels verdächtigt und im Juni 1994 nach Ablehnung des zweiten Asylantrags nach Istanbul abgeschoben. Am Flughafen wurde er zur Personalienfeststellung inhaftiert. Dort erklärte er, er habe in der Bundesrepublik Asyl beantragt. Daraufhin wurde er in die Abteilung zur Bekämpfung des Terrorismus gebracht. Dort wurde er mit verbundenen Augen verhört, ins Gesicht geschlagen, getreten, bekam nichts zu essen und zu trinken. Während der vierzehntägigen Haft wurde er mehrfach u.a. mit Elektroschocks gefoltert, geschlagen und getreten. Nachdem seine ausführliche Personalakte eintraf, mußte er am vierten Tag des Verhörs ein Papier unterschreiben, dessen Inhalt ihm nur teilweise vorgelesen wurde. Am 13. Juli 1995 erließ die Staatsanwaltschaft wegen vermeintlicher PKK-Aktivitäten in der Bundesrepublik Haftbefehl. Ein Gericht sprach ihn am 24.10.1995 frei. Unmittelbar danach brachten Beamte ihn zum Erfassungsbüro für den Militärdienst. Nach zwei Tagen Urlaub tauchte er unter. Die alewitische, kurdische Familie Cengiz, Erdogan und Zeliha Dogan wurde am 6. Juni 1995 von München nach Istanbul abgeschoben. Die Schwester von Herrn Dogan hatte sich in der Türkei für die PKK eingesetzt. Herr Dogan, der in Pazarcik einen Bauernhof bewirtschaftete, hatte seine Waren sowohl an die PKK als auch an die Armee verkauft. Aus Angst vor politischer Verfolgung floh die Familie 1990 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44, Juli 1997 KURDEN IM KIRCHENASYL nach Deutschland. Nach ihrer Abschiebung wurde sie bereits am Flughafen verhaftet und als "kurdische Hunde", "Terroristen" und "Rotköpfe" (Schimpfwort für Alewiten) beschimpft. Erdogan und Cenzig Dogan wurden der "falaka" ausgesetzt, dem Sohn brennende Zigaretten auf den Armen ausgedrückt. Herr Dogan verlor durch die Schläge drei Zähne. Durch Bestechung gelang es der Familie, nach dreieinhalb Tagen freizukommen. Anschließend hielten sie sich bis zu ihrer erneuten Flucht nach Deutschland in Mersin versteckt. Das Behandlungszentrum für Folteropfer in Ulm, bestätigte Herrn Dogan und seinem Sohn Cengiz Folterspuren. Am 31.7.1996 erkannte das BAFL die Familie nach § 51 AuslG als Flüchtlinge an. Der inzwischen anerkannte Asylbewerber "Rodi" aus Bremen (Name geändert) wurde zweimal abgeschoben. Die zweite Abschiebung am 17. Februar 1995 erfolgte, obwohl "Rodi" inzwischen mit einer deutschen Frau verheiratet war. Ihr gelang es, mit demselben Flugzeug nach Istanbul zu fliegen und gleichzeitig traf sein Vater aus Bingöl ein. Während Verhöre am folgenden Tag bei der politischen Polizei warteten beide Angehörige in der Nähe in einem Auto. "Rodi" wurde heftig geschlagen und u.a. mit Elektroschocks und "bastonade" gefoltert. Er sollte Fotos von Teilnehmern der Besetzung eines Bremer Vereins identifizieren und mußte ein Protokoll unterschreiben. Er wurde - vermutlich aufgrund der Anwesenheit seiner Ehefrau - freigelassen. Die kurdische Familie Zöhre, Leyla und Mustafa Salikara wurde am 28. November 1995 abgeschoben. Allein aufgrund ihrer "Volkszugehörigkeit" bestehe keine Verfolgung. Die Familie wurde nach der Ankunft von der Flughafenpolizei in Istan- bul festgenommen, sechs Stunden verhört und anschließend vorübergehend freigelassen. Um den Aufenthaltsort des Vaters zu erfahren, verfolgten und bedrohten Sicherheitskräfte die drei kontinuierlich. Zöhre Salikara und ihre Tochter Leyla wurden verhaftet und gefoltert, damit sie den Aufenthaltsort von Herrn Salikara preisgeben. Nach einer Odyssee durch die Türkei gelang ihnen erneut die Flucht in die Bundesrepublik. Abdussemat Alper (geb. Provinz Mardin) wurde am 22. Oktober 1996 mit seiner Frau und drei Kindern nach Istanbul abgeschoben. Nach der Übergabe durch deutsche Beamte wurden sie noch am Flughafen über politische Aktivitäten in Deutschland befragt. Dabei wurden sie nach Angaben der Ehefrau beschimpft und geschlagen. Als sie und die Kinder noch am selben Tag freigelassen wurden, habe man ihr gesagt, ihr Ehemann sei "schon längst frei". Sie habe stundenlang vergeblich vor dem Polizeigebäude gewartet und sei, weil sie weder Papiere noch Gepäck zurückerhalten habe, tagelang sei sie dann in Istanbul umhergeirrt, bis sie Kontakt zu Angehörigen fand. Diese waren nach der Zerstörung ihres Dorfes nach Midyat geflohen und rieten ihr davon ab, in die Heimatregion zurückzukehren, da sie nicht für ihre Sicherheit garantieren könnten. Frau Alper hält sich seitdem mit ihren Kindern in Istanbul versteckt. Herr Alper ist verschwunden. Hasan Kutgan, ein politisch in keiner Weise aktiver Kurde, kam 1992 nach Deutschland und wurde am 20. Dezember 1996 abgeschoben. Bei der Flughafenpolizei in Istanbul beschuldigte ihn ein Kommissar als "Terrorist", weil in seinem Dorf im Januar 1992 ein Offizier getötet worden war. Unter starken Schlägen wurde er gezwungen, angebliche Aktivitäten für die PKK einzu- gestehen. Später wurde er der "bastnade" unterworfen, seine Hoden wurden zerquetscht und man drohte ihm mit weiterer Folter bei der politischen Polizei. Daraufhin gab Hasan Kutgan eine vermeintliche Beteiligung an zwei Demonstrationen und Newroz-Feiern zu. Ein Staatsanwalt ordnete am folgenden Tag jedoch seine Freilassung an. Trotzdem wurde er zur politischen Polizei gebracht und dort mit verbundenen Augen zu seinen Aktivitäten befragt. Er behauptete zunächst, das Geständnis unter der Folter abgegeben zu haben. Daraufhin wurde er brutal geschlagen. Man drohte ihm, daß er aufgehängt werde, Stromstöße erhalte und daß ihm ein Polizeiknüppel in den After gesteckt und er unfruchtbar gemacht werde. Da ein Zellengenosse unter der Folter übel zugerichtet worden war, legte er erneut ein Geständnis ab. In den fünf Tagen bei der politischen Polizei wurde er zweimal unter Schlägen und "bastonade" verhört. Auf dem Weg zur Staatsanwaltschaft wurde er geschlagen und bedroht, weiter gefoltert zu werden, wenn er seine Aussagen dort nicht bestätigen würde. Auf Anraten "politischer Angeklagter" widerrief er sowohl beim Staatsanwalt als auch beim Haftricher. Das Verfahren vor dem Staatssicherheitsgericht sollte im April 1997 beginnen. Am 26. Februar 1997 wurde der Kurde Abdulhalim Sis in die Türkei abgeschoben. Die Maschine landete um 2.12 Uhr in Istanbul. Bei einem Zwischenstop in Ljubljana meldete er sich telefonisch bei Verwandten. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Nachfragen bei den türkischen Sicherheitskräften blieben bisher ergebnislos. Herr Sis mußte seine hochschwangere Frau und vier Kinder in der Bundesrepublik zurücklassen. Vor seiner Abschiebung beteuerte er mehrfach, daß gegen ihn in der Türkei ein Haftbefehl bestehe. Inländische Fluchtalternative in der Türkei 23 KURDEN IM KIRCHENASYL Jutta Graf, Kölner Flüchtlingsrat In den allermeisten Ablehnungsbescheiden kurdischer Asylbewerberinnen und Asylbewerber wird zwar von den drohenden Gefahren bei Rückkehr in die Notstandsprovinzen im Südosten der Türkei gesprochen, jedoch gleichzeitig auf eine "inländische Fluchtalternative" in den türkischen Großstädten bzw. im Westen der Türkei verwiesen. Deutsche Ausländerbehörden und Innenministerien vertreten schon lange den Standpunkt, daß ihre Verantwortung für das Wohl des Abgeschobenen am Flughafen des Herkunftslandes ende. Man schiebe ja nicht direkt in den Südosten der Türkei ab, sondern nach Istanbul, Ankara oder Izmir. Dort könnten die Abgeschobenen ja bei Verwandten und Freunden unterkommen. In seinem jüngsten Lagebericht vom März 1997 beurteilt das Auswärtige Amt die Lage für die Menschen, die versuchen, im Westen der Türkei Fuß zu fassen, wie folgt: "In einigen Großstädten der Türkei (z.B. Adana-Mersin) haben sich Siedlungen von Türken kurdischer Volkszugehörigkeit gebildet, die zunächst wegen des wirtschaftlichen Gefälles, in den letzten Jahren aber hauptsächlich in der Folge von PKK-Terror und staatlicher Repression ihre Dörfer im Südosten verlassen haben. In den Kurden-Siedlungen kommt es überdurchschnittlich häufig zu Polizeirazzien mit zahlreichen vorläufigen Festnahmen. Diese sind Teil der Suche der Sicherheitskräfte nach PKKMitgliedern und Sympathisanten und führen nach zahlreichen plausiblen Darstellungen immer wieder zu Übergriffen der beteiligten Sicherheitskräfte. Aus der Sicht des Auswärtigen Amtes stellen diese Vorgänge einen Teil der menschenrechtlich bedenklichen Praktiken türkischer Sicherheitskräfte dar. Sie erlauben jedoch nicht den Schluß, in der Türkei gebe es für Kurden generell oder für Kurden aus dem südöstlichen Kurdengebiet oder auch nur für Kurden aus den Notstandsgebieten keine ‚innerstaatliche Fluchtalternative‘mehr. Diese Maßnahmen sind nicht ethnisch motiviert oder definiert. Daran ändert nichts, daß an den fraglichen Orten überwiegend (wenn auch keineswegs nur) Kurden diesem Risiko ausgesetzt sind." "Menschenrechtlich bedenklich" ist diese Sicht des Auswärtigen Amtes angesichts der erdrückenden Fülle von Berichten und Falldokumentationen des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) und von amnesty international: "Generell kann davon ausgegangen werden, daß Kurden, die aus ihren Dörfern in den Notstandsgebieten geflohen sind, auch in Gebieten außerhalb der Notstandsgebiete nicht mehr sicher vor Menschenrechtsverletzungen sind. In den Großstädten, wie Istanbul, Ankara und Izmir, aber auch in Mittel- und Kleinstädten, die zunehmend Ziel der Fluchtbewegung aus dem Osten sind, kommt es zu Übergriffen der Sicherheitsheitskräfte gegen Kurden. Immer seltener ist dabei konkret ein Tatverdacht gegen die betroffene Person ausschlaggebend. Vielfach werden von Kurden bewohnte Stadtteile abgeriegelt und kurdische Versammlungen und Feste gestört und Personen willkürlich festgenommen. Die Festgenommenen berichten danach vielfach von Mißhandlungen und Folterungen während der Polizeihaft. (...) Vielfach reicht als Grund für eine Festnahme aus, wenn aus den Personaldokumenten hervorgeht, daß die betreffende Person in den kurdischen Gebieten geboren wurde", heißt es in einem Bericht von ai an das VG München (7/96). Einen kleinen Lichtblick am Horizont stellt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 24. März 1997 dar. Im Fall eines 16jährigen Kurden aus den Notstandsgebieten der Türkei urteilt das BVG: "Soll der Asylsuchende bei angenommener regionaler Gruppenverfolgung auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden, so setzt dies verläßliche Feststellungen darüber voraus, daß der Betroffene dort nicht in eine ausweglose Lage gerät" (2 BVR 1024/95). Materialien: Zufluchtsort Kirche - eine empirische Untersuchung von Dirk Vogelskamp und Wolf-Dieter Just über Erfolg und Mißerfolg von Kirchenasyl. Die Studie belegt, daß in der Vergangenheit in 70% der Kirchenasylfälle Abschiebungen verhindert werden konnten. Die Untersu-chung zeigt, daß immerhin in 16 Fällen von Kirchenasyl den Flüchtlingen nachträglich ein Schutz als politisch Verfolgte im Sinne des Grundgesetzes oder nach der Genfer Flücht-lingskonvention (§ 51,1 AuslG.) zuerkannt wurde. (35 Seiten, Schutzgebühr DM 5,-) Bestelladresse: BAG Asyl in der Kirche, Kartäusergasse 9-11, 50678 Köln Erstinformation "Kirchenasyl" - Die Broschüre des Ökumenischen Netzwerks Asyl in der Kirche in 24 NRW vermittelt in sehr anschaulicher Weise wesentliche Informationen zum Thema Kirchenasyl. Zum Inhalt: Deutschland - unfreiwilliges Einwanderungsland - Die Situation von Flüchtlingen als Herausforderung für Gemeinden - Leitgedanken des Kirchenasyls - Zur Legitimität von Kirchenasyl - Ist Menschenrechtsschutz Rechtsbruch? - Die Praxis des Kirchenasyls - Kirchen-asylnetzwerke FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44, Juli 1997 KURDEN IM KIRCHENASYL Literaturhinweise. (35 Seiten, Schutzgebühr DM 3,-) Bestelladresse: BAG Asyl in der Kirche, Kartäusergasse 9- 11, 50678 Köln Die Bundestreffen der Kirchenasylbewegung 1994-1997 Einmal im Jahr treffen sich AktivistInnen der Kirchenasylbewegung zur Beratung in der Ev. Akademie in Mülheim/Ruhr. Von dort gingen jeweils wichtige Impulse für die Praxis der Kirchenasylbewegung aus. Das diesjährige Treffen stand unter dem Motto: "Ohne Papiere, ohne Lobby, ohne Schutz - Neue Herausforderungen für die Kirchenasylbewegung". (Gebühr für die Dokumentationen der Bundestreffen: je DM 7,-) Bestelladresse: Ev. Akademie Mülheim an der Ruhr, Uhlenhorstweg 29, 45479 Mülheim/Ruhr Adressen: "Asyl in der Kirche" in den Bundesländern Baden-Württemberg: - Ragini Wahl Im Malerwinkel 3 72622 Nürtingen Tel.: 07022/4 47 52 - Johannes Flothow Diak. Werk Württemberg Heilbronner Str. 180 70191 Stuttgart Tel.: 0711/1 65 62 83 Bayern: - Gabriele Schönhuber Heiterwanger Str.34 81373 München Tel.: 089/ 7 60 58 02 - Walter Steinmaier Äußere Sulzbacher Str. 144 b 90491 Nürnberg Tel.: 0911/9 59 80 20 Berlin: - Jürgen Quandt Zossenerstr. 65 10961 Berlin Tel.: 030/6 92 95 81 Brandenburg: - Sabine Grauel DPWV Rosa-Luxemburg-Str. 24 15230 Frankfurt/Oder Tel.: 0335/6 83 29 24 Bremen: - Friedrich Scherrer Verein f. Ausländerarbeit Elisabethstr. 17-18 28217 Bremen Tel.: 0421/38 14 19 Pfarrei St.-Martin Badener Str. 23 65824 Schwalbach Tel: 06196/ 12 20 Niedersachsen: - Sigrid Ebritsch Diak. Werk d. Landesk. Hannover Ebhardtstr. 3 a 30159 Hannover Tel.: 0511/3 60 42 44 - Hildegard Grosse Schwalbenweg 10 30966 Hemmingen Tel.: 05101/4758 Nordrhein-Westfalen: - Wolf-Dieter Just Uhlenhorstweg 29 45479 Mülheim/Ruhr Tel.: 0208/59906678 - Christoph Keienburg Zum Amtswald 54 58644 Iserlohn Tel/Fax: 02374/85 00 77 - Ralf Wieschhoff Volmarsteiner Straße 2 44137 Dortmund Tel.: 0231/124112 Rheinland-Pfalz: - Ingrid Rössel-Marxen Caritasverb. Diöz. Limburg Graupfortstr. 4-5 65549 Limburg Tel.: 06431/99 71 79 Sachsen: - Dieter Braun Paul-List-Str. 19 04103 Leipzig Tel.: 0341/99 40 625 - Marianne Kurek Karl-Heine-Str. 110 04229 Leipzig Tel.: 0341/4 79 12 68 Sachsen-Anhalt: - Christina Vater Arbeitsstelle f. kirchl. Dienste Hegelstr. 35 39104 Magdeburg Tel.: 0391/5311471 Thüringen: - Kerstin Kracht Ev. Stadtmission Alerheiligenstr. 9-10 99084 Erfurt Tel.: 0361/6 42 20 90 - Ines Stephanowsky Ev. Stift 99894 Rheinardsbrunn Tel.: 03623/3 60 86 54 Hamburg/Schleswig-Holstein: - Bettina Clemens Diak. Werk Nordelbische Kirche Königstr. 54 22767 Hamburg Tel: 040/30 62 03 42 Hessen: - Hans-Peter Labonte 25 KURDEN IM KIRCHENASYL Tagungshinweise: Studientage zum Ökumenischen Jahr der "Solidarität mit den entwurzelten Menschen" Vom 19. bis 21. September 1997 wird in der Evangelischen Akademie Iserlohn eine Tagung zum Ökumenischen Jahr der Solidarität der Kirche mit den entwurzelten Menschen 1997 stattfinden. Sie zieht eine erste Zwischenbilanz, weitet den Blick von der in Europa vorherrschenden Perspektive auf Asyl und Asylrecht auf die Problematik weltweiter Flucht- und Migrationsbewegungen, informiert über die Aktivitäten kirchlicher interna- tionaler Flüchtlings- und Migrationsprogramme, erkundigt sich nach den Aktivitäten, die das Programm in den Kirchen der Ökumene ausgelöst hat und fragt nach den Konsequenzen für die Kirchen in der Bundesrepublik. che), VertreterInnen von Kirchenasylinitiaiven aus der ganzen Bundesrepublik, MitarbeiterInnen der Flüchtlingssozialarbeit, der Kirchenkreise, MitarbeiterInnen aus dem Bereich Mission und Ökumene u.a. Als ReferentInnen und TeilnehmerInnen werden u.a. dabei sein: Herbert Leuninger (Pro Asyl, Europäischer Flüchtlingsrat ECRE), Wolf-Dieter Just (Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kir- Nähere Informationen bei: Evangelische Akademie Iserlohn, Katharina von Bremen, Berliner Platz 12, 58638 Iserlohn. und Mitglieder aus Kirchengemeinden Anmeldung: Evangelische Akademie Mühlheim an der Ruhr, Uhlenhorstweg 29, 45457 Mülheim Studientag "Kirchenasyl" am 8. November 1997 von 10 bis 17 Uhr in der Evangelischen Akademie Mülheim an der Ruhr Informationen zum Thema und Erfahrungsaustausch für Kirchenvorstände/Presbyterien Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW Schützen Sie Flüchtlinge! Unterstützen Sie die Arbeit der Ökumenischen B u nd e s a r b e i t s g e m e i n s c h a f t Werden Sie Mitglied im Förderkreis Schutz für Flüchtlinge in derKirche Der Jahresbeitrag beträgt 120 DM, ermäßigt 60 DM. Weitere Informationen zur Mitgliedschaft im Förderkreis SCHUTZ FÜR FLÜCHTLINGE erhalten Sie bei der ÖKUMENISCHEN BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT ASYL IN DER KIRCHE Kartäusergasse 9-11, 50678 Köln Tel. 0221-3382-281; Fax 0221-3382-103, e-mail: [email protected] Spendenkonto: Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche/BAG Konto-Nr. 6462014 Stadtsparkasse Köln, BLZ 37050198 26 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44, Juli 1997 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER Die folgende Übersicht über die Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Hannoverschen Kirchenasyl für Nigerianer ist von Regina Andresen zusammengestellt worden. Für diese mühsame Arbeit an dieser Stelle herzlichen Dank. Der Schwerpunkt liegt auf der Rückkehrgefährdung. Diese Zusammenstellung stellt ein Handbuch und ein Arbeitsmittel dar für alle, die sich über Zusammenhänge und Abläufe informieren oder weiter engagieren wollen. Red. „Nigerian Association in Niedersachsen“(NAN) c/o Afrika-Zentrum Niedersachsen e. V., Im Moore 26, 30167 Hannover Gründungsdatum: 30.01.1996 NAN ist eine prodemokratische Organisation der nigerianischen Opposition. NAN ist Mitglied der internationalen Oppositionsbündnisse „Global Network of Nigerian Organisations“ (GNNO), geleitet von Prof. Julius Ihonvbere, Texas und „National Liberation Council of Nigeria“ (NALICON), geleitet von Prof. Wole Soyinka. Seit der Gründung und aufgrund der exponierten politischen Aktivitäten hat die NAN bundes- und weltweite Anerkennung erreicht. Im Zusammenhang mit ihren Aktivitäten wird die NAN durch den Geheimdienst nigerianischer Behörden in Deutschland überwacht. (S. Kennzeichen D, 19.03.97) 1. Durchgeführte Aktivitäten und Mitwirkung der NAN: 1996 1. 10.05. - 12.05.1996 07.06. - 09.06.1996 „Which Way Nigeria“ Resolution Nigeria-Tagungen unter NAN-Mitwirkung 2. 12. 06.1996 3. 20. 06.1996 4. 28.07. - 16.08.1996 5. 14. 09.1996 Demonstration und Protestkundgebung - anläßlich der Annullierung der Wahl M. K. O. Abiola, 1993 und - Protest wegen der Ermordung von Kudirat Abiola (der Ehefrau des Gewinners o. g. Wahlen) Teilnahme der NAN „Politische Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen in Nigeria“ Gastredner: Prof. Julius Ihonvbere, Texas/USA NAN-Veranstaltung „Flucht in die Kirche“ von 22 NAN-Mitgliedern „Auswirkungen der Militär-diktatur auf die politische Entwicklung in Nigeria“ Gastredner: Dr. Kayode Fayemi, London NAN-Veranstaltung Hannover Volkshochschule Hannover Überwachung durch Teilnehmer: SSS-Chef Simon Eze, nigerianischer Generalkonsul, Berlin (s. Kennzeichen D, 19. 03.97 ) Bonn - vor der Vertretung der europ. Kommission und - vor der nigerianischen Botschaft, Bonn, Goldbergweg Die Kundgebung wurde von nigerianischen Sicherheits-behörden dokumentiert. Hannover Universität Hannover Hannover Gerhard-Uhlhorn-Gemeinde, - Solidaritätsbriefe a) bundesweit b) USA, Kanada, GB, Dänemark, Niederlande, Süd-Afrika, Europaparlament Hannover Universität Hannover Durchgeführte Aktivitäten und Mitwirkung der NAN: 1996 6 88 04.11. - 12.11.1996 Ken-Saro-Wiwa-Woche Podiumsdiskussion 06.11.1996 „Nigerianische Flüchtlinge berich- Köln Bürgerzentrum Universität FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER noch 04.11. - 12.11.1996 7. 10.11.1996 8. 10.12.1996 ten über ihre Situation“ Teilnahme von NAN an der Podiumsdiskussion und weitere Teilnahme am Programm Hannover, Hildesheimer Str. Kundgebung und Demonstration (Es liegen Beweise vor, daß Shell gegen Shell und das nigerianische Regime kollaborieren. Daher ist es nicht auszuNAN in Zusammenarbeit mit der schließen, daß diese DemonstratioGesellschaft für bedrohte Völker, nen registriert und an das Regime Göttingen weitergeleitet werden.) s. KONKRET 1/97 s. Die Zeit vom 31.03.97 Jena HUMAN RIGHTS DAY, Jena - Infostände „Free Beko- Freedom for the - Menschenrechtsdemo human right activists“ „Free Beko - Freedom for organisiert von: the human right activists“ Ausländerbeirat der Stadt Jena/Büro der Ausländerbeauftragten, JugendAktions- und Projektwerkstatt (JAPS) Universität - u. a. Prof. Dr. Martina Haedrich ran e. V., DGB Jugend Thüringen, FSU, (zu Menschenrechten) The voice - force of the mind ... - Nigeria nach Ken-Saro-Wiwa: UnterstützerInnen Wer ist Dr. Beko Kuti Africa, Assemly, Camerun Nigeria, Togo, Zaire Associations, Asyl e. V. ai, Jena, Eine Welt Haus, Jena, Ev. Jugendarbeit, Referat ausländer des StuRa der FSU, Weißdorn e. V. Teilnahme der NAN 2. Veröffentlichungen/Informationen der NAN: 1996/1997 1. 2. 3. 4. 5. 10.04.1996 08.05.1996 12.05.1996 08.06.1996 25.06.1996 Nigeria: Die wahre Geschichte NIGERIA Politisches Asyl in Niedersachsen Update on Nigeria Nr. 1/96 Presse- und Meinungsfreiheit in Nigeria? Info Nr. 1 Allgemeine Information 6. 7. 20.07.1996 19.08.1996 Info Nr. 3 Info Nr. 4 8. 15.01.1997 9. 21.02.1997 Nigeria update Politische Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen in Nigeria Informationen/Kommentare der NAN zu den jüngsten Ereignissen in Nigeria Terrorismus in Nigeria zwischen Januar 1996 und Januar 1997 Information release Info Nr. 2 Info Nr. 5 Info Nr. 6 3. Protestbriefe der NAN: 1996 1. 20.04.1996 2. 06.06.1996 3. 10.11.1996 an General Abacha „Freilassung der Gefangenen“ an Bundeskanzler Kohl „Ermordung von Kudirat Abiola“ an General Abacha „Zur Situation der Ogonis“ 4. Zeitungsveröffentlichungen über NAN - Ausland: 1996/1997 1. 31.07.1996 2. 00.11.1996 National Concord Nigerianische Tageszeitung Nigera now London „Germany to deport 22 Nigerian youth“ „Refuge in the Church“ The story of the Nigerian Association in Lower Saxony, Germany 89 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER 3. 25.11.1996 Thisday Nigerianische Tageszeitung u. a. Veröffentlichung aller Namen der 22 Oppositionellen in der Kirche Zusammenarbeit mit Wole Soyinka 4. 27.01.1997 Thisday, Nigerianische Tageszeitung u. a. Nigerianer wieder in der Kirche Dadurch hat die NAN eine weltweite Öffentlichkeit erlangt. Alle Aktivitäten (sind) werden von dem nigerianischen Regime durch die nigerianische Botschaft in Bonn und das nigerianische Konsulat in Berlin überwacht und registriert. (S. Kennzeichen D, 19.03.1997) 5. Briefe zur Rückkehrgefährdung der NAN - Ausland: 1996/1997 1. 2. 90 05.09.1996 01.10.1996 3. 22.11.1996 4. 06.01.1997 5. 16.01.1997 CLO Civil Liberties Organization Lagos/Nigeria von Abdul Oroh, Geschäftsführer CLO - Innenministerkonferenz - Innenminister der BRD - alle Parlamentsfraktionen des Deutschen Bundestages - alle Parlamentsfraktionen der Landtage der Bundesrepublik - Bundesaußenminister der Bundesrepublik Deutschland - Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Regierung der Bundesrepublik Deutschland - amnesty international - Pro Asyl - Institut für Afrikakunde - Presse und Medien Brief von Prof. Wole Soyinka Betr. In Sachen Asylbewerber s. HAZ von 07.09.1997 „[...] Abgeschobene Asylbewerber würden in dem westafrikanischen Land monatelang inhaftiert, geschlagen und gefoltert. „[...] in Hannover besuchte der Menschenrechtler die „Nigerian Assosiation in Niedersachsen.“ „Politisches Asyl - an das Niedersächsische Innenministerium Herrn Glogowski, Hannover für 22 Nigerianer in der Kirche“ Brief von Olisa Agbakoba Rechtsanwalt von Ken Saro Wiwa - Mitbegründer der CLO Lagos, Nigeria - an Herrn Peter Donatus - an Frau Christa Nickels (MdB) und den - Botschafter der Bundesrepublik Deutschland MOVEMENT FOR THE SURVIVAL OF THE OGONI PEOPLE (MOSOP) Lazarus Tamana, Präsident MOSOP, London an: - Ministerpräsident, Herrn Gerhard Schröder - Nieders. Innenministerium, Herrn Glogowski - Präsident des Nieders. Landtages - Oberbgm. Herrn Herbert Schmalstieg - Präsident des Verwaltungsgerichts Brief Embassy of the United States of Amerika, Bonn zur Situation der 22 nigerianischen Aktivisten in Niedersachsen Appell Mitglieder der Nigerian Association in Niedersachsen nicht abzuschieben u. a. Granted an indefinate stay in Germay pending the improvement in the human rights an the political situation in Nigeria u. a. - Verurteilung des Abacha Regimes - Sanktionsforderungen FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER - Einklagung der Menschenrechte in Nigeria Alle Aktivitäten (sind) werden von dem nigerianischen Regime durch die nigerianische Botschaft in Bonn und das nigerianische Konsulat in Berlin registriert. - an die NAN 6. 1. Lagebericht des Auswärtigen Amtes 19.11.1996 19.11.1996 Lagebericht Auswärtiges Amt „[...] Im Einzelfall kann staatliche Verfolgung bei denjenigen nicht ausgeschlossen werden, die sich aktiv politisch gegen das Militärregime engagieren, insbesondere zu seinem Umsturz aufrufen, sofern diese Aktivitäten den nigerianischen Behörden bekannt sind oder bekannt werden.“ s. Kennzeichen D, 19.03.97 t. Seite 1 Punkt 1, Which Way Nigeria, Simon Eze 7. NAN-Dokumentation: Archiv: NAN, Im Moore 26, 30167 Hannover Pressespiegel In- und Ausland Fernsehen In- und Ausland Rundfunk In- und Ausland u. a. CNN, BBC, Radio Kudirat, Nigeria u. a. Statements der NAN-Mitglieder n zum Asylgesuch n Verurteilung des AbachaRegimes u. a. Statements der NAN-Mitglieder n zum Asylgesuch n Verurteilung des AbachaRegimes u. a. Statements der NAN-Mitglieder n zum Asylgesuch n Verurteilung des AbachaRegimes n Abdul Oroh, CLO Zur Situation abgeschobener Flüchtlinge in Nigeria Daher besteht erhebliche Gefahr für Leib und Leben abgelehnter Asylbewerber, die als Oppositionelle das Regime bekämpfen. 8. Jüngste Entwicklung NAN: ab 1997 1. seit dem 07.01.1997 erneutes Kirchenasyl von 12 Mitgliedern der NAN in 4 verschiedenen Kirchengemeinden, Hannover Hannover Gerhard-Uhlhorn-Gemeinde Bethlehem-Gemeinde St. Nikolai-Gemeinde St. Martin-Gemeinde 2. 17.01.1997 Offener Brief an Nieders. Innenminister Herrn Glogowski, Hannover n und Presseerklärung aus Göttingen „Nigerianische Flüchtlinge nicht abschieben“ u. a. n von der Gesellschaft für bedrohte Völker, Göttingen (...) „Wir apellieren an Sie, sehr geehrter Herr Minister, von einer Abschiebung der Flüchtlinge abzusehen, da ihr Leib und Leben im Falle einer 91 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER ⇒ ⇒ ⇒ 3. 21.01.1997 4. 21.01.1997 5. 24.01.1997 6. 25.01. 26.01.1997 7. 30.01.1997 7.1 30.01.1997 8. 11.02.1997 9. 11.02.1997 10. 14.02.1996 11. 92 Demonstration , Hannover UnterstützerInnenkreis, JANUN, AfrikaInitiative Hannover e. V., Afrika-Zentrum Nds. e. V. Kirchen, Solidarität International, Freundeskreis Taambacounda e. V, Iranische Gemeinde, Parteien, Schulen NAN Die Rolle der Frau in der Politik in Afrika am Beispiel der Bundesrepublik Nigeria Mitveranstalter: NAN „Radio Kudirat“ Untergrund-Oppositonsradio Seit der Einrichtung des Untergrundradios hat die UDFN zahlreiche Maßnahmen zur Aufklärung über die kritische politische Lage in Nigeria unternommen. Das Untergrundradio will einerseits wichtige Nachrichten über pro-demokratische Aktivitäten den Menschen in aller Welt übermitteln und diese unter der allgemeinen Bevölkerung in Nigeria verbreiten. „Free-Beko-Kuti-Kampagne“ Gastredner: Dr. Kayode Fayemi, London NAN-Veranstaltung Besuch von 2 Nigerianern George Tombri und Mattew Fobora in der nigerianischen Botschaft in Bonn zwecks Ausstellung von Reisepässen für die Weiterwanderung nach Kanada - in Begleitung von Herrn Helmut Lippelt MdB, Bünd.90/Die Grünen - Frau Hulle Hartwig, Frau Sigrid Leuschner, SPD, MdL Hannover, - Peter Donatus, (UDFN) Aachen Übergabe der NAN-Resolution durch Peter Donatus, UDFN-International, Aachen „Marsch für Schutz in Hannover“ initiiert von Organisationen der prodemokratischen Oppositions-bewegung Nigerias in Deutschland CoNDiG, CD, MODEN, CLW, The Voice/JAPS, Africa Assembly, Free-BekoKuti-Campaign, Nigeria-Aktionsbündnis, UDFN, NAN etc. Proteste International 13.00 Uhr (Ortszeit) „Konzert für Freiheit“ NAN UnterstützerInnenkreis der nigerianischen Flüchtlinge, Hannover 17.02.1997 ai Kurzreferat 1. Nigeria Bunvon Christian Kühnel, ai, deskongress der Bezirk Karlsruhe „United democra- - Referat für politische Flüchtlinge tic front“ UDFN - German Section „Schutz für Flüchtlinge aus Nigeria“ - Abschiebung ernsthaft gefährdet wäre.“ Hannover „Bleiberecht statt Folter für die 22 oppositionellen Nigerianer“ 600 TeilnehmerInnen Hannover Universität Café International in Nigeria 20 Min. Sendebeitrag NAN - u. a. Aufruf zum Umsturz des Regimes u. a., Elias Dunu, Peter Donatus Pastor Frank Peter Schulz Ausstrahlung: täglich Nigeria, Westeuropa, Amerika und Australien: täglich 20.05 - 21.05 (MEZ) 6205 KHZ (49 Meterband) Hannover Bildungsverein e. V., Hannover Bonn: Ausstellung von Reisepässen Nigerianische Botschaft Die nigerianische Botschaft verweigert die Ausstellung von Reisepässen Übergabe der NAN-Resolution - Annahme in Botschaft verweigert Hannover, Protestmarsch „Schutz für nigerianische Oppositionelle“ - Übergabe eines Appells a) Innenministerium b) Oberbürgermeister c) Statement Heidi LippmannKasten, Bündnis 90/Die Grünen Proteste International Proteste vor den diplomatischen Vertretungen - der Bundesrepublik Deutschland, - vor der Botschaft in London, - Washington und vor dem - Konsulat in Houston, Texas Hannover Konzert Unterstützung oppositioneller Mitglieder der NAN Hannover anläßlich des ersten Nigeria Bundeskongresses der „United democratic front“ UDFN - German Section vom 21. - 23.02.1997 „[...] Seite 3: Denn nach übereinstimmenden Berichten der nigerianischen FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER vom 21. 23.02.1997 noch 21. 23.02.1997 n Grundlage ai-Gutachten bezüglich der Rückkehrgefährdung nigerianischer Flüchtlinge nach Ablehnung ihres Asylantrages. Verfahren 8 E 1815/96.A (3), an VG Kassel vom 9. Januar 1997 Index AFR 44-96.289 von ai Bonn 12. 21.02.1997 Brief vom Diakonischen Werk der ev. Kirche, Stuttgart von Dr. h. c. Hans-Otto Hahn - an den Innenminister des Landes Niedersachsen Herrn Gerhard Glogowski Lavesallee 6 30169 Hannover ⇒ ⇒ ⇒ Menschenrechts-organisationen im Exil muß davon ausgegangen werden, daß die Exil-Oppositionellen in Europa von den nigerianischen Botschaften beobachtet werden, die ihre Erkenntnisse nach Nigeria weiterleiten. Diesen Berichten zufolge soll zudem in den vergangenen Monaten eine erhöhte „Reisetätigkeit“ in Europa von Beamten nigerianischer Sicherheitsdienste verzeichnet worden sein. s. Kennzeichen D, ZDF,19.03.1997 aus Stuttgart „[...] ..ohne alle 22 Fälle der Asylsuchenden im einzelnen zu kennen müssen wir mit großer Deutlichkeit feststellen: Wer in Nigeria im Zusammenhang mit der Erdölpolitik der dortigen Regierung als Kritiker aufgefallen ist, der kann seines Lebens nicht mehr sicher sein. Solange unser Asylrecht sein vornehmstes Ziel, nämlich bedrohtes Leben zu schützen, noch anerkennt, dürfen solche Antragsteller nicht abgewiesen werden. Stellungnahme ai, Bonn bezüglich Rückkehrgefährdung der NAN-Mitglieder: 1997 13. 24.02.1997 Stellungnahme von ai, Bonn Susanne Jesih Referat für politische Flüchtlinge - auf Anfrage von Rechtsanwältin Schröder vom 06.02.1997 Betr. Rückkehrgefährdung von Mitgliedern der „Nigerian Association Niedersachsen“ Antwort auf die Anfrage, a) ob eine Rückkehrgefährdung für die sich in Hannover im Kirchenasyl befindenden Mitgliedern der „Nigerian Association in Niedersachsen“ besteht? b) ob eine Gefahr für Oppositionelle, die sich in der Anti-RegimeBewegung im Exil organisiert haben, die zum Umsturz des Regimes aufruft, besteht. von ai, Bonn u. a. Zur Einreise mit TC nach Nigeria: „[...] S. 2 ...durch Befragung herauszufinden, welcher Art die im Ausland im Asylverfahren gemachten Angaben waren. Da mit der Darstellung derartiger Gründe in der Regel Kritik an der nigerianischen Regierung geübt wird, können die Angaben eines Asylbewerbers durchaus von Bedeutung sein. Von entscheidender Bedeutung für die weitere Behandlung, z. B. eine drohende Inhaftierung, ist dabei, ob der Rückkehrer als sog. „Sicherheits-risiko“ für die Regierung einzu-stufen ist. Als solchen können Rückkehrer z. B. dann angesehen werden, wenn ihr Verhalten im Ausland geeignet war, das Ansehen des nigerianischen Staates zu beschädigen (etwa durch „Verunglimpfung“ der Regierung im Rahmen exilpolitischer Tätigkeiten.) (Seite 3) Die Mitgliedschaft und Beteiligung in einer exilpolitischen Oppositionsgruppe kann - bei deren Bekanntwerden in Nigeria - ebenfalls zur Einstufung als Sicherheitsrisiko geeignet sein. Vor diesem Hintergrund kann im Falle Ihrer Mandanten, die Ihren Angaben zufolge alle in exponierter Stellung für die NAN und gegen das nigeria93 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER ⇒ nische Regime hier in Deutschland tätig waren, davon ausgegangen werden, daß den nigerianischen Behörden die Aktivitäten ihrer Mandanten bekannt geworden ist. Den beigefügten Unterlagen ist zu entnehmen, daß über die sich in Hannover im Kirchenasyl befindenden NAN-Mitglieder in einigen nigerianischen Zeitungen berichtet wurde. ⇒ Aufgrund der sehr großen Öffentlichkeitswirksamkeit dieser Fälle nicht nur in den deutschen Medien dürfte die nigerianische Regierung ein nicht unerhebliches Interesse daran haben, dieser Personen habhaft zu werden. ⇒ Jüngste Entwicklung NAN: ab 1997 14. 19.03.1997 15. 19.03.1997 16. 11.03.1997 Kennzeichen D, ZDF - u. a. Kirchenasyl Hannover, - Sanktionsbruch - Geheimdienst Deutschland und London ACP-EU Joint Assembly „Konzert für Freiheit“ NAN UnterstützerInnenkreis der nigerianischen Flüchtlinge, Hannover Kurzer Prozeß u. a. Simon Eze s. o. Which Way Nigeria Überwachung durch Teilnehmer: SSS-Chef Simon Eze, nigerianischer Generalkonsul s. parlamentarische Initiativen Europaebene Hannover Konzert für oppositionelle Mitglieder der NAN 9. Parlamentarische und sonstige Initiativen 1996/1997 9.1 - auf Landesebene 1. 18.11.1996 Brief die Mitglieder des Innenausschusses des Bundeslandes Niedersachsen Nds. Landtag, 30044 Hannover - von Christa Nickels (MdB), Bonn Betr. Drohende Abschiebung von 16 Nigerianern ⇒ 1. Schreiben des Außenministers Dr. Klaus Kinkel vom 31.10.1996 2. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13.11.1996 u. a. zur • - zwangsweisen Vorführung bei der nigerianischen Botschaft • - Abschiebestopp: Nds. Landtag hat auf seiner Sitzung vom 13.11.1996 einen Antrag auf Abschiebestopp von nig. Flüchtlingen nicht abgelehnt, sondern an den Ausschuß zurücküberwiesen. 11.11.1997 Bundestagsfraktion: ausführliches Gespräch mit Prof. Wole Soyinka in Bonn. „[...] für uns aufschlußreichen Unterhaltung betonte Herr Soyinka ausdrücklich, daß aufgrund der lebensbedrohenden Situation keine Abschiebung der 16 nach Nigeria stattfinden darf.“ - 31.10.1996 Kinkel antwortet auf das Schreiben von Christa Nickels vom 15.10.1996 zur Lage in Nigeria unter Beilage des „Bericht der Bundesrepublik zur Lage in Nigeria“ vom 16.09.1996) „[...] Im Einzelfall kann staatliche Verfolgung bei denjenigen nicht ausgeschlossen wer- 94 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER ⇒ den, die sich aktiv politisch gegen das Militärregime engagieren, insbesondere zu seinem Umsturz aufrufen, sofern diese Aktivitäten den nigerianischen Behörden bekannt sind oder bekannt werden.“ s. Kennzeichen D, 19.03.1997 ⇒ 95 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER Parlamentarische und sonstige Initiativen 1996/1997 - auf Landesebene 2. 19.02.1997 Niedersächsischer Landtag 13. Wahlperiode Ausschuß für Innere Verwaltung Beschlußempfehlung (Drs. 13/2697) Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen a) Abschiebestopp für nigerianische Flüchtlinge (Drs. 13/2144) b) Sofortige Aussetzung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen für nigerianische Flüchtlinge (Drs. 13/2653) Der Ausschuß für innere Verwaltung empfiehlt dem Landtag, die Anträge in folgender Fassung anzunehmen: „Entschließung“ [...] s. Punkt 4 Der Niedersächsische Landtag fordert den Bundesaußenminister Kinkel dazu auf, die Lageberichte des auswärtigen Amtes mit seinen politischen Erklärungen zur Menschenrechtslage in Nigeria in Übereinstimmung zu bringen. Diese Lageberichte bilden die entscheidende Grundlage für die Prüfung und Anerkennung der Asylanträge nigerianischer Flüchtlinge - auch in Nieders. ... Nur auf diesem Wege können Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus Nigeria eine rechtsstaatliche Grundlage für ihren Aufenthalt in Niedersachsen und in der Bundesrepublik Deutschland erhalten.“ [...] s. Punkt 6 Der Niedersächsische Landtag begrüßt, daß sich der Niedersächsische Innenminister auch nach der Ablehnung eines bundesweiten Abschiebestopps für nigerianische Flüchtlinge sich weiterhin um die Klärung der Menschenrechtssituation in Nigeria gegenüber dem Bundesaußenministerium bemüht. 1. Es befinden sich 12 NAN-Mitglieder seit dem 07. Januar 1997 in 4 verschiedenen Kirchengemeinden in Hannover im Kirchenasyl. 2. Erneuter Beweis für das brutale Vorgehen des Militärregimes: 12.03.1997 Prof. Wole Soyinka und 14 andere wegen Hochverrats angeklagt 3. HAZ vom Mittwoch,16.04.1997 Die UN-Menschenrechtskommission (15 EU Mitgliedsstaaten) „[...] Die UN-Menschenrechtskommission in Genf hat NIGERIA wegen fortgesetzter Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Alle politischen Gefangenen, Gewerkschaftsführer und Menschenrechtsaktivisten müßten freigelassen werden, heißt es in einer am Dienstag mit 28 Ja-Stimmen, sechs Nein-Stimmen und 19 Enthaltungen angenommenen Resolution. Der Präsident der Kommission wird aufgefordert, zur weiteren Beobachtung der Menschenrechtssituation einen Sonderberichterstatter für Nigeria zu ernennen.“ 9. Parlamentarische Initiativen 1995/1996/1997 9.1, auf Landesebene s. o. 9.2 auf Bundesebene 1995/1996 1. 96 30.11.1995 Antrag aller Fraktionen im Bundestag (Drucksache 13/3178) - Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion - Rudolf Scharping und Fraktion - Joseph Fischer (Frankfurt) Kerstin Müller (Köln) und Fraktion - Dr. Hermann-Otto Solms und Fraktion „Rückkehr zur Demokratie in Nigeria“ u. a. „[...] Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf: - die politische Entwicklung in Nigeria kritisch zu beobachten und das Parlament im März 1996 umfassend über die Bemühungen zur Wiederherstellung der Demokratie in Nigeria zu unterrichten.“ FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER 2. 26.03.1996 3. 11.04.1996 Landtag Brandenburg: Antrag der Fraktion der SPD (Drucksache 2/2395) Wolfgang Birthler und Fraktion, SPD Deutscher Bundestag Unterrichtung durch die Bundesregierung (Drucksache 13/4327) 4. 04.10.1996 Antwort der Bundesregierung auf die - Kleine Anfrage von 44 Abgeordneten im Bundestag (Drucksachen 13/5518, bzw. 13/5693) „Zur Menschenrechtslage in Nigeria“ „Bericht über die Bemühungen zur Wiederherstellung der Demokratie in Nigeria“ „[...] Seite 3 Die Bundesregierung wird sich darum bemühen, daß es im Rahmen der VNMenschenrechtskommission zu einer Verurteilung Nigerias und zur Einsetzung eines Sonderberichterstatters kommt. Außerdem werden die CommonwealthLänder, die Nigerias Mitgliedsschaft bei ihrer letzten Gipfelkonferenz suspendiert hatten im April ihre Haltung zu Nigeria überprüfen. Unser Interesse liegt darin, auch diese Länder und darüber hinaus die afrikanischen Staaten in eine gemeinsame internationale Front gegen Menschenrechtsverletzungen und zur Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in Nigeria einzubinden.“ „Lage in Nigeria und drohende Abschiebung nigerianischer Flüchtlinge.“ Frage 5 „[...] Womit müssen Nigerianer nach Erkenntnissen der Bundesregierung rechnen, die das Militärregime im Lande selbst oder im Ausland, z. B. in Deutschland, kritisiert haben?“ Antwort auf Frage 5 „[...] Mit Verfolgung durch die staatlichen Sicherheitsorgane müssen allerdings diejenigen Nigerianer rechnen, die im Lande selbst oder im Ausland zum Sturz des Regimes aufrufen oder einer Organisation angehören, die dieses Ziel propagiert. auf Bundesebene 1996 5. 05.12.1996 Interfraktioneller Entschließungsantrag (Drucksache 13/6418) der Abgeordneten - Christa Nickels - Gerd Poppe - Amke Dietert-Scheuer und der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, CSU, FDP und SPD Hannover ⇒ ⇒ Aufnahme 18 Ogonis ⇒ humanitäre Gründe 6. 05.12.1996 Entschließungsantrag „Zur drohenden Todesstrafe von 18 Ogoni in Nigeria.“ „[...] Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf: 1. umgehend für die Dauer des Prozesses einen offiziellen Prozeßbeobachter der Bundesregierung nach Port Harcourt zu entsenden, der auch den Bundestag über den Verlauf des Prozesses informiert. 2. die Bereitschaft der Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, SchleswigHolstein und Nordrhein-Westfalen, sowie der Städte Hannover, Ulm und Neu-Ulm bezüglich Aufnahme und Schutz der 18 Ogoni aufzugreifen und das Bundesministerium des Inneren mit der Prüfung der Frage zu beauftragen, ob ihre Aufnahme in die Bundesrepublik aus humanitären Gründen nach § 33 des AuslGesetzes möglich ist, und anschließend der nigerianischen Regierung das Angebot zu machen, die 18 Ogoni in Deutschland aufzunehmen. „Zur Abgabe einer Erklärung der Bundesre97 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER noch 05.12.1996 der Fraktionen CDU/CSU/SPD BÜNDINIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. (Drucksache 13/6417) - Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion - Rudolf Scharping und Fraktion - Joseph Fischer (Frankfurt) Kerstin Müller (Köln) und Fraktion - Dr. Hermann-Otto Solms und Fraktion ⇒ bis März 1997 gierung zur Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen.“ u. a. „[...] Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß ein ernstzunehmender Wandel bei der nigerianischen Militärregierung derzeit nicht zu erkennen ist und fordert die Bundesregierung deswegen auf 1. weitere Initiativen zur Umsetzung der Forderungen des Deutschen Bundestages vom 30.11.1995 zu ergreifen und dem Deutschen Bundestag bis März 1997 erneut über die Aktivitäten und Ereignisse zu berichten.“ Hinweis: März-Drucksache liegt mir noch nicht vor auf Bundesebene 1996 7. 05.12.1996 Mündliche Anfrage „Zur Rückkehrgefährdung der 22 Nigerianer in Hannover“ - von Dr. Helmut Lippelt die Plenarwoche vom 09.12. - 13.12.1996 „[...] Frage: Wie schätzt die Bundesregierung das Schicksal der 22 Nigerianer in Hannover ein, deren Hungerstreik vom August 1996 wegen drohender Abschiebung gerade auch in Nigeria bekannt geworden ist (s. Presseartikel vom 30.07.1996 im „Nigerian Concord“, auch unter namentlicher Nennung aller 22 in Thisday vom 25.11.1996), dies vor dem Hintergrund, daß auch ihre Zusammenarbeit mit Prof. Wole Soyinka darin benannt wird, und stimmt die Behauptung, daß das Regime über interne, diplomatische oder geheimdienstliche Wege die deutsche Seite darauf hingewiesen haben, daß sie die Abschiebung dieser 22 wünsche? Antwort In dem Fall liegt die Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber ausreisepflichtigen Ausländern in der Zuständigkeit des Landes Niedersachsen. Der Bundesregierung sind die Einzelheiten der Entscheidungen der niedersächsischen Innenbehörden nicht bekannt. Die Bundesregierung nimmt zur Gefährdungssituation in Einzelfällen nur auf Anfrage von Behörden oder Gerichten im Wege der Amtshilfe Stellung. Das Auswärtige Amt hat seine aktuellen Erkenntnisse zur asylund abschiebungsrelevanten Situation in Nigeria in dem Lagebericht vom 19. November 1996 Anmerkung: S. Seite 5 dieser Auflistung zusammengefaßt. Dieser Bericht wurde auch dem Innenministerium Niedersachsen übersandt. Der Bundesregierung sind von Seiten der nigerianischen Regierung keine Hinweise zugegangen, daß diese die Abschiebung der in der 98 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER auf Bundesebene 1996 8. 06.12.1996 Antwort des Auswärtigen Amtes (AA) Staatsminister Helmut Schäfer - auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christa Nickels, MdB Bündnis 90/Die Grünen (Fragen Nr. 11/220 - 222) ⇒ ⇒ Genfer Flüchtlingskonvention „[...] Frage 2: Kann die Bundesregierung bestätigen oder dementieren, daß sie auf eine Gefährdung der 22 Nigerianer bei einer Abschiebung nach Nigeria, durch den Regimekritiker und Literaturnobel-preisträger Wole Soyinka (Treffen mit dem Bundesminister des Auswärtigen Amtes, Dr. Klaus Kinkel, FAZ vom 13.11.1996), sowie durch den Executive Director der CLO, Abdul Oroh (Schreiben an die Innenminister vom 5. Sept. 1996), der seine Haftzeit in Nigeria als Regimekritiker mit abgeschobenen Asylbewerbern in einer Zelle verbrachte, hingewiesen wurde, und wie schätzt sie deren Bewertung ein? Antwort Die Bundesregierung kann bestätigen, daß der Regimekritiker und Literaturnobel-preisträger Wole Soyinka gegenüber dem Bundesminister des Auswärtigen Amtes, Dr. Klaus Kinkel die Auffassung geäußert hat, die 22 Nigerianer hätten im Falle einer Abschiebung mit Inhaftierung zu rechnen. Diese Information ist in dem Lagebericht vom 19. Nov. 1996, über den der nieders. Innenminister verfügt, verwertet worden. Frage 3 Wie bewertet die Bundesregierung die Resolution des Europäischen Parlamentes zu Nigeria vom 14. Nov. 1996, das die Mitgliedsstaaten ausdrücklich auffordert, nigerianische Flüchtlinge in den EU-Staaten nach der Genfer Flüchtlingskonvention als politisch Verfolgte anzuerkennen, und wird sich die Bundesregierung für eine Umsetzung einsetzen? Antwort Die Bundesregierung nimmt die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Nov. 1996 zu Nigeria zur Kenntnis, in der es unter Ziffer 6 heißt: (Das Europäische Parlament) „fordert die EU-Mitgliedsstaaten auf, aus ihrem Heimatland ausgewiesene nigerianische Oppositionelle, die das Militärregime von General Abacha bekämpfen, als Flüchtlinge gem. dem Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anzuerkennen“. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Einzelfall vorliegen, bleibt der Prüfung durch das Bundesamt für die Anerken-nung ausländischer Flüchtlinge gem. den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes vorbehalten.“ Parlamentarische Initiativen 9.3 auf europäischer Ebene 1996/1997 1. 100 29.04.1996/ 14.10.1996 An den Rat der EU: Schriftliche Anfrage Nr. E-0959/96 von Christine Oddy (PSE) Betrifft: „Nigeria“ FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER 2. 13.11.1996 Europäisches Parlament Gemeinsamer Entschließungsantrag zu Nigeria 3. 19.03.1997 ACP-EU JOINT ASSEMBLY on Nigeria Brüssel • Mitte Dezember 1995 Resolution an das Europäische Parlament Quelle: Rechtsanwalt Andreas Becher, Kaiserplatz 3, 53113 Bonn ____________________________ An der Glaubwürdigkeit der nigerianischen Regierung ergeben sich jedoch erhebliche Zweifel, da der nigerianischen Menschenrechtsorganisation CLO der Zutritt zum Sicherheitsbereich des Flughafens von Lagos verwehrt wird, ai Beobachtungen an diesem Flughafen aus Sicherheitsgründen einstellen mußte und das Institut für Afrika-Kunde erklärt, daß es das Schicksal abgeschobener und unfreiwillig in ihr Heimatland zurückgekehrter nigerianischer Asylantragsteller bzw. Flüchtlinge konkret nicht weiterverfolgen könne, da es aufgrund der Weigerungshaltung der nigerianischen Behörden nicht möglich sei, eigenständige, unabhängige Informationen zu gewinnen.“ „[...] Punkt 6 Das europäische Parlament fordert die EU-Mitgliedsstaaten auf, aus ihrem Heimatland ausgewiesene nigerianische Oppositionelle, die das Militärregime von General Abacha bekämpfen, als Flüchtlinge gemäß dem Genfer Abkommen über die Rechts-stellung der Flüchtlinge anzuerkennen. “ „[...] 12: Calls on the European Member States to grant refugee status to Nigerians in exile who are opposed to General Abachs´s military regime, as provided for in the Geneva Convention on Refugee Status.“ „[...] „In der britischen Presse sind Ende vergangenen Jahres zwei Fälle von Abschiebungen nach Nigeria veröffentlicht worden, bei denen die Betroffenen angeblich auch nach zwei Monaten noch keinen Kontakt mit ihren Familien aufgenommen hatten und aus diesem Grunde eine Verhaftung durch nigerianische Sicherheitskräfte vermutet wurde. Familienmitglieder wandten sich in dieser Angelegenheit Mitte Dez. 1995 auch in einer Resolution an das Europäische Parlament. Als Reaktion auf die öffentliche Diskussion dieser Abschiebefälle veröffentlichte die nigerianische Regierung mehrere Anzeigen in britischen Tageszeitungen, in denen sie sowohl eine Verhaftung als auch eine Festnahme nach den Betroffenen aufgrund ihrer „behaupteten“ politischen Aktivitäten verneinte. 9.3 Fortsetzung: auf europäischer Ebene 1996/1997 4. 16.04.1997 HAZ Hannoversche Allgemeine Zeitung Die UN-Menschenrechtskommission (15 EU Mitgliedsstaaten) „[...] Die UN-Menschenrechtskommission in Genf hat NIGERIA wegen fortgesetzter Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Alle politischen Gefangenen, Gewerkschaftsführer und Menschenrechtsaktivisten müßten freigelassen werden, heißt es in einer am Dienstag mit 28 Ja-Stimmen, sechs Nein-Stimmen und 19 Enthaltungen angenommenen Resolution. Der Präsident der Kommission wird aufgefordert, zur weiteren Beobachtung der Menschenrechtssituation einen Sonderberichterstatter für Nigeria zu ernennen.“ 101 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER 10. Auskunft vom Auswärtigen Amt an das Verwaltungsgericht 1996 1. 08.10.1996 s. Seite 3 „Grundsätzlich anders ist die Lage in den Fällen zu bewerten, in denen die rückkehrenden Asylbewerber oder ausgewiesenen Nigerianer in Auskunft: Auswärtiges Amt (Herr Meisner) - an das VG Münster 514-516.80/25 886 ⇒ ⇒ Deutschland aktiven nigerianischen Oppositionsgruppen angehören und entsprechend an Demonstrationen gegen das Militärregime teilgenommen haben. Da diese Demonstrationen auch von Angehörigen der nigerianischen Botschaft aufmerksam beobachtet und verfolgt werden, ist es nicht auszuschließen, daß diese Asylbewerber oder ausgewiesenen Nigerianer bei ihrer Rückkehr mit staatlicher Verfolgung rechnen müssen. ⇒ (s. Institut für Afrika-Kunde, 24.11.1995 an das VG Sigmaringen und ai vom 27.02.1996 an VG Sigmaringen) 11. Beschlüsse Verwaltungsgerichte 1995/1996/1997 1. 04.8.1995 VG Berlin 2. 28.12.1995 VG 33 X 222/95 VG Gießen 2 G 12185/93 A 3. 28.02.1996 VG Cottbus 3 L 74/96 A 4. 08.03.1996 VG Gera 5 E 20152/94 GE 5. 19.04.1996 VG Oldenburg 1 B 1549/96 6. 09.12.1996 VG Karlsruhe A 6 K 13631/96 „[...] festgestellt, daß die Frage der Verfolgung in Nigeria wegen Asylantragstellung noch nicht geklärt sei. „[...] stellt fest, daß nach den heute vorliegenden Erkenntnisquellen zu Nigeria nicht auszuschließen sei, daß dem Antragsteller allein wegen seiner Asylantragstellung bei seiner Rückkehr nach Nigeria staatlich sanktionierte politische Verfolgung droht. „[...] stellt fest, daß die Ablehnung eines Asylantrages eines nigerianischen Staatsangehörigen als offensichtlich unbegründet rechtswidrig ist, da das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 51 I AuslG nicht offensichtlich sei. Es ergeben sich Anhaltspunkte dafür, daß der Antragsteller allein aufgrund der Tatsache der Asylantragstellung im Falle seiner Abschiebung in sein Heimatland Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt ist. „[...] „Es bestehen im Hinblick auf aktuelle die Menschenrechtslage in Nigeria betreffende Erkenntnisquellen ernstliche Zweifel hinsichtlich der Nichtverfolgung nigerianischer Asylantragsteller im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland.“ „[...] Daß eine Abschiebung nach Nigeria bei drohender Haft nicht zulässig ist, da die Sicherheitskräfte und gelegentlich auch die Polizei Foltermethoden anwenden und Gefangene in einer unmenschlichen und erniedrigenden Weise behandeln. „[...] Eilantrag gem. § 80 V VwGO stattgegeben, da keine widerspruchfreie Auskunftslage zur Gefährdung wegen Asylantragstellung bei 103 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER 7. 13.02.1997 VG Aachen Nigeria vorliege. „[...] Antrag gem. § 80 V VwGO stattgegeben. 2 L 199/97 A 12. Auskunft von ai an Verwaltungsgerichte 1996/1997 1. 17.07.1996 Antwort von ai - an das VG Münster (4 K 896/93) 2. 09.01.1997 Auskunft von ai - an das VG Kassel (ZDWF Asylmagazin 7/97 Bestell-Nr. 86-42892) 3. 27.02.1996 Auskunft von ai - an das VG Sigmaringen (ZDWF Asylmagazin 7/97 Bestell-Nr. 86-42892) „Zur Rückkehrgefährdung von abgelehnten nigerianischen Asylantragstellern.“ Betr. „Antragstellung als Asylgrund: Exilpolitische Bestätigung.“ „[...] ..Die Mitgliedschaft und Beteiligung in einer exilpolitischen Oppositionsgruppe kann - bei deren Bekanntwerden in Nigeria - ebenfalls zur Einstufung als Sicherheitsrisiko geeignet sein.“ ______________________________ s. Kennzeichen D, 19.03.1997 - Nigerian Association Niedersachsen - Statements einiger Mitglieder in der Kirche - Simon Eze, SSS, nig. Konsulat, Berlin Zur Rückkehrgefährdung abgeschobener nigerianischer Asylbewerber. „[...] „Pater Nogyi von der nigerianischen Menschenrechtsorganisation CLO berichtete amnesty international von seiner persönlichen Beobachtung, daß aus Italien abgeschobene Nigerianer vom Staatssicherheitsdienst festgenommen worden seien. Uns ist jedoch nicht bekannt, aus welchen Gründen diese Personen festgenommen wurden. Pater Nogyi äußerte uns gegenüber die Befürchtung, daß abgeschobene Nigerianer inhaftiert, gefoltert und vielleicht sogar getötet werden, weil sie dem Ansehen Nigerias durch ihr Verhalten Schaden zugefügt hätten. Diese Befürchtung wird von ai angesichts der zunehmenden Menschenrechtsverletzungen, die durch die gegenwärtige Militärdiktatur begangen werden, sehr ernst genommen ...“ 13. Auskunft Institut für Afrika-Kunde an das Verwaltungsgericht 95/96 1. 24.11.1995 Auskunft: Institut für Afrika-Kunde „[...] „In diesem Klima besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, daß auch bei Antragstellern (speziell in Deutschland) vom Regime generell - unabhängig von den tatsächlichen Fluchtgründen - Regimegegnerschaft unterstellt wird. Die Gewaltbereitschaft des Regimes gegenüber seinen tatsächlichen und vermeintlichen Gegnern sowie die katastrophale Situation der Menschenrechte in Nigeria legt den Schluß nahe, daß abgeschobene Asylantragsteller von den Sicherheitsorganen bei der Einreise in die Mangel genommen werden und mit Menschenrechtsverletzungen der schweren und schwersten Kategorie (Mißhandlung, Folter ohne Rücksicht auf Ver- 104 FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER luste) auf ihre Einstellung zum Regime getestet werden.“ 2. 12.07.1996 Antwort vom Institut für Afrika-Kunde Neuer Jungfernstieg 21 20354 Hamburg Dr. Peter Körner an das VG Münster (Anfrage 4 K 896/93.A) „Zur Rückkehrgefährdung von abgelehnten nigerianischen Asylantragsteller.“ „[...] Seite 5 ... ist nach Auffassung des Instituts für Afrika-Kunde im Falle Nigerias generell von Abschiebungen abzuraten. Die Empfehlung ergibt sich aus mehreren eng miteinander zusammenhängenden Gesichtspunkten: 1. Der Herrschaftssicherung und die Gewaltbereitschaft des Abacha-Regimes, die katastrophale Situation der Men-schenrechte und die Willkürtendenzen bei den nigerianischen Staatsorganen sprechen für eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, daß Verdachtsmomente gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner sehr weitläufig zu deren Ungunsten ausgelegt werden. Zu2 12.07.1996 . Fortsetzung Antwort vom Institut für Afrika-Kunde Neuer Jungfernstieg 21 20354 Hamburg Empfehlung des Instituts für AfrikaKunde: „[...] S. 6 Die Empfehlung kann nur in Richtung eines allgemeinen Abschiebestopps gehen, wie ihn einige Bundesländer nach der von Staats wegen vollzogenen Ermordung Saro-Wiwas und acht anderer Ogoni verfügt haben“ 2. Es gibt ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür, daß die übliche deutsche Abschiebepraxis Kontakte zu zuständigen Stellen des Herkunftslandes beinhaltet, die eine reibungslose Abschiebung nach Ablehnung von Asylgesuchen ermöglichen soll. Die zuständigen Stellen im Herkunftsland erhalten also Kenntnis über das Faktum der Antragstellung, das bei dem Charakter des Abacha-Regimes eine hohe Wahrscheinlichkeit zur Folge hat, daß der betreffenden Person Regimegegnerschaft unterstellt wird. In diesem Zusammenhang liegt es auf der Hand, daß die Organe des AbachaRegimes geneigt sein werden, den Fall mit seinen menschenrechtswidrigen Methoden genauer zu erkunden. Mißhandlung und Folter zählen dabei zum gängigen Repertoire von Regimen a´la Abacha. 3. Darüber hinaus muß auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß nigerianische Geheimdienstler, insbes. Vom „State Security Service“ (SSS), der nigerianischen „Stasi“, „Aufklärung“ gegen Regimegegner aller Schattierungen betreiben, um die allfällige politische Verfolgung - im Interesse der Herrschaftssicherung - zu ermöglichen. Da der Einreisepunkt für unfreiwillige Rückkehrer nahezu zwangsläufig der internationale Flughafen von Lagos ist, läßt sich der Zugriff auf „verdächtige“ Personen mit Leichtigkeit organisieren. 105 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER 14. allg. Berichte von ai, Bonn, London 1996 1. 26.10.1996 ai, London NIGERIA AI Index: AFR 33/23/95 2. 06.11.1996 ai, Bonn Nigeria Koordinationsgruppe Verhöhnung der Gerechtigkeit Geheime Hochverrats-Verfahren und andere Bedenken • Politische Hintergründe • Geheime Verratsprozesse gegen mutmaßliche Umstürzler • Bedenken ai hinsichtlich der Verratsprozesse • weitere Bedenken hinsichtlich der Menschenrechte in Nigeria • Empfehlungen „Zusammenfassung der aktuellen Menschenrechtslage in Nigeria“ (s. ai, 30.12.1996) hier Seite 19 zur Rückkehrgefährdung abgeschobener Flüchtlinge 3. 06.11.1996 ai, Bonn Sektion der Bundesrepublik Deutschland e. V., Bonn NIGERIA AI Index AFR 44/14/96 Mißachtung der Menschenrechte endlich beenden • Die Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards durch die jetzige nigerianische Regierung • 10-Punkte-Programm für Menschenrechtsreformen in Nigeria • Empfehlungen für Aktionen der internationalen Gemeinschaft 4. 28.12.1996 ai, Bonn Sektion der Bundesrepublik Deutschland e. V., Bonn Nigeria Koordinationsgruppe Genf, 53. UN-Menschenrechtskommission • Scheinreformen • Einschränkung der Meinungsreiheit • Willkürliche Inhaftierungen • Todesstrafe und unfaire Verfahren vor Sondergerichten • Staatlicher Mord • Politische Verfolgung von Angehörigen der Ogoni • Forderungen ai an die 53. Sitzung der UNMenschenrechtskonferenz 10-Punkte-Programm „Zur Menschenrechtslage in Nigeria“ „Zusammenfassung anläßlich der 53 Sitzung der UN Menschenkommission in Genf“ 14. (Fortsetzung) allg. Berichte von ai, Bonn 5. 30.12.1996 ai, Bonn Sektion der Bundesrepublik Deutschland e. V., Bonn Nigeria Koordinationsgruppe „Zur Menschenrechtslage in Nigeria“ ⇒ 106 s. Seite . 5: „[...] Rückkehrgefährdung abgeschobener Flüchtlinge Die bisherige Praxis der für die Abschiebung verantwortlichen Ausländerbehörden der Bundesrepublik Deutschland bietet allen Anlaß zu der Vermutung, daß in vielen Fällen bereits vor der Entscheidung über den Asylantrag besonders aber im Zusammenhang mit der Abschiebung, die nigerianische Botschaft oder andere nigerianische Behörden von der Asylantragstellung erfahren. Diese Praxis kann Gefahr einer politischen Verfolgung seitens des nigerianischen Staates auslösen. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER Die Benutzung von bestimmten Dokumenten zur einmaligen Einreise (Ersatzreisedokument travel certificates) führen in der Regel zu intensiver Befragung durch die nigerianischen Behörden im internationalen Flughafen von Lagos. Dort sind verschiedene nigerianische Behörden parallel tätig. Bei der Einreise nach Nigeria ist es von außen zunächst kaum möglich festzustellen, welche Behörde einen einreisenden Nigerianer verhört: die Einwanderungsbehörde, der Staatssicher-heitsdienst, (State Security Services - SSS), die Drogenfahndung (Nigerian Drug Law Entforcement Agenca - NDLEA) das Militär (Military Intelligence) oder die Polizei (Federal Investigation and Intelligence Bureau FBI). s. Kennzeichen D 19.03.1997 ⇒ Berichten zufolge speichert die Einwanderungsbehörde im internationalen Flughafen von Lagos die Namen der politisch aktiven Oppositionellen im Computer. Dies würde bedeuten, daß jeder, der als Regierungskritiker den nigerianischen Behörden bekannt ist, bei der Einreise festgenommen werden kann.. Nach Nigeria zurückkehrende politisch aktive Persönlichkeiten sind folglich besonders gefährdet, inhaftiert zu werden. 15. Menschrenrechtsausschuß der Vereinten Nationen 1995/1996 Quelle: Menschenrechtsmagazin, Heft 2, Februar 1997 Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam, Heinestr. 1, 14482 Potsdam 1. 56. Sitzung 08.03. 04.04.96 New York 57 Sitzung 09. bis 26. 07.96 Genf 58. Sitzung 20.10.08.11.96 Genf „[...] Staatenberichte Die Staatenberichte sind das zentrale Überwachungsinstrument des Ausschusses hinsichtlich der Paktrechte. Der konstruktive Dialog mit den jeweiligen Staatenvertretern und die Veröffentlichung der Anmerkungen des Ausschusses bilden eine Informationsquelle für die Situation in den einzelnen Staaten und ihre Vereinbarkeit mit den Paktrechten. Zudem lassen sich die Ergebnisse auf die Beurteilung vergleichbarer Situationen in anderen Staaten übertragen. Aufgrund dieser allgemeinen Aussagekraft sind einige Bemerkungen des Ausschusses zu einzelnen der insgesamt 12 Staatenberichte des Jahres 1996 wiederzugeben. Während der 56. Sitzung wurden die Berichte Mauritius, Guatemalas, Spaniens, Sambias und NIGERIAS geprüft.“ • NIGERIA „[...] Während der 55. Sitzung im November 1995 hatte der Ausschuß wegen der Prozesse und Todesurteile gegen Ken Saro Wiwa und andere Mitglieder der Bewegung für das Überleben des Ogoni Volkes die pünktliche Vorlage des Erstberichtes gefordert, der am 28. Oktober 1994 fällig war. Nigeria kam der Forderung im Februar 1996 nach. Wegen der aktuellen Ereignisse in Nigeria und der Verfügbarkeit der Delegation für nur einen Tag beschloß der Ausschuß in der 56. Sitzung, die Prüfung des Berichts zu teilen. Während der 57. Sitzung wurde nur - die Einhaltung des Rechtes auf Leben - des Folterverbots - der Freiheit und Sicherheit der Person - der Garantien im Zivil- u. Strafverfahren erörtert. Nach den Erörterungen während der 56. Sitzung wurde Nigeria aufgefordert, alle präsidentiellen Dekrete aufzuheben, - die Sondergerichte einsetzen - oder verfassungsmäßige Rechte oder die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte beschränken. • Sicherheitsdekret Nr. 2 von 1984 - Verhaftung von Personen; Dekret der Militärregierung Nr. 12 v. 1994 -- Oberhoheit und Stärkung der Kompetenzen; • Dekret zur öffentlichen Unruhe Nr. 2 v. 1987 - Spezialgerichte 107 RÜCKKEHRGEFÄHRDUNG FÜR NIGERIANER • Dekret über Verrat und andere Delikte Nr. 1 v. 1986 - Militärgerichtsbarkeit Außerdem wurde die Einhaltung der Verfahrensrechte angemahnt. In seinem Abschlußbericht der 57. Sitzung konstatiert der Ausschuß, daß die geforderten Maßnahmen nicht umgesetzt worden seien. Nach wie vor bestünde eine fundamentale Unvereinbarkeit zwischen den Maßnahmen der Militärregierung und den Paktrechten. • Die Verfassung von 1979 sei durch Dekret wieder in Kraft getreten, allerdings ohne den Grundrechtskatalog. • Die Bestimmung des geltenden Rechts sei wegen der vielen einschränkenden und aufhebenden Dekrete nicht mehr möglich. • Die Häufigkeit der Fälle von Folterungen, Verschwindenlassen und willkürlichen Verhaftungen sind für den Ausschuß besorgniserregend. • Die Haftbedingungen seien nicht im Entferntesten mit den Verpflichtungen aus der Konvention oder den Vorschriften der Vereinten Nationen über die Mindestbedingungen in der Haft vereinbar. • Das Verbot verschiedener Zeitungen und andere Eingriffe in die Pressefreiheit seien mit der Konvention nicht vereinbar. • Die Todesstrafe wird nach Auffassung des Ausschusses zu extensiv angewendet. • In den Bericht wurde auch aufgenommen, daß zwei Mitarbeitern einer Nichtregierungsorganisation, die an der Ausschußsitzung teilnehmen wollten, die Ausreise aus Nigeria verweigert wurde. Bemerkenswert ist die Begründung eines Konventionsverstoßes: Nach der Argumentation des Ausschusses liegt nicht nur eine Beschränkung der Freizügigkeit vor. Vielmehr sei auch die Berichtspflicht verletzt, weil diese Pflicht die öffentliche Erörterung in Anwesenheit von NGOs umfasse. Die NGOs seien zur Teilnahme berechtigt, so daß Nigeria die Teilnahme der Vertreter nicht beschränken dürfe 16. Auszug aus Afrika-Forum 3/1995 NIGERIA Bonn protestiert gegen Unterdrückung Die Bundesregierung hat den politischen Kurs Nigerias scharf kritisiert. Der Botschafter des Landes wurde im JULI ins Auswärtige Amt einbestellt, wo Staatsminister Schaefer die Verhaftung des früheren Staatspräsidenten Obasanjo sowie des Generals Yar Adua verurteilte und ihre sofortige Freilassung forderte. Bonn verlangt ferner die Beachtung rechtsstaatlicher Mindesanforderungen beim Prozeß gegen 23 Militärs, die des Putschversuches beschuldigt werden. Bonn warnte, daß die fehlende Achtung vor dem Rechtsstaat nicht nur die politische Stabilität Nigerias untergraben könne, sondern auch das internationale Ansehen des Landes. Mit dem Begriff Warnung hat das Auswärtige Amt seine Formulierung gewählt, die es in dieser Schärfe fast nie benutzt. - Mandela schließt sich dem Bonner Protest an. - Papst Johannes II fordert Abacha auf, den Verurteilten die Todesstrafe zu ersparen. - Der frühere Bundeskanzler Schmidt und der frühere amerikanische Präsident Carter mit handschriftlichen Schreiben an Bundeskanzler Kohl. Warnungen von der a) amerikanischen Regierung b) und der Europäischen Union. 16. Auszug aus Politik, Multis und Moral/1996 • • • • 108 Vorwärts Dialog 1 Shell und Nigeria „[...] Seite 7: Scharping: Ich finde, man sollte die Sache zunächst von einer politischen Seite her betrachten. Erstens: In Nigeria regiert eine offenkundig korrupte Militärdiktatur. Wer die Wahrung oder Durchsetzung der Menschenrechte, wer den Schutz der Umwelt als Elemente globaler Sicherheit betrachtet, dem erschließt sich auch die außenpolitische Dimension der Vorgänge. In Nigeria droht erneut ein Mord, neben den vielen Morden, die alltäglich stattfinden. „[...] Seite 8: Bei dem Konflikt geht es nicht nur um Umweltschäden, die die Ölförderung verursacht hat. Es geht auch darum, daß Shell, um es einmal ganz hart zu sagen, die verbrecherische Polizei eines korrupten Regimes zu Hilfe genommen hat, um seine Anlagen zu schützen. Shell hatte Anfang der 90er Jahre darum gebeten, daß seine Anlagen von einer Polizeitruppe geschützt werden, von der jeder wußte, daß sie alles andere als eine Polizeitruppe ist. FLÜCHTLINGSRAT - Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 44/45, Juli 1997