Wollen Sie abnehmen oder bloß hungern? Unter 1.000 Kalorien nur
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Wollen Sie abnehmen oder bloß hungern? Unter 1.000 Kalorien nur
Wollen Sie abnehmen oder bloß hungern? Jetzt überschlagen sie sich wieder - die Anbieter von sensationellen Diäten: 10 Kilo in 3 Wochen, 5 Kilo in 2 Wochen. In Radio, Fernsehen und Illustrierten purzeln die Pfunde wie von Geisterhand. Wissenschaftler warnen dagegen vor so genannten Hunger-Kuren. Sie haben ermittelt, ab wie viel Kalorien pro Tag Hungern zum Gesundheitsrisiko wird. Unter 1.000 Kalorien nur unter ärztlicher Kontrolle Die Wissenschaft grenzt strikte von moderaten Reduktionsdiäten durch die Begriffe Very Low Calorie Diet (VLCD) und Low Calorie Diet (LCD) voneinander ab. Der Volksmund würde dafür die Vokabeln HungerKur und Diät verwenden. Der Unterschied ist so groß wie der zwischen krank und gesund. Hunger-Kuren begrenzen die erlaubte Energiezufuhr auf 600 bis 800 Kilokalorien (kcal) pro Tag. Solche Mengen sind überwiegend in der medizinischen Therapie üblich. Adipöse Patienten werden auf diese Weise auf Operationen vorbereitet, um deren Überlebenschance zu erhöhen. Die Diätumsetzung beruht häufig auf Formuladiäten. "Normale" Diäten hingegen erlauben eine Energiezufuhr von 1200-1500 kcal pro Tag, was eine herkömmliche Lebensmittelauswahl ermöglicht. Hunger-Kuren werden als ungeeignet für die langfristige Körpergewichtsreduktion bewertet. Mögliche Nährstoffdefizite, unrealistische Einschränkungen in der Lebensmittelauswahl, Muskelabbau, Skelett-abbau, ungünstige Stoffwechselveränderungen, Heißhunger, erhöhtes Risiko des Jojo-Effekts und weitere gesundheitliche Gefahren sind die Gründe dafür. In der medizinischen Therapie erfolgt die Anwendung daher unter ärztlicher Vorgabe und Aufsicht. Auch müssen die dabei eingesetzten Formuladrinks den Vorgaben der Diät-Verordnung im Rahmen des Lebensmittelgesetzes entsprechen. Neu entbrannt ist die Diskussion um strikte Reduktionsdiäten durch in letzter Zeit zunehmend auftretende Anbieter von extrem niedrigkalorischen Hungerkuren. Zum Teil liegt die Energiezufuhr dabei deutlich unterhalb 600 kcal pro Tag und unterschreitet somit selbst die medizinischen Very Low Calorie Diet (VLCD). Auf den ersten Blick sprechen die Erfolge für diese Radikalkuren: Die Anwender bauen in kurzer Zeit mehr Körpergewicht ab, zeigen weniger Hunger, halten die Ernährungsmaßnahmen leichter durch und sind nicht mehr oder weniger vom Jojo-Effekt betroffen als Anwender von Mode-Diäten mit 1200 bis 1500 Kalorien. Längerfristige Auswertungen zeigen allerdings auch, dass von den Hunger-Kuren kein nachhaltiger Gewichtsverlust erhalten bleibt. So gesehen wäre es egal, ob jemand nur weniger isst oder radikal hungert. Wenn da nicht die zum Teil schwersten gesundheitlichen Schäden wären, die sich die Hunger-Künstler mit ihren Abnehmversuchen einhandeln Je weniger Energie zugeführt wird, desto mehr Muskulatur wird abgebaut Strikte Diäten können gerade wegen des starken Masseabbaus pro Zeiteinheit zu erhöhten Harnsäurespiegeln und im Extremfall zu Gichtanfällen beitragen. Zudem muss berücksichtigt werden, dass eine medizinisch kontrollierte VLCD-Hungerkur von 600-800 kcal mit definierter Nährstoffversorgung nicht das gleiche ist, wie eine 500 kcal-Modediät. Je stärker ein Energiedefizit ausgeprägt ist, desto größer ist das daraus resultierende körperliche Leistungsdefizit. Mit der Reduktion der Energiezufuhr vermindert sich in der Regel auch die Versorgung mit lebensnotwendigen Nährstoffen. Bereits geschwächte und infektionsanfällige Personen unterliegen dadurch, z. B. infolge nachlassender Abwehrkräfte, zusätzlichen Belastungen. Je strikter die Energierestriktion, desto mehr Protein wird im Körper als Energiequelle herangezogen. Bei unzureichender Proteinzufuhr mit der Nahrung wird verstärkt körpereigenes Protein aus Muskulatur, Immunzellen/-körpern und Enzymen abgebaut und verbrannt. Daraus resultieren letztlich u. a. Immunschwäche und Muskelabbau. Bekannt ist, dass eine Proteinzufuhr von 1,2-1,5 Gramm pro Kilo Körpergewicht und Tag sinnvoll ist und dem Abbau körpereigener Proteine beim Diäthalten vorbeugt. Bei einer 80 kg schweren Person sind das 96120 g Protein, die täglich zugeführt werden müssen. Bei einem Energiegehalt von 4,1 kcal pro Gramm Protein ergibt das 394-492 kcal, die allein auf die Proteinzufuhr entfallen. Bei 600 kcal Gesamtenergiezufuhr verbleiben somit noch zirka 100-200 kcal für die Versorgung mit anderen Nährstoffen, bei 500 kcal-Diäten sind es lediglich noch maximal 100 kcal. Die Berechnung macht nachvollziehbar, dass eine Hungerkur faktisch nur in bilanzierter, d. h., in energieund nährstoffdefinierter Form, erfolgen kann. „Freischnauze“, und ohne fachliches Wissen zusammengestellte bzw. durchgeführte Hungerkuren bergen ein erhöhtes Risiko gesundheitlicher Fehlentwicklung. Es dürfte selbst für eine Nichtfachkraft schwierig werden, den knappen Spielraum von 100 kcal im Rechenbeispiel für die bedarfsgerechte Versorgung mit den lebensnotwendigen Nährstoffen optimal nutzen zu können. Da viele Übergewichtige und Adipöse deutlich schwerer als 80 kg sind, würde sich die Proteinmenge über die Rechenwerte des Beispiels erhöhen. Bei Schwerstgewichten würde die erlaubte Energiemenge selbst für die muskelerhaltende Proteinzufuhr nicht mehr ausreichen. ZURÜCKWEITER