- evangelische kirche im hr
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Manuskriptservice Verkündigungssendungen der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau hr2: Evangelische Morgenfeier 25.05.2014 hr2-Kultur, sonntags von 7.30 bis 8.00 Uhr Pröpstin Sabine Kropf-Brandau Bad Hersfeld Wie aus einem Stoßseufzer eine Idee wird Kinder sind klasse, meistens jedenfalls. Ich habe das neulich erst wieder selbst erlebt. Es war ein wunderbarer Sonnentag und ich arbeitete im Garten. Bei unseren Nachbarn war richtig was los. Viele Kinder spielten und tobten dort herum. Da kam unser kleiner Nachbarjungen auf mich zu und fragte mich, ob ich wohl ein paar Kekse hätte. Nein, tut mir leid, sagte ich, ich habe keine.. Da sagte er ganz traurig: „Dann sind es zu wenig für so viele.“ Ich fragte nach und er erklärte mir, dass er noch 5 Kekse hätte, aber 8 Kinder wären zum Spielen gekommen. Während wir noch gemeinsam überlegten, wie man dieses Problem lösen könnte, strahlte er mich an und rief: „Ich habe eine prima Idee“. Kinder sind klasse, meistens jedenfalls. Die finden Lösungen, wo Erwachsene oft noch über die Probleme grübeln. Da wird aus einem Stoßseufzer eine Idee. „Das ist zu wenig für so viele.“ So einen Stoßseufzer kann man heute sehr oft hören. Vieles was immer selbstverständlich war, kann nun nicht mehr weitergeführt werden. Da müssen einst blühende Kommunen unter den Rettungsschirm. Da kann man sich heute schon ausrechnen, dass wenige jungen Leute die Rente für viele alte Menschen erwirtschaften müssen. Die Frage nach der Steuerverteilung geht einem durch den Kopf. Und die Abiturienten von heute müssen oft damit leben, dass es keine Studienplätze für sie gibt. Auch in der Kirche wird alles weniger. Überall der gleiche Stoßseufzer: „Es ist zu wenig für so viele.“ Und nach dem Stoßseufzer passiert nichts. Es bleibt bei der Klage. Es wäre doch klasse, man würde daraus eine Idee entwickeln. Musik: A.C. Jobim, Favela Auch eine uralte Geschichte aus der Bibel erzählt von so einem Stoßseufzer. Jesus war auf einen Berg gegangen und hatte sich dort mit seinen Jüngern hingesetzt. Ganz viele Menschen waren ihm dorthin gefolgt, denn sie hatten gesehen und gehört, dass er Kranke heilte. Als Jesus aufsah, bemerkt er, wie viele Menschen dort waren. Da wand er sich an einen seinen Jünger und fragte ihn, wo man denn Brot kaufen könne, damit diese Menschenmasse satt werde. Natürlich wusste Jesus, dass sie dafür kein Geld hatten und darum dürfte ihn die Antwort von Philippus, so hieß der Jünger nicht erstaunt haben: 7 Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass www.rundfunk-evangelisch.de Seite 1/5 Manuskriptservice Verkündigungssendungen der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau jeder ein wenig bekomme. 8 Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: 9 Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das für so viele? 10 Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer. 11 Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, soviel sie wollten. 12 Als sie aber satt waren, sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. 13 Da sammelten sie und füllten von den fünf Gerstenbroten zwölf Körbe mit Brocken, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren. Musik: Luiz Bonfa, Agora e cinza 5000 Menschen waren um Jesus versammelt und alle wollten etwas essen. Es gab 5 Brote und zwei Fische. Wie sollte das denn reichen? Da kann man den Stoßseufzer „Was ist das für so viele“ richtig gut nachempfinden. Diese Geschichte hat etwas mit unserer Wirklichkeit, mit Zahlen und Fakten zu tun. Es ist wenig da und es wird viel gebraucht. Und dann findet sich in ihr eine Anweisung zum Handeln, denn einer hat eine gute Idee und die wird umgesetzt. Es beginnt mit Zahlen Von fünftausend Menschen ist die Rede, von zweihundert Silbergroschen, die man bräuchte, um diese Menschen zu sättigen. Das ist der Jahresverdienst eines römischen Besatzungslegionärs, eine Menge Geld und es würde doch nicht ausreichen und dann die fünf Gerstenbrote und zwei Fische dieses Kindes. „Es ist nicht genug für sie, dass jeder ein wenig bekomme.“, schätzt ein Jünger die Situation ein. Und genauso ist es doch heute. Zu wenig Geld in den Kirchenkassen ,in der Rentenkasse, in der Pflegeversicherung, zu wenig Studienplätze für viele Abiturienten. Es reicht anscheinend nicht für alle. Zu wenig Geld und zu wenig Sachmittel für zu viele Menschen. Da taucht in der Geschichte der Zahlen ein Kind auf. Es hat fünf Brote und zwei Fische. Auf die Idee, so vielen hungrigen Menschen dieses wenige Essen entgegenzusetzen, kann eigentlich nur jemand kommen, der keinen Überblick hat, ziemlich naiv ist und weit an der Realität vorbei lebt. Das reicht doch hinten und vorne nicht! Jesus nimmt die lächerlichen fünf Brote und zwei Fische. Er dankt. Er verteilt den Mangel. Und alle werden satt. Aus dem Mangel wird ein Überfluss. Aus dem Stoßseufzer wird eine Idee! Der Kopf wurde nicht in den Sand gesteckt, sondern eine Idee wurde mutig umgesetzt. Am Schluss ist noch einmal von Zahlen die Rede: Zwölf Körbe bleiben übrig. Zu schön um wahr zu www.rundfunk-evangelisch.de Seite 2/5 Manuskriptservice Verkündigungssendungen der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau sein. Musik: Luiz Bonfa, Minha Saudade Alles begann mit einem Kind, dass 5 Brote und zwei Fische dabei hatte. Und Jesu nimmt das Essen und verteilt es. Ihm ist es nicht zu realitätsfern, nicht zu naiv. Das finde ich toll, denn ich erlebe es oft ganz anders. Gerade wenn etwas knapp ist, lebt jeder in der Sorge, ob er davon wohl noch was abbekommt. Und ein anderer sorgt sich, ob er dann etwas verliert. Kann erhalten werden, was man hat? Das ist die entscheidende Frage und die andere kommt gleich hinterher: Wenn man schon abgeben muss, dann bitte nicht schlechter abschneiden als andere. Das erscheint vernünftig. Alles andere erscheint naiv. Das Wort naiv hat ja bei uns einen negativen Beigeschmack. Wer naiv ist, wird über den Tisch gezogen in dieser Welt der nüchternen Zahlen und der harten Tatsachen. Wer naiv ist, wer nicht seine Interessen einbringt und sie durchsetzt, wird am Schluss verlieren. Wenn dieses Denken damals auch die Leuten am Ufer des Sees Genezareth bestimmt hätte,, wären viele mit knurrendem Magen aufgestanden. Was dort am See passiert ist, war ein Wunder. Alle wurden satt, niemand hatte Mangel, alle hatten genug. Und alles begann mit der naiven Vorstellung, dass 5 Brote und zwei Fische für 5000 Menschen reichen könnten. Naiv geht zurück auf das lateinische „nativus“ „durch Geburt entstanden“. Mit jeder Geburt entsteht etwas Neues. Auch mit einer geistlichen Geburt. Wenn Menschen zu Kindern Gottes werden, brauchen sie nicht mehr ihre Interessen an die erste Stelle zu setzen-dann können sie es sich leisten naiv zu sein. Naiv – durch eine neue Geburt entstanden, naiv – durch kindliches Vertrauen zu Gott begründet, naiv – durch ein neues Verhältnis zum Vater im Himmel, naiv – in einem neuen Verhältnis untereinander. Musik: A.C. Jobim, Chovendo na roseira So wird ein Stoßseufzer zur Idee. Da wird nach Lösungen gesucht und nicht beim Klagen stehen geblieben. Durch fünf Brote und zwei Fische. Übrigens keine beliebigen Mengenangaben. Es war die Tagesration eines Bewohners in Galliläa zwei bis drei Brote waren, noch etwas Dattel und Feigen dazu. An Feiertagen gab’s noch Fisch, getrocknet und gesalzen, selten Fleisch. Das Kind hatte also doppelt so viel mit wie für einen Tag nötig. Und – aus besonderem Anlass – zwei Festtagsfische obendrein. Es kann also abgeben und hat noch genug für sich. Freigiebig sein bedeutet also auf die Balance zu achten: Was brauche ich für mich und was kann ich zur Verfügung stellen? Ich hoffe, dass Ressourcen in unserer Kirche, Kommune, Gesellschaft gefunden werden, die bis jetzt unentdeckt waren. Ich wünsche mir Menschen, die geben was sie haben und damit anderen www.rundfunk-evangelisch.de Seite 3/5 Manuskriptservice Verkündigungssendungen der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau helfen, denen es nicht so gut geht. Und da, wo nicht mehr alles zu finanzieren ist, weil definitiv Geld fehlt, tauchen vielleicht Menschen auf, die auch ohne Lohn einfach ihre Talente einsetzen.. Weil sie es sich leisten können und gerne tun. Ich denke aber auch an Zeit. Manche haben davon zu viel und andere viel zu wenig. Wie viel gegenseitige Unterstützung ist da denkbar. Daneben gilt es politische Programme zu überprüfen und ernsthaft zu überlegen, was macht Sinn und was nicht.. Nur so kann aus dem Stoßseufzer eine Idee werden. Dann wird ein neuer Reichtum zu spüren sein. Musik: A.C. Jobim, O Morro nao tem vez Manchmal ist es gut, wenn nicht alles im Überfluss da ist So können neue Ideen entstehen. Die Geschichte von den fünf Broten und zwei Fischen zeigt die Chancen, die in Mangelsituationen stecken können. Hätte jeder genug Brotzeit für sich dabei gehabt, wäre diese Geschichte nicht erwähnenswert gewesen. Jeder hätte für sich gegessen. Gemeinschaft, Solidarität hätte es nicht gegeben. Erst der Mangel machte aus der Masse der Fünftausend eine Gemeinschaft. Gemeinschaft entsteht, wo jeder und jede seine Gaben und Begabungen aus der Tasche zieht und einbringt in das Ganze. Sie entsteht, wenn alles auf den Tisch kommt. Und sie entsteht - und das ist genauso bedeutsam – wenn man sich traut zu nehmen. Wenn der Umgang mit den begrenzten Ressourcen nicht nur ein technokratisches Zahlenspiel bleibt, wird er zum Segen. Er kann zeigen, wie diese Gaben und Stärken für eine größere Gemeinschaft eingesetzt werden können. Er löst das Geben, das Hergeben, das Anbieten, das Annehmen, das Danken und das Teilen. aus. So entsteht aus einer Mangelsituation etwas Neues Die biblische Geschichte von der Speisung der 5000 gilt als Wundergeschichte. vielleicht war es gar kein Wunder, denke ich manchmal sondern jeder und jede holte raus, was er doch noch bei sich trug, aber bisher zurück gehalten hatte: Das Pausenbrot gegen den größten Hunger, noch schnell geschmiert und mitgenommen; den kleinen Proviant ganz unten im Rucksack, für alle Fälle, wenn’s länger dauern sollte. Alles kam auf den Tisch. Für alles wurde gedankt. Alles wurde ausgeteilt. Alles wurde angenommen. Und dann blieb auch noch eine Menge davon übrig. Ich male es mir nur aus. Beweisen kann ich’s nicht. Aber glauben und hoffen und erträumen und mich dafür einsetzen und mich einüben im Teilen. Dann wird aus dem Stoßseufzer eine Idee. Unser kleiner Nachbar machte aus dem Mangel ein Spiel. Immer zwei Kinder stellten sich gegenüber und nahmen gemeinsam einen Keks in den Mund. Die beiden, die ihren gemeinsamen Keks zuerst gegessen hatten, hatten gewonnen und bekamen den übriggeblieben Keks als Preis. Wäre es nicht toll, viele hätten solche Ideen in unserer Gesellschaft, in unserer Kirche, für diese Welt? Dann wird der Stoßseufzer zur Idee und das wäre www.rundfunk-evangelisch.de Seite 4/5 Manuskriptservice Verkündigungssendungen der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau ein echtes Wunder. Musik: A.C. Jobim, Águas de Marco www.rundfunk-evangelisch.de Seite 5/5