Freundschaft bis auf `s Blut - Katholische Universität Eichstätt

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Freundschaft bis auf `s Blut - Katholische Universität Eichstätt
April 2007 · Preis: 1 Euro · www.journalistik-eichstaett.de
CONTAINER
Zweites Semester Journalistik der KU Eichstätt-Ingolstadt
Blut als Ware
Blutkonserven kamen früher meistens bei
Operationen zum Einsatz — heute helfen sie
besonders bei der Krebstherapie.
Das Thema: Seite 2
PANORAMA
ZWEI LEBEN, EIN GESICHT
Fritz von Thurn und Taxis
über sein Leben als Blaublüter
SEITE 6
Wenn man sich die Schmerzen aus Armen
und Beinen schneiden will. Die Geschichte
einer Selbstverletzung.
Teilkultur: Seite 3
BLUT IM FILM
Hollywoodregisseur Michael
Rösch verbraucht Blut galonenweise
SEITE 12
ESSEN & TRINKEN
TÖTEN ALS JOB
Zehn Schweine, drei Metzger
und eine Stunde Zeit
SEITE 8
GESUNDHEIT
TABU-THEMA IMPOTENZ
Eine Selbsthilfegruppe hilft
Männern, darüber zu reden
SEITE 10
Tritt. Kniekick. Ellenbogencheck.
André Balschmieter ist der beste Kämpfer
im deutschen Free-Fight.
Sport: Seite 11
Ein Einschnitt im Leben: Sebastian von Nagaroon und Falk Kracht sind Blutsbrüder
VON
MARTIN KLIEMANK
Ein Schnitt, Blut tropft, dann
ein fester Handschlag und ein
inbrünstiges „mein Bruder“ —
von Winnetou und Old Shatterhand lassen sich Kinder heute
noch zur Blutsbrüderschaft
hinreißen. Doch manchmal
sind es auch Erwachsene, die
Blutsbrüderschaft schließen,
wie etwa Sebastian von
Nagaroon und Falk Kracht.
Eine dünne Schneeschicht bedeckt
die Wallburg-Anlage Haskenau. Buchen leuchten im Schein des Feuers,
um das sich in dieser Nacht Frauen
und Männer schweigend versammelt
haben. In der Mitte des Kreises stehen
sich Sebastian von Nagaroon und
Falk Kracht gegenüber. Sie nehmen
den Dolch, mit dem sie sich die Arme
aufschneiden.
„Wir haben viel erlebt und miteinander aufgebaut. Das darf nicht auf
der Strecke bleiben“, erklärt der 38jährige Sebastian, warum er vor zwei
Jahren die Blutsbrüderschaft geschlossen hat. Das Internet hat den
Staplerfahrer aus Enningerloh im
Münsterland und Falk zusammengeführt. Gleiche Interessen ließen sie
bald zu Freunden werden: Gemeinsam gründeten sie die Historiengemeinschaft „Saxo Celtica“, in der sie
die Geschichte der Kelten, Germanen
und Römer aufarbeiten und auf
Festen nachstellen. Doch als Falk die
Blutsbrüderschaft anbietet, nimmt
Sebastian ihn zunächst nicht ernst:
„Ich dachte es wäre ein Scherz. Wir
kannten uns ja erst ein paar Jahre.“
Starke emotionale Bindung ist
vergleichbar mit der ersten Liebe
„Bei den Germanen wurde man
durch die Blutsbrüderschaft mit einem älteren Stammesmitglied in den
INTERVIEW
Kein Sport für Softies
Freundschaft bis auf ’s Blut
EDITORIAL
Horror-Regisseure lassen es in
Strömen fließen, einige halten es
für eine Delikatesse, andere
wiederum schmieren es an
Haus- und Leinwände: Blut. Es
eint und es trennt — viele Diskussionen waren nötig, um den
letzten Skeptiker in unserer Redaktion vom Blut-Druck zu
überzeugen. Die Blutarmut wich
einem buchstäblichen Blutrausch: Unsere Reporter fuhren
bis nach Hof, Frankfurt und Berlin. Sie schlugen sich mit Vampiren herum und manchem gefror
in der Metzgerei das Blut blau.
Einmal Blut geleckt, kochte das
Herzblut, der (Blut-) Druck stieg.
Sätze wie „Sei doch mal realistisch“ und „Komm mal wieder
runter“ bremsten immer wieder
die Höhenflüge der Chef-Bluter.
Schweiß, Tränen, Wortgefechte
— die Nerven lagen blank. Aber
letztlich siegte die Vernunft:
„Wir leben doch nicht im Gummibärchenland.“ Womit wir wieder beim Thema Blut wären: Blut
in Lebensmitteln und Medien interessierte uns genauso wie die
Blutgrätsche. Heraus kam ein
Themenpaket zusammengeschnürt mit einem blutroten Faden: Wir Journalistik- Studenten
präsentieren Ihnen stolz den blutigsten Container aller Zeiten.
Viel Spaß mit dem einzigen
hochwertigen Blut-Druck, der
garantiert keine Gesundheitsschäden verursacht… Bäm!
Tief im Fleisch
A
Fest im Griff: Warmes Blut rinnt durch die Finger und besiegelt eine Freundschaft für die Ewigkeit.
Kreis der Männer aufgenommen. Sie
war eine Patenschaft für das Erwachsenwerden,
ein
An-die-Handnehmen“, erklärt Sebastian. In den
kriegerischen Männerbünden verbrüderten sich vor allem Kampfgefährten, um sich der Treue und Hilfe des
Anderen zu vergewissern.
In heimischen Sandkästen lebt der
Kult der Blutsbrüderschaft noch heute, wenn junge Spielgefährten das
Plastikmesser zücken, um ihre
Freundschaft zu besiegeln. „Die emotionale Bindung unter Blutsbrüdern
ist noch viel stärker“, vermutet Sebastian von Nagaroon. „Die Blutsbrüderschaft ist vergleichbar mit der
ersten großen Liebe. Man sagt sich
Liebesschwüre, will den anderen nie
mehr vergessen.“ So ist es auch heute
bei heidnischen Hochzeiten üblich,
dass Mann und Frau den angeschnittenen Daumen aneinander drücken.
Gegenseitiges Vertrauen ist dabei
unerlässlich, schließlich könnten
selbst durch den Austausch geringer
Mengen Blut Krankheiten übertragen
werden. „Klar besteht die Gefahr von
HIV oder Hepatitis. Allerdings
schließt man die Blutsbrüderschaft ja
auch nicht mit jedem x-beliebigen
Heckenpenner“, meint Sebastian.
Mehr als nur Freundschaft: Der
Blutsbruder ist Teil der Familie
Mit wem man die Blutsbrüderschaft schließt, sollte man sich mehr
als zweimal überlegen: „Man kann
dabei auch ganz schön ins Klo greifen“, erzählt Sebastian von einem bekannten Blutsbrüderpaar, das sich
verkracht hat. Im Gegensatz zu einer
normalen Freundschaft ist eine Blutsbrüderschaft aber nicht mehr lösbar.
„Es geht nicht, dass ich mit meinem
Blutsbruder nichts mehr zu tun haben will. Ich habe ihn mir ja selbst
ausgesucht.“ Mit Falk Kracht verbindet Sebastian mehr als eine Freundschaft. Sollte einer der beiden sterben,
würde sich der andere um die Hinterbliebenen und um ein Begräbnis
kümmern. Selbst Sebastians Eltern
haben Falk Kracht als Sohn angenommen. „Er ist Teil meiner Familie. Wir
können uns aufeinander verlassen
und stehen füreinander ein“, sagt der
verheiratete Familienvater. Dafür,
dass er die Nähe zu seinem Blutsbruder nie vergisst, sorgt schon die daumenlange Narbe auf seinem linken
Unterarm. Jedes Mal, wenn er die
Narbe bewusst ansieht, erinnert er
sich an die Nacht des 6. Februar 2004,
die Nacht des heidnischen Festes Imbolc. Bilder werden wach:
Buchen im Feuerschein, der Dolch,
der Schnitt, der Schmerz. Fröstelnd
vor Kälte pressen beide Männer die
Unterarme aneinander. Während sie
einander Ehre und Gerechtigkeit
schwören, tropft Blut aus den Wunden. Ohne Hast nehmen beide einen
Schluck aus dem gebogenen Trinkhorn, das mit Met und einigen Blutstropfen des Gegenübers gefüllt ist.
Nie, so sagt Sebastian, habe er sich
seinem Freund näher gefühlt, als in
diesem Moment.
Mit der Spritze an die Spitze
usdauersportler sind ehrlich und loyal. Besonders unter den Radfahrern ist der Zusammenhalt so groß wie in kaum einer
anderen Sportart. „Nie in meiner Karriere habe ich
andere Fahrer betrogen!“, sprach einer ihrer Größten. Und das, obwohl er selbst gedopt hat, dass sich
die Nadeln bogen. Doch dank des Wir-Gefühls ist
er dabei nicht allein. Und so legen die Profis, statt
zu trainieren, zu Hause ihre Beine hoch, und spritzen sich einfach kurz vor dem Rennen das leistungssteigernde sauerstoffreiche Blut.
Alles könnte so schön sein, wären da nicht die AntiDoping-Agenturen: Mit fiesen Bluttests flößen sie
den Radlern Angst ein. Wer zu rotes Blut hat,
sprich: Wer mehr als 50 Prozent rote Blutkörperchen
hat, muss aussetzen. Also bleibt dem, der den französischen Radlerthron erklimmen möchte, nichts
anderes übrig, als möglichst nahe an diesen Wert
heran zu dopen. Der „Kampf um die 50“ beginnt.
Doch schon die Natur legt den Radlern die ersten
Reißnägel auf die Fahrbahn. So kommt es in den besten Familien vor, dass man mit einem Wert von 45
schlafen geht und am Morgen mit 52 aufwacht.
Schuld ist der Flüssigkeitsverlust – nicht nur bei
Bettnässern. Denn auch der kontinente Sportler verliert im Schlaf bis zu einem Liter Schweiß. Kommt
dann noch der Angstschweiß vor der Kontrolle
hinzu, ist der Blutwert total hinüber. Und dazu
muss noch nicht mal gedopt worden sein. Wer das
wieder in Ordnung bringen will, dem bleibt nichts
anderes übrig, als zu saufen wie ein Loch. Am besten eignet sich dafür Wasser mit viel Kohlensäure,
schließlich verdrängt CO2 ja Sauerstoff. Weshalb im
Anschluss am besten auch schleunigst eine Schachtel Zigaretten folgt. Einen
negativen Effekt haben
dagegen Getränke wie
Cola oder Bier, die zwar
CO2, aber auch Koffein
oder Alkohol enthalten –
bei der Dopingkontrolle
nicht unbedingt von Vorteil.
Schon bei der Vorbereitung auf
den Wettkampf kann der
ambitionierte Radler vieles richtig
machen. Zunächst sollten alle Trainingseinheiten, die über einer Höhe von
tausend Metern stattfinden, geschwänzt
werden, da sich dadurch die lästigen
roten Blutkörperchen vermehren.
Wer dem Bergtraining nicht entkommt, sollte sich wenigstens in
der Nähe einer Kuhweide aufhalten. Bekanntlich haben die Verdauungsgase der Rinder ja eine
sauerstoffverdrängende Wirkung.
Auch bei der Suche nach einer
geeigneten Unterkunft für die
Vorbereitungsphase ist bedacht
vorzugehen. Keine wolkenkratzenden
BILD: ISABELLE MODLER
Luxushotels — ab dem Parterre aufwärts ist Schluss.
Zu guter Letzt ist auch ein ausgefeilter Ernährungsplan Pflicht für den erfolgshungrigen Radler. Wer
Waden aus Stahl will, muss sich nicht zwangsläufig
auch mit Eisen voll pumpen. Im Gegenteil: Das verursacht nur einen hohen Sauerstoffgehalt im Blut.
Also sollte der schlaue Sportler auf jeden Fall eisenreiche Linsen und Bohnen vermeiden —
womit er zudem Rücksicht auf die
Kollegen im Windschatten zeigt. Positiv
dagegen wirken Käse oder Joghurt.
Verursachen aber auch einen weichen Stuhlgang. So kann es in
der Folge sein, dass es weniger
die Sauerstoffwerte sind, die den
Sieg in weite Ferne rücken lassen,
als vielmehr die Tatsache, dass
man das Rennen auf dem stillen
Örtchen zubringen wird.
Damit es also was wird mit
dem Aufstieg in den Radlerolymp, ist es vielleicht doch
besser, das Risiko einer
Kontrolle einzugehen. Andere haben sich ja auch nicht
abschrecken lassen und
standen jahrelang auf
dem Treppchen.
TEXT UND ILLUSTRATION:
MATTHIAS FLEISCHER
2
E
VON
DAS THEMA
Wohin das Blut fließt
Das Deutsche Rote Kreuz spricht von steigendem Blutbedarf — Die Krankenhäuser sehen das anders
KATHARINA KURTZ
twa 500 000 Blutspenden hat das
Deutsche Rote Kreuz (DRK) im
Jahr 2004 gesammelt. 15 Jahre
davor waren es nur 333 000 Spenden.
Das gesammelte Blut wird an die
Krankenhäuser verkauft. „Der Blutbedarf ist kontinuierlich gestiegen.
Obwohl mehr Spenden eingehen,
läuft das DRK dem Bedarf hinterher“,
erklärt Franz Schmidt, Leiter der Organisation vom DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg-Hessen.
Der ständig steigende Blutbedarf der
Krankenhäuser sei auch der Grund,
warum immer mehr Blutspenden
nötig seien, meint das DRK.
Erstaunlicherweise hat sich der
Blutbedarf in verschiedenen großen
Kliniken in den vergangenen 15 Jahren aber gar nicht erhöht. „Wir benötigen seit Jahren gleich viel Blut“, sagt
Dr. Beate Luz, Oberärztin für Transfusionsmedizin und für den Blutspendedienst
am
Stuttgarter
Katharinen- hospital. Die gleiche Erfahrung macht Dr. Georg Wittmann,
Arzt für Innere Medizin und Transfusionsmedizin an der Uniklinik München. Obwohl die Uniklinik ein
Krankenhaus der Maximalversorgung ist, also auch besonders komplizierte Fälle behandelt, blieb auch dort
der Blutbedarf in den vergangenen 15
Jahren konstant.
„Es haben sich die Patientengruppen verändert, die Blut brauchen“, erklärt Dr. Beate Luz. Anders als früher
wird heute mehr Blut für Therapien
als für Operationen verwendet. Besonders bemerkbar macht sich das
bei den Krebspatienten. Dr. Georg
Wittmann erklärt warum: „Die Therapiemöglichkeiten gegen Krebs ha-
ben sich verbessert und auch wenn
die Patienten nicht geheilt werden
können, so leben sie doch länger und
brauchen mehr Blut.“ Die Chemotherapie zerstört nicht nur die Tumorzellen, sondern auch die gesunden
Zellen. Dadurch kann eine Blutarmut
entstehen, die durch Gabe von Blutpräparaten ausgeglichen werden
muss. Früher hätten im Schnitt 60
Prozent der Krebskranken nach der
Diagnose drei Jahre überlebt und seien nur im letzten Jahr auf Blut angewiesen gewesen, erklärt Dr. Georg
Wittmann. Heute würden die Krebspatienten durchschnittlich sechs Jahre überleben und in den letzten drei
Jahren Blut benötigen.
Bei den Operationen geht der
Trend in eine andere Richtung. Es
werde zwar mehr operiert, meint Dr.
Georg Wittmann, dafür aber um einiges besser als noch vor 15 Jahren.
Schlagwort ist die so genannte minimal invasive Chirurgie. Dabei operieren die Ärzte sehr schonend. Dr.
Beate Luz erinnert sich an früher: „Da
schnitt der Chirurg bei einer Gallenoperation den Bauch auf, entsprechend waren viele Blutkonserven
nötig. Heute erfolgt der Eingriff mithilfe einer Bauchspiegelung, bei der
nur ein sehr kleiner Bauchschnitt vorgenommen wird.“
Große Krankenhäuser wie in Stuttgart und München brauchen seit Jahren nicht mehr Blut — da erscheint es
widersprüchlich, dass das DRK über
einen ständig steigenden Bedarf
spricht. Die Pressestelle des DRK-Generalsekretariats in Berlin will sich
dazu nicht äußern und verweist auf
den zuständigen Fachvertreter. In einer späteren E-Mail heißt es, dass der
Fachvertreter die nächsten vier Wochen nicht „greifbar“ sei.
Immer her mit dem Arm: Obwohl Anita Beck gerade Blut abgezapft wird, blickt sie ganz entspannt. In Deutschland nimmt das Rote
Kreuz 80 Prozent der Blutspenden ab.
BILD: MARTIN WIMÖSTERER
Zwar deckt das DRK 80 Prozent
des Blutbedarfs in Deutschland, dennoch ist nicht jedes Krankenhaus auf
dessen Blutversorgung angewiesen.
Das Katharinenhospital in Stuttgart
besitzt eine eigene Blutzentrale und
ist damit einer der wenigen kommunalen Blutversorger in Deutschland.
Rund 70 000 Blutkonserven kommen
hier jährlich zusammen. Dr. Beate
Diagnose aus der Vene
Luz ist von der eigenen Blutzentrale
vollkommen überzeugt: „Mit unserer
Blutzentrale können wir viel besser
auf unsere individuellen Bedürfnisse
eingehen, zum Beispiel gezielt Spender mit einer gefragten Blutgruppe
mobilisieren.“
Das Katharinenhospital versorgt
auch umliegende Krankenhäuser mit
Blut. Für 70 bis 80 Euro verkauft es ei-
CHARLOTTE HORN
Der Patient hat Fieber und Gliederschmerzen — leidet er an einer Erkältung oder an einer
gefährlichen Virusgrippe? Eine
Blutanalyse gibt Ärzten oft die
richtige Antwort. Die Auswertung im Labor ist schwierig,
denn die Blutwerte verändern
sich ständig und können individuell Unterschiedliches bedeuten. Um die Analyse zu
vereinfachen, gibt es bereits eine neue Methode.
Ein Tropfen Blut fällt auf eine Chipkarte. Kleine Kanäle saugen ihn ein.
Die Karte wird in ein Auswertegerät
gesteckt und nach einer knappen
Stunde zeigt das Display die aktuellen Blutwerte an. Ein solches Minilabor in Form einer Scheckkarte gibt es
bereits als Prototyp: quicklab soll Ärzten eine schnelle Blutanalyse ermöglichen und ab 2008 auf den Markt
kommen. Die Firma Siemens hat die
Karte mitentwickelt und rechnet mit
einer großen Nachfrage, denn Blut ist
der meistuntersuchte Stoff in der Labormedizin.
„Man hat einen Verdacht und die
Blutanalyse kann ihn erhärten oder
schwächen“, erklärt Dr. Thomas
Neuhardt-Wilsch, Allgemeinmediziner aus Erlangen. Wenn sich in einem
Organ eine Entzündung bildet, hat
das meist auch Auswirkungen auf
das Blut. Daher spiegelt Blut immer
den momentanen Zustand des Körpers wieder. Für die Analyse werden
Keine gewöhnliche Scheckkarte: Das Minilabor könnte bald in jeder Praxis für schnelle
Blutanalysen zum Einsatz kommen.
BILD: SIEMENS-PRESSEBILD
dem Patienten etwa zehn Milliliter
Blut abgenommen. Das ist nur eine
geringe Menge bei vier bis sechs Litern, die insgesamt durch den
menschlichen Körper, je nach Geschlecht und Größe, fließen. Sie reicht
aber aus, um die wichtigen Werte zu
bestimmen.
Im Labor werden die festen und
flüssigen Bestandteile des Blutes in
kleinen Röhrchen getrennt getestet.
Damit man die Form und Größe der
roten und weißen Blutkörperchen
und der Blutplättchen besser erkennt,
wird das Blut ungerinnbar gemacht.
Zur Untersuchung des flüssigen Teils
des Blutes werden die festen Bestandteile abgefiltert und im zurückbleibenden
Serum
Werte
wie
Cholesterin, Blutzucker, Leber und
Harnsäure gemessen. Je nachdem,
welcher Krankheitsverdacht vorliegt,
werden 20 von bis zu 300 möglichen
Blutanalysen ausgewählt. Sind die
Blutwerte bei einer ersten Untersuchung auffällig, werden sie genauer
unter die Lupe genommen. Zum einen kann die Analyse Krankheiten
bestätigen, die sich durch die Blutwerte ablesen lassen, wie Infektionen,
bei denen die Zahl der weißen Blutkörperchen extrem ansteigt. Zum anderen
kann
sie
Krankheiten
aufdecken, die das Blut selbst befallen. So werden zum Beispiel bei Blutarmut nur noch vermindert rote
Blutkörperchen hergestellt.
Die Interpretation der Blutwerte ist
sehr kompliziert, da sie von vielen
Faktoren abhängt: unter anderem
von Alter, Geschlecht und Körpergröße, ebenso wie von Fitness und Ernährung. Bei Kindern ist etwa eine
höhere Anzahl an weißen Blutkörperchen als bei Erwachsenen normal. Für
eine richtige Auswertung des Blutes
müssen alle diese verschiedenen
Aspekte berücksichtigt werden. Außerdem reagiert das Blut ständig auf
Vorgänge im Körper, weshalb die
einzelnen Blutwerte immer nur Momentaufnahmen sind und daher
mehrmals getestet und verglichen
werden. Das Entscheidende bei der
ne Konserve mit roten Blutkörperchen. Ähnliche Preise verlangt das
DRK. Im Gegensatz zum DRK zahlt
das Katharinenhospital seinen Spendern aber eine Aufwandsentschädigung von 25 Euro, hauptsächlich für
den Anfahrtsweg. Das DRK zahlt
nichts, weil seiner Meinung nach mit
Blut als menschlichem Organ nicht
gehandelt werden dürfe.
BLUTSPRITZER
Ein Spiegelbild des Körpers: Richtig interpretiert, verraten Blutwerte viel über die Gesundheit
VON
CONTAINER
Blutanalyse ist für Dr. Peter Hindersin, Biochemiker und langjähriger Laborleiter am Bezirkskrankenhaus
Erlangen, dass die Blutwerte bei jedem Patienten individuell beurteilt
werden. Denn ein Laborwert allein
sage nichts aus. „Wir wollen schließlich keine Laborkranken schaffen.“
Gleich hohe Leberwerte können beispielsweise für zwei Personen Unterschiedliches bedeuten: Während sie
für den einen wirklich krankhaft
sind, können sie für den anderen genetisch bedingt normal sein. Dieser
Meinung ist auch Dr. NeuhardtWilsch. „Blutwerte allein reichen
nicht aus. Sie sind ein notwendiger
Faktor für eine ganzheitliche Diagnose.“ Daher bringen Blutuntersuchungen ohne gezielten Verdacht nach
Ansicht des Allgemeinmediziners
nur wenig.
Dennoch wird Blut nicht nur dann
untersucht, wenn es darum geht, einen bestimmten Krankheitsverdacht
zu erhärten oder zu entkräften, sondern auch zur Vorsorge. So ist etwa
der gestresste übergewichtige Raucher ab 35 Jahren besonders gefährdet,
einen
Schlaganfall
zu
bekommen. Erste Anzeichen dafür
können im Blut frühzeitig sichtbar
werden, wenn zum Beispiel Cholesterin- und Zuckerwerte oder auch die
Gerinnungsfaktoren erhöht sind. Im
Rahmen der Vorsorgeuntersuchung
überprüft der Arzt deshalb auch immer die wichtigen Blutwerte.
Kommt man also durch regelmäßige Blutuntersuchungen einer Krankheit auf die Spur, noch bevor sie
ausbricht? Biochemiker Dr. Hindersin verneint: „Wir sind keine Wahrsager. Das Blut verändert sich erst,
wenn die Krankheit schon da ist.“
In Zukunft soll die Blutanalyse
noch einfacher und schneller funktionieren. Das kann mitunter lebensrettend sein, wenn ein Verdacht auf eine
gefährliche Erkrankung durch die
Blutwerte schnell bestätigt und sofort
behandelt werden kann. quicklab, das
Minilabor auf der Chipkarte, ist ein
Schritt in diese Richtung.
Berliner Blut
zum Spielen
Es fließt in internationalen Filmproduktionen wie „Das Parfum“, bei
Übungen von Bundeswehr und Rotem Kreuz: das Kunstblut der Berliner Firma Kryolan. Für den
weltweiten Markt stellt das Unternehmen über 40 Sorten Kunstblut
her. Zum Angebot gehören externes
Blut zur äußeren Anwendung, aber
auch internes Blut, das für den Kontakt mit Schleimhäuten geeignet ist.
Kunstblut besteht größtenteils aus
Wasser, Glycerin und Stärke. Je nach
Sorte kostet der Liter Blut zwischen
30 und 150 Euro.
jk
Schluck für Schluck
zum Metzger
Wer Metzger werden möchte, muss
von der ersten Stunde an hart im
Nehmen sein. Mit Schauern erinnert
sich der Münchberger Metzgermeister Rainer Lottes an seinen ersten Ausbildungstag. Kaum im Betrieb angekommen, wurde das erste
Rind geschlachtet – für einen angehenden Fleischer nicht allzu schokkierend. Dann allerdings folgte die
Bluttaufe: Schnell sollte er die Metallglocke an seinem Gürtel säubern, die
eigentlich zum Schweine scheren gedacht ist. „Der Kopf des Rindes kam
ab und die Glocke wurde mit dem
warmen Blut gefüllt — ja und dann
hieß es runter damit.“ Einen unverwechselbaren Geschmack habe es
gehabt: „Salzig — wie wenn man an
Eisen leckt“. Als aus Lehrling Lottes
der Metzgermeister Lottes geworden
war, behielt er die blutige Willkommensgeste für seine Auszubildenden
zunächst bei. Erst seit einigen Jahren
verzichtet er darauf: „Blut ist ja der
Saft des Lebens — irgendwie ist es
nicht ethisch, das zu trinken.“
ph
CONTAINER
LEITKULTUR
Der Strichcode auf dem Arm
Kristin Wölke verletzte sich über drei Jahre lang selbst — heute ist sie clean
R
über zwei Jahre her. Den Körper der
Berlinerin übersäen mehr als 300 Narben. Dreieinhalb Jahre lang, von Anasierklingen und Verbandsma- fang 2001 bis zum Sommer 2004 hat
terial gehören zum Ritual. Al- sie sich immer wieder die Ober– und
kohol auch: Bier, zwei Flaschen Unterarme, beide Beine und die HüfSekt und eine halbe Flasche Wodka. ten zerschnitten. Ihre Arme sind mit
Kristin Wölke hört Musik — laut, strichförmig vernarbtem Gewebe behart, schnell. Am wichtigsten ist Pri- deckt. „Das sieht aus wie ein Strichvatsphäre: Das, was sie gleich tun code. Damit kannste mich an der
wird — das, was sie sich mehrmals in Kasse durch den Scanner ziehen und
der Woche antut – darf niemand dann is schick“, sagt Kristin und läsehen. Sie geht ins Bad, nimmt die Ra- chelt. Sie sitzt rittlings auf ihrem Sofa
sierklinge, setzt sich auf den Wannen- in der Wohnung ihrer Eltern, hält ein
rand und schneidet sich in den Glas Ginger Ale in der Hand. Wenn
rechten Unterarm. Warmes Blut läuft sie lächelt hebt sich der schwarze
über ihre Haut, fließt über die Unter- Ring in ihrer Unterlippe ein bisschen.
Kristin ist eine Borderline-Persönseite ihres Handgelenkes in die Handfläche, weiter zur Spitze ihres lichkeit. Falsch: „Ich habe eine BorMittelfingers. Dort verharrt es kurz, derline-Persönlichkeitsstörung. Ich
bin das nicht, ich
tropft dann auf
habe das.“ Sie ist
den Boden der
eine selbstbewussWanne. Sie ist in
„Ich dachte: Scheiße,
te junge Frau, die
Trance. Es tut
gern Poker spielt,
nicht weh. Kristin
tut das weh, wenn
zeichnet,
gelbe
schneidet sich wieder und wieder:
man das nicht selber Gauloises raucht
und ihren Gürtel
Nach ein paar
verkehrt herum
Schnitten hackt sie
macht.”
trägt. Ihre grünen
nur noch, schlägt
Augen schauen
die Rasierklinge
nie verlegen zu
zentimetertief in
Boden. Ein paar
ihr Fleisch. Rechter
Arm, linker Arm – ihre linke Hand „Vorfälle, nicht Rückfälle“ gab es
verschont sie: Die braucht sie, wenn schon noch, doch seit 2004 ist sie
sie sich nach einem Fressanfall den „clean“. Trotzdem muss die Linkshänderin im Augenblick ihre GauloiFinger in den Hals steckt.
Nach über zwei Stunden ist der Bo- ses mit rechts rauchen, denn vor
den der Wanne mit einer schleimigen kurzem hat sie sich ihre linke Hand
Schicht aus geronnenem Blut be- an einer Konservendose geschnitten
deckt. Kristin fährt mit der Hand und sich dabei die Sehnen von Mittelüber den rot glänzenden Wannenbo- und Ringfinger durchtrennt – verseden. Warm und dickflüssig fühlt sie hentlich. „Ich dachte: ´Scheiße, tut
das Blut zwischen ihren Fingern. Sie das weh, wenn man das nicht selbst
verbindet ihre Wunden, putzt das macht.´“ Sie schüttelt lächelnd den
Bad, räumt die Flaschen weg und Kopf. „Ich bin dann mit blutüberstellt die Musik aus. Alles sauber? strömter Hand ins Krankenhaus und
Was vergessen? Als sie in die Stra- das Erste, was die Ärztin zu mir sagßenbahn steigt, sind ihre Mullbinden te, war: ´Was haben sie denn mit ihschon blutdurchtränkt. Macht nichts. ren Armen gemacht?´ Tja, is schon
Sie ist mit den Gedanken noch bei ih- lustig.“ Wenn Kristin so erzählt, mit
rem Blut in der Wanne. Wohin? Ganz ihrem Sinn für Ironie, wird es tatsächegal. Einfach irgendwohin, in irgend- lich irgendwie lustig.
Über ihre Vergangenheit redet sie
ein Krankenhaus in Berlin. Wie oft sie
nach einem Ritual in einem war, weiß so wie über einen Film: Sie kommt
sie nicht mehr. Die Selbstverletzung: mit nur 1900 Gramm auf die Welt
Für Kristin eine Wohltat. „Ab und zu und muss im Krankenhaus drei Monate aufgepäppelt werden. In dieser
habe ich mir das eben gegönnt.“
Heute ist Kristin Wölke 25 Jahre alt, Zeit hat sie keinen Kontakt zu ihrer
studiert Erziehungswissenschaften Mutter. „Es lief also von Geburt an
und Psychologie. Ihr letztes Ritual ist nicht so wie es sein sollte. Erst hat
VON
3
ROSMARIE INES BUNDZ
mich niemand berührt und dann habe ich die Liebe bekommen, die ich
brauchte — das hat mich verwirrt.“
Sie entwickelt früh eine emotionale
Wachsamkeit ihrem Umfeld gegenüber. So bemerkt sie, dass sich ihre
Mutter und ihr Großvater öfter streiten und entschließt sich, ihrer Mutter
nicht noch mehr Sorgen zu machen.
Sie funktioniert nur noch und verbirgt ihre Sorgen in der Schule, mit
den Freunden, mit sich selbst. Mit 13
Jahren versucht sie, sich die Knochen
zu brechen, schlägt sich Glasflaschen
auf Hände und Füße. „Ich konnte
meine Gefühle nicht beschreiben, ich
hatte nur so einen Hass auf mich“,
erinnert sie sich. „Zwei Mal war ich
erfolgreich.“ Nach dem Abitur fährt
sie mit ihren Eltern für drei Wochen
an den Gardasee. Auf Erholung wartet sie vergeblich: „Der Sohn des Ho-
teliers hat mich mehrmals vergewaltigt. Ich gab mir die Schuld. Ich hätte
ja auch nein sagen können.“
Danach verletzt sie sich in immer
kürzeren Abständen und entwickelt
ihre eigenen Methoden. „Da muss
man erst mal reinwachsen und alle
Tricks und Kniffe kennen lernen.
Und zwei Mal drüber mit der Klinge
und schick is – das hat irgendwann
nicht mehr gereicht.“ Erst ein auseinander gebauter Anspitzer, später Präparierbesteck. „Doch das war auch
irgendwann stumpf.“ Dann nimmt
sie nur noch Rasierklingen — Zehnerpacks für 2,39 Euro.
Nach sechs Klinikaufenthalten und
acht in der Psychiatrie ist alles, was
noch von ihrem alten Leben geblieben ist, ein blauer Aktenordner mit
den Klinikunterlagen. „Wenn du in
die Klinik gehst, schlüsseln die dir
sämtliche Diagnosen auf. Du bekommst ein Blatt und da steht dann:
Borderline-Störung, Depression, Essstörung, Alkoholmissbrauch und
posttraumatische
Belastungsstörung.“ Kristin nimmt noch einen
Schluck von ihrem Ginger Ale. „Das
alles belastet mich nicht mehr.“ Auch
die Narben nicht: Sprüche wie „nettes Design“ kontert sie mit „hat halt
nicht jeder“. Manchmal sieht sie im
Supermarkt ein Mädchen, das sich
wahllos Essen kauft und sie denkt
sich „aha, Fressanfall“. Im Sommer
sah sie auf der Fanmeile jemanden
mit einem vernarbten Unterarm —
„aha, noch so einer“. Sie ist nun nicht
mehr „so eine“. Ihre Narben gehören
zu ihrem Körper wie das Piercing in
ihrer Unterlippe. Verstecken oder
weglasern kommen für sie nicht in
Frage.
Borderline-Störung, Depression,
Essstörung, Alkoholmissbrauch,
posttraumatische
Belastungsstörung
— das sind nur
noch Wörter auf einem Blatt Papier
aus der Klinik.
Wenn Kristin Wölke so locker und
ein bisschen herausfordernd neben
ihrer Lieblingsblume sitzt, käme
man nie auf den
Gedanken, dass
sie sich Arme und
Beine zerschnitten
hat. Ihre Narben
versteckt sie aber
nicht — es war nur
ein kalter Tag.
BILD: ROSMARIE INES BUNDZ
Wenn im Blut der Klebstoff fehlt
Im Sandkasten und auf dem Fußballplatz — Lukas (18 Monate) und Markus (9 Jahre) lernen, mit der Bluterkrankheit zu leben
D
BILD: ISABELLE MODLER
VON ISABELLE
MODLER
er kleine, blonde Junge liegt
auf dem Rücken. Seine großen, blauen Augen schauen
aufmerksam hoch ans Kopfende der
Liege, wo seine Mutter mit einer spitzen, dünnen Nadel in der Hand steht.
Unwillig dreht er den Kopf weg, seine
kleinen Füße strampeln in der Luft,
als wolle er weglaufen. Lukas Kuhnhen weiß, was ihn erwartet: Der Eineinhalbjährige ist Bluter. Da offene
Wunden oder innere Verletzungen bei
ihm nicht zu bluten aufhören würden,
bekommt er einmal in der Woche in
der Haunerschen Kinderklinik in
München ein Mittel für die Blutgerinnung gespritzt. Seit vier Wochen lernt
seine Mutter Stephanie unter ärztlicher Aufsicht, wie das geht, damit sie
ihn in Zukunft auch zu Hause spritzen kann.
Lukas windet sich auf der Liege
wie ein Aal. Neben ihm sitzt Dr. Karin Kurnik. Behutsam umfassen ihre
schlanken Hände seinen zarten Kopf.
Die Kinderärztin versucht ihn abzulenken und spricht liebevoll, mit ruhiger Stimme auf ihn ein: „So kalte
Hände! Mmmh, Lukas?“ Langsam
schmiegt sich die Wange des kleinen
Jungen an die Hand der Ärztin.
Durch die zarte, helle Haut an seiner
Stirn schimmert ein feiner, bläulicher
Strich — die einzige Ader an seinem
Körper, die nicht unter weichem Babyspeck versteckt ist.
Stephanie Kuhnhen beugt sich über
ihren Sohn. Hochkonzentriert
schaut sie auf seine Stirn. Und
zack: Die Nadel dringt ein und
schiebt sich unter die
Haut. Lukas zuckt
zusammen.
„Auuuaa, Mama“,
ruft er und versucht sich an die
Stirn zu fassen,
an der mittlerweile Kanüle
und Schlauch
hängen. Dicke
Tränen
laufen
über sein Gesicht.
„Musst
Mama
helfen!“, sagt die
Ärztin. Wie durch
eine Zauberformel hält der
Junge augenblicklich still
und lässt alles über sich
ergehen. „So tapfer bist
du!“, bestärkt ihn seine Mutter liebevoll.
Eine
Kinderhand streichelt
die Wange von
Lukas und tröstet ihn mitfühlend:
Die
vierjährige Laura
kommt immer mit,
wenn ihr jüngerer Bruder gespritzt wird. Das
ist Stephanie Kuhnhen
wichtig, damit sich ihre
Tochter miteinbezogen fühlt,
wenn sich mal wieder alles um
Lukas dreht. Laura weiß
von ihrer Mutter: „Lukas
fehlt der Klebstoff im
Blut“. Stephanie spritzt
die Kochsalzlösung: Die
klare Flüssigkeit mischt
sich sofort mit Lukas’ Blut
und verfärbt den milchigen Schlauch langsam
rot. Dann spritzt sie
den Gerinnungsfaktor und zieht anschließend
die
Kanüle vorsichtig
wieder
heraus.
Laura tupft mit einem sterilen Tuch
den
dunkelroten
Blutstropfen von seiner Stirn. „Ja fein!
Alles fertig, Lukas!“, rufen alle erleichtert.
Kurz
darauf lacht der
Kleine schon wieder
fröhlich.
Erleichtert
räumt Stephanie
Nadel und Spritze
weg. Sie ist stolz
auf ihren Sohn.
„Das Verhalten der
Eltern überträgt sich
direkt auf die Kinder“, erklärt die Ärztin: „Je selbstverständlicher die Erwachsenen
mit der Situation umgehen, umso
besser.“
Als Stephanie mit ihren Kindern
die Klinik verlässt, schleift Lukas seine kleine, blaue Umhängetasche hinter sich her. Er weiß genau: Wenn er
unterwegs ist, muss die Kühlbox mit
dem Gerinnungsfaktor vorsichtshalber mit, denn bei einer Verletzung genügt die vorbeugende Spritze nicht.
Ein Schritt zur Selbstständigkeit:
Markus lernt das Spritzen
Der neunjährige Bluter Markus
Böckle hat sich bereits an die regelmäßigen Injektionen gewöhnt. Weil
sein Körper den Gerinnungsfaktor
sehr schnell abbaut, wird er dreimal
die Woche gespritzt. „Am Anfang haben wir Blut und Wasser geschwitzt,
als er gespritzt wurde“, erzählt sein
Vater Gerhard.
Als Markus mit zweieinhalb Jahren
das erste Mal eine Spritze bekam, hat
er so gestrampelt, dass ihn vier Erwachsene auf der Liege fixieren
mussten. Mittlerweile übernimmt
Markus die Vorbereitungen für die
Injektion schon selbst: Er zieht die
Spritze mit der Kochsalzlösung auf,
mischt das pulverige Faktorkonzentrat mit dem sterilen Wasser und legt
sich Alkoholtupfer und Pflaster bereit. Dann streift er einen Stauschlauch über seinen dünnen
Unterarm und zieht die Schlaufe so
fest, dass sich die bunten Bären auf
dem dunkelblauen Schlauch in die
Länge strecken.
Die Adern treten deutlich aus der
Haut hervor. „Ich hab Venen wie
Gartenschläuche“, sagt er stolz und
grinst. Auf dem Handrücken zeichnen sich zwei lilablaue, vernarbte
Einstichlöcher ab. Noch spritzt ihn
seine Mutter, aber Markus übt bereits
an den Venen seiner Eltern. Schließlich will er später ohne sie ins Schullandheim oder Skilager fahren. „Je
selbständiger er ist, umso mehr Freiheiten können wir ihm geben“, sagt
sein Vater.
Das Wichtigste ist, dass Markus Bescheid sagt, wenn er sich verletzt, erklärt seine Mutter. Im Alltag lauern
genügend Gefahren: Einmal hat er
sich einen Finger in der Autotür geklemmt. In der Nacht ist er dann in einer Blutlache aufgewacht, weil der
Bluterguss geplatzt war. „Das schaut
schlimm aus, aber innere Blutungen
sind gefährlicher“, sagt sein Vater.
Trotz solcher Sorgen bemühen sich
die Eltern, ihren Sohn nicht überbehütet aufwachsen zu lassen. Im Alltag fördern sie seine Selbstständigkeit
und seinen Bewegungsdrang. „Sport
ist wichtig, damit er seine Muskeln
und Sehnen trainiert. Ein gesunder
Bewegungsapparat ist der beste
Schutz gegen Gelenk- oder Muskelblutungen.“ Markus schwimmt, geht
in den Leichtathletikverein und spielt
in jeder freien Minute Fußball. Sein
größter Wunsch wäre es, im Fußballverein zu trainieren, aber das erlaubt
seine Mutter nicht: „Man muss eine
Verletzung ja nicht herausfordern.“
4
KULTURTEIL
CONTAINER
Tanz, Trance, Tierblut
S
VON
Die Darbietung der Därme
Fast sieht es so aus, als würden dem jungen Mann die Gedärme herausgerissen: Auf ihm liegt ein totes Schwein, aufgeschlitzt und
vollgestopft mit Innereien — Teil einer Inszenierung von Hermann Nitsch.
BILD: VG BILD-KUNST BONN
D
VON
Der Aktionskünstler Hermann Nitsch spielt mit Tabus und Ekel
KARIN JANKER
er junge Mann ist nackt an ein
Kreuz gefesselt, seine Augen
sind verbunden. Auf ihm liegt
ein totes Schwein, ausgeweidet. Weiß
gekleidete Frauen und Männer pressen Hände voller Gedärme in den offenen Schweinebauch. Einer gießt Blut
und Wasser darüber, die übrigen kneten und wühlen in den Därmen und
Hirnen. Über alldem schwebt ein atonales Brausen, ein Orgelton bohrt sich
in die Köpfe. Plötzlich ein schriller
Pfiff – die Menschen in den weißen
Kitteln lassen ab vom Schwein und
dem Mann, der darunter liegt. Er zittert am ganzen Körper, frisches Blut
ist ihm in den Mund gelaufen.
Er hat sich freiwillig ans Kreuz binden lassen. Im Namen der Kunst.
Und um sich zu befreien. Zumindest
ist es so vorgesehen von Hermann
Nitsch, dem Regisseur dieses Spektakels, das sich Orgien-MysterienTheater nennt. Nitsch will mit seinen
Aktionen „die Menschen aus ihrem
lauen Sumpf herausholen“. Er spielt
gerne mit Blut und den damit verbundenen Tabus. Es reizt ihn, „weil
Blut der Saft des Lebens und des Todes gleichzeitig ist“. Und so gießt er
es aus, über Leinwände und Leiber.
Der Österreicher malt mit Blut und
schockiert – mittlerweile allerdings
nur noch wenige. Früher schritt bei
seinen Aktionen regelmäßig die Polizei ein, Tierschützer protestierten,
Kirchenvertreter empfanden Nitschs
Kunst als Blasphemie. Mittlerweile
hat sich die Aufregung gelegt. Den
österreichischen Staatspreis hat
Nitsch 2005 bekommen und bald eröffnet im niederösterreichischen Mistelbach ein Museum für ihn. Ein
„Staatskünstler“ will der beinahe 70Jährige trotzdem nicht geheißen werden: „Ein blödes Wort. Ich hasse es.“
Er sieht sich als Psychotherapeut,
als einer, der mit seiner Kunst die
Menschen aufrütteln, sie zur Überwindung des Alltags und zu intensivem Leben zwingen will. Vor allem
Freuds Psychoanalyse beeinflusst ihn
in seinem künstlerischen Schaffen:
Das Orgien-Mysterien-Theater soll eine Art Katharsis bewirken. Obwohl
eine Karte für diese innere Reinigung
um die 250 Euro kostet, war das Wiener Burgtheater, das Nitsch 2005 für
seine 122. Aktion zur Verfügung gestellt wurde, innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Nitsch ist in seinem
Heimatland salonfähig geworden.
Auch über die Grenzen Österreichs
hinaus zollt man Nitsch, als einem
wichtigen Vertreter des Wiener
Aktionismus, mittlerweile Anerkennung. Im Berliner Martin-GropiusBau dokumentierte vor kurzem eine
Retrospektive Nitschs blutige Spiele
in 18 Räumen. An den Wänden Fotos
von den Aktionen: Immer wieder
nackte Frauen und Männer, an Kreuze gebunden, die Körper mit Blut bespritzt, besudelt von Rinderdärmen.
Dazwischen ein Stier, geschlachtet,
gehäutet, ausgeweidet. Der kleine
Mann mit dem langen Bart, der Blut
in die Bauchhöhle des Stiers gießt,
das ist Nitsch.
Die Szenen auf den Fotos wiederholen sich, die christlichen Symbole
auch: Monstranzen und Priestergewänder akkurat angeordnet vor einer
haushohen Leinwand, an der rote
Farbe wie Blut hinuntergelaufen und
noch im Fließen getrocknet ist. Auch
für diese Schüttbilder ist Nitsch bekannt. Sie entstehen in Malaktionen,
so genannten Happenings. In einer
Video-Installation, die Teil der Ausstellung ist, sieht man Nitsch im weißen Malhemd bei einer solchen
Aktion. Er nimmt Anlauf und schüttet einen Eimer roter Farbe auf die am
Boden liegende Leinwand. Dann verteilt er die dickflüssige Farbe mit bloßen Füßen und einem breiten Besen,
verausgabt sich dabei bis zur Erschöpfung.
Für solche Werke verwendet
Nitsch hauptsächlich rote Öl- und
Acrylfarbe. In der Berliner Ausstellung wirken die wenigen grünen,
blauen und mehrfarbigen Bilder wie
eine erfrischende Atempause, bevor
man die Luft wieder anhält, weil man
glaubt, den Gestank von warmem
Blut, von Gedärmen, Schweiß und
Exkrementen zu riechen, der über
dem grausigen Schauspiel hängt.
Kaum vorstellbar, dass die Teilnehmer am Orgien-Mysterien-Theater
die Tiere hinterher genussvoll verspeisen, wie Andreas Stasta erzählt.
Der 36-jährige Wiener hat bereits an
einigen von Nitschs Aktionen teilgenommen. Er war der Mann, der – ans
Kreuz gebunden – unter dem
Schwein lag. Stasta spürte, wie die
anderen Teilnehmer in dem Schweinebauch kneteten, die Arme bis zu
den Ellbogen in den Gedärmen. Er
hörte dieses „gatschige Geräusch“,
roch das Fleisch und das frische Blut –
und „würde das sofort wieder machen“.
In Marokko opfern die Gnawa für das Lebensglück
ALI ATABI
ie tanzen und musizieren auf öffentlichen Plätzen in Marrakesch
oder in Casablanca. Männer und
Frauen wirbeln ihre Arme und Tücher
durch die Luft zu rhythmischen Klängen der Trommler. Das sind die
Gnawa – Musiker in Marokko. Doch
hinter diesem Namen verbirgt sich
mehr als nur eine gewöhnliche Musikgruppe. Die Gnawa sind Heiler.
Durch ein blutiges Ritual, das Hadra
heißt, versuchen die Gnawa Menschen von Besessenheit und seelischen Erkrankungen zu heilen.
Angeführt werden sie dabei von ihrer
Meisterin, der Maullay Zarie. Für dieses Ritual muss Blut spritzen: Die
Gnawa verlangen Tieropfer.
Ursprünglich waren die Gnawa
Sklaven, die im 16. Jahrhundert von
Sultan Abdel-Aziz aus dem Sudan
nach Marokko gebracht wurden und
sich bis heute ihre Kultur bewahrt
haben. Die Gnawa glauben, dass das
Leben jedes Menschen von einem
Geist beeinflusst wird. „Die Geister
leben unter uns und steuern täglich
unser Verhalten“, sagt Almahdi Bader, 43 Jahre und Mitglied einer Gnawa-Gruppe in Essaouira im Süden
von Marokko. Manche Geister seien
gut, andere böse. Denn sie seien genau wie wir Menschen männlich oder
weiblich und auch von Gefühlen wie
Hass, Neid und Liebe geprägt. Allerdings hätten die Geister Kräfte, die
die Menschen nicht hätten. Böse Geister missbrauchen diese Kräfte, um
Menschen zu schaden. „Es kommt
vor, dass ein Geist sich in einen Menschen verliebt. Der Geist versucht jeden Erfolg der betroffenen Person mit
dem anderen Geschlecht zu verhindern, um seinen Geliebten nur für
sich zu behalten.“
Ein Ritual gegen Depressionen
oder Streit in der Ehe
In diesem Fall ist dann das HadraRitual notwendig, ein fast schon alltägliches Ritual, das überall im Land
stattfindet, allerdings immer nur in
Privathäusern und nicht in der Öffentlichkeit, denn das Ritual verstößt
gegen den islamischen Glauben, weil
dabei ein Tier geopfert wird. Im Islam
aber darf man Tiere nur für das Opferfest schlachten oder um sie zu essen. Obwohl ein guter Moslem nicht
abergläubig sein darf, erhoffen sich
viele Marokkaner von dem Ritual
Hilfe, wenn sie unter Depressionen
leiden, Streit in der Ehe haben oder
unglücklich verliebt sind.
An einer Hadra-Zeremonie nehmen neben der Gnawa-Gruppe bis zu
20 Gäste teil. Frauen machen den
größten Teil der Hadra-Anhänger
aus. „Das liegt unter anderem daran,
dass die Zahl der Analphabeten unter
Frauen in Marokko sehr groß ist. Deswegen hängen sie stark am Aberglauben“, erklärt Mohammed Albadaoui,
Professor für Geschichte und Gesellschaft in Fes. Im Gegensatz dazu behauptet Almahdi: „Zu uns kommen
Frauen, die eine gute Ausbildung haben, manchmal auch Ärztinnen und
Lehrerinnen.“
Das Hadra-Ritual darf nur nachts
stattfinden, denn mit Sonnenaufgang
soll für die betroffene Person ein neues Leben beginnen. Die Zeremonie
beginnt bei Sonnenuntergang. Dabei
wird Weihrauch verbrannt, um in die
Welt der Unsichtbaren einzutreten.
„Es öffnet sich so eine Tür zwischen
zwei Welten“, sagt Almahdi. Langsam fangen die Gnawa unter Leitung
der Maullay Zarie mit Gesangserzählungen an, um die sieben Könige der
Geister, die „Mluk der Djinn“ zu rufen, denn die „haben die Macht und
die Kraft, die betroffene Person von
dem bösen Geist zu befreien“, behauptet Almahdi. Die Sprache der Erzählungen
gehört
zu
den
Geheimnissen der Gnawa und darf
nur deren Nachfahren beigebracht
und erklärt werden.
Böse Geister werden mit dem
Blut des Opfertieres vertrieben
Dann beginnt die Gnawa zu musizieren und das Tier, meistens ist es
ein Hahn oder ein Schaf, wird als Zeichen für die Anwesenheit der Geister
geschächtet. Während das Blut in einer Schüssel aufgefangen wird, müssen die Trommler und Flötenspieler
in unterschiedlichen Rhythmen spielen, um die anwesenden Gäste vor
den bösen Geistern zu schützen. Mit
der Schüssel voll Blut laufen die Gnawa im Raum herum, der nur mit Kerzen beleuchtet ist. Nach und nach
gelingt es den Gnawa mit ihren geistigen, intensiven Gesängen und Rhythmen die Teilnehmer der Hadra in
einen tranceartigen Zustand zu versetzen, in dem sie harte Sprünge und
Drehungen ausführen und unbewusst schreien. Dies dauert die ganze
Nacht. Kurz vor dem Ende des Rituals spielen die Gnawa wie zu Anfang
langsamer und leichter, damit sich
die Teilnehmer wieder entspannen.
Schließlich lässt die betroffene Person
die Schüssel mit dem Blut fallen, damit es in alle Richtungen spritzt und
so die letzten bösen Geister vertreibt.
Jetzt herrscht absolute Ruhe. Die betroffene Person wird ohnmächtig und
fällt auf den Boden. Dann erklingen
die gellenden Juojuo-Rufe der Frauen. Sie rufen zum Ende des Hadra-Rituals auf. Am nächsten Tag
verspeisen die Teilnehmer das Opfertier, um wieder zu Kräften zu kommen.
Hat das Ritual nicht gewirkt, muss
es noch einmal vollzogen werden —
und wieder Blut fließen.
Mit ihrem Blut haben viele Afrikaner das Ende der
Kolonisation und den Schritt in die Freiheit bezahlt. An dieses vergossene Blut erinnert die rote
Farbe in der Flagge der Panafrikanismus-Bewegung. Sie soll alle Volksgruppen Afrikas an die gemeinsame Herkunft erinnern. Seit dem ersten
Panafrikanischen Kongress im Jahre 1900 wird die
Bewegung mit einer dreifarbigen Flagge symbolisiert: Neben Rot stehen Grün für die Vegetation
des Mutterlandes und Schwarz für die Menschen.
Die Flagge orientiert sich an der Äthiopiens: Es
war das einzige Land, das nicht unter der Herrschaft von europäischen Kolonialmächten stand.
ASIEN
Nur ein Saft unter vielen ist Blut für die Asiaten. In der
traditionellen chinesischen Medizin ist Blut ein Energieträger der Ying-Gruppe. Die beiden Gegenpole Ying
und Yang sind in der chinesischen Medizin die wichtigsten Faktoren für einen gesunden Körper und eine
gesunde Seele. Ursache einer Krankheit kann eine Störung des Energieflusses Qi sein. Damit die Energie wieder ungehindert fließen kann, wird unter anderem
Akupunktur angewandt. Ying-Elemente, also auch das
Blut, werden bei chronischen Krankheiten untersucht.
Bei akuten Beschwerden wird die Ursache bei YangOrganen, zum Beispiel dem Magen und der Gallenblase, gesucht.
AUSTRALIEN
Das Blut floss in Strömen, wenn die Azteken ihren Göttern Opfer brachten. Meistens wurden Kriegsgefangene, Sklaven oder Kinder getötet,
um die Götter gnädig zu stimmen. Vor allem den Gottheiten der Sonne,
der Toten, des Regens und des Stammes wurden solche Blutopfer dargebracht. Zu Ehren des Kriegs- und Sonnengottes schnitten Priester
dem Todgeweihten bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust und
legten es in geweihte, steinerne Opferschalen. Die Zuschauer verspeisten anschließend oft die Gliedmaßen der Toten. Die Götterbilder auf
dem Tempel wurden dann mit dem Blut des Geopferten bemalt. Um
den Kriegs- und Fruchtbarkeitsgott gnädig zu stimmen, zogen Priester
den gefesselten Opfern bei lebendigem Leib die Haut ab und trugen
diese mehrere Tage als Mantel. Mit diesem neuen Mantel des Priesters
sollte das Gras als neuer Mantel für die Erde symbolisiert werden.
Ein Bad in Menstrualblut als wirksames Mittel gegen Aussatz – klingt eklig, war aber im frühen Mittelalter gängige
Praxis. Das Rezept stammt von der Äbtissin Hildegard
von Bingen, die Blut bei verschiedenen Krankheiten als
Heilmittel empfahl. So soll zum Beispiel das Blut aus dem
Uterus einer Jungfrau schmerzende Gelenke, also die
Gicht, lindern. Auch die Gebrüder Grimm berichten, dass
ein Bad in dem Blut einer Jungfrau wahre Wunder wirken
soll, denn schließlich, so die Begründung, sei dieses Blut
noch so rein und voller Leben, dass es den kranken Körper reinigen könne.
AFRIKA
EUROPA
Die „Beerdigung“ einiger Blutstropfen im Amazonas-Gebiet Mittelamerikas hat vor ein paar Jahren bei den Yanomami-Indianern für
Aufregung gesorgt. Es ging um das Blut von Stammesangehörigen,
denen vor einigen Jahren Blut entnommen worden war, um es auf
Malaria zu testen. So hatte man es ihnen gesagt. Doch in Wirklichkeit wurden mit dem Blut Gen-Analysen durchgeführt, um die Ergebnisse im „Human Genome Diversity Project“ zu speichern,
einer Art Datenbank, in der das Gen-Material von Naturvölkern gesammelt wird, die vom Aussterben bedroht sind. Die Gene, die unverfälschter als die zivilisierter Kulturen sind, sollen bei der
Entwicklung neuer Medikamente und AIDS-Impfstoffe helfen.
Doch für die Yanomami-Indianer fließt im Blut eines Stammesmitgliedes auch dessen Kultur und das Andenken an seine Ahnen.
Deswegen forderten sie das entwendete Blut wieder ein, um es
dem Amazonas, dem Ursprung des Lebens, zurückzugeben.
SÜDAMERIKA
MITTELAMERIKA
Gestohlenes Blut und ermordete Sklaven
Body-Painting der ganz besonderen Art gibt es in
Australien: Bei den Ureinwohnern, den Aborigines, gehört eine Bemalung aus ockerfarbenem
Lehm und Blut zu den spirituellen Tänzen. Männer malen mit Staub und dem Blut aus ihren
Armvenen Muster auf ihre Körper, um die magnetischen Schwingungen der Erde besser spüren
zu können. Dahinter steckt eine nüchterne chemische Erklärung: Blut und Ocker enthalten Eisenoxidverbindungen, die mit dem Erdmagnetismus
wirken. Zellen und Moleküle richten sich parallel
zu den Magnetfeldern aus. So und durch die
tranceartigen Tänze sollen die Aborigines eine
Verbindung zu den unsichtbaren Energiewelten
herstellen können.
EVA PALITZA
TEILKULTUR
CONTAINER
5
BLUTSPRITZER
Verdammt scharf:
Maria macht blau
Obwohl die Verkleidung von
Vampir Peter Eck
furchterregend
aussieht, verletzen
sich die Akteure
beim VampirRollenspiel nicht
wirklich. Die
Kämpfe spielen
sich nur in der
Fantasie ab und es
geht hauptsächlich
um Intrigen und
Lügen.
Manch einer schwört darauf, wenn er
nach durchzechter Nacht mit einem
Kater aufwacht: Die Bloody Mary.
Ursprünglich bestand der Cocktail
nur aus Wodka und Tomatensaft.
Aus geschmacklichen Gründen verfeinerte man ihn später unter anderem mit Zitronensaft, Tabasco und
Worcestersauce. Erfunden hat die
Bloody Mary der Pariser Barkeeper
Fernand Petoit in den 20er Jahren.
Woher sie ihren Namen hat, ist bis
heute allerdings nicht eindeutig geklärt. Einige führen ihn auf die englische Thronerbin Maria „Bloody
Mary“ Tudor zurück. Andere glauben, Ernest Hemingway habe den
Drink seiner Ehefrau Mary Welsh gewidmet. Verwendet man statt Wodka einen Schuss Tequila, nennt sich
die Kreation „Bloody Maria“ — mit
Rum heißt sie „Bloody Morgan“ und
mit Reiswein „Bloody Geisha“.
mf
Anders gekleidet:
Blutsgeschwister
Eher die Bluse mit biederem Blumenretromuster und rosa Glitzergürtel,
oder doch lieber Aschenbrödels märchenhafter Drei-Nüsse-Coat mit
schräger Zipfelmütze? Das Stuttgarter Modelabel „Blutsgeschwister“
kleidet seit fünf Jahren Blutsschwestern zwischen 14 und 25 in respektlose Stilmixe antiquierter
Blümchenmuster und hipper Kitschmode. Mittlerweile hat sich die ehemalige Indie-Marke einen breiten
Kundenstamm aufgebaut: Der eigenwillige Blutsschwestern-Stil ist heute
selbst für Bürokauffrauen schick und
die Klamotten werden bis nach Israel
verschifft. Blutsbrüder hatten bisher
noch keine Fashion-Blutbank. Das
soll sich jedoch mit einer Männerkollektion ändern: Ab Sommer 2007 sollen alle Winnetous und Old Shatterhands nur noch in Retrohemden reiten und ihren Durst mit der Blutsgeschwister-Feldflasche für fünf Euro
stillen.
rf
BILD: CELEBRITIES ENTERTAINMENT
Einfach pervers:
Das KuscheltierMassaker
Sie sind kleine, kitschig-plüschige
Tierchen, heißen Flippy, Flaky oder
Giggles und springen lachend und
singend durch ihre bonbonfarbene
Welt. Bis ihnen ein explodierender
Mülleimer den Kopf zerfetzt. Die
Happy-Tree-Friends polarisieren wie
kaum eine andere Zeichentrickserie:
Drohen ihre makabren Späße ein
ganzes Genre zu pervertieren, oder
ist es lustig, wenn sich ein Elch mit
einem Löffel sein eigenes Bein amputiert? Ja, ist es. Zumindest für die
Fans der Serie. Denn wer sich so etwas ansieht, hat einen gewissen
Hang zum Sadismus, und anhand einer Comicserie darf er den auch ausleben. Schließlich ist bis heute noch
kein Amokläufer bekannt, der wegen
eines solchen Cartoons gleich ein Kuscheltiermassaker angerichtet hätte.
Wem metzelnde Eichhörnchen aber
zu niveaulos sind, der schaltet einfach ab. Und wer unter 16 ist am besten auch.
mf
BILD: MARKUS HACKL
Vampire ohne Biss
S
VON
Rollenspieler treffen sich einmal im Monat im Nürnberger Stadtpark
BRIGITTE ZINTZ
chwarze Decken umhüllen die
Tische, Kerzen flackern und leise,
klassische Musik erfüllt den
Raum, in dem sich ein Dutzend
Frauen und Männer versammelt
haben und schweigend auf den großen, grimmigen Mann starren, der mit
gefalteten Händen und gesenktem
Blick an einem der Tische sitzt: Prinz
von Bülow, der Mächtigste unter
ihnen, der, der über Leben und Tod
entscheidet, hat etwas zu sagen: „Ich
möchte, dass Wunsdorf zu mir
kommt.“ Ein junger Mann tritt in die
Mitte, verbeugt sich tief und nimmt
zitternd das Urteil des Prinzen entgegen: Ihm soll die Hand abgeschlagen
werden. Was er getan hat, weiß keiner
genau, aber das Urteil wird trotzdem
ohne Widerrede vollstreckt. Ein
schneller Hieb mit dem Messer, ein
Schrei — Wunsdorf liegt ohnmächtig
am Boden.
Seine Hand hat er aber trotzdem
noch, denn fast alles, was hier geschieht, geschieht in der Phantasie all
derer, die sich jeden vierten Freitag
im Monat im Kulturladen Nord in
Nürnberg
zum
Live-VampirRollenspielabend treffen. Wenn sie
sich sehen, fallen sie nicht nach Vampir-Manier übereinander her, denn
mit Blutsaugen und Überfällen auf
Passanten hat das Rollenspiel überhaupt nichts zu tun. „Wir sind Vampire, weil das erotische und grazile
Wesen sind“, erklärt Peter Eck (30).
schlägt eine Kirchturmuhr. Es ist Mitternacht. Kaum jemand ist zu dieser
Stunde noch unterwegs.
Peter, der als Industriemeister für
Chemie arbeitet, leitet das Rollenspiel
und so folgen ihm alle zunächst einmal nach draußen in den Park. Eine
kurze Einweisung: „Kein Alkohol,
keine Drogen“, und schon sind alle
„In-Time“, also im Spiel. Als Spielleiter sorgt Peter dafür, „dass das Spiel
läuft, wenn es einmal eingeschlafen
ist.“ Mit kleinen Tipps hilft er den anderen auf die Sprünge, denn er ist der
Einzige, der über jeden Charakter Bescheid weiß. Die anderen müssen sich
dieses Wissen erarbeiten — am besten klappt das mit Hilfe von Intrigen
und Lügen. Manchmal übernimmt
Peter eine kleine Rolle oder er spielt
einen Fremden, je nachdem, wie der
Abend seinen Lauf nimmt. Aber darauf hat selbst er keinen Einfluss, denn
das Spiel ergibt sich aus dem Moment
heraus und immer sind es die Spieler
selbst, die entscheiden, welche Richtung die Handlung einschlagen soll.
Nach und nach verbreitet sich in
der Gruppe das Gerücht, dass jemand
aus einem feindlichen Clan im Park
umherschleicht. „Das ist gar nicht
gut“, bemerkt Jakob Miller. Er ist der
Hüter des Elysiums und macht sich
deshalb auf die Suche nach dem
Feind. Ein paar andere folgen ihm.
Miller ist ein vergesslicher, recht
ängstlicher Regisseur in Anzug und
mit Hut, ein Charakter, den sich Student Oliver vor zwei Jahren geschaffen hat.
Miller und die anderen beratschlagen, was zu tun ist. Im Park ist es
dunkel und kalt. Nur hier und da
spendet eine Laterne ein wenig Licht.
Einige ziehen die Mäntel enger um
den Körper, andere halten die Arme
verschränkt vor der Brust oder ziehen
sich die Hüte tiefer in die Stirn. „Ich
hab ihn da hinten gesehen. Am besten teilen wir uns auf und kreisen
ihn ein“, sagt Vampir Markus, alias
Harald. Und so streifen sie paarweise
umher. „Das ist beunruhigend, äußerst beunruhigend“, flüstert Miller
immer wieder. Sobald nur das kleinste Geräusch ertönt, sieht er sich ängstlich nach allen Seiten um. Der Wind
fegt ihm beinahe den Hut vom Kopf,
die Blätter rascheln. Aus der Ferne
einen Herzfehler. Bisher waren bei
keiner der Operationen Blutkonserven nötig.
Lisa Sennholz, Ende 40, aus Schernfeld, lehnt Transfusionen ebenfalls
ab. Sie ist genau wie ihre Glaubensschwester Gudrun König noch nicht
ihr ganzes Leben Zeugin Jehovas. Bevor sie sich für die Glaubensgemeinschaft entschieden hat, war sie
Katholikin und hat sogar selbst Blut
gespendet. „Früher, da war das ganz
normal, man kannte ja nichts anderes.
Aber jetzt wissen wir, dass es x Alternativen zur Transfusion gibt.“
In den Publikationen der Glaubensgemeinschaft, zum Beispiel im Wachtturm, wird das Thema immer wieder
aufgegriffen. Außerdem werden Zeugen, die vor einer Operation stehen,
vom Krankenhausverbindungskomitee der Gemeinschaft beraten. Lisa
Sennholz ist davon überzeugt, dass
die Zeugen deswegen sehr gut Bescheid wissen: „Ich würde mich von
keinem Arzt einschüchtern lassen,
der sagt, die Chancen stehen so und
so. Weil ich mir sagen würde: 'Ist der
diesbezüglich so gut informiert wie
ich?'“
Um ihre Ablehnung von Transfusionen deutlich zu machen, führt Lisa
Sennholz immer das „Dokument zur
ärztlichen Versorgung“ in ihrer
Handtasche oder in einem Brustbeutel mit sich. Mit diesem amtlich oder
notariell abgestempelten und somit
für Ärzte verbindlichen Ausweis verweigern Zeugen Jehovas die Annahme von Vollblutspenden sowie von
roten und weißen Blutkörperchen,
von Blutplättchen und -plasma.
„Wenn ein Zeuge bei Besinnung ist
und kompromisslos Transfusionen
ablehnt, muss sich der Arzt daran
halten“, meint Dr. Josef Schmidramsl,
leitender Oberarzt der Anästhesie der
Klinik Eichstätt. Bei Operationen, die
keine Notfälle sind, sei es für den Mediziner eine absolut freiwillige Sache,
einen Zeugen zu behandeln.
Schmidramsl behält sich zum Beispiel
vor, Operationen bei Zeugen, bei denen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Blutkonserven benötigt werden,
abzuweisen.
Ein Arzt eines Augsburger Krankenhauses, der anonym bleiben will,
geht ähnlich vor wie sein Kollege. Allerdings kann er die Einstellung der
Zeugen grundsätzlich nicht unterstützen: „Ich lasse den Patienten nicht
sterben wegen zwei, drei scheiß Blutkonserven.“ Er hat die Erfahrung gemacht,
dass
etliche
Zeugen
angesichts einer lebensbedrohlichen
Situation doch Transfusionen annehmen. Oft käme diese Einsicht jedoch
reichlich spät und die Heilungschancen seien dadurch beispielsweise bei
Krebspatienten vermindert: „Der Tumor wächst und irgendwann merkt
der Patient, dass in seinem Körper
was passiert – dann will der Idiot
doch Blut. Vorher wäre die Operation
noch einfach gewesen, nach ein paar
Jahren ist es die totale Katastrophe.“
Es gibt Momente, in denen die Ansichten der Zeugen Jehovas auch den
Eichstätter Arzt Schmidramsl in Rage
bringen. Zum Beispiel, wenn die
Glaubensgemeinschaft kritisiert, dass
sich viele Ärzte nicht mit Alternativen befassen und gewohnheitsmäßig
auf Blutkonserven zurückgreifen
würden. „Das halte ich für absoluten
Quatsch und da ärgern mich solche
Leute dann auch“, sagt Dr. Schmidramsl: „Wir geben ja nicht Blut, weil
wir lustig sind, sondern weil es der
Patient lebensnotwendig braucht.“
In der Situation, in der nur eine
Blutkonserve Leben retten könnte,
waren Gudrun König und ihr Sohn
Samuel trotz aller Operationen noch
nie. Doch was wäre, wenn das einzige, was Samuel am Leben halten
könnte, eine Transfusion wäre? Gudrun König würde, so meint sie, wahrscheinlich trotzdem ablehnen: „Diese
Entscheidung kann man nur treffen,
wenn man absolut davon überzeugt
ist, dass es noch ein anderes, ein ewiges Leben gibt, das man nur von Gott
erhalten kann.“ Dieses ewige Leben
ist für Gudrun König und die Zeugen
Jehovas wichtiger als das irdische Leben.
Gegen acht Uhr am Abend trudeln
die Spieler ein. „Na, wie war euer
Tag?“, fragt Chemielaborant Harald
(24). Hausfrau Christiane (29) erzählt
von ihrer Tochter, während Student
Oliver (24) über das Mensaessen
schimpft. Während sie miteinander
plaudern, helfen sie alle den Kulturladen mit schwarzen Tüchern und Kerzen
zum
Elysium,
dem
Gemeinschaftsraum, zu verwandeln.
Hier darf keine Kampfhandlung
stattfinden, selbst wenn sich ein
Feind im Elysium aufhält. Hin und
wieder verschwindet einer nach
draußen, um sich umzuziehen. Jeder
hat sich einen eigenen Charakter geschaffen, eine Rolle, in die er mit dem
Wechseln der Kleider schlüpft.
Intrigen und Lügen bringen das
Spiel in Gang
Gemeinsam ringen die Spieler
den Eindringling zu Boden
In der dunkelsten Ecke des Parks,
gleich neben dem Spielplatz, kreisen
sie den Eindringling, den Spielleiter
Peter mimt, ein. Sie stürzen sich auf
ihn und ringen ihn schließlich zu Boden. Mit letzter Kraft greift Peter in
seine Tasche und zieht eine Flasche
Brandverstärker heraus, übergießt
sich mit der Flüssigkeit, greift nach einer Pistole und drückt ab. Ein riesiger
Feuerball erfasst die Vampire. Sie
taumeln in alle Himmelsrichtungen
davon und fallen erschöpft ins kalte,
nasse Gras. Miller hat es gerade noch
zu einem Baum geschafft, an dem er
nun lehnt. Er atmet unregelmäßig,
greift sich an die Brust, um zu zeigen,
wie anstrengend der Kampf war. Er
muss sich von dem Abenteuer, das
sich nur in der Phantasie abgespielt
hat, erst einmal erholen, ehe es weiter
gehen kann.
Egal wie kraftraubend das Spiel
auch ist: Wenn Oliver zu Miller wird,
sind diese Abende für ihn „wie Urlaub“, denn dann zählen die Nöte
und Sorgen in seinem wirklichen Leben nicht mehr. Jetzt ist er Miller —
und der hat andere Probleme.
Weitere Informationen zum Spiel
gibt es unter: www.blutsband.de
Bei Blut sehen die Zeugen Jehovas rot
VON
JOHANNA KEMPTER
Sie würde lieber sterben als eine Blutkonserve anzunehmen:
Gudrun König aus Adelschlag
ist Zeugin Jehovas. Die Glaubensgemeinschaft hat in
Deutschland rund 164 000 Mitglieder. „Wir lehnen Bluttransfusionen ab, weil wir uns nach
unserem Gott Jehova ausrichten und der nicht möchte, dass
wir Transfusionen annehmen.“
Gudrun König hängt am Wehenhemmer-Tropf — ihr Kind soll per Kaiserschnitt auf die Welt kommen. Als der
Narkosearzt den Kreissaal betritt, erfährt er, dass seine Patientin Zeugin
Jehovas ist. Er weigert sich daraufhin
zunächst, bei der Operation mitzuwirken. Schließlich lässt er sich aber
doch umstimmen und wenig später
wird Gudrun Königs Sohn Timo geboren.
Heute weiß Gudrun König, dass sie
— weil sie Transfusionen ablehnt —
vor jedem Eingriff nicht nur mit dem
operierenden Arzt, sondern auch mit
dem Anästhesisten sprechen muss.
Die 47-Jährige leidet an Gelenkrheuma und ist mittlerweile rund zehn
Mal operiert worden. Auch ihr zweiter Sohn Samuel musste schon zwei
Mal unters Messer: Der 14-Jährige hat
6
Mit Rost und Bratspieß
für die Blutwurst
G
VON
PETRA HEMMELMANN
ewänder aus schwerem Samt:
Rot wie Blut, weiß wie Speck und
schwarz wie Blutwurst. Dutzende Robenträger reihen sich an diesem Märzsonntag auf dem Podium im
Rathaussaal von Mortagne-au-Perche
aneinander. Einer der Männer löst sich
aus der Gruppe. Mit einem riesigen
Bratspieß in der Hand schreitet er zum
Bühnenrand, wo fünf Männer mit gesenkten Köpfen warten. Der Robenträger berührt mit geübtem Schwung
zunächst den Kopf des Ersten mit dem
Spieß, dann die linke und schließlich die
rechte Schulter: „Bei Hiram, dem König
von Tyr und den Phöniziern, den Erfindern der Blutwurst, bei Lucullus, dem
Meister der Kochkünste, schlage ich Sie
zum Blutwurstritter.“ Beifallrufe und
Applaus – ein neuer Ritter der Blutwurst
ist geboren.
Die Confrérie des Chevaliers du GoûteBoudin, die Bruderschaft der Blutwurstritter, wurde 1963 in Mortagneau-Perche gegründet, einer kleinen
Stadt in der Normandie, die schon seit
dem Mittelalter als Hauptstadt der Blutwurst gilt. Jedes Jahr im März lädt die
Bruderschaft zum internationalen Wettbewerb um die beste Blutwurst, an dem
auch immer mehr deutsche Metzger
teilnehmen. Im vergangenen Jahr
stammten knapp hundert der 550 eingereichten Blutwurstproben aus Deutschland.
Einige Metzger fahren sogar selbst
nach Frankreich, weil sie der Bruderschaft beitreten wollen, wie Uli Schumann, 49-jähriger Metzgermeister aus
Hannoversch Münden. Als Schumann
2003 erstmals am Blutwurstwettbewerb
teilnahm, gewann er gleich eine Goldmedaille. Die Öffentlichkeit bekam davon schnell Wind: Schumann wurde
interviewt, gefilmt und erhielt sogar ein
Glückwunschschreiben aus dem Kanzleramt. Bereits im Jahr darauf erklomm
er den Blutwurst-Olymp: Mit dem besten Gesamtergebnis aller Zeiten gewann er den Grand-Prix d’excellence und
empfing den Ritterschlag.
Jedes Jahr werden etwa vierzig Blutwurstbegeisterte auf Antrag oder Vorschlag zu Rittern ernannt, insgesamt hat
die Bruderschaft mehr als 2000 Mitglieder. Die feierliche Aufnahmezeremonie
findet Ende März im Rathaus von Mortagne statt. In kleinen Gruppen befragt
Großmeister Jean-Claude Gotteri die
Anwärter zunächst zu ihrer Motivation.
Dann legen die Neulinge unisono den
Inthronisationseid auf die Insignien der
Bruderschaft ab: „Auf Rost und Bratspieß schwöre ich, dass ich für alle Zeiten und an allen Orten die Blutwurst
von Mortagne verteidigen werde.“ Außerdem versprechen sie, mindestens
einmal in der Woche Blutwurst zu essen. „Dieses falsche Versprechen gibt jeder anstandslos“, sagt Jean-Michel
Eichelbrenner schmunzelnd. Der aus
Deutschland stammende Professor gehört zum Vorstand der Bruderschaft.
Als Zeichen der Liebe zur Blutwurst
muss ein angehender Ritter schließlich
eine Scheibe Blutwurst verkosten —
„eine Parodie auf das Abendmahl“, wie
Eichelbrenner erklärt. Dann erst tritt
der Großmeister in wallender roter Robe hervor und erteilt mit seinem riesigen Bratspieß den Ritterschlag.
Feldzug gegen Fertigfutter
Eine eigene Robe bekommt der Neuritter nicht. Diese Ehre ist den Dignitaires, also den Männern und Frauen im
Vorstand, vorbehalten. Weder unter
den Dignitaires noch unter der Wettbewerbsjury findet sich ein aktiver Fleischer. „Uns verbindet die Leidenschaft
für die Blutwurst — das genügt“, meint
Eichelbrenner. „Vorstand und Jury der
Bruderschaft bestehen ganz bewusst
nicht aus Fachleuten, sondern aus Normalverbrauchern.“
Als Hauptziel der Bruderschaft sieht
der 66-Jährige die Qualitätssicherung:
„Die Confrérie macht gute Ware bekannt und fördert sie. Wir wollen verhindern, dass traditionelle Spezialitäten
verloren gehen. Wenn wir nicht aufpassen, bekommen wir bald nur noch Fertigfutter.“
Beim Blutwurstwettbewerb werden
die Produkte daher sorgfältig begutachtet. Die Bewertung erfolgt nach drei
Kriterien: „Die Wurst muss den Augen
Freude machen, frisch duften und natürlich gut schmecken.“ Feierlich umrahmt wird der Wettbewerb durch das
Blutwurstfest La Foire au Boudin. Zum
Auftakt am Samstag marschieren bis zu
30 Bruderschaften in Trachten durch
die Innenstadt. Eine Blaskapelle untermalt den Festzug mit dem Lied „Tiens,
il y a du Boudin — Ei, heute gibt’s Blutwurst“. Bis Sonntag bewertet die Jury
die Würste, am Abend folgt dann der
Höhepunkt des Wochenendes: Jean-Michel Eichelbrenner gibt die Tische frei.
„Die Leute stehen schon mit Plastiktüten da und wetzen die Messer. Dann
drehe ich mich kurz um und wenn ich
wieder hinschaue, sind die Tische leer.
Gerade die deutschen Blutwürste sind
sehr beliebt.“ Während die Wettbewerbsteilnehmer vor einigen Jahren
noch hauptsächlich aus Frankreich,
Deutschland und Österreich stammten,
ist die Konkurrenz mittlerweile international. „Wir haben Wurst aus Belgien,
den Niederlanden, England, Irland, Italien, Spanien und sogar von den Antillen zu bewerten“, so Jean-Michel
Eichelbrenner.
Andere Länder, andere
Geschmäcker
Egal woher die Wurst kommt — ihre
Grundmasse ist überall ähnlich. Glibberig glänzender Speck und gekochte
Schwarten werden durch den Fleischwolf gedreht. In die haferschleimartige
Masse mischt der Metzger Salz, Zwiebeln, Pfeffer, Zucker, Nelken, Piment
und duftendes Majoran. Dann kippt er
Blut in den weiß-gelben Brei und mischt
alles mit den Händen durch. Ist der rötliche Wurstteig fertig, wird er in eine
Portioniermaschine gefüllt. Perfekt abgemessen schießt die Maschine die
Blutmasse in Naturdärme. Dunkle, etwas unregelmäßige Würste entstehen.
Bei etwa 80 Grad müssen die Blutwürste eine gute Stunde ins Wasserbad, anschließend können sie noch geräuchert
werden.
Da darf’s auch ein bisschen mehr sein: Deutsche Blutwurst.
BILD: PETRA HEMMELMANN
Im Gegensatz zur französischen Blutwurst werden der deutschen meist Einlagen wie Fleischstücke beigemischt.
Ein weiterer Unterschied: Während die
deutsche Blutwurst oft kalt verzehrt
wird, grillen Franzosen ihre Würste
grundsätzlich. Blutwürste deutscher
und französischer Art treten daher
beim Wettbewerb in zwei unterschiedlichen Kategorien an. In einer dritten
Sparte werden innovative Kreationen
verkostet. Hier ist Uli Schumann mit
seinen Ideen genau richtig: Ob Blutwurst mit Apfel-Calvados, Roquefort,
Pfifferlingen oder Pflaume — die Kreativität des Metzgermeisters kennt kaum
Grenzen. Freilich ist da nicht jede Kombination ein Geniestreich und so manches Experiment landet am Ende nicht
in der Auslage, sondern im Abfall. Beim
Blutwurstwettbewerb 2006 gelang Uli
und seiner Frau Eveline jedoch der große Coup: Blutwurstpralinen bescherten
ihnen Gold.
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7
A
Blutrotes Packeis:
Robbenjagd in Kanada
BLUTSPRITZER
Der blutigste Ort der Welt
Das Blut klebt ihr noch auf der Stirn:
Diese Sattelrobbe wurde eben in
Kanada gekeult. Über 300 000 Robben
werden jährlich wegen ihres Pelzes
getötet. Bereits ab dem zwölften
Lebenstag sind die Jungtiere zur Jagd
freigegeben und zu langsam, um den
Knüppeln und Gewehren der Jäger zu
entkommen. Noch auf dem Eis werden
die toten Tiere gehäutet, die Kadaver
bleiben in der Eiswüste zurück. Der
International Fund for Animal Welfare
(IFAW) berichtet zudem, dass einige
Robben noch am lebendigen Leib
gehäutet werden. Um gegen dieses
sinnlose Abschlachten anzukämpfen,
hat die Deutsche Bundesregierung im
Oktober 2006 ein nationales Handelsverbot für Robbenprodukte beschlossen. Kanadische Wissenschaftler
schätzen dennoch, dass der Bestand
an Sattelrobben bis 2011 um 30 Prozent zurückgehen wird.
Das Kolosseum in Rom, Gladiatorenstätte und Schauplatz von Hinrichtungen — ein Ort mit blutiger
Vergangenheit. Die Mitglieder des Kaiserhauses richteten grausame Spiele
aus: Tiere wurden aufeinander gehetzt
und Gladiatoren kämpften gegeneinander. Sogar Seeschlachten wurden nachgespielt. Jeder freie Bewohner Roms
hatte kostenlos Zutritt zum Kolosseum.
Zu fast allen Spielen gehörte auch die
Hinrichtung von Verurteilten, viele
wurden wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen. Historiker schätzen, dass im
Laufe der Jahrhunderte etwa 500 000
Menschen im Kolosseum starben. Im
18. Jahrhundert ließ Papst Benedikt
XIV. an dem Ort ein Kreuz aufstellen,
wo der frommen Legende nach Tausende Märtyrer ihr Leben für das Christentum hingaben. Bis heute findet dort an
jedem Karfreitag eine Prozession
„Du kennst und liebst sie als Tante”
BILD: IFAW
Ohne Schloss und Hofstaat:
Der Prinz von nebenan
E
VON
Fritz von Thurn und Taxis macht sich als Sportmoderator einen Namen
KATHARINA STRODTKÖTTER
in ganz normales Haus, eine
ganz normale Wohnung. Alles
in dieser Straße im Münchner
Stadtteil Bogenhausen deutet auf ein
ganz normales Leben hin. Höchstens
das goldene Klingelschild an der Tür
lässt erahnen, wer hinter den Mauern
wohnt, obwohl hier nur ganz schlicht
geschrieben steht: „Thurn und
Taxis“.
Fritz von Thurn und Taxis macht
es sich in dem roten Sessel im Wohnzimmer bequem. Er zieht die Hosenbeine hoch und schlägt die Beine
übereinander. Eigentlich wirkt auch
er ganz normal, doch er ist das, wovon jedes kleine Kind träumt: Ein
echter Prinz.
1950 wird Fritz von Thurn und Taxis in Linz an der Donau geboren. Er
stammt aus der zweiten Linie des
Fürstenhauses. „Wir standen immer
im Schatten der Regensburger, weil
die einfach mehr Geld hatten“, sagt
der 56-Jährige, zieht an seiner Zigarette und taucht gedankenverloren
in die Vergangenheit ab.
Als Fritz fünf Jahre alt ist, bekommt sein Vater eine Stelle als Geschäftsführer in einer Firma in
München und so zieht er zusammen
mit seinen Eltern und seinen beiden
Brüdern von Österreich nach
Deutschland. Der Vater stirbt sehr
früh und die Mutter hat es sehr
schwer, alleine mit drei Kindern über
die Runden zu kommen. „Meine
Mutter hatte mehrere Jobs und Verwandte unterstützten uns noch.“
Als Fritz von Thurn und Taxis in
die Schule kommt, muss er einiges
über sich ergehen lassen. „Als Kind
war mein Name für mich sehr belastend, weil jeder in Bayern wusste,
wer ich war.“ Vor allem durch die er- verabschiedet sich dann mit einem
ste Linie aus Regensburg ist sein Fa- liebevollen Kuss von ihrem Mann.
milienname in Bayern vielen ein Die beiden haben vor 30 Jahren geBegriff. So ist es für seine Mitschüler heiratet. Bea stammt aus einer ungaunverständlich, dass ein Prinz in ei- rischen Adelsfamilie. Kennen gelernt
ner ganz normalen Wohnung lebt. haben sie sich auf dem Standesher„Auf der einen Seite der Titel, auf der renball in München. Traditionell feianderen Seite die Realität. Das war ern einmal im Jahr alle deutschen
schon eine große Diskrepanz, die da Fürstenhäuser zusammen. „Meine
zum Tragen kam, aber da muss man Frau musste nicht aus dem gleichen
halt durch.“ Und das musste er noch Stall sein, aber so waren wir direkt
auf einer Wellenlänge“, besonders
einige Jahre.
In den 70ern kommt er nach dem was die Kleidung, das Benehmen
Abitur durch einen Bekannten in die und die Sprache betrifft. „Wenn man
Redaktion des Bayerischen Rund- in diesen Kreisen verkehrt, ist es sehr
funks. Auch dort begegnen ihm Kol- wahrscheinlich, dass man da dann
legen mit Misstrauen und Missgunst, auch seinen Partner trifft“, sagt er
weil sie nicht verstehen, warum ein und beugt sich zum gläsernen
Prinz arbeitet. „Es hieß, dass ich an- Couchtisch in der Mitte vor. Neben
deren Leuten den Arbeitsplatz weg- einer goldumrandeten Gebäckschale
nehmen würde. Das war für mich steht ein grün-goldenes Teeservice.
völlig überraschend, weil für mich Er gießt sich etwas Tee ein und trinkt
von Anfang an klar war, dass ich einen Schluck.
Zu Beginn seiner journalistischen
Geld verdienen muss, um leben zu
Laufbahn intereskönnen. Es war nie
sierte sich vor allem
die Rede davon, zu
die RegenbogenHause zu bleiben!“
„Als Kind war mein
presse für den BlauBekannt wurde
blüter.
Viele
Fritz von Thurn
Name für mich sehr
Homestorys wurund Taxis dann als
den über ihn geSportmoderator im
belastend.”
schrieben und die
Bayerischen FernReporter stellten in
sehen. Seit 1993 arFrage, ob es nötig
beitet
er
als
sei, dass man einen
FußballkommentaPrinzen als Moderator auch noch im
tor bei dem Sender Premiere.
Trotz aller Höhen und Tiefen ist er Fernsehen sah.
„Im Grunde ist es so…“ Fritz von
heute zufrieden mit seinem Namen
und seinem Titel. Verleugnet habe er Thurn und Taxis räuspert sich, überbeides trotz vieler Probleme jedoch legt kurz und fängt noch einmal an.
noch nie. „Ich habe ihn halt mit über- „Im Grunde vereinige ich zwei Welnommen und fühle mich mit ihm ten. Auf der einen Seite meinen Beruf
und auf der anderen Seite den Adel.
verbunden.“
Fritz von Thurn und Taxis` Frau Ich lebe also praktisch zwei Leben.“
Bea kommt ins Wohnzimmer und Nach kurzem Zögern fügt er hinzu:
serviert den frisch aufgebrühten Tee, „Aber trotz der zwei Leben habe ich
trinkt noch schnell eine Tasse und nur ein Gesicht.“
Blaues Blut
HINTERGRUND
Der Begriff „blaues Blut“ stammt
aus Spanien, wo die Adligen meist
viel hellhäutiger waren als die Bauern, die den ganzen Tag draußen
in der Sonne arbeiteten. Die Adligen dagegen waren meist im
Haus. Draußen schützten sie sich
vor der Sonne, denn blass zu sein
galt als vornehm. Durch die helle
Haut adliger Leute sah man die
Venen blau hindurch schimmern,
als ob das Blut blau wäre. Das hinterließ den Irrglauben, dass durch
die Adern des Adels blaues Blut
fließt. Im deutschsprachigen Raum
ist der Ausdruck seit Anfang des
19. Jahrhunderts bekannt
Bully statt Butler: Fritz von Thurn und Taxis macht es sich mit seiner französischen Bulldogge Kesbe auf der Couch bequem.
BILD: KATHARINA STRODTKÖTTER
statt, in der der christlichen Märtyrer
gedacht wird. Das Kolosseum in seiner
steinernen Form wurde im Jahr 80 nach
Christus fertig gestellt, finanziert unter
anderem durch die Plünderung des
Tempels von Jerusalem. Erst im Jahr
523 fanden keine Spiele mehr statt.
Während der Rückeroberungskriege
verfiel das Kolosseum.
An diesem Ort, an dem jeden Tag viel
Blut vergossen wurde, erinnerte Papst
Benedikt XVI. während des Kreuzwegs
2006 am Kolosseum nicht nur an die
Leiden Christi, sondern auch an die Leiden, die Menschen in der ganzen Welt
täglich erdulden müssen.
Auch der Islam kennt so einen Gedenktag. Am zehnten Tag im Muharram gedenken die Schiiten des Märtyrertods
des Prophetenenkels Hussain. Teils
kommt es dabei zu blutigen Selbstkasteiungen.
fb
H
VON
Eva Maria Chwalek hat im Alter von 18 Jahren erfahren, dass ihre Tante Heidel eigentlich ihre leibliche Mutter ist
MARIE-CAROLINE CHLEBOSCH
astig öffnet Eva die Tür der
Kommode im Schlafzimmer
ihrer Mutter. Sie nimmt die Metallbox heraus, in der die Eltern alle
wichtigen Dokumente aufbewahren,
und öffnet sie. Das Abiturzeugnis, das
sie sucht, liegt oben auf. Schnell die Box
wieder zu und ab zum Bewerbungsgespräch bei der „Vereinigten Industriegesellschaft Oberschlesien“. Doch etwas
blockiert den Verschluss des Metallkästchens: ein vergilbtes Blatt Papier. Eva
nimmt den Zettel und faltet ihn auseinander: „Adoptionsschein von Eva Maria
Chwalek. Die Minderjährige Eva wird in
Pflege gegeben bei Gerhard und Rosalie
Chwalek…“
„Eva, komm wir sind spät dran“,
schallt der Ruf der Mutter ins Schlafzimmer. Schnell faltet Eva das Papier
zusammen und steckt es zurück. Die
Gedanken rasen ihr durch den Kopf:
„Wie ist das möglich? Wie kann das
sein? Adoptionsschein? Was hat das zu
bedeuten? Warum steht da mein Na-
me?“ Es ist der 13. Juli 1970. Eva ist
achtzehn Jahre alt.
Am 26. November 1951 kommt Eva
in einem Krankenwagen in Hindenburg
in Oberschlesien zur Welt. Drei Monate
später gibt die Mutter das Baby ihrem
Bruder. Die junge, alleinstehende Frau
ist nicht in der Lage, sich um ihr Neugeborenes zu kümmern. Sie ist krank. Der
Vater des Kindes hat sie verlassen.
Erst eine Woche später erfährt Eva,
wer ihre leibliche Mutter ist
„Ich habe an dem Tag, als ich die Adoptionspapiere gefunden habe, den Namen meiner leiblichen Mutter noch
nicht gelesen. Erst eine Woche später,
als ich allein zu Hause war, habe ich mir
die Unterlagen genauer angesehen und
gemerkt, dass meine Mutter Adelheid
Chwalek heißt — meine Tante Heidel.
Es ist bitter, wenn du erfährst, dass
deine Tante deine Mutter ist. Du kennst
sie und du liebst sie als Tante. Ich bin ja
mit ihr aufgewachsen. Ich habe mit ihren Söhnen gespielt, ohne zu wissen,
dass es meine Brüder sind. In den Sommerferien war ich immer zwei Wochen
bei ihr. Sie ist ja meine Tante, wir sind
eine Familie.“ Evas braune Augen werden glasig. Sie nimmt die Brille ab und
fährt mit der Hand an den Lidern entlang. Dann rührt sie den Zucker vom
Boden der fast leeren Kaffeetasse. „Ich
habe meine Entdeckung für mich behalten. Ich hätte nie etwas gesagt. Aber
zwei Jahre später komme ich nachts
nach Hause und höre meine Mutter im
Schlafzimmer weinen. Als ich sie frage,
was los ist, sagt sie, dass sie mir etwas
gestehen muss, seit zwanzig Jahren
schon. Ich falle ihr ins Wort: `Wenn du
mir sagen willst, dass du nicht meine
Mutter bist, das weiß ich schon längst.
Es ist mir nicht wichtig. Du bist doch
meine Mama. Du bist es und warst es
immer.´ Da hab ich zum ersten Mal darüber geredet und auch erfahren, warum
ich weggegeben wurde.“
Eva starrt aus dem Fenster, hält kurz
inne und erzählt weiter: „Für Tante
Heidel war es schwer. Sie war krank
und erst zwanzig Jahre alt, als sie das
Kind bekam. Sie und ihre drei Geschwi-
Bluttaufe eines Restaurators:
Ochsen machen Farbe streichzart
VON
ANGELIKA BECK
Wer einmal durch einen Ort mit
Fachwerkhäusern gegangen ist,
dem sind bestimmt schon die roten oder rötlich-braunen Balken
aufgefallen, von denen es heißt,
sie seien in Ochsenblut getränkt.
Dirk Knüpfer, Restaurator vom
Freilandmuseum in Bad Windsheim hat getestet, ob Ochsenblut tatsächlich für das Streichen
von Fachwerkbalken geeignet
ist.
„Jetzt müssen wir das irgendwie zusammenrühren.“ Dirk Knüpfer geht an
Metalldosen, Bürsten und Pinseln vorbei zu einem Stahlschrank und holt eine
alte Weinflasche mit Leinöl für die Ochsenblutfarbe hervor. „Wenn ich’s im
Außenbereich anwenden will, habe ich
so eine bessere Wetterresistenz.“ Knüpfer, der sich tagtäglich mit dem Fachwerk beschäftigt, bezweifelt, dass der
Versuch gelingen wird: „Ich kann mir
nicht vorstellen, dass das Blut genug
bindet.“
Bad Windsheimer Passanten haben
da keine Bedenken. Sie teilen die weit
verbreitete Auffassung, dass Fachwerkbalken über Jahrhunderte hinweg mit
Ochsenblut bestrichen wurden und so
ihren rotbraunen Farbton bekommen
haben: „Heutzutage wird mit Farbe ge- Also, man nehme zuerst den Kalk…“ Er
strichen, aber früher ist Rinderblut ver- greift nach einem Spachtel und mischt
wendet worden“ oder „Rinderblut war den Kalk erst mal in einem großen Eidas früher, da hat es die Chemie noch mer durch. Nach ein paar Sekunden
nicht so gegeben“ ist da zu hören. Auch gießt er vorsichtig das Blut in den Kalk.
der Maler Erwin Sieund ist sich sicher: Dann rührt er die rote, quarkartige
„Früher haben die nur mit Ölfarbe oder Masse kräftig mit einem Pinsel um und
lächelt dabei verschmitzt. „Mhh… das
mit Ochsenblut gestrichen.“
Bauforscher sind sich dagegen einig, ist schon ganz schön eklig.“
Für die alten Germanen bedeutete
dass Blut nie als Farbe diente, sondern
nur als organisches Bindemittel. Die Ochsenblut nicht Ekel, sondern Stärke,
vorhandenen Proteine machen es mög- Leben und Schutz: In manchen Gegenlich. Zusammen mit Kalk ergeben die den Deutschlands war es vor rund 1500
Proteine eine nahezu unlösliche Verbin- Jahren üblich, dass zur Hochzeitsfeier
ein Ochse geschlachtet und anschliedung.
In der Werkstatt von Restaurator ßend die Türpfosten und die Schwelle
Dirk Knüpfer, die mitten im Freiland- mit dessen Blut eingestrichen wurden.
Nach der Feier trug
museum
steht,
der Bräutigam seine
herrscht für AußenBraut durch diese
stehende ein heillo„Mhh... das ist schon
Tür zum Vollzug der
ses Durcheinander.
Ehe.
Der sparsam eingeganz schön eklig.”
Dirk Knüpfer legt
richtete Raum steht
den Pinsel, mit dem
voll mit alten Gurer eben noch gerührt
kengläsern,
Gehat, zur Seite und
wichten,
Farbpigmenten in Säckchen auf Stahlre- kippt nun die eigentliche Farbe, das so
galen und Ordnern mit Bildern von al- genannte Eisenoxid in den Eimer. Daten Fassaden. Dazwischen liegt Dirk nach verdünnt er die rote Brühe mit eiKnüpfers Werkzeug: Hammer, Lappen, nem Schuss Wasser: „Jetzt haben wir
eine Staubmaske und Wattebäusche. eine streichbare Farbe.“ Der blumige,
Der 30-Jährige stellt Rinderblut, Nel- heuartige, aber gleichzeitig auch bittere
kenöl, Sumpfkalk, Eisenoxid, Kalkwas- Geruch des Leinöls überdeckt inzwiser und Leinölfirnis auf den Tisch und schen den metallischen Geruch des Bluwiegt alles ab: „Soll ich mal loslegen? tes.
ster, also auch mein Papa, waren Vollwaisen. `Bevor das Kind zu einem
Fremden kommt, nehme ich es´, soll ihr
Bruder damals gesagt haben.“
Wieder füllen sich ihre Augen mit
Tränen. „Meine leibliche Mutter habe
ich aber niemals auf das Thema angesprochen. Tante Heidel wollte mal mit
mir darüber reden, aber ich konnte das
nicht. Ich hab doch Eltern gehabt und
war glücklich gewesen.“
Die Wut steigt in Eva auf, als sie
sieht, wie liebevoll ihre Mutter das
Neugeborene wiegt
Eva nimmt einen Kugelschreiber in
die Hand und beginnt damit Kreise auf
ein leeres Blatt Papier zu zeichnen.
„Ich denke der Mensch wird so, wie
er erzogen wird. Wird er in einer liebenden Familie groß, mit einem christlichen Hintergrund, dann ist es doch
egal, wer die Eltern sind. Das Kind
braucht nicht zu wissen, dass es adoptiert ist, denn es dauert Jahre, bis man
mit dem Schmerz fertig wird.
Es gab nur einen Moment, da hat es
mir fast das Herz zerrissen. Einer meiner Brüder, Adrian, hatte seine erste
Tochter bekommen. Die ganze Familie
war versammelt und Tante Heidel hielt
das Kind den ganzen Tag in ihrem Arm.
Sie sang ihm vor, wiegte es in den
Schlaf und legte es liebevoll und behutsam in die Wiege. Da hab ich mir gedacht: So klein war auch ich damals
und du hast mich einfach weggegeben
und jetzt kümmerst du dich, als wärst
du die Mutter. Da war ich wütend und
enttäuscht, wollte sie anschreien, aber
das ist deine Mutter und du kannst es
dann nicht.“
Seit damals hat Eva kaum noch Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter. Das Blatt
vor ihr ist halb gefüllt mit Kreisen und
Sternen. Eva legt den Stift beiseite und
atmet einmal tief ein: „Trotz all dem
Schmerz habe ich Tante Heidel verziehen. Ich möchte auch nochmal mit ihr
sprechen. In diesem Jahr wird sie 77
Jahre alt, das wäre vielleicht eine gute
Gelegenheit. Ich will es versuchen —
wer weiß, wie viel Zeit uns noch
bleibt.“
Restaurator Dirk Knüpfer streicht das Fachwerk eines alten Hauses mit Ochsenblut. Zuvor
hat er die Farbe an einem Balken getestet.
BILD: ISABELLE MODLER
Vor allem in ländlichen Gegenden
Süddeutschlands und der deutschen
Schweiz wurde bis ins 19. Jahrhundert
Ochsenblutfarbe benutzt. In fast jedem
Bauernhof war im Keller Kalk gelagert,
zum Beispiel zum Streichen des Stalles,
denn Kalk hat eine desinfizierende Wirkung. Das Blut fiel beim Schlachten an,
aber nicht nur von Ochsen, denn jedes
beliebige Blut kann als Bindemittel benutzt werden. Das farbgebende Eisenoxid war als Abfallprodukt aus dem
Lehmabbau günstig zu beschaffen. Dieser Rostton wurde vor allem in Franken
gerne verwendet.
Mit dem Eimer voller Farbe in der
Hand geht Dirk Knüpfer aus seiner
Werkstatt in den Innenhof des benachbarten Fachwerkbaus, der um das Jahr
1600 errichtet wurde und heute als Sitz
der Museumsverwaltung dient. An einer Mauer gelehnt steht bereits der gut
einen Meter lange, alte Holzbalken zum
Anstreichen bereit. Knüpfer geht in die
Knie, taucht seinen Pinsel in die Farbe,
und beginnt eine Seite des Balkens zu
streichen. „Das macht jetzt schon einen
sehr roten Eindruck, ziemlich deckend.
Rot ist es aber nicht durch Blut, sondern
durch das Eisenoxid, das Pigment, was
wir mit reingegeben haben.“ Das Bindemittel aus Blut und Kalk würde sich ohne das Pigment stark ins Bräunliche
verfärben. „Man kann es leicht aufstreichen, es fließt leicht vom Pinsel… sehr
angenehm.“ Sein Fazit: „Sehr einfach
herzustellen und sehr gut zu verwenden. Das war jetzt meine Bluttaufe.“
8
MEDIEN
„Es bockt schon mehr, wenn Blut spritzt“
CONTAINER
Gegner töten, Kriege führen: Reizt den Computerspieler das intensive Spielerlebnis oder doch das Pixelblut?
E
VON
UND
FABIAN BEHRENDS
CHRISTIAN ROMAN
r folgt dem Lichtkegel seiner Taschenlampe, der durch den Korridor tanzt. Schritte. In den
Händen hält er ein Schrotgewehr. Er
weiß: Hinter der nächsten Ecke lauert
ein bewaffneter Wachmann. Er stürmt
um die Ecke und noch ehe der Wachmann die Möglichkeit hat zu reagieren, klickt der Abzug. Eine Blutwolke
füllt den Bildschirm. Der Spieler hat
keine Zeit über den Tod des Gegners
nachzudenken, denn schon stürmt
der nächste Wachmann auf ihn zu.
Blitzschnell zieht der Spieler zwei Pistolen und zielt: Zwei Kugeln in die
Brust und der Wachmann geht zu
Boden. Hinter ihm tropft Blut von der
Wand.
Bernhard lacht und verdreht die
Augen: „Das ist so vollkommen überzogen, dass es schon wieder witzig
ist.“ Der 18-jährige Schüler sitzt mit
vier Auszubildenden auf einer Parkbank. Soeben haben die Jugendlichen einen Ausschnitt aus dem
Computerspiel F.E.A.R. gesehen.
Über den Bildschirm des Laptops lief
erst eine blutige Version des FirstPerson-Shooters dann eine zensierte
Version, in der die Gegner unter Beschuss verschwinden und kein Blut
verlieren.
„Also wenn ich zwischen den Versionen wählen sollte, würde ich mich
für die unzensierte entscheiden. Die
finde ich lustiger. Es ist doch nur ein
Spiel und nicht echt“, sagt Johannes,
16 Jahre alt und rollt ein Zigarettenpapier gedankenverloren zwischen
den Fingern. Schließlich fügt er hinzu: „Ich würde mich aber wahrscheinlich auch an die zensierte
Version gewöhnen und es wäre mir
dann irgendwann egal, ob Blut fließt
oder nicht.“ Der 15-jährige Florian
schüttelt ungläubig den Kopf: „Mir
ist die ungeschnittene Fassung einfach zu krass. Das viele Blut wirkt absolut unnormal. Ich mag eher
realistische Spiele wie Fußball-Simulationen.“ Der 16-jährige Stefan findet, dass ein Actionspiel nicht vom
Blut, sondern von glaubwürdigen
Charakteren und einer packenden
Geschichte lebt. Er drückt die Wiedergabetaste und sieht sich erneut die
unzensierte Version an: „Aber es
bockt schon mehr, wenn ordentlich
Blut spritzt.“
Die Ansichten zum Pixelblut in
Computerspielen gehen in Spielerkreisen weit auseinander. Wenige
reagieren mit Unverständnis, für die
Mehrheit gehört es schlichtweg dazu.
D
VON
LENA WILDE
Adrenalinstoß mit blutigen Folgen: Im Computerspiel F.E.A.R. erschießt der Spieler einen gegnerischen Wachmann.
Diese Spieler beschwören immer wieder, dass die Blutdarstellung sie nicht
berührt, doch Wissenschaftler halten
dagegen. „Rot ist eine Signalfarbe,
der Mensch reagiert also sehr stark
auf Blut. Es löst zum Beispiel Angstzustände aus“, erklärt Dr. Bert te
Wildt, Oberarzt an der Medizinischen Hochschule Hannover.
Seit Ende seines Medizinstudiums
beschäftigt sich der Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie mit
den Wirkungen der Medien auf den
Menschen. „Im Gegensatz zu Filmen
agiert der Spieler in Computerspielen selbst“, erläutert Dr. te Wildt. Beson-ders intensiv erlebt der Spieler
das Geschehen dabei in den so genann-ten First-Person-Shootern, in
denen der Spieler die virtuelle Welt
aus der Ich-Perspektive betrachtet
und die Waffe in den unteren Bildschirmaus-schnitt hineinragt.
Der Blutdruck steigt —
die Atmung wird schneller
Das populärste Spiel dieser Art ist
Counter-Strike, eine Art virtuelles
Räuber-und-Gendarm-Spiel. Spezialkräfte der Polizei müssen Geiseln
befreien und Bomben entschärfen.
Die Terroristen hindern sie daran.
Counter-Strike-Spieler
behaupten
häufig, dass Blut nicht wichtig ist und
stattdessen die Taktik im Vordergrund steht“, sagt Dr. te Wildt. Diese
Argumente seien nur vorgeschoben,
in Wahrheit treibe den Spieler der
Blutrausch, ein niederer Instinkt, an.
Gerät der Spieler in einen heftigen
Schusswechsel, erhöhen sich Puls
und Blutdruck, die Pupillen weiten
sich und die Atmung wird schneller.
Der Adrenalinausstoß sei vergleichbar mit der Wirkung einer Droge.
Fabian Siegismund sieht das anders. Der Redakteur der Computerspiele-Zeitschrift GameStar und
Experte für Actionspiele und TaktikShooter entgegnet: „Für den Außenstehenden stellt sich ein blutiger
Shooter ganz anders dar als für den
Spieler selbst.“ Im Eifer des Gefechts
konzentriert sich der Spieler auf verschiedene Faktoren: Er sucht nach
Deckung, nimmt den Gegner unter
Beschuss und behält dabei die Munitionsanzeige im Auge. Wer da zu sehr
auf die Darstellung des Blutes achtet,
läuft Gefahr, nach kurzer Zeit den
virtuellen Tod zu sterben.
Der Aspekt der Verletzbarkeit ist
laut Aussage des Psychiaters nicht zu
unterschätzen. „Wenn die eigene
Spielfigur verletzt wird, wühlt es den
Spieler mehr auf“, erläutert er. Allerdings spielt sich dieser Vorgang im
Unterbewusstsein ab. Dr. Bert te
BILD: VIVENDI GAMES
Wildt vergleicht die unbewusste Reaktion auf das Blut mit der Blutabnahme: „Da ich stark konzentriert
bin, fällt es mir leicht.“ Den natürlichen Ekel vor dem Blut verbannt er
dabei in sein Unterbewusstsein.
Ähnlich konzentriert sich der Spieler, wenn er die Computergegner tötet. Er wird ebenso unbewusst
emotional berührt. Hier sieht der
Facharzt die Gefahr, dass Spieler von
First-Person-Shootern
verrohen
könnten.
Auch die immer realistischeren Bilder eines Computerspieles und die
damit verbundene Darstellung des
Pixelblutes werden häufig kritisiert.
Ein Verzicht auf fotorealistische Grafik hält Redakteur Fabian Siegismund jedoch für unsinnig: „Man
würde der Autoindustrie auch nicht
untersagen, leistungsfähigere Fahrzeuge zu entwickeln, nur weil damit
eventuell mehr Unfälle passieren.“
Doch es gibt auch Grenzen: Im Jahr
2002 löste ein Actionspiel heftige Diskussionen in der Spieleszene aus. In
dem First-Person-Shooter Soldier of
Fortune 2 legten die Entwickler besonderen Wert auf explizite Gewaltdarstellung und vernachlässigten den
Level-Aufbau sowie jegliche StoryElemente. Den Entwicklern schien es
wichtiger, jeden Gegner in verschiedene Trefferzonen einzuteilen. Warf
Krieg als Abenteuer für’s Auge
der Spieler etwa eine Handgranate
nach dem Gegner, so riss ihm die Explosion ganze Körperteile ab. „Geschmackloses Gesplatter“, findet
Siegismund.
Um einer Indizierung durch die
Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien zu entgehen, modifizieren viele Entwickler ihre Spiele für
den deutschen Markt. Manchmal mit
kuriosen Folgen: So verlegten die
Entwickler des Strategiespiels Command & Conquer das Szenario in ein
Paralleluniversum. Statt Soldaten bekämpfen hier Roboter einander, die
nach einigen Treffern Ölflecken hinterlassen und entsprechend nicht
nach dem Sanitäter, sondern nach einem Mechaniker rufen. Der deutschen Version von Soldier of Fortune 2
begegnete die Spielgemeinde mit Unverständnis. Die Entwickler hatten
die menschlichen Gegner in Roboter
mit albernen Schweißnähten und
Nieten im Gesicht verwandelt. Treffer werden nicht mehr durch eine
Blutfontäne angezeigt, sondern durch
Funken. Außer den Splattereffekten
wies Soldier of Fortune 2 jedoch keinerlei Besonderheiten auf. Folglich
schenkte niemand der entschärften
Fassung Aufmerksamkeit.
Grüne Spritzer statt rotem Blut:
Augenwischerei der Entwickler?
„Letztendlich sind diese Änderungen doch nur Augenwischerei um einer Indizierung zu entgehen“, wirft
der Psychiater Bert te Wildt den Entwicklern vor: Bei dem Spieler stelle
sich lediglich ein Verfremdungseffekt
ein. „Der Spieler, der über einen längeren Zeitraum grünes Blut im Spiel
betrachtet, gewöhnt sich und stört
sich irgendwann nicht mehr daran“,
erläutert Dr. te Wildt. Ähnlich sieht
das auch Fabian Siegismund: „Natürlich versteht man auch grünes Blut als
Blut — als Zeichen dafür, dass offensichtlich etwas mit der strukturellen
Integrität des Körpers nicht so recht
in Ordnung ist.“ Allerdings ist der
Redakteur der Meinung, dass diese
simple Umfärbung dem Spieler hilft,
sich leichter von Gewaltszenen zu
distanzieren. In der Eröffnungsszene
des Kinofilms Men in Black beispielsweise schießt der Schauspieler Tommy
Lee
Jones
auf
einen
Außerirdischen, der daraufhin zerplatzt und alle Umstehenden von
Kopf bis Fuß mit blauem Schleim bedeckt. Fabian Siegismund ist sich sicher: „Das blaue Blut wirkt
ungewohnt und deshalb komisch.
Mit rotem Blut würden wir die Szene
sicher anders aufnehmen.“
Die Würde des Menschen im Sucher — Kriegsberichterstattung im deutschen Fernsehen
as Bild der 9-jährigen Kim
Phuc ist weltweit bekannt: Auf
der Flucht vor Napalmbomben
rannte das vietnamesische Mädchen
um ihr Leben, ihre brennenden Kleider hatte sie in ihrer Not abgeworfen.
Der Vietnamkrieg war der erste Krieg,
der sich in aller Grausamkeit direkt
vor den Kameras und damit vor den
Augen der Welt abgespielt hat. Heute
laufen die Kameras in Kriegsgebieten
rund um die Uhr mit, bei Bombeneinschlägen, Überfällen und Hinrichtungen. Doch was davon darf gesendet
werden?
Katrin Sandmann, Korrespondentin
für den Nachrichtensender N24, zeigt
die Grenzen der Kriegsberichterstattung auf: „Es gibt geschriebene Regeln
wie den Jugendschutz, aber auch ungeschriebene Regeln, bei denen steht
die Menschenwürde im Vordergrund.
Wir zeigen in der Regel keine Gesichter von Toten und wir zeigen keine
Menschen im Moment ihre Todes.“
Auch Leichenteile werden bei N24 in
der Regel nicht gezeigt, versichert
Sandmann: „Stattdessen zeigen wir
Symbole, wie einen liegen gebliebe-
nen Schuh oder ein Spielzeug.“ Die
Entscheidungen für oder gegen eine
Aufnahme trifft sie dabei selber:
„Zwischen Redaktion und Reporter
vor Ort besteht ein Vertrauensverhältnis. Was und wie ich berichte,
überlässt mein Sender weitestgehend
mir.“
Auch Ariane Vuckovic, Korrespondentin für das ZDF Heute Journal hat
bei der Auswahl der Bilder freie
Hand. Da das Militär in der Regel ohnehin in den Medien präsent ist, geht
es ihr vor allem darum, der unter dem
Krieg leidenden Zivilbevölkerung
eine Stimme zu verleihen: „Ich glaube,
Eines der bekanntesten Kriegsbilder: Kim Phuc auf der Flucht vor dem Feuer der Napalmbombe 1972 in Vietnam.
BILD: NICK ÙT (AP)
wenn der Krieg nicht über Schicksale
transportiert wird, verliert der Zuschauer das Interesse.“ Im Libanon, so
berichtet Vuckovic, traf sie auf eine
Flüchtlingsfamilie, die auf ihrer Flucht
von Hubschraubern und Kampffliegern beschossen worden war. Von 26
Familienmitgliedern waren 21 auf der
Flucht gestorben. „Die kleine Tochter
war völlig traumatisiert“, erinnert sie
sich. Verständlich, dass eine solche
Geschichte auch den Zuschauer nicht
unberührt lässt. Auch wenn dies kein
Fall für den Jugendschutz ist, empfiehlt Vuckovic dennoch: „Das Heute
Journal ist nicht dafür gedacht, dass
Kinder es sehen.“
Trotz der Allgegenwärtigkeit von Kamerateams in Kriegsgebieten sei die
Kriegsberichterstattung in den letzten
Jahren nicht brutaler und blutiger geworden, betont Vuckovic.
Die Medienforscher Christian Büttner
und Magdalena Kladzinski von der
Hessischen Stiftung für Friedens- und
Konfliktforschung beobachten eine
ganz andere Entwicklung. „Heute
wird der Krieg in den Fernsehnachrichten als ‚Abenteuer für’s Auge’ inszeniert und das trifft auf alle Sender
zu“, bringt Kladzinski den gegenwärtigen Trend der Berichterstattung auf
den Punkt. „Nur die Emotionalisierung des Zuschauers schafft Quote“,
ergänzt Büttner.
Vor allem seit das Kriegsgeschehen
nicht nur auf die Nachrichten beschränkt ist, sondern als Unterhaltungselement
in
Filmen
und
PC-Spielen stattfindet, stehe die
Kriegsberichterstattung im Zugzwang, spektakuläre Bilder zu zeigen.
Die Gefahr, dass einige Zuschauer
auch die Nachrichten als Unterhaltung missverstehen könnten, sieht
Büttner allerdings nicht. „Ich glaube
schon, dass Kriegsbilder auch heute
eine abschreckende Wirkung haben,
weil es immer noch viele Menschen
gibt, die Fiktion und Realität unterscheiden können.“ Dem kann auch
die Reporterin Sandmann nur zustimmen: „Die Realität ist selbst mit den
heutigen Mitteln der Filmemacher
schwer nachstellbar. Ein echtes Gewaltopfer hat eine schrecklichere Wirkung als ein Kino-Toter.“
Das erklärt auch die heutige Bekanntheit von Kim Phucs Foto, obwohl es
vor über dreißig Jahren entstanden ist.
„Bilder haben Symbolkraft“, stellt
Vuckovic fest: „An das verbrannte
Mädchen aus Vietnam erinnert sich
auch heute noch jeder.“
ESSEN & TRINKEN
CONTAINER
Schnitzeljagd
Eine Blutfontäne schießt in die Metallschüssel: Gerade hat der Metzger das Schwein angestochen.
J
VON
BILDER (2): PHILIPP OBERGASSNER
Drei Metzgern beim Schlachten über die Schulter geschaut
PHILIPP OBERGASSNER
e weiter das Messer nach unten
wandert, desto mehr Darm quillt
heraus. Ein drückender Gestank
verbreitet sich. Mit zusammengepressten Lippen greift Jochen Döß tief
in die Bauchhöhle, schneidet die Blase
ab und wirft sie auf den Boden, wo
sich Gallen, Borsten und Hufnägel in
einer Blutlache häufen. Das Schwein
baumelt träge am Haken.
Noch vor einer halben Stunde ist
es zusammen mit neun Artgenossen
munter über die Fliesen im Schlachtraum der Metzgerei Zweygart in
Aidlingen gewuselt. Aber dann — es
ist sechs Uhr am Morgen — stapfen
die Metzger mit ihren Gummistiefeln
in den Raum, in dem es nach Dung,
Fett und Stroh riecht. Da werden die
Tiere nervös und pressen sich
quiekend in eine Ecke. Erst dumpf
und tief, steigt der kehlige Aufschrei
der Schweine schließlich in Tonhöhen,
die Mitleid erregen — aber nicht bei
einem Metzger. „Die Tiere sind ja
nicht dazu da, auf Gottes Erde spazieren zu gehen. Die sind dazu da, gegessen
zu
werden“,
sagt
Metzgermeister Walter Zweygart.
Klingt hart. Aber das Töten gehört
nun mal zu seinem Beruf.
Damit die Schweine geschlachtet
werden können, muss Metzgergeselle
Marcus Assmann sie erst einmal betäuben. Er packt die Schweine mit der
großen roten Stromzange am Hals.
Die Tiere hüpfen ruckartig nach oben,
dann fallen sie steif wie Plastikpuppen um. Die meisten zucken und zittern noch, einige haben sogar Schaum
vorm Mund. Sie sind jetzt hirntot und
bekommen nicht mehr mit, wie Metzgergeselle Olaf Sutter sie am Fuß festkettet und mit einer elektrischen
Hebevorrichtung an die Fleischerstange lupft.
Inseln in einem aufgeschäumten
Meer aus Rottönen
Döß sticht zu. Direkt in die Halsschlagader. Wie Wein aus einem Fass
strömt das Blut in die Schüssel. Das
Schweineherz schlägt noch und
pumpt den Körper in weniger als einer Minute leer. Der Schwall flaut ab.
Jetzt hebt und senkt der Metzger einen Vorderlauf des Schweins wie einen Brunnenschwengel und pumpt
so das restliche Blut aus dem Körper.
Schwarz und glibberig, fast wie Kaviar, sieht das geronnene Blut am Boden aus. Wie kleine Inseln schwimmt
es in einem aufgeschäumten Meer
aus Rottönen.
Die Eisenstange, an der die Schweine hängen, ist am Ende nach unten
gekrümmt. Als Döß den Tieren nach
dem Ausbluten einen kleinen Stoß
versetzt, landen sie direkt in der
Brühmaschine. In diesem großen
Aluminiumsarg löst sich die Oberhaut der Schweine in 60 Grad heißem
Wasser ab. Das Tier wird in der Maschine von pedalartigen Hebeln herumgewirbelt.
Nach zwei Minuten öffnet Sutter
den Deckel der Brühmaschine und
hievt zusammen mit Assmann das
gehäutete Tier aus der braunen
schaumigen Suppe auf den Tisch.
Mit kurzen, zackigen Bewegungen
entfernt Sutter die Hufnägel. Dazu
nimmt er eine Art kleinen Gartenrechen, rammt die gekrümmten Spitzen
in die Hufansätze des Schweins und
zieht. Dann schabt Sutter die übrig
gebliebenen Borsten von der Haut.
Die Stoppeln kokelt Assmann mit einem Gasbrenner ab. Sofort mischt
sich der beißende Gestank von verbranntem Haar unter den dunstigen
Schweinegeruch.
Wieder am Fuß angekettet und
kopfüber aufgehängt, wird das
Schwein jetzt von Döß ausgenom-
Metzgermeister Jochen Döß bereitet derweil alles für das Ausbluten
vor. Auf einen kopfüber gestellten Eimer legt er eine Metallschüssel, in die
später das Blut der Schweine hineinfließen soll. Er wetzt das Messer. Immer einmal rechts, einmal links fährt
er in einer Halbkreisbewegung am
Wetzstein entlang. In seinem Gesicht
finden sich keine Anzeichen von Unruhe oder Anspannung. Er macht
diesen Job schon seit 21 Jahren.
Unser tägliches Blut gib uns heute
9
men. Das Messer, mit dem er zwischen den Hinterläufen ansetzt, ist
kaum länger als ein Küchenmesser
und leicht nach vorne gebogen. Sobald er ein kleines Loch geschnitten
hat, greift er mit dem Messerrücken
hinein und schlitzt das Schwein von
innen nach außen auf, damit er die inneren Organe und vor allem den
Darm nicht verletzt: „Sonst würde ja
die ganze Scheiße rauslaufen.“
Der Dickdarm quillt als erstes aus
dem Körper. Die beinahe faustgroßen, glibberigen Knollen erinnern an
ein riesiges Knoblauchbündel. Nach
der Blase nimmt Döß den gesamten
Verdauungskomplex mit Magen und
Gedärmen am Stück heraus und legt
ihn auf einen separaten Tisch. An der
armlangen Speise- und Atemröhre
baumeln Lunge, Leber und Herz.
Döß hat diesen Sack ungetrennt herausgeschnitten und mitsamt Zunge
auf einen Haken gespießt. Jetzt muss
er nur noch das Bauchfett aus dem Inneren reißen. Mit einem schmatzenden Geräusch zieht sich die
wabbelige, weiße Masse lang und löst
sich ungleichmäßig vom Körper.
Mundwinkel nach unten, Blick
geradeaus — der Schlag sitzt
Nun kommt das Schwierigste: das
Spalten. Dabei muss der Metzger mit
einem armlangen Hackebeil das
Schwein in zwei exakt gleich große
Hälften teilen. Jochen Döß setzt zum
ersten Mal an. Die Mundwinkel sind
leicht nach unten gezogen, der Blick
geht starr und konzentriert geradeaus. Der Schlag sitzt. Auf beiden Seiten lässt sich der gelbliche Knochen
der Wirbelsäule erkennen. Mit zwölf
Schlägen haut er das Schwein entzwei. Bei einigen Treffern blinzelt er
nicht einmal, wenn sich das Beil ein
paar Zentimeter weiter in den Knochen senkt. Die fertigen Schweinehälften schiebt Assmann an der
Stange entlang in den Fleischerraum.
Dort hängen sie in einer Reihe. Die
abgetrennten und halbierten Köpfe
liegen auf dem Tisch daneben. Was
vor einer Stunde noch mit durchschnittlich 110 Kilo Lebendgewicht
durch den Schlachtraum trottete,
hängt jetzt als 70 Kilo verwertbares
Fleisch am Haken.
Ob in Wienern, Fruchtsäften, Fertigtorten oder Bonbons – Blut findet in vielen Lebensmitteln Verwendung
VON
MELANIE MITTERMEIER
Es steckt in Erdbeermarmelade, im Frühstücksdrink oder in
roten Smarties. Es erhöht den
Eiweißgehalt in Joghurt und
gibt Gummibärchen ihre Form.
Manchmal macht es sogar die
Schokolade streichzart: Blut.
Seine Verarbeitung ist in
Deutschland nicht nur in Wienern oder Gulasch erlaubt: Verborgen hinter E-Nummern,
Farbstoffen und anderen Zutaten findet die proteinreiche und
fetthaltige Flüssigkeit auch in
vielen anderen Lebensmitteln
Verwendung.
Relativ einfach erkennt der Verbraucher bluthaltige Produkte noch im
Fleischbereich, da hier Blutreste ohnehin nicht auszuschließen sind. Zusätzlich wird es in getrockneter Form
oder als Blutplasma und Blutserum
Brüh- und Leberwürsten, aber auch
tafelfertigen Fleischgerichten wie Pasteten beigefügt. „Durch das Blut erhöhen sich die Bindungseigenschaft
und der Eiweißgehalt des Produkts,
außerdem verhindert der Blutanteil
einen Fett- und Geleeabsatz bei Dosenware“, erklärt Dr. Doris Kugler
vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.
Mit Blut in Wienern oder Gulasch
muss man also rechnen. Aber auch
wenn man sich morgens sein Marmeladenbrot schmiert, kann es sein, dass
Blut auf dem Teller landet: Viele
Fruchtzubereitungen – beispielsweise die Erdbeerkonfitüre der Firma
Natreen – enthalten den Zusatzstoff
E 120: Echtes Karmin. Dieser rote
Farbstoff wird aus dem Blut der
weiblichen Scharlach-Schildlaus gewonnen und findet außerdem in rot
geädertem Käse, Wurst, Fertigtorten,
Frühstücksdrinks, Fruchtsäften, Weinen und Campari, sowie in Smarties
und Campinos Verwendung.
Und auch in anderen Süßigkeiten
ist Blut enthalten: „Bei der GelatineHerstellung gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder vermengt man das
Aspik mit Eiklar und erhält eine klare
Gelatine, oder aber man verwendet
Blut, was zu einer leicht goldenen Gelatine führt. Beides wird auf den Produkten nur als Gelatine vermerkt“,
erklärt Hermann Jakob von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Und Gelatine ist fast überall
enthalten. Ob man also beim Genuss
von gelatinehaltigen Milchprodukten
oder Desserts auch eine gewisse Menge Blut verzehrt, kann man nicht mit
Sicherheit erkennen.
Dass Blut aber auch in Schokolade
enthalten sein soll, hält Brigitte Grothe vom Bund für Lebensmittelrecht
und Lebensmittelkunde für ein Gerücht: „Mir ist nicht bekannt, dass
deutsche Schokoladenhersteller diese
Zutat verarbeiten.“ Verboten ist die
Verwendung von Blut aber nicht.
Sein hoher Fettgehalt würde Schokolade sogar zarter und cremiger machen, wie der bluthaltige Schokoladenbrotaufstrich des Gastronomen
Aniello Farracchio aus Düsseldorf
zeigt: „Mein Aufstrich schmeckt wie
Nutella, nur dass eben Blut mit dabei
ist. So kann man ihn besser streichen
und er wird im Kühlschrank nicht so
schnell hart.“ Das Patentamt lehnte
sein Produkt jedoch ab. „Da kam die
BSE-Krise dazwischen und man
wurde plötzlich sehr vorsichtig. Verboten ist es aber nicht“, erzählt
Farracchio.
Blut-Schokolade darf also verkauft werden — solange sie als solche
gekennzeichnet ist. Anders ist es bei
Desserts, in denen Schokolade nur einen geringen Teil des Gesamtprodukts ausmacht.
„Schokoladenerzeugnisse, die nur
als Füllung oder Verzierung dienen,
können mit Blut hergestellt werden,
ohne dass es in der Zutatenliste angegeben werden muss“, erklärt Brigitte
Grothe.
Auch in Gasthäusern muss Blut
als Bindemittel nicht angegeben werden. „Bei dunklen Soßen wird der
Laie nicht erkennen, ob Blut verwendet wurde. Schließlich ist es kein Geschmacksträger“, erklärt Andreas
Mattern, Küchenchef im Restaurant
Sonnenschein in der mittelalterlichen
Stadt Blankenberg in der Nähe von
Köln. „Deshalb sollte man es angeben. Blut ist ja nicht jedermanns Sache.“ Mattern serviert in seinem
gutbürgerlichen Restaurant die
„Schwarze Suppe“, die in Schweden
und Griechenland als Spezialität gilt
und aus Fleisch, Blut und Essig besteht. „Wir bereiten sie aber ohne Blut
zu, da würden uns sonst die Leute
weglaufen, die ekeln sich ja“, meint
Mattern.
Und das, obwohl Blut eigentlich
ein Lebensmittel wie alle anderen
auch ist. Tierisch zwar, aber nicht
tierischer als Fleisch oder Innereien.
Wegen seines hohen Eiweiß- und
Eisengehalts wird es besonders in
südlichen Ländern gerne verarbeitet.
Hierzulande reduziert man seine
offene Verwendung auf ein Minimum. Wer Blut aber restlos von
seiner Speisekarte streichen möchte,
sollte sich beim Hersteller über sämtliche Inhaltsstoffe informieren.
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10
G
VON
GESUNDHEIT
Assistenzarzt Egel
Vier Bisse und ein Tag Dauerbluten: Ein Erfahrungsbericht
JASMIN WONTROBA
litschig und eklig hatte ich sie
mir vorgestellt, aber eigentlich
sind die kleinen, wurmartigen
Wesen ganz niedlich, so braun und
runzelig, wie sie in ihrer Wasserschale
umherschwimmen. Jedes hat eine rötliche Musterung, ähnlich der einer
Schlange und ist ungefähr vier Zentimeter lang. Während ich die Blutegel
beobachte, befragt mich Heilpraktikerin Kirstin Fossgreen zu meiner Krankengeschichte und erklärt dann, wo
sie die Egel ansetzen wird: Zwei am
oberen Rücken gegen Kopfschmerzen
und Verspannungen und zwei im
Nierenbereich.
Zusammen mit ihrem Mann Thomas Franke, mit dem sie in Hannover
eine Praxis hat, bereitet Fossgreen alles vor. Damit der Blutegel punktgenau anbeißt, legt sie ihn in eine
Blutige Sache: Links saugen noch zwei
der ursprünglich vier Egel.
BILD: C. HEINE
abgeschnittene Spritze, bevor sie ihn
an meiner Haut aufsetzt. Nachdem er
sich angesaugt hat, sägen sich seine
drei winzigen Zahnleisten langsam in
meine Haut. Mein erster Gedanke:
„Autsch!“ Mein zweiter: „Ist ja gar
nicht so schlimm.“
Es zwickt und piekst, als sich die
Zähne der vier Egel in meine Haut
bohren, aber Blutabnehmen find’ ich
schlimmer. Es zieht, als die Egel beginnen Blut zu saugen und gleichzeitig ihre heilende Speichelmischung
in mich pumpen. Unter anderem
führt der Egel meinem Körper Entzündungshemmer und Schmerzstiller zu, verdünnt das Blut und pumpt
Gerinnungshemmer in die Blutbahn,
weshalb die kleinen Bisswunden später noch stundenlang nachbluten
werden. Diesem Blutverlust von 30
bis 50 Millilitern pro Biss spricht man
ebenfalls eine heilende Wirkung zu.
Ich verliere heute insgesamt circa 200
Milliliter Blut, nicht mal halb so viel
wie bei einer Blutspende. Zwischen
45 Minuten und zwei Stunden bleiben die Egel nun an mir haften, bis sie
satt sind und von allein abfallen. Ein
vollgesaugter Egel kann sich bis auf
das Zweieinhalbfache seiner Ursprungsgröße ausdehnen und das
Zehnfache seines Ursprungsgewichtes wiegen.
Die Blutegeltherapie ist in Europa
vermutlich knapp 200 Jahre vor
Christus bekannt geworden. Im 18.
und 19. Jahrhundert wurde der Egel
missbräuchlich bei allen möglichen
Diagnosen eingesetzt. Bis zu hundert
Egel wurden pro Behandlung angesetzt. Die Entdeckung von Bakterien
um 1850, die die Angst vor Anstekkung durch mehrfach verwendete
Egel aufkommen ließ, bedeutete das
Aus für die Blutegeltherapie. Kurz
nach dem ersten Weltkrieg entdeckte
man die gerinnungshemmende Wirkung der Blutegel und setzte sie langsam wieder ein. Heute werden sie
hauptsächlich bei Entzündungen und
Rheuma, aber auch bei Krampfadern,
sowie in der plastischen und rekonstruktiven Chirurgie verwendet.
Nur rund 15 der cirka 600 Blutegelarten werden medizinisch genutzt.
Am besten geeignet ist der Hirudo medicinalis, der Medizinische Blutegel, der
gezüchtet wird und gerade auf meinem Rücken seinen Hunger stillt.
Nach einer guten Stunde fällt der erste satte Egel ab, die anderen drei etwas später. Die Egel haben ihre
Arbeit getan. Fossgreen wird sie nun
einfrieren, da dies die sanfteste Art
ist, sie zu töten. Vorher verbindet sie
meine winzigen, blutenden Wunden
mit mehreren Schichten Mull und
wickelt Alufolie darüber, damit das
Blut nicht in meine Kleidung laufen
kann. Schließlich gibt sie mir noch eine Menge Verbandszeug und homöopathische Tropfen mit, falls ich die
Blutung vorzeitig stoppen möchte.
Dann darf ich nach Hause.
Drei Stunden später der erste Verbandswechsel: Die dicken Verbände
sind durchgeblutet. Zum Glück hatte
Fossgreen mich vorgewarnt, sonst bekäme ich jetzt Angst. Ich bin erschöpft und gehe früh schlafen. In der
Nacht ist der zweite Verband durchgeblutet, auch am nächsten Morgen
blutet es noch etwas. Erneuter Verbandswechsel. Eine Woche später habe ich vier kleine sternförmige
Wunden, die gut verheilen. Seit der
Behandlung fühle ich mich insgesamt
etwas besser. Ob es an den Blutegeln
liegt? Sicher ist: Ich würde es wieder
machen, wenn es medizinisch erforderlich wäre.
„Beschneidung ist ein Mordversuch“
Fadumo Korn kämpft in Deutschland seit Jahren gegen die Verstümmelung von Frauen
VON
CONTAINER
DOROTHÉE SCHOENE
Die Somalierin Fadumo Korn
über ihren Kampf gegen die
genitale Beschneidung von
Frauen und ihr Engagement im
Verein Forward Germany.
Frau Korn, ist es schwer, mit afrikanischen Frauen über Beschneidung
zu reden?
Schon, aber ich habe den großen Vorteil, dass ich eine von ihnen bin. Ich
bin selbst Afrikanerin, und da ist die
Basis eine ganz andere. Meist fangen
die Frauen von allein an, darüber zu
reden. Aber nicht alle Frauen sind so
offen.
Beschneidung
HINTERGRUND
Unter genitaler Beschneidung
versteht man, dass die Klitoris
teilweise oder mit den Schamlippen zusammen entfernt wird.
Nach dem Eingriff wird die Wunde oft unter primitivsten hygienischen Bedingungen
zusammengenäht häufig unter
hohem Blutverlust. Entzündungen sind die Folge. Fünf bis
zehn Prozent der Mädchen und
Frauen sterben durch den Eingriff, jede fünfte Frau an den
Spätfolgen.Beschneidung wird
aus traditionellen und religiösen
Gründen vollzogen.
Eine unbeschnittene Frau gilt in
vielen Gegenden Afrikas als unrein. Es ist deshalb für die Familien schwer, ihre Tochter zu
verheiraten, wenn sie unbeschnitten ist. Nach Angaben der
Weltgesundheitsorganisation
werden pro Jahr etwa 130 Millionen Frauen beschnitten.
Weitere Informationen:
www.faduma-korn.de
www.forward-germany.de
Woran liegt das?
Das liegt daran, dass schwere Fehler
gemacht wurden. Es wurden blutige
Bilder von verstümmelten Frauen gezeigt. Oft werden beschnittene Frauen deshalb als nicht vollwertig
angesehen. Alles reduziert sich auf
den Genitalbereich. Die Europäer haben vieles falsch verstanden. Sie haben über Beschneidung gesprochen,
ohne sich ausreichend darüber zu informieren.
Sie sind im Alter von 7 Jahren in Somalia selbst beschnitten worden
und haben gesundheitliche Schäden davon getragen.
Ich kann von Glück reden, dass ich an
gute Ärzte gekommen bin. In Somalia
und Europa haben mir gute Mediziner geholfen. Trotzdem leide ich noch
heute an gesundheitlichen Problemen
wie Rheuma, die mit der Beschneidung zu tun haben.
Haben alle beschnittenen Frauen
diese gesundheitlichen Probleme?
Man kann es nicht verallgemeinern.
Es kommt auf die Entwicklung der
Frau drauf an, wie sie beschnitten
wurde, ob sie in einem Dorf oder in
einer Stadt beschnitten wurde. In der
Stadt sind die hygienischen Bedingungen besser als auf dem Land. Da
sind auch Ärzte und Hebammen vor
Ort. In der Wüste oder im Dorf steht
es mit den Instrumenten, der Hygiene und den medizinischen Möglichkeiten oft schlechter.
Sie arbeiten seit Januar 2000 ehrenamtlich bei dem Verein Forward
Germany mit und sind zweite Vorsitzende. Welche Ziele und Aufgaben
hat der Verein?
Forward will aufklären und gegen
die Beschneidung kämpfen. Wir veranstalten Wochenendseminare, bei
denen sich junge afrikanische Mädchen in Frankfurt und München treffen können. Mit Hilfe von
Sozialpädagogen arbeiten wir Theaterstücke aus, die dann aufgeführt
werden. Die Stücke thematisieren die
genitale Beschneidung an Frauen.
Menschen, die Beratung suchen, können jederzeit zu uns kommen. Auch
mit Gynäkologen stehen wir in Kontakt. Wir gehen mit den Frauen zum
Arzt, wenn sie sich allein nicht trauen. Außerdem begleite ich Flüchtlinge aus Somalia von ihrer Ankunft in
Deutschland bis zur vollendeten Integration. Als Dolmetscherin für Somalisch-Deutsch vermittle ich zwischen
den Behörden und den Teenagern,
die ohne Eltern hierher kommen. Neben den Jugendlichen betreue ich
auch noch afrikanische Familien, die
in Deutschland leben.
Welche Schwierigkeiten hat der Verein bei seiner Arbeit?
Unser Verein ist auf Spendengelder
angewiesen. Wir wollen Politiker aufmerksam machen und politische Unterstützung erreichen. Konkret
möchte ich ein Gesetz in Deutschland, dass die vorsätzliche Beschneidung als Mordversuch unter Strafe
stellt. Beschneidung ist Folter und eine Menschenrechtsverletzung. Mein
ganzes Anliegen ist, diese Menschenrechtsverletzung zu stoppen.
Was wünschen Sie sich für die afrikanischen Frauen in Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir gesehen
werden. Gesehen werden heißt akzeptiert werden.
Fadumo Korn
BILD: PRIVAT
Wenn etwas fehlt: Männer, die mit Impotenz leben, müssen lernen über ihre Sexualität
zu sprechen.
BILD: ISABELLE MODLER
Impotenz:
Das Schweigen der Männer
S
„Viele lernen hier, zum ersten Mal
über das Thema zu sprechen, manche
kommen immer wieder, da die andetefan ist impotent. „Medizinisch ren Männer schon viele Erfahrungen
korrekt heißt es erektile Dys- gemacht haben und oft hilfreiche
funktion. Doch ändern tut das Tipps geben können“, sagt Günther,
auch nichts“, erklärt er lächelnd. Vor der die Gruppe 1998 gegründet hat.
knapp einem Jahr wurde bei ihm Pro- Viele Betroffene wüssten zum Beistata-Krebs diagnostiziert. „Einen spiel nicht, welche Leistungen die
Monat später wurde ich operiert und Krankenkassen erbringen müssen.
jetzt geht bei mir von alleine nichts Manche Ärzte stellen private Rechmehr im Bett.“ Der 54-Jährige hat die nungen, obwohl die Suche nach
Arme vor dem Oberkörper ver- Gründen für eine Erektionsstörung
schränkt und die Beine übereinander beim Vorliegen eines Krankheitsvergeschlagen. Er blickt angespannt auf dachts von den gesetzlichen Kassen
das Wasserglas vor ihm. Nur selten gedeckt werden müsse, erklärt der
schaut er auf. Wenn er spricht, wan- 58-Jährige. Aber auch alltägliche Fradert sein Blick zur Uhr, die über der gen im Umgang mit ErektionsstörunTür des Gruppenraums „G3“ im gen spielen eine wichtige Rolle.
„Im Bett wird einiges anders“, erMünchner Selbsthilfezentrum hängt.
„Es fällt mir immer noch nicht zählt Heinz, der schon länger in der
leicht, darüber zu sprechen, doch ich Gruppe ist, „ich komme relativ gut
merke, dass es mir hilft“, erzählt er mit der Penispumpe zurecht“. Die
den anderen Männern der Selbsthil- Atmosphäre wird allerdings eine anfegruppe „Erektile Dysfunktion“, die dere, findet Heinz. Sex ist nichts
sich an jedem zweiten Montag des Spontanes mehr, sondern wird geMonats hier treffen. „Man fühlt sich plant: Entweder müssen potenzsteieinfach nicht mehr wie ein ganzer gernde Präparate eingenommen
Mann, man kann die eigenen Erwar- werden, oder das Blut wird mit Hilfe
tungen nicht mehr erfüllen und man einer Vakuumpumpe in den Penis
hat Angst, darüber zu sprechen.“ So gepumpt. Ein Ring, der über die Peschildert Stefan seine Situation, bevor niswurzel gestülpt wird, verhindert,
er es geschafft hat, in der Selbsthilfe- dass das Blut zurückfließt. „Eine halgruppe und dann mit einem Arzt be Stunde bleibt der Penis dann eridarüber zu sprechen. Damit ist er giert“, erzählt Heinz, dann müsse
kein Einzelfall: „Rund fünf Millionen man den Ring wieder abstreifen.
Doch längst nicht alle Männer
Männer in Deutschland leben mit
Erektionsstörungen, aber nur jeder kommen mit der Vakuumpumpe zurecht, erklärt Dr.
fünfte traut sich
Hackl, denn der
damit zum Arzt“,
Penis läuft oft blau
sagt Dr. Kornelia
„Dieses Thema ist bei
an
und
wird
Hackl, Urologin
aus
München.
vielen Männern noch schnell kalt. Deshalb muss für je„Dieses Thema ist
den Mann das
bei vielen Mänein absolutes Tabu.”
richtige Mittel genern noch ein abfunden werden.
solutes
Tabu.“
Erektionsspritzen
Wohl nur daoder eine Penisdurch lässt sich
auch erklären, dass es in ganz prothese können Männern helfen, die
Deutschland nur eine Selbsthilfe- aufgrund organischer Ursachen ungruppe gibt. Männer müssten endlich ter Erektionsstörungen leiden, erklärt
lernen, darüber zu sprechen, meint die Urologin. Wenn die Ursachen dadie Urologin, denn gerade bei Erekti- gegen psychischer Natur sind, helfen
onsstörungen seien die Ursachen oft auch potenzsteigernde Präparate
vielfältig und könnten nur im Ge- wie Viagra oder Tsialis. Gerade junspräch ermittelt werden. Während gen Männern sei es wichtig, zu zeiErektionsstörungen bei älteren Män- gen, dass sie eine dauerhafte und für
nern oft organische Ursachen haben, den Geschlechtsverkehr ausreichenseien es bei jüngeren häufig psychi- de Erektion bekommen können, erklärt die Ärztin. Aus diesem
sche Gründe, erklärt Dr. Hackl.
Nicht nur Stefan fällt es schwer, positiven Erlebnis erwächst oft eine
über seine Erfahrungen zu sprechen. Selbstsicherheit, die den psychischen
Bernhard, der schon seit über einem Druck erheblich mindert.
Stefan hat sich mittlerweile entJahr zur Gruppe gehört, ist heute
Abend unsicher. Nach zwölf Jahren schlossen, regelmäßig an den Treffen
Beziehung hat ihn seine Freundin der Gruppe teilzunehmen und dabei
verlassen: „Sie meinte, ich hätte ja zu helfen, neue Gruppen aufzubaunun genug Sex gehabt“, sagt Bern- en. In Köln, Stuttgart und Berlin soll
hard bitter. Er ist sich sicher, dass die es bald regelmäßige Treffen geben.
Beziehung wegen seiner Erektions- Zudem hat die Gruppe ihr Internetstörungen gescheitert ist. Seitdem angebot erweitert. Um den Zugang
kämpft er mit dem Gefühl, ein für Betroffene zu erleichtern, können
Schlappschwanz zu sein, der seinen die Fragen an Experten nun auch anMann nicht mehr stehen kann. „Nach onym gestellt werden. Es sei zwar
meiner Operation vor einem Jahr hat leicht, Witze über Erektionsstörunsie gesagt, dass sie keine Lust auf Sex gen zu machen, aber nicht, jemanden
mehr hätte, vor zwei Wochen dann zu finden, mit dem man darüber
hat sie sich von mir getrennt und er- ernsthaft sprechen könne, schreiben
zählt, dass sie schon mit einem ande- die Männer auf ihrer Homepage.
ren zusammen ist. Sie wollte mit mir „Trotzdem kennen wir natürlich die
einfach nie über meine Impotenz besten Witze darüber und unsere
sprechen“, erzählt Bernhard. Es fällt Treffen sind oft auch lustig“, sagt
den anderen schwer, ihn wieder auf- Heinz schmunzelnd. „Viele haben
zubauen. Viele kennen diese Ängste, ein falsches Bild von uns: Wir sind so
stehen aber wieder fest im Leben und normal wie alle Männer und leben
wollen den anderen Kraft geben, da- unser Leben, ohne dass sich alles
mit auch sie ihre Ängste überwinden. ständig um unsere Probleme dreht.“
VON
SIMON WODITSCH
Treten, schlagen,
würgen
CONTAINER
VON
RALF FISCHER
Der knallharte Kampfsport
Free-Fight ist in Deutschland
umstritten: Unsportlich und
brutal für Beobachter. Die ultimative Herausforderung für die
Kämpfer. André Balschmieter
ist der beste Deutsche in einem
Sport, der immer mehr Anhänger findet.
Tsssu, Tsssu, Tsssu — eine Serie von
Faustschlägen hämmert auf den taumelnden Sandsack ein. Tritt. Kniekick.
Ellbogen-Check.
Tritt.
Schnaufend presst André Balschmieter seine nasse Stirn gegen den Boxsack, dann stößt er sich ab — rechts,
links, rechts: Tsssu, Tsssu, Tsssu. Bei
jedem Faustschlag peitscht er die Luft
aus seiner Lunge. Kampfsport bestimmt das Leben des 24-Jährigen,
der nach seinem Abitur ein Fitnessstudio in seiner Heimatstadt Eschwege gepachtet hat. Sechs Tage die
Woche trainiert er sich und ein Dutzend Schüler, übt Schlagkombinationen und Bodenkampf. Sein Ehrgeiz
macht sich bezahlt: André Balschmieter ist der beste Deutsche im FreeFight — einer Kampfsportart, bei der
fast alles erlaubt ist.
Die Kämpfer treten, schlagen und
schnüren dem Gegner im Schwitzkasten die Luft ab. Wer gewinnen
will, muss seinen Gegner k.o. schlagen oder zur Aufgabe zwingen. Die
Regeln der Free-Fight-Association
(FFA), des einzigen deutschen Amateurverbands, verbieten nur lebensgefährliche Attacken auf Wirbelsäule,
Kehlkopf, Augen, Mund, Nacken
und Genitalien. Auch wenn der Gegner am Boden liegt, darf er geschlagen und getreten werden. Das
unterscheidet Free-Fight von anderen
Kampfsportarten.
„Shake hands“, die beiden Kämpfer schütteln sich etwas staksig die
Hände, dann ist der Kampf freigegeben. Wie ein Rugbyspieler versucht
S
VON
der eine Kämpfer seinen Gegner mit
der Schulter zu Boden zu rammen.
Doch die beiden verhaken sich, ein
kurzer Schlagabtausch, das Publikum
johlt. Eine schnelle Rechte trifft den
Kämpfer in der kurzen Hose am
Kopf, er sackt an den Ringseilen zusammen. Der Kampf ist bereits nach
Sekunden vorbei. Verhaltenes Klatschen, enttäuschte Pfiffe. Ringrichter
und Sanitäter knien beim bewusstlosen Gegner. „Ich muss sagen, das
sieht nicht gut aus“, hallt die Stimme
des Ringsprechers aus dem Off.
Videos von deutschen Free-Fights
wie dieses sind im Internet selten. Dagegen gibt es eine Fülle von Videos
der amerikanischen und japanischen
Ligen, die Free-Fight als Showspektakel mit 60 000 Zuschauern am Ring
inszenieren. In Deutschland reagiert
die Öffentlichkeit verhalten: Zwischen 500 und 2000 Zuschauer beobachten regelmäßig das Spektakel.
Und dennoch wird auch hier FreeFight immer beliebter. 1994 begann
der Verband mit einer Hand voll
Kampfsportler — heute umfasst die
Rangliste der FFA knapp 240 Kämpfer aus Deutschland.
Platzwunden, Gehirnerschütterungen und ein Bewusstloser
André Balschmieter führt diese
Rangliste an. Seitdem er 16 Jahre alt
ist, kämpft er: Zuerst Judo, dann Taekwondo, Boxen, Kickboxen und die
Kung-Fu-Form WingTzun. Angefangen hatte alles mit den Action-Filmen
der Kampfsport-Ikone Bruce Lee:
„Ich habe seine Filme geguckt und
fand seine Bewegungen cool, wie er
mit seinen schnellen Schlägen die
Gegner schachmatt gesetzt hat.“ Sein
Trainer fragte ihn schließlich, ob er
nicht auch mal beim Free-Fight in den
Ring steigen würde. 2003 gewann er
seinen ersten Free-Fight in Berlin. Inzwischen hat er von 26 Kämpfen 15
gewonnen – 12 davon durch k.o., seiner „Favoritenlösung“, wie er sagt.
SPORT
11
Immer feste drauf: Free-Fighter André Balschmieter tritt in seinem Fitnessstudio auf den Sandsack ein. Mit seinem Gegner im Ring ist
er ebenso wenig zimperlich: Zwölf Mal hat er durch k.o. gewonnen.
BILD: RALF FISCHER
Für André Balschmieter ist Free-Fight
wie ein Schachspiel: Präzise Taktik
und Vorbereitung bestimmen den
Sieger.
Dr. Angelika Eichner, Notärztin
aus Dresden, empfindet Free-Fight
dagegen als „unsportlichen GewaltVoyeurismus“: „Leben zu retten ist
das eine, aber wenn sich einer freiwillig zusammenschlagen lässt, will ich
nicht dabei sein.“ Einmal musste sie
dennoch hin: Im November 2005 war
sie als Ringärztin bei einem FreeFight-Turnier eingeteilt. Die Notfallbilanz des Abends: Ein Bewusstloser
nach einem Würgegriff, ein geschwollenes Ohr, Gehirnerschütterungen und Platzwunden. Damit ist
Free-Fight ihrem Eindruck nach nicht
blutiger als Boxen. Auch eine medizinische Studie aus den USA attestiert
dem Sport, dass die Verletzungsrate
nicht wesentlich höher sei als in anderen Kampfsportarten. Im Gegensatz
zum Boxen oder Thaiboxen, können
die Gegner mit Hebelgriffen zur Aufgabe gezwungen werden. Deshalb
gebe es weniger Schläge an den Kopf
und damit weniger langfristige Kopfverletzungen. Ein Restrisiko bleibt
dennoch: Der Amerikaner Douglas
Dedge starb 2003 nach einem Kampf
Leg den Gegner flach!
in Kiew an seinen Kopfverletzungen.
Er ist bisher das einzige Todesopfer
in der Geschichte des Free-Fights.
André Balschmieter sind schwere
Verletzungen bisher erspart geblieben: „Ich mache mir keine Gedanken
darüber. Wenn man solche Sachen
befürchtet, treten sie ein.“ Er selber
hat einem Gegner den Kiefer gebrochen – das sei jedoch Berufsrisiko. „Es
tut mir zwar Leid, aber es hätte mir
genauso passieren können.“ Das
klingt hart von einem, der für seine
Schüler im Training der „Sihing“, der
große Bruder ist. Von einem, von
dem die Schüler sagen: „Er ist ruhig,
fair und ein guter Mensch.“
Genervt vom Image der
Ex-Knackis und Gladiatoren
Andreas Stockmann, Vorsitzender
der deutschen Free-Fight-Association
(FFA), beantwortet etwas genervt die
Fragen nach der Brutalität seines
Sports: „Wir würden nie so schwere
Verletzungen zulassen wie im Boxen.“ Jeder sei freiwillig beim FreeFight und der Kampf werde durch
ein sportlich-faires Regelwerk gesichert. Mit Benefizkämpfen und ge-
BLUTSPRITZER
Von vorne, hinten, links und rechts: Die Blutgrätsche kommt zum Einsatz, wenn es eng wird
MIRIAM WEBER
tellen Sie sich mal folgende Szene vor: Zwei Fußballer kämpfen
um den Ball. Nichts Außergewöhnliches. Eigentlich. Plötzlich ein
Pfiff: Blutgrätsche. Blutgrätsche?
Kennen Sie nicht? Dann könnte vielleicht diese Definition für Sie hilfreich
sein: „Wenn der Gegner im Ballbesitz
ist und man ihm in die Füße rutscht,
damit er umfällt.“ So erklärt es Alexander, 16 Jahre alt. „Blutgrätsche ist,
wenn der Stürmer der gegnerischen
Mannschaft allein vor das Tor läuft,
und ihm dann ein Abwehrspieler von
hinten in die Beine grätscht“, behauptet Erkan, 15-jähriger Fußballer und
fügt hinzu: „Mit einer Blutgrätsche
kann man den Gegner verletzen.“ So
weit, so gut. Nun wissen wir immerhin schon mal, dass es sich um ein
grobes und unsportliches Foul beim
Fußball handelt, denn egal, ob von
hinten, links oder rechts — bei einer
Blutgrätsche hat der Spieler nie und
nimmer die Chance, an den Ball zu
kommen. Dafür ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, den Gegner zu
verletzen.
So auch am 14. August 1981. Werder Bremen gegen Arminia Bielefeld:
Ewald Lienen stürmt für Bielefeld,
für den Bremer Verteidiger Siegmann
aber leider zu schnell. Der sieht in
Anbetracht des nahenden Unheils
keinen anderen Ausweg mehr und
grätscht mit beiden Beinen gestreckt
in den Oberschenkel von Lienen. Ein
Schrei, ein Riss. Beides lang und
schmerzhaft. Auf Lienens Oberschenkel klafft eine 25 Zentimeter lange
Wunde. Das Wort Blutgrätsche ist er-
funden und sorgt gleich für Wirbel.
Wochenlang dürfen die Fans Lienens
Wunde in den Medien bestaunen.
Doch damit nicht genug. „Pack ihn
dir“, soll der Bremer Trainer Otto
Rehhagel vor dem Foul Siegmann zugerufen haben. Morddrohungen gegen Rehhagel waren die Folge — der
setzte sich im Rückspiel deshalb lieber mit kugelsicherer Weste auf die
Bank.
Trotzdem wurde die Blutgrätsche
immer beliebter. „Wenn mich ein
Spieler aufregt und provoziert, mache ich schon mal eine“, bestätigt Nico, 12 Jahre. Und auch Thomas,
ebenfalls 12 Jahre alt, sieht kein Problem: „Also ich mache das entweder
als Revanche-Foul oder wenn ich provoziert werde.“
Es wird also gegrätscht, was das
Zeug hält, auch wenn der Duden die
Blutgrätsche ignoriert: Zum großen
Unverständnis aller Fußballfreunde
ist das Wort dort nicht zu finden.
Aber einem wahren Fan ist das
schnurzegal — schließlich stehen ja
Lattenknaller, Schwalbenkönig oder
Elfmeterkiller auch nicht drin. Dafür
kann man Blutgrätschen schon für
zwei Euro kaufen (Fanmagazin der
Kölner), auf ihr chatten (blutgraet-
BILD: SPONHOLZ
schulten Ringrichtern will er den
Sport in Deutschland etablieren. Er
weiß, dass er dabei gegen ein Negativ-Image kämpfen muss, das nicht
von ungefähr kommt: „Die Szene kokettiert mit dem Image des BadBoys.“ Free-Fighter der ersten
Generation hätten sich als Ex-Knackis
und Legionäre dargestellt. „Kampf
der Gladiatoren. Das Härteste, was
Kampfsport zu bieten hat“, wirbt eine
Website, „Blutrausch zum Feierabend“ betitelt ein Organisator eine
Veranstaltung in Köthen. Im sächsischen Wurzen fielen Rechtsradikale
auf, die sich als Free-Fighter bezeichneten. In Chemnitz skandierten Zuschauergruppen „hoo-na-ra“, eine
Abkürzung für Hooligans, Nazis und
Rassisten. Stockmann und die FFA
distanzieren sich unter anderem in
der Aktion „Mut gegen rechte Gewalt“ von den Rechtsradikalen. Trotz
seiner Aktionen glaubt Stockmann
dennoch nicht, dass sich Free-Fight
zum Massensport in Deutschland
entwickeln kann. Aus diesem Grund
versuchen Sportler wie André Balschmieter, Verträge der populären Ligen in den USA und Japan zu
bekommen, wo sich pro Kampf bis zu
400 000 Dollar verdienen lassen.
sche.de) oder über sie Krimis lesen
(„Blutgrätsche. Weltmeisterkrimis“).
Auch ein Fußballclub hat sich dem
brutalen Foul verschrieben: Dem Verein „Dynamo Blutgrätsche“ schlagen
Siege mit 16:1 oder 12:2 gegen „Coole
Wampe“ zu Buche. Der Torwart der
Spielvereinigung Unterhaching wäre
in dem Verein jedenfalls gut aufgehoben, hatte er doch beim Spiel gegen
den FC Ismaning den Stürmer übersehen und war frontal auf ihn aufgelaufen. Der Torwart wurde vorzeitig
zum Duschen geschickt, der Stürmer
ins Krankenhaus — Unterschenkelbruch.
Und wenn man glaubt, es geht nimmer, kommt ein Franzose und macht
alles noch viel schlimmer: Eric Cantona von Manchester United sprang
1995 mit gestreckten Beinen in einen
Fan. Die Strafe: Neun Monate Sperre
und zwei Wochen Gefängnis, die
schließlich in 120 Tage Sozialdienst
umgewandelt wurden. Alles halb so
wild wird sich wohl die nigerianische
Stürmerin Chiejine denken: Sie musste nach der Blutgrätsche einer Kamerunerin wiederbelebt werden. Also:
Kämpfen bis der Gegner blutet!
Das schreckt Fatih, 16 Jahre, nicht
weiter ab: Er würde sich mit einer
Blutgrätsche für sein Team opfern.
„Wenn ich der letzte Mann bin und
keine andere Möglichkeit mehr habe,
oder bevor wir bei einem Turnier ausscheiden.“
Es ist eben doch so, wie Bill
Shankly, einst Trainer bei Liverpool,
sagt: „Manche Leute meinen, Fußball
sei ein Spiel auf Leben und Tod. Aber
ich versichere Ihnen: es ist viel, viel
wichtiger.“
Ruckedigu,
Blut ist im Schuh
Der erste Tanz auf Zehenspitzen und
schon ist es passiert: Die ungeübte
Ballerina leidet beim harten Training
schnell an Blasen an den Zehen. Platzen diese beim Tanz auf, färbt sich
der zarte Stoff der rosa Spitzenschuhe bald blutrot. Bandagen und
Druckverbände beugen schmerzenden Füßen zwar vor, einer echten
Tänzerin bleiben blutige Zehen aber
nicht erspart. Schließlich bildet sich
nach und nach auf der Wunde eine
starke Hornhaut, die fortan Blasen,
Blut und Schmerzen beim Spitzentanz ganz natürlich vorbeugt.
mm
Dem Stress
davonlaufen
In der Mittagspause raus zum Joggen? Das ist wirksamer, als die Zeit
über am Kaffeeautomaten zu hängen. Denn Sport ist nach den Erkenntnissen der Wissenschaft das
beste Mittel gegen beruflichen Stress.
Bewegung reduziert unter anderem
das Stresshormon Adrenalin im Blut
und fördert gleichzeitig die Bildung
von Glückshormonen. Zehn Minuten
hüpfen und laufen auf der Stelle und
ein paar Stretching-Übungen sind
mindestens erforderlich, damit das
Glückshormon wachgekitzelt wird.
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa bekämpfen
schon 46 Prozent aller Deutschen
Job-Stress mit Sport.
ch
12
Vampire auf
Joghurt-Diät
INTERVIEW
CONTAINER
Horror-Regisseur Michael Rösch vergießt Blut,
speist mit Zombies und hat Angst vorm Zahnarzt
Nach etlichen Versuchen bekomme ich ihn in seinem Stuttgarter Büro endlich an den
Hörer: Michael Rösch kommt
gerade aus Hollywood zurück,
wo er seinen neuesten Film
„Brotherhood of Blood“ fertig
gedreht hat. „Das ist ja eine
ganz andere Herangehensweise an das Thema Blut“, sagt
Rösch und lacht. Mit hoher,
schneller Stimme bietet er mir
kurzfristig einen Termin an –
und das „Du“.
Du kommst gerade vom Mittagessen...
Ja, eine gute Pasta gab's.
Essen Vampire auch Nudeln?
Das Problem bei einem Film-Vampir
ist, dass er oft gar nicht mehr richtig
essen kann: Er müsste sich sonst seine
Zahnprothese rausnehmen lassen,
die manchmal auch angeklebt ist. Er
kann oft nur flüssiges Essen zu sich
nehmen, weil er den Mund gar nicht
richtig aufkriegt. Dann nuckelt er
eben Joghurts.
Du drehst seit sieben Jahren in Hollywood. Wie sieht eine typische Mittagspause am Horror-Set aus?
Rohes Fleisch und düstere Stimmung?
Nee, nee. Es geht eher lustig zu. Das
Kuriose ist, dass tatsächlich Zombies
und Vampire in der Warteschlange
stehen – in vollem Kostüm, weil's
Ausziehen eben stundenlang dauern
würde.
Du schmunzelst…
Na ja, Horrorfilme zu drehen ist halt
der größte Spaß: In Hollywood gibt
es den Spruch: An Comedy-Sets ist es
eher trist, bei Horror-Sets sehr lustig.
Man steht am Set, überall laufen
Monster vorbei, man hat das viele
Blut – ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene.
Und wie viel Blut fließt auf dem
Abenteuerspielplatz?
Viel. Wir bestellen das Kunstblut galonenweise. Ein Riesenspaß: Mit dem
großen Container voll Blut herumzulaufen und es zu verspritzen. Da kann
man schon sagen, dass man in der
Nacht hundert Liter verbraucht. Uns
ist um 8 Uhr abends mal das Blut ausgegangen. Aber das ist das Schöne an
Hollywood: Die Ecke runter ist ein
Laden mit Blut, wir haben dann
schnell neues gekauft.
Weil seine Monster erfolgreich mit den Zähnen fletschen, hat Michael Rösch gut lachen. Der 32-Jährige dreht seit sieben Jahren in
Hollywood Horror-Filme.
BILDER (3): MARTIN WIMÖSTERER
nien selbst, hab' ich gehört, funktioniert Horror nicht richtig, auch im
Nahen Osten nicht: Wenn man den
alltäglichen Horror erlebt, braucht
man ihn nicht mehr im Kino. Horrorfilme sind was für Junge in Wohlstandsgesellschaften mit Freude am
Nervenkitzel.
Wer wischt die ganze Sauerei wieder weg?
(lacht) Das Blut ist in der Tat ein großes Problem. Man versucht, es so zu
verteilen, dass die Wege, auf denen
die Schauspieler laufen, immer frei
bleiben, sonst schmatzen die Schuhe.
Bei dem Film „House of the Dead 2“,
für den wir das Drehbuch geschrieben haben, wurde so viel Blut am Set
verteilt, dass es in das unterliegende
Stockwerk durchgetropft ist.
Warum sind Monster überhaupt so
wild auf Menschenblut?
Vampire sind ja mutiert und können
kein normales Essen mehr zu sich
nehmen und sich nur noch von Menschenblut ernähren. Und wer will
schon gerne sein Blut hergeben?
Es liegt also daran, dass Blut für jeden Menschen ein kostbares Gut
ist?
Das ist der Punkt. Blut ist nicht umsonst rot – das ist ja auch ein Warnsignal, dass man sich verletzt hat und
etwas dagegen unternehmen muss.
Es ist eine Metapher für Sterben, natürlich eine besonders schöne, denn
was für einen grausameren Tod gäbe
es, als von einem Vampir leer gesaugt
zu werden... (grinst)
Warst du schon mal in Transsylvanien, der Heimat der Vampire?
Ja, wir haben dort den Film „Blood
Rayne“ mit Kristanna Loken und Michelle Rodriguez gedreht. In Rumä-
Horror-Messen, da zahlen die Leute
70 Dollar Eintritt für das Wochenende – trotzdem strömen immer Massen an Leuten herein, um ihre Stars
zu treffen, Monster zu sehen und den
vollen Horror zu erleben.
Hast du als Kind selbst Gruselfilme
geguckt?
Nee, meine Eltern hatten mir verboten, sie anzusehen. Man kann schon
Schaden nehmen, wenn man solche
Filme zu früh sieht. Mit 15 Jahren hab'
ich mich dann aber in Filme reingeschlichen, die ab 16 sind, später auch
in Filme ab 18. Es ist schön, wenn es
einen richtig gruselt.
Bekommst du heute noch eine Gänsehaut bei Horrorfilmen?
Selten. Wenn man in etwa weiß, wie
es gemacht wird, schockt es nicht
mehr so. Man ist eher begeistert von
bestimmten Special Effects.
Ist das deutsche Publikum blutrünstiger als das amerikanische?
Nein, Deutsche gehören zu denen,
die am wenigsten Gewalt in Filmen
goutieren. Amerikaner lieben Horror,
wobei es da nicht ganz so blutig zugehen darf wie bei den Asiaten. In Amerika sind wir oft auf großen
Wann steigt dein Blutdruck?
Nicht bei so vielen Sachen, aber zum
Beispiel in großen Höhen ohne Geländer. Grundsätzlich auch beim
Zahnarzt. In „Brotherhood of Blood“
ziehen wir einem Vampir die Zähne.
Die abgebrühtesten Manager von Firmen, die Horror produzieren, haben
Hollywood-Regisseur Michael Rösch
ZUR PERSON
Michael Rösch, 32, ist in Heilbronn in Baden-Württemberg aufgewachsen. Mit einer Super-8-Kamera drehte er in seiner Jugendzeit erste Filme. Filmrezensionen für Zeitungen brachten ihn zum Drehbuchschreiben und schließlich mit seinem Partner am Set, Peter Scheerer,
nach Hollywood. Als Regisseur, Produzent und Drehbuchautor für Filme
wie „House of the Dead“, „Alone in the Dark“ und „Blood Rayne“ hat er
sich mittlerweile einen Namen gemacht. Sein neuester Film „Brotherhood of Blood“ kommt im Sommer 2007 in die deutschen Kinos.
sich die Hände vor’s Gesicht gehalten. Horror ist immer dann schlimm,
wenn man eine Relation dazu hat, ihn
nachvollziehen kann.
Wieso bist du nicht Künstler oder
Chirurg geworden, wenn du so gerne Blut spritzen siehst?
Es ist ein ganz großer Unterschied, ob
man mit einer echten Sache zu tun hat
oder mit einer falschen. Ich könnte
nicht Chirurg werden und operieren
– ich weiß nicht, ob ich da nicht in
Ohnmacht fallen würde. Ein Arzt hat
uns mal am Set besucht und war ganz
verwirrt, da Blut für ihn normalerweise bedeutet, dass er sofort eingreifen muss, helfen muss — und es am
Set zwar viel Blut, aber für ihn nichts
zu tun gab. Für uns ist es normal,
dass wir mit dem Kunstblut herumtoben.
Sind Horrorfilmer ausgeflippte
Typen?
Das ist bei den meisten HorrorfilmRegisseuren nicht der Fall. Geschichten wie man sie manchmal im
Internet liest, würde ich nie machen,
zum Beispiel, dass Leute echtes Blut
trinken. Wir sind eigentlich ruhige
Leute, bisschen zurückhaltend, die
dann genau deshalb anfangen, zu
Hause Geschichten zu entwickeln.
Wenn man, wie du, aus Heilbronn
als blutiger Anfänger nach Hollywood kommt, wird man da überhaupt ernst genommen?
Man wird schon ernst genommen,
weil die Leute nie wissen, was aus einem wird. Wir wurden von großen
Firmen zu Meetings eingeladen, einfach, um sich mal vorzustellen. Man
muss sich aber schon auch hart
durchkämpfen, wenn’s um’s Geld für
die Produktion geht.
INTERVIEW: MARTIN WIMÖSTERER
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